Der zunehmende Mond - Tagore, Rabindranath - kostenlos E-Book

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Tagore, Rabindranath

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The Project Gutenberg EBook of Der zunehmende Mond, by Rabindranath TagoreThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.netTitle: Der zunehmende MondAuthor: Rabindranath TagoreTranslator: Hans EffenbergerRelease Date: November 24, 2011 [EBook #38125]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER ZUNEHMENDE MOND ***Produced by Jana Srna and the Online DistributedProofreading Team at http://www.pgdp.net (This file wasproduced from images generously made available by TheInternet Archive/Canadian Libraries)

Anmerkungen zur Transkription:

Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen.

RABINDRANATH TAGORE

DER ZUNEHMENDE MOND

KURT WOLFF VERLAG

Copyright 1915

Kurt Wolff Verlag, Leipzig

Berechtigte deutsche Übertragung vonHANS EFFENBERGER nach der von Rabindranath Tagore selbst veranstalteten englischen Ausgabe

DIE HÜTTE

Ich ging allein den Weg über das Feld, während der Sonnenuntergang sein letztes Gold wie ein Geizhals verbarg.

Des Tages Licht sank tiefer und tiefer in die Dunkelheit, und das verwitwete Land, der Ernte brach, lag schweigend.

Plötzlich stieg eines Knaben schrille Stimme in den Himmel. Er durchdrang ungesehn das Dunkel und ließ die Spur seines Liedes über der Stille des Abends.

Seine Hütte lag im Dorf am Ende des öden Landes, hinter dem Zuckerrohrfeld, verborgen in den Schatten der Bananen und der schlanken Arēka-Palme, der Kokosnuß und der dunkelgrünen Brotfruchtbäume.

Ich hielt einen Augenblick inne auf meinem einsamen Gang im Licht der Sterne und sah ausgebreitet vor mir die dunkelnde Erde, in ihren Armen zahllose Hütten mit Wiegen und Betten, Mutterherzen und Abendlampen und jungen Leben, froh von einer Freude, die nicht weiß, was sie der Welt bedeutet.

AM MEERUFER

Am Meerufer endloser Welten treffen sich Kinder.

Der grenzenlose Himmel zu Häupten ist ohne Bewegung, und das ruhlose Wasser ist ungestüm.

Am Meerufer endloser Welten treffen sich Kinder mit Jubeln und Tanzen.

Sie bauen ihre Häuser aus Sand, und sie spielen mit leeren Muscheln. Aus welken Blättern flechten sie ihre Boote und lassen sie lächelnd über der ungeheuren Tiefe treiben. Kinder haben ihr Spiel am Meerufer der Welten.

Sie können nicht schwimmen, sie können nicht Netze werfen. Perlenfischer tauchen nach Perlen, Kaufleute segeln in ihren Schiffen, während Kinder Kiesel sammeln und sie wieder verstreun. Sie suchen nicht nach verborgenen Schätzen, sie können nicht Netze werfen.

Das Meer schäumt auf in Gelächter, und fahl glänzt das Lächeln des Gestades. Todbringende Wellen singen verständnislose Balladen den Kindern, wie eine Mutter beim Einwiegen. Das Meer spielt mit Kindern, und fahl glänzt das Lächeln des Gestades.

Am Meerufer endloser Welten treffen sich Kinder. Sturm streicht am pfadlosen Himmel, Schiffe kentern in dem spurlosen Wasser, der Tod ist unterwegs, und Kinder spielen. Am Meerufer endloser Welten ist das große Begegnen der Kinder.

DER URSPRUNG

Der Schlaf, der über des Kindleins Augen huscht – weiß jemand, woher der kommt? Ja, es geht ein Gerücht, daß er in dem Märchendorfe wohnt. Unter Waldesschatten, von Glühwürmern trüb erhellt, hängen zwei Zauberknospen. Von dort kommt er, des Kindleins Augen zu küssen.

Das Lächeln, das auf des Kindleins Lippen flackert, wenn es schläft – weiß jemand, wo das geboren ward? Ja, es geht ein Gerücht, daß ein junger, blasser Strahl des zunehmenden Mondes den Saum einer schwindenden Herbstwolke berührte, und da wurde das Lächeln zuerst geboren in dem Traum eines taureinen Morgens – das Lächeln, das auf des Kindleins Lippen spielt, wenn es schläft.

Die süße, sanfte Frische, die auf des Kindleins Gliedern blüht – weiß jemand, wo die so lange verborgen war? Ja, sie lag, als Mutter noch ein junges Mädchen war, ihr Herz durchdringend, im zarten und schweigenden Geheimnis der Liebe – die süße, sanfte Frische, die auf des Kindleins Gliedern aufgeblüht ist.

DES KINDCHENS WESEN

Wenn Kindchen nur wollte, könnte es in diesem Augenblick zum Himmel auffliegen.

Es ist nicht umsonst, daß es uns verläßt.

Es liebt es, seinen Kopf auszuruhn an Mutters Brust und kann es niemals ertragen, wenn seine Augen sie nicht sehn.

Kindchen kennt allerhand weise Worte, wenn auch Wenige auf Erden ihren Sinn verstehen können.

Es ist nicht umsonst, daß es niemals zu sprechen verlangt.

Das einzige, das es verlangt, ist Mutters Worte von Mutters Lippen zu lernen. Darum schaut es so unschuldig drein.

Kindchen hatte einen Haufen Gold und Perlen und doch kam es wie ein Bettler in diese Welt.

Es ist nicht umsonst, daß es in solcher Verkleidung kam.

Dieser liebe, kleine, nackte Bettler gibt vor, ganz hilflos zu sein, damit er um Mutters reiche Liebe betteln kann.

Kindchen war so frei von jeder Fessel im Lande des kleinen, zunehmenden Monds.

Es war nicht umsonst, daß es seine Freiheit aufgab.

Es weiß, daß Raum ist für endlose Freude in dem kleinen Winkel von Mutters Herzen und daß es viel süßer ist als Freiheit, in ihren lieben Armen gefangen und geherzt zu werden.

Kindchen wußte nichts vom Schreien. Es wohnte im Lande der vollkommenen Seligkeit.

Es ist nicht umsonst, daß es das Weinen erwählt hat.

Wenn es auch mit dem Lächeln seines lieben Gesichtes Mutters sehnendes Herz zu sich zieht, so schlingen doch seine kleinen Schreie über winzige Kümmernisse das doppelte Band von Mitleid und Liebe.

DAS UNBEACHTETE SCHAUSPIEL

Ach, wer war's, der diesen kleinen Kittel bunt färbte, mein Kind, und Deine süßen Glieder mit diesem kleinen, roten Rock bedeckte?

Du bist herausgekommen im Morgen, auf dem Hof zu spielen, torkelnd und taumelnd, wenn Du läufst.

Aber wer war's, der diesen kleinen Kittel bunt färbte, mein Kind?

Was gibt's zu lachen, Du kleine Lebensknospe?

Mutter steht auf der Schwelle und lächelt Dich an.

Sie klatscht in ihre Hände, und ihre Spangen klirren, und Du tanzest mit Deinem Bambusstock in der Hand wie ein kleinwinziger Hirte.

Aber was gibt's zu lachen, Du kleine Lebensknospe?

O Bettler, was bettelst Du, Mutters Nacken mit Deinen beiden Händen umschlingend?

O gieriges Herz, soll ich die Welt pflücken wie eine Frucht vom Himmel, um sie in Deine kleine, rosige Hand zu legen?

O Bettler, um was bettelst Du denn?

Der Wind trägt lustig das Klingen Deiner Fußschellen davon.

Die Sonne lächelt und bewundert Dein Kleid.

Der Himmel wacht über Dir, wenn Du schläfst in Mutters Armen, und der Morgen kommt auf Zehenspitzen an Dein Bett und küßt Deine Augen.

Der Wind trägt lustig das Klingen Deiner Fußschellen davon.

Die Feenkönigin der Träume kommt zu Dir durch den Dämmerhimmel geflogen.

Die Weltenmutter sitzt bei Dir in Deiner Mutter Herzen.

Er, der seine Musik den Sternen spielt, steht an Deinem Fenster mit seiner Flöte.

Und die Feenkönigin der Träume kommt zu Dir durch den Dämmerhimmel geflogen.

SCHLAFDIEBIN

Wer den Schlaf von Kindchens Augen stahl, muß ich wissen.

Den Krug auf der Hüfte, ging Mutter Wasser holen aus dem nahen Dorf.

Es war Mittag. Der Kinder Spielzeit war vorüber. Im Teich die Enten schwiegen.

Der Hirtenknab' lag eingeschlafen unter dem Schatten des Feigenbaums.

Der Kranich stand ernst und still in dem Sumpf am Mangohain.

Mittlerweile kam die Schlafdiebin, haschte den Schlaf von Kindchens Augen und flog davon.

Als Mutter heimkehrte, fand sie Kindchen auf allen Vieren durchs Zimmer kriechen.