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Seitenzahl: 83
RABINDRANATH TAGORE
MÜNCHEN KURT WOLFF VERLAG
Einzig autorisierte deutsche Ausgabe. Nach der von Rabindranath Tagore selbst veranstalteten englischen Ausgabe ins Deutsche übertragen von Hans Effenberger
69.-78. Tausend Copyright 1921 by Kurt Wolff Verlag A.-G. in München
Der größte Teil der Liebes- und Lebenslyrik in diesem Bande ist vor der religiösen Gedichtsammlung „Gitanjali“ entstanden. Die englische Übersetzung ist nicht immer wörtlich — die Originale sind manchmal verkürzt und manchmal paraphrasiert wiedergegeben. *
Diener
Hab Erbarmen mit Deinem Diener, Königin!
Königin
Vorüber ist das Fest, und alle meine Diener sind gegangen. Warum kommst Du zu dieser späten Stunde?
Diener
Hast Du die andern fortgeschickt, ist meine Zeit.
Ich komme fragen, was Deinem letzten Diener noch zu tun bleibt.
Königin
Was kannst Du erwarten, da es zu spät ist?
Diener
Mach mich zum Gärtner Deines Blumengartens.
Königin
Welche Torheit!
Diener
Ich will meine alte Arbeit aufgeben.
Ich werfe Schwert und Lanze in den Staub. Schicke mich nicht mehr an ferne Höfe; heiß mich nicht zu neuen Siegen ausziehn. Mach mich zum Gärtner Deines Blumengartens.
Königin
Was würden Deine Pflichten sein?
Diener
Dir dienen in Deinen müßigen Tagen.
Ich will frisch halten den Rasenpfad, auf dem Du in den Morgen wandelst, wo Blumen, todessüchtig, bei jedem Schritte Deine Füße jubelnd grüßen.
Ich will Dich schwingen in einer Schaukel unter den Zweigen des Saptaparna, wo durch das Laub der frühe Abendmond sich mühen wird, Dir Deines Kleides Saum zu küssen.
Ich will anfüllen mit duftendem Öl die Lampe, die neben Deinem Bette brennt, und den Schemel Deiner Füße zieren mit Sandel- und Safranpaste in seltsamer Zeichnung.
Königin
Was soll Dein Lohn sein?
Diener
Deine kleinen Fäuste halten dürfen wie zarte Lotosknospen, und Blumenketten über Deine Gelenke streifen; und Deiner Füße Sohlen färben dürfen mit dem roten Saft der Ashokablüten und fortküssen das Fleckchen Staub, das dort vielleicht noch zögert.
Königin
Deine Bitten, mein Diener, sind gewährt, Du wirst der Gärtner meines Blumengartens sein.
„Dichter, der Abend zieht herauf; Dein Haar wird grau.
„Vernimmst Du in Deinem einsamen Sinnen Botschaft vom Jenseits?“
„Es ist Abend“, sagte der Dichter, „und ich lausche, weil einer rufen kann vom Dorfe, mag es auch spät sein.
„Ich wache: ob junge, irrende Herzen sich finden, und zwei Paare sehnsüchtiger Augen um Musik betteln, die ihr Schweigen bräche und für sie redete.
„Wer soll ihre Leidenschaft zu Liedern weben, wenn ich am Gestade des Lebens sitze und den Tod und das Drüben betrachte?
„Der frühe Abendstern verschwindet.
„Das Glosen eines Totenfeuers stirbt mählich am schweigenden Fluß.
„Schakale heulen im Chor vom Hof des verödeten Hauses, im Licht des erschöpften Monds.
„Wenn da ein Wanderer, sein Heim verlassend, herkäme, die Nacht zu wachen und gebeugten Hauptes dem Murmeln der Dunkelheit zu lauschen, wer sollte ihm die Geheimnisse des Lebens in sein Ohr flüstern, wenn ich, meine Tore schließend, mich frei machen wollte von irdischen Banden?
„Es will nicht viel bedeuten, daß mein Haar grau wird.
„Ich bin immer so jung oder so alt wie der Jüngste oder der Älteste in diesem Dorfe.
„Manche haben Lächeln, süß und einfach, und manche ein schlaues Blinzeln in ihren Augen.
„Manche haben Tränen, die aufsteigen im Taglicht, und andere Tränen, die im Dunkel verborgen sind.
„Sie alle bedürfen meiner, und ich habe keine Zeit über das Hernach zu brüten.
„Ich bin mit allen gleichaltrig, was macht es, wenn mein Haar grau wird?“
Am Morgen warf ich mein Netz aus ins Meer.
Ich hob aus dunklen Tiefen Dinge von seltsamem Aussehn und seltsamer Schönheit — manche leuchteten wie ein Lächeln, manche glänzten wie Tränen, und manche waren von Röte übergössen wie die Wangen einer Braut. Als ich mit meines Tages Bürde heimkam, saß meine Geliebte im Garten und zerpflückte müßig einer Blume Blätter.
Ich zauderte eine Weile und dann legte ich ihr alles zu Füßen, was ich gehoben hatte und stand schweigsam.
Ihr Blick fiel darauf, und sie sagte: „Was für seltsame Dinge sind das? Ich weiß nicht, wozu sie nützen!“
Ich neigte mein Haupt in Scham und dachte: „Dies alles habe ich nicht im Kampfe erworben, ich habe es nicht auf dem Markt gekauft; es sind keine rechten Geschenke für sie.“
Dann warf ich die ganze lange Nacht eins ums andere auf die Straße.
Am Morgen kamen Wanderer; die lasen’s auf und trugen es in fremde Länder.
Ach warum bauten sie mein Haus an die Straße nach dem Marktflecken?
Sie legen mit ihren beladenen Booten an bei meinen Bäumen.
Sie kommen und gehen und wandern nach ihrem Gefallen.
Ich sitze und schaue ihnen zu; mein Leben verrinnt.
Sie fortweisen kann ich nicht. Und so gehen meine Tage dahin.
Nacht und Tag hallen ihre Schritte vor meiner Tür.
Umsonst rufe ich: „Ich kenne Euch nicht.“ In einigen von ihnen spüren meine Finger Bekannte, in andern meine Nüstern, das Blut in meinen Adern scheint sie zu kennen, und manche sind meinen Träumen vertraut.
Sie fortweisen kann ich nicht. Ich rufe sie und sage: „Komm in mein Haus, wer von Euch mag. Ja, kommt!“
Am Morgen erklingt die Glocke vom Tempel. Sie kommen mit ihren Körben in den Händen. Ihre Füße sind wie Rosen gerötet. Das frühe Licht der Dämmerung liegt auf ihren Gesichtern.
Sie fortweisen kann ich nicht. Ich rufe sie und ich sage: „Kommt in meinen Garten Blumen pflücken. Kommt her!“
Am Mittag tönt der Gong am Tore des Palastes.
Ich weiß nicht, warum sie ihre Arbeit verlassen und an meiner Hecke herumstehn.
Die Blumen in ihrem Haar sind fahl und welk. Die Töne ihrer Flöten klingen matt.
Sie fortweisen kann ich nicht. Ich rufe sie und sage: „Der Schatten ist kühl unter meinen Bäumen. Kommt, Freunde!“
Nachts zirpen die Grillen in den Wäldern.
Wer ist es, der da langsam an meine Türe kommt und leise pocht?
Ich sehe das Gesicht kaum, kein Wort wird laut, die Stille des Himmels ist über allem.
Meinen schweigenden Gast fortweisen kann ich nicht. Ich schaue durch das Dunkel in sein Antlitz und träume, während die Stunden verrinnen.
Ich bin friedlos. Ich bin durstig nach fernen Dingen.
Meine Seele schweift in Sehnsucht, den Saum der dunklen Weite zu berühren.
O großes Jenseits, o ungestümes Rufen deiner Flöte!
Ich vergesse, ich vergesse immer, daß ich keine Schwingen zum Fliegen habe, daß ich an dieses Stück Erde gefesselt bin für alle Zeit.
Ich bin schlaflos und voll Sehnsucht, ich bin ein Fremder in fremdem Land.
Dein Odem kommt zu mir und raunt mir unmögliche Hoffnungen zu.
Deine Sprache klingt meinem Herzen vertraut wie seine eigene.
O Ziel in Fernen, o ungestümes Rufen deiner Flöte!
Ich vergesse, ich vergesse immer, daß ich den Weg nicht weiß, daß ich das geflügelte Roß nicht habe.
Ich bin ruhelos, ich bin ein Wanderer in meinem Herzen.
Im sonnigen Nebel der zögernden Stunden, welch gewaltiges Gesicht von Dir wird Gestalt in der Bläue des Himmels!
O fernstes Ziel, o ungestümes Rufen deiner Flöte!
Ich vergesse, ich vergesse immer, daß die Türen überall verschlossen sind in dem Hause, wo ich einsam wohne.
Der zahme Vogel war in einem Käfig, der freie Vogel war im Walde.
Als ihre Zeit gekommen war, trafen sie sich; so wollte es das Schicksal.
Der freie Vogel ruft: „O Liebster, laß uns zum Walde fliegen.“
Der Vogel im Käfig zwitschert: „Komm her, laß uns beisammen im Käfig leben.“
Sagt der freie Vogel: „Wo ist denn Platz hinter Stäben, seine Flügel zu spreiten?“
„Ach,“ ruft der Vogel im Käfig, „wo sollte ich mich in den Lüften ausruhn ohne Stange?“
Der freie Vogel ruft: „Mein Liebling, singe die Lieder der Wälder.“
Der Vogel im Käfig sagt: „Setz Dich zu mir, ich will Dich unterweisen in der Sprache der Gelehrten.“
Der Waldvogel ruft: „Nein, ach nein! Lieder können niemals gelehrt werden.“
Der Vogel im Käfig sagt: „Weh mir, ich weiß sie nicht, die Lieder der Wälder.“
Ihre Liebe ist heiß, voll Verlangen; doch können sie nie Schwinge an Schwinge fliegen.
Durch die Stäbe des Käfigs schauen sie und sehnen sich vergebens, einander zu kennen.
Sie flattern sehnsüchtig mit ihren Flügeln und singen: „Komm näher, mein Lieb!“
Der freie Vogel ruft: „Es geht nicht, ich fürchte die verschlossenen Türen des Käfigs.“
Der Vogel im Käfig zwitschert: „Weh, meine Flügel sind kraftlos und tot.“
O Mutter, der junge Prinz muß an unsrer Tür vorüberkommen — wie kann ich heute Morgen an meine Arbeit denken?
Zeig mir, wie soll ich mein Haar flechten; sag mir, was soll ich für Kleider anlegen?
Warum schaust Du mich so verwundert an, Mutter?
Ich weiß wohl, er wird nicht ein einziges Mal zu meinem Fenster aufblicken; ich weiß, im Nu wird er mir aus den Augen sein; nur das verhallende Flötenspiel wird seufzend zu mir dringen von weitem.
Aber der junge Prinz wird an unsrer Tür vorüberkommen, und ich will mein Bestes anziehn für diesen Augenblick.
O Mutter, der junge Prinz ist an unsrer Tür vorübergekommen, und die Morgensonne blitzte auf an seinem Wagen.
Ich strich den Schleier aus meinem Gesicht, riß die Rubinenkette von meinem Halse und warf sie ihm in den Weg.
Warum schaust Du mich so verwundert an, Mutter?
Ich weiß wohl, daß er meine Kette nicht aufhob; ich weiß, sie ward unter den Rädern zermalmt und ließ eine rote Spur im Staube zurück, und niemand weiß, was mein Geschenk war, noch wem es galt.
Aber der junge Prinz ist an unsrer Tür vorübergekommen, und ich habe den Schmuck von meiner Brust auf seinen Pfad geworfen.
Als die Lampe an meinem Bett ausging, wachte ich auf mit den frühen Vögeln.