Deutschland muss nicht verdummen - Fernand Schmit - E-Book

Deutschland muss nicht verdummen E-Book

Fernand Schmit

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Beschreibung

Drei bedeutende Gründe machen es unabdingbar, in Sachen Schulentwicklung nicht nur dieses Buch oder andere Bücher zu lesen, sondern sich in den Schulen zusammenzusetzen und sich auszutauschen: Der erste Grund betrifft unsere Wahrnehmung. Im Grunde steckt die Forschung dazu noch in den Kinderschuhen. Wir alle nehmen bekanntlich die Dinge unterschiedlich wahr, und zwar viel mehr als wir glauben. Wir müssen uns dessen viel stärker bewusst werden. Das könnte die Welt friedlicher machen, auch unsere kleine alltägliche Welt. Was in diesem Buch niedergelegt ist, muss demzufolge durch diese Brille betrachtet werden. Der zweite Grund ist die Beobachtung, dass wir dazu neigen, unsere eigene Philosophie immer nach den persönlichen Vorlieben und Stärken zu stricken und auszurichten. Deutlicher formuliert: Es ist keineswegs immer so, dass zuerst die Philosophie kommt und danach der entsprechende Lebensweg, sondern es ist oftmals umgekehrt. Für die Art, wie ich lebe, bastele ich mir die passende Philosophie. Und drittens sollen wir nicht vergessen, was man unter Gruppenintelligenz versteht, denn dieses Buch ist nur eine Anregung. Einer allein kann niemals auch nur annähernd ein fertiges Modell liefern. Dazu müssen sehr viele von uns zusammenarbeiten. Die Schulentwicklung kann nur eine Sache von uns allen sein.

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Der Autor wohnt inzwischen in der Nordheide und ist von Beruf Gymnasiallehrer für die Fächer Biologie (auch bilingual), Geografie und verschiedene Sprachen. Es liegen vielfältige andere Studiengänge vor, beispielsweise in der Afrikanistik, Philosophie, Zoologie und Parasitologie, aber Fernand Schmit versteht sich in erster Linie ganz einfach als „Lehrer“. Vermutlich hat niemand sonst in der Republik mehr Berufsjahre hinter sich als er, denn er übt seinen Beruf (parallel zum Studium) seit dem 21. Lebensjahr aus und ist – abgesehen von einer mehrmonatigen Schaffenspause bis März 2020 bereit, auch mit 72 weiterhin in den Schulen zu arbeiten.

Wer so lange überzeugter Lehrer war, dessen Beobachtungen und Eindrücke sollte man nicht ignorieren. Ihm liegt nichts mehr am Herzen als Bildung, am liebsten an der Basis, bei den jungen Menschen also, egal wo. Drei Jahre war er zum Beispiel in einer Schule in Ägypten tätig.

2017 erschien das erste Buch zum Thema (Schule – Klappe die 17.). Davor gab es Beiträge in anderen Büchern und Fachzeitschriften. Auf die Frage, was er im nächsten Leben werden würde, wenn es denn die Chance dazu gäbe, antwortet er überzeugend: Trotz intensiven Interesses für die Entwicklung auf dem gesamten Planeten, für die Paläoanthropologie, für die Filmproduktion, für die Schriftstellerei, für den Jazz und vieles mehr würde ich wieder Lehrer sein wollen!

Drei bedeutende Gründe machen es unabdingbar, in Sachen Schulentwicklung nicht nur dieses Buch oder andere Bücher zu lesen, sondern sich in den Schulen zusammenzusetzen und sich auszutauschen:

Der erste Grund betrifft unsere Wahrnehmung. Im Grunde steckt die Forschung dazu noch in den Kinderschuhen. Wir alle nehmen bekanntlich die Dinge unterschiedlich wahr, und zwar viel mehr als wir glauben. Wir müssen uns dessen viel stärker bewusst werden. Das könnte die Welt friedlicher machen, auch unsere kleine alltägliche Welt. Was in diesem Buch niedergelegt ist, muss demzufolge durch diese Brille betrachtet werden.

Der zweite Grund ist die Beobachtung, dass wir dazu neigen, unsere eigene Philosophie immer nach den persönlichen Vorlieben und Stärken zu stricken und auszurichten. Deutlicher formuliert: Es ist keineswegs immer so, dass zuerst die Philosophie kommt und danach der entsprechende Lebensweg, sondern es ist oftmals umgekehrt. Für die Art, wie ich lebe, bastele ich mir die passende Philosophie.

Und drittens sollen wir nicht vergessen, was man unter Gruppenintelligenz versteht, denn dieses Buch ist nur eine Anregung. Einer allein kann niemals auch nur annähernd ein fertiges Modell liefern. Dazu müssen sehr viele von uns zusammenarbeiten.

Die Schulentwicklung kann nur eine Sache von uns allen sein.

Inhalt

Vorwort

Einführung

Bestandsaufnahme und Kritik

Deutschland – denk ich an deine Lehrer

Der Funke, der das Feuer entfacht

Ohne Beziehung geht nichts

Laeti Magistri – laeti discipuli

Mitten aus dem Unterricht

Anmerkungen zur Didaktik

Kernpunkte einer Lerneinheit

Du hast gut reden!

Lehrer dürfen niemals zu Robotern werden

Wir und die Eltern

Und wieder einmal hast du gut reden!

Was wir von den Eltern erwarten sollten

Wohin fließen die Energien?

Planung und Ressourcen

Die am meisten dreinreden, haben oft am wenigsten Ahnung

Reaktionen auf Verhaltensauffälligkeiten

Das falsche Lob

Erziehung zu Besserwissern, unfähig zur Selbstkritik

Braucht Herr Winterhoff eine Antwort?

Hausaufgaben

Notengebung

Erbsenzählen. Was, wenn Unterricht ausfällt?

Müssen Lehrer Vorbild sein?

Erst in die Analyse, dann in den Beruf?

Können wir Lehrer versagen?

Die Klassenstärke

Visionäre aller Länder, vereinigt euch!

Schafft ab, was nicht euren Schülern zugutekommt

Der „Gesunde Menschenverstand“

Den Beruf wieder attraktiv machen

Manchmal drücken wir uns

Von anderen lernen – Weg mit dem Klassenzimmer!

Schularchitekten aller Länder – lasst euch beraten!

Die bewegte Schule

Gemeinschaftsschulen und Inklusion

Aufträge sind zu erfüllen, nicht zu ignorieren

Ohne permanente Fortbildung geht es nicht!

Wir bauen uns eine neue Schule

A

Pädagogik aus ein Guss

Unterrichtsräume und Lerninseln

Die außerschulischen Lernorte

Das Umfeld der Schule

Austausch mit Nachbarschulen

Das Schulhaus

Das Schulgelände

Die Aula

Lehrer und Lehrerinnen

Das Dach der Schule

B

Viele kleine Revolutionen (Übersicht u.Zsfg.)

Ungestörte Kernarbeit und Energieflüsse

Auflösung der Klassenverbände

Räumlichkeiten, Architektur

Lehrplan und Unterrichtsthemen

Brauchen wir noch den Lehrer / den Menschen?

Neue Formen der Leistungsmessung und –beurteilung

Unterrichtsbeginn

Globales Lernen/BNE und Bewegte Schule

Der Umgang miteinander

Zum Schluss

Kleine Zusammenfassung

Gewidmet ist dieses Buch all den anderen Berufsgruppen, in denen Überarbeitung krank macht und übermäßiger, tödlicher Verwaltungskram von der eigentlichen Arbeit abhält, gewidmet also zum Beispiel den Ärzten, Ärztinnen und Pflegekräften in den Krankenhäusern und anderswo.

Gewidmet auch Erhard Beutel aus Hannover, einem unermüdlichen Pädagogen.

„Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“

(afrikanisches Sprichwort)

Vorwort

I have a dream.

Ach wäre das schön, wenn wir bundesweit einen richtigen Wettbewerb ins Leben riefen, um die besten Bildungswege und die beste Erziehung für unsere Kinder und ihre Zukunft zu finden. Die Ämter und Kontrollbehörden würden sich vornehm zurückhalten, weil etliche von ihnen von Schulentwicklung zu wenig verstehen. So etwas gehört wieder mehr in Lehrerhand! Wir Lehrer und Lehrerinnen müssten uns dann aber auch fit machen für diese Zeit, in der wir diese Aufgabe angehen wollen.

Dass dieses Buch vollkommen für die Katz sein könnte, das muss ich riskieren, denn um unsere schulische Bildungslandschaft steht es noch viel schlechter, als wir es wahrhaben wollen. Und die Bereitschaft und auch die Möglichkeiten, die nötigen Reformen einzuleiten, sind absolut nicht gut. Also gleich vorweg noch einmal: Diese Wortmeldung ist eventuell das Papier nicht wert und bleibt letztlich nur ein Aufruf, den das Gewissen und das schlagende Lehrerherz einem vorschreibt.

Man wird die Frage stellen, warum es dieses Buch gibt und was denn das Besondere daran sein soll. Mein Ziel ist es, aus Sicht eines lange gedienten Lehrers über Schulentwicklung zu reflektieren und darüber hinaus die Persistenz im eigenen Lager anzuklagen. Der Autor bedauert die mangelnde Bereitschaft, das Haus des Lernens mit neuen Segeln und neuem Ruder zu versehen und Kurs zu nehmen auf den neuen Ozean. Es gibt einfach viel zu wenige Schulen, die hier bereits auf dem Weg sind. Dabei fehlt es nicht an Vorbildern, Vorversuchen und weisem Rat in Sachen Bildung und Erziehung – gar manche von diesen Weisheiten ist über 4000 Jahre alt1.

Wertvolles bewahren, Überkommenes fortwerfen, moderne Herausforderungen annehmen, neue Wege gehen – so könnte eine erste Zusammenfassung lauten.

Es muss ein Ruck durch die Gesellschaft gehen, um mehr Unterstützung für den Ausbau und Umbau unseres Bildungssystems zu generieren, und es muss ein Ruck durch die Lehrerschaft gehen, um das Heft der Schulentwicklung in die eigenen Hände zu nehmen und auch, um die große Blamage gar nicht erst evident werden zu lassen, weil wir uns nämlich als Experten für Bildung und Erziehung nicht mehr ausreichend an der Diskussion zur Schulentwicklung beteiligen.

Deutschland verdummt, schreibt Michael Winterhoff in seinem Buch von 20192, ein Spiegel Bestseller. Schon allein diese Behauptung ist es wert, ihr entweder vehement zu widersprechen oder dem Autor, Psychotherapeut mit Schwerpunkt Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen, zuzustimmen und ihm aus Lehrersicht weitere Argumente zu liefern.

Das oben erwähnte Buch war nur der letzte Tropfen, den es brauchte, die Feder wieder in die Hand zu nehmen und mir all das von der Lehrerseele zu schreiben, was mit einer Bildungsmisere zu tun hat, so wie ich sie sehe. Dabei werde ich dem Autor Winterhoff hier und da wegen ähnlicher Erkenntnisse indirekt Unterstützung leisten, allerdings dann notgedrungen und ebenfalls indirekt an etlichen anderen Stellen möglicherweise widersprechen. Und das nicht, um mir mit Michael Winterhoff einen Disput zu leisten, denn er sagt klar, er sei schließlich kein Lehrer und würde deshalb das eine oder andere nicht abschließend beurteilen können. Michael Winterhoff hat, wie ich finde, eine höchst provokante Intervention vorgelegt, auf die man reagieren muss und nicht nur mit Kritik überziehen darf. Ich hoffe, das werden entscheidende Leute an noch ganz anderer und herausragender Stelle tun – widersprechend oder unterstützend. Hauptsache, die Diskussion kommt in Gang.

Mein Anliegen ist allerdings ein wenig anders strukturiert. Rund fünfzig Jahre Lehrer zu sein, das heißt und hieß für mich, vom ersten bis letzten Tag ohne Unterlass über mein Tun und dessen Auswirkungen als auch über die täglich anzustrebenden Verbesserungen nachzudenken und mit anderen darüber zu diskutieren. Nur aus diesem Grund mag es sein, dass ich Gehör finde, denn ich kann nicht mit einem Bekanntheitsgrad einer Wissenschaftlerin wie Christine Eichel auftrumpfen, deren Buch „Deutschland, deine Lehrer“ im höchsten Maße lesenswert ist3.

Ich werde meine Kritik an den meisten Stellen in der Weise üben, dass ich darstelle, wie Schule sein könnte. Es handelt sich um einen großen Wurf aus einem Guss, der als Provokation angelegt ist. Ein jeder, der mit Schule zu tun hat, kann dann durch Vergleiche erkennen, wo im persönlichen Umfeld möglicherweise Defizite lokalisiert sind, sowohl in der eigenen Schule als auch bei sich selbst. An einigen Stellen wird diese sanfte Linie nicht durchzuhalten sein. Da wird es nötig werden, bestimmtes Lehrerverhalten, bestimmte Anordnungen und Auflagen und bestimmte Zustände sehr deutlich anzugreifen. Diejenigen, die dann verletzt sind, werden um Nachsicht gebeten, aber es war in jedem Fall beabsichtigt.

Solche Angriffe können im besten Fall zum Nachdenken führen. Eine Aussage wird unter anderem lauten: Sehr viele Lehrer und Lehrerinnen hätten diesen Beruf niemals ergreifen sollen. Sie sind nicht geeignet und richten Schaden an; übrigens auch bei sich selbst, weil sie niemals glücklich und zufrieden sein werden. Diese Aussage platzt dummerweise in eine Situation, in der wir feststellen müssen, dass ohnehin viele tausend Lehrer fehlen. Was wäre, wenn sich tatsächlich alle, die sich ungeeignet fühlen, aus dem Beruf verabschieden und als Kabarettisten zum Fernsehen gingen? Und was ist mit der Qualität der vielen Quereinsteiger? Wie füllen wir die Defizite auf, die durch den Mangel an Lehrern und Lehrerinnen ganz generell entstanden sind? Fragen über Fragen.

Eine mögliche Antwort kann lauten: Wir müssen pädagogische Inventur machen, müssen erkennen, wo wir blind auf falschen Pferden weiterreiten, müssen immer wieder so etwas wie eine Zukunftswerkstatt einrichten, müssen in den Kollegien dringend wieder ein regelmäßiges Forum für unsere ureigenste Sache einplanen – die allumfassende und bestmögliche Hinführung unserer Schüler zu den Entwicklungszielen, die ihr Leben lebenswert machen, die sie Verantwortung übernehmen lässt, die sie zu wertvollen und selbstständigen Mitgliedern der Gesellschaft heranwachsen lässt. Sie sollen nicht nur den Integral verstehen, sondern auch wissen, wie man kommuniziert, was Respekt bedeutet, sie sollen von Verantwortungsethik im Sinne des Club of Rome von 1992 etwas verstehen, gleichzeitig die Agenda von Rio aus dem gleichen Jahre verinnerlichen, den Zusammenhalt in der Gruppe, in der Gesellschaft und schließlich in der Weltgemeinschaft als höchst erstrebenswert erkennen. Reif werden! Und schließlich die „Reifeprüfung“ ablegen, egal welche und wo. Und das alles mit der Anmerkung, dass diese Prozesse mit dem Verlassen der Schule nicht beendet sind. Und wir wollen alle gemeinsam entscheiden, in welcher Weise wir uns dieses ungeheure Angebot, das die neuen Medien uns bieten, gewinnbringend nutzen werden und umgekehrt festlegen, wann sie uns nicht helfen und wir ihnen nicht das Feld allein überlassen dürfen. Wir werden uns positionieren müssen.

Wie schaffen wir eine Schule, die das alles leistet?

Seevetal, 19. Januar 2020

1 H.Brunner, Altägyptische Erziehung, Wiesbaden 1991, 2.Auflage

2 Michael Winterhoff, Deutschland verdummt, Gütersloher Verlagshaus, 2019

3 Christine Eichel, Deutschland, deine Lehrer, Blessing, 2014

Einführung

Als ich im Jahre 2017 ein Buch veröffentlichte, das den Untertitel trug „Was nach 48 Jahren Lehrersein noch zu sagen wäre“4, ging es mir um mehrere Dinge, die auf den ersten Blick gar nicht viel miteinander zu tun haben. Ich wollte dem historischen Werdegang der verschiedenen pädagogischen Wertschöpfungen nachspüren mit der Erkenntnis, dass wesentliche Fragen und wesentliche Antworten zum Beispiel bereits im alten Ägypten existierten, wollte nachfragen, ob denn irgendeine Nation dieses Planeten in Sachen Bildung einen völlig anderen Weg ausprobiert hat, wollte unseren anstrengenden und problemgeladenen Alltag vorstellen, rief auf zur Umsetzung der Ziele des Globalen Lernens, so wie es in etwa die Berliner Erklärung von 2014 beschreibt – und wollte schließlich den neuen Lehrertypus vorstellen.

In diesem Buch geht es mir vor allem um diesen neuen Lehrertypus. Wie soll er aussehen? Soll er Krawatte tragen? Oder Bermudashorts? Oder sie: soll sie in High Heels zur Schule kommen und mit SUV? Sollen die neuen Lehrer sich als Vegetarier outen oder sollen sie sich als Manager geben, als Animateure erscheinen und alles auf digitaler Grundlage erarbeiten, vorstellen, abprüfen? Oder sollen sie endlich strenger durchgreifen und wieder mit Härte zuschlagen, mit sofortigen Strafen und konsequenter Zielführung Schüler zu Höchstleistungen bringen und jegliches Fehlverhalten im Keime ersticken? Wie also soll dieser neue Typus aussehen? Und wie könnte allein ein solch neues Erscheinungsbild alles abdecken und berühren, was uns Schulleuten an Problemen bekannt ist und was sich dringend ändern muss?

Ganz so einfach ist es auch nicht. Wie sollen denn Lehrer und Lehrerinnen dafür sorgen, dass man auf keinen Fall gewöhnliche Architekten mit der Schulbauplanung beauftragt, sondern nur solche mit spezifischer Erfahrung sucht, die unter anderem wissen, dass man sich mit Schülern, Lehrern und Bildungsexperten erst einmal berät, bevor man plant und baut? Und das alles, um von diesen unsäglichen Bausünden an Schulgebäuden wegzukommen, Gebäude, die das neue Lernen in keinerlei Weise widerspiegeln. Um dann auch dringend bei existierenden Schulen nachzufragen: Was würdet ihr heute anders machen? Und wie kann man Vorgaben des Ministeriums und der Schulämter, unter denen sich allzu viele unsinnige befinden, gewinnbringend umgehen, ohne sie offen abzulehnen? Weil man gute Argumente hat, sie zu ignorieren! Wie sollen diese neuen Lehrer Einfluss nehmen auf eine höchst heikle Angelegenheit, nämlich darauf hinzuwirken, dass mit den bisherigen Deputaten gute Schule nicht möglich ist, dass eine Menge Manpower fehlt und eingestellt und bezahlt werden muss?

Wir werden ja sehen.

Nur eine Sache muss noch gesagt werden, und zwar an genau dieser Stelle. Und diese Sache ist das Wichtigste überhaupt. Wir müssen ringen um entscheidend neue Wege, die den jungen Menschen, den uns anvertrauten Schüler und Schülerinnen, einen guten Weg in ihr Leben ermöglichen. Wir müssen damit die Arbeit der erziehenden Eltern fortsetzen oder, sofern diese Erziehung defizitär blieb, selbige nachholen. Wir sind die Experten für Erziehung und Bildung! Wer sonst?? Und am Ende stehen selbstbewusste Mitglieder der Gesellschaft, die bei ihrer Abschlussrede wenigstens sagen können: Es hat sich gelohnt.

4 Fernand Schmit, Schule – Klappe, die 17., BOD/Norderstedt, 2017

Kritik und Bestandsaufnahme

Deutschland – denk ich an deine Lehrer...

Seit nunmehr fünfzig Jahren versuche ich, ein guter Lehrer zu werden und weiß, wie schwer das ist. Es bleibt bei der Überzeugung: Keiner kann Lehrer! Viel zu komplex ist die Arbeit, mehr als in fast jedem anderen Beruf dieser Welt. Sogar zu Politikern, die ein ähnliches Problem haben, die Komplexität zu meistern und den Bürgern mit Verantwortung zu begegnen, gibt es noch einen Unterschied: Die Herausforderungen bei uns Lehrkräften erfordern jeden Tag und ohne Pause einen Kraftakt und gönnen uns kein Entlassen aus dieser Anspannung. Die Entscheidungen fallen im Minutentakt, manchmal sogar noch schneller. Täglich sein Bestes zu geben und sich ohne Unterlass fortzubilden, über das eigene Tun nachzudenken, Korrekturen vorzunehmen – das sind nun mal die Dinge, die uns in Atem halten. Und dennoch ist es einer der schönsten Berufe der Welt.

„Keiner kann Lehrer, aber die Ignoranz

von uns Lehrern, täglich die Chancen für

eine bessere Arbeit zu übergehen, darf

nicht fortbestehen.“

Darf ich dann (Wir erinnern uns: „Keiner kann Lehrer“) an meinen Kolleginnen und Kollegen überhaupt Kritik üben? Wo ich doch selbst jeden Tag aufs Neue versuche, besser zu werden? Ich habe auf diese Frage ein klares Ja gefunden, denn was ich bei allzu vielen meiner Kollegen erlebe, das ist für meine Begriffe schlichtweg sehr unbefriedigend. Alles was man weiß (nachweislich seit mehreren tausend Jahren), wird über Bord geworfen oder genauer gesagt, wurde niemals zur Kenntnis genommen (siehe F. Schmit, 2017, S. → – →). Eine ungeheure Ignoranz prägt den Alltag von viel zu vielen Lehrern und auch Lehrerinnen. In Gesprächen wird klar: Sie lesen so gut wie gar nichts, nehmen die entsprechende Literatur, zum Beispiel so herausragende Bücher wie das bereits erwähnte Buch von Christine Eichel („Deutschland, deine Lehrer“) nicht zur Kenntnis. Sie haben sowohl John Hatties Studien als auch die vielen wertvollen Aufsätze, die allesamt für uns Lehrer geschrieben worden sind, niemals gelesen, haben meist nicht einmal entsprechende Expertisen oder wenigstens Diskussionsrunden im Fernsehen verfolgt, geschweige denn, dass sie auf Schulebene die Diskussion und den Austausch suchen. Nein, sie sind fertig. Haben studiert und ihre Referendarzeit absolviert, viel gelernt und bemühen sich jetzt, den Alltag zu bewältigen. Dass sie dabei bis an den Rand der Erschöpfung gelangen, das will niemand bestreiten und das kann ich hundertfach bezeugen. Doch wofür setzen sie ihre Energie ein?

Die Grundfrage muss bleiben, die Frage danach, wofür ich als Lehrer da bin, was ich mit den jungen Menschen anfangen will, wie ich diese wertvollen Jahre der Erziehung, Bildung und Ausbildung gestalten möchte, ja gestalten muss. Und das kann ich nicht, indem ich alles, was man über eine gute Arbeit weiß, ignoriere, über den Haufen werfe und blind dem hinterherlaufe, was man in den Schulen „halt so macht“, was gerade das Paradigma ist. Und ohne die Ausbildung im Seminar kritisch unter die Lupe zu nehmen und nachzuschauen, was inzwischen dort versäumt wird, geht es nicht. Dort sitzen und arbeiten oftmals ganz hervorragende Leute, die wirklich etwas davon verstehen, wie man Junglehrer aufs Gleis setzt und ihnen unsere heutige Methode des begleitenden Lernens, des eigenverantwortlichen Lernens beibringt und zudem auch noch eine Portion fehlendes Fachwissen. So weit so gut, aber auch diese Ausbilder haben inzwischen die Augen verschlossen vor den Grundaufgaben in der Pädagogik. Sie regen keine Diskussion an über die Herstellung von Beziehung, über den berühmten Hattie’schen Funken, über die Authentizität und Konsistenz in der Lehrerpersönlichkeit. Wo bleiben die vielen Erkenntnisse, über die uns die gesamte Geschichte der Pädagogik Auskunft gibt, die vielen Einsichten, von denen uns John Hattie und andere berichten?

Wir fassen zusammen: Lehrer sein ist ungemein schwer und eine Herausforderung, der man niemals mit Genüge begegnen kann. Ein kritisches Herangehen an diese Arbeit sollte stets den Alltag begleiten. Ein unhinterfragtes Mitmachen zementiert ein Paradigma, das höchstwahrscheinlich in eine Sackgasse führt. Fortwährende Diskussionen, zum Beispiel innerhalb der Schule, sollten eine regelmäßige Einrichtung sein. Die Ignoranz gegenüber der Diskussion unter Fachleuten, das Nicht-zur-Kenntnisnehmen der Literatur und der Diskursivität in der Wissenschaft, in der Pädagogik und in der Öffentlichkeit dürfen so nicht fortbestehen.

Der Funke, der das Feuer entfacht

Wie kann ich nur an die Arbeit gehen, in die Klassen gehen, und nicht voll und ganz überzeugt sein von dem, was ich da hineintrage, welches Thema ich anschneide, welche Bedeutung dieses Thema hat, für jeden Einzelnen und für das Globale? Wie kann ich nur die Arbeit beginnen ohne die tiefen Gedanken, auf welche Weise ich die jungen Menschen abhole, wo sie sind und sie, mit welchem pädagogischen oder didaktischen Werkzeug auch immer, ganz nah an die Sache heranführe und den Gegenstand mit allem drum und dran zu dem ihrigen mache? Auch wenn das keineswegs immer gelingt – dies muss der erste Schritt vor dem zweiten sein. Ich muss voll und ganz überzeugt sein von dem, was da gemeinsam erarbeitet werden soll. Ich muss authentisch bleiben. Schüler spüren, wenn das nicht so ist. Ich muss immer die Frage beantworten können: Was machen wir gerade? Wo wollen wir hin? Was hat das mit mir zu tun? Und wenn das alles tatsächlich in mir genauso stattfindet, dann merke ich, ich kann gar nicht früh genug und schnell genug bei den Schülern sein und mit ihnen arbeiten. Es brennt dann in mir. Und sollte ich einmal diese Überzeugungen in mir nicht spüren, dann lasse ich das Thema weg und werfe es fort. Man wird feststellen, dass es gar nicht so furchtbar viele Themen mehr gibt, die man gut und gerne auf den Müll befördern kann. Es kommt aber darauf an, ob ich selbst die Bedeutung des Themas erkannt habe und dasselbe in einen größeren Rahmen stellen kann. Ich arbeite mit den Schülern über ein Thema, weil ich selbst davon überzeugt bin und nicht nur, weil es auf dem Lehrplan steht.

Wie kann es sein, dass ein Lehrer, eine Lehrerin in die Gruppe geht mit dem Gefühl „Ach heute muss ich ja laut Lehrplan die Personalpronomen durchnehmen!“ Nochmal: Das Lehrersein erschöpft sich nicht im Abarbeiten des Lehrplans. Und die Themen des Lehrplans sind irgendwann auch einmal nur von ganz normalen Lehrern oder Lehrerinnen festgelegt worden. Viele wurden unkritisch immer wieder perpetuiert oder aus Mangel an Mut nicht gestrichen. Wenn man Einblick hatte, wie die Kommissionen arbeiten, dann sieht man das klarer. Das muss ich mir vor Augen halten, denn erst dann wird mir bewusst, dass auch ich selbst Verantwortung habe gegenüber den Vorschlägen. Anerkenne ich sie oder ignoriere ich sie? Dies ist keineswegs ein Aufruf, nach Lust und Laune Lehrplaninhalte zu akzeptieren oder zu kippen. Dies ist der Aufruf, hinter jedem Vorschlag die Wichtigkeit und die Bedeutung zu erkennen und die Umsetzung anschließend mit der vollen Überzeugung in Angriff zu nehmen. Und wenn es denn tatsächlich im Curriculum vorkommt, dass ich eine Beliebigkeit entdecke, die man gedanklich auch durch eine andere Beliebigkeit ersetzen könnte, dann darf ich durchaus sagen, dass ich es ablehne, mich damit zu befassen. Niemand wird das kritisieren. Ist umgekehrt eine Gruppe ganz besonders interessiert an etwas, dann wäre es sträflich zu sagen „Für eine Fortsetzung haben wir leider keine Zeit. Wir müssen weitermachen!“ In der Fachsprache heißt das übrigens „Die Pflege des pädagogischen Zufalls“. Lässt man diese Gelegenheit sausen, handelt man leichtsinnig.

Und wenn ich nicht brenne für eine Sache, dann lodert da auf Schülerseite nichts. Brennen kann ich aber nur, wenn ich die oben beschriebenen Prozesse durchgemacht habe.

„Fast alle Themen unserer Lehrpläne

sind innerhalb eines großen Ganzen basisschaffend für die Zukunftsfähigkeit.

Wir müssen für jedes einzelne selbst

brennen, sonst brennt auch bei den

Schülern nichts.“

Der Stern titelte einmal vor langer Zeit: „Lernen ist geil“. Damals irritierte so etwas noch. Heute können wir es besser fassen als damals, weil wir mehr über das Lernen wissen. Höhere Lebewesen wollen unbedingt lernen. Man hat oft den Eindruck, dass sie nichts mehr fasziniert als genau das: Lernen. Auch wenn man zugestehen muss, dass es unter Tieren die gleichen Unterschiede im Charakter gibt wie bei uns Menschen (Das weiß ich, weil ich neben dem Lehrersein auch eine intensive zoologische Vergangenheit habe). Jeder Lernschritt führt zu einem Ausstoß von bestimmten Hormonen im Gehirn, was mich schlussendlich sogar süchtig machen kann, süchtig nach dem erfolgreichen nächsten Lernschritt. Und genau diesen Haufen von gut brennbaren Holzscheiten, den muss ich als Lehrer zu entzünden wissen.

Wie viele werden bei diesen Zeilen gedacht haben: Ich sehe da keinen Holzscheithaufen bei meinen Schülern. Ich kann da schon lange nichts mehr entfachen. Und das glauben wir diesen Kollegen gerne. Der Ausweg lautet: alles Versäumte in Sachen persönliche Entwicklung und Motiviertheit nachholen. Die ‚Faszination Lernen’ wieder aufdecken. Man weiß, dass das geht. Also machen wir uns dran.

Die Belohnung für den einzelnen Schüler, für die einzelne Schülerin ist obendrein etwas, das der Individualpsychologe Alfred Adler beschrieben hat, nämlich dass für jeden von uns die Anerkennung in der Gruppe das Wichtigste im Leben zu sein scheint. Und so was funktioniert nicht nur, weil ich vielleicht deutscher Meister im Hochsprung bin! Das funktioniert auch, wenn ich durch richtiges Lernverhalten und Eigenverantwortung bei den Kumpels punkten kann.

Ohne Beziehung geht nichts

Ein früherer Schulleiter von mir war der spätere Kanzleramtsminister „007“ Bernd Schmidbauer. In einer Konferenz höre ich ihn sagen, man könne eigentlich erst richtiger Lehrer sein, wenn man eigene Kinder hätte. Ganz gleich, ob man dem jetzt so zustimmen möchte oder nicht, eines ist klar, nämlich was er damit sagen wollte. Ein junger zu beschulender Mensch hat ein Anrecht auf eine Beziehung. Meine eigenen Kinder haben mir selbst klar gemacht, dass man erst dann an einem der Ziele ist, wenn man die Schüler ähnlich behandelt, ähnlich mit ihnen umgeht, wie mit den eigenen Kindern. Wer jetzt aber ‚Na klar doch’ ruft, möge sich umschauen, wo das verwirklicht ist. Und wer voreilig diesen Ansatz ablehnt, sollte bitte bestenfalls Dozent an der Uni werden, aber nicht Lehrer bleiben.

Hattie sei noch ein letztes Mal zitiert, nämlich wenn er sinngemäß sagt: Nach Auswertung unzähliger Studien müsse er zu dem Schluss kommen, dass man als Lehrer eigentlich nichts falsch machen könne, wenn man nur eine Beziehung zum Schüler aufbaut und wenn man den berühmten Funken rüberspringen lässt. Es ist an dieser Stelle nicht angeraten, über Hattie zu diskutieren, denn mit Recht bemängelt man das Weglassen bestimmter wichtiger Kompetenzen in seinen Bewertungen. Aber selbst das Anliegen, mit jungen Menschen gemeinsam Fähigkeiten wie Empathie, Respekt und viele andere lebenserhaltenden Eigenschaften zu verinnerlichen, kann nur gelingen, wenn da eine Beziehung besteht. Mein Interesse am Kind oder am jungen Menschen muss geprägt sein von einer ähnlichen Liebe und einem ähnlichen Verantwortungsgefühl und einer ähnlichen Sorgfaltspflicht wie bei den eigenen Kindern. Die Grenze kann dabei nur sein, wenn die Eltern sagen: Danke. Ab hier übernehmen wieder wir.

Was diese Beziehung angeht, auf die so viel Wert gelegt werden soll, so könnte ein kleiner Exkurs über die Kulturgrenze für mehr Aufhellung sorgen. Nach mehrjähriger Lehrertätigkeit in einem Gymnasium in Kairo konnte die Bedeutung von dem, was wir unter „Beziehung“ verstehen, sehr überzeugend erfahren werden. Wie Lehrer so sind – man verzeihe mir die Pauschalisierung, aber es scheint mehr als die Hälfte von uns zu betreffen – hat man mit den ägyptischen Eltern in den Sprechstunden genauso verfahren wie es alle in Deutschland auch tun: über Distanz, asymmetrisch, belehrend, kritisierend, die Oberhand behaltend, das Steuer in der Hand, zeitlich klar begrenzt und immer mit einer Portion Misstrauen. Dabei sind diese Eltern mindestens so sehr die Anwälte ihrer Kinder wie die deutschen Eltern. Alle wollen doch (und diesmal tatsächlich) nur das Beste für ihre Kinder. Das Wunder geschieht, wenn man anfängt zu signalisieren, dass man dieses Anliegen selbst ganz genauso vertritt, wie man es bei den eigenen Kindern vertreten würde. Dann merken die Eltern, dass wir uns gegenseitig voll vertrauen können. Und dann legen auch sie alles auf den Tisch, was wir als beratende Lehrkräfte wissen müssen. Erst jetzt kann man gemeinsam schauen, welche Wege wir für das Wohlergehen der Kinder beschreiten wollen. Kann es anders sein?

„Erst die Herstellung einer Beziehung zu

jedem einzelnen der jungen Menschen

schafft die Voraussetzung, um auf dieser Basis echtes und optimales Lernen

zu ermöglichen.“

Wir sehen, das mit der Beziehung ist etwas Ganzheitliches. Nicht nur die Beziehung zum mir anvertrauten Schüler reicht aus, sondern ich muss alles ausweiten bis hin zu den Eltern, um dann mit ihnen wirklich und wahrhaftig zusammenzuarbeiten. Im Notfall auch mit Therapeuten und Sozialpädagogen. Diesen Weg kann man nur ablehnen oder befürworten. Ihn abzulehnen wäre sehr dumm, weil dann wirkliches Lernen und die Gewinnung von Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstsicherheit bei einem Schüler nicht möglich ist. Befürworten aber lässt eine ganz wichtige Frage aufkommen: Woher sollen wir Lehrer denn dazu die Zeit finden? Gute Frage, aber da sind eine ganze Anzahl von Antworten denkbar. Das soll zunächst einmal jeder für sich herausfinden, denn es geht kein Weg daran vorbei, dass wir uns für diese Beziehung entscheiden müssen. Anders würde es bedeuten, dass wir unsere Arbeit nicht anständig machen, schlimmer noch, unsere Arbeit nur zu einem Bruchteil verrichten. Man kann sich gerne erinnern an einen Vorschlag von mir5, die Unterrichtsstunden in einem Deputat abzusenken. Ihre Zahl ist bekanntlich zu hoch. Man kann auch darüber nachdenken, die Zeit woanders einzusparen. Muss ich denn die Lehrer und Lehrerinnen so sehr mit Korrekturen quälen? Gibt es keine andere Möglichkeit, Schüler zu beurteilen? Man denke an eine Deutschlehrerin, die am Wochenende (nur an einem einzigen??) Aufsätze korrigieren soll. Da ist dann sehr schnell das Ende der Fahnenstange erreicht. Und dennoch zur Wiederholung – Energien müssen überall dort eingespart werden, wo es nur geht. Die Prüffrage dazu heißt einzig und allein: Kommt diese Energie direkt meinen Schülern zugute? Dann ja. Wenn es nicht so ist, dann weg mit dieser Verschwendung ineffektiver Energie, und zwar um jeden Preis und gegen alle Widerstände. Die, die uns daran hindern, haben von Schule weniger Ahnung als wir Experten. Deswegen müssen wir mutig auch mal auf den Tisch hauen.

Zusammengefasst darf man sagen, dass die Herstellung einer Beziehung zum jungen Menschen erst die Voraussetzung schafft, auf dieser Basis echtes Lernen stattfinden zu lassen. Alle Fachhuber, und die gibt es noch massenhaft, werden damit zunächst ein Problem haben: „Oh Gott und Herr Jemine, ich muss doch noch meinen Schülern die Elektronentransportwege beibringen!“ Ja, geht’s noch?

Laeti Magistri – Laeti Discipuli

Woher habe ich den Spruch? Ach ja, er stand über der Eingangstür unseres Schullandheims in Springe am Deister. Da steht er auch immer noch. Wenn es doch nur so einfach wäre. Fröhliche Lehrer, fröhliche Schüler.

Machen wir einmal die Probe. Für morgen nimmt sich ein jeder Lehrer und eine jede Lehrerin vor, genau hinzuschauen, mit welcher Laune und mit welchem Ton wir selbst, aber auch die Kollegen auftreten. Statistik gefragt. Wie viel von zehn Lehrkräften sind frisch und haben gute Laune? Wie viele sind ernst, gar müde und mürrisch, schreien viel rum und versuchen, die Schüler zu disziplinieren? Eine ähnliche Beobachtung bitte unter der Schülerschaft.

Natürlich ist gute Laune nicht per Knopfdruck herstellbar, ebenso wenig Friede, Freude, Eierkuchen. Auf den Grundtenor kommt es an. Und der gibt sehr genau Auskunft über eine ganze Anzahl von Dingen, ähnlich einer Retinoskopie, die dem Patienten mitteilt: Du schläfst schlecht, du hast Bluthochdruck, du hattest einmal eine Nierenoperation, deine Mutterbeziehung ist gestört und tausend Dinge mehr.

„Wenn Ton und Stimmung – festzumachen an bestimmten Parametern –

nicht in Ordnung sind, dann ist etwas

faul und dann findet Schule unter unguten Bedingungen statt.“

Nur ein ausgeschlafener Lehrer, der seine Arbeit gern macht, der selbstsicher ist, weil er (natürlich auch sie!) einen guten Weg innerhalb seiner pädagogischen Vorstellungen gefunden hat, der gute Rückmeldungen hat, der spürt, dass es genau so gehen kann, der den Erfolg sieht, der gerne in den Unterricht geht, zufrieden ist, gesund bleibt, gute Schule macht – nur der und kein anderer gehört dann zu den „Laeti Magistri“. Und die „Laeti Discipuli“ folgen manchmal auf dem Fuß.

Und wenn nicht?

Michael Winterhoff urteilt gnadenlos (und von Kritikern so nicht akzeptiert), wenn er sagt, dass ein allzu großer Teil der jungen Menschen, der Teenager, sogar der schon Erwachsenen, auf dem psychischen Entwicklungsstand eines Kleinkindes stehengeblieben ist. Wenn also die „Laeti Discipuli“ nicht zu finden sind, solche, die zudem auch Verantwortung übernehmen können, dann müssen wir notgedrungen Nachholarbeit leisten. Das soll möglich sein und sollte in eineinhalb oder zwei Jahren gelingen, sagt er6.

Aber es muss auch getan werden.

Laeti Magistri, Laeti Discipuli (zumindest als Grundstimmung) – kann es dazu eine Alternative geben? Um noch einmal klarzustellen, was hier ausgedrückt werden soll: Wenn der Ton und die Stimmung, festzumachen an bestimmten Parametern, nicht in Ordnung sind, dann ist etwas faul und dann findet Schule unter Bedingungen und in einer Atmosphäre statt, die nicht gut sind. Lernen unter Angst und Druck wird im Gehirn anders verarbeitet als Lernen mit Motivation. Das ist bei den Hirnforschern nachzulesen. Die Ursachen für den Missstand muss man erkennen und sich an die ungeheuer schwere Arbeit machen, die Situation radikal zu verbessern. Ich sehe aber schon jetzt so manchen Leser dieser Zeilen unken. Sätze wie: ‚Also für morgen übe ich schon mal ein nettes Liedchen ein, um dann mit kleinen Tanzschritten und Sprüngen in die Klasse zu hüpfen und für gute Stimmung zu sorgen’. Verzeihung! Ich weiß, dass niemand unter den Lesern so was sagt.

Man kann sich aber auch jede Menge anderer Reaktionen vorstellen. Vorher jedoch bitte genau und fair nachdenken und fragen: Ist wirklich alles in Ordnung, was den Ton und die Stimmung in den Schulen angeht?

Mitten aus dem Unterricht

Gong.

– So, nun steht mal alle auf! Auch du da hinten Kevin! Lina, wird’s bald? Charlotte!! Bitte!

Langsam setzt Stille ein.

– Guten Morgen!

– Guten Morgen Frau Müller und Herr Krause!

Lärm.

– Hallo! Was ist denn hier los? Wir haben Unterricht. Emma, geh auf deinen Platz!

Ruhe.

– So, ich habe euch heute wieder ein Arbeitsblatt mitgebracht. Das holt sich jeder hier vorne ab.

Durcheinander. Lärm.

– Bitte! Bitte! Doch nicht so! Einer nach dem anderen!