Devils Lake - Dunkle Mächte der Vergangenheit - Claudia Jacobsen - E-Book

Devils Lake - Dunkle Mächte der Vergangenheit E-Book

Claudia Jacobsen

4,8

Beschreibung

Susan, ein 16-jähriger Teenager, lebt zurückgezogen mit ihrer Mutter in der idyllischen Stadt Devils Lake. Ihr ruhiges Leben verändert sich dramatisch, als sie den geheimnisvollen Jonathan kennenlernt. Susans Gefühle für Jonathan schwanken zwischen Sympathie und Furcht, ausgelöst durch mysteriöse Ereignisse, die Susan an der menschlichen Natur Jonathans zweifeln lassen. Ein Fluch scheint über Devils Lake zu liegen und so macht sich Susan daran, das dunkle Geheimnis mit Hilfe ihrer Tante Miranda und ihres besten Freundes Alex zu lüften.

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Dieses Buch widme ich Evelyne S.

Da sie mir in allen Lebenslagen immer mit Rat und Tat zur Seite steht.

Sie bereichert mein Leben um ein Vielfaches, dafür bedanke ich mich bei ihr.

Inhalt

Prolog

Alltagssorgen

Die erste Begegnung

Halluzinationen?

Zweifel

Eine unheimliche Begegnung

Der Albtraum beginnt

Der Schein trügt?

Eine Gruselgeschichte

Eine unheimliche Entdeckung

Ankunft in Atlantic City

Traurige Erinnerungen

Ein merkwürdiger Ausflug

Die Zeitungsanzeige

Ein nächtlicher Ausflug mit Folgen

Die Wahrsagerin

Gefühlschaos

Die Sondermeldung

Ungereimtheiten

Der Discobesuch

Eine merkwürdige Beobachtung

Wahre Freunde

Das Kasino

Mein Treffen mit Jacob Planks – Jason Smiths Gedanken

Manipulation

Ein unangenehmer, nächtlicher Besuch

Mein zweites Treffen mit Jacob Planks – Jason Smiths Gedanken

Konflikte im Hotel

Wieder zu Hause

Ein erleichterndes Gespräch

Wahre Gefühle?

Ein Kuss der wahren Liebe?

Nackte Angst

Eine schlimme Nachricht

Noch mehr schlechte Nachrichten …

Manchmal ist es besser, nicht alles zu wissen …

Verzweiflung

Das mysteriöse Buch

Tante Miranda

Raymond

Prolog

Wieder war es ein wunderschöner, sonniger Tag in Devils Lake.

Die Sonne strahlte mit den Bewohnern um die Wette.

Wenn man durch die Straßen ging, traf man auf kaum einen Menschen, der nicht gut gelaunt war. Mein Name ist Susan Smith. Ich bin in Devils Lake aufgewachsen und könnte mir niemals vorstellen, woanders zu wohnen.

Devils Lake liegt in North Dakota. Es ist im Vergleich zu anderen Städten eine kleine Stadt. Wir haben nur circa 7000 Einwohner. Unsere Stadt ist von vielen Wäldern umgeben und in der Nähe gibt es einen See. Ich wohne in der 3rd Street in einem Mehrfamilienhaus. Insgesamt gibt es in unserem Haus sechs Parteien. Ich wohne im zweiten Stock mit meiner Mutter zusammen. Sie ist nicht oft zu Hause. Sie arbeitet sehr viel, damit wir alles bezahlen können. Wir gehören nicht gerade zu den reichen Leuten. Aber das ist okay. Ich gehe nun auf das Lake Region State College. Vorher ging ich auf die Devils Lake Highschool. Wenn ich daran zurückdenke, wird mir wieder bewusst, wie stark sich mein Leben seit dieser Zeit verändert hat.

Nun sitze ich im Roosevelt Park in der Sonne und mir wird ganz anders, wenn ich an die letzten drei Jahre zurückdenke. Wie viele grausame Dinge sich in dieser Stadt zugetragen haben. Wenn ich mir die Leute jetzt so ansehe, würde man niemals denken, dass vor kurzem noch Trauer, Hass und Verzweiflung wie ein Schatten über dieser Stadt lagen. Auch ich hatte mich verändert. Ich bin erwachsener geworden. Wenn ich jetzt in den Spiegel blicke, sehe ich kein Mädchen mehr. Ich sehe eine erwachsene, junge Frau, mit schönen, glanzvollen, brünetten, langen Haaren, großen, braunen Augen, die endlich ihr Leuchten wiedergefunden haben. Eine schöne, ausgewogene Figur und einem strahlenden Lächeln. Ich kann nun an allen negativen Dingen auch etwas Positives sehen und glaube an das Schicksal.

Doch das war nicht immer so … Noch vor drei Jahren war alles anders. Und davon möchte ich jetzt erzählen. Wir gehen drei Jahre zurück.

Alles begann an einem schönen Junitag …

Alltagssorgen

Wieder wachte ich schweißgebadet auf. Das war nichts Neues, weil es so oft passierte. Ich schlief sehr unruhig die letzten Wochen und wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Generell war ich mit meinem Leben in letzter Zeit sehr unzufrieden gewesen. Als ich ins Bad ging und mein Spiegelbild betrachtete, war ich nicht sonderlich erschrocken. Ich hatte immer noch dicke Augenränder unter meinen Augen und die Blässe war noch schlimmer geworden. Das Leuchten in meinen dunklen Augen war schon lange verblasst. Meine langen, braunen Haare fielen stumpf herunter. Der Glanz, den sie mal ausstrahlten, war kaum noch zu erkennen. Ich betrachtete meinen Körper und machte mir ein wenig Sorgen, schon wieder hatte ich an Gewicht verloren. Dies sah man besonders an meinen hervorstehenden Beckenknochen. Schon lange hatte ich mich nicht mehr richtig wohlgefühlt in meiner Haut. Aber woran lag es?

Langsam ging ich zum Wohnzimmerfenster. Seit Tagen war es schon am Regnen, passend zu meiner Stimmung … Da stand ich nun, in meiner viel zu kurzen, schwarzen Trainingshose und dem blauen Lieblingstop und wusste nichts mit meinem Leben anzufangen. Wie vielen ging es wohl wie mir? Oder war ich die Einzige, die so dachte? Ich setzte mich auf mein Lieblingssofa und nahm mein Leben mal genau unter die Lupe.

Warum fühlte ich so viel Trauer und Hilflosigkeit? Was war der ausschlaggebende Punkt? Oder war ich schon immer so depressiv und bemerkte es jetzt nur so extrem, weil ich mich seit Längerem kaum noch unter Menschen traute? Bin ich, Susan Smith, wirklich so langweilig? Ich blickte auf die Uhr, es war schon halb neun und ich musste mich für die Schule fertigmachen. In der ersten Stunde hatte ich Mathe bei Mister Ricks und er hasste es, wenn man zu spät kam.

Schnell lief ich ins Schlafzimmer und schlüpfte in meine Lieblingsjeans und irgendeinen langweiligen Pulli, der gerade greifbar war. Ich huschte ins Bad und putzte mir die Zähne und wusch mein Gesicht. Meine Haare band ich grob zu einem Zopf zusammen. Als ich meine Schultasche schnappte, fiel mir ein Zettel auf dem Küchentisch auf, auf dem stand: Hi, Susan, ich muss heute länger arbeiten, kann also etwas später werden. Kauf dir nach der Schule etwas zu Essen. Bis dann, Mum. Daneben lagen zwanzig Dollar. Typisch meine Mutter, dachte ich. Sie war wirklich ein Workaholic. Was würde sie nur ohne ihre ganzen Jobs tun?

Schnell lief ich aus der Tür und wäre fast noch mit der Nachbarin Misses Timer zusammengestoßen. Ich entschuldigte mich rasch und lief weiter. Meine Freundin Tina wartete bestimmt schon an der Bushaltestelle auf mich, sie hasste es, wenn ich zu spät kam. Kurz vor der Bushaltestelle sah ich gerade noch, wie mein Schulbus wegfuhr. Na toll, dachte ich, typisch für mich. Ich ging, nein, ich muss sagen, ich rannte in Richtung Schule. Meinen Rucksack über der Schulter hetzte ich die Mainstreet entlang. Zu Fuß waren es circa zwanzig Minuten zur Schule. Als ich auf die Uhr blickte, merkte ich, dass ich nur noch fünfzehn Minuten Zeit hatte, bis die erste Stunde beginnen sollte. Also beeilte ich mich.

Als ich nach fünfzehn Minuten dann völlig abgehetzt die Eingangstreppe der Schule hochlief, wartete Tina schon oben auf der Treppe auf mich.

Nervös biss sie sich auf die Lippe. »Schnell, du weißt doch, dass wir Ricks in der ersten Stunde haben.« Völlig entnervt wartete sie, bis ich neben ihr stand.

»Du siehst ja furchtbar aus«, sagte sie und starrte mich an. »Vielen Dank auch«, giftete ich zurück, »kann nicht jeder so makellos schön sein wie du.«

Sie grinste mich an. Wieder mal hatte sie mich mit ihrem Charme entwaffnet.

Sie war meine beste Freundin, schon seit zehn Jahren. Mit sechs lernte ich sie auf einem Kindergeburtstag kennen. Damals war sie schon hübsch, aber kein Vergleich zu heute. Eigentlich war sie das Gegenteil von mir. Sie hatte lange, blonde Haare, die sie meistens offen trug. Blaue, tiefgründige Augen. Ein unwiderstehliches Lächeln, das ihr weiches, wohlgeformtes Gesicht zierte, welches auch ohne Schminke dem eines Engels gleichkam. Eine makellose Figur. Ihre Natürlichkeit unterstrich noch ihre Schönheit. Ich war oft neidisch auf sie gewesen. Das wusste sie auch. Obwohl sie mir immer versicherte, dass ich überhaupt keinen Grund dazu hätte. Zum Glück war sie nicht eingebildet. Noch eine Eigenschaft, wofür ich sie so mochte. Egal was war, ich konnte immer auf sie zählen und umgekehrt war es genauso. Wir waren wie Seelenverwandte. Wenn ich mit ihr durch die Schulgänge ging, drehten sich die meisten Jungs nach ihr um. Ich konnte sie verstehen, sie war wirklich hübsch.

Dennoch hatten die anderen Typen keine Chance bei ihr, denn Tina hatte seit einem Jahr einen festen Freund: Mike. Kurz vor dem Klassenzimmer kam er schon auf uns zu und strahlte Tina an. »Hallo, Traumfrau«, rief er von Weitem und lachte sie an. Tina lächelte verlegen, sie war so verliebt in ihn.

Er war circa 1.80cm groß und hatte blonde, kurze Haare. Seine Frisur sah so aus, als wäre er erst aus dem Bett gefallen. In der Schule galt dies als cool. Das passte aber sehr gut, weil er und seine Freunde sowieso der Meinung waren, dass sie das Beste wären, was der Schule je passieren konnte.

Er versuchte immer, sich betont lässig zu kleiden. Mike hatte blaue Augen und ein verschmitztes Lächeln. Ein echter Sunnyboy eben. Er grüßte mich kurz, dann gingen wir ins Klassenzimmer. Wie ferngesteuert setzte ich mich in die letzte Reihe. Ich hasste es, vorne zu sitzen. Tina und Mike setzten sich zwei Plätze neben mich. Ich beobachtete die beiden, wie sie sich verliebt anschauten. Klar, ich war wirklich neidisch, gönnte es Tina aber auch von ganzem Herzen. Ich war noch nie richtig verliebt, überlegte ich. Dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, wie es war, jemanden so zu lieben, dass man alles für denjenigen machen würde.

Dann kam Mister Ricks. Niemand konnte Mister Ricks leiden. Er trug eine Brille und einen langen Bart. Viele Schüler machten sich den Spaß und versuchten zu erraten, was er am Vortag gegessen hatte. Er hatte auch einen gewissen Hang zu spucken, wenn er sprach. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass kaum ein Schüler vorne sitzen wollte. Generell war er ein sehr ungepflegter Mensch.

Ich versuchte, mich auf den Unterricht zu konzentrieren, was mir wirklich schwerfiel. Mathe war auch nicht gerade mein Lieblingsfach. Die Stunde zog sich dahin und ich hoffte, dass mich das Läuten bald erlösen würde. Danach hatten wir zwei Stunden Kunst bei Misses Kings, dann noch zwei Stunden Englisch bei Mister Lancer. Gott, war ich froh, als die Schule vorbei war. Tina wollte mit Mike nach der Schule noch shoppen gehen. Aber ich hatte keine Lust und kapselte mich von den beiden ab, indem ich eine Migräne vortäuschte.

Ich hatte aber noch keine Lust, nach Hause zu gehen, wo ich ja eh alleine wäre.

Deshalb ging ich an einen meiner Lieblingsplätze, in dem nahe angrenzenden Wald. Dort hatte ich einen Lieblingsplatz an einer Lichtung. Von dort konnte man die gesamte Stadt sehen. Ich mochte diesen Ort, weil er viel Ruhe ausstrahlte. Die eng zusammenstehenden Bäume boten mir einen gewissen Schutz. Das leichte Plätschern des nahe liegenden Bachs beruhigte mich zudem.

Ich spürte die Anwesenheit von vielen Tieren. Man sah sie nicht direkt, aber man spürte sie. Je länger ich dort saß, desto mehr Tiere zeigten sich mir. Das Zwitschern der Vögel wirkte beruhigend auf mich. Ich fing wieder an ins Träumen zu kommen. Das tat ich oft, wenn ich nicht unter Menschen war und keine Ablenkung hatte. Ich fühlte mich schon immer zur Natur und zu Tieren hingezogen. Verträumt beobachtete ich ein Eichhörnchen, wie es von Baum zu Baum sprang. So frei wäre ich auch gerne, dachte ich. Und wieder fiel ich in meine depressive Stimmung.

Lange blieb ich noch auf meiner Lichtung sitzen. Keine Ahnung, wie lange. Als ich aus meinem Trancezustand erwachte, war es schon fast dunkel. Erschrocken schaute ich auf meine Armbanduhr, ich hätte schon längst zu Hause sein sollen. Schnell nahm ich meinen Rucksack und machte mich auf den Weg dorthin.

Meine Mutter war bestimmt schon zu Hause, aber Sorgen würde sie sich keine machen. Sie kannte meine Unpünktlichkeit und den Hang zum Träumen und die Zeit zu vergessen. Unterwegs holte ich mir noch einen Hotdog, beim Kiosk an der Ecke in der Mainstreet. Der von Misses Edwards, einer kleinen, älteren Dame, geführt wurde. Ich kannte sie schon seit meiner Kindheit und mochte ihre liebevolle, warmherzige Art. Dadurch, dass sie klein und sehr schmal war, wirkte sie zerbrechlich. Ihre Haare waren schon lange weiß und sie machte sich meistens einen Bauernzopf. Sie bevorzugte weite Kleidung mit Blümchenmuster, um ihr Untergewicht zu verbergen.

Ich hatte eigentlich gar keinen Hunger, aber ich würgte mir meinen Hotdog herunter, um überhaupt mal etwas im Magen zu haben. Währenddessen erzählte mir Misses Edwards von ihren vielen Katzen. Ihr Mann war vor drei Jahren an Krebs verstorben und die Katzen waren das Einzige, was sie noch hatte. Man merkte, dass sie froh war, jemanden zum Reden zu haben, da sie unaufhaltsam sprach und alles dafür tat, dass die Unterhaltung weitergeführt wurde. Auch wenn sie mir leidtat, beeilte ich mich zu essen. Ich konnte die Fassade nicht länger aufrechterhalten, dass es mir gut ging.

Schnell verabschiedete ich mich und lief nach Hause. Die Straßen waren menschenleer. Es war eben eine ruhige Stadt. Aber gerade das gefiel mir. Zu Hause angekommen, hörte ich meine Mutter in der Küche hantieren. Sie war am Spülen. Wieder überkam mich ein schlechtes Gewissen. Ich hätte ja jedenfalls abspülen können, wenn meine Mutter schon den ganzen Tag gearbeitet hatte.

Verschämt beobachtete ich sie vom Flur aus. Meine Mutter sah müde aus. Ihre dunkelblonden Locken hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden. Ein unglaubliches Strahlen ging von ihr aus. Das musste daran liegen, dass sie mit ihrem Leben und ihrer Arbeit, so wie es war, zufrieden war. Im Gegensatz zu meinen Augen hatten ihre graublauen Augen noch nichts von ihrem Glanz verloren. Meine Mutter kleidete sich jünger, als sie war. Wenn man es nicht wüsste, würde man niemals denken, dass sie schon dreiundvierzig Jahre alt war. Stets kleidete sie sich sehr sportlich, passend zu ihrer Figur.

Mein Vater hatte sich von ihr getrennt. Er wohnte jetzt in Atlantic City, einer Stadt in New Jersey. Dort hatte er ein Haus, direkt am Meer. Mit seiner neuen Freundin, Tracy. Aber das störte sie nicht. Ich bewunderte sie dafür, sie konnte immer in allem das Positive sehen. Ich wünschte, ich hätte diese Gabe von ihr geerbt.

Als ich in die Küche kam, räumte sie gerade das Geschirr weg und begrüßte mich gut gelaunt. »Na, mein Schatz, wie war dein Tag?« »Öde wie immer«, antwortete ich. Sie grinste. »Bald sind Sommerferien, ich muss arbeiten, aber hättest du keine Lust, ein paar Wochen zu deinem Vater zu fahren? Er würde sich bestimmt freuen.« »Keine Ahnung«, sagte ich.

Ich konnte mir etwas Besseres vorstellen, als mit seiner neuen Freundin und meinem Vater einen auf Happy Family zu machen. Sie war zehn Jahre jünger als er und war mächtig von sich überzeugt. Ich hasste das …

»Kannst es dir ja noch überlegen«, holte mich meine Mutter aus meinen Gedanken zurück und sah mich prüfend an. »Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie und schaute weiterhin besorgt. »Ja, klar«, sagte ich, »bin nur etwas müde. Ich geh gleich ins Zimmer, muss noch Hausaufgaben machen und gehe heute früher schlafen, bin ziemlich kaputt.«

»Okay«, entgegnete sie, beobachtete mich trotzdem weiterhin skeptisch, als ich aus dem Zimmer ging.

Seufzend legte ich mich aufs Bett und schaute an die Decke. Ich hatte überhaupt keine Lust, Hausaufgaben zu machen und vor dem Schlafengehen graute es mir jetzt schon, da ich öfter Albträume hatte und sehr unruhig schlief. Ich fand, das häufte sich in letzter Zeit immer mehr. Es war immer derselbe Traum. Etwas war hinter mir her, im Wald, aber ich wusste nie was. Nur, dass es sehr schnell war und ich Todesangst hatte. Bevor ich erkennen konnte, was es war, wachte ich jedes Mal auf. Halb in Gedanken an meinen Traum beschloss ich, mein Zimmer aufzuräumen. Als ich gerade dabei war, meine Bücher zu sortieren, fiel mir ein altes Tagebuch von mir in die Hände. Ich machte es mir auf meinem Bett bequem und fing an, es zu lesen. Je länger ich las, desto mehr merkte ich, was für ein langweiliges Leben ich doch hatte …

Laut Tagebuch hatte ich überhaupt niemals Spaß. Aber was fehlte in meinem Leben? Ich hatte eine coole Mutter, einen korrekten Vater und bin sehr behütet aufgewachsen. Außerdem hatte ich Freunde, wenn auch nicht so viele wie manch anderer. Was konnte es also sein? Jetzt konnte ich wieder Tinas Stimme in meinem Kopf hören, die mir zum x-ten Mal sagte: »Du brauchst einen Freund, Susan, einen, der dich wirklich liebt …«

Mich wirklich liebt, dachte ich. Wie konnte man mich schon lieben? Ich, die immer depressiv war und mehr in Gedanken, als in der Realität.

Müde schloss ich das Tagebuch und versteckte es ganz tief unten in einem Karton. Irgendwas musste sich ändern. Ich wollte anderen und vor allem mir beweisen, dass ich auch anders sein konnte. Nur wie ich das anstellen sollte, wusste ich noch nicht. Missmutig setzte ich mich an meine Hausaufgaben.

Nebenan hörte ich, dass meine Mutter zu Bett ging. Es war ja auch schon halb zwölf. Gähnend legte ich meine Schulsachen zur Seite und machte mich bettfertig. Ich zog meinen Pyjama an und putzte mir die Zähne. Dann legte ich mich in mein kuscheliges Bett. Ich war ziemlich schnell eingeschlafen, was mich wunderte.

Die erste Begegnung

Wieder war ich im Wald. Wieder diese Todesangst. Ich war mir sicher, gleich zu sterben …

»Susan?« Erschrocken fuhr ich hoch. Meine Mutter sah mich besorgt an. »Was ist?«, fragte ich benommen. »Du hast geschrien im Schlaf«, sagte sie. »Wirklich alles in Ordnung mit dir?« »Ja«, erwiderte ich betont lässig. »War nur ein böser Traum.« »Ich gehe jetzt arbeiten, versuche noch etwas zu schlafen. Es ist ja Samstag heute.« Und schon verschwand sie aus der Tür. Samstag, dachte ich, wie ich Wochenenden hasste. Noch mehr Zeit zum Nachdenken, noch mehr Zeit, depressiv zu sein …

Lange lag ich noch unschlüssig im Bett und überlegte, wie ich den Tag überleben würde, als mein Handy piepte. Es war eine SMS von Tina. Sie schrieb, ob ich nicht Lust hätte bei ihr vorbeizuschauen. Denn sie hatte einen neuen Vampirfilm und wollte sich den gerne mit mir zusammen ansehen.

Ich hatte nichts dagegen und schrieb ihr zurück, dass ich gleich zu ihr kommen würde. Sie wohnte nur drei Straßen weiter. Ich zog mich rasch an, verschwand noch schnell im Bad und machte mich dann auf den Weg zu ihr.

Schon von Weitem erkannte ich ihr Haus. Wohlbefinden strahlte es aus. Es war ein großes, helles Gebäude. Mit großen Fenstern und einem schön angelegten Garten. Ich klopfte an der Haustür und wartete. Tinas Mutter Sue öffnete mir die Tür. Sie hatte unglaubliche Ähnlichkeit mit ihrer Tochter und hatte auch die gleiche Art, die ich an Tina so mochte. Ihr Haar war nur etwas dunkler als Tinas. Sie war etwas kleiner und auch etwas kräftiger. Aber trotz allem konnte man unschwer erkennen, dass sie Mutter und Tochter waren.

»Tina ist in ihrem Zimmer«, sagte sie mir zur Begrüßung. Ich ging die Treppe herauf und wurde erst einmal von ihrem Hund Sam stürmisch begrüßt. Er war ein Bordercollie Mischling und der ganze Stolz von Tina. Zusammen mit Sam fand ich sie in ihrem Zimmer vor dem PC. Ihre Laune war nicht gerade die beste und sie tippte genervt auf der Tastatur herum.

»Was ist los?«, fragte ich sie und setzte mich auf ihr Bett. »Ach, Mike nervt mich«, sagte sie bloß. »Er will nicht akzeptieren, dass ich heute mal etwas mit dir alleine unternehmen will.« »Von mir aus kann er kommen«, sagte ich beiläufig. »Kommt gar nicht infrage«, sagte sie. »Ich will heute mal etwas mit dir alleine machen und das muss er akzeptieren. Ob er will oder nicht.« Da kam wieder deutlich ihr Dickkopf durch. Innerlich musste ich grinsen. Soviel dazu, dass ich dringend einen Freund an meiner Seite bräuchte. Nach fünf Minuten war sie fertig und fuhr den PC runter. Dann drehte sie sich zu mir um und strahlte mich an. Das bewunderte ich immer so an ihr, sie hatte von jetzt auf gleich wieder gute Laune.

»Also«, sagte sie, »bereit für etwas Gruseliges?« »Klar«, gab ich zurück. Sie legte die DVD in den Player und legte sich zu mir aufs Bett. Von dem Film bekam ich nicht allzu viel mit. Es war eh immer dasselbe. Besessene Vampire, die Menschen abschlachteten. Ich war gleich wieder in meine Gedanken vertieft, da mich der Film nicht sonderlich ablenkte. Irgendwo von ganz weit her hörte ich dann Tinas Stimme. »Hallo? Erde an Susan Smith, hörst du mir überhaupt zu?« Hastig drehte ich mich in ihre Richtung. »Sorry«, sagte ich bloß murmelnd. »Susan«, sagte sie im besorgten Ton. »Sag mir mal, was ich mit dir machen soll? Du ziehst dich immer mehr in dein Schneckenhaus zurück. Wenn du nicht mit mir darüber reden kannst, was los ist, mit wem denn dann?« Sie schaute mich vorwurfsvoll an. »Tut mir leid, Tina. Ich kann dir nicht sagen, was es ist. Ständig habe ich so merkwürdige Träume. In den Träumen verfolgt mich etwas und ich habe Todesangst. Aber ich kann dir nicht sagen, was es ist, das mich da verfolgt. Bevor ich was erkennen kann, wache ich auf, das nervt mich.«

Tina sah mich lange an. Ich wusste genau, was jetzt kam, und ich hatte recht.

Sie grinste mich an und sagte: »Vielleicht brauchst du mal ein bisschen mehr Ablenkung. Du brauchst vielleicht wirklich mal einen Freund oder willst du als eiserne Jungfrau sterben?« Ich streckte ihr die Zunge raus. »Ist doch wahr«, lachte sie. »Mike hat einen Kumpel, Jonathan heißt er. Wieso gehen wir nicht mal zu viert aus? Er scheint ganz nett zu sein …« »Oh nein«, stöhnte ich. »Nicht schon wieder einer deiner Kuppelversuche. Vielleicht will ich ja gar keinen Freund.«

Aber Tina duldete keine Ausreden und so fand ich mich am nächsten Abend vor der Kinokasse wieder. Lust hatte ich keine. Ich war auch nicht so der Typ, der sich gerne aufbrezelte. Und so entschied ich mich wieder für meine Lieblingsjeans und ein schwarzes Trägertop. Wenn der Typ der Richtige für mich sein sollte, musste er mich auch in 0815-Klamotten mögen. Tina versuchte, mich noch ein bisschen aufzumuntern, dass es bestimmt ein toller Abend werden würde. Aber ich hatte nicht viel Lust darauf.

Dann sah ich Mikes Auto vorfahren. Er fuhr einen roten Angeberschlitten. Der neben ihm, das musste Jonathan sein. Aber ich konnte aus der Entfernung nicht viel erkennen. Jetzt wurde ich doch etwas nervös. Hoffentlich nicht so ein Proll, dachte ich. Sie parkten und dann kamen beide herauf zur Kinokasse.

Mike umarmte stürmisch seine Tina und grüßte mich nur kurz. Jonathan stand etwas unschlüssig neben ihm und gab uns beiden dann schüchtern die Hand. Eigentlich sah er ganz sympathisch aus. Er hatte kurze, blonde Haare und graugrüne Augen. Eher der sportliche Typ. Er wirkte um einiges erwachsener und reifer als Mike. Er trug einen schwarzen Anzug, was ihn älter aussehen ließ, als er war. Das wunderte mich. Wer trägt schon im Kino einen Anzug, dachte ich.

Kurz überlegte ich, was ich wohl an einem Mann attraktiv finden würde. Ich stellte mir ein lässiges Outfit vor. Jeans und Hemd fand ich attraktiver als einen Anzug. Mein Blick schien Bände zu sprechen, denn Jonathan sah mich verunsichert an. Seine Hand fühlte sich warm an, aber auch ein bisschen schwitzig. Ich denke mal, er wusste auch nicht genau, was er von dem Ganzen halten sollte.

Wir gingen zur Kasse und holten uns vier Karten für den Film »Liebe ohne Grenzen.« Na toll, dachte ich. Eine Liebesschnulze. Ich schaute zu Jonathan und er schien das Gleiche zu denken. Wir kauften uns noch etwas zu Trinken und Popcorn. Danach gingen wir in den Kinosaal. Schnell zog ich noch mal Tina zu mir. »Du sitzt aber neben mir«, flüsterte ich. »Klar«, sagte sie. »Du kannst dich ja zwischen mich und Jonathan setzen.« Na super, dachte ich. Nachdem das Licht im Kinosaal dann ausging und der Film anfing, beruhigte ich mich etwas. Im Dunkeln würde man jedenfalls nicht auf Anhieb erkennen, dass ich keine Lust auf so eine Liebesschnulze hatte. Mike und Tina waren nach fünf Minuten mit Knutschen beschäftigt. Von der Seite her merkte ich, dass Jonathan mich beobachtete.

Tatsch mich ja nicht an, dachte ich. »Hatte ich auch nicht vor«, kam plötzlich von Jonathan in meine Richtung. »Wie bitte?«, fragte ich und schaute ihn erschrocken an. Hatte ich das eben laut gesagt? Ich war mir sicher, dass ich es nur gedacht hatte. Er lächelte mich an. »Keine Angst, ich werde dich nicht betatschen«, sagte er dann mit seiner rauen Stimme. »Das habe ich auch nicht gesagt«, erwiderte ich irritiert. »Aber gedacht«, sagte er immer noch lächelnd. Völlig überfordert von der ganzen Situation, ging ich schnell zur Mädchentoilette. Panisch stellte ich mich ans Waschbecken und sah in den Spiegel. Ich hatte das nicht laut gesagt, sagte ich immer wieder zu mir selber. Das hatte ich nur gedacht, da war ich mir sicher.

Dann kam Tina zur Toilettentür rein. »Was ist los?«, fragte sie. »Geht’s dir nicht gut?« »Nein, nein«, sagte ich. »Ich habe nur etwas Kopfschmerzen. Gleich bin ich wieder bei euch.« Tina nickte mir zu, dann ging sie wieder zurück zu den anderen. Noch einmal atmete ich tief durch. Das hatte ich mir sicher nur eingebildet.

Als ich wieder im Kinosaal war, war der Film schon fast vorbei. Tina und Mike waren wieder am Knutschen und Jonathan konzentrierte sich auf den Film. Ich setzte mich neben ihn. Immer darauf bedacht, ruhig zu atmen und ihn nicht anzuschauen. Von der Seite her sah ich, dass er lächelte. »Was ist so komisch?«, fragte ich ihn. »Du bist aber leicht zu erschrecken«, gab er zurück. »Ich hab mich nicht erschrocken«, erwiderte ich trotzig. Sein Lächeln wurde breiter. Als er mich so ansah, bekam ich eine Gänsehaut. Den Rest des Films schwiegen wir.

Nach dem Film gingen wir bei Diners noch etwas essen. Ich hatte nicht viel Lust darauf. Eigentlich wollte ich nur noch nach Hause, aber ich hatte beschlossen, diesen Abend durchzuziehen, koste es, was es wolle. Ich ignorierte Jonathan den weiteren Abend, merkte aber ständig seinen Blick im Nacken. Das nervte. »Du bist so süß, wenn du dich aufregst«, kam plötzlich Jonathans Stimme in meinem Kopf. Ich starrte ihn an. Er grinste. Mike und Tina bemerkten von alldem nichts. Sie waren in ihr Gespräch vertieft. Das war mir dann doch zu viel. Ich musste dringend hier raus. Eilig verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg nach Hause.

Zu Hause angekommen ging ich geradewegs in mein Zimmer. Ich setzte mich aufs Bett und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Kurze Zeit später klopfte es an meiner Tür. »Ja?«, sagte ich etwas genervt. Meine Mutter kam ins Zimmer. »Und?« »Was und?«, fragte ich. »Wie war dein Date?« »Das war kein Date, Mum«, sagte ich genervt. Sie grinste. »Sah er denn gut aus? Seht ihr euch wieder?« Gereizt sah ich sie an. »Mum, es war kein Date. Wir waren zu viert, der Film war scheiße und von diesem Dinerfraß ist mir ganz schlecht.« Erschrocken über meinen Wutausbruch sah sie mich an. »Okay, dann lass ich dich jetzt lieber alleine. Wenn du reden möchtest, weißt du ja, wo du mich findest«, sie zog sich traurig zurück. Als sie die Tür wieder zugemacht hatte, tat mir mein Wutausbruch ihr gegenüber sehr leid. Aber ich musste meine Gedanken erst einmal für mich alleine ordnen.

Mein Handy piepte. Es war eine SMS von Tina. Alles in Ordnung?, fragte sie mich. Ja, schrieb ich zurück. Meine Kopfschmerzen sind nur schlimmer geworden. Wir sehen uns morgen in der Schule. Ich legte mich aufs Bett und dachte nach. Während ich so am Nachdenken war, was das alles zu bedeuten hatte, merkte ich, wie ich schläfrig wurde. Langsam fielen mir die Augen zu.

Ich war wieder im Wald. Also nichts Neues, dachte ich. Wieder war etwas hinter mir her. Ich rannte um mein Leben, immer darauf bedacht, nicht über eine Baumwurzel zu stolpern. Doch dann geschah es, ich fiel. Das ist mein Ende, dachte ich. Ich bemerkte etwas Kaltes an meinem Rücken, dann wachte ich schreiend auf.

Halluzinationen?

Ich brauchte einen Moment, um meine Gedanken zu ordnen. Noch lag ich auf meinem Bett, draußen wurde es gerade hell. Benommen sah ich auf meinen Radiowecker. Es war kurz nach Sieben. Langsam schälte ich mich aus dem Bett. Noch immer hatte ich die Kleidung vom Vorabend an.

Benommen schleppte ich mich zum Bad und nahm erst einmal eine lange, heiße Dusche. Ich fühlte mich wie gerädert. Fast hatte mich das Tier oder was es auch immer war im Traum, zu fassen bekommen. Bei dem Gedanken daran fing ich an, zu erschaudern.

Als ich mich angezogen und meinen Rucksack für die Schule gepackt hatte, fiel mir wieder ein Zettel auf dem Küchentisch auf. Auf dem stand: Guten Morgen, mein Schatz, ich hoffe, es geht dir etwas besser … Heute wird es nicht so spät. Habe nur Frühschicht im Supermarkt und ausnahmsweise mal keine Putzstellen. Dahinter ein Smiley.

Lange schaute ich auf den Zettel. Wieder überkam mich ein schlechtes Gewissen, wegen meinem gestrigen Wutausbruch, meiner Mutter gegenüber. Ich beschloss, mich am Nachmittag dafür bei ihr zu entschuldigen.

Schließlich wollte sie ja nur, dass es mir gut ging. Sie nahm so viel Arbeit auf sich, nur damit ich mich wohlfühlte, und alles bekommen konnte, was ich wollte.

Aber nie hatte ich das ausgenutzt. Neben dem Supermarkt hatte sie noch drei Putzstellen. Sie beschwerte sich nie und nahm alles wie selbstverständlich hin.

Ich nahm meinen Schlüssel und machte mich auf den Weg zum Schulbus.

Innerlich machte ich mich schon einmal für die bombardierenden Fragen von Tina über Jonathan bereit. Immer noch war ich mir unschlüssig darüber, ob ich ihr sagen sollte, dass ich Jonathan in meinem Kopf gehört hatte …

Ich ließ das Gespräch erst einmal auf mich zukommen. Ungeduldig hüpfte Tina an der Bushaltestelle von einem Bein aufs andere. Sie hasste es, zu warten. Stürmisch kam sie mir entgegen.

»Hallo, Süße«, rief sie mir zu. »Hi«, grinste ich zurück. Ich gab mir Mühe, nicht zu nachdenklich zu wirken. »Und, geht’s dir besser?«, fragte sie, als sie neben mir stand und wir zusammen wieder zur Bushaltestelle zurückgingen. »Besser?« »Deine Kopfschmerzen«, gab sie skeptisch zurück. »Oh, ja, ja«, stotterte ich. »War wirklich schlimm. Musste an der Luft im Kino gelegen haben.« »Aber nicht an Jonathan, oder?«, fragte sie grinsend.

Der Bus kam und wir stiegen ein. Recht weit hinten waren noch zwei Plätze nebeneinander frei. Tina fing an, zu sticheln. »Was ist denn nun? Wie findest du ihn?« Diese Ungeduld konnte manchmal ganz schön nerven. »Oh«, stammelte ich, »er ist … okay.« »Bloß okay?«, starrte sie mich an. »Ja, was soll ich denn sonst sagen?«, gab ich zurück. »Ich kenne ihn doch gar nicht.« »Das weiß ich auch. Aber würdest du dich noch mal mit ihm treffen? Weil ich nämlich weiß, dass er es gerne tun würde.« »Ach ja?«, sagte ich. »Dabei haben wir doch kaum miteinander geredet.« »Ja, ja«, sagte Tina jetzt ganz aufgeregt. »Aber er meinte, dass ein Blick mehr sagen würde, als tausend Worte.« »Das hat er gesagt?«, fragte ich.

Was für ein Schleimer, dachte ich. Oder hatte ich mir das mit der Stimme doch nicht eingebildet und er konnte wirklich meine Gedanken lesen? Konnte ich auch seine lesen? Ich war völlig durcheinander. Wieder holte mich Tina aus meinen Gedanken. »Also, was ist nun?« »Was meinst du?«, gab ich zurück. »Gehst du heute mit uns shoppen oder nicht? Jonathan kommt auch mit«, lächelte sie verschmitzt. »Ich muss mal sehen«, grummelte ich. »Keine Ausreden«, gab sie zurück. Und so war das Thema für sie abgehakt. Anderseits wollte ich ja schon wissen, ob ich mir das mit der Stimme nur eingebildet hatte.

Der Schulbus war am Ziel angekommen und wir stiegen aus. Mike wartete schon vor der Schule auf uns. Na, wohl eher auf Tina. So eine Klette würde ich aber nicht als Freund haben wollen, dachte ich. Obendrein war er auch noch sehr eifersüchtig. Wenn Tina auch nur einen anderen Typen anschaute, flippte er aus. Er grüßte mich knapp. Aber dann sagte er: »Na, du hast Jonathan ganz schön den Kopf verdreht was?« »Was?«, gab ich irritiert zurück. Mike Lawrence redete mit mir? Nie redete er auch nur ein Wort mit mir.

»Keine Ahnung«, stammelte ich. Er lachte nur und drehte sich dann wieder zu Tina. Hab ich irgendwas nicht mitgekriegt, grübelte ich und machte mich auf den Weg ins Klassenzimmer. Erste Stunde hatten wir Geschichte bei Mister Miller. Wieder mal nahm ich meinen Platz ganz hinten ein. Mike und Tina wieder direkt neben mir. Sie hielten Händchen. Ich beschloss, Tina noch nichts von der Stimme in meinem Kopf zu sagen. Sonst dachte sie bestimmt noch, dass ich nicht nur Depressionen, sondern auch noch Halluzinationen hatte.

Ich war gar nicht scharf auf ein Treffen mit Jonathan. Doch Tina ließ sich nicht davon abbringen. Umso mehr hoffte ich, dass sich der Unterricht an diesem Tag noch ein bisschen hinzog. Aber wie war es mit Ereignissen, auf die man keine Lust hat? Sie kamen erstens anders als erwartet und zweitens schneller, als man dachte. Hm, dachte ich, anders als erwartet wäre ja gar nicht schlecht. Dann würde es ja vielleicht doch nicht so grausam werden.

»Wir hatten vor, uns nach der Schule in unserem Lieblingscafé, dem Bills, zu treffen«, sagte Tina, als die Schule zu Ende war. »Von mir aus«, sagte ich beiläufig. Hatte ja kein Zweck, zu sagen, dass ich keine Lust hatte. Tina bemerkte meine Stimmung, die langsam in den Keller ging. »Na komm schon«, versuchte sie mich aufzumuntern. »Das wird bestimmt lustig.«

Also gingen Mike, Tina und ich in die Innenstadt zu unserem Lieblingscafé. Jonathan wartete vor dem Café auf uns. Ich musterte ihn von Weitem. Er hatte eine dunkelblaue Jeans an, dazu ein weißes Hemd und Sneakers. Im Gegensatz zu Sonntag hatte er eher meinen Kleidungsstil getroffen, dachte ich. Er lächelte mich an. Als er mich so ansah, bekam ich wieder diese Gänsehaut. Aber war das positiv? Kurz begrüßten wir uns und setzten uns dann ins Bills.

Wir hatten uns eine ruhige Ecke im hinteren Teil des Cafés ausgesucht. Ich saß Jonathan gegenüber und Tina Mike. Dadurch fühlte ich mich seinen Blicken ausgeliefert. Er musterte mich. Ich bestellte mir eine Cola, die anderen ebenso. Mike und Tina diskutierten über die langersehnten Sommerferien, die nächste Woche anfangen sollten. Sie überlegten, ob sie vielleicht am nahegelegenen See zelten gehen sollten.

Jonathan taxierte mich mit seinem Blick. »Geht’s dir besser?«, fragte er mich mit seiner rauen Stimme. »Ja, geht schon«, sagte ich, ohne ihn dabei anzusehen. Ich merkte, wie ich rot anlief. Diese Worte hatte er eindeutig laut ausgesprochen. Ich hoffte, dass ich seine Stimme in meinem Kopf mir nur eingebildet hatte. Ganz direkt fragte er mich: »Warum siehst du mich nie an?« »Keine Ahnung«, murmelte ich. »Ich beiße nicht.« In seiner Stimme hörte ich, dass er lächelte. Ich nahm all meinen Mut zusammen und sah zu ihm auf. Seine graugrünen Augen sahen mich offen an. Er lächelte und ich hatte das Gefühl, dass er versuchte, meine Gedanken zu lesen. Aber es blieb stumm in meinem Kopf. Gott sei Dank, dachte ich. Meine Sinne hatten mir also nur einen Streich gespielt.

»Was machst du in den Ferien?«, fragte er mich. »Keine Ahnung«, gab ich zurück. »Vielleicht gehe ich meinen Vater besuchen.« »Wirklich?«, unterbrach mich Tina. »Der hat doch dieses große Haus in Atlantic City, oder? Wieso fahren wir nicht dorthin? Nur wir vier. Oder glaubst du dein Vater hätte was dagegen? Wir könnten Mikes Auto nehmen.«

Na toll, das wurde ja immer besser. Hätte ich nur meinen Mund gehalten. »Keine Ahnung«, gab ich zurück. »Ich frag ihn mal.« »Das wäre doch super«, jubelte Tina. »Rufst du ihn heute mal an?« »Ja«, gab ich zurück und hoffte innerlich, dass es meinem Vater nicht passen würde, wenn wir zu viert bei ihm auftauchen wollten. Jonathan sah mich an. Dann lächelte er leicht. »Also ich bin dabei.« Mike war sowieso dafür, weil er niemals dulden würde, dass Tina ohne ihn im Bikini am Strand von Atlantic City die Männer verrückt machte.

Der Nachmittag verlief ohne weitere Vorkommnisse und ich verabschiedete mich gegen fünf von den dreien. Ich machte mich auf den Weg nach Hause. Unterwegs begegnete ich meinem Kumpel Alex. Er wohnte im selben Haus wie ich und wir kannten uns jetzt schon fünf Jahre. »Hi, Susan«, rief er mir zu. »Na, was macht die Kunst?« Bei dem Satz ging er sich mit der rechten Hand durch seine Haare. Er hatte schwarze, kurze Haare, dunkle Augen und eine athletische Figur. Man sah ihm an, dass er viel Sport trieb. Seine Macke war, sich ständig durch die Haare zu gehen. Ich denke mal, dass das eine Verlegenheitshandlung war. Denn er war ein eher schüchterner Typ.

»Alles beim Alten«, gab ich zurück. »Von wo kommst du gerade?«, fragte er mich interessiert. Ich erzählte ihm von dem Treffen mit Jonathan, Mike und Tina. »Wann hast du denn mal wieder Zeit für mich?«, fragte er ganz direkt. »Wenn du willst, können wir morgen nach der Schule etwas zusammen unternehmen«, gab ich zurück. »Okay, ich warte vor der Schule auf dich.« Alex war eine Klasse höher als ich, dadurch sahen wir uns nicht so oft in der Schule, da er mehr mit seiner Clique abhing. »Okay, ich habe um fünfzehn Uhr Schulschluss.« »Dann sehen wir uns da«, gab er zurück. »Bis dann«, erwiderte ich.

Nun machte ich mich wieder auf den Nachhauseweg und freute mich auf den nächsten Tag. Ich war gerne mit Alex zusammen. Mit ihm hatte ich immer viel Spaß und er brachte mich zum Lachen.

Als ich zu Hause ankam, war meine Mutter gerade in der Küche. Sie kochte eine meiner Lieblingsspeisen. Nudeln mit Hackfleischsoße und Salat. Sie war voll in ihrem Element. Plötzlich fiel mir mein Wutausbruch vom Vortag ein und mein Entschluss, dass ich mich ja noch dafür entschuldigen wollte. Als ich in die Küche kam, begrüßte mich meine Mutter wieder ganz fröhlich. »Hi, Kleine, na wie war dein Tag?« »Ganz gut«, gab ich zurück. »Und hast du noch einmal darüber nachgedacht, ob du in den Ferien zu deinem Vater fahren willst?«

»Tina hat mich gefragt, ob wir vielleicht mit Mike und Jonathan zusammen hinfahren wollen«, sagte ich zögernd. »Na, das ist doch ’ne gute Idee. Platz genug haben sie ja im Haus. Ruf ihn doch mal an.« »Ja, mache ich später«, sagte ich.

Meine Mutter füllte mir das Essen auf den Teller und stellte es vor mir auf den Tisch. Dann setzte sie sich mit ihrem Essen mir gegenüber. Sie lächelte mich an. »Dann scheint der Jonathan ja doch nicht so schrecklich zu sein, wenn du ihn sogar mit zu deinem Vater nehmen würdest.« »Es war Tinas Idee«, gab ich zurück und »du weißt ja wie sie ist, wenn sie sich mal was in den Kopf gesetzt hat.« Ich zuckte mit den Schultern. »Mum«, sagte ich dann etwas nervöser, »tut mir leid wegen gestern Abend. Ich meinte das nicht so.« »Ist doch Schnee von gestern«, antwortete sie lächelnd. »Ich fände die Idee gar nicht schlecht, die Tina da hat. Du musst mal raus aus der Stadt und was anderes sehen.« »Ja«, sagte ich. »Ich ruf Dad gleich mal an und frag ihn.«

Nach dem Essen wuschen wir zusammen noch das Geschirr ab. Dann ging ich in mein Zimmer. Mit meinem Handy setzte ich mich an meinen Schreibtisch. Ich wählte die Nummer von meinem Vater und wartete auf das Freizeichen. Je eher ich es hinter mir hatte, desto besser.

Nach dem fünften Klingeln hob er ab. »Hallo, Susan«, hörte ich seine Stimme. »Wie geht’s dir?« »Ganz gut, Dad«, log ich. »Ich wollte fragen, ob ich in den Ferien mit Mike, Tina und Jonathan mal zu dir kommen könnte.« Erst war Stille. Dann fragte er mich: »Wer ist denn Jonathan?« Oh Mann, dachte ich, hört das denn nie auf? »Ein Freund«, gab ich zurück. »Ich kenne ihn noch nicht so lange.« »Ein Freund oder dein Freund?«, fragte er und ich hörte das Grinsen in seiner Stimme. »Ein Freund«, sagte ich etwas genervt. »Ist kein Problem«, entgegnete er dann. »Wie lange wollt ihr denn bleiben?« »Ich denke, eine Woche ist ausreichend, ich möchte nur mal etwas anderes sehen und ich brauche mal einen Tapetenwechsel.« »Okay«, gab er zurück. »Ich habe nichts dagegen, Platz haben wir genug. Ich habe sowieso gerade Urlaub.« »Gut«, sagte ich. »Ich ruf dann Ende der Woche noch mal an, wann wir dann kommen.« »Okay, dann melde dich einfach und grüß deine Mutter.« »Mach ich. Bis dann.«

Nach dem Telefonat ging es mir gar nicht gut. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich musste den Urlaub mit Mike, Tina und vor allem Jonathan durchziehen. Schnell schrieb ich eine SMS an Tina, dass mein Vater zugesagt hatte. Kurz darauf rief sie mich an. »Das ist ja super«, schrie sie mir ins Ohr. »Ich sage gleich Mike und Jonathan Bescheid.« »Gut«, sagte ich und schon war das Telefonat abgebrochen. Typisch Tina, grinste ich.

Zweifel

Am nächsten Morgen freute ich mich auf meine Verabredung mit Alex am Nachmittag. Die Schule ging zum Glück recht schnell vorbei und Tina erzählte mir strahlend, dass Mike und Jonathan auf jeden Fall mitfahren wollten.

Das beruhigte mich nicht gerade, aber damit wollte ich mich später erst beschäftigen. Jetzt freute ich mich erst einmal auf Alex. Nach dem Unterricht wartete er vor der Schule auf mich. Gut gelaunt gingen wir zusammen in den Roosevelt Park. Wir hatten uns jetzt länger nicht gesehen und hatten uns viel zu erzählen. Alex erzählte mir, dass er viel mit seinen Kumpels unterwegs war.

Meistens machten sie Radtouren, quer durch den Wald und auch mal am See entlang. Ich stellte mir die Strecke vor und bewunderte seinen Mut, der gleichzeitig auch Leichtsinn war. Denn die Strecken lagen oft neben tiefen Abgründen. Aber Alex war schon immer sehr waghalsig und liebte das Abenteuer. In der Schule schien es bei ihm auch gut zu laufen. Er war gerade dabei, sich an verschiedenen College-Institutionen zu bewerben, weil er nächstes Jahr schon mit der Highschool fertig war. Lange hörte ich ihm zu und sagte gar nichts. Ich mochte seine ruhige Art. Dadurch vergaß ich all meine Sorgen.

Irgendwann sah er mich von der Seite an. »Und was gibt’s bei dir Neues? Fahrt ihr jetzt in den Urlaub zu deinem Vater oder nicht?« »Ja, ich habe meinen Vater gestern angerufen und er ist einverstanden, dass wir zu viert kommen.« Einen Moment zögerte er, dann fragte er: »Wer ist dieser Jonathan eigentlich? Er ist doch nicht mehr in der Schule, oder? Geht er aufs College? Arbeitet er? Er ist doch älter als du, oder?« »Keine Ahnung«, sagte ich und da wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass ich ja eigentlich gar nichts über Jonathan wusste. Das wollte ich später gleich nachholen und Tina anrufen.

»Aber wenn du gar nichts über ihn weißt, findest du es dann richtig, ihn direkt in den Urlaub mitzunehmen?« »Hm, ich bin ja nicht alleine mit ihm da. Tina und Mike kommen ja auch mit.« »Trotzdem«, sagte er. »Ich finde es etwas merkwürdig.« Kurze Stille trat ein. »Oder bist du in ihn verliebt und willst rausfinden, ob es passt zwischen euch?« »Was?«, sagte ich jetzt fast hysterisch. »Ein bisschen müsstest du mich aber schon langsam kennen, um zu wissen, dass ich nicht mit dem Erstbesten ins Bett steige.« Mein Kopf war knallrot. Alex stieg die Röte ins Gesicht. Dann fing er an zu stottern. »Nein, natürlich nicht, es tut mir leid. Ich mache mir nur Sorgen …« Ich war so sauer, wenn es auch ein bisschen übertrieben war. Wütend ließ ich Alex einfach im Park stehen. Ich wollte nur noch nach Hause. Hatten meine Freunde denn nichts anderes als Sex und Beziehungen im Kopf? »Sag mal, drehst du jetzt ganz am Rad?«, schrie Alex mir hinterher.

Fluchend ging ich nach Hause. Ich war ja auch nicht begeistert darüber, dass Jonathan mitkam, aber was sollte ich denn machen? Nun war es zu spät. Mein Gott, was sollte schon passieren? Er würde mich schon nicht umbringen, oder?

Bei dem Gedanken musste ich grinsen. Ich stellte mir Jonathan in dem Haus meines Vaters vor. Wie er vor uns stand und uns mit einer Waffe bedrohte. Und mein Vater versucht ihm im ruhigen Ton beizubringen, dass es keinen Sinn machen würde, uns zu töten. Mein Vater war nämlich Psychologe, von daher passte das. Nun musste ich lachen. Ich hatte wirklich eine blühende Fantasie. Zu Hause angekommen ging ich in mein Zimmer, um Tina anzurufen. Ein bisschen mehr wollte ich schon über Jonathan erfahren, bevor ich ihn mit zu meinem Vater nahm.

Ich war alleine zu Hause, meine Mutter war noch auf der Arbeit. Na ja, wirklich alleine kam man sich in diesem Haus ja nie vor. Über uns wohnte ein Pärchen mit zwei Kindern. Die Kinder waren immer recht laut, aber das störte mich nicht. Wirklich oft zu sehen bekam man sie auch nicht. Daneben wohnte ein Student. Wenn man ihn antraf, dann nur mit einem Buch in seiner Hand, in das er stets vertieft war. Ich glaube, er bekam noch weniger von seiner Umwelt mit, als ich.

Im zweiten Stock, direkt neben uns, wohnte Misses Timer. Sie hatte meistens Lockenwickler im Haar und war um die siebzig Jahre alt. Meistens trug sie Schürzen in allen Variationen. Sie war sehr neugierig und ich war mir sicher, sollte es irgendwann in der Straße zu einem Mord kommen, wäre sie die Erste, die der Polizei alles genau beschreiben könnte. Mit Täterbeschreibung und Tatmotiv. Wieder musste ich bei dem Gedanken lachen, wie sie alles genau der Polizei beschrieb und die Polizisten total überfordert wären, bei so viel Aufmerksamkeit. Ja, sie konnte schon nerven.

Im ersten Stock, genau unter mir, wohnte Alex mit seinen Eltern. Sein Vater war im Sicherheitsdienst tätig und seine Mutter war Sekretärin. Er sah seine Eltern aber auch nicht gerade oft. Genau wie ich. Bei den Gedanken an ihn versetzte es mir einen Stich ins Herz. Vorhin hätte ich nicht so ausrasten dürfen. Ich hasste es, mit Alex Streit zu haben. Das musste ich unbedingt später noch mit ihm klären. Die Wohnung neben ihm stand seit Längerem leer.

Ich erwachte wieder aus meinen Gedanken und starrte auf mein Handy. Was sage ich nur zu Tina? Ohne, dass es so klang, als wollte ich was von Jonathan.

Ich hatte keine Lust, dass sie durch die ganze Schule rannte und rumschrie: »Susan liebt Jonathan. Susan und Jonathan K.Ü.S.S.E.N sich.« Bei dem Gedanken grinste ich erneut. Na ja, so schlimm war sie auch wieder nicht. Aber es kam gefährlich nah in die Richtung. Ich atmete noch einmal tief durch. Dann rief ich Tina an, um sie über Jonathan auszufragen.

»Hi, Susan«, hörte ich sie am anderen Ende der Leitung sagen. »Hi«, gab ich zurück. »Und wie war dein Treffen mit Alex?« »Oh, ganz gut«, log ich. »Und was hast du so gemacht?«, fragte ich. Ich hielt es für klug, erst einmal Small Talk zu halten, bis ich mit der Sprache rausrücken wollte. »Oh, nicht viel«, gab sie zurück. »Ich war mit Sam draußen und bin mit Mike zur Werkstatt gefahren. Sein Vater meinte, wir sollten das Auto lieber noch einmal durchchecken lassen, bevor wir so eine lange Fahrt machen. Aber es ist alles okay, es kann losgehen.« »Gut, wie lange fahren wir eigentlich?«, fragte ich. »Na ja, laut Routenplaner 1728 Meilen. Das müssten circa anderthalb Tage sein.« Ich musste schlucken. So weit weg hatte ich Atlantic City gar nicht in Erinnerung gehabt. Aber es waren auch schon wieder zwei Jahre her, als ich das letzte Mal dort war.

»Ich hab mal die kürzeste Strecke ausgedruckt«, holte sie mich aus meinen Gedanken. »Hm, wir müssten dann aber auch auf halber Strecke mal irgendwo übernachten, Susan. Ich denke, am besten zelten wir, ein Hotel wäre einfach zu teuer …«, fuhr sie fort.

Das hörte sich für mich gar nicht gut an, dass ich so lange mit Jonathan in einem Auto aushalten würde, bezweifelte ich. Tina quasselte weiter drauf los und versuchte, mich davon zu überzeugen, einfach in einem Waldstück zu übernachten. Natürlich nur in einem Gebiet, wo es nicht zu gefährlichen Überraschungen kommen könnte.

»Mike und Jonathan haben sicher nichts dagegen«, plauderte sie munter weiter.

Jonathan, das war mein Stichwort. »Tina?«, unterbrach ich sie. »Was weißt du eigentlich über Jonathan?« »Hm, nicht viel«, gab sie zurück. »Mike lernte ihn vor seinem Haus kennen. Er hatte Mike auf sein Auto angesprochen. Du weißt doch, seinem Heiligtum«, sie lachte. »Ich weiß nur, dass er zwanzig Jahre alt ist. Er ist mit der Highschool fertig und wollte mal was anderes sehen. Was von der Welt entdecken. Laut Mike hatte er sich ein paar Städte ausgesucht, die er sich mal ansehen wollte. Nur durch einen blöden Zufall ist er dann hier in Devils Lake hängen geblieben.« »Und will er auf kein College?«, fragte ich. »Doch«, gab sie zurück. »Er meinte, dass hätte Zeit. Er will erstmal was sehen von der Welt.« Ich kam ins Grübeln. »Aber, wo schläft er denn?«, fragte ich misstrauisch. »In verschiedenen Hotels«, gab sie zurück. »Er hat wohl einiges geerbt und kann es sich von daher leisten. Mike sagt, er liebt die Freiheit und mag es, tun und lassen zu können was er will.« Klingt nach Alex, dachte ich.

Ich fand es schon komisch, dass ein Zwanzigjähriger um die Welt zog und das auch noch alleine. »Auf der Fahrt hast du ja genug Zeit, ihn auszuquetschen«, holte mich Tina aus meinen Gedanken zurück. »Mach dir keine Gedanken. Er ist in Ordnung. Du weißt doch, Mike lässt nicht jeden in sein Auto«, sie lachte laut auf. »Er hat eine gute Menschenkenntnis.« Dein Wort in Gottes Ohr, dachte ich. »Zelte und Schlafsäcke haben wir auch genug«, nuschelte sie. »Du brauchst also nichts mehr besorgen. Das Einzige, was du mitbringen solltest, ist gute Laune.«

»Ist gut«, gab ich betont lässig zurück. Das war schon mehr als eine Herausforderung.

»Wir sehen uns ja morgen in der Schule«, unterbrach sie mich schnell. »Ich muss jetzt meine Mutter von der Arbeit abholen. Sie will mit mir noch ein neues Strandoutfit kaufen gehen. Wir sehen uns ja morgen.« »Ja, ich komme dann zur …« Den Satz konnte ich nicht zu Ende bringen. Tina hatte schon aufgelegt. Das ist ein Wirbelwind, dachte ich.

Ich kam ins Grübeln. Wirklich viel wusste ich ja jetzt immer noch nicht über Jonathan. Na ja, immerhin hatte er die Highschool beendet. Meine Mutter würde mir nie erlauben, alleine um die Welt zu reisen, auch nicht, wenn ich schon zwanzig Jahre alt wäre. Er ist bestimmt eher so der Einzelgänger. Also eigentlich wie ich. Er scheint auch die Ruhe zu mögen. Es half nichts, wenn ich wirklich etwas über Jonathan herausfinden wollte, müsste ich ihn wohl wirklich auf der Fahrt selber fragen. Klar war für mich auch, dass ich mir mit Sicherheit kein Zelt mit ihm teilen würde. Sollen sich die Jungs ein Zelt nehmen und ich eins mit Tina. Aber das würde schon klappen. Ich überlegte mir, ob ich mir auch einen neuen Badeanzug kaufen sollte. Meiner war nicht mehr ganz so aktuell. Die Farben waren auch schon recht verblasst.

Gegen Abend stand mir eine sehr unangenehme Aufgabe bevor, ich musste mich bei Alex entschuldigen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und ging hinunter in den ersten Stock. Zögernd klingelte ich bei dem Namensschild Fuller. Nervös wartete ich, bis jemand die Tür öffnete. Alex’ Mutter Cathrine öffnete sie mir. Sie hatte eine Schürze umgebunden und einen Kochlöffel in der rechten Hand. Anscheinend war sie wohl gerade am Kochen. Sie hatte schöne, glänzende, dicke, lange, schwarze Haare. Die ihr glatt herunter fielen. Schöne, große, braune Augen. Sie war etwas kräftiger gebaut. Das lag aber daran, dass sie im sechsten Monat schwanger war. Sie erwartete noch einen Jungen. Durch die Schwangerschaft hatte sie eine schöne, strahlende Haut und ihr Lächeln sprach Bände. Einen Monat wollte sie noch arbeiten, bevor sie in den Schwangerschaftsurlaub gehen wollte. Sie vermied jedes Risiko. Die Schwangerschaft damals mit Alex war wohl nicht einfach gewesen. Dass sie noch einmal schwanger wurde, war nicht geplant gewesen, aber sie freuten sich alle auf das Baby.

Sie strahlte mich an. »Hallo, Susan, was treibt dich denn hierher?« »Ich wollte zu Alex, ist er da?«, fragte ich. »Nein, er war eben nur kurz zu Hause, hat sich sein Fahrrad geschnappt, und ist dann wie der Teufel losgefahren. Er war nicht besonders gut drauf.«

Mist, dachte ich. Wenn ihm etwas passieren würde, wäre das meine Schuld gewesen. Ich kannte ihn, wenn er auf einhundertundachtzig war. Dann ist er sehr waghalsig und unaufmerksam. »Okay, danke«, gab ich zurück. »Können Sie ihm vielleicht Bescheid sagen, dass ich da war und ob er sich mal bitte bei mir melden könnte?« »Sicher. Sobald er nach Hause kommt, sag ich ihm Bescheid.« »Vielen Dank.«

Ich ging wieder die Treppe rauf in unsere Wohnung. Kurzerhand beschloss ich, ihn auf seinem Handy anzurufen, aber nur die Mailbox antwortete. Also blieb mir nur zu hoffen, dass er sich melden würde, sobald er wieder zu Hause war. Dann kam meine Mutter nach Hause. Sie war völlig geschafft von der Arbeit. »Hallo, Kleine«, begrüßte sie mich. »Wie war dein Tag?« »Ging so«, gab ich zurück. »Ich mache gleich etwas zu Essen. Aber erst einmal gehe ich in die Badewanne, ich bin völlig erschöpft.« »Kein Problem«, sagte ich. »Ich kann ja auch kochen. Schmeckt dann zwar nicht so gut, wie bei dir, aber der Wille zählt.« Sie lachte. »Wenn du möchtest, kannst du gerne kochen.« Sie verschwand ins Bad.

Ich kochte Kartoffeln, dünstete Gemüse und bereitete ein paar Spareribs zu. Laut meiner Mutter ist an mir eine Köchin vorübergegangen. Ich erzählte ihr von unserer Fahrt. Sie war begeistert, dass ich die Reise wirklich machen wollte, hatte aber wegen des Zeltens leichte bedenken. Schließlich konnte ich sie doch davon überzeugen, dass wir bei Mike und Jonathan in sicheren Händen waren, das hoffte ich zumindest. Sie gab mir fünfzig Dollar, damit ich mir am nächsten Tag einen neuen Badeanzug kaufen konnte. Sie war einfach die Beste.

Am nächsten Tag machte ich nach der Schule einen gemütlichen Stadtbummel. Der Unterricht war schnell vorbei gewesen und Tina hatte heute Training. Sie spielte für ihr Leben gerne Tennis und hatte einmal die Woche Unterricht. Ständig ertappte ich mich dabei, wie ich auf mein Handy schaute. Alex hatte sich bisher noch nicht gemeldet. Es wird aber nichts passiert sein, das hätten mir seine Eltern erzählt. Seine Mutter hatte ihm bestimmt Bescheid gesagt, dass ich da war. Also wollte er einfach nicht mit mir reden. Kurz überlegte ich, ihm eine SMS zu schreiben. Ließ es aber dann doch bleiben. Ich traute mich nicht. Nun hoffte ich einfach, dass er sich bald melden würde.

So wirklich erfolgreich war ich nicht bei meinem Stadtbummel. Als ich abends nach Hause kam, hatte ich nur ein neues, schwarzes Oberteil in meiner Einkaufstüte. Einen schönen Badeanzug hatte ich nicht gefunden. Ich begutachtete mein neues Oberteil. Schon wieder schwarz, grübelte ich. Ich trug überwiegend schwarz. Passend zu meiner Stimmung. Tina wollte mir schon oft ein paar Kleidungsstücke von sich aufzwingen, damit ich nicht immer so depressiv rumlief, wie sie es beschrieb.

Die meisten Mädchen in meinem Alter behaupteten immer, dass eine Shoppingtour wahre Wunder vollbringen würde, wenn man schlecht gelaunt war. Aber bei mir war es leider nicht der Fall. Im Gegenteil, es frustrierte mich noch mehr, weil ich nicht wirklich was gefunden hatte. Aber ich war sowieso anders als normale Mädchen. Ich hatte nicht nur Jungs und Schminke im Kopf, für mich gab es wichtigere Dinge. Achtlos warf ich das neue Oberteil zu meinen anderen Sachen in den Schrank. Ich schaute erneut auf mein Handy, immer noch keine SMS von Alex.

Eine unheimliche Begegnung

Die restliche Woche verging wie im Flug. Inklusive Albträumen und Tinas euphorischer Stimmung wegen des Urlaubs. Der letzte Schultag war schnell vorbei.

Als alle Schüler begeistert die Schule verließen und sich auf zwölf schulfreie Wochen freuten, ging ich eher schleppend aus dem Schulgebäude. Wir hatten vor, am Montag recht früh morgens loszufahren. Noch zwei Tage. Dann ist es vorbei mit meiner Ruhe.

Tina war mir nicht böse, als ich ihr sagte, dass ich das Wochenende eher alleine verbringen wollte, um zu packen und noch ein bisschen meine Ruhe zu haben. Sie wusste, dass es eigentlich gar nicht mein Ding war, ständig mit anderen Leuten zusammen zu sein. Wie viel Überwindung mich das kostete. Aber ich hatte mir ja vorgenommen, mich zu ändern und das gehörte nun mal dazu. »Wird schon werden«, sagte sie mir noch aufbauend nach Unterrichtsschluss. Dann sprang sie zu Mike ins Auto. Sie fragte noch, ob sie mich nach Hause fahren sollten, aber ich hatte noch vor, ein bisschen spazieren zu gehen.

Wie automatisch lief ich Richtung Wald. Ich steuerte gerade meine Lichtung an, als mich ein Geräusch aus meinen Gedanken riss. Erschrocken drehte ich mich um. Doch da war niemand. Ich war etwas verunsichert, lief aber dennoch weiter. Wieder dieses Geräusch. Es war so eine Art Atmen, als stände jemand direkt hinter mir. Doch es war weit und breit niemand zu sehen. Dann, ganz plötzlich, wie aus dem Nichts und ganz deutlich, hörte ich sie wieder, Jonathans Stimme. Wieder nahm ich sie nur in meinem Kopf wahr. »Hast du Angst?« Vor Schreck ließ ich meinen Rucksack fallen und lief nach Hause. Den Rucksack ließ ich liegen. Der war mir jetzt völlig egal. Dass alles erinnerte mich an meine Albträume. Der Unterschied war nur, dass es nicht dunkel war und mich nichts gepackt hatte … Noch nicht. Doch darüber wollte ich gar nicht nachdenken.

Ich rannte und rannte und wäre fast mit Misses Timer im Treppenhaus zusammengestoßen. Verärgert tadelte sie mich, aber das interessierte mich nicht. Erst, als ich in meinem Zimmer war, kam ich zur Ruhe. Schnell schloss ich mich ein und setzte mich mit eingezogenen Beinen auf mein Bett. Ich versuchte, ruhig zu atmen, zitterte aber am ganzen Körper, ich war völlig aufgewühlt. Gerade, als ich mich etwas gesammelt hatte, klingelte es an der Haustür. Erschrocken fuhr ich zusammen. Ich überlegte, ob ich öffnen oder doch lieber in meinem Zimmer bleiben sollte. Von meinem Fenster aus hatte man Sicht auf die Straße. Ich schaute vorsichtig aus dem Fenster. Unten auf dem Bürgersteig stand Alex, mit Fahrrad und meinem Rucksack in seiner Hand. Beruhigt atmete ich durch. Ich schloss mein Zimmer auf und öffnete die Wohnungstür. Kurz darauf hörte ich Alex die Treppe hochlaufen.

»Was ist los?«, fragte er mich, als er mich verängstigt an der Tür stehen sah. »Ich war gerade mit dem Fahrrad im Wald unterwegs gewesen, als ich dich gesehen habe. Du hattest vor irgendwas tierische Angst bekommen und bist weggerannt. Dabei hast du deinen Rucksack verloren. Ich habe dich noch gerufen, aber du hast mich nicht gehört.« Besorgt musterte er mich. »Also, was war los?« »Ach, nichts Besonderes«, gab ich zurück. »Ich hatte ein Geräusch gehört und hatte Angst, dass es ein Wolf sein könnte, oder so.« »Ein Wolf?« Skeptisch sah er mich an. »Gibt es die bei uns überhaupt?« »Keine Ahnung«, ich zuckte mit den Schultern. »Aber sonst geht es dir gut?«, fragte er noch mal. »Ja«, gab ich leise zurück. »Bin wohl nur etwas übermüdet. Ich schlaf nicht so gut in letzter Zeit.« »Okay«, erwiderte er. »Wenn was ist, weißt du ja, wo du mich finden kannst.«

Er wollte gerade gehen da rief ich ihm zu: »Bist du nicht mehr sauer auf mich?«

Er drehte sich zu mir um. »Nein«, gab er achselzuckend zurück. »Du bist ein Mädchen, die sind öfter mal launisch«, er grinste. Sein Lächeln war ansteckend und so grinste ich zurück. »Okay, das ist schön.« »Wir sehen uns«, sagte er und lief wieder nach draußen, wo sein Rad stand.

Langsam ging ich zurück in mein Zimmer. Das alles musste ich erst einmal verarbeiten. Ich hatte eindeutig Jonathans Stimme in meinem Kopf gehört. Es war seine. Oder? Ich hatte sie ja noch nicht so oft gehört, aber ich war mir eigentlich sicher. Was hatte das zu bedeuten? Warum hörte ich Jonathans Stimme? Das musste ich unbedingt herausfinden. Na immerhin ist Alex nicht mehr sauer auf mich, dachte ich. Kurzerhand schrieb ich ihm eine SMS: Danke, dass du meinen Rucksack gerettet hast und dass du mich noch ein bisschen leiden kannst. Dahinter ein Smiley. Nach fünf Minuten schrieb er zurück: Ja, so bin ich nun mal, ein echter Gentleman. Ich musste grinsen. Meine Mutter würde jetzt sagen: »Siehst du, Susan, alles Schlechte hat auch seine Vorteile.«

Das Wochenende ging schnell vorbei. Samstag war ich überwiegend mit packen beschäftigt. Dann rief ich meinen Vater noch an. Ich sagte ihm, dass wir am Montag früh losfahren wollten und spätestens Dienstag im Laufe des Tages, wenn