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Als Sieghelm Töteberg im Kriminalkommissariat auftaucht und behauptet, er werde jemanden töten, hält Kriminalkommissar Björn Dallmann ihn für einen Wichtigtuer. Solche Typen kennt Dallmann zur Genüge, und er hat keine Lust, sich von so einem die Nachtschicht verderben zu lassen. Zumal er viel lieber mit seiner attraktiven Kollegin Beatrice flirten möchte. Wie erwartet verläuft das Verhör ausgesprochen zäh. Dallmann soll Töteberg davon abhalten, jemanden zu töten. Aber wen und wann, das sagt er nicht. Angeblich habe er denselben Mord schon sechsmal begangen. In unterschiedlichen Jahrzehnten, an unterschiedlichen Orten, aber immer am selben Datum. Ein Spinner, eindeutig. Aber dann findet Dallmann auf dem Nachhauseweg eine Tote ...
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Seitenzahl: 66
Andreas Winkelmann
Der Zwilling
Kurzthriller
Ihr Verlagsname
Als Sieghelm Töteberg im Kriminalkommissariat auftaucht und behauptet, er werde jemanden töten, hält Kriminalkommissar Björn Dallmann ihn für einen Wichtigtuer. Solche Typen kennt Dallmann zur Genüge, und er hat keine Lust, sich von so einem die Nachtschicht verderben zu lassen. Zumal er viel lieber mit seiner attraktiven Kollegin Beatrice flirten möchte. Wie erwartet verläuft das Verhör ausgesprochen zäh. Dallmann soll Töteberg davon abhalten, jemanden zu töten. Aber wen und wann, das sagt er nicht. Angeblich habe er denselben Mord schon sechsmal begangen. In unterschiedlichen Jahrzehnten, an unterschiedlichen Orten, aber immer am selben Datum. Ein Spinner, eindeutig. Aber dann findet Dallmann auf dem Nachhauseweg eine Tote ...
Andreas Winkelmann, geboren im Dezember 1968 in Niedersachsen, ist verheiratet und hat eine Tochter. Er lebt mit seiner Familie in einem einsamen Haus am Waldesrand nahe Bremen.
Bei Wunderlich erschienen bisher seine erfolgreichen Thriller «Wassermanns Zorn» und «Deathbook». Im Februar 2015 erscheint sein neuester Thriller «Die Zucht».
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«Er sagt, er wird jemanden töten.»
Kriminalkommissar Björn Dallmann warf einen Blick zum Verhörraum. Durch die Schlitze des Plastikrollos erkannte er vage die Umrisse eines Mannes, der tief gebeugt an einem Tisch saß.
«Sagt er auch, wen, wann und warum?»
In seiner Stimme lag Spott, aber wer wollte ihm den übel nehmen? Da tauchte während der Nachtschicht um ein Uhr morgens jemand auf und behauptete, er werde jemanden umbringen. Wahrscheinlich wieder so ein einsamer Kerl, dem niemand zuhörte und der alles auf sich nehmen würde, um ein bisschen Anerkennung zu finden – oder wenigstens Gehör.
Björn Dallmann sah seine Assistentin an. Beatrice Lierhaus war erst seit drei Monaten im Präsidium und hatte in dieser Zeit bereits acht Nachtschichten übernommen. Sie lächelte geheimnisvoll, aber das tat sie immer. Dallmann wusste nie, wem das Lächeln galt. Er wusste bei Beatrice sowieso nie, woran er war. Eine unergründlichere Frau gab es in diesem Universum nicht – eine interessantere aber auch nicht.
«Mir wollte er es nicht verraten», sagte sie und sah aus ihren grünen Augen zu ihm hinauf. «Aber dem Herrn Kommissar will er sich anvertrauen und nur dem.»
Der Spott in ihrer Stimme übertraf seinen bei weitem.
«Wie? Er hat explizit nach mir gefragt?»
«Es müsse unbedingt der Herr Dallmann sein, niemand sonst. Wer weiß, vielleicht will er ja dich töten.»
Beatrice nahm ihn auf die Schippe, das tat sie gern, und ihr Humor war mitunter tiefschwarz und bissig. Aber der Gedanke dahinter war nicht von der Hand zu weisen. Wenn sich jemand freiwillig ins Präsidium begab, um einen bevorstehenden Mord anzuzeigen, und nach einer bestimmten Person verlangte, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass er eben dieser Person nach dem Leben trachtete.
«Seinen Ausweis habe ich kontrolliert», sagte Beatrice, als sie die Besorgnis in seinem Blick sah. «Ein bekannter Serienmörder ist er nicht. Außerdem ist der Kerl alt. Wenn er nach bester Hannibal-Lecter-Manier seine dritten Zähne in dein Fleisch schlagen will, wirst du schon mit ihm fertigwerden. Bist doch ein großer Junge!»
Björn nahm den Ausweis und betrachtete ihn. Heinrich Töteberg, geboren 1953 in Hamburg. Demnach war er 61 Jahre alt. Vielleicht eine beginnende Altersverwirrung?
Björn seufzte und nahm die beiden Pappbecher mit Kaffee, die Beatrice besorgt hatte, als er sich das Gesicht gewaschen hatte. In den ruhigen Nachtschichten wechselten sie sich auf dem Feldbett in der kleinen Kammer hinter der Teeküche mit dem Schlafen ab. Björn liebte es, sich in die alte Wolldecke zu kuscheln, wenn Beatrice’ Duft und Wärme noch darin hingen.
«Weine nicht an meinem Grab», sagte er im Weggehen. «Oder doch, heul ruhig und sag allen, was für ein Teufelskerl ich war.»
Sie wedelte mit der Hand, damit er verschwand und sie sich endlich wieder ihrem Online-Rollenspiel widmen konnte. «Mach ich jeden Tag, mein Teufelskerl.»
Da waren sie wieder, diese Vertrautheit, dieser leicht anzügliche Ton, die erotischen Schwingungen. Bildete er sich das wirklich nur ein? Ein Gespräch unter vier Augen hätte Klarheit gebracht, aber Björn traute sich nicht. Wenn er einen Korb bekäme, müsste er sich danach versetzen lassen oder dafür sorgen, dass Beatrice gefeuert würde. Er wollte beides nicht. Außerdem – diese Neckereien und Andeutungen waren irgendwie auch schön, fast wie ein kleines Abenteuer, jeden Tag aufs Neue. Beatrice machte seinen öden Alltag spannend.
Na gut, vielleicht schaffte das der alte Kerl im Verhörraum ja auch. Wenigstens für diese eine Nacht.
Björn stieß mit der Fußspitze die angelehnte Tür auf. Das Rollo klapperte gegen das Glas. Er mochte das Geräusch, es erinnerte ihn an amerikanische Kriminalfilme aus den Siebzigern.
«Herr Töteberg», sagte er laut und deutlich. Der alte Mann am Tisch zuckte zusammen und richtete sich auf. Er war dünn und groß und hatte volles graues Haar.
«Ich bin Oberkommissar Björn Dallmann, Sie wollten mich sprechen?»
Er schob Töteberg seinen Ausweis zu und stellte die beiden Pappbecher auf dem Tisch ab. «Also, ich könnte einen Kaffee gebrauchen. Wenn Sie auch einen wollen, greifen Sie zu.»
Töteberg steckte den Ausweis ein und schüttelte den Kopf. «Danke, mein Herz verträgt nachts keinen Kaffee.»
«Macht nichts, dann kommt er in die Blumen. Sie ahnen nicht, wie gut die mit unserem Kaffee wachsen. Ist ein Dienstgeheimnis, also erzählen Sie es bitte nicht weiter.»
Björn ließ sich in den Stuhl sinken und sah Töteberg direkt an.
Der lächelte verunsichert. Er wirkte verwirrt. Seine dunklen Augen schimmerten feucht, wie es häufig vorkam bei alten Menschen, seine Mundwinkel zogen sich tief hinunter und verliehen dem Gesicht einen traurigen Ausdruck. Aus Nase und Ohren wucherten einzelne lange Haare.
«Was kann ich für Sie tun?»
Töteberg sah auf seine Hände herab. Er hatte große Hände mit auffallend langen Fingern. Björn musste zweimal hinsehen, um es glauben zu können, aber die Zeigefinger waren länger als die Mittelfinger. So etwas hatte er noch nie gesehen.
«Ich … ich habe der hübschen jungen Dame dort vorn …»
«Das ist unsere Frau Lierhaus.»
Der Alte nickte. «Ich habe Frau Lierhaus bereits gesagt …»
«Ich weiß. Aber würden Sie es mir gegenüber bitte wiederholen. Nur der Form halber.»
«Wenn Sie mich ausreden ließen.»
Tötebergs Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Plötzlich wirkte der Alte hellwach. Eine Spur Aggressivität lag in seinem Blick.
«Natürlich, entschuldigen Sie bitte. Erzählen Sie.»
Björn nahm seinen Kaffeebecher und trank. Der Kaffee war fast kalt, egal, er mochte ihn auch so.
«Ich werde jemanden töten», sagte Töteberg.
Weil Björn wusste, wie wichtig Pausen in einem Verhör waren, schwieg er und versuchte, vollkommen neutral zu wirken. Nimm ihn ernst, sagte er zu sich selbst. Und vor allem, unterschätz ihn nicht. Der alte Mann ist abgründiger, als es den Anschein hat.
Die rhetorische Pause dauerte an, es schien, als warte der Alte auf die drei Fragen, die Björn schon Beatrice gestellt hatte: wen? Wann? Wo? Er hielt die Pause, und die Spannung in dem kleinen, nur spärlich erleuchteten Raum stieg. Von außen prasselte Regen gegen die Fensterscheibe.
Schließlich hob Töteberg eine Hand vor den Mund und räusperte sich. Björn konnte nicht anders, als seine merkwürdige Hand anzustarren.
«Sie wollen nicht wissen, wen ich töten werde?»
«Sie sind hier, um es mir zu sagen, nicht wahr?»
«Nein, ich bin hier, damit Sie mich davon abhalten.»
«Kann ich das?»
«Es ist Ihre Pflicht. Sie sind Polizist.»
«Was erwarten Sie? Dass ich Sie aufgrund einer vagen Aussage einsperre?»
«Ich weiß, das dürfen Sie nicht.»
«Also, was wollen Sie, Herr Töteberg? Draußen wartet ein riesiger Aktenberg, der bearbeitet werden will. Zeit zu verschenken habe ich nicht.»
Ein Lächeln huschte über das faltige Gesicht des Alten. Eines von der Sorte, das zum Ausdruck bringen sollte, wie sehr man sich noch wundern würde.
«Ich kann Ihnen den Namen des Opfers nicht sagen. Aber ich kann Ihnen Tag und Zeit nennen. Tag und Zeit sind immer gleich.»
«Was bedeutet das: immer gleich?»