Die 100 besten Spiele aller Zeiten - Tim Jürgens - E-Book

Die 100 besten Spiele aller Zeiten E-Book

Tim Jürgens

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Beschreibung

Große Fußballspiele lassen die Zeit still stehen und brennen sich ein ins kollektive Gedächtnis: Wo warst Du, als Ole Gunnar Solskjær den FC Bayern 1999 in seine tiefste Depression stürzte? Wo, als Klaus Fischer das deutsche Team 1982 gegen Frankreich kurz vor Verlängerung wieder auf die Gewinnerstraße schoss? Oder Günter Netzer sich im Pokalfinale 1973 selbst einwechselte?
Die Chefredakteure der „11FREUNDE – Magazin für Fußball-Kultur“, Philipp Köster und Tim Jürgens, erinnern in diesem umfassenden Nachschlagewerk an die 100 außergewöhnlichsten Fußballspiele, lassen Zeitzeugen über ihre Erinnerungen sprechen und zeigen seltene und unvergessliche Fotomomente.

Diese Neuausgabe wurde 2018 umfangreich überarbeitet, mit neuem Vorwort, sechs neuen Spielen, drei weiteren Prominententexten und vielen neuen Fotos.

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Seitenzahl: 318

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Das Buch

Deutschland gegen Italien 1970, Bayer Uerdingen gegen Dynamo Dresden 1986, Charlton Athletic gegen Huddersfield Town 1957 – große Fußballspiele lassen die Zeit stillstehen und brennen sich ein ins kollektive Gedächtnis: Wo warst du, als Ole Gunnar Solskjær den FC Bayern 1999 in seine tiefste Depression stürzte? Wo, als Klaus Fischer das deutsche Team 1982 gegen Frankreich kurz vor Verlängerung wieder auf die Gewinnerstraße schoss? Oder Günter Netzer sich im Pokalfinale 1973 selbst einwechselte? Philipp Köster und Tim Jürgens erinnern in diesem umfassenden Nachschlagewerk an die 100 außergewöhnlichsten Fußballspiele der Geschichte.

Die Autoren

Tim Jürgens, geboren 1969, ist stellvertretender Chefredakteur von 11FREUNDE. Vor seiner Zeit als Fußballautor schrieb der HSV-Sympathisant für etliche Musik- und Männermagazine.

Philipp Köster, geboren 1972, ist Gründer und Chefredakteur des Fußballmagazins 11FREUNDE. Außerdem Autor verschiedener Fußballbücher und Fan von Arminia Bielefeld.

Lieferbare Titel

Eier, wir brauchen Eier

Ich sag nur ein Wort: Vielen Dank!

Tim Jürgens · Philipp Köster

DIE

BESTEN

SPIELE

ALLER ZEITEN

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Erweiterte, aktualisierte Ausgabe 04/2018

Copyright © 2012 der Originalausgabe by Südwest Verlag, München

Copyright © 2018 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Umschlagmotiv: Picture Alliance/Gerry Cranham/Offside

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-22907-8V003

www.heyne-hardcore.de/

Vorwort

»DU NENNST ES WUNDER, WIR NENNEN ES NORMAL.«

Barcelona im März 2017. Eine kühle Brise weht vom Mittelmeer hinüber ins Stadion Camp Nou. 99000 Menschen sind in die katalanische Fußballkathedrale gepilgert, um ein Champions-League-Match des FC Barcelona zu verfolgen.

Barça spielt im Achtelfinale gegen Paris St. Germain. Für die Fans der Blaugrana sind Partien in der Königsklasse fast alltäglich. Doch das Rückspiel gegen den französischen Meister findet unter besonderen Vorzeichen statt: Denn PSG reist mit einem komfortablen 4:0-Polster an. Ein Vorsprung, der in der 25-jährigen Geschichte der Champions League noch nie von einem Team aufgeholt werden konnte.

Der FC Barcelona befindet sich im Umbruch. Große Stars wie Andrés Iniesta, Gerard Piqué und Lionel Messi kommen langsam in die Jahre. Viele Zuschauer glauben – sollte Barça an diesem Abend vorzeitig ausscheiden –, das Ende einer Ära live mitzuerleben. Doch das Team von Luis Enrique ist nicht bereit, sich kampflos zu ergeben. Der Verein, der für sich veranschlagt, »mehr als ein Klub« zu sein, startet mit dem Spielbeginn eine Aufholjagd, die sich allen Gesetzmäßigkeiten des Fußballs widersetzt. Als Referee Deniz Aytekin nach mehr als 95 Minuten abpfeift, hat der FC Barcelona mit 6:1 gewonnen – und steht im Viertelfinale. Arda Turan, der in der zweiten Hälfte bei den Katalanen eingewechselt wird, twittert nach dem Spiel triumphierend: »Du nennst es Wunder, wir nennen es normal.«

Im Fußball ist eben alles möglich. Jederzeit. An jedem Ort. Überall rund um den Globus. Gegen alle Wahrscheinlichkeit ist das Spiel imstande, den Naturgesetzen zu trotzen. Als dieses Buch vor Jahren in der ersten Fassung erschien, waren wir überzeugt, ein Ranking mit großer Nachhaltigkeit erstellt zu haben. Es gibt jeden Tag zahllose Spiele. Mal wird unansehnliches Geschiebe geboten, mal taktisch geprägtes Rasenschach, mal ein kämpferischer Fight. Doch nur ganz selten wird es ein Spiel, das den Zuschauern über Jahr und Tag hinaus in Erinnerung bleibt.

Ein Match, das zu den hundert besten Spielen aller Zeiten zählt.

Von diesen Spielen zu erzählen, diese Idee entstand in der Redaktion des Fußballmagazins 11FREUNDE. Wie alle Fans pflegen wir eine innige Liebe zu Tabellen und Statistiken. Und wir stellten fest, dass sich bislang niemand darangemacht hatte, die grundlegendste Liste überhaupt zu erstellen. Also haben wir befreundete Journalisten, Trainer, Profis und Fans gebeten, die besten Partien der Geschichte zu wählen.

Doch moderner Tempofußball, Tiki-Taka, die Professionalisierung der Nachwuchssysteme in den großen Fußballnationen, all das trägt dazu bei, dass die Geschichte nicht stehen bleibt. Ständig kommen neue atemberaubende Partien hinzu, die das Zeug haben, einen Platz in der Top 100 zu ergattern. Es wurde also höchste Zeit, unsere Auswahl zu überarbeiten und durch Klassiker der jüngsten Vergangenheit zu ergänzen.

Natürlich gibt es zeitlose Partien, die bis in die ferne Zukunft ihren Platz in den Annalen des Fußballs haben werden: das epische Ringen zwischen Deutschland und Italien im Halbfinale der Weltmeisterschaft 1970 etwa, dem bis heute mit einer Gedenktafel vor dem Aztekenstadion in Mexiko-Stadt gedacht wird. Das Finale der Champions League 2005 zwischen Liverpool und dem AC Mailand. Und selbstverständlich das 6:6 im Halbfinale des DFB-Pokals 1984 zwischen dem FC Schalke 04 und dem FC Bayern München mit dem jungen Schalker Helden Olaf Thon.

Aber es gibt auch neue Geschichten, die es zu erzählen lohnt: etwa das schweißtreibende Duell zwischen dem ehemaligen BVB-Trainer Jürgen Klopp – nun in Diensten des FC Liverpool – und seinem Nachfolger Thomas Tuchel im Frühjahr 2016 in der Europa League. Das Viertelfinaldrama bei der Euro 2016, als die deutsche Nationalelf am Ende eines epischen Elfmeterschießens ihren ersten Sieg gegen Angstgegner Italien bei einem großen Turnier feiern durfte. Oder eben die erwähnte 6:1-Klatsche des FC Barcelona gegen PSG.

Doch kein Match konnte auch diesmal die Dramatik im Viertelfinale des Europapokals der Pokalsieger 1986 überbieten. Die unglaubliche Aufholjagd von Bayer 05 Uerdingen gegen Dynamo Dresden. Aus einem 1:3 wurde binnen einer halben Stunde ein 7:3. Die entfesselte Urgewalt des Fußballs brach sich Bahn, am Ende fragten sich die Spieler mit glühenden Gesichtern: Wie haben wir das bloß gemacht?

Natürlich kann diese Auswahl kritisch hinterfragt werden. Meckern dürfen etwa Anhänger des italienischen oder südamerikanischen Fußballs, der in dieser Liste mehr Beachtung hätte finden können. Aber so weit die Perspektive der Liste auch gespannt ist, sämtliche Aufholjagden des S.S. Lazio oder von River Plate hätten unser Vorhaben gesprengt.

Dafür ist aus der Befragung ein Ranking entstanden, in dem auch Fachleute manches entdecken können. Spiele, die weniger im kollektiven Gedächtnis verankert sind als WM-Endspiele und Bundesliga-Klassiker. Etwa das Finale um die Deutsche Meisterschaft 1922 zwischen dem 1. FC Nürnberg und dem Hamburger SV, das erst nach vier Stunden bei Dunkelheit abgebrochen wurde. Der Sensationssieg der SG Eisenhüttenwerk Thale im FDGB-Pokalfinale gegen die BSG KWU Erfurt 1950. Oder aber das 5:5-Schützenfest in einem schnöden Ligaspiel 2009 zwischen den Rivalen Olympique Lyon und Olympique Marseille.

Die Liste war das eine, von den Spielen zu erzählen das andere. Denn nicht bei jedem Match war die Datenlage so ausgezeichnet wie bei den Spielen der fußballerischen Moderne. Also haben wir unzählige Jahresbände, Zeitschriften, Autobiografien und Zeitungen gewälzt und waren dankbar für die Kärrnerarbeit der damaligen Berichterstatter, die für uns wichtige Fragen klärten: Schreibt sich der wackere nordkoreanische Fußballsoldat, der 1966 Italien in eine tiefe Depression stürzte, Pak Doo Ik oder Pak Do Ik? Woher kamen die legendären weißen Bademäntel, in denen die Spieler des 1. FC Magdeburg nach ihrem Sensationssieg gegen den AC Mailand eine Ehrenrunde drehten? Mitunter galt es dabei auch, die Erinnerungen der Protagonisten mit den Dokumenten abzugleichen. René Müller, Keeper von Lokomotive Leipzig und Elfmetertöter im Halbfinale des Europapokals gegen Girondins Bordeaux, erinnert sich in seiner Autobiografie, beim letzten Elfmeter von Bordeaux einfach stehen geblieben zu sein. Die Fernsehaufnahmen zeigen ihn hingegen auf der Torlinie liegend. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive.

Nun weiß jeder Fußballfan, dass auf jedes unvergessliche Spiel neun unansehnliche Partien bei Nieselregen kommen – mindestens. Eine Sammlung der hundert schlechtesten Partien der Fußballgeschichte wäre also schnell beisammen: von der temporeichen Vorrundenpartie zwischen Deutschland und Österreich bei der WM 1982 bis zu mancher Partie aus der Jugend der Verfasser. Aber dieses Buch ist auch in seiner neuen, überarbeiteten Fassung eine Hommage an den schönen, aufregenden, bewegenden Fußball.

Viel Spaß beim Lesen wünschen,

»Im Fußball verkompliziert sich alles durch das Vorhandensein der gegnerischen Mannschaft.«

Jean-Paul Sartre

Prominente über eine Partie, die ihr Leben veränderte

DAS GRÖSSTE SPIEL ALLER ZEITEN

Sönke Wortmann, Regisseur

SC Jülich 1910 – TSV Marl-Hüls 6:0 n.V. (2:0, 6:0), 3:5 n.E.

02.07.1972, Deutsche Fußball-Amateurmeisterschaft, Halbfinale

Stadion: Karl-Knipprath-Stadion, Jülich

Anfang Juli 1972, das Halbfinal-Rückspiel um die Deutsche Fußball-Amateurmeisterschaft. Ich bin dreizehn und stehe als großer Fan in der Kurve des TSV Marl-Hüls auswärts beim SC Jülich 1910, der dreimal in Folge den Titel gewonnen hat. Im Hinspiel ist dem TSV eine Sensation gelungen. Mit 6:0 haben wir die Rheinländer nach Hause geschickt. Das Rückspiel sollte Formsache sein, doch die Jülicher drehen das Ergebnis und liegen nach neunzig Minuten ebenfalls mit 6:0 vorn. Die Verlängerung ist atemraubender als jeder Thriller. Unser Keeper Wenglarczyk kann nur noch humpeln, hält sich mit Mühe auf den Beinen, aber es fällt kein Tor mehr. Im Elfmeterschießen zeigt Jülich Nerven, der angeschlagene Torhüter wird zum Helden. Der TSV Marl-Hüls zieht ins Finale ein. Und ich war dabei!

Thomas Brussig, Schriftsteller

Peru – Schottland 3:1 (1:1)

03.06.1978, Weltmeisterschaft, 1. Runde

Stadion: Estadio Olímpico Chateau Carreras, Córdoba

Wegen der Zeitverschiebung liefen die meisten Spiele der Fußball-WM 1978 in Argentinien zu einer Uhrzeit, in der ein dreizehnjähriger Junge im Bett zu sein hat. Ich trank aber abends immer so viel Tee, dass ich nachts pinkeln musste. Dann setzte ich mich vor den auf ganz leise gestellten Fernseher … Eines dieser Beutestücke war das Vorrundenspiel Peru – Schottland. Die Schotten gingen in Führung, aber die Peruaner, bei denen ein sehr auffälliger Spieler namens Teofilo Cubillas mitspielte, glichen noch vor der Pause aus. In der zweiten Halbzeit hielt erst der peruanische Torhüter einen Elfer, bevor Cubillas zwei wunderschöne Tore schoss: erst einen Weitschuss in den oberen Winkel und dann einen Freistoß mit einer unglaublichen Schusstechnik (ich glaube sogar, es war mit der Pike geschossen) ins gleiche obere Eck. Das Spiel war immer spannend, zeitweise dramatisch, und es war ein schönes, schnelles Spiel mit den technisch versierten Peruanern und ihrem Ausnahmekönner hier, den robusten, kämpfenden Schotten da. Zugegeben, dass ich dieses Spiel als das schönste führe, hat auch damit zu tun, dass ich in einem Alter war, in dem ich so was wie einen Fußballgeschmack erlangen wollte. Aber ich habe noch zwei Menschen kennengelernt, die Peru – Schottland ebenfalls zum schönsten aller Spiele erklärten.

Oliver Bierhoff, Europameister

Deutschland – Tschechien 2:1 n.V. (0:0, 1:1)

30.06.1996, Europameisterschaft, Finale

Stadion: Wembley-Stadion, London

Sicher wird es jeder von mir erwarten: Natürlich war das EM-Finale 1996 im Londoner Wembley-Stadion für mich »das Spiel meines Lebens«. Ein EM-Endspiel für mein Land mit zwei Toren zu entscheiden war ein großartiges Gefühl: kurz nach meiner Einwechslung erst den Ausgleich erzielt und dann in der Verlängerung das Golden Goal – es werden immer unvergessliche Momente bleiben. Eigentlich hatte ich vor dem Anpfiff gar nicht damit gerechnet, im Spiel eingewechselt zu werden. Denn wir waren Favorit, und wenn ein Team mal in Führung liegt, dann sind die Chancen eines Stürmers nicht so groß, zum Zug zu kommen. Zuerst war ich noch ziemlich sauer, dass der Trainer nach dem 0:1 so lange mit einer Einwechslung gewartet hatte. Dann habe ich aber nicht mehr viel nachgedacht und mich einfach vorn reingeworfen. Was sich bei mir im Unterbewusstsein bei dem Golden Goal abgespielt hat, weiß ich bis heute nicht. Es war das einzige Spiel in meiner ganzen Karriere, bei dem ich mein Trikot ausgezogen habe …

Michael Preetz, Manager Hertha BSC Berlin

Hertha BSC Berlin – FC Barcelona 1:1 (1:1)

23.11.1999, Champions League, 2. Gruppenphase, 1. Spieltag

Stadion: Olympiastadion, Berlin

Zugegeben, unser Heimspiel gegen Barça war fußballerisch keine Partie für die Geschichtsbücher, dennoch wird es unvergesslich bleiben. Bis heute könnte ich behaupten, dass wir gegen die Katalanen mit Stars wie Figo oder Patrick Kluivert Weltklasse waren, niemand könnte das Gegenteil beweisen – denn es hat doch kein Mensch wirklich gesehen. Der Nebel stand im Stadion wie der Wasserdampf in einer Waschküche. Die Regel, dass nur angepfiffen werden darf, wenn man von einem Tor aus das andere sehen kann, war außer Kraft gesetzt. Ich stand am Mittelkreis und versuchte, im Dickicht eines der beiden Gehäuse auszumachen. Keine Chance! Meine Mitspieler schlugen Flanken auf gut Glück, die Bälle schossen im Strafraum aus dem Dunst auf mich zu. Die Zuschauer wurden später wegen der katastrophalen Sichtverhältnisse sogar entschädigt. Für mich markiert das Nebelmatch dennoch einen Höhepunkt meiner Laufbahn: Das erste Mal spielten wir mit Hertha BSC in der Champions League, wir setzten uns in der Vorrunde gegen Galatasaray Istanbul, FC Chelsea und den AC Mailand durch – und ich war amtierender Bundesliga-Torschützenkönig.

Campino, Sänger

FC Liverpool – AC Mailand 6:5 n.E. (0:3, 3:3)

25.05.2005, Champions League, Finale

Stadion: Atatürk-Olympiastadion, Istanbul

Zur Halbzeit hatten sich 40000 Engländer komplett von ihrem Traum verabschiedet. Es ging nur noch um unsere Würde und darum, nicht als die größten Deppen Europas nach Hause zu fahren. Doch dann kam Didi Hamann, wurde Jerzy Dudek zum Helden. So schief sich das anhört: Die Euphorie nach dem Sieg kann ich nur mit der beim Mauerfall vergleichen. Wildfremde Menschen feierten gemeinsam, alle waren wie auf Ecstasy. Ich habe mein Hotelzimmer in Istanbul nie gesehen: Vom Stadion ging es zur Mannschaftsparty und dort mit Didi über Tische und Bänke. Näher dran sein konnte man nicht. Als wir in Manchester landeten, ertönten die unvergesslichen Schlachtrufe: »Are you watchin’, Manchester?« Liverpool, der Underdog, hatte über die Gestopften triumphiert. Mit der Bahn ging es weiter nach Liverpool. Als wir mit der »Red Army« am Bahnhof Lime Street eintrafen, gab es dort alles umsonst. Die Helden kehrten heim! Und ich dachte: »Ich könnte jetzt alles verlieren, ich habe alles gesehen.«

Dr. Edmund Stoiber, Politiker

Manchester United – FC Bayern München 2:1

26. Mai 1999, Champions League, Finale

Stadion: Camp Nou, Barcelona

Als Bayernfan von Kindesbeinen an habe ich größte Triumphe erlebt. Das denkwürdigste Spiel für mich ist dennoch eine Niederlage. 23 Jahre lang hatte der Verein auf einen Sieg in der Champions League gewartet, jetzt war es endlich so weit. 90. Minute, es steht 1:0 für den FC Bayern. Jordi Pujol, der Regierungschef Kataloniens, zeigt auf die Stadionuhr und sagt zu mir: »Junger Freund, warum sind Sie denn so nervös? Es ist vorbei, Sie haben gewonnen!« UEFA-Präsident Lennart Johansson gratuliert mir ebenfalls und macht sich auf den Weg zur Siegerehrung. Er nimmt den Aufzug – und der fährt im Sinne des FC Bayern buchstäblich nach unten. Denn als er am Spielfeld ankommt, steht es 2:1 – für Manchester. Zwei Ecken in der Nachspielzeit, zwei Tore für Manchester. Matthäus und Effenberg am Boden, der FC Bayern und seine Fans in Schockstarre. Es spricht für den Charakter der damaligen Spieler, dass der Kern dieser Mannschaft zwei Jahre später doch noch den großen Erfolg in der Champions League feiern konnte. Das hat den Schmerz von 1999 deutlich gemildert. Aber er bleibt für immer Teil des FC Bayern und seiner vielen, vielen Fans.

Peer Steinbrück, Politiker

Deutschland – England 3:2 n.V. (0:1, 2:2)

14.06.1970, Weltmeisterschaft, Viertelfinale

Stadion: Estadio Guanajuato, León

Ich sah das Spiel in einem internationalen Studentenwohnheim in Kiel, wo ich in meinem ersten Semester studierte. Es ging international zu, meine Kommilitonen stammten aus ganz Europa, Lateinamerika und Afrika, die Sympathien vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher waren entsprechend geteilt. Ich hoffte auf eine Revanche für das WM-Finale 1966. Doch wieder schien es in die Hose zu gehen. Die Engländer führten bereits 2:0, als Alf Ramsey Bobby Charlton auswechselte. Danach kippte das Spiel sensationell. Ein Flachschuss von Beckenbauer zum 2:1, dann der Ausgleich durch das Hinterkopftor von Uwe Seeler. Ein Treffer, wie ich ihn von meinen Besuchen beim HSV am Rothenbaum und dann im Volksparkstadion schon kannte. Damals in Hamburg hieß der Flankengeber Charly Dörfel, in der Gluthitze von León war es nun Karl-Heinz Schnellinger. In der Verlängerung verdrehte dann Gerd Müller artistisch vor dem Tor den Fuß in der Luft und entschied das Spiel. So viel Dramatik riss uns Studenten mit – und nach dem Abpfiff waren alle von einem Fußballthriller begeistert. Engländer waren meiner Erinnerung nach nicht dabei.

Jürgen Trittin, Politiker

FC Bayern München – SV Werder Bremen 5:6 n.E. (1:1, 1:1)

12.06.1999, DFB-Pokal, Finale

Stadion: Olympiastadion, Berlin

Auf der Promitribüne war ich neben dem Bremer Bürgermeister der einzige Werder-Fan. Der Rest pro Bayern – von Stoiber bis Beckenbauer. Und dann geht Werder, das in der Saison gegen den Abstieg gespielt hat, mit dem ersten Angriff in Führung. Carsten Jancker gleicht für die Bayern aus. Es kommt zum Elfmeterschießen. Frank Rost ist fast an jedem Bayern-Elfer dran – aber nur fast. Der große Olli Kahn hält gegen Jens Todt. Dann kommt Effenberg. Er hat den Sieg auf dem Fuß, arrogant nimmt er fast keinen Anlauf – und hebt den Ball über das Tor. Auf der Promitribüne Schweigen. Bei den Bayern-Spielerfrauen blankes Entsetzen. Jetzt schießt Rost selbst und verwandelt sicher – Werder ist vorn. Dann tritt Lothar Matthäus an, der Rekordnationalspieler. Rost hält. Werder ist Pokalsieger. Bei den Spielerfrauen Tränen. Schlechte Stimmung beim DFB und bei Bayern, die sich noch steigert, als Karin Stoiber alle Werder-Spieler abbusselt.

Oliver Welke, TV-Moderator und Comedian

Borussia Dortmund – Hamburger SV 2:0 (2:0)

17.06.1995, Bundesliga, 34. Spieltag

Stadion: Westfalenstadion, Dortmund

Dortmunds letztes Spiel in der Meistersaison 1994/95. Ich stand als Student mit einigen Freunden auf der Südtribüne. Sogenannte »Weltempfänger« – selbst 1995 nicht wirklich Hightech – informierten parallel über die Bemühungen des SV Werder im Fernduell um den Titel. Was mich anfangs noch verwirrte, weil das Raunen auf den Rängen oft gar nicht zum Spiel passen wollte. Irgendwann hatte ich das Prinzip dann verstanden.

Nach dem 2:0 war sowieso nur noch Lärm. Meine Kommilitonen hatte ich längst verloren, dafür schluchzte mir ein fremder, bärtiger Mann minutenlang ins Ohr. Bis heute hoffe ich, dass das, was auf seinem Parka klebte, nur Erbsensuppe war. Mit dem Schlusspfiff wurden alle von der Tribüne auf den Platz gedrückt – zum gemeinsamen Meisterrasenpflücken. Ein paar Fans versuchten sogar, eins der Tore als Andenken rauszutragen, was aber von überkorrekten Ordnern verhindert wurde. Ein unvergesslicher Nachmittag. Und ich war noch früh genug wieder in Münster, um Werner Hansch in »ran« sagen zu hören: »Dat is so wichtig für die Region.«

Matthias Brandt, Schauspieler

Borussia Mönchengladbach – 1. FC Köln 2:1 n.V. (1:1, 1:1)

23. Juni 1973, DFB Pokal 1972/73, Finale

Stadion: Rheinstadion, Düsseldorf

Ich war elf Jahre alt und sah im Rheinstadion in Düsseldorf ein Fußballspiel, das mein Leben veränderte. Es war das letzte Spiel des größten Helden meiner Kindheit – Günter Netzer – für die Gladbacher, danach würde er zu Real Madrid wechseln. Damals wurden Spieler, die ins Ausland gingen, noch geächtet, es wurde von Vaterlandsverrat und ähnlichem Blödsinn schwadroniert, das Kasernenhofdenken war noch sehr präsent, nicht nur im deutschen Fußball. In dem heute legendären Spiel stand es nach 90 Minuten 1:1, der Spielmacher war vom gekränkten Trainer Weisweiler (der zwei Jahre später, wie schön, kein Problem mehr damit hatte, zum FC Barcelona zu gehen) nicht von Beginn an aufgestellt worden. Eine von Weisweiler in der Pause angebotene Einwechselung hatte der jetzt ebenfalls gekränkte Netzer abgelehnt. Zu Beginn der Verlängerung konnte man allerdings beobachten, wie Netzer von der Ersatzbank aufstand, die Trainingsjacke auszog, zum Trainer ging und kurz mit ihm sprach, der Überlieferung nach fiel der schlicht-schöne Satz »Ich spiel dann jetzt.« Das tat er dann auch, der große Günter Netzer, und er schoss mit seiner zweiten Ballberührung das spielentscheidende 2:1 für die Gladbacher.

Warum das mein Leben veränderte? Weil mich mein Held in diesem Moment lehrte, dass es Momente gibt, in denen nur noch die Selbsteinwechselung hilft. Und dass die nicht mit großem Trara passieren muss, sondern dass ein kurzer, geflüsterter Satz reicht: »Ich spiel dann jetzt.«

Ulli Wegner, Boxtrainer

Deutschland – Ungarn 3:2 (2:2)

04.07.1954, WM-Finale

Stadion: Wankdorfstadion, Bern

Als Trainer verfolge ich Fußballspiele seit Langem insbesondere aus der taktischen Perspektive. Wie schafft es ein Team, das Unmögliche noch möglich zu machen? Was kann ich davon lernen? Vorm WM-Finale 1954 standen die Chancen 1:99, dass die Deutschen gegen Ungarn gewinnen. In der Vorrunde war die Herberger-Elf mit 3:8 gegen Puskás & Co. untergegangen. Nach dem Match traf ich mich mit den Jungs aus unserer Stadt Penkun – in der ich heute Ehrenbürger bin – auf dem Bolzplatz, und wir schimpften furchtbar auf den Bundestrainer. Woher sollte ich wissen, dass es ein taktischer Trick Herbergers gewesen war, mit acht Ersatzspielern anzutreten? Ich war zwölf, Kapitän der Schülermannschaft und schwärmte für Fritz Walter. Beim Finale saß ich mit meiner Mutter zu Hause bibbernd vor dem Radio. Wieder sah es so aus, als würde die Sache nach hinten losgehen. Schnell lag die deutsche Elf mit 0:2 hinten, dann aber wendete sich das Blatt. Als Herbert Zimmermann in der 84. Minute rief: »Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt. Tooor!«, hatte ich das Gefühl, ein neues Zeitalter sei angebrochen. Der Sieg gab uns Deutschen neuen Mut. Wir zeigten der Welt, dass wir auch auf friedlicher Ebene etwas bewegen können. Dass wir mehr können als Krieg führen. Ein neuer Lebensabschnitt, für die Bürger der BRD begann das Wirtschaftswunder – und auch wir in der DDR schauten positiver in die Zukunft.

Werner Enke, Schauspieler (u.a. »Zur Sache, Schätzchen«)

TSV 1860 München – Hamburger SV 9:2 (3:1)

04.03.1964, Bundesliga, 23. Spieltag

Stadion: An der Grünwalder Straße, München

Als ich 1960 aus Göttingen nach München kam, fuhr ich an den Mauern des Grünwalder Stadions vorbei und dachte: »Mann, ist das riesig.« So eine Arena hatte ich noch nie gesehen. Ich wünschte mir, in einer Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu leben, um an Spieltagen im Fenster zu hocken, eine Zigarette nach der anderen zu rauchen und den Sechzigern zuzuschauen. Doch ich wohnte in Schwabing, zahlte brav meinen Eintritt und qualmte stattdessen auf der Gegengeraden, wenn Torwart Petar Radenkovic an der Mittellinie dribbelte, »Atom-Otto« Luttrop seinem Spitznamen mit Fernschüssen alle Ehre machte und Fredi Heiß, Rudi Brunnenmeier und Hansi Küppers Tore am Fließband erzielten. An einem kühlen Märztag knöpften sie sich den HSV vor. Schon zur Halbzeit führte 1860 mit 3:1. Ich stellte mich extra fünf Minuten vor dem Pausenpfiff am Wurststand an. Doch die Schlange wogte unkontrolliert hin und her. Immer wieder drängelte jemand dazwischen, es wurde geschubst und herumgewurschtelt, sodass ich den richtigen Moment, meine Bestellung aufzugeben, immer wieder verpasste. Es dauerte und dauerte. Als ich 15 Minuten nach Wiederanpfiff endlich mit der Bratwurst auf die Tribüne zurückkehrte, führten die Blauen bereits mit 6:1. Oh, was taten mir Uwe Seeler und Charly Dörfel leid. Zwei so tolle Spieler, die nun erleben mussten, wie der Sturm der Sechziger ihre Abwehr schwindlig spielte. 9:2 hieß es am Ende. Wenn ich daran denke, in welchem beklagenswerten Zustand sich die »Löwen« heute befinden, frage ich mich manchmal, ob es das Spiel wirklich gegeben hat – oder ob ich alles nur geträumt habe.

Wotan Wilke Möhring, Schauspieler

FC Liverpool – Borussia Dortmund 4:3 (0:2)

14.04.2016, Europa League, Viertelfinale

Stadion: Anfield Road, Liverpool

Auf die Frage nach dem besten Spiel fallen mir natürlich viele Erfolge des BVB ein. Das intensivste Erlebnis aber war die Niederlage in Anfield 2016 – beim Wiedersehen mit Jürgen Klopp. Schon vor dem Match bekam ich Gänsehaut, als die Anhänger der »Reds« mit unseren Leuten »You’ll never walk alone« sangen. Als die Schwarzgelben dann in Rekordzeit mit 2:0 führten, überlegten wir schon, wer wohl der nächste Gegner sein könnte. Dann aber brach eine Naturgewalt über uns herein: Mit der geballten Energie von Jürgen Klopp und der Begeisterung auf den Rängen gelang es Liverpool, das Spiel zu drehen. Ich hatte noch nie erlebt, dass Dortmunder nach einem Spiel so still waren. Beim Abpfiff stand ich wie versteinert auf der Tribüne und dachte: »Ist das wirklich passiert?« Ich war Zeuge eines frustrierenden, auf seine Art aber auch faszinierenden Ereignisses geworden. Es tat unfassbar weh. Es war aber rührend, wie uns die Engländer trösteten. Liverpool-Fans haben selbst viele Schicksalsschläge erlebt, die wissen, wie es ist, einen sicher geglaubten Sieg aus der Hand zu geben. In dieser Nacht musste ich kein einziges Bier selbst bezahlen. Als sich die Schockstarre langsam löste, dachte ich: »Okay, wenn wir schon verlieren, dann gegen die.« An diesem Tag fehlte uns das Quäntchen Leidenschaft, das die Nordengländer hatten. Aus dem Match lernte ich nicht nur, welche Leidensfähigkeit ich als Fan entwickeln kann, sondern auch, wie eine so bittere Niederlage hilft, neue Kraft zu entwickeln. Beim Abpfiff war ich überzeugt: Das Spiel ist eine Zäsur, jetzt verlassen alle Leistungsträger den BVB, der Klub bricht auseinander. Doch die Niederlage sorgte dafür, dass wir am Ende eine herausragende Saison spielten.

»Und nun lasset die Spiele beginnen!«

19.03.1986

PLATZ 1

FC Bayer 05 Uerdingen – Dynamo Dresden 7:3

DAS WUNDER VON UERDINGEN

Gefahr droht immer: Die Uerdinger Wolfgang Funkel (l.) und Michael Dämgen erwarten den Eckball, Dresdens Jörg Stübner sichert ab.

Am Ende kommen Wolfgang Funkel die Tränen. »Das ist wie ein Wunder«, ruft der Verteidiger von Bayer 05 Uerdingen und vermag so doch nur unzureichend zu beschreiben, was sich an diesem 19. März 1986 in der Krefelder Grotenburg-Kampfbahn abspielte. Es war eine Aufholjagd der Extraklasse. Ein Bruderduell voller Dramatik. Ein Abend für die europäische Fußballgeschichte.

Dabei ist das Spiel in der Halbzeit streng genommen schon zu Ende. Das Hinspiel im Viertelfinale des Europapokals der Pokalsieger hat Bayer 05 bei Dynamo Dresden völlig verdient 0:2 verloren, und nun steht es bereits nach 45 Minuten abermals 1:3, weil die Uerdinger zwar ungestüm angerannt sind, aber die Gäste aus Dresden getroffen haben. Tief deprimiert gibt Keeper Werner Vollack auf dem Weg in die Kabine Auskunft: »Wir sind am Boden.« Die Delegation aus dem Osten wähnt sich hingegen bereits im Halbfinale, auf der Tribüne jubiliert Dresdens Präsident Horst Arlt: »Das läuft fantastisch.« ZDF-Kommentator Rolf Kramer gratuliert den DDR-Kickern voreilig zum Erreichen des Halbfinales. Und Falko Götz, der Republikflüchtling in Diensten der Werkskollegen aus Leverkusen, rechnet richtig und doch falsch: »6:3 müssten sie gewinnen, das scheint mir illusorisch.«

Was dann passiert, widerspricht aller Wahrscheinlichkeit jeder Erfahrung. Wolfgang Funkel verwandelt in der 58. Minute einen Foulelfmeter, nur fünf Minuten später rutscht ein von Gudmundsson getretener und von Ralf Minge unglücklich abgefälschter Freistoß in die Maschen. Weitere zwei Minuten später lupft Wolfgang Schäfer den Ball aus spitzem Winkel ins Netz. Plötzlich steht es 4:3. Natürlich werden die Tore durch das Pech der Dresdner auch noch begünstigt.

In der Halbzeitpause ist das nervlich überforderte Greenhorn Jens Ramme für den verletzten Stammkeeper Jakubowski gekommen. Spätestens nach den drei Toren binnen einer Viertelstunde mag sich manch ein Dresdner auch an das Europapokal-Aus im Vorjahr erinnern. Da ist Dynamo nämlich von Rapid Wien mit 0:5 der Hintern versohlt worden.

Die Dresdner stolpern nun über den Platz, ganz so, als hätte man ihnen Ketamin, jenes Betäubungsmittel, mit dem man Schlachtvieh ruhigstellt, verabreicht. Kaum ein in Panik aus dem Strafraum gedroschener Ball schafft es noch über die Mittellinie.

»Nur noch zwei«, schreien die Zuschauer in der Grotenburg. In der 78. Minute trifft Klinger flach von der Strafraumgrenze, Ramme fällt wie eine Bahnhofschranke. 5:3! Unmittelbar darauf (die Rückeroberung des Balls nach dem Anstoß dauerte acht Sekunden) wehrt Dörner einen Kopfball von Schäfer aus der Nahdistanz mit dem Arm ab. Strafstoß, Funkel trifft flach links unten.

Karl-Heinz Feldkamp »Erwarten Sie nicht, dass ich das, was in der zweiten Halbzeit geschah, fußballerisch erklären kann.«

Die Partie wird nun vollends surreal. Der Kommentator des DDR-Fernsehens stammelt: »Das kann doch alles nicht wahr sein«, während Dynamo die letzten Kräfte mobilisiert. Uerdingens Keeper Vollack muss in nur einer Minute drei Großchancen der Dresdner vereiteln, dann legt Schäfer einen aberwitzigen Sololauf über achtzig Meter Entfernung hin. Er schießt mit allerletzter Kraft Torwart Ramme an, bekommt den abgeprallten Ball glücklich vor die Brust und schiebt zum Endstand ein. Abpfiff, Jubel, Fassungslosigkeit.

Die Uerdinger wissen nicht, wie ihnen geschehen ist. »Wir hatten in der Halbzeit geschworen, uns mit Würde aus dem Wettbewerb zu verabschieden«, gibt Trainer Feldkamp kopfschüttelnd zu Protokoll.

Man ist so wenig auf Feierlichkeiten eingestellt, dass der Masseur der Mannschaft von einem nahe gelegenen Kiosk zwei Kisten Pils heranschleppt und Gudmundsson hektisch zusätzlich sechs Flaschen Sekt organisiert. Dennoch ahnen sie, dass an diesem Abend Fußballgeschichte geschrieben wurde. Oder wie es ZDF-Mann Rolf Kramer formuliert: »Daraus werden Legenden gestrickt.«

04.07.1954

PLATZ 2

Ungarn – Deutschland 2:3

DER GEIST VON SPIEZ

Spalier für den Weltmeister: Kapitän Fritz Walter empfängt in Wankdorf den Coupe Jules Rimet.

Heiliger Fußballgott! Kein anderes Spiel einer deutschen Nationalmannschaft ächzte derart unter seiner mythologischen Überfrachtung wie das Finale der Weltmeisterschaft 1954 im Berner Wankdorfstadion. Was wurde an diesem regnerischen Julitag nicht alles geboren: der Mythos der elf Freunde, der vermeintlich belebende Geist der Mannschaftsherberge im beschaulichen Spiez am Thunersee, die Legende vom nie aufsteckenden Teutonenkicker, die Mär vom »Fritz sei’ Wedder«.

Historiker glauben heute sogar, die westdeutsche Bundesrepublik sei faktisch zwar im Mai 1949, mental aber erst im Jahr 1954 in Bern gegründet worden – als Erweckungserlebnis einer durch Nazizeit und Weltkrieg niedergeschlagenen Nation sozusagen. Ein 3:2-Sieg – wichtiger als das Grundgesetz. Dabei hätte es der politischen und kulturellen Projektionen gar nicht bedurft, um im WM-Finale 1954 eines der bewegendsten Fußballspiele der Geschichte zu erkennen. Denn die Aufholjagd gegen die ungarische »Wunderelf«, die seit vier Jahren und 31 Spielen nicht verloren hatte, war eine taktische Meisterleistung und in ihrer Dramatik, empathisch im Radio moderiert von Herbert Zimmermann, kaum zu überbieten.

Schon nach acht Minuten liegt das Team um Oldie Fritz Walter mit zwei Toren im Rückstand, was den allgemeinen Erwartungen entspricht, haben die Ungarn doch in der Vorrunde eine chancenlose deutsche Elf mit 8:3 filetiert. Dass Herbergers Mannen mit ihrem B-Anzug angetreten sind und die Höhe der Niederlage keine Rolle spielt, fällt da nicht sonderlich ins Gewicht. Zudem gelten die Ungarn ohnehin seit ihrem triumphalen Sieg 1953 in Wembley gegen die bis dato auf heimischem Grund unbesiegten Engländer als Maß aller Dinge und mit ihrem technisch feinen und zugleich ungemein dynamischen Angriffsfußball als logischer Weltmeister.

Doch bis zur Halbzeit gleichen überraschend Max Morlock mit dem großen Zeh und Helmut Rahn, der vom Ehrgeiz gepeitscht wird, weil ihn Herberger im Turnier lange auf die Ersatzbank verbannt hat, aus. Den Ansturm der Magyaren nach der Pause wehrt das disziplinierte DFB-Kollektiv ab. Zimmermann schildert die Abwehrschlacht den Zuhörern daheim in der Bundesrepublik als Kampf des tapferen Davids gegen einen schier übermächtigen Goliath: »Ich glaube, auch Fußballlaien sollten ein Herz haben, sollten sich an der Begeisterung unserer Mannschaft und an unserer eigenen Begeisterung mit freuen«, barmt er und schickt dann jenen legendären Torschrei über den Äther, der noch heute als Inbegriff der Fußballekstase gilt. Denn in der 84. Minute schießt der Essener Phlegmatiker Rahn aus dem Hintergrund. Das 3:2 bedeutet die Entscheidung. Sechs, vielleicht sieben Minuten später pfeift Schiedsrichter Ling aus England die Partie ab.

Gyula Lóránt »Wir kamen wie die Sieger auf den Platz und hatten doch schon verloren.«

Ein völlig erschöpfter Kapitän Fritz Walter nimmt den Coupe Jules Rimet in Empfang, später heben die Spieler dann den Coach Sepp Herberger in seinem regennassen Trenchcoat auf ihre Schultern.

Währenddessen und später immer wieder suchen die unterlegenen Ungarn nach Erklärungen: Hätte das deutsche Raubein Werner Liebrich im Vorrundenspiel Ferenc Puskás nicht derart übel umgetreten, sodass der Major erst wieder im Finale spielen konnte, hätte am Abend vor dem Finale in Solothurn, wo die Magyaren residierten, nicht ein Volksfest den Spielern den Schlaf geraubt und wäre ein Tor von Puskás kurz vor Schluss doch gegeben worden, es wäre der Ausgleich gewesen. All das vermochte das später viel zitierte »Wunder von Bern« viel weniger zu erklären als die schlichten Sinnsprüche Sepp Herbergers, wonach ein Fußballspiel eben neunzig Minuten dauere und es vor allem deshalb so faszinierend sei, »weil die Leute nicht wissen, wie es ausgeht«.

Außerdem gewinnt am Ende immer Deutschland. Aber das hat jemand anders gesagt.

25.05.2005

PLATZ 3

FC Liverpool – AC Mailand 6:5 (n.V., n.E.)

GÖTTERDÄMMERUNG IN ISTANBUL

One Moment in Time: Das Team des FC Liverpool im Augenblick des nicht mehr für möglich gehaltenen Triumphs.

Hätte es noch eines Belegs für die Dramatik, die außergewöhnliche Schönheit und Spannung dieses Spiels gebraucht, Jerzy Dudek, Torwart des FC Liverpools, liefert ihn in der 104. Minute des Champions-League-Finales 2005.

Im Fünfmeterraum hat Mailands Stürmer Andrej Schewtschenko trocken abgezogen. Dudek wehrt den Ball zunächst mit einem Reflex ab und lenkt auch den Nachschuss aus höchstens einem Meter Entfernung über die Latte. Dass es anschließend immer noch 3:3 steht, können weder der fassungslose Schewtschenko noch Dudek selbst fassen, der eher verwundert als stolz die Glückwünsche seiner Mannschaftskameraden entgegennimmt.

Doch es ist schon zuvor ein besonderes, episches, historisches Spiel mit zwei auf spezielle Weise unvergesslichen Halbzeiten. Die erste Hälfte dominiert ein brillanter AC Mailand, der drei Tore schießt und den Gegner nach allen Regeln der Kunst auseinandernimmt, woran wiederum Rafael Benítez, Liverpools Coach, nicht ganz unschuldig ist. Denn er hat die bewährte Ordnung der Mannschaft aufgelöst, Dietmar Hamann und Igor Bišcán draußen gelassen und dafür den deutlich offensiveren Australier Harry Kewell aufgeboten. Das geht grausam schief. Bei allen drei Toren steht die Abwehr der Engländer freundlich Spalier.

Dietmar Hamann sagt rückblickend: »Besser als die Mailänder in der ersten Halbzeit kann man eigentlich gar nicht spielen. Sie waren unheimlich ballsicher, ließen den Ball laufen und haben fast jede Chance genutzt.«

In der Halbzeit ist man sich auf italienischer Seite des Sieges so sicher, dass die Spieler bereits die Gewinner-T-Shirts unter die Trikots gezogen haben. Jedenfalls erzählen sich das die Spieler in der Liverpool-Kabine, wo ein trotziger Plan geschmiedet wird. Hamann: »Wenn wir eins schießen, schießen wir auch zwei. Und wenn wir zwei schießen, kriegen wir schon noch eine Chance.« Und so geschieht es dann auch: Steven Gerrard trifft mit dem Kopf in die lange Ecke, Vladimir Šmicer haltbar aus der Distanz und Alonso im Nachschuss eines Strafstoßes. Jeder herkömmlichen Mannschaft hätten drei Tore binnen sechs Minuten das Genick gebrochen, Mailand hingegen richtet sich noch einmal auf, mehrfach liegt den italienischen Anhängern im Atatürk-Olympiastadion bereits der Torschrei auf den Lippen – vor allem in jener 104. Minute, als Dudek binnen Sekunden zweimal über sich hinauswächst.

Carlo Ancelotti »Unfassbar! Das waren sechs Minuten des Wahnsinns.«

Das Spiel endet mit jener grausamen Entscheidungsfindung vom Elfmeterpunkt, die mitleidslos Versager und Helden kürt. Mailands Serginho verschießt gleich zu Beginn, anschließend zermürbt Derwisch Dudek die italienischen Schützen durch wildes Gezappel auf der Torlinie. »Er hat sich das von Bruce Grobbelaar abgeschaut, der zwanzig Jahre vor ihm für Liverpool gespielt hat«, weiß Dietmar Hamann.

Nach Serginho verschießen so auch noch Andrea Pirlo und Andrej Schewtschenko, dem Dudek wie entfesselt entgegenhechtet und der nach erfolgreicher Abwehr sogleich unter seinen Mitspielern begraben wird, während der englische Fernsehkommentator ruft: »Der Europapokal ist zurück in Anfield.«

Nach 21 Jahren und ein paar Minuten, um genau zu sein, denn so lange dauert es noch, bis Steven Gerrard den Pokal über seinen Kopf wuchtet und die Mannschaft in rot-weißem Konfetti versinkt. »Es war das schönste Gefühl meines Lebens«, sagt Gerrard später. Die Fußballwelt kann das nachempfinden.

30.07.1966

PLATZ 4

England – Deutschland 4:2 (n.V.)

DRIN ODER LINIE?

Duell im deutschen Strafraum: Wolfgang Weber rettet vor Martin Peters. In der Nachspielzeit hat er dann gegen Geoff Hurst das Nachsehen.

Die letzten Worte dieses epochalen Dramas spricht Kenneth Wolstenholme, der altgediente BBC-Reporter. Als der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst nach seiner Pfeife greift, um das WM-Finale 1966 im Londoner Wembley-Stadion zu beenden, laufen bereits die ersten Menschen auf den Platz. Wolstenholme ruft, halb begeistert und halb entsetzt, in sein Mikrofon: »Some people are on the pitch. They think, it’s all over!« Dann pfeift Dienst endlich mit großer Geste ab, und der Reporter darf erleichtert stöhnen: »It is now!« Nun ist es tatsächlich vorbei, England ist zum ersten Mal Fußballweltmeister.

Hinter beiden Mannschaften liegen 120 Minuten, in denen der Fußball seine ganze Schönheit, aber auch seine Grausamkeit gezeigt hat. In der regulären Spielzeit haben sich beide Mannschaften nichts geschenkt, es ist ein Kampf mit offenem Visier gewesen.

Während sich die Regisseure beider Teams, hier Bobby Charlton, dort Franz Beckenbauer, gegenseitig an die Kette legen, zählt die Presse schier unglaubliche 48 Torschüsse in neunzig Minuten.

Kurz vor Schluss scheint alles entschieden, denn nach 89 Minuten führt Gastgeber England nach Toren von Geoff Hurst und Martin Peters und dem Gegentreffer von Helmut Haller für die Deutschen nicht unverdient mit 2:1. Auf der Haupttribüne haben längst die Vorbereitungen für die Pokalübergabe durch Königin Elisabeth II. begonnen, da rennt das deutsche Team ein letztes Mal an und der Kölner Wolfgang Weber wirft sich mit dem Mut der Verzweiflung in eine abgefälschte Flanke von Siegfried Held – der Ausgleich. Statt in der königlichen Loge hockt die englische Mannschaft plötzlich mit hängenden Köpfen auf dem Rasen des Wembley-Stadions und muss vom bedächtigen Trainer Alf Ramsey erst wieder aufgemuntert werden: »Ihr hattet sie bereits geschlagen. Nun besiegt ihr sie eben noch einmal.« Was einfach klingt, entpuppt sich als schwieriges Unterfangen, auch weil die Deutschen, beflügelt durch die Rettung in letzter Minute, auf die Entscheidung drängen. Es ist nun ein offener Schlagabtausch. Der junge Alan Ball hämmert einen wuchtigen Distanzschuss gegen den Pfosten, auf der Gegenseite verpasst Seeler knapp. Dann bricht die 101. Minute an, die der Fußballwelt ihr berühmtestes Tor bescheren wird. Abermals schlägt Ball eine Flanke, Geoff Hurst dreht sich, und der Ball knallt von der Torlatte – ja, wohin? Ins Tor oder auf die Linie?

Uwe Seeler »Das war kein Tor. Ganz sicher. Der Ball der Engländer war nicht hinter der Linie. Aber das ist heute ja fast schon egal.«

Die englischen Spieler reißen die Arme nach oben, ohrenbetäubender Jubel auf den Rängen, wilde Proteste der Deutschen. Referee Dienst ist sich nicht sicher, läuft, von beiden Teams bestürmt, zu seinem sowjetischen Linienrichter Tofik Bachramow. Der zeigt, bar jeden Zweifels, entschieden mit der Fahne in Richtung Mittellinie. Tor! Es steht 3:2 für England. Es ist zugleich der Genickbruch für die deutsche Elf. Das 4:2, abermals durch den jungen Hurst, ist nur noch eine Formalität.