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Weltweit sind rund 537 Millionen Menschen von Diabetes betroffen, davon rund 61 Millionen in Europa und etwa 600.000 in Österreich. Durch die zunehmende Verbreitung von Übergewicht und Adipositas wird mit einem weiteren Anstieg gerechnet. Das Gefährliche an Diabetes: Er entwickelt sich schleichend und wird oft erst dann erkannt, wenn bereits schwere Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Nierenschäden eingetreten sind.
Die großen Fortschritte der vergangenen Jahre insbesondere in der medikamentösen Therapie der Erkrankung veranlassten Alexandra Kautzky-Willer und Yvonne Winhofer, Diabetes-Spezialistinnen an der Medizinischen Universität Wien, zu einer zweiten Auflage ihres Ratgebers. Das Buch vermittelt gesichertes und aktuelles Wissen über die Erkrankung und enthält
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Seitenzahl: 154
Diabetes
DIABETES
Vorsorgen, rechtzeitig erkennen und richtig behandeln
von
Alexandra Kautzky-Willer
und
Yvonne Winhofer
2. Auflage
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr; eine Haftung der Autorinnen sowie des Verlages ist ausgeschlossen.
ISBN 978-3-214-25958-7
ISBN 978-3-214-25960-0 (E-Book PDF)
ISBN 978-3-214-25959-4 (E-Book ePUB)
© 2024 MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH, Wien
Telefon: (01) 531 61-0
E-Mail: [email protected]
www.manz.at
Layout und Satz: www.petryundschwamb.com
Druck: FINIDR, s.r.o., Česky Těšin
INHALT
Vorwort
Die Autorinnen
DIABETES – WAS IST DAS?
Definition und Kurzbeschreibung
Diabetes verstehen – Begriffserklärungen
Glukose
Insulin
Kontrainsulinäre Hormone
Pankreas (= die Bauchspeicheldrüse)
Diabetesformen und Klassifikationen
Diabetes mellitus Typ 1
Diabetes mellitus Typ 2
Gestationsdiabetes
Andere spezifische Diabetesformen
WIE ENTSTEHT DIABETES?
Insulinresistenz
Wie entsteht eine Insulinresistenz?
Sekretionsdefekt
Die individuelle Fettgrenze – eine neue Hypothese
Übergewicht und Bewegungsmangel
Woher kommt die überschüssige Energie?
HÄUFIGKEIT VON DIABETES
Volkskrankheit Diabetes – Häufigkeit und Verteilung in Österreich
BIN ICH GEFÄHRDET?
Risikogruppen
Metabolisches Syndrom
Symptome
Vererbung
Prädiabetes
WIE KANN ICH VORBEUGEN?
Lebensstilmodifikationen
Bewegung und körperliche Aktivität
Gewichtsreduktion
Ernährungsumstellung
Medikamentöse Diabetesprävention
WIE WIRD DIABETES FESTGESTELLT?
Messung des Blutzuckers über eine Blutabnahme
HbA1c
Zuckerbelastungstest
WIE WIRD DIABETES BEHANDELT?
Allgemeinmaßnahmen
Ihr Beitrag zur Therapie
Diabetesberatung
Steigerung der körperlichen Aktivität
Steigerung der körperlichen Aktivität im Alltag
Ausdauertraining
Krafttraining
Wann müssen Menschen mit Diabetes bei Sport vorsichtig sein?
Ernährung bei Diabetes
Richtige Ernährung – Welche Ziele sollen erreicht werden?
Der Bauchumfang (Taillenumfang)
Testen Sie sich selbst
Ziel 1: Lebensmittel für die positive Beeinflussung des Zuckerstoffwechsels nutzen
Trinken Sie ausreichend!
Häufigkeit der Mahlzeiten
Ziel 2: Normalisiertes Körpergewicht
Die „Morgen“- und die „Wenn-Dann“-Diät
Normalisierung durch Veränderung
Rauchverzicht
MEDIKAMENTÖSE THERAPIE
Orale Antidiabetika (OAD)
Metformin
SGLT-2-Hemmer – Die Superstars der Diabetestherapie
Sulfonylharnstoffe
Pioglitazon
DPP-4-Hemmer
Injizierbare Therapien
Inkretinbasierte Therapien
Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes
Sekundärversagen
Vorübergehende Insulintherapie
Kurzwirksame Insuline
Langwirksame Insuline
Mischinsulin
Wie wird Insulin verabreicht?
Formen der Insulintherapie
Basalinsulintherapie
Konventionelle Insulintherapie
Konventionell-intensivierte Insulintherapie
Funktionelle Insulintherapie (FIT)
Insulinpumpentherapie
Automatisierte Insulintherapie (AID), „Künstliche Bauchspeicheldrüse“ (Hybrid-Closed-Loop-Systeme)
Nebenwirkungen der Insulintherapie
ERFOLG DER DIABETESTHERAPIE
HbA1c
Blutzuckerselbstmessung
Kontinuierliche Zuckermessung mittels CGMS
Erfassung von Akut- und Spätkomplikationen
ZIELWERTE BEI DER DIABETESTHERAPIE
HbA1c
Blutzuckerwerte zur Erreichung des HbA1c-Ziels
Weitere Therapieziele
Bluthochdruck
Blutfette
Screening auf Spätkomplikationen
DIABETES – WARUM IST DAS GEFÄHRLICH?
Diabetische Gefäßerkrankungen an den kleinen Gefäßen (Mikrovaskuläre Komplikationen)
Augenerkrankungen
Diabetische Nierenerkrankungen
Nervenschädigung (Neuropathie)
Was kann man bei diabetischer Neuropathie tun?
Erkrankungen großer Blutgefäße (Makrovaskuläre Erkrankungen)
Kann man Gefäßerkrankungen früh erkennen und behandeln?
Herzinsuffizienz
Sexualstörungen bei Zuckerkrankheit
Depression
DIABETES UND SCHWANGERSCHAFT
Wenn der Diabetes bereits vor der Schwangerschaft bekannt ist
Wenn ein Schwangerschaftsdiabetes entdeckt wird
Empfehlungen und Maßnahmen bei Schwangerschaftsdiabetes
Für alle Schwangeren gilt
SONDERTHEMEN BEI DIABETES
Was mache ich bei einem grippalen Infekt oder bei Entzündungsherden?
Was muss ich tun, wenn ich eine Cortisontherapie benötige?
Worauf ist bei Flugreisen zu achten, wenn ich Insulin spritzen muss?
Was mache ich bei Erbrechen oder Nahrungskarenz?
Was ist bei einer Operation zu beachten?
Was ist bei körperlicher Aktivität, Bewegung und Sport zu beachten?
Geschlechtsspezifische Aspekte
Welches Krebsrisiko haben Menschen mit Diabetes?
Welche Impfungen sind für mich wichtig?
ROUTINE-CHECK-UPS UND LEBENSSTIL
Literatur
Bildnachweis
Stichwortverzeichnis
VORWORT
Acht Jahre nach der Erstauflage dieses Ratgebers ist eine Aktualisierung mehr als notwendig. Viel hat sich inzwischen getan! Die vergangenen zehn Jahre waren in der Diabetologie gekennzeichnet von bahnbrechenden Innovationen: So gibt es inzwischen neue medikamentöse Therapien mit geringem Nebenwirkungspotenzial und positiven Zusatzeffekten sowie technologische Neuerungen in der Blutzuckermessung und Insulintherapie.
Nicht geändert hat sich, dass in Österreich fast jede:r Zehnte von Diabetes betroffen ist. Vor allem durch den Anstieg der Lebenserwartung und die Häufung von Adipositas ist von einer weiteren Zunahme auszugehen. Diabetes stellt für die betroffenen Menschen eine große Herausforderung dar, da die Erkrankung mit einer schlechteren Lebensqualität sowie körperlichen und seelischen Problemen verbunden sein kann. Das betrifft den Alltag, das Familienleben, das Sexual- und das Berufsleben.
Dabei ist es gerade beim Typ-2-Diabetes möglich, die Entstehung der Erkrankung hinauszuzögern oder zu verhindern. Zumindest könnten viele beeinträchtigende Komplikationen, die sogar bis zum Verlust des Sehvermögens oder der Nierenfunktion führen können, verhindert oder vermindert werden. Der beste Umgang mit einer chronischen Erkrankung ist zu lernen, gut damit zu leben.
Die weltweit und auch in Österreich steigende Zahl von Neuerkrankungen, die Fortschritte in der Therapie und vor allem die zahlreichen Fragen der von uns betreuten Personen haben uns dazu bewegt, diesen Ratgeber zu aktualisieren und neu aufzulegen.
Ziel des Buches ist es, Sie dabei zu unterstützen, Ihr individuelles Erkrankungsrisiko deutlich zu reduzieren. Oder – falls Sie bereits erkrankt sind – Ihnen dabei zu helfen, möglichst lange gut und zufrieden mit der Erkrankung leben zu können. Dazu sind Wissen, Kompetenz und Wille notwendig: Wer seine Erkrankung kennt, wird es leichter mit ihr aufnehmen können!
Was Sie dazu brauchen, finden Sie in diesem Buch: Auf eine einleitende kurze Beschreibung der Erkrankung Diabetes folgen Begriffserklärungen, die Ihnen dabei helfen werden, die Entstehungsmechanismen von Diabetes zu verstehen und gleichzeitig zu erkennen, warum Sie mit ganz einfachen Maßnahmen die Entstehung der Erkrankung verzögern bzw. den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen können. Sie erfahren mehr zu den aktuellen Behandlungsmöglichkeiten sowie zu Kontrollen, Zielwerten und begleitenden Maßnahmen zur Diabetestherapie. Das wichtigste Ziel der Diabetestherapie – am besten unter Aufrechterhaltung einer guten Lebensqualität – ist die Verhinderung von Akut- und Spätkomplikationen, über die Sie ebenfalls detaillierte Informationen erhalten.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und vor allem Freude bei der Beschäftigung mit diesem wichtigen Thema! Diabetes ist nicht Ihr Feind. Verbünden Sie sich mit der Erkrankung und profitieren Sie von einer besseren Überwachung Ihres Gesundheitszustandes und von einer dadurch verbesserten Früherkennung möglicher Gefahren!
Danksagung
Wir möchten uns bei jenen Kolleg:innen bedanken, deren Expertise in diesen Ratgeber mit eingeflossen ist: Priv.-Doz.in Dr.in Karin Schindler und Mag.a Eva-Maria Hölzel (Ernährung bei Diabetes), Dr. Christian Lackinger (Bewegung) sowie ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Stulnig (Blutfette).
DIE AUTORINNEN
Alexandra Kautzky-Willer
übernahm 2010 an der MedUni Wien die erste Professur für Gender Medicine in Österreich. Sie ist Expertin auf dem Gebiet Endokrinologie und Stoffwechsel, bei denen geschlechtsspezifische Unterschiede besonders auffällig sind. Nach Promotion und Abschluss der Facharztausbildung „Innere Medizin“ habilitierte sie sich 1997 an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien (heute MedUni Wien). Ab 2002 war sie Leiterin der Diabetes-, Lipid- und Adipositas-Ambulanz, seit 2010 ist sie Leiterin der Gender Medicine Unit und weiters Leiterin der Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel und im Leitungsteam der Universitätsklinik für Innere Medizin III der MedUni Wien. Seit 2024 leitet sie auch die Arbeitsgruppe Diabetes und Adipositas der Europäischen Gesellschaft für Innere Medizin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Diabetes im Allgemeinen, Adipositas, Erkrankungen des Fettstoffwechsels und des Herz-Kreislauf-Systems in Zusammenhang mit Stoffwechselstörungen, Schwangerschaftsdiabetes und Diabetes Typ 1 und 2 und Schwangerschaft sowie insbesondere auch geschlechtsspezifische Aspekte bei hormonellen und Stoffwechselerkrankungen.
Yvonne Winhofer
absolvierte das Studium der Humanmedizin in Wien und Heidelberg sowie im Anschluss daran das PhD-Studium an der Medizinischen Universität Wien. Seit 2015 ist sie Fachärztin sowie habilitiert für das Fach Innere Medizin. Sie forscht an der Universitätsklinik für Innere Medizin III der MedUni Wien. Ihre klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte sind Diabetes, Adipositas, Cholesterin- und Lipidstoffwechsel sowie Technologie und Schwangerschaft bei Typ-1-Diabetes. Seit 2019 deckt sie als Medizin-Expertin der ORF-Sendung „Fakt oder Fake“ Medizinmythen auf.
DIABETES – WAS IST DAS?
Abb. 1: 61 Millionen Menschen leiden europaweit an Diabetes, jede:r Zehnte über 25 Jahre bekommt im weiteren Lebensverlauf Diabetes mellitus (Typ 2).
In diesem Kapitel finden Sie eine Definition sowie eine kurze Beschreibung von Diabetes. Um die Erkrankung Diabetes zu verstehen, sollte man sich einige Begriffe des Zuckerstoffwechsels aneignen, die im Folgenden leicht verständlich erklärt werden.
Diabetes ist nicht gleich Diabetes! Man unterscheidet verschiedene Formen, die sich vor allem durch ihre Pathophysiologie, also die Entstehungsmechanismen der Erkrankung, und in weiterer Folge auch in der Behandlung unterscheiden. Neue Untersuchungen machen aber deutlich, dass es noch mehr Untergruppen gibt, die in der individuellen Therapie berücksichtigt werden sollen.
Da Typ-2-Diabetes die weitaus häufigste Diabetesform darstellt (> 90 % aller Menschen mit Diabetes sind vom Typ 2 betroffen), setzt dieser Ratgeber einen entsprechenden Schwerpunkt und bezieht sich mit seinen Empfehlungen vor allem auf diese Diabetesform. Ist von einer anderen Diabetesform die Rede, wird explizit darauf hingewiesen.
DEFINITION UND KURZBESCHREIBUNG
Diabetes mellitus bezeichnet eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, deren gemeinsames Merkmal die chronische Hyperglykämie darstellt. Unter Hyperglykämie versteht man erhöhte Zuckerkonzentrationen im Blut, also hohen Blutzucker.
Abb. 2: Das HbA1c (Hämoglobin A1c) ist ein verlässlicher Indikator, ob ein Diabetes vorliegt. Weitere Informationen zum HbA1c-Wert finden Sie im Kapitel „HbA1c“ auf Seite 114.
Der Begriff Diabetes mellitus setzt sich aus dem griechischen Wort für „Durchfluss“ und dem lateinischen Wort mellitus für „honigsüß“ zusammen und bedeutet somit übersetzt „honigsüßer Durchfluss“. Diese Bezeichnung stammt von der ältesten Diagnosemöglichkeit des Diabetes mellitus, bei der Ärzt:innen die Diagnose über eine Geschmacksprobe des Urins stellten. Da es bei Diabetes mellitus zu einer ausgeprägten Ausscheidung von Zucker über den Harn kommt, ist der Zuckergehalt im Harn hoch und der Urin somit süßlich. Interessanterweise macht sich gerade diesen Mechanismus, der früher zur Diagnose verwendet wurde – also, dass ein Überschuss an Blutzucker über den Harn ausgeschieden werden kann –, eine wichtige Medikamentenklasse in der Diabetestherapie zu Nutze, die sogenannten SGLT2-Hemmer. Über eine vermehrte Harnausscheidung wird so der Blutzucker weiter gesenkt.
Umgangssprachlich wird der Diabetes mellitus als „Zuckerkrankheit“ bezeichnet, was ganz gut beschreibt, dass der ständig erhöhte Blutzucker nicht nur das Krankheitsmerkmal, sondern auch die Ursache der zahlreichen Begleiterkrankungen darstellt. Allerdings ist es wichtig, immer vor Augen zu haben, dass neben den Blutzuckerwerten weitere wesentliche Parameter kontrolliert werden müssen, die gemeinsam mit der Hyperglykämie das Risiko für Folgekrankheiten bestimmen: LDL-Cholesterin, Blutdruck und Gewicht.
Diabetes mellitus beschreibt eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, deren gemeinsames Merkmal der hohe Blutzucker ist, wobei die Ursachen ganz unterschiedlich sein können.
Diese Begleiterkrankungen oder diabetischen Folgeerkrankungen sind auch der Grund, warum eine frühzeitige Diagnose und Therapie angestrebt werden. Der chronisch erhöhte Blutzuckerspiegel verursacht zwar keine Schmerzen, führt aber langfristig zu einer Schädigung der kleinen (diabetische Mikroangiopathie bzw. mikrovaskuläre Komplikationen) und großen (diabetische Makroangiopathie bzw. makrovaskuläre Komplikationen) Blutgefäße sowie der Nerven (diabetische Polyneuropathie). Die Folgen sind Augen- und Nierenschäden bis hin zum Nierenversagen und die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie (Dialyse, Transplantation) sowie offene Wunden an den Füßen, die sich über das gesamte Bein erstrecken können und nicht selten mit einer Amputation enden. Zudem haben Menschen mit Diabetes ein ausgesprochen hohes Risiko für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Herzschwäche und pAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit).
Neben diesen klassischen Begleiterkrankungen kann auch das Risiko für psychische Krankheiten wie Essstörungen, Angststörungen und Depressionen, aber auch für manche Krebserkrankungen, vor allem in Zusammenhang mit Adipositas, erhöht sein.
Diese negativen Szenarien können verhindert werden, indem man die chronische Hyperglykämie in den Griff bekommt und versucht, den Blutzucker so gut wie möglich in den Zielbereich zu bringen. Dasselbe gilt für Bluthochdruck, hohe Blutfette und Übergewicht!
Denn all diese Faktoren haben eines gemeinsam: Verursachen sie auch jahrelang keine Beschwerden, schädigen sie doch still und heimlich unsere wichtigsten Organe und führen zu einer deutlich verminderten Lebensqualität sowie letztendlich zum vorzeitigen Tod.
Abb. 3: Blutgefäß mit Ablagerungen – sogenannten Plaques – aufgrund von Diabetes mellitus oder ungünstigen Blutfettwerten. Werden die Plaques größer, verengen sie das Gefäßlumen und die Durchblutung wird schlechter, Folgen sind Herzinfarkt und Schlaganfall.
Dieser Ratgeber umfasst sämtliche Hintergründe, Vorbeugemaßnahmen und Therapiemöglichkeiten, die Ihnen als direkt Betroffene:r und/oder Angehörige:r helfen werden, die Volkskrankheit Diabetes zu verstehen und den Alltag mit Diabetes zu meistern.
DIABETES VERSTEHEN – BEGRIFFSERKLÄRUNGEN
Wer sich mit dem Thema Diabetes mellitus auseinandersetzt, kommt nicht umhin, sich einige Begriffe des Zuckerstoffwechsels anzueignen. Dazu gehören
• die Glukose,
• die Hormone des Glukosestoffwechsels
• und nicht zuletzt das Pankreas, die Bauchspeicheldrüse.
GLUKOSE
Abb. 4: Die durch die Nahrungsaufnahme freigesetzte Glukose bewirkt eine Insulinausschüttung aus der Bauchspeicheldrüse. Sowohl Glukose als auch Insulin werden über das Blut zu den Organen transportiert, wo Insulin Glukose in die Zellen befördert.
Glukose steht für Zucker und ist aus chemischer Sicht nichts anderes als der bekannte Traubenzucker. Vom Begriff der Glukose leiten sich weitere Begriffe wie die Hyperglykämie (zu hoher Blutzucker) und die Hypoglykämie (zu niedriger Blutzucker) ab, wobei die Endung „-ämie“ dafür steht, dass sich etwas „im Blut“ befindet. Glukose gehört als Einfachzucker zur Gruppe der Kohlenhydrate, die neben Fett und Eiweiß die wichtigsten Energielieferanten unseres Körpers sind. Sämtliche Organe brauchen Glukose zur Energiegewinnung, vor allem unser Gehirn ist von der Glukosezufuhr abhängig.
Mit Blutglukose – oder Blutzucker – ist der im Blut befindliche Zucker gemeint, der nach Aufnahme über den Darm zu den Zielorganen weitertransportiert wird. Die Blutglukosekonzentration wird bei gesunden Menschen durch die Ausschüttung verschiedener Hormone in einem konstanten Bereich um die 100 mg/dl gehalten, nur in Ausnahmefällen erreichen die Werte 70–180 mg/dl, z. B. nach langem Fasten oder zu hoher Kohlenhydratzufuhr.
Nüchternglukose
Im Nüchtern-Zustand (Fasten) wird unser Blutzucker durch die sogenannten kontrainsulinären Hormone konstant auf 70–99 mg/dl gehalten, wobei bereits Werte im oberen Normbereich ein höheres Diabetesrisiko darstellen. Niedrigere Werte sind, solange sie keine Symptome hervorrufen, unbedenklich. Symptomatische Unterzuckerungen gibt es vor allem im Rahmen blutzuckersenkender Therapien oder durch einen Insulinproduzierenden Tumor, der aber extrem selten vorkommt. Die kontrainsulinären Hormone sorgen dafür, dass – auch wenn wir einige Zeit nichts essen – genügend Glukose zur Energiegewinnung zur Verfügung steht. Dies gelingt ihnen dadurch, dass sie Zucker aus Speicherquellen freisetzen und die Leber zur Neubildung von Zucker aus gespeicherten Vorstufen anregen. Letzteres wird als Glukoneogenese, also Neubildung von Glukose, bezeichnet.
Mit dem Begriff „Fasten“ wird in der Medizin ein Zeitraum bezeichnet, in dem nicht gegessen wird, z. B. die Nacht. Dieser Zeitraum beginnt dann, wenn die Mahlzeit davor bereits verdaut ist und der Körper auf Reserven zurückgreift.
Postprandiale Glukose
Mit der Aufnahme von Nahrung, vor allem von Kohlenhydraten, steigt der Blutzuckerspiegel rasch an, was die Freisetzung von Insulin stimuliert. Insulin schleust den Blutzucker in die Zelle ein, wo er als Energielieferant benötigt wird. Die Hauptzielorte der Insulinwirkung sind die Leber und die Muskulatur. Das Gehirn, rote Blutkörperchen sowie das Nierenmark können die Glukose auch ohne die Hilfe des Insulins aufnehmen. Wird Glukose aus dem Blut in die Zellen aufgenommen, steigt dessen Konzentration in der Zelle an und fällt im Blut ab, wodurch der Blutzuckerspiegel sinkt.
INSULIN
Insulin ist das blutzuckersenkende Hormon (= Botenstoff) unseres Körpers. Es wird in den sogenannten Langerhans- oder Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse gebildet und wie andere Hormone in die Blutbahn abgegeben. Über das Blut gelangt es an sämtliche Organe/Zellen unseres Körpers, wo es seine Aufgabe als Botenstoff wahrnimmt. Die Hauptaufgabe des Insulins ist es, die „Tore der Zellen“ zu öffnen, damit die Glukose – also der Zucker – aus dem Blut in die Zelle aufgenommen werden kann. Dort wird sie als Energielieferant benötigt. Steht der Zelle genügend Zucker zur Verfügung und wird dieser momentan nicht gebraucht, wird er gespeichert. Verschwindet der Zucker aus dem Blut in die Zelle, sinkt die Blutzuckerkonzentration. Fehlt Insulin oder ist seine Wirkung herabgesetzt, besteht ein Insulinmangel. Als Folge davon bleibt der Zucker im Blut und seine Konzentration steigt an. Es kommt zur sogenannten Hyperglykämie.
Aufgaben des Insulins:
• Aufnahme von Glukose in die Zelle
• bremst den Abbau der Zuckerspeicher
• fördert den Aufbau der Zuckerspeicher
• hemmt den Fettabbau
• spielt eine Rolle bei der Appetitregulation
• Wachstumsfaktor (Aufbau von Muskel- und Fettgewebe)
Insulin wird in hormonproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse (Beta-Zellen) gebildet und führt zur Aufnahme des Zuckers aus dem Blut in die Zellen, wodurch es zur Normalisierung der Blutzuckerkonzentration kommt. Es ist das blutzuckersenkende Hormon unseres Körpers. Darüber hinaus erfüllt Insulin auch wichtige Funktionen im Eiweiß- und Fettstoffwechsel.
KONTRAINSULINÄRE HORMONE
Insulin hat zahlreiche Gegenspieler, deren Ziel es ist, den Blutzucker zu erhöhen, wenn der Körper Energie in Form von Glukose braucht. Dies geschieht dann, wenn wir keine Nahrung zu uns nehmen, z. B. in der Nacht, aber auch in Situationen mit erhöhtem Energiebedarf, z. B. in Stresssituationen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Stresshormone wie die Katecholamine (Adrenalin, Noradrenalin) und Cortisol neben Wachstumshormon und Glukagon wichtige kontrainsulinäre (blutzuckersteigernde) Hormone darstellen.
Zu den kontrainsulinären Hormonen zählen:
•Glukagon wird wie Insulin in hormonproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse (den sogenannten Alpha-Zellen) gebildet und führt zu einer Freisetzung von Glukose aus den Zuckerspeichern der Leber, stimuliert die Neubildung von Glukose aus Vorstufen und hemmt die Ausschüttung von Insulin, sodass der Zuckerspiegel nicht wieder fällt.
Wichtig: Deshalb wird im Fall einer schweren Unterzuckerung auch Glukagon notfallmäßig unter die Haut oder in den Muskel gespritzt oder als Nasenspray verabreicht. Alle Menschen mit insulinpflichtigem Diabetes und deren Angehörige sollten über den richtigen Gebrauch informiert sein. Zudem werden aktuell Medikamente getestet, die auch Glukagon-Rezeptoren stimulieren und beim Abnehmen helfen.
•Katecholamine (Adrenalin, Noradrenalin) sind Stresshormone, die im Nebennierenmark gebildet werden.
•Cortisol wird in der Nebennierenrinde gebildet und erfüllt zahlreiche Aufgaben im Körper. Neben seiner blutzuckerhebenden (kontrainsulinären) Wirkung hat es auch einen ausgesprochen immunsuppressiven Effekt, der in der Medizin oft ausgenützt wird. So wird es bei überschießenden Reaktionen des Immunsystems und zur Verhinderung einer Abstoßung von Organtransplantaten angewendet. Eine Nebenwirkung dieser cortisonhaltigen Arzneimittel ist, dass sie zum Blutzuckeranstieg und zur Entstehung eines sogenannten Glukokortikoid-induzierten Diabetes führen können. Dazu kann es aber auch durch eine körpereigene Überproduktion von Cortisol im Rahmen eines sogenannten Cushing-Syndroms kommen.
•Wachstumshormon wird in der Hirnanhangsdrüse gebildet und bei einem Blutzuckerabfall ausgeschüttet. Während es im Erwachsenenalter vor allem seine Funktion als kontrainsulinäres Hormon wahrnimmt, ist es im Kindes- und Jugendalter essenziell für das Längenwachstum. Seltene Erkrankungen mit Wachstumshormonmangel oder -überschuss (Akromegalie) gehen regelmäßig mit Erkrankungen des Zuckerstoffwechsels einher.
Die kontrainsulinären Hormone bewirken eine Blutzuckersteigerung, indem sie Glukose aus Zuckerspeichern (der Leber und Muskulatur) freisetzen und die Neubildung von Glukose aus Vorstufen anregen. Sie sind auch der Grund, warum viele Menschen mit Diabetes vor allem vormittags (gegen 9 Uhr, also nach dem Frühstück) einen besonders hohen Blutzucker bzw. Insulinbedarf aufweisen.
PANKREAS (= DIE BAUCHSPEICHELDRÜSE)
„Hinterm Magen ist noch was und das ist das Pankreas.“ Dieser Satz hilft seit Generationen Studierenden von Gesundheitsberufen, sich die Lage dieses Organs im Körper vorzustellen. Das Pankreas ist ein ca. 16–20 cm langes, 3–4 cm breites und 1–2 cm dickes keilförmiges Drüsenorgan, dessen Aufgabe sich in zwei wesentliche Funktionen unterteilen lässt: Der sogenannte exokrine (nach außen abgebende) Teil des Pankreas produziert Verdauungssäfte, die uns bei der Verdauung der Nahrung, vor allem bei der Eiweiß- und Fettverdauung, helfen. Diese Verdauungssäfte werden in das Darmlumen (nach außen) abgegeben, helfen bei der Aufnahme der wichtigen Nahrungsbestandteile ins Blut und werden mit den Überresten über den Stuhl ausgeschieden.