Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz & Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht - Jean Paul - E-Book
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Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz & Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht E-Book

Jean Paul

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Beschreibung

Das Buch 'Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz & Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht' von Jean Paul entführt den Leser in eine Welt voller Wunder und Absurditäten. Der Autor beschreibt die Reise des Feldpredigers Schmelzle auf humorvolle und satirische Weise, wobei er tiefgründige Themen wie menschliche Schwächen und die Absurditäten des Lebens anspricht. Jean Pauls literarischer Stil zeichnet sich durch seine verspielte Sprache und seinen einzigartigen Sinn für Ironie aus, was das Buch zu einem wahren literarischen Meisterwerk macht. In der literarischen Landschaft des 19. Jahrhunderts stellt dieses Werk eine einzigartige Kombination aus Humor und Tiefe dar, die Leser aller Generationen begeistert.

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Jean Paul

Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz & Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht

Books

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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1636-9

Inhaltsverzeichnis

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht
Des Feldpredigers Schmelzle
Zirkelbrief des vermutlichen katechetischen Professors Attila
chmelzle an seine Freunde, eine Ferien-Reise nach Flätz
enthaltend, samt einer Einleitung, sein davonlaufen und
seinen Mut als voriger Feldprediger betreffend
Reise nach Flätz
      Beichte des Teufels bei einem großen Staatsbedienten
Endnoten

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht

Inhaltsverzeichnis

Wir haben alle schon verdrüßliche Geschichten gelesen, die uns mit der lieblichsten Irrhöhle voll Verwicklungen bezauberten und ängstigten und uns unruhig nach einem hellen Ausgang bogenlang herumgreifen ließen, bis endlich die unerwartete Zeile »als ich erwachte« uns die ganze Höhle unter den Füßen wegzog. Bei dem zweiten Lesen fanden wir dann alles durchsichtig und hell und waren nicht mehr zu peinigen. Eine solche trockne Historie ist gottlob meine von der wunderbaren Nacht-Gesellschaft nicht; ich war leider bei der Erscheinung derselben so wach als jetzt und saß am Fenster.

Vorher muß sich der Leser einige Personalien von mir gefallen lassen, damit mein erbärmliches Benehmen gegen die Nacht-Sozietät, das meinen Mut mehr verbirgt als zeigt, zu erklären ist. – Nachmittags am Valettage des ein Jahr lang sterbenden Säkulums ging ich von 3 bis 8 Uhr nachdenkend in meinem Schreibzimmer auf und ab, weil ich vor Migräne nichts schreiben konnte; und hatte besonders über den unabsehlich-langen, um die Erde kriechenden Strom der künftigen Zeit meine schwermütigen Gedanken, wovon ich am Neujahrstage die besten ausklauben und niederschreiben wollte für dieses Werkchen. In die hinter fünf, sechs Jahrtausenden liegende Vergangenheit zurückzuschauen, gibt uns mutige Jugend-Gefühle; sie kommt uns als unsere antizipierte Kindheit vor; hingegen vorauszublicken weit über unsern letzten Tag hinweg und unzählige Jahrtausende herziehen zu sehen, die unsern bemooseten Spiel-und Begräbnisplatz immer höher überschneien und auf uns neue Städte und Gärten und auf diese wieder neuere und so ungemessen fort aufschlichten, dieses ewige, immer tiefere Eingraben und Überbauen verfinstert und belastet uns das freie Herz. Dadurch verdorret uns die Gegenwart zur Vergangenheit, und sie wird von totem Schimmel traurig überzogen. Der Geist des Menschen hasset nach seiner Natur die Veränderung, erstlich weil er sie außer sich nur bei großen Schritten und nie in ihrem ewigen Schleichen wahrnimmt, und zweitens weil er sie in sich weniger merkt, wo er der unveränderliche Schöpfer seiner eignen ist; dem Regenbogen und Lauffeuer in und außer sich sieht er nicht an, daß immer nur neue Tropfen und neue Funken sie bilden.

Und gerade am Nachmittage, wo ich mein Inneres mit Trauertuch ausschlug und den Flor anlegte für das einschlummernde Jahrhundert, war ich ganz allein in meinem Schlößlein zu Mittelspitz – Hermine war in der Stadt bei einer kranken Freundin und wollte erst nachts heimkommen, »obwohl noch in diesem Jahrhundert«, nach dem gewöhnlichen säkularischen Scherz, den der Mensch nicht lassen kann – ich saß oben einsam in meinem Museum, unsere Magd war unten im Bedientenzimmer – wegen der grimmigen Kälte lagen alle Lehnsmänner meiner mittelspitzischen Krone in ihre Schneckenhäuschen eingespündet, und das dunkle Dörfchen war still. –

Mir war nicht wohl, sondern etwa so in meiner Haut, als hätte sie mir Nero harzig anpichen und annähen lassen, um mich in seinem Garten zu lanternisieren. Ein ätzenderes Sublimat für flüssige Gelehrten-Nerven konnte wohl schwerlich erdacht werden, als rechte Dezemberkälte ist; jeder Schnee ist ein Märzschnee, der sie abfrisset, der Frost ist ein Baumheber für unsere Wurzeln, kurz, wenn Todes-und Fieberkälte ein Autodafé ist, so ist Winterkälte ein Autillodafé. Leben kann man ohnehin nicht, nur leiden. So schwächten nun Frost und Migräne gemeinschaftlich alle Entschlossenheit in mir, die ohnehin zur Winterszeit in keinem Wesen zunimmt, das nicht gerade ein Wolf ist.

Beklommenheit umspannte mein Herz, ich sah den Menschen trotzig mit dem Schwerte in der Hand unter einem über dem Haupte fechten und sah das Haar nicht einmal, das es trug. Noch engbrüstiger setzte ich mich nach dem einsiedlerischen Essen in die Fenster-Ecke, bedeckte die Augen mit der Hand und ließ alles vor mir vorüberziehen, weswegen der Mensch das Leben eitel und nichtig nennt – schnell eilten die künftigen Jahrhunderte, wie Fixsterne vor dem Sternrohr, vorbei, endlich kamen lange Jahrtausende und trieben ein Volk nach dem andern aus den Städten in die Gräber; die Generationen verfolgten einander wie fliegende Strichregen und schossen in die Grüfte herunter und rissen den Himmel auf, worin der Todesengel sein Schwert durch die Welten hob und keine Sterbenden, sondern bloß das Sterben sah. –

Während dieser Phantasien war mir einige Male gewesen, als hört’ ich leise Worte; endlich vernahm ich nahe an mir diese: »Die drei Propheten der Zeit«; ich tat die Hand vom Auge – – die wunderbare Nacht-Gesellschaft war im Zimmer. Ein langer, totenblasser, in einen schwarzen Mantel gewickelter Jüngling mit einem kleinen Bart (wie der an Christusköpfen), über dessen Schwarz die Röte des lebendigen Mundes höher glühte, stand vor mir, mit einem Arme leicht auf einen Stuhl gelehnt, worauf ein erhaben-schöner, etwa zweijähriger Knabe saß und mich sehr ernst und klug anblickte. Neben dem Stuhle kniete eine weißverschleierte, mit zwei Lorbeerkränzen geschmückte Jungfrau, von mir weggekehrt gegen den hereinstrahlenden Mond, eine halb rot, halb weiße Lankaster-Rose in der Hand, eine goldne Kette um den Arm – die Lage vor dem Knaben schien ihr vom schwesterlichen Zurechtrücken seines Anzugs geblieben zu sein. Sie glich mit der niedergebognen Lilie ihrer Gestalt ganz Lianen, wie ich mir sie denke, nur war sie länger. Auf dem Kanapee saß eine rotgeschminkte Maske mit einer seitwärts gezognen Nase und mit einer Schlafmütze; neben ihr ein unangenehmes mageres Wesen mit einem Schwedenkopf und feuerroten Kollet, höhnisch anblinzelnd, das nackte Gebiß entblößend, weil die Lippen zu kurz waren zur Decke, und ein Sprachrohr in der Hand.

Himmel! wer sind sie, wie kamen sie, was wollen sie? – An Räuber dacht’ ich nicht im geringsten – so nahe auch der Gedanke lag, es könnten ja während unsers Dialogs Helfershelfer mich ausstehlen, mir die Juwelen einpacken und das Federvieh aus den Ställen treiben –; die edle feierliche Gestalt des bleichen Jünglings vertrat mir sogleich diesen kleinlichen Argwohn. Ob es nicht Wesen entweder der zweiten Welt oder meines Gehirnglobus sind? Wahrlich diese Frage hatt’ ich später zu tun. Sonderbar wars, daß sie mir alle ganz bekannt vorkamen, sogar die Stimme der Maske, indes ich mich doch keines Namens entsann.

Aus einem gelinden Nervenschlag – nicht aus elender Mutlosigkeit muß es abgeleitet werden, daß ich unvermögend war, mich zu regen, geschweige zu erheben, als der hohe Jüngling winkte und langsam sagte: »Tritt in das Reich der Unbekannten und frage nicht, wir verschwinden mit dem Jahrhundert – das eine Jahrhundert erntet der Mensch, das nächste erntet ihn – der Engel der Zeit1 fliegt mit sechs Flügeln, zwei decken ihren Ursprung, zwei decken ihren Ausgang, und auf zweien rauscht sie dahin – Heute heben wir die Flügel auf, die auf ihrem Antlitz liegen!« – »Schaudert nicht, mein Herr,« (sagte die Maske und ihrzete mich, wie Leute tun, die lange in Frankreich und Italien gewesen) – »wenn alles Erscheinung hienieden ist, so ist der Schauder darüber auch eine und nicht sehr erheblich – der Ernst ist ein wahrer Spaßvogel und der Spaß ein Sauertopf, ich stehe mit beiden auf freundschaftlichem Fuß – Bossu versichert, in die Nacht sei keine Tragödie zu verlegen; das wollen wir heute sehen, wenn der Polterabend des Jahrhunderts verstummt in einer Minute um 12 Uhr, nämlich in der sechzigsten.« –

»Mein Name ist Pfeifenberger« (redete der widrige Schwedenkopf mich durch das angesetzte Sprachrohr, aber leise, an) – »Wir sind die drei Propheten der Zeit und weissagen Ihm, mein Freund, so lange, bis das Jahrhundert dezembrisiert ist. Ich spreche zuerst.« –

Die Jungfrau schwieg, der Knabe sah unwillig gegen den Schwedenkopf, der schöne Jüngling hatte die Hand der Jungfrau genommen und beschauete auf dem Ringe ein herrliches großes Auge, dem gleich, unter welchem sonst die Maler den Allsehenden vorstellten.

Pfeifenberger fing an: »In der künftigen Zeit wird freie Reflexion und spielende Phantasie regieren, keine kindischen Gefühle; man wird keinen Namens-und Geburts-und Neujahrstag mehr feiern und kein Ende des Jahrhunderts, weil man nicht weiß, wenn es schließet, ob bei dem ersten Viertel-oder letzten Glockenschlage, oder ob bei dem Ausgehen oder bei dem Anlangen des Schalles; und weil in jeder Minute 100 Jahre zu Ende sind. Auch wird die Erde, eh sie verwittert, noch oft von anno 1 an datieren, wie die Franzosen – Die Juden und Priester werden aufhören, und die Völker, die Weiber, die Neger und die Liebe frei werden – Sprachgelehrte werden in alten Bibliotheken nach einer Edda und nach einer Bibel forschen, und ein künftiger Schiller wird das Neue Testament lesen, um sich in die Charaktere eines Christen und Theisten täuschend zu setzen und dann beide aufs Theater – Griechenland wird wie Pompeji den Schutt der Zeit abwerfen, und von keiner Lava übergossen, werden seine Städte in der Sonne glänzen – Große Geschichtsforscher werden, um nur etwas von den Begebenheiten und Menschen des barbarischen, kleinstädtischen, finstern Mittelalters (so nennen sie das aufgeklärte Jahrhundert) zu erraten, sogar einen daraus übrig gebliebnen homerischen Hans Sachs studieren, von dessen Werken ein künftiger Wolf erweisen wird, daß sie von mehreren Sängern zugleich gemacht worden, z.B. von einem gewissen Pfeifenberger – Was freilich Seine opuscula omnia anlangt, mein guter Freund,« (hier lächelte das Eisfeld; denn zu einem Eisberg war das Ding nicht kräftig genug) »so wird es dem besten Literator, der sich zum Studium der seltensten Inkunabeln sogar bis ins 20. Jahrhundert zurückgewühlet, nicht glücken wollen, mit irgendeiner Notiz von Ihm und Seinen Schreibereien auszuhelfen.« –

– Es wäre mir in dieser Gespensternacht nicht zu verdenken gewesen, wenn ich von diesem Überläufer aus dem jenensischen Amizistenorden in den Inimizistenorden einige Male geglaubt hätte, den lebendigen Teufel vor mir zu haben. Aber seine Hoffnung, daß die kultivierte Zukunft keinen Gott und Altar mehr haben werde, wie bei den Juden nur unpolierte Steine zum Altare taugten – sein vernünftiger Frost, worin keine Blumen mehr wachsen als die aus Eis – seine perennierende Aufgeschwollenheit, die ihn gegen jede Rüge verpanzert, wie nach dem Plinius sich der Dachs durch Aufblasung gegen Schläge verwahrt – und seine Bitterkeit, die jetzt die sanftesten Neuern (mich selber ausgenommen) mehr an als in sich haben, so daß sie wirklich so gut zu genießen sind als die Staren, denen man, bevor sie gebraten werden, bloß den bittern Balg abzieht – – alles dieses zeigte leicht, daß er mehr zu den sanften Neuern zu schlagen sei als zu den Teufeln selber.

Obgleich die Pfeifenbergerische Bosheit wieder Lebensfeuer unter meinen vom Gespensterhauche kalt geblasenen Nerven anschürte: so machte doch die Kälte, womit der Schwedenkopf menschliche Gesichter in Brot bossierte und die Physiognomien einem schwarzen Spitz unter dem Kanapee zu fressen gab, mir es schwer, ihm wie einem rechten Menschen zu begegnen. Ich fing denn so gefasset, als ich konnte, an: »Ich antwort’ Ihm, mein Pfeifenberger, auf Seine Weissagung nur mit Still-und anderem Schweigen, besonders puncto meiner. In kalte Zeiten, wo die Menschen nichts mehr im Herzen haben als ihr Blut, verlang’ ich nicht einmal hinein; leider sind jene von der ewig wachsenden Volksmenge des Erdballes zu fürchten, die wie eine große Stadt und Reise und aus gleichem Grund Kälte gegen Menschenwert mitteilt; der Mensch ist jetzt dem andern nur im Kriege so heilig wie sonst im Frieden, und im Frieden so gleichgültig wie sonst im Kriege. Übrigens bescheid’ ich mich gar gerne, daß Jahrhunderte, ja Jahrtausende kommen, die mich nicht lesen. Wie bisher, so muß künftig mit der Ausdehnung und Durchkreuzung der Wissenschaften, mit dem Veralten der Schönheiten und mit der Übung des geistigen Auges die Kürze des Stils, die Verwandlung alter Bilder in neue Farben und kurz der ästhetische Luxus höher steigen; mithin wird ein zeitiger Schreiber wie ich zwar anfangs noch eine Zeitlang als korrekt mitlaufen, aber endlich werd’ ich als gar zu nüchtern, als ein zu französischer ha-und magerer zweiter Gellert, der bloß glatt-und matten Leipzigern gefallen will, beiseite geschoben. Niemand ist wohl von diesem Unglück mehr fester überzeugt als ich selber. – Irgend einmal wird Sein und mein Deutsch, Freund, sich zu dem künftigen verhalten wie das in Enikels Chronik zum jetzigen; wir werden also geradesooft auf den Toiletten aufgeschlagen liegen als jetzt Otfrieds Evangelium, nämlich bloß um die einfältige Schreibart und die Reinheit der Sitten zu studieren an Ihm und mir.

Wahrlich bei einer gar zu langen Unsterblichkeit verflüchtigt sich der Autor, und nur der Bodensatz, das Werk, sitzt fest; ich wünschte nicht, ein Konfuze, Homer oder Trismegistus zu sein (ihre breiten Namen sind in ein unartikuliertes Luft-Pfeifen zerfahren), sondern lieber etwas Näheres und Kompakteres, etwa ein Friedrich II., oder ein J. J., oder ein Pfeifenberger nach Seinem Tod.« –

Hier wurd’ ich, zumal in einer so kranken Haut, ungemein erweicht von einem benachbarten Gedanken: »Ich werde also so gut verschwinden«, fuhr ich fort, »wie mein Jahrhundert – die Sanduhr der Zeit wird ihren Hügel so gut über mich gießen wie über den Hesperus am Himmel, wahrlich ich werde und muß einen letzten Leser haben ……. Letzter Leser – – eine wehmütige und sanfte Idee! Beim Himmel! ich häng’ ihr irgend einmal nach und rede den Menschen an und sage etwan:

O du, in dem ich mit meinen spielenden Kindern und mit meinem ganzen Herzen zuletzt wohne, sei der Seele günstig, an die auf der weiten Erde und in der weiten Zukunft kein Freund mehr denkt als du, und deren Träume und Welten und Bilder alle sterben, wenn du entschläfst.« –

Der Knabe nickte, als meint’ ich ihn. Der ernste Jüngling schien niemand zu hören.