Deutsches Sagenbuch - Ludwig Bechstein - E-Book

Deutsches Sagenbuch E-Book

Ludwig Bechstein

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Beschreibung

Das Deutsche Sagenbuch, das insgesamt 1000 Sagen enthält, ist eines der größten Werke, die Bechstein veröffentlicht hat. Es enthält alle klassischen deutschen Sagen und dient daher auch heute als das Sagen-Nachschlagewerk. Tauchen Sie ein in ein Universum von Mythen, Legenden und Sagen. -

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Seitenzahl: 1869

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Ludwig Bechstein

Deutsches Sagenbuch

 

Saga

Deutsches Sagenbuch

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1853, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726997217

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Vorwort

Et prodesse volunt et delectare poetae

Dem deutschen Volke übergebe ich dieses mit voller Liebe geschriebene Buch als ein treues Vermächtnis, dem deutschen Volke, und zumal seiner reiferen Jugend. Möge des Buches Inhalt nützen und erfreuen, anregen und beleben, für das Heimische Neigung wecken und wach erhalten helfen!

Die Sage ist eine fromme Erhalterin und Nährerin der Heimat- und Vaterlandsliebe, ein ureigenstes Gut des Volkes; sie treu zu pflegen ist den zu solcher Pflege Berufenen eine heilige Pflicht. Es kann zwar nicht fehlen, daß auch die Sage, wie alles Gute und Schöne, ihre Widersacher, Verspotter und Verächter hat, es hat sich aber alle Verhöhnung und Nichtanerkennung tiefgewurzelter Eigentümlichkeiten einer Nation stets als haltlos und bestandlos erwiesen.

Eine reichhaltige Sammlung deutscher Sagen wird hier dargeboten, wie noch keine gleiche vorhanden, eine vollständige nicht. Ein vollständiges deutsches Sagenbuch ist so wenig herzustellen als ein einiges deutsches Reich; aber wer nicht das Unmögliche will, kann bei gutem Wollen, bei Geschick und Ausdauer viel Nützliches schaffen und Ersprießliches zu Tage fördern. Ich mußte mich bei dem vorliegenden Buche, je mehr die Sagenfülle quoll und zuströmte, um so mehr beschränken. Im Hinblick auf die vorhandene Anzahl deutscher Sagen und die Zahl der hier aufgenommenen könnte ich sagen, daß ich nur einen Zweig des deutschen Sagenbaumes abgeerntet, wenn nicht jeder Vergleich hinkte.

Die erwähnte überreich zuquellende Sagenfülle nötigte denn auch, so ungern es geschah, auf den großen Sagenreichtum des österreichischen Kaiserstaates vorläufig zu verzichten. Da ich aber bereits in früheren Jahren schon zu einem österreichischen Sagenschatz, dessen Erscheinen indes ungünstige Verhältnisse bald einstellten, zahlreiches Material gesammelt habe, so bleibt vorbehalten, mit einer Österreich umfassenden Sammlung hervorzutreten, sobald der Erfolg der vorliegenden dazu ermutigt.

Es sei vergönnt, über das Sagensammeln hier ein Wort zu sagen; leider gibt sich an dieses gar manche unberufene Hand, die jener Hand von Ährenlesern gleicht, welche aus den Garben rauft, die zu Mandeln gehäuft noch auf dem Acker stehen, und da erntet, wo sie nicht gesäet hat. – Wir alle, die wir dieses Gebiet anbauen, können nicht der Schriftquellen, nicht der Bücher entraten, aber die Quellenangabe beschönigt und rechtfertigt noch keineswegs den offenbaren Nachdruck, der von vielen literarischen Langfingerern behufs sogenannter Auswahlen und Mustersammlungen ausgeübt wird, die sorglos und mühelos anderer Fleiß und Talent und ihrer Verleger Kosten ausbeuten. Der Sagensammler muß sich neben seinen Schriftquellen doch auch durch Gebirg und Wald und Flachland selbst in etwas bemüht, irgend einige Sagenblüten gefunden, einige schöne Steine zum großen deutschen Sagentempelbau selbst herbeigetragen haben, irgend etwas von ihm Neugefundenes vorzeigen, sonst ist er ein Tropf und nicht ebenbürtig, mitzuringen auf dieser olympischen Arena. –

Auf mein eignes Leben warf schon frühzeitig der Sage süßer wunderbarer Reiz seine Morgenstrahlen. Als Jüngling wanderte ich in einem sagenreichen Gau Thüringens umher und freute mich am Duft der schönen Wunderblume Poesie. Ilm und Gera, die Fluren von Arnstadt und Erfurt, der Drei Gleichen nachbarliche Burgen und sagendurchklungene Haine boten in Fülle ihren Stoff, doch lange nachher lernte ich der Sagen Geheimnis, ihren ganzen Zauber, erst recht erkennen, und lernte daran niemals aus. Ich sammelte anfangs mehr ins Gemüt als in Bücher, versuchte nur schüchtern, die Sage in poetisches Gewand zu kleiden, und stand später davon ab, als ich durchfühlen lernte, daß der Dichter ihr nur selten wohl tut, wenn er bemüht ist, sie zu schmücken, obschon er dies letztere zu tun vollberechtigt ist. In den Sagensammlungen der Länder Thüringen und Franken, welche zwar Beifall, aber bis jetzt noch nicht die längst vorbereiteten Fortsetzungen fanden, betrat ich den von den Brüdern Grimm vorgezeichneten Weg schlichter einfacher Darstellung und Wiedergabe, sowohl des Chronikenstoffes als jenes dem Volksmund selbst entnommenen. Ich bin den Sagen viel und lange nachgegangen und nachgezogen; im Thüringerwalde kenne ich so ziemlich jeden Weg und Steg; ich überwanderte Harz und Riesengebirge, Rhön und Spessart; ich stand auf dem Aachener, auf dem Kölner Dom und auf dem Straßburger Münster; des Neckars, des Lech, des Rhein- und Mainstromes wie der Donau Wellen hab' ich fließen sehen. Ich hörte den Bach der Reismühle rauschen, der von Karl des Großen Geburt erzählt, und umwandelte des Untersbergs und des Watzmann sagenreiche Hochgipfel. Vielleicht sieht mancher diesem Buche die Quelle eigner Wahrnehmung an, die am Ende noch mehr wert ist als die Quelle trockner Schriftüberlieferung. Letztere nun bei jeder Sage anzuführen, erschien mir für meinen Zweck dieses Mal nicht nötig; wer die Quellen für den wissenschaftlichen Zweck braucht und sucht, findet sie bereits in Grimms und vielen andern Sammlungen, und da, wo ich Selbstgefundenes mitgeteilt, jedesmal durch ein »mündlich« den Leser mit der Nase darauf zu stoßen, daß er meinem Findeglück diese Sage verdanke, dürfte wohl allzu eitel erscheinen. –

Bei dem Umfange, der dieser Sammlung zugedacht wurde, und der sich noch während des Drucks über das anfangs gesetzte Ziel erweiterte, galt es zunächst, sich klar zu werden über Anlage und Gliederung, und nach reiflichem Überlegen, ob chronologisch nach Mythe und Geschichte, ob nach Ländern oder Stromgebieten, nach Gebirgszügen usw. die Sammlung anzulegen sei – wurde sich für die Form einer idealen Sagen-Wanderung entschieden, die keinen Schlagbaum und keine politische Grenze kennt, keine Paßkarte braucht, nötigenfalls gleich Eppela von Gailing einen tüchtigen Sprung nicht scheut und von einem Völkergebiet in das andere schreitet, das jedem dieser Gebiete hauptsächlichst Eigene vor Augen bringt.

Enge Landesgrenzen beachtete ich, wie der Leser sieht, auf dieser Wanderung keinesweges. Die Sage ist patriotischer wie die Politik; sie gibt nichts her von Deutschland, sie läßt von ihrem heimischen Gebiet nicht rupfen und zupfen im Süden, Westen, Norden und Osten; sie behauptet und verteidigt, was einmal deutsch ist, und hält es eisern fest.

Die Wanderung beginnt am Ursprung des Rheins, folgt des letzteren Strömung durch das Schweizerland, streift in das Elsaß, berührt die Pfalz, die Wetterau, das Moselland, Lothringen und Luxemburg; steigt zum Niederrhein und Niederland hinab bis Friesland, grüßt Helgoland und das alte Dithmarschen, durchgeht Schleswig und Holstein, Mecklenburg und Pommern, West- und Ostpreußen mit ihren Ostsee- und Bernsteinküsten, und dann läßt sich der Wanderer auf den Flügeln der Kobolde von der russischen Grenze schnell hinweg in das Lüneburger Land tragen.

Auf Westfalens roter Erde durchschreitet und durchkreuzt er ein sagenreiches Gebiet, bis er abermals den Schritt ostwärts lenkt, um die Marken zu durchirren. Von da zieht es ihn wieder zurück nach dem westfälisch-hessischen Boden, nach des Harzwalds Bergen und Burgen, nach des Kyffhäusers Gipfel. Dann aber lenkt sich der Schritt in das Thüringerland, der Blick in Thüringens sagenreiche Frühzeit, auf seine gefeiten Hochgipfel, seine von Sagenwundern durchrauschten Wälder, seine Klostertrümmer und Geisterschlösser. Das nachbarliche Vogtland erschließt seine Welt voll mythischen Zaubers, und Gera, Ilm und Saale führen zu dem thüringischen Flachland, das an Sachsen angrenzt. Die sächsischen Ebenen gewähren ihre Ausbeute, welche, sobald erstere verlassen werden, das Erzgebirge wie das Riesengebirge in noch reicherer Mannigfaltigkeit erschließen.

Bis in des deutschen Böhmens Herz, die uralte Praga, erstreckt sich die Wanderung und wendet dann, um, vom Fichtelgebirge niedersteigend, fränkischem Boden zu nahen, dem Laufe der Werra durch heimisches Gebiet bis wiederum auf hessisches zu folgen, vom Hessenlande aus das Rhöngebirge zu besteigen und von diesem herab Mainstrom und Spessartwald ab und auf zu befahren. Von Bamberg nach Nürnberg läßt sich schnell gelangen, im Fluge ist Regensburg erreicht, zu dessen östlichem Stromgelände der Böhmerwald sich niedersenkt. Durch des Bayerlandes Gauen mitten hindurch geht es stracks nach Schwaben und durch Schwaben noch einmal westlich bis zur Pfalz und nach Baden, wo die letzte Umkehr genommen wird, um durch Südschwaben und Südbayern nach den Ufern des Lech und der Isar zu gelangen, von da zum Hochland emporzusteigen und vom südlichsten Endpunkt, wie beim Beginn auf Alpenhöhen, in die steinernen Meereswogen Österreichs hinüber zu grüßen: Auf Wiedersehen! –

Auf dieser Wanderung nahm ich gern gründliche und gediegene Sagensammler zu freundlichen Geleitsmännern, deren Namen ich nur zu nennen brauche, um der Aufzählung von Büchertiteln überhoben zu sein. Voran stehen mit vollem Recht die Brüder J. und W. Grimm; es folgen K. Simrock und A. Stöber für Rhein und Elsaß, J. W. Wolf für die Niederlande, K. Müllenhoff für Schleswig-Holstein und Lauenburg, J. W. A. v. Tettau und J. D. H. Temme für Ost- und Westpreußen und Litauen, J. D. H. Temme und A. Kuhn auch für die Marken. Wo ich selbst am besten Bescheid wußte, bedurft' ich keiner Führer. Für Baden sorgte treulichst B. Baader, für Schwaben G. Schwab, und nach ihm E. Meyer, für Bayern A. Schöppner, letzterer nur mit zu vielem Ballast von Balladen und Romanzen, die an ihrem Ort wohl erfreuen mögen, und auch in ausschließlich metrischen Sammlungen, wie die allgemeindeutschen A. Nothnagels, H. Günthers, A. Kaufmanns für Franken u. a. gut beisammen stehen, aber in Sagensammlungen wie die vorliegende nicht gehören. Daß neben den genannten noch viele andere Werke benutzt werden mußten, Provinzsagensammlungen, Chroniken, Topographien u. dgl., versteht sich von selbst. Auch dem vogtländischen altertumsforschenden Vereine zu Hohenleuben verdanke ich schätzbare Beiträge.

Keinen einzigen Gewährsmann habe ich geradezu abgeschrieben, weder die neuen, noch die alten, denn das erachte ich für eine gar geringe Kunst. Kinderleicht ist es, ein Buch zu füllen, wenn man wörtlich abdrucken läßt, was andere bereits drucken ließen. Nur wo ich Sagen in Dialekten in das Hochdeutsche zu übertragen hatte, übertrug ich meistens treu, um ihre Spitzen nicht abzustumpfen; außerdem habe ich jede Sage zu meinem Eigentum gemacht und sie nach meiner Eigentümlichkeit wieder neu erzählt; nur aus eignen, früher von mir selbst veröffentlichten Sagensammlungen nahm ich einzelne wörtlich wieder auf, und auch diese nicht ohne Feile.

Ob ich den rechten Ton traf, wird sich zeigen. Einfachheit im Ton der Erzählung ist beim Wiedergeben der Sagen unerläßliche Bedingnis; keine novellistische, romanhafte Verwässerung, keine blümelnde Schreibweise steht der Behandlung der Sagen an, wo diese Selbstzweck ist – wohl aber darf der Erzählungston wechseln je nach dem Stoff, ja selbst nach der Zeit, der dieser Stoff angehört; er darf streng, herb und derb, romantisch, lustig, kernhaft, nicht minder idyllisch, rührend und erschütternd sein. Der Sagenerzähler muß wissen, welche Tonart er anzuschlagen habe; eine nach vorgefaßter Meinung bestimmte von ihm zu fordern, dazu ist keine Berechtigung vorhanden. Über einen Leisten läßt sich nicht alles schlagen. Die Sagen können so wenig eines Schriftstiles sein wie Häuser und Kirchen eines Baustiles. Das Einerlei ermüdet, und leicht wird ein frischer Geist des trockenen Tones satt. Viele Sagen sind so durch und durch voll Humor, daß ernste Erzählungsweise sie töten hieße – darum ward zum öftern die heitere vorgezogen.

Metrisch bearbeitete Sagen in Prosa aufzulösen trug ich die größte Scheu und habe es nur einigemal getan; einmal beim alten Tannhäuserlied, dann bei Nr. 81, Der wilde Jäger, nach Bürgers Gedicht, weil dessen Ursprung ausschließlich in der bezeichneten Gegend zu suchen ist, bei Nr. 174, Die Schlacht auf dem Tausendteufelsdamme, nach einem Gedicht von Th. Fontane, und endlich bei Nr. 966, Eines Vaterunsers Wert, nach einem Gedicht von Th. Holscher (bei Schöppner), weil mir beide letztere Stoffe ausnehmend wohl gefielen, und namentlich auch die poetische Behandlung.

Manche Sage, die ich allzudürftig auffand, konnte ich erweitern, aus Kenntnis ihrer Örtlichkeit oder aus andern schriftlichen und mündlichen Quellen, manche andere mußte ich kürzen und auf das rechte Maß zurückführen.

Viele Sammlungen, ich will nur K. Geibels Rheinsagen und Lübecks Volkssagen von H. Asmus nennen, waren wenig zu benutzen, weil das meiste darin zu eigenmächtig ausgeschmückt, fast novellistisch erweitert ist. Vornehmlich galt es auch, die spät erst gemachte Sage links liegen zu lassen, welche die Reisehandbücher, besonders die den Rhein betreffenden, so häufig bieten.

Außerdem fand ich noch mancherlei Beschränkung geboten. Die zahlreichen Sagen von geraubten Hostien, geschlachteten Christenkindern und dergleichen durch Juden habe ich mit Absicht nicht aufgenommen. Wenn sie auch nicht alten Haß nähren helfen, so verletzen sie doch und widerstreiten so gleichsehr dem christlichen wie dem ethischen Prinzip.

Dieses Sagenbuch soll im besten Sinne ein Volksbuch sein und werden, daher ist die Fassung keine altdeutsch-mythologisch-gelehrte, um so mehr ist dennoch auf das hochwichtige mythologische Element in den deutschen Volkssagen mit allem Fleiße Rücksicht genommen worden, wie es noch im Bewußtsein des Volkes lebendig ist. Was aber dem deutschen Volksbewußtsein in der Gegenwart, ja selbst dem deutschen Lande allzufern liegt, wie die Stammsagen von Ost- und Westgoten, Vandalen, Hunnen, Longobarden, Herulern, Gepiden usw., das habe ich hier unberücksichtigt gelassen.

Sparsam war ich mit Absicht in Aufnahme mythischer Heldensage, die in alt- und mittelhochdeutschen Gedichten gefeiert wird; auch sie ist noch immer nicht klar in das Volksbewußtsein getreten, die Literatur und die Schuldoktrin haben sie noch nicht mit dem Leben der Gegenwart vermittelt, und besonders zeigt letztere zu solcher Vermittelung noch keine rechte Neigung. Ebenso sparsam war ich in Aufnahme der Heiligensage (Legende) und endlich in der Gespenster- und Hexensage, die sich allenden wiederholt. Die letztere namentlich hat J. W. Wolf in seinen Niederländischen Sagen mit wahrer Vorliebe behandelt. Trefflich ist auch dessen Sammlung deutscher Märchen und Sagen, Leipzig 1845, insonderheit für Niederdeutschland. In gleicher Weise sammelte E. Meyer für Schwaben auf das fleißigste und dankwerteste, und es konnte seine Sammlung vorzugsweise für das mythologische Gebiet in Schwaben der meinigen zur Benutzung dienen.

Wenn bei einigen Stoffen das Gebiet der Sage fast verlassen wurde, so geschah dies einesteils, um auch die Übergänge anzudeuten, wo Märchen und Sage sich begegnen und geschwisterlich umschlingen, so bei Nr. 333, Die Spinnerin im Mond, bei Nr. 385, Die Zwergensage, mit der auch im Kindermärchen vorkommenden Namensauskundschaftung, und bei einigen andern, wo die märchenhafte Färbung vorwaltet, andernteils aus andern bestimmten Gründen. So war bei Nr. 470, Das Mysterium, daran gelegen, doch endlich einmal dies fernliegende dramatische Rätsel, diese großartigste deutsche Opera seria alter Zeit, über welche die Literatur der Schauspielkunst bis heute noch nichts Rechtes beizubringen wußte und die Mitteilungen der thüringischen Chroniken so äußerst dürftig beschaffen sind, dem Auge etwas näher zu rücken, um zu zeigen, wie dieses Mysterium denn eigentlich beschaffen war, und damit neben der Sagenkunde der Sittenkunde zu nützen, denn beide müßten eigentlich stets Hand in Hand gehen. Ob diese, wie ich fest glaube, auf thüringischem Boden, wohin die fehlerhafte dialektische Schreibart deutet, geborene Mysterie älter oder jünger wie die, mit deren Bruchstücken Karl Ludwig Kannegießer seine Gedichte der Troubadours, Tübingen 1852, eröffnet, ist hier nicht der Ort zu untersuchen. Mone erwähnt ihrer in seinen altdeutschen und mittelalterlichen Schauspielen nicht. Dieses ernste Singspiel war voll dramatischen Lebens, voll Pomp und Herrlichkeit, voll Leidenschaft, voll erschütternder Wirkung, voll plastisch-mimischer Bildergruppen und ganz gewiß wunderbar schön, wenn auch ohne Virtuosentriller, ohne Ballett und ohne Tamtam.

Wie im allgemeinen zu vermeiden ist, allzu Fremdländisches in heimische Kreise zu ziehen, so ist auch zu vermeiden, das Heimische zu verwirren und nicht Zusammengehörendes zu verschmelzen. So hat in unsern Zeiten die Poesie mit ihrer berechtigten Freiheit den Tannhäuser mit dem Wartburgkrieg in Verbindung gebracht, in Gedichten, in Dramen, in der Oper. Die Sage wie auch die Chroniken kennen diese Verbindung nicht, so wenig wie die Geschichte der Poesie sie kennt. Der Wartburgkrieg und die Tannhäusersage liegen geschichtlich ziemlich weit auseinander.

Die erwähnte berechtigte Freiheit der Poesie aber darf sich die letztere dennoch von keinem nehmen oder verkümmern lassen; ihr muß es freistehen und wird es ewig freistehen, Sagenstoffe zu erfassen, zu schmücken, zu verherrlichen, nur darf von dem, der solches tut, gefordert werden, daß er dazu berufen sei. Mir erscheint in dieser Beziehung die Sage wie ein alter gleichzeitig kolorierter Holzschnitt auf Pergament oder ein Miniaturbild. Der Unberufene, der solche Bilder zu verschönern gedenkt, wird mit breitem Pinsel des Bildes edle Züge und Farben verwaschen, der Berufene wird mit seinem Pinsel dunklere Stellen mit leichtem, dauerbarem Golde höhen. Da jede Sage mehr Dichtung als Wahrheit ist, so haben die Dichter eigentlich an sie mehr Anrecht als die Forscher und die Wissenschaft, denn die Poesie gleicht dem Sternenhimmel über der dunkeln Erde. –

In Berücksichtigung der vielen Sagen innewohnenden Volkstümlichkeit wurde auch mit Vorliebe der Spott- und Neckelust, der Lalenstreiche und veralteter, nun wohl meist abgekommener volkstümlicher Rechtsbräuche in Schimpf und Ernst gedacht – wie die Nrn. 61, 190, 341, 646, 716, 739, 771, 773, 802, 810, 830, 835, 870, 871, 874, 947-951 dartun, und wurde selbst manches der Sprache abhanden gekommene echt deutsche Wort wieder in sein Recht eingesetzt, auch überhaupt manche Hindeutung, mancher Fingerzeig gegeben, der einem und dem andern vielleicht nicht unwillkommen sein wird.

Ferner wurde mit gutem Grunde Rücksicht auf die Verwandtschaft der Sagen untereinander durch einfache Hinweisung genommen. Hierin bleibt der Sagenforschung noch eine wichtige Aufgabe; die Verwandtschaft der Sagen geht häufig bis zur Zwillingsschwesterschaft; es sei nur an die Gangolfsbrunnen in Burgund und in Franken erinnert, Sagen Nr. 139 und 768, an die Doppelehe in Preußen und in Thüringen, Nr. 338 und 598, an die Kinderzüge, -tänze und -andachten Nr. 588, 647, 879, wie an die Kinderhinwegführung durch den Rattenpfeifer von Hameln, Nr. 294, und den Teufelsgeiger im Brauschtal, welche letztere Sage August Stöber in seinen Sagen des Elsasses, St. Gallen 1852, unter Nr. 160 mitteilt, so auch an die drei Auflagen Nr. 280 und 754.

Es bedarf kaum noch der Erwähnung, daß die Sagenkunde jetzt bereits so gut auf den Standpunkt einer Wissenschaft gehoben ist als jede andere Hilfswissenschaft der Geschichte, als Denkmal-, Wappen-, Siegelkunde usw., und dabei ist sie eine ungleich lebendigere, denn sie nimmt nicht nur vom toten Stein, Schild und Wachs, sondern auch vom immerlebenden Mund des Volks ihre Zeugnisse. Aber leider entzieht die moderne Aufklärsucht mehr und mehr dem Volke seine Wunderblumen, jätet seine Poesie aus mit Stumpf und Stiel und reicht ihm dafür unter dem Namen des Apfels vom Baume der Erkenntnis den aschevollen Sodomsapfel sogenannter politischer Reife und den beißenden Rettich der Verhöhnung alles Gemütvollen, Edlen und Schönen, allen Glaubens und aller Treue. Darüber ließe noch vieles sich anführen und sagen, doch müßte ich nur das mannigfache Gute, was über Sagenforschung und dahin Einschlagendes in den Einleitungen der Grimmschen, der Wolfschen, der Müllenhoffschen, der Tettau-Temmeschen, der E. Meyerschen und andern Sammlungen gesagt ist, wiederholen. Auch A. Schöppner entwickelt in der Einleitung zu seinem Sagenbuch der bayrischen Lande viel Wahres und Beherzigenswertes über diesen Punkt.

Möge die neu erwachte Pflege der deutschen Sagenblumen in strengwissenschaftlicher wie in schönwissenschaftlicher Beziehung, in ihrer Echtheit und geschmückten, ungeschminkten Einfachheit mehr und mehr Freunde finden und Boden gewinnen! Sie verdient es, und sie lohnt es durch geistigen Genuß. Welchen Bilderreichtum bietet sie nicht dem Dichter, dem zeichnenden wie dem plastischen Künstler dar, welch eine reiche Stoffülle! Ja, die deutsche Sage bleibt ein fort und fort frischquellender Goldborn für Poesie und Kunst, und – was noch höher zu achten, sie bleibt trotz allem Hohnlächeln der Neugescheiten, allem Gegenbemühen, allem Abschleifen und Verflachen und trotz der verkehrten Aufklärungssüchtelei der seminaristischen Afterschulbildung wie der konsistorialen und polizeilichen Bevormundung eine frischlebendige, unverwüstliche, sittliche und sittigende Volkskraft.

Meiningen, am 24. November 1852.

Ludwig Bechstein.

Erste Sage. Vom deutschen Rheinstrom

Heilige Wasser rinnen von Himmelsbergen – singt die Edda, das uralte Götterlied, so auch der Rhein, des deutschen Vaterlandes heiliger Strom, rinnt vom Gottesberge (St. Gotthard), aus Eispalästen, aus dem Schoße der Alpen nieder, als Strom des Segens. Schon die Alten sagten von ihm: Die Donau ist aller Wasser Frau, doch kann wohl der Rhein mit Ehren ihr Mann sein – und die Urbewohner der Stromufer erachteten seine Flut für also wunderbar, daß sie neugeborene Kinder ihr zur Prüfung echter oder unechter Geburt übergaben. Rechtmäßige Abkömmlinge trug die Stromflut sanft zum Ufer, unrechtmäßige aber zog sie mit ungestümen Wellen und reißenden Wirbeln als ein zorniger Rächer und Richter der Uneinigkeit unter sich und ersäufte sie. Andere Anwohner brachten dem heiligen Strome ihr Liebstes, Pferde, zum Opfer dar. Durch Hohenrätiens Alpentalschluchten stürzt sich der Rhein mit jugendlichem Ungestüm, frei und ungebunden, umwohnt von einem freien Bergvolke, das in Vorzeittagen hartlastende, schwerdrückende Fesseln brach. Da zwang ein Kastellan auf der Bärenburg die Bauern, mit den Schweinen aus einem Trog zu essen, ein anderer zu Fardün trieb ihnen weidende Herden in die Saat, andere übten noch andere Frevel. Da traten Hohenrätiens Männer zusammen, Alte mit grauen Bärten, und hielten Rat im Nachtgraun unter den grauen Alpen. Auf einer felsenumwallten Wiese ohnfern Tovanosa will man noch Nägel in den Felsenritzen erblicken, an welche die Grauen, die Dorfältesten, ihre Brotsäcke hingen. Und dann tagten sie in Bruns vor der St. Annenkapelle unter dem freien Himmel, unter der großen Linde, nach der Väter Sitte, und beschwuren den Bund, der dem alten Lande den neuen Namen gab, den Namen Graubünden, und daß der Bund solle bestehen, solange Grund und Grat steht. Davon gehen im Bündnerlande noch alte Lieder. – Kaiser Maximilian nannte scherzweise den Rheinstrom die lange Pfaffengasse, wegen der zahlreichen und hochberühmten Bistümer und Hochstifte an seinen Ufern, und nannte Chur das oberste Stift, Konstanz das größte, Basel das lustigste, Straßburg das edelste, Speier das andächtigste, Worms das ärmste, Mainz das würdigste und Köln das reichste.

2. Des Schweizervolkes Ursprung

In alten Zeiten, bevor noch das Schweizerland bevölkert und bebaut war, saß ein starkes und zahlreiches Volk in Ost- und Westfriesland und im Lande Schweden, und kam über dieses Volk große Hungersnot und leidiger Mangel. Da beschlossen die Gemeinden, weil der Menschen bei ihnen zu viel, daß von Monat zu Monat eine Schar auswandern sollte, und sollte die das Los bestimmen. Wen es treffe, der müsse fort bei Strafe Leibes und Lebens, ob hoch oder niedrig, und mit Weib und Kindern. Als dies immer noch nicht fruchtete und dem Mangel steuerte, so ward fernerweit beschlossen, daß jede Woche der zehnte Mann ausgeloset werden und hinwegziehen solle. So geschah es, und zogen an die sechstausend Schweden fort und zwölfhundert Friesen mit ihnen, und ernannten sich Führer. Deren Namen waren Suiter, Swey und Josius, noch andere Restius, Rumo und Ladislaus. Sie fuhren auf Schiffen den Rhein hinauf und hatten unterwegs manchen Kampf zu bestehen; endlich kamen sie in ein Land, das hieß das Brochen- oder Brockengebirg (wie es auch im Harzwald einen Brockenberg hat), allda bescherte ihnen Gott Wonne und Weide, und sie bauten sich an und verteilten sich in das Land, wirkten und schafften. Ein Teil zog ins Brünig (Bruneck), ein anderer an die Aar. Ein Teil Schweden, die aus der Stadt Hasle (gehört jetzt dem Dänen) stammten, die erbauten Hasli und wohnten darin unter ihrem Führer Hasius. Restius erbaute die Burg Resty bei Meiringen und wohnte allda, Swey und Suiter gaben der Schweiz und dem Volke den Gesamtnamen. Auch das Bernerland gewannen sie, waren ein treu und gehorsam Volk, trugen zwilchne Kleider, nährten sich von Fleisch, Milch und Käse, denn des Obstes war damals noch nicht viel im Lande. Sie waren starke Leute, wie die Riesen, voll Kraft, und Wälder auszureuten war ihnen so leicht wie einem Fiedler sein Geigenbogen. Davon gehen noch alte Lieder, die sagen aus, wie ihrer ein Teil unter dem Führer Ladislaus und Suiter gen Rom gezogen und dem römischen Kaiser tapfer beigestanden gegen hereingebrochenes Heidenvolk, und wie beide Führer vom Kaiser Feldzeichen empfangen, Adler und Bären, ein rotes Kreuz, und auf der Krone des Aaren ein weißes, und haben dann diese Zeichen nach der neuen Heimat getragen. Immer noch erzählen sich auf ihren Bergen die Alpenhirten, wie die Vorfahren im Lande gezogen und wie die Berge eher bewohnt gewesen als die Täler. Erst ein späteres jüngeres Geschlecht habe die Talgründe bebaut, wie das auch in andern Bergländern geschehen ist.

3. Sankt Gallus

Schon in frühen Zeiten drang das Christentum in das rätische Gebirge. Ein britischer Königssohn, Ludius mit Namen, soll über Meer gekommen sein und diesem Lande zuerst das Evangelium gepredigt haben. Nach ihm heißt noch ein Gebirgspfad zwischen Graubünden und der Herrschaft Vaduz (Fürstentum Liechtenstein) der Ludiensteig. Nach ihm kamen die Apostel Rätiens und Helvetiens, Sankt Gallus und seine Gefährten Mangold und Siegbert, ersterer der Sohn eines Königs in Schottland, mit dem heiligen Columban an den Bodensee, zerstörten die Götzenbilder und brachen das Heidentum. Sie wohnten als fromme Einsiedler in Hütten, heilten Kranke und predigten das Evangelium. Ein alemannischer Herzog, Gunzo, wohnte in Überlingen, damals Iburinga genannt, dem war die Tochter schwer erkrankt; der heilige Gallus heilte sie, und dafür schenkte ihm und seinen Gefährten Gunzo ein großes Waldgebirge zum Eigentum, in welchem sie sich nun besser anbauten. Aus diesem ersten Anbaue ist die hernachmals so berühmte und herrliche Abtei Sankt Gallen geworden, welche einer Stadt und einem ganzen Lande den Namen gegeben. Aber St. Gallus blieb, als er noch im irdischen Leben wandelte, nicht beständig in seiner Einsiedelei, er stieg, als die Abtei St. Gallen schon begründet war, der Sitter entlang höher empor und erbaute sich an geeignetem Ort eine neue Zelle, das Hirtenvolk zu bekehren. Diese nannte das Volk des Abten Zelle, daraus ist der Name Appenzell entstanden. Das Hirtenvolk nahm auch willig das Christentum an, als aber später die mächtige Abtei dasselbe in seiner Freiheit bedrohte, erhob es sich zum Kampfe. Der Abt von St. Gallen suchte Hülfe bei Österreich, da saß aber droben auf der festen Burg Werdenberg ein edler Grafensohn, Rudolf von Werdenberg, der hielt zu den Hirten des Appenzeller Gebietes und führte sie zum Kampfe gegen St. Gallen. Am Stoß geschah eine heftige Schlacht, lange schwankte der Sieg, plötzlich kam über den Berg herüber eine großmächtige Schar Kriegsvolk den Hirten zu Hülfe – als die Feinde der Appenzeller diese erblickten, flohen sie eilend vom Schlachtfeld. Es waren aber die Hülfsvölker, die sich gezeigt und durch ihren Anblick von weitem den Feind hinweggeschreckt, keineswegs Kriegsmänner, sondern der Hirten Weiber und Töchter in männlicher Tracht gewesen. Seitdem blieb das Ländlein Appenzell mitten im St. Galler Lande ein eigenfreies und regierte sich selbst.

4. Die St. Galler Mönche erbeten Wein

In der stattlichen Abtei St. Gallen war große Sorge um den lieben Wein. Es war eben ein durstiges Jahr gewesen und lange Jahre nichts Erkleckliches nachgewachsen; nur noch zween Ohmfässer lagerten voll in dem großen Abteikeller, die reichten voraussichtlich nicht mehr weit, und dann wäre den frommen Vätern eine weinlose, schier schreckliche Zeit gekommen. Da wendete Gott das Herz eines frommen und heiligen Mannes, des Bischof Adalrich in der alten Stadt Augsburg, daß er den nicht weniger frommen Vätern zu St. Gallen ein ganzes Stückfaß voll Wein in ihre Abtei verehrte. Da kam aber die Nachricht nach St. Gallen, das Faß sei unterwegs im Rhein ertrunken, der Fuhrmann habe auf der steilen Brücke über den Fluß in der Nähe des Bodensees die Pferde allzuhart angetrieben, da sei die Achse gebrochen und das Faß hinab in den Strudel gestürzt. Das war ein Schrecken! Ohne Säumen berief der Abt den Konvent, und bald wallte eine lange Prozession mit Kreuz und Kirchenfahnen und Heiligenbildern von St. Gallen herab, sang und betete und kniete am Strudel, und die Küper des Klosters suchten mit Stricken das Faß zu fahen, das glücklicherweise noch unversehrt war und im Strudel tanzte. Wäre der Strudel nicht gewesen, so wäre das Stückfaß längst in den Bodensee geflossen, und ward allda ersichtlich, wozu manchmal ein Strudel gut ist. Nach mancher Mühe gelang es unter Gebet und Fürbitte der lieben Gottesheiligen, das Stückfaß an den Strand zu ziehen, und nun wurde es bekränzt und im Triumphe nach der Abtei geführt, allwo ein Dankfest mit einem Te Deum laudamus und vielen Trankopfern gefeiert ward.

Solches ist wahr und wahrhaftig geschehen, aber »das Märlein gar schnurrig« vom Abt von St. Gallen und dem Kaiser mit den drei Fragen hat sich mitnichten alldort begeben, sondern mit einem Abt von Kentelbury in Altengland, und ward nur durch Dichtermund auf deutschen Boden verpflanzt.

5. Dagoberts Zeichen

Es war ein König im Frankenreiche, Dagobert, ein Sohn Chlotars und Herr über Austrasien. Von dessen Taten leben noch in Sagen viele Kunden. Er führte große Kriege gegen die Sachsen und war dabei fromm und kostfrei. Selbst gegen Tiere übte er Milde, und es ging von ihm das Sprüchwort im Volke um: Wann König Dagobert gegessen hat, so läßt er auch seine Hunde essen, und eine andere Rede ward ihm nachgesagt, daß er auf seinem Sterbelager zu seinen Hunden gesprochen habe: Ihr guten Hunde, es ist doch keine Gesellschaft im Leben also gut, daß man sie nicht verlassen und von ihr abscheiden müsse. – Auf seinen Zügen drang König Dagobert auch bis in das Schweizer Alpenland und bis dahin, wo man die Landschaft vorzugsweise das Rheintal nennt, und ließ dort in die Talfelsen einen großen halben Mond einhauen, als Grenzzeichen seines Reiches.

Da es mit dem guten Könige Dagobert zum Sterben gekommen war, erfaßten die Teufel seine Seele und brachten sie auf ein Schiff, mit ihr von dannen zu fahren. Solches ließ Gott der Herr geschehen, weil der König noch nicht gereinigt und gelöset war von aller Schuld. König Dagobert hatte aber einen Freund am heiligen Dionysius, dessen Gebeine er dereinst aufgefunden mit Hülfe seiner so sehr geliebten Hunde, und welchen Heiligen der König stets in stärksten Ehren hielt, dafür dieser ihn auch stetiglich schirmte und schützte. Da nun, als Dagobert verstorben war, erbat der Heilige die Erlaubnis von Gott dem Herrn, des Königs Seele zu retten, und als er die erhalten, fuhr er im Geleite anderer Gottesheiligen und vieler Engel zur See und dem Schiffe nach, darauf die Teufel mit Dagoberts Seele waren. Darauf entspann sich ein harter Kampf zwischen Engeln, Heiligen und Teufeln um des Königs Seele, in welchem die ersteren Sieger blieben, und trugen alsbald die Engel die Seele Dagoberts in den Schoß der ewigen Gnade, die Heiligen aber kehrten in das Himmlische Paradies zurück.

6. Die Tellensage

Lieder und Chroniken des Schweizerlandes preisen den Tell als den Befreier von hartem und lastendem Druck, als den Schöpfer der Schweizerfreiheit, und in alle Lande ist sein Ruhm erklungen, und ist ewig fortlebend und unaustilgbar.

Es war zu den Zeiten, da Kaiser Albrecht von Österreich regierte, der war ein strenger und heftiger Herr und suchte, daß er sein Land mehre; so kaufte er viele Städte, Flecken und Burgen in dem Schweizerland, setzte auch in dieselben Landvögte ein, die in seinem Namen regierten. Drei Schweizerstädte und Landschaften aber wollten nichts von dem Österreicher wissen noch haben; da sandte ihnen der Kaiser zwei edle Boten, den Herrn von Liechtenstein und den Herrn von Ochsenstein, die mußten den Orten vortragen, daß sie sich doch sollten in Österreichs Schutz und Schirm begeben, da könnten sie es mit der ganzen Welt aufnehmen und ihr trutzen, wollten sie das aber nicht, so wolle der Österreicher ihr Feind sein, und sollten sie sich nichts Gutes von ihm zu versehen haben. Aber da sprachen die Männer von Schwyz: Liebe Herren, wir wollen dem Hause Österreich gern in allen Ehren zu Lieb und zu Dienst sein, aber wir wollen doch bei unsrer alten Freiheit bleiben, die noch niemalen ein Fürst oder Herzog angetastet hat. – Auf diese Rede brachen die Abgesandten rasch auf und ritten stracks nach Uri und Unterwalden, dort, dachten sie, würden sie sich gleich der Braut vermählen; es kam aber ganz anders, denn die drei Orte hatten sich schon miteinander verbunden und sich verschworen, treulich zusammenzuhalten, sagten auch, daß ihre Freiheit ihnen verbrieft sei von dem Kaiser Friedrich dem Hohenstaufen und Rudolf dem Habsburger, und ritten die Abgesandten unverrichteter Sache von dannen. Bald darauf sendete Albrecht von Österreich zwei Vögte, die hießen Grißler und Landenberger. Von denen sollte Grißler ein Amtmann zu Schwyz und Uri sein, der Landenberger aber zu Unterwalden, doch sollten sie sich zu Anfang gut und freundlich erzeigen, ob sie vielleicht in Güte das Volk bewegten, allein dieses ließ sich nicht bewegen, und da erhielten die Landvögte Befehl, den Bauern alles gebrannte Herzeleid anzutun. Als dieses nun geschah, so sendete das Volk Klageboten an Albrecht, der aber ließ diese gar nicht vor sein Angesicht. Nun gingen die Sendboten zu des Kaisers Räten und baten sie freundlich und ernstlich, sie sollten dem Mutwillen und der Plackerei der Vögte steuern und verhindern, daß sie mit neuer und unerhörter Schätzung das Volk bedrückten; aber die Räte sprachen: Ihr Männer seid selber schuld an allem Übel, warum wollt ihr euch nicht auch in unsers Herrn Gnade, Schutz und Schirm geben? Tätet ihr solches, so hättet ihr Ruhe und guten Frieden. – Da kehrten die Gesandten traurig heim und ohne Hoffnung und sagten den Ihrigen die schlimme Botschaft an.

Damals hauste in Unterwalden ein gar redlicher Mann, der niemals Untreue verübte, der war dem Landenberger insonderheit verhaßt, und sein Name war Heinrich im Melchtal an der Halde. Zu dem sandte der Landenberger, der auf Burg Sarnen saß, einen seiner Knechte mit dem Gebot, dem Melchtaler die Ochsen vom Pfluge abzuspannen. Flugs gehorchte der Knecht und wollte dem Manne die Ochsen vom Pfluge wegführen. Heinrich im Melchtal aber sprach: Laß ab, meine Ochsen behalte ich. Hab' ich was Sträfliches getan, so soll man mich vorfordern und richten. – Der Knecht sprach: Bauer, ich tue, was meines Herrn Gebot ist, frag ihn selbst um die Ursach! Ihr Bauern seid selber Ochsen genug, daß ihr den Pflug selbst ziehen könnt. – Diese lose Rede hörte des Alten junger Sohn, der hieß Arnold, und nahm alsbald einen Stecken und schlug dem Knecht des Landenbergers einen Finger entzwei, daß ihm das Ochsenausspannen verging. Der Knecht entwich, die Tat dem Landvogt anzusagen, und der junge Arnold im Melchtal entwich nach Uri. Der Landenberger ließ alsbald Heinrich im Melchtal vor sich bringen und begehrte von ihm des Sohnes Aufenthalt zu erfahren. Da nun der Alte entweder nicht sagen wollte oder nicht wußte, wohin sein Sohn sich geflüchtet, so ließ der Landenberger dem Alten beide Augen ausstechen, nahm ihm sein Gut und trieb ihn ins Elend. Auf der Burg Roßberg hatte der Landenberger einen Pfleger sitzen, der hieß von Wolffen, das war auch einer von den Pressern, der kam in Konrads von Baumgarten Behausung und traf, wie er schon voraus wußte, nicht den Mann, sondern nur dessen frommes und schönes Weib an, zu der er ein sonderlich Gelüsten hatte, rief sie an, indem er vom Pferde stieg, sie solle nach einem Zuber umschauen und ihm ein Bad rüsten, es sei ihm baß heiß vom starken Ritt. Und als er nun im Bade saß, da winkte er ihr, sie solle zu ihm sitzen, sie aber tat, als wolle sie ihm gehorchen, zuvor aber sich ihrer Röcke außen abtun, ließ ihn sitzen und lief alsbald nach dem nahen Walde, wo ihr Mann Holz haute. Der hatte gerade Feierabend gemacht, kam ihr mit der Axt entgegen und hörte ihre Not und Klage und sprach: Dem Bader will ich das Bad wohl gesegnen – und lief einen nahen Pfad – traf den Wolffen noch im Zuber, des Weibes harrend, und schlug ihn mit der Axt dermaßen auf den Grind, daß der Kopf in zwei Hälften auseinanderspaltete.

Der Landvogt Grißler, der zu Uri saß, hub an, auf einen Bühel über Altdorf eine neue Burg zu bauen, die sollte genannt werden »Zwing Uri unter die Stegen«, um so recht das Landvolk zu quälen und zu reizen, und weil der Grißler wußte, daß er allem Volke verhaßt war, und mutmaßete, es möge sich schon etwas Heimliches gegen ihn angesponnen haben, so ließ er mitten auf einem freien Platze, wo jedermann vorüberwandelte, eine hohe Stange aufrichten, mit einem Hute darauf, und befehlen, daß jedermann, wer es immer sei, dem Hute Reverenz erzeigen solle mit Bücken und Hutabnehmen, als ob es der Vogt selbst sei, und ließ heimlich spüren und aufpassen, wer das etwa nicht täte und den Gruß weigerte. Darauf ritt er gen Schwyz und kam über Stein, da wohnte ein gar frommer Mann, der hieß Werner von Stauffacher, der hatte noch nicht lange zuvor ein neues Haus an seines alten Statt gebaut. Da nun der Vogt vorüberritt, fragt er: Wem gehört dieses Haus? Der Stauffacher wollte recht höflich sein, sagte nicht, daß es sein gehöre, sondern antwortete: Meines Kaisers und Euer, Herr Landvogt, ich trag's von Euch zu Lehen! Beliebt Euch einzutreten? – Aber der Landvogt fuhr den Stauffacher scheltend an: Ich bin hier an des Kaisers Statt! Hast du um Erlaubnis gefragt zu diesem Bau? Nein! Und baut ihr Bauern nicht Häuser, als wenn Herren darinnen wohnen sollten? Das will ich euch wohl wehren! – Sprach's und ritt trutziglich weiter. Dem Stauffacher schmerzte die Rede sehr, aber sein kluges Weib tröstete ihn und sagte ihm, er solle sich doch umtun bei andern Freunden, ob es überall im Lande so getan sei, und mit ihnen Rats pflegen, daß es anders werde. Da ging Werner von Stauffacher gen Uri zu einem Freund, der hieß Walther Fürst, und bei dem fand er Arnold im Melchtal, der sich noch flüchtig hielt, und da ratschlagten die drei miteinander und wurden eins, daß sie noch andere treue und vertraute Männer aufsuchen und mit ihnen einen Bund gegen den Druck der Vögte schließen wollten. Das gelang ihnen trefflich, und ward ein großer heimlicher Bund, zu dem traten auch viele von ritterlichem Geschlecht, denn die Vögte waren auch ihnen aufsässig, nannten sie Bauernadel und adelige Kuhmelker. Darauf erkieseten die Männer des Bundes zwölf aus ihrer Mitte als ihren Vorstand, die kamen zusammen und tagten in ihren Sachen auf einer Matte, die man nennt im Gryttli, an dem Vierwaldstätter See, wie es nun werden sollte. Da rieten die von Unterwalden, man solle noch verziehen und zuwarten, weil es schwer wäre, in aller Schnelle die festen Plätze wie Sarnen und Roßberg zu gewinnen, und wolle man sie belagern, so gewinne der Kaiser Zeit, ein Heer zu senden, das sie allzumal aufreiben werde. Man solle lieber die Schlösser mit List gewinnen, niemand töten, der sich nicht bewaffnet widersetze, allen übrigen freien Abzug gewähren und dann die Festen bis auf den Boden schleifen. Als die Männer so tagten und den großen Bund beschwuren, da entsprangen der Matte heilige Quellen.

Mittlerweile geschah es, daß ein Mann aus Uri, Wilhelm Tell geheißen, etliche Male achtlos an Grißlers Hut vorübergeht und ihm keine Reverenz macht. Kaum ward das angezeigt, so beschickte ihn der Vogt, Tell aber sprach: Ich bin ein Bursmann und vermeint' nit, daß so viel an dem Hut lieg, hab' auch nit sonder acht darauf gehabt. – Da ergrimmte der Vogt, schickte nach des Tellen allerliebstem Kind und sagte: Du bist ja ein Schütz und trägst Geschoß und Gewaffen mit dir herum, jetzt schieße diesem deinem Kind einen Apfel vom Kopf. – Dem Tell erschrak das Herz, und er sprach: Ich schieße nicht, nehmt mein Leben. – Du schießest, Tell! schrie der Landvogt, oder ich lasse dein Kind vor deinen Augen und dich hinterdrein niederstoßen. Da betete der Tell innerlich zu Gott, daß er seine Hand führe und des liebsten Kindes Haupt schirme. Und der Knabe stand still und ruhig und zuckte nicht, und Tell schoß und traf den Apfel. Da jauchzte das Volk laut auf und umjubelte den Tell, den meisterlichen Schützen, das verdroß erst recht den Grißler, und er schrie den Tell an, der noch einen Pfeil im Koller hatte: Du hast noch einen Pfeil, Tell, sag an, was hättst du getan, wenn du dein Kind getroffen? – Tell antwortete: Das ist so Schützenbrauch, Herr. – Nein, das ist eine Ausrede, Tell! antwortete der Landvogt. Sag es frei, ich sichere dich deines Lebens. – Wenn Ihr denn es wissen müßt, sprach Tell, und meines Lebens mich versichert, so höret denn, traf ich mein Kind, so hätte dieser Pfeil Euer wahrlich nicht fehlen sollen. – Ha, du Schalk und Erzbösewicht! schrie der Landvogt, das Leben hab' ich dir versichert, aber nicht die Freiheit. Ich will dich an einen Ort bringen, wo weder Sonne noch Mond dich bescheinen soll! – Hieß alsobald seinen Knechten, den Tell zu binden und ihn in sein Schiff bringen, darin er über den Urner- und den Vierwaldstätter See fahren wollte, und von Weggis nach Küßnacht reiten. Da schuf Gott der Herr einen Sturmwind und ein schrecklich Ungewitter, daß das Wasser ins Schiff schlug, da sagten die Schiffsleute dem Landvogt, daß der Tell der beste Schiffslenker sei, der allein könne sie noch aus der Todesgefahr retten. Darauf ließ der Landvogt den Tell losbinden, der ruderte flugs mit starken Armen und brachte das Schifflein nach dem rechten Ufer, wo das Schwyzer Gelände sich hinabsenkt, da war ein Vorsprung mit einer Felsenplatte, auf diese sprang plötzlich der Tell mit seinem Geschoß und Pfeil, das er rasch ergriff, stieß mit Gewalt das Schifflein von sich und ließ es durch die Wellen treiben. Des erschraken der Landvogt und seine Leute mächtig, Tell aber entfloh eilend auf Pfaden, die ihm wohlbekannt waren. Als die im Schiff bei Laupen kamen, legte sich der Sturm, Grißler ließ aber dennoch bei Brunnen anlegen, denn er fürchtete sich nun vor dem Ungestüm der Seen. Tell wandelte auf Bergpfaden hoch über den Seetälern und sah, wohin der Landvogt zog, und da fand sich zwischen dem Arth und Küßnacht eine hohle Gasse, dort harrte Tell des Vogts, und wie der durch die hohle Gasse dahergeritten kam, schoß ihn der Tell mit dem aufgesparten Pfeil vom Rosse herunter, wie ein Jäger eine wilde Katze vom Baume schießt. Nach solcher Tat wich der Tell ungesehen von hinnen, kam im Dunkel der Nacht im Lande Schwyz in des Stauffachers Haus zu Steinen, eilte dann durchs Gebirg zu Walther Fürsten in Uri und sagte allen an, was und wie es sich zugetragen, und daß es jetzt an der Zeit sei, loszuschlagen und das fremde Joch abzuschütteln. Nun war es nicht mehr weit hin bis zum neuen Jahr, denn als der Bund im Gryttli tagte, war schon Wintermond, und da ward zuerst Roßberg mit List eingenommen von den Unterwaldnern, und darauf Sarnen ohne Schwertschlag, und mußten alle Leute der Vögte Urfehde geloben und schwören, nimmermehr wieder in das Schweizerland zu kommen, und wurden über die Grenze vergeleitet; das noch nicht fertig ausgebaute Schloß Zwing-Uri wurde wie die genannten Schlösser der Erde gleich gemacht, und Werner Stauffacher brach Schloß Louvers, das in den See hineingebaut stand.

Da nun Kaiser Albrecht von allen diesen Dingen die Kunde vernahm, geriet er in großen Zorn, nahm gleich ein Kriegsheer, die Schweizer zu züchtigen. Aber auf diesem Zuge, da er durch den Aargau ritt und gen Brugg wollte, wurde er von seinem eigenen Neffen, Johann, Herzog von Schwaben, ohnweit Königsfelden meuchlings erschlagen. Darum behielten die Schweizer Frieden und ihre Freiheit bis auf den heutigen Tag. Das ist die Sage von der Schweizer Bündnis und der Tat des Tell, welch letztere nur wie eine einzelne Alpenrose in den Kranz der Geschichte sich einflocht. Es ist bekannt, daß die Sage vom glückhaften Pfeilschuß auch in Dänemark sich findet, und nicht unmöglich ist, daß die frühern Einwanderer aus dem Norden sie schon mitgebracht und sie sich dann verjüngt hat. Ja, die drei ersten Gründer des Bundes der Schwyzer, Unterwaldner und derer von Uri – denen sich dann Zürich, Luzern, Zug, Glarus, Freiburg und Solothurn anschlossen, denen endlich Schaffhausen und Appenzell folgten – galten und gelten dem Landvolke als drei Telle, die in einer Felskluft verzaubert schlafen, wie Kaiser Friedrich im Kyffhäuser und Kaiser Karl im Untersberge. Sollte das Schweizer Vaterland in Not kommen, so werden die drei Telle aus ihrer Gruft hervorgehen und es aufs neue befreien. Den Weg zu ihrer Höhle weiß keiner, nur zufällig kam einst ein Hirte, der einer verlaufenen Ziege suchend nachging, an eine Höhle, da fand er die drei Männer, und der eine Tell richtete sich vom Schlummer auf und fragte: Welch Zeit ist's auf der Welt? – Hochmittag! antwortete der Hirte. – So ist's noch nicht an der Zeit! sprach der Tell und legte sich wieder zum Schlummer hin. Keiner hat nachher die Höhle wiedergefunden.

7. Luzerner Hörner und Mordnacht

Da die Schweizer aufstanden und zu Felde zogen gegen ihre Unterdrücker, gebrauchten sie allerlei Kriegsinstrumente. So hatten die von Uri einen Mann, den hießen sie den Stier von Uri, der blies ein mächtig Urhorn, das mit Silber beschlagen war; und wenn man einen Keil ins Mundstück schlug, konnte man auch daraus trefflich trinken. Die Luzerner brauchten eherne Hörner, wie die alten Römer gebraucht, die hießen sie Harschhörner, und die hatte ihnen König Karl verliehen, als sie mit ihm in der Roncevaller Schlacht gestritten, wo Held Roland fiel.

Zur Zeit, als die Schweiz sich erhob, gab es in Luzern eine Partei, die war noch gut österreichisch gesinnt, die erkannten sich an den roten Ärmeln, die sie an ihren Wämsern trugen. Die versammelten sich unter dem großen Schwibbogen an der Ecke der Schneiderzunftstube und verabredeten, daß sie um Mitternacht alle Eidgenössischen überfallen und morden wollten. Ein Bettelbube vernahm's, ward aber entdeckt und mit dem Tode bedreut, wenn er nicht schweige; mußte deshalb einen Eid schwören, niemand den Anschlag anzusagen. Der Knab' ging auf die Metzgerzunftstube, da zechten noch viele Gesellen, und der Knabe legte sich auf die Ofenbank und seufzte:

O Ofen, o Ofen, was muß ich dir klagen,

Wel ich's beim Eed sonst niemand darf sagen.

Die Landsknecht wollen, wenn's Zwölfe wird schlagen,

Alles morden und alles erschlagen.

Da horchten die Zecher hoch auf, und lief alsbald einer aufs Rathaus, ein anderer zum Glöckner, daß er nicht Zwölfe anschlage, ein dritter und vierter und fünfter zu den Zünften, und kamen den Rotmänteln zuvor. Hernachmals ist das Bild des Knaben auf der Metzgerzunftstube hinter dem Ofen gemalt lange Zeit zu sehen gewesen.

8. Die Herren von Hohensax

Zwischen dem Altmann-Berge, dem Nachbar des Hohen Säntis, und dem Rheintale liegt die alte Stammburg der Freiherren von Hohensax. Deren einer hieß Hans Philipp, war ein ritterlicher Kriegsheld und zog ins Niederland, für dessen Freiheit er mitfocht, war ein Protestant und gerade in Frankreich, als die Ketzerverfolgung begann. Mit Mühe entrann er der Pariser Bluthochzeit. Dieser Freiherr von Hohensax hielt die alten Lieder gar wert, welche die Minnesänger in der Schweiz und in Schwaben gedichtet und gesungen hatten, und besaß von ihnen jenes hochwerte Buch, das ein Stolz der deutschen Poesie, jetzt aber in den Händen der Franzosen ist, die es vordessen aus Deutschland entführt haben und nimmermehr wieder herausgeben, weil man es ihnen nicht wieder genommen hat, da es rechte Zeit dazu war. Gar wert hielt der Freiherr das alte Liederbuch, da geschah es, daß ihn, manche sagen um des Glaubens willen, sein Neffe Ulrich Georg von Hohensax erschlug, das geschah im Jahre 1559. Darauf kam das Buch mit dem unverwelklichen altdeutschen Liederschatz in die Hände und in die Liberei des Kurfürsten von der Pfalz gen Heidelberg, von wo es durch die Franzosen weggeschleppt wurde. Wunderbares aber begab sich mit dem Leichnam des Ermordeten; dieser verwesete nicht, als er in der Kirche zu Sennewald beigesetzt war, das dünkete die Umwohner ein absonderliches Zeichen, und meinten, obgleich der Verstorbene stetig ein Protestant gewesen, er müsse etwa doch ein heiliger Mann gewesen sein. Verschafften sich heimlich von ihm erst einen Finger, dann deren mehr, endlich wurde der ganze Leichnam hinweggeführt, gerade wie sein alter Liederschatz, nur mit dem Unterschied, daß die Sennenwalder Klage erhoben um den Leichnam des Hohensaxers und derselbe wieder herüberwandern mußte, da sie ihn denn noch heutigen Tages in ihrer Kirche als eine Mumie zeigen. – Vordessen lebte auch noch ein Freiherr dieses edlen Geschlechts auf Hohensax, der war mit einem Ding begabt, das nicht eben selten ist in diesen felsreichen Alpentälern, einem Glied, das ihn ärgerte, und konnt' und mocht' es doch nicht ausreißen und von sich werfen, wie die Schrift gebeut. Da zog er mit zu Felde, und in einer heißen Schlacht, in welcher Mann gegen Mann kämpfte, empfing er einen Schwerthieb, daß ihm gleich das Blut stromweis vom Halse abquoll. Doch hatte der Feind den glücklichsten Streich getan, er hatte dem Freiherrn von Hohensax das ärgernde Glied weggehauen, seinen Kropf.

9. Ida von der Toggenburg

Rheinaufwärts vom Bodensee liegt die Toggenburg, der nach ihr genannten Grafen uralter Stammsitz. Darinnen wohnte eine fromme Gräfin, Ida geheißen, aus dem Stamme derer von Kirchberg. Da geschah es eines Tages, daß sie ihren Brautring in das offne Fenster legte und die Sonne darauf schien, daß er hell blitzte. Ein Rabe sah den Ring, schoß daher, erfaßte ihn mit seinem Schnabel und trug ihn fort in sein Nest. Wohl vermißte die Gräfin ihren Ring, doch fürchtete sie ihres heftigen Gemahls Zorn, wenn sie den Verlust ihm melde, und daher schwieg sie. Nach einiger Zeit fand ein Jäger oder sonst ein Diener im Walde des Raben Nest und in dem Nest den Ring der Herrin, ohne daß er wußte, wem der Ring gehörte, steckte ihn an seinen Finger und trug ihn sonder Scheu. Da sah und erkannte der Graf seiner Gemahlin Ring, den er ihr selbst gegeben, am Finger des Knechts, glaubte sie treulos, ließ alsbald den unschuldigen jungen Gesellen am Schweif eines wilden Pferdes den felsigen Burgweg hinab zu Tode schleifen und warf die ebenso unschuldige Gemahlin vom Söller des Palas hinab in den waldigen Felsenabgrund. Aber Engel schirmten die Unschuld; sanft sank Ida, von unsichtbaren Händen getragen, durch schützendes Gezweig auf weiches Moos. Inbrünstig dankte sie den Heiligen für ihre wunderbare Rettung und wandelte weit von der Burg hinweg in eine unwegsame Wildnis. Dort erbaute sie sich eine Hütte von Gezweig und lebte als Einsiedlerin nur dem Gebet und der Andacht. Wasser war ihr Getränk, Waldbeeren und Wurzeln waren ihre Nahrung. Bald darauf sagte ein Diener dem Grafen von seines Mitgesellen Ringfund im Rabennest, und nun lastete seine Tat schwer auf des Grafen Seele. Einstmals verirrte sich unversehens ein Jäger des Grafen in diese Waldeinöde und fand die Einsame. Schnell trug er diese Kunde zu seinem Herrn, der längst jene übereilte Tat eines doppelten Mords ohne Verhör und Richterspruch bereute, und der Graf eilte zu der Einsiedlerin, wollte sie wieder hinauf in sein Schloß führen und erflehte ihre Vergebung. Aber Ida ließ sich nimmer bewegen. Der Graf von Toggenburg nahm das Kreuz, entbot seine Dienstmannen rings im Schweizerlande und zog mit ihnen, zur Büßung und Entsühnung seiner Tat, nach dem Heiligen Lande, dort gegen die Ungläubigen zu fechten. Dort kämpfte er mit in großen Schlachten und machte seinen Namen gefürchtet – aber es zog ihn die mächtige Sehnsucht im Busen immer wieder nach der Heimat zurück; immer noch hoffte er, Ida werde sich wieder mit ihm einigen, denn nie hatte er sie mehr geliebt, als seit er sie wiedergefunden. Und nach einem Jahre schiffte er wieder der Heimat zu. Aber da er nach Ida fragte, ward ihm die Kunde, daß sie im Kloster Fischingen den Schleier genommen und dort lebe, still und heilig. Da tat der Graf sich allen ritterlichen Geschmuckes ab, hing Wehr und Waffen in seine Kapelle und pilgerte hinab gen Fischingen als armer Einsiedler, erkor sich einen Platz in der Nähe des Klosters, darin lebte, büßte und betete der Graf, bis er starb.

10. Der Pilatus und die Herdmanndli

In der ganzen Schweiz, im Berner und Luzerner Land, im Haslital und fast allenthalben gehen Sagen von Zwergen und Berggeistern, die sich vielfach ähnlich sind. Absonderlich viel Redens ist von dem hohen Berge Pilatus und den Zwergen, die sonst in seinem Geklüft wohnen, die heißen Herdmanndli. Der Pilatus, das ist der rechte und wahre Broch- oder Brockenberg der Schweiz, auf welsch Fraxmont (mons fractus ) geheißen, auf lateinisch aber mons pileatus , Hutberg, weil im Land die bekannte Rede geht:

Hat der Pilatus einen Hut,

So steht im Land das Wetter gut.

Aber es geht die Sage, daß nach Christi unseres Herrn Leiden, Tod und Auferstehung der römische Landpfleger Pilatus in dieses Land gezogen sei, oder gar, daß der Satan seinen Leichnam hergetragen, und da habe er am Berge den ungeheuerlichen See gefunden, der hat weder Zu- noch Abfluß und ist wegen der unergründlichen Tiefe schwarz und gräßlich anzusehen, ein unheimlicher Moorgrund. Lange hat die Sage gelebt, daß, wer etwas in den See werfe, alsbald ein heftiges Unwetter mit Hagel und Wolkenbrüchen errege, wie auch das Gewässer den Krienser Boden und Luzern, die Stadt, in den Jahren 1332 und 1475 in große Not gebracht, darum hat man Fremde nicht gern hinzugelassen, und das Hineinwerfen von Steinen oder Holz bei Leib- und Lebensstrafe verboten. In diesen See habe sich der römische Landpfleger gestürzt, weil sein Gewissen ihn fort und fort gepeinigt, andere sagen, der Teufel habe ihn hineingesteckt. Die Herdmanndli, die wohnten vielfach in der Pilatushöhle, die hoch oben liegt, tief und schaurig. Sie waren den Menschen gar gut und hülfreich, gar »gespäßige Lüet«, wie die Hirten sagen, sie verrichteten nachts der Menschen Arbeit; kamen vom Berg auch herunter in die Täler, schafften und ackerten redlich, und ein Herdmanndli konnte mehr verrichten als zehn Meister mit allen Knechten. Aber sehen ließen sich die Manndli wunderselten, und auch da hatten sie lange graue Kutten an, die bis auf die Erde reichten, daß man nimmer ihre Füße sah. Einem Hirten begegnete es, daß er einen reichtragenden Kirschbaum oben am Berge hatte, dem pflückten die geschäftigen Zwerglein die Kirschen ab und brachten sie zum Trocknen auf die Hürden, daß hernach gutes Kirschwasser gebrannt werden konnte, der Hirt ward aber neugierig, zumal mocht' er gern die Füße der Herdmanndli sehen, war her und streute Asche rings um den Baum, als die Früchte im nächsten Jahre wieder reiften. Die Herdmanndli kamen, pflückten redlich die Kirschen ab, und am Morgen sah der Hirt ihrer Füßlein Spur in der Asche. Es waren eitel kleine Gänsefüße. Der Hirte lachte und sagt' es freudig seinen Genossen an, daß er nun wisse, was für Füße die Herdmanndli haben. Die Zwerge aber ergrimmten, zerbrachen des Hirten Dach und Fach, versprengten seine Herde, zerknickten den Kirschbaum Ast um Ast, und ihrer keines kam jemals wieder herunter, den Menschen hülfreich zu sein. Sie blieben droben in ihrer tiefen Höhle und in ihrem Geklüft wohnen. Der Hirte aber wurde ganz tiefsinnig, schlich bleich umher und hat nicht lange gelebt.

11. Die Bergmanndli schützen Herden und Fische

Die Bergzwerge schätzen und lieben die Gemsen, sie wollen nicht, daß die Jäger sie töten, und manchem Alpenjäger ist es deshalb schon gar schlecht ergangen. Guten Jägern, denen sie wohlwollten, haben sie wohl auch das eine und das andre Stück z'weg gestellt, der durft' aber denn bei Leib und Leben nit mehr schießen, als mit den Bergmanndli verakkordiert war, sonst schmissen sie ihn die Felsen hinunter und bliesen ihm das Lebenslicht aus elendiglich. Da war einmal ein Gemsjäger, der verstieg sich hoch in die Felsen, auf einmal stand ein eisgraues Bergmanndli vor ihm da und sprach ihn zornig an: Was verfolgst du meine Herde? – Der Jäger war ganz erschrocken und sprach: Hab' ich doch nit gewußt, daß die Gemsen dein sind. – Sprach der Berggeist: Du sollst jede Woche vor deiner Hütte ein Grattier finden, aber du hütest dich und schießest mir kein andres. – So geschah's, der Jäger fand alle Wochen den frischen Braten, der macht' ihm aber gar keine Freud, er konnte die Jagdlust nicht bezwingen, stieg wieder hinauf zu Berg und Holz, ward auch bald eines Gemsenleitbocks ansichtig, auf den legte er rasch an, zielte und schoß – aber wie er losdrückte, hob sich hinter ihm der Berggeist aus dem Boden und zog ihm die Haxen unterm Leib weg, daß er niederstürzte und in den Abgrund hinunterschmetterte.

In Malters saß ein Untervogt, der hieß Hans Bucher, der wollt' auch gern einmal ein Herdmanndli sehen; war gar ein eifriger Fischer und Jäger, aber sonst ein frommer Mann, stieg eines Tages hinauf am Pilatus, folgte dem Rümligbach und wollte gern Forellen fangen, da sprang ihm jählings ein Herdmanndli hinterwärts auf den Rücken und drückte ihn mit solcher Gewalt mit dem Gesicht in den Bach nieder, daß er schier vermeinte, er müsse versaufen. Dabei sagte das Herdmanndli zürnend: Ich will dir wohl lehren meine Tierlein fangen und jagen. – Als der Untervogt nach Hause kam, war er halbtot und sah im Gesicht aus wie der Tod von Ypern; war auch auf der einen Seite erlahmt und kam nimmermehr auf den Berg, zu jagen oder zu fischen.

In Obwalden war ein alter Landammann, der hieß Heinrich Immlin, der hat selbst erzählt, wie er einmal zum Pilatus hinangestiegen auf die Gemsjagd, da begegnete ihm ein Zwergmanndli und heischte, er solle flugs umkehren. Nun ist der Landammann ein starker stattlicher Mann gewesen, der spottete des Zwergs und sagte: He, du wirst wohl große Macht haben, mir was zu wehren! – Kaum gesagt, so sprang ihn der Zwerg an, drückt' ihn an einen Felsen, schwer wie ein Pferd, daß ihm schier die Seele ausfuhr und die Sinne ihm vergingen. Lag da eine halbe Stunde für tot, bis die Seinen ihn fanden, erquickten und heimführten.

12. Die Herdmanndli ziehen weg

Es ist schon viel gesagt, wie gut gegen die guten Menschen die Berglütlenen des Pilatus waren; kleine, zwei Fuß hohe Männlein mit grünen oder grauen Röckchen, mit Füßen, die man nicht sah, langem Silberbart bis zur Erde herunter, die hüteten das edle Gestein im Berge, waren den Menschen hülfreich, kamen wohl auch und begehrten Speise, liebten insonderheit das Schweinefleisch, und wer ihnen gab, hatte es gut und erfreute sich ihrer Gunst. Wenn ihnen die Sennerinnen etwas Milch beiseite stellten, so molken und fütterten sie, und waren ganz heimisch bei den Mägden; sie konnten auch wahrsagen aus Karten und Händen und waren geschickt zu allen Dingen, aber erzürnen durfte man sie nicht. Wem sie im Sommer beim Heuen halfen, der konnte zufrieden sein, sie mehreten das Heu wunderbar. Manchmal sahen sie auch dem Heuen zu und halfen nicht. Einstmals verdroß das einen Heuer, der machte mit noch einem Kameraden, bevor die Arbeit anging, ein Feuer auf den Felsstein, darauf die Herdmanndli zu sitzen und zuzusehn pflegten, und kehrten dann geschwind Asche und Kohlen vom heißen Steine weg. Als die Manndli kamen und den Stein betraten, verbrannten sie sich ihre Füße. Da schrien sie überlaut: O böse Welt! O böse Welt! – und kamen nimmermehr wieder.

So auch kamen Bergmanndli vom Pilatus ins Haslital von der Flüh herunter, den Heuern zuzuschauen; die waren gewohnt, sich auf die Äste und Zweige eines schattigen Ahornbaumes zu setzen. Das merkten Schälke und sägten die Äste knapp durch, daß die armen Manndli herunterfielen. Da erhuben sie ein jämmerlich Geschrei und riefen:

O wie ist der Himmel so hoch!

O wie ist die Untreu so groß!

Heute hier und nimmermehr!

Und nachher hat sich im Haslital niemals wieder eins sehen lassen.

13. Der Dürst

Um den moorigen See auf dem Pilatus und im ganzen Berggehege tobt der Dürst, das ist der wilde Nachtjäger, wie in Thüringen, im Vogtland und am Harz, der hat zur Gesellschaft auch ein gespenstig Weib, wie der Hackelberg die Tut-Osel, der wilde Jäger Thüringens die Frau Holle und der des Vogtlandes die Frau Berchta, die heißen sie drunten im Entlibuch, hart an des Bergstocks Westwand, das Posterli, und in Luzern kennen sie die Sträggele, die, wie die Hollefrau und die wilde Berchta, den faulen Mägden die Rocken wirrt. Mit gar wildem Saus und Braus fährt der Dürst über die Almen daher, reißt und rüttelt an den Sennhütten, bricht mächtige Baumstämme, wirft Felsen in die Gründe und führt wohl auch Kühe mit sich hoch in die Luft, die nimmer wieder herunterkommen oder halbtot und ausgemolken etwa erst am dritten Tag. Wenn ein Hirte das gewahr wurde, konnt' er noch Einhalt tun durch den Alpsegen, wenn er den zeitig durch einen Milchtrichter rief, daß der Dürst ihn noch hören konnte, so sank die entführte Kuh ganz sanft wieder auf die Matte nieder.

Auf der Bründler Alp über Eigenthal kann man wohl noch heute den Alpsegen im Abendruf der Sennhirten vernehmen, der lautet gar wunderbar durch die Feierstille der Natur, wie Orgeltöne und Glockenklang, und widerhallt aus allen Klüften die Flichbanden nieder, wie Geistermusik. Das ist der Ruf und der Segen: Ho – ho – ho – öh – ho! – Ho – hi – ho – ho! – Ho lobe! Ho lobe! – Nehmet alle Tritt in Gottes Namen, in unserer lieben Frauen Namen! Lobi Jesus, Jesus, Jesus Christ! Ave Maria! Ave Maria! Ave Maria! Ach, lieber Herr Jesus Christ, behüt Gott aller Leib, Seel, Ehr und Gut, was in die Alp gehören tut. Das walt Gott und unsre herzliebe Frau, das walt Gott und der heilige Sankt Wendel! Das walt Gott und der heilige Sankt Antoni! Das walt Gott und der heilige Sankt Loy! – (Aloysius.)

14. Von Drachen und Lindwürmen