16,99 €
Wer kennt ihn nicht, den um keine Ausrede verlegenen guten Soldaten Josef Švejk, der seine Vorgesetzten zur Raserei brachte, sich aber mit seinem treuen Blick und seinen skurrilen Geschichten jedes Mal vor der drohenden Bestrafung rettete? In Tschechien gehört der "Švejk" zum Nationalerbe; in Zeiten der Okkupation war er ein Widerstandsbuch -über die Rolle, die das Buch für die Tschechen spielt, informiert Jaroslav Rudiš' sehr persönliche Nachbemerkung. Bei uns hat er sich vor allem durch die Verfilmungen mit Heinz Rühmann oder Fritz Muliar oder die Zeichnungen von Josef Lada auch bildlich ins Gedächtnis eingeprägt. Ins Deutsche übersetzt wurde der Text bisher aber erst einmal: von Grete Reiner, die in den 1920er Jahren mit ihrem "Böhmakeln" gleich eine eigene Sprachform für Švejk schuf. Doch Švejk spricht im Original sauberes Umgangs-Tschechisch, eine Sprache, die sich keineswegs durch grammatikalische Unkorrektheiten auszeichnet. Es war also durchaus an der Zeit, eine neue Übersetzung vorzulegen, die auf diese heute zu komödiantisch wirkenden, k.u.k.-tümelnden Elemente verzichtet und dem Roman so seine Modernität wiedergibt. Auf diese Weise entschlackt, erweist sich dieser große Roman 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges als erschreckend zeitgemäß in seiner Aufdeckung von Behördenwillkür, Selbstüberheblichkeit der Militärs, Obrigkeitshörigkeit und Dummheit. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 1394
Jaroslav Hašek
Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg*
Aus dem Tschechischen übersetzt und herausgegeben von Antonín Brousek
Mit einem Nachwort von Jaroslav Rudiš
Reclam
Tschechischer Originaltitel:
Osudy dobrého vojáka Švejka za světové války
Die Arbeit an der Übersetzung wurde mit Mitteln des Kultusministeriums der Tschechischen Republik (Ministerstvo kultury ČR) gefördert.
4., durchgesehene Auflage
2016 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: FinePic®, München
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2017
RECLAM ist eine eingetragene Marke
der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960444-2
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020411-5
www.reclam.de
Inhalt
Vorwort
ERSTER TEILIm Hinterland
1 Das Eingreifen des guten Soldaten Švejk in den Weltkrieg
2 Švejk auf der Polizeidirektion
3 Švejk vor den Gerichtsärzten
4 Man wirft Švejk aus dem Irrenhaus
5 Švejk auf dem Polizeikommissariat in der Salmgasse
6 Švejk unter Durchbrechung des Zauberkreises abermals zu Hause
7 Švejk rückt ein
8 Švejk als Simulant
9 Švejk im Garnisonsarrest
10 Švejk wird Offiziersdiener beim Feldkuraten
11 Švejk geht mit dem Feldkuraten eine Feldmesse zelebrieren
12 Eine theologische Debatte
13 Švejk geht versehen
14 Švejk wird Offiziersdiener bei Oberleutnant Lukáš
15 Die Katastrophe
ZWEITER TEILAn der Front
1 Švejks Missgeschicke im Zug
2 Švejks Budweiser Anabasis
3 Švejks Erlebnisse in Királyhida
4 Neue Leiden
5 Von Bruck an der Leitha nach Sokal
DRITTER TEILDie glorreiche Dresche
1 Durch Ungarn
2 In Budapest
3 Aus Hatvan an die galizische Grenze
4 Marschieren, Marsch!
VIERTER TEILFortsetzung der glorreichen Dresche
1 Švejk im Transport der russischen Kriegsgefangenen
2 Geistliche Tröstung
3 Švejk wieder zurück bei seiner Marschkompanie
Anhang
Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Allgemeines zu Aussprache, Namen und Fachausdrücken
Nachwort
Abbildungsnachweis
Hinweise zur E-Book-Ausgabe
Zum Švejk: Eine Pilgerreise böhmischer Art
von Jaroslav Rudiš
[5]Vorwort
Eine große Zeit erfordert große Menschen. Es gibt verkannte, bescheidene Helden ohne den Ruhm und die Historie eines Napoleon*. Eine Analyse ihres Charakters würde selbst den Ruhm eines Alexander von Makedonien* in den Schatten stellen.
Heute kann man in den Prager Straßen einem leicht schäbigen Mann begegnen, der selbst nicht einmal weiß, was er eigentlich in der Historie der neuen großen Zeit bedeutet. Er geht bescheiden seinen Weg, belästigt niemanden und wird auch selbst nicht von Journalisten belästigt, die ihn um ein Interview bitten würden.
Wolltet Ihr ihn fragen, wie er heißt, würde er Euch schlicht und bescheiden antworten:
»Ich bin der Švejk …«
Und dieser stille, bescheidene, leicht schäbige Mann ist wirklich der alte gute Soldat Švejk, der heldenhafte, tapfere, der einst unter Österreich im Munde aller Bürger des Königreiches Böhmen war und dessen Ruhm auch in der Republik nicht verblassen wird.
Ich habe ihn sehr gern, diesen guten Soldaten Švejk, und indem ich seine Schicksale im Weltkrieg darbiete, bin ich überzeugt davon, dass Ihr alle mit diesem bescheidenen, verkannten Helden sympathisieren werdet.
Er hat nicht den Tempel der Göttin in Ephesos angezündet, wie es der Dummkopf Herostrates* getan hat, um in die Zeitungen und Schulbücher zu kommen.
Und das genügt.
Der Autor
[7] ERSTER TEIL
Im Hinterland
Kapitel 1
Das Eingreifen des guten Soldaten Švejk in den Weltkrieg
»Die haben uns also den Ferdinand* umgebracht«, sagte die Zugehfrau zu Herrn Švejk, der vor Jahren den Militärdienst quittiert hatte, nachdem er von einer militärärztlichen Kommission endgültig für geistesschwach erklärt worden war und sich nunmehr durch den Verkauf von Hunden ernährte, hässlichen, nicht reinrassigen Scheusalen, für die er die Stammbäume fälschte.
Über diese Beschäftigung hinaus litt er an Rheumatismus und rieb sich gerade seine Knie mit Opodeldok* ein.
»Welchen Ferdinand, Frau Müllerová?« fragte Švejk, wobei er nicht aufhörte, sich die Knie zu massieren, »ich kenne zwei Ferdinands. Den einen, der Laufbursche beim Drogisten Průša ist und der ihm dort einmal versehentlich eine Flasche mit irgendeiner Haartinktur ausgetrunken hat, und dann kenne ich noch den Ferdinand Kokoška, der Hundekacke aufsammelt. Um beide ist es nicht schade.«
»Aber gnädiger Herr, den Herrn Erzherzog Ferdinand, den aus Konopischt*, den dicken, frommen.«
»Jessesmaria«, rief Švejk aus, »das ist ja ein Ding. Und wo ist es dem Herrn Erzherzog passiert?«
»Sie haben ihn in Sarajevo erschossen, gnädiger Herr, mit einem Revolver. Er fuhr dort mit der Erzherzogin in einem Automobil.«
»Da schau her, Frau Müllerová, in einem Automobil. Ja, so ein Herr, der kann sich das erlauben und denkt nicht einmal daran, dass so eine Fahrt im Automobil unglücklich enden kann. Und noch dazu in Sarajevo, das ist in Bosnien, Frau Müllerová. Das haben wohl die [8] Türken gemacht. Wir hätten denen halt Bosnien und Herzegowina nicht wegnehmen sollen. Tja, Frau Müllerová, jetzt ist also der Herr Erzherzog in der ewigen Gnade Gottes. Hat er sehr gelitten?«
»Das ging ganz schnell mit dem Herrn Erzherzog, gnädiger Herr. Da sieht man, dass so ein Revolver kein Spielzeug ist. Letztens spielte ein Herr bei uns in Nusle* mit einem Revolver und hat dabei die ganze Familie erschossen und den Hausmeister dazu, der mal nachschauen wollte, wer da im dritten Stock herumschießt.«
»Manch ein Revolver, Frau Müllerová, gibt einfach gar keinen Schuss ab, da kann man wahnsinnig werden. Solche Systeme gibt es viele. Aber für den Herrn Erzherzog haben die bestimmt was Besseres gekauft, und ich wette auch drauf, dass der Mensch, der ihm das angetan hat, sich dafür schön angezogen hat. Sehen Sie, einen Herrn Erzherzog zu erschießen, das ist eine sehr schwere Arbeit. Das ist nicht wie wenn ein Wilderer einen Förster erschießt. Es kommt ja auch darauf an, wie man an ihn herankommt. An so einen Herrn kommt man nicht in irgendwelchen Lumpen heran. Das muss man im Zylinder machen, damit einen nicht schon vorher ein Polizist verhaftet.«
»Es waren wohl mehrere, gnädiger Herr.«
»Na, das versteht sich von selbst, Frau Müllerová«, sagte Švejk, indem er die Massage seiner Knie beendete, »wenn Sie den Herrn Erzherzog töten wollten, oder Seine Majestät den Kaiser, dann würden Sie auch mit jemandem beratschlagen. Mehr Leute haben mehr Verstand. Der eine rät das, der andere das, und dann gelingt das Werk, wie es schon in unserer Hymne* heißt. Die Hauptsache ist es, den Augenblick abzupassen, wenn so ein Herr vorbeifährt. Genau so, wenn Sie sich erinnern, der Herr Lucheni*, der unsere selige Elisabeth mit der Feile erdolchte. Er ging mit ihr zusammen spazieren. Und da soll man noch jemandem vertrauen; seitdem geht keine Kaiserin mehr alleine spazieren. Und das wird noch vielen anderen Personen [9] passieren. Sie werden sehen, Frau Müllerová, die werden noch den Zaren und die Zarin erwischen*, und es kann sein, Gott möge es verhindern, auch Seine Majestät, wenn die schon mit seinem Onkel* angefangen haben. Der alte Herr hat viele Feinde. Noch mehr als dieser Ferdinand. Wie schon letztens ein Herr in der Kneipe erzählt hat, dass eine Zeit kommen wird, wo diese Kaiser einer nach dem anderen draufgehen werden und dass ihnen da nicht einmal die Generalstaatsanwaltschaft wird helfen können. Und dann konnte er seine Zeche nicht bezahlen, und der Wirt musste ihn abführen lassen. Dem hat er dann eine Ohrfeige gegeben und dem Wachtmeister zwei. Dann haben sie ihn im Korbwagen* weggefahren, dass er wieder zu sich kommt. Ja, Frau Müllerová, heutzutage geschehen Dinge. Welch ein Verlust für Österreich. Als ich beim Militär war, da hat dort ein Infanterist den Hauptmann erschossen. Er hat seine Flinte geladen und ging ins Büro. Dort haben die ihm gesagt, er habe dort nichts verloren, er aber in einem fort, dass er mit dem Hauptmann sprechen müsse. Der Hauptmann ist rausgekommen und verpasste ihm gleich Kasernenarrest. Und da hat der die Flinte genommen und verpasste ihm eine direkt in Herz. Die Kugel kam dem Herrn Hauptmann hinten aus dem Rücken raus und hat noch Schaden im Büro angerichtet. Sie hat eine Flasche mit Tinte zerschlagen, und die ergoss sich dann auf amtliche Akten.«
»Und was ist dann mit dem Soldaten passiert?« fragte nach einer Weile Frau Müllerová, während Švejk sich anzog.
»Er hat sich an einem Hosenträger erhängt«, sagte Švejk, seinen steifen Hut reinigend. »Und der Hosenträger war nicht einmal seiner. Den hat er sich vom Profos* geliehen, weil ihm angeblich die Hosen herunterhängen. Sollte er warten, bis sie ihn erschießen? Sie sehen, Frau Müllerová, dass in einer solchen Situation jeder völlig durcheinander ist. Den Profos haben sie dann degradiert, und er bekam sechs Monate. Die hat er aber nicht abgesessen. Er floh in die Schweiz, und heute ist er da Prediger irgendeiner Kirche. Heutzutage gibt es nur [10] wenig ehrliche Menschen, Frau Müllerová. Ich stelle mir vor, dass der Herr Erzherzog sich dort in Sarajevo auch in diesem Menschen getäuscht hat, der ihn erschossen hat. Er sah irgendeinen Herrn und dachte sich: Das scheint irgendein anständiger Mensch zu sein, wenn er mir zujubelt. Und stattdessen hat ihn der Herr abgeknallt. Hat er ihm eine verpasst oder mehrere?«
»Die Zeitungen schreiben, gnädiger Herr, dass der Herr Erzherzog wie ein Sieb aussah. Er hat all seine Kugeln auf ihn verschossen.«
»So was geht unheimlich schnell, Frau Müllerová, schrecklich schnell. Ich würde mir für so eine Sache eine Browning* kaufen. Sieht wie ein Spielzeug aus, man kann aber damit in zwei Minuten zwanzig Erzherzöge erschießen, dicke und dünne. Allerdings, unter uns, Frau Müllerová, einen dicken Herrn Erzherzog trifft man sicherer als einen dünnen. Wenn ich mich richtig erinnere, haben die damals in Portugal auch den König* erschossen. Das war auch so ein Dicker. Na ja, so ein König wird ja wohl nicht dünn sein. Ich gehe jetzt also ins Wirtshaus ›Zum Kelch‹, und wenn jemand wegen der Töle kommt, für die ich schon die Anzahlung bekommen habe, dann bestellen Sie dem, dass ich sie in meinem Zwinger auf dem Lande habe, da ich ihr erst gerade die Ohren kupiert* habe, und dass sie jetzt nicht überführt werden kann, bis die Ohren verheilt sind, damit die Ohren keine Kälte abbekommen. Und den Schlüssel bei der Hausmeisterin lassen.«
Im Wirthaus »Zum Kelch« saß nur ein Gast. Es war der Zivilpolizist Bretschneider, im Dienste der Staatspolizei stehend. Der Gastwirt Palivec wusch die Bieruntersetzer ab, und Bretschneider versuchte vergeblich, mit ihm ein ernstes Gespräch zu beginnen. Palivec war ein bekannter Grobian, jedes zweite Wort war bei ihm »Arsch« und »Scheiße«. Dabei war er sehr belesen und machte jeden darauf aufmerksam, er solle sich mal durchlesen, was über den letztgenannten Gegenstand Victor Hugo* geschrieben habe, als er die letzte [11] Antwort der Alten Garde Napoleons an die Engländer bei der Schlacht von Waterloo* schilderte.
»Das ist ja ein schöner Sommer«, begann Bretschneider sein ernstes Gespräch.
»Das ist alles nur Scheiße«, antwortete Palivec, während er die Bieruntersetzer in den Glasschrank legte.
»Das haben die ja prima hinbekommen in Sarajevo«, antwortete mit schwacher Hoffnung Bretschneider.
»In was für einem Sarajevo?« fragte Palivec, »in der Weinstube in Nusle. Die prügeln sich dort doch jeden Tag, Nusle eben.«
»Im bosnischen Sarajevo, Herr Wirt. Die haben dort den Herrn Erzherzog Ferdinand erschossen. Was sagen Sie dazu?«
»In solche Sachen mische ich mich nicht ein, mit so was können die mich alle am Arsch lecken«, antwortete höflich Herr Palivec und zündete sich seine Pfeife an, »sich heutzutage in so was einzumischen kann jedem das Genick brechen. Ich bin Gewerbetreibender, wenn jemand kommt und ein Bier bestellt, dann zapfe ich ihm eins. Aber irgendein Sarajevo, Politik oder der verstorbene Erzherzog, das ist nichts für unsereins, da kommt nichts bei raus als Knast.«
Bretschneider verstummte und blickte enttäuscht ins menschenleere Lokal.
»Hier hing früher ein Bild Seiner Majestät«, fing er nach einer Weile wieder an, »genau dort, wo jetzt der Spiegel hängt.«
»Ja, da haben Sie recht«, antwortete Herr Palivec, »es hing dort und die Fliegen haben drauf geschissen, so habe ich es auf den Dachboden gebracht. Sie wissen ja, da könnte sich einer eine Bemerkung erlauben, und es können Unannehmlichkeiten entstehen. Habe ich das nötig?«
»Dort in Sarajevo muss das ja furchtbar gewesen sein, Herr Wirt?«
Auf diese heimtückisch direkte Frage antwortete Herr Palivec ungewöhnlich vorsichtig:
»Zu dieser Jahreszeit muss es in Bosnien und Herzegowina [12] schrecklich heiß sein. Als ich dort gedient hab, mussten die unserem Oberleutnant Eis auf den Kopf tun.«
»Bei welchem Regiment haben Sie gedient, Herr Wirt?«
»An so eine Belanglosigkeit kann ich mich nicht mehr erinnern, so ein Scheißdreck hat mich nie interessiert, ich war nie neugierig auf so was«, antwortete Herr Palivec, »allzu große Neugier schadet nur.«
Der Zivilpolizist Bretschneider verstummte endgültig, und sein trübsinniger Gesichtsausdruck heiterte sich erst auf, als Švejk hereinkam, der ins Lokal tretend sich ein dunkles Bier bestellte und dabei anmerkte:
»In Wien tragen die heute Trauer.«
Bretschneiders Augen blitzten voller Hoffnung auf; er sagte knapp:
»In Konopischt haben die zehn schwarze Fahnen.«
»Es sollen zwölf sein«, sagte Švejk, während er zu trinken anfing.
»Warum, meinen Sie, sollen es zwölf sein?« fragte Bretschneider.
»Damit die Rechnung aufgeht, ins Dutzend, das kann man besser rechnen, im Dutzend ist alles billiger«, antwortete Švejk.
Es herrschte Ruhe, die Švejk selbst mit einem Seufzer unterbrach:
»So ist er jetzt in der Ruhe Gottes, Gott gebe ihm ewigen Ruhm. Nicht einmal Kaiser zu werden hat er geschafft. Als ich bei Militär war, fiel ein General vom Pferd und verstarb dabei ganz unbemerkt. Die wollten ihm wieder aufs Pferd helfen und haben sich dann gewundert, dass er völlig tot ist. Dabei sollte er zum Feldmarschall befördert werden. Es ist bei der Truppeninspektion passiert. Diese Inspektionen sind nie zu etwas gut. Auch in Sarajevo war es irgendeine Art Inspektion. Ich kann mich erinnern, dass mir bei einer solchen Inspektion mal zwanzig Knöpfe an der Uniform gefehlt haben, das hat mir vierzehn Tage Einzelarrest eingebracht, und zwei Tage musste ich wie Lazarus* daliegen, an ein Gestell angebunden. Aber Disziplin muss beim Militär sein, sonst würde jeder machen, was er will. Unser Oberleutnant Makovec sagte zu uns immer: ›Disziplin, ihr blöden Hunde, [13] die muss sein, sonst würdet ihr wie Affen auf den Bäumen klettern, aber das Militär macht euch zu Menschen, ihr blöden Trottel‹, und ist es nicht wahr? Stellen Sie sich mal einen Park vor, sagen wir mal auf dem Karlsplatz, und auf jedem Baum ein Soldat ohne Disziplin. Davor hatte ich immer die größte Angst.«
»Dort in Sarajevo«, schloss sich Bretschneider an, »das haben die Serben gemacht.«
»Da irren Sie sich«, antwortete Švejk, »das haben die Türken gemacht, wegen Bosnien und Herzegowina.«
Und Švejk führte seine Ansicht über die internationale Politik Österreichs auf dem Balkan aus. Die Türken hatten 1912 gegen Serbien, Bulgarien und Griechenland verloren. Sie hatten gewollt, dass Österreich ihnen hilft, als das nicht geschehen war, haben sie Ferdinand erschossen.
»Magst du die Türken?« wandte Švejk sich an den Gastwirt Palivec, »magst du diese heidnischen Hunde? Doch bestimmt nicht.«
»Ein Gast wie der andere«, sagte Palivec, »auch ein Türke. Für uns Gewerbetreibende gibt es keine Politik. Bezahl dein Bier, sitz in der Kneipe herum und rede, was du willst. Das ist mein Grundsatz. Ob das unserem Ferdinand ein Serbe oder ein Türke angetan hat, ein Katholik oder Mohammedaner, ein Anarchist oder ein Jungtscheche*, das ist mir völlig egal.«
»Gut, Herr Wirt«, ließ Bretschneider sich hören, der wieder dabei war, die Hoffnung aufzugeben, dass er einen der beiden erwischen könnte, »aber wir sind uns doch einig, dass das ein großer Verlust für Österreich ist.«
Anstelle des Wirts antwortete Švejk:
»Ein Verlust ist das, das kann man nicht leugnen. Ein riesiger Verlust. Diesen Ferdinand kann man nicht durch irgendeinen Trottel ersetzen. Vor allem sollte er dicker sein.«
»Wie meinen Sie das?« belebte sich Bretschneider.
[14] »Wie ich das meine?« erwiderte zufrieden Švejk. »Ganz einfach folgendermaßen: Wäre er dicker gewesen, dann hätte er bestimmt schon vorher einen Schlaganfall bekommen, als er hinter den alten Weibern in Konopischt her war, wenn die in seinem Revier Reisig und Pilze gesammelt haben, und dann hätte er nicht eines so peinlichen Todes sterben müssen. Wenn man mal bedenkt, der Onkel Seiner Majestät, und wird erschossen. Das ist doch peinlich, alle Zeitungen sind voll davon. Bei uns in Budweis* haben sie vor Jahren auf dem Markt einen Viehhändler erstochen, einen gewissen Břetislav Ludvík. Der hatte einen Sohn namens Bohuslav, und wenn der irgendwohin kam, um Schweine zu verkaufen, hat von dem keiner was gekauft, jeder sagte: Das ist der Sohn von dem Erstochenen, das wird bestimmt auch so ein schlimmer Lump sein. Er hat dann in Krumau* von dieser Brücke in die Moldau springen müssen, sie haben ihn rausziehen müssen, wiederbeleben, haben Wasser aus ihm pumpen müssen, und er hat ihnen in den Armen des Arztes verscheiden müssen, der ihm irgendeine Spritze gegeben hat.«
»Sie haben aber merkwürdige Vergleiche«, sagte Bretschneider bedeutsam, »erst sprechen Sie von Ferdinand und dann von einem Viehhändler.«
»Aber gar nicht«, verteidigte sich Švejk, »Gott bewahre, dass ich jemand mit jemandem vergleichen wollte. Der Herr Wirt kennt mich. Stimmt doch, dass ich niemals jemand mit jemandem vergleichen wollte. Ich würde jetzt nur nicht gern in der Haut der Witwe des Erzherzogs stecken. Was wird sie jetzt machen? Die Kinder sind Waisen, die Herrschaft in Konopischt ist ohne Herrn. Und wieder einen anderen Erzherzog heiraten? Was hat sie davon? Sie fährt wieder mit ihm nach Sarajevo und wird zum zweitenmal Witwe. Dort in Sliw* bei Frauenberg* lebte vor Jahren mal ein Förster, der hatte den schrecklichen Namen Pinďour*. Es haben ihn dann Wilderer erschossen, und nach ihm blieb eine Witwe mit zwei Kindern zurück, und die hat [15] nach einem Jahr wieder einen Förster geheiratet, den Pepík Šavla aus Mydlowar*. Und den haben die ihr dann auch erschossen. Dann hat sie zum drittenmal geheiratet, wieder einen Förster, und sagte sich: Aller guten Dinge sind drei. Wenn es jetzt nicht klappt, weiß ich nicht, was ich machen soll. Und natürlich haben sie auch den erschossen, und da hatte sie mit all diesen Förstern zusammen schon sechs Kinder. Sie war in der Kanzlei des Herrn Fürsten in Frauenberg und beschwerte sich, was für einen Kummer sie mit diesen Förstern habe. Da haben die ihr den Teichwärter Jareš von der Teichwarte Raschitz* empfohlen. Und was soll man sagen, den haben sie wieder beim Ausfischen des Teichs ertränkt, und sie hatte mit ihm zwei Kinder. Dann nahm sie sich einen Tierkastrator aus Wodnian*, und der hat sie dann eines Abends mit der Hacke erschlagen und sich freiwillig angezeigt. Als sie ihn dann beim Kreisgericht in Pisek* gehängt haben, hat er dem Pfarrer die Nase abgebissen und gesagt, dass es ihm nicht leidtue, und dann hat er noch was ganz Hässliches über Seine Majestät gesagt.«
»Und Sie wissen nicht, was er über ihn gesagt hat?« fragte mit hoffnungsvoller Stimme Bretschneider.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil niemand gewagt hat, es zu wiederholen. Aber es war angeblich so was Furchtbares und Schreckliches, dass der Herr Gerichtsrat, der dabei war, dann verrückt geworden ist und heute noch in Isolationshaft leben muss, damit es nicht rauskommt. Das war bestimmt keine normale Majestätsbeleidigung, wie man sie im Suff macht.«
»Und welche Majestätsbeleidigungen macht man im Suff?« fragte Bretschneider.
»Ich bitte Sie, meine Herren, reden Sie von etwas anderem«, ließ sich der Wirt Palivec vernehmen, »Sie wissen, ich mag das nicht. Man sagt so leicht was dahin, und dann kann es einem leidtun.«
»Welche Majestätsbeleidigungen im Suff es gibt?« wiederholte Švejk. »Alle möglichen. Besaufen Sie sich mal, lassen Sie sich die [16] österreichische Hymne spielen, und Sie werden sehen, was Sie zu reden anfangen. Man denkt sich dann so viel über den Kaiser aus, dass, selbst wenn nur die Hälfte davon wahr wäre, es genügen würde, dass er sich das ganze Leben schämen müsste. Und dabei hat das der alte Herr nicht verdient. Bedenken Sie mal: Den Sohn Rudolf* hat er in zartem Alter verloren, in voller Manneskraft. Seine Gattin Elisabeth haben die mit einer Feile durchbohrt, dann ist ihm der Johann Orth* verloren gegangen, seinen Bruder, den Kaiser von Mexiko*, hat man ihm in irgendeiner Festung an irgendeiner Wand erschossen. Und jetzt auf seine alten Tage haben sie ihm wieder den Onkel erschossen. Da müsste man wirklich eiserne Nerven haben. Und dann fällt noch irgendeinem Besoffenen ein, ihn zu beschimpfen. Wenn heute irgendein Krieg ausbricht, dann geh ich freiwillig und diene Seiner Majestät, bis man mich in Stücke reißt.«
Švejk nahm einen gründlichen Schluck und fuhr fort:
»Meinen Sie denn, dass der Kaiser es so bleiben lässt? Da kennen Sie ihn schlecht. Krieg mit den Türken muss sein. Ihr habt mir den Onkel umgebracht, und jetzt bekommt ihr dafür eins in die Fresse. Dass es Krieg gibt, ist sicher. Serbien und Russland werden uns in diesem Krieg helfen. Das wird ein Gemetzel.«
Švejk sah in diesem prophetischen Augenblick herrlich aus. Sein einfältiges Gesicht, das lachte wie der Vollmond, glühte vor Begeisterung. Ihm war alles klar.
»Es kann sein«, fuhr er mit der Schilderung der Zukunft Österreichs fort, »dass uns im Falle eines Krieges mit den Türken die Deutschen angreifen, denn die Deutschen und die Türken, die halten zusammen. Das sind solche Drecksäcke, wie sonst keiner auf der Welt. Wir können uns allerdings mit Frankreich verbünden, das hat es seit dem einundsiebziger Jahr* auf Deutschland abgesehen. Und schon wird’s klappen. Der Krieg kommt, mehr sage ich nicht.«
Bretschneider erhob sich und sagte feierlich:
[17] »Mehr müssen Sie auch nicht sagen, kommen Sie mit mir auf den Gang, dort will ich Ihnen etwas sagen.«
Švejk ging mit dem Zivilwachtmeister auf den Gang, wo ihn eine kleine Überraschung erwartete, als ihm der Nachbar vom Bier seinen Dienstadler zeigte und erklärte, dass er ihn verhafte und sogleich zur Polizeidirektion führen werde.
Švejk versuchte zu erklären, dass der Herr sich irre, er sei völlig unschuldig, er habe kein einziges Wort gesagt, das jemanden habe beleidigen können.
Bretschneider jedoch erklärte ihm, dass er in Wirklichkeit einige Straftaten verübt habe, unter denen auch das Verbrechen des Hochverrats eine besondere Rolle spiele.
Dann kehrten beide in die Gaststube zurück, und Švejk sagte zu Palivec: »Ich hatte fünf Bier und ein Brötchen mit Würstchen. Gib mir jetzt noch einen Sliwowitz*, ich muss schon gehen, denn ich bin verhaftet.«
Bretschneider zeigte Herrn Palivec seinen Dienstadler, schaute eine Weile auf Herrn Palivec und fragte dann:
»Sind Sie verheiratet?«
»Bin ich.«
»Und kann Ihre Frau während Ihrer Abwesenheit das Geschäft führen?«
»Sie kann.«
»Dann ist alles in Ordnung, Herr Wirt«, sagte Bretschneider heiter, »rufen Sie Ihre Frau herbei, übergeben Sie ihr alles, und abends werden wir Sie abholen kommen.«
»Mach dir nicht draus«, tröstete ihn Švejk, »ich muss auch hin, bloß wegen Hochverrats.«
»Aber weswegen ich denn?« jammerte Palivec, »ich war doch so vorsichtig.«
Bretschneider lächelte und sagte siegesgewiss:
[18] »Weil Sie gesagt haben, dass die Fliegen auf den Kaiser geschissen haben. Man wird Ihnen unseren Herrn Kaiser schon aus dem Kopf treiben.«
Und Švejk verließ das Gasthaus »Zum Kelch« in Begleitung des Zivilpolizisten, den er, als sie die Straße betraten, mit seinem gutmütigen Lächeln im Gesicht fragte:
»Soll ich vom Bürgersteig runter?«
»Warum denn?«
»Ich dachte, dass, wenn ich verhaftet bin, ich nicht mehr das Recht habe, auf dem Bürgersteig zu gehen.«
Als sie in das Tor der Polizeidirektion eintraten, sagte Švejk: »Das war wirklich kurzweilig. Gehen Sie öfter in den ›Kelch‹?«
Und während man Švejk in das Aufnahmebüro führte, übergab Herr Palivec das Lokal seiner weinenden Frau, wobei er sie auf seine seltsame Art tröstete:
»Heul hier nicht rum, was können die mir wegen dem beschissenen Bild vom Kaiser anhaben?«
Und so griff der gute Soldat Švejk auf seine nette und liebenswürdige Art in den Weltkrieg ein. Die Historiker wird interessieren, dass er weit in die Zukunft sah. Wenn sich die Situation später anders entwickelte, als er es im »Kelch« auseinandergesetzt hatte, müssen wir berücksichtigen, dass er keine diplomatische Vorbildung besaß.
Kapitel 2
Švejk auf der Polizeidirektion
Durch das Attentat von Sarajevo war die Polizeidirektion mit zahlreichen Opfern angefüllt.
Einen nach dem anderen führten sie hinein, und im Aufnahmebüro sagte ein alter Inspektor mit gutmütiger Stimme:
[19] »Ihnen wird sich der Ferdinand nicht auszahlen.«
Als sie Švejk in eine der vielen Zellen im ersten Stock sperrten, fand er dort eine Gesellschaft von sechs Personen vor. Fünf von ihnen saßen um einen Tisch herum, und in der Ecke auf einer Pritsche saß, als ob er die übrigen scheute, ein Mann in mittleren Jahren.
Švejk begann nacheinander jeden zu fragen, warum er eingesperrt sei.
Von den fünf, die um den Tisch herum saßen, bekam er mehr oder weniger genau die gleiche Antwort:
»Wegen Sarajevo!« – »Wegen Ferdinand!« – »Wegen des Mordes am Herrn Erzherzog!« – »Von wegen dem Ferdinand!« – »Deshalb, weil die den Herrn Erzherzog in Sarajevo umgebracht haben!«
Der sechste, der die Gesellschaft der übrigen fünf mied, sagte hingegen, dass er mit ihnen nichts zu tun haben wolle, damit auf ihn nicht irgendein Verdacht falle, er sitze lediglich wegen versuchten Raubmordes an einem Bauern aus Holitz*.
Švejk setzte sich an den Tisch zu der Gesellschaft der Verschwörer, welche schon zum zehntenmal erklärten, wie sie da hineingeraten waren.
Alle, bis auf einen, hatte es entweder im Wirtshaus, in der Weinstube oder im Kaffeehaus erwischt. Eine Ausnahme machte nur ein ungewöhnlich dicker Herr mit Brille und verweinten Augen, der zu Hause in seiner Wohnung verhaftet worden war, weil er zwei Tage vor dem Attentat von Sarajevo im Lokal »Bei Brejška« die Rechnung für zwei serbische Studenten der Technischen Universität bezahlt hatte und vom Zivilpolizisten Brixi in deren Gesellschaft betrunken im »Montmartre« in der Kettengasse beobachtet worden war, wo er, wie er bereits im Protokoll mit seiner Unterschrift bestätigt hatte, ebenfalls für diese gezahlt hatte.
[20] Auf alle Fragen während der vorläufigen Untersuchung auf dem Polizeikommissariat jammerte er stereotyp:
»Ich habe doch eine Papierwarenhandlung.«
Worauf er stets die gleiche stereotype Antwort bekam:
»Dies entlastet Sie nicht.«
Ein kleiner Herr, dem es in der Weinstube passiert war, war Gymnasialprofessor für Geschichte, und er erklärte dem Weinstubenbesitzer den geschichtlichen Hintergrund verschiedener Attentate. Er wurde genau in dem Augenblick verhaftet, als er seine psychologische Analyse eines jeden Attentats mit den Worten beendete:
»Der Gedanke des Attentats ist ebenso einfach wie das Ei des Kolumbus.«
»Genau so einfach, dass auf Sie jetzt das Gefängnis wartet«, ergänzte seine Aussage beim Verhör der Polizeikommissar.
Der dritte Verschwörer war Vorsitzender des Wohltätigkeitsvereins »Dobromil«* in Hodkowitschka*.
An dem Tag, als das Attentat verübt worden war, veranstaltete der Verein »Dobromil« ein Gartenfest mit Konzert. Ein Gendarmeriewachtmeister kam und bat die Teilnehmer, auseinanderzugehen, da in Österreich Staatstrauer angeordnet sei, woraufhin der Vorsitzende des »Dobromil« ihm gutmütig sagte:
»Warten Sie doch noch ein Weilchen, bis man ›Hej Slovane*‹ zu Ende gespielt hat.«
Nun saß er mit gesenktem Kopf da und klagte:
»Im August haben wir neue Vorstandswahlen. Und wenn ich bis dahin nicht zu Hause bin, kann es passieren, dass die mich nicht mehr wählen. Ich bin schon zum zehntenmal in Folge Vorsitzender. Diese Schande überlebe ich nicht.«
Eigentümlich hatte der dahingeschiedene Ferdinand dem vierten Verhafteten mitgespielt. Einem Mann von aufrechter Gesinnung und tadellosem Aussehen. Zwei Tage war er jeder Art von Gespräch über [21] Ferdinand aus dem Weg gegangen, und als er abends im Kaffeehaus beim Mariage* saß und gerade den Eichelkönig mit einer Kugelsieben stach, sagte er: »Sieben Kugeln, wie in Sarajevo.«
Der fünfte Herr, welcher selbst erklärt hatte, er sitze wegen des Mordes am Herrn Erzherzog in Sarajevo, hatte jetzt noch das Haar und den Bart vor Schrecken gesträubt, so dass sein Kopf an einen Stallpinscher erinnerte.
Er hatte in dem Restaurant, wo er verhaftet worden war, kein Wort gesprochen, nicht einmal in der Zeitung von der Ermordung Ferdinands gelesen, er hatte ganz alleine am Tisch gesessen, als zu ihm irgendein Herr trat, sich ihm gegenüber hinsetzte und schnell sagte:
»Haben Sie das gelesen?«
»Habe ich nicht.«
»Wissen Sie was drüber?«
»Weiß ich nicht.«
»Und wissen Sie, worum es geht?«
»Ich weiß es nicht, es interessiert mich nicht.«
»Es sollte Sie trotzdem interessieren.«
»Ich weiß nicht, was mich interessieren sollte. Ich rauche meine Zigarre, trinke einige Gläser, esse zu Abend und lese keine Zeitung. Die Zeitungen lügen. Weshalb sollte ich mich aufregen.«
»Sie interessiert also der Mord von Sarajevo nicht.«
»Mich interessiert überhaupt kein Mord. Ob er nun in Prag passiert ist, in Wien, in Sarajevo oder in London. Dafür sind die Behörden da, die Gerichte und die Polizei. Wenn die irgendjemanden irgendwo umbringen, dann geschieht es ihm ganz recht, warum war der Trottel so unvorsichtig und hat sich umbringen lassen.«
Dies waren die letzten Worte in diesem Gespräch. Seit dieser Zeit wiederholte der Mann nur laut im Abstand von jeweils fünf Minuten:
[22] »Ich bin unschuldig, ich bin unschuldig.«
Diese Worte brüllte er in der Toreinfahrt zur Polizeidirektion, diese Worte wird er nach seiner Überstellung im Kriminalgericht in Prag wiederholen, und mit diesen Worten wird er auch in seine Zuchthauszelle treten.
Nachdem Švejk all diese furchtbaren Verschwörergeschichten angehört hatte, hielt er es für angezeigt, seinen Zellengenossen die Aussichtslosigkeit ihrer aller Situation zu erklären.
»Es steht um uns sehr schlecht«, begann er seine Worte des Trostes. »Es stimmt nicht, wie Sie sagen, dass Ihnen, uns allen, nichts passieren kann. Wofür ist denn die Polizei da, doch dafür, damit sie uns für unsere losen Mäuler bestraft. Wenn eine so gefährliche Zeit herrscht, dass Erzherzöge erschossen werden, dann darf sich niemand wundern, wenn sie ihn zur Polizeidirektion bringen. Dies geschieht alles wegen dem Glanz, damit der Ferdinand vor seiner Beerdigung mehr Reklame hat. Je mehr von uns hier sein werden, umso besser für uns, denn dann ist es für uns lustiger. Als ich meinen Militärdienst abgedient habe, war von uns manchmal die halbe Kompanie eingesperrt. Und wie viele unschuldige Menschen schon verurteilt worden sind. Nicht nur beim Militär, nein, auch bei den Gerichten. Ich erinnere mich daran, dass einmal irgendeine Frau verurteilt worden ist, weil sie ihre neugeborenen Zwillinge erwürgt haben soll. Und obwohl sie schwor, dass sie keine Zwillinge habe erwürgen können, da sie lediglich ein kleines Mädchen geboren habe, welches sie ganz schmerzlos habe ersticken können, wurde sie trotzdem wegen Doppelmordes verurteilt. Oder der unschuldige Zigeuner in Zabehlitz*, der in der Nacht zum ersten Weihnachtsfeiertag in einen Kolonialwarenladen eingebrochen war. Er hat geschworen, dass er sich lediglich habe aufwärmen wollen. Aber das hat ihm nicht geholfen. Wenn einmal ein Gericht etwas in die Hand nimmt, dann sieht’s schlecht aus. Das muss aber auch so sein. Vielleicht sind nicht alle Leute solche [23] Lumpen, wie man es von ihnen erwarten kann. Aber kann man heute einen anständigen Menschen von einem Lumpen unterscheiden, vor allem heute, in einer so ernsten Zeit, wo die den Ferdinand abgeknallt haben? Bei uns, als ich in Budweis beim Militär war, haben die im Wald hinter dem Übungsplatz den Hund des Herrn Hauptmann erschossen. Als der davon erfuhr, ließ er uns alle rufen, Aufstellung nehmen und sagte, jeder zehnte Mann solle vortreten. Ich, das ist ja klar, war ein solcher zehnter, und so standen wir dort in Habtachtstellung und haben nicht mal mit der Wimper gezuckt. Der Hauptmann ist um uns herumgegangen und hat gesagt: ›Ihr Lumpen, ihr Mistkerle, ihr Verbrecher, ihr gefleckten Hyänen, am liebsten würde ich euch wegen dem Hund Einzelhaft aufbrummen, euch zu Nudeln zerhacken, erschießen und Karpfen blau aus euch machen. Damit ihr aber wisst, dass ich euch nicht schone, gebe ich euch allen vierzehn Tage Kasernenarrest.‹ Sie sehen also, damals ging es nur um ein kleines Hündchen, aber jetzt geht’s sogar um einen Herrn Erzherzog. Und deswegen muss Furcht herrschen, damit die Staatstrauer sich lohnen kann.«
»Ich bin unschuldig, ich bin unschuldig«, wiederholte der Mann mit dem gesträubten Haar.
»Christus, unser Herr, war auch unschuldig«, sagte Švejk, »und dennoch haben sie ihn gekreuzigt. Niemals kam es irgendjemandem darauf an, ob jemand unschuldig ist. Maul halten und weiterdienen* – wie sie uns beim Militär gesagt haben. Das ist das Beste und das Schönste.«
Švejk legte sich auf die Pritsche und schlief zufrieden ein.
In der Zwischenzeit brachte man zwei Neue. Einer von ihnen war ein Bosnier. Er lief in der Zelle umher, knirschte mit den Zähnen, und jedes zweite Wort von ihm war: »Jebem ti dušu*.« Es quälte ihn der Gedanke, dass auf der Polizeidirektion sein Gottscheekorb* verloren gehen könnte.
[24] Der zweite neue Gast war der Wirt Palivec, welcher, als er seinen Bekannten Švejk erblickte, diesen weckte und mit einer Stimme voller Tragik ausrief:
»Ich bin auch schon da.«
Švejk schüttelte ihm herzlich die Hand und sagte:
»Da bin ich aber froh. Ich hab ja gewusst, dass der Herr Wort halten wird, als er Ihnen gesagt hat, man würde Sie noch abholen kommen. So eine Zuverlässigkeit ist eine gute Sache.«
Herr Palivec bemerkte jedoch, dass eine solche Zuverlässigkeit einen Scheißdreck wert sei, und fragte Švejk leise, ob denn die übrigen eingesperrten Herren keine Diebe seien, das könnte ihm als Gewerbetreibendem schaden.
Švejk erklärte ihm, dass alle bis auf einen, der hier wegen versuchten Raubmordes an einem Bauern aus Holitz sei, zu ihrer Gesellschaft im Zusammenhang mit dem Erzherzog gehörten.
Herr Palivec war aber beleidigt und sagte, er sei nicht hier wegen irgendeinem blöden Erzherzog, sondern wegen Seiner Majestät dem Kaiser. Und weil es die anderen zu interessieren begann, erzählte er ihnen, wie ihm die Fliegen Seine Majestät den Kaiser beschmutzt hätten.
»Sie haben mir ihn verdreckt, die Bestien«, beendete er die Schilderung seines Abenteuers, »und zum Schluss haben sie mich noch in den Knast gebracht. Das werde ich den Fliegen nie vergessen«, fügte er drohend hinzu.
Švejk ging wieder schlafen, er schlief aber nicht lange, da man ihn abholen kam, um ihn zum Verhör zu bringen.
Und so, das Treppenhaus zum Verhör in die Abteilung III hinaufsteigend, trug Švejk sein Kreuz empor auf den Gipfel des Berges Golgatha, ohne irgendetwas von seinem Märtyrertum zu bemerken.
Er erblickte eine Inschrift, nach der das Spucken auf dem Gang verboten war, und bat den Wachtmeister, er möge ihm erlauben, in [25] den Spucknapf zu spucken. Im Glanze seiner Einfalt trat er in die Kanzlei ein mit den Worten:
»Guten Abend allerseits wünsche ich, meine Herren.«
Anstelle einer Antwort stieß ihn jemand in die Rippen und stellte ihn vor einen Tisch, hinter dem ein Herr mit amtlich kaltem Antlitz saß, mit den Zügen einer so tierischen Grausamkeit, als ob er gerade dem Buch von Lombroso* »Über die Verbrechertypen« entsprungen sei.
Er blickte Švejk blutrünstig an und sagte:
»Schauen Sie nicht so dämlich.«
»Ich kann mir nicht helfen«, antwortete Švejk ernst. »Ich wurde beim Militär wegen Blödheit superarbitriert* und amtlich durch eine Spezialkommission zum Idioten erklärt. Ich bin ein amtlicher Idiot.«
Der Herr vom Verbrechertypus knirschte mit den Zähnen:
»Das allerdings, dessen Sie beschuldigt sind und was Sie verübt haben, bezeugt, dass Sie alle fünf Sinne beieinanderhaben.«
Und er zählte nun Švejk eine Vielzahl verschiedener Verbrechen auf, beginnend mit Hochverrat, bis hin zur Majestätsbeleidigung und zur Beleidigung von anderen Mitgliedern des Kaiserhauses. Inmitten dieser Gruppe glänzte die Billigung der Ermordung des Erzherzogs Ferdinand, von wo aus sich ein Zweig mit neuen Verbrechen entfaltete, unter denen das Verbrechen der öffentlichen Aufwiegelung hervorstach, da all dies an einem öffentlichen Orte geschehen war.
»Was sagen Sie dazu?« fragte siegesgewiss der Herr mit den Zügen tierischer Grausamkeit.
»Das ist viel«, sagte Švejk unschuldig. »Und allzu viel ist immer schlecht.«
»Na sehen Sie, dass Sie es wenigstens zugeben.«
»Ich gebe alles zu, Strenge muss sein, ohne Strenge kommt man [26] nirgendwohin. Wie ich zum Beispiel meinen Militärdienst ableistete …«
»Halten Sie den Mund«, schrie der Polizeirat Švejk an. »Und reden Sie nur, wenn ich Sie irgendetwas frage! Verstehen Sie?«
»Wie könnte ich nicht verstehen«, sagte Švejk. »Melde gehorsamst, dass ich verstehe und dass ich in allem, was Sie zu sagen belieben, mich zu orientieren vermag.«
»Mit wem verkehren Sie?«
»Mit meiner Zugehfrau, Euer Gnaden.«
»Und in den hiesigen politischen Kreisen haben Sie keine Bekannten?«
»Hab ich, Euer Ehren, ich kaufe mir die Mittagsausgabe der ›Nationalen Politik‹, des kleinen Kläffers*.«
»Raus!« schrie der Herr mit dem tierischen Aussehen Švejk an.
Als sie ihn aus der Kanzlei führten, sagte Švejk:
»Gute Nacht, Euer Ehren.«
Zurück in seiner Zelle, erklärte Švejk allen Inhaftierten, dass ein solches Verhör ein großer Spaß sei.
»Zuerst wird man etwas angeschrien, und dann schmeißen sie einen raus. – Früher«, fuhr Švejk fort, »da war es schlimmer. Ich hab mal in irgendeinem Buch gelesen, dass die Angeklagten auf glühendem Eisen laufen mussten. Und sie mussten erhitztes Blei trinken, damit man erkennt, ob einer unschuldig ist. Oder aber es wurden einem die Füße in spanische Stiefel* gesteckt. Und man wurde auf eine Leiter gespannt, wenn man nichts zugeben wollte, oder aber sie haben einem die Hüften mit einer Fackel verbrannt, so wie sie’s beim heiligen Jan von Nepomuk* gemacht haben. Der soll dabei so rumgebrüllt haben wie auf dem Spieß, und er hat nicht aufgehört, bis sie ihn von der Elisabethbrücke geworfen haben in einem nicht wasserdurchlässigen Sack. Solche Fälle gab es viele. Und dann haben sie manchmal noch Leute gevierteilt oder auf einen Pfahl gespießt, irgendwo dort beim [27] Museum. Und wenn die einen bloß mal in den Hungerturm geworfen haben, dann fühlte sich solch ein Mensch ganz wie neugeboren. – Heute ist es ein Spaß, eingesperrt zu sein«, lobte Švejk weiter, »keine Vierteilung, keine spanischen Stiefel, wir haben Pritschen, wir haben einen Tisch, wir haben eine Bank, wir sitzen hier nicht allzu eng, Suppe bekommen wir, Brot geben sie uns, einen Krug mit Wasser bringen sie, ein Klo haben wir direkt vor dem Mund. In all dem sieht man den Fortschritt. Es ist, das ist wahr, zum Verhör etwas weit, drei Gänge lang und noch eine Treppe höher, dafür ist es auf den Gängen sauber und lebhaft. Einen führen sie hierhin, den anderen dorthin, Junge und Alte, Männer und Frauen. Man freut sich, dass man wenigstens nicht alleine ist. Jeder geht zufrieden seines Weges und muss keine Angst haben, dass die einem in der Kanzlei sagen: ›Wir haben also beraten, und morgen werden Sie gevierteilt oder verbrannt. Ganz, wie Sie wünschen.‹ Das wäre eine schwere Wahl, und ich glaube, meine Herren, dass manch einer von uns in solch einem Moment völlig gelähmt wäre. Ja, heute haben sich die Verhältnisse verbessert, zu unserem Wohl.«
Gerade hatte er die Verteidigungsrede für den modernen Strafvollzug beendet, als der Aufseher die Tür öffnete und rief:
»Švejk, anziehen und mitkommen zum Verhör.«
»Ich ziehe mich an«, antwortete Švejk, »dagegen habe ich nichts. Ich habe aber Angst, dass irgendein Irrtum vorliegt. Ich wurde schon einmal beim Verhör rausgeschmissen. Und dann habe ich auch Sorge, dass die übrigen Herren hier, die mit mir da sind, auf mich böse sein könnten, weil ich schon das zweitemal hintereinander zum Verhör gehe und sie an diesem Abend noch kein einziges Mal dort gewesen sind. Sie könnten neidisch auf mich sein.«
»Kommen Sie raus und quatschen Sie nicht dumm rum«, war die Antwort auf diese gentlemanhaften Äußerungen Švejks.
Und Švejk fand sich abermals vor dem Herrn mit dem [28] Verbrechergesicht wieder, der ihn ohne alle Einleitung hart und unerbittlich fragte:
»Geben Sie alles zu?«
Švejk richtete seine guten blauen Augen auf den unerbittlichen Mann und sagte weich:
»Wenn Sie wünschen, Euer Ehren, dass ich es zugebe, dann gebe ich es zu. Das kann mir nicht schaden. Wenn Sie aber sagen: ›Švejk, geben Sie nichts zu‹, dann werde ich alles leugnen, bis man mich in Stücke reißt.«
Der strenge Herr schrieb irgendetwas in die Akte, überreichte ihm einen Füllfederhalter und forderte ihn auf, zu unterschreiben.
Und Švejk unterschrieb die Anzeige des Bretschneider mit folgendem Zusatz:
»Alle oben aufgezeigten Anschuldigungen gegen mich entsprechen der Wahrheit.
Josef Švejk.«
Als er unterschrieben hatte, wandte er sich dem strengen Herrn zu:
»Soll ich noch etwas unterschreiben? Oder soll ich morgen früh wiederkommen?«
»Morgen früh überstellt man Sie an das Kriminalgericht«, bekam er zur Antwort.
»Um wie viel Uhr, Euer Ehren, damit ich um Himmels willen nicht verschlafe.«
»Raus!« brüllte man Švejk zum zweitenmal an diesem Tage von der anderen Seite des Tisches an, vor dem er stand.
Und als er zurückkehrte, in sein vergittertes neues Heim, sagte Švejk dem Wachtmeister, der ihn begleitete:
»Hier läuft ja alles wie am Schnürchen.«
Sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, überschütteten [29] ihn seine Mithäftlinge mit verschiedenen Fragen, auf welche Švejk eindeutig antwortete:
»Ich habe gerade zugegeben, dass ich den Erzherzog Ferdinand ermordet habe.«
Sechs Männer verkrochen sich entsetzt unter ihre verwanzten Decken, lediglich der Bosnier sagte: »Dobro došli*.«
Und als er sich auf seine Pritsche legte, sagte Švejk: »Das ist aber dumm, dass wir hier keinen Wecker haben.«
Am Morgen aber weckten sie ihn auch ohne Wecker, und genau um sechs Uhr überstellten sie Švejk im »Grünen Anton« an das Landeskriminalgericht.
»Der frühe Vogel fängt den Wurm«, sagte Švejk zu seinen Mitreisenden, als der »Grüne Anton« das Tor der Polizeidirektion verließ.
Kapitel 3
Švejk vor den Gerichtsärzten
Die sauberen, gemütlichen Zimmerchen des Landeskriminalgerichts machten auf Švejk den allergünstigsten Eindruck. Geweißte Wände, schwarz gestrichene Gitter und der dicke Herr Demartini, der Oberaufseher im Untersuchungsgefängnis, mit seinen violetten Aufschlägen und einer ebensolchen Borte an der ärarischen* Mütze. Die violette Farbe ist nicht nur dort vorgeschrieben, sondern auch bei religiösen Zeremonien an Aschermittwoch und Karfreitag.
Es wiederholte sich die berühmte Historie der römischen Herrschaft über Jerusalem. Man führte die Häftlinge hinab ins Erdgeschoss und stellte sie vor die Pilatusse* des Jahres 1914. Und die Untersuchungsrichter, die Pilatusse der neuen Zeit, anstatt sich ehrenvoll die Hände zu waschen, ließen sich von »Teissig« Paprikagulasch und [30] Pilsner Bier bringen und lieferten bei der Staatsanwaltschaft neue und aberneue Anklagen ab.
Größtenteils verschwand hier jede Logik, und es siegte der §, es würgte der §, blödelte der §, spuckte der §, lachte der §, drohte der §, und er vergab nicht. Sie waren die Jongleure der Gesetze, Opferpriester des Buchstabens des Gesetzes, Angeklagtenfresser, Tiger des österreichischen Dschungels, die für sich ihren Sprung auf den Angeklagten nach der Nummer des Paragraphen berechneten.
Eine Ausnahme machten nur einige Herren (genauso wie auf der Polizeidirektion), die das Gesetz gar nicht so genau nahmen, denn überall findet man Weizen zwischen der Spreu.
Zu solch einem Herrn führte man Švejk zum Verhör. Ein älterer Herr von wohlwollendem Aussehen, welcher einst, als er den bekannten Mörder Valeš* verhörte, niemals zu sagen vergaß: »Bitte belieben Sie sich zu setzen, Herr Valeš, hier ist noch ein freier Stuhl.«
Als man Švejk vorführte, bat er ihn mit der ihm angeborenen Liebenswürdigkeit, sich zu setzen, und sagte:
»Also Sie sind der Herr Švejk?«
»Ich denke«, antwortete Švejk, »dass ich es sein muss, denn auch mein Vater war ein Švejk, und meine Mutter war Frau Švejková. Ich kann denen doch keine solche Schande antun, meinen Namen zu verleugnen.«
Ein liebenswürdiges Lächeln huschte über das Gesicht des ermittelnden Gerichtsrates.
»Sie haben sich da eine feine Sache eingebrockt. Sie haben ganz schön viel auf dem Gewissen.«
»Ich habe immer viel auf dem Gewissen«, sagte Švejk und lächelte noch liebenswürdiger als der Gerichtsrat, »ich habe, kann gut sein, mehr auf dem Gewissen, als Sie zu haben belieben, Euer Ehren.«
»Das kann man dem Protokoll entnehmen, das Sie unterschrieben [31] haben«, sagte mit nicht minder freundlichem Ton der Gerichtsrat. »Hat man auf Sie bei der Polizei irgendwelchen Druck ausgeübt?«
»Aber nein, Euer Ehren. Ich selbst habe sie gefragt, ob ich es unterschreiben soll, und als die gesagt haben, dass ich es soll, habe ich gehorcht. Ich werde mich mit denen doch nicht wegen meiner eigenen Unterschrift streiten. Damit würde ich mir bestimmt keinen Gefallen tun. Ordnung muss sein.«
»Fühlen Sie sich, Herr Švejk, gänzlich gesund?«
»Ganz gesund gerade nicht, Euer Ehren, Herr Rat. Ich habe Rheuma und massiere mich mit Opodeldok.«
Der alte Herr lächelte wiederum freundlich.
»Was würden Sie dazu sagen, wenn wir Sie durch Gerichtsärzte untersuchen ließen?«
»Ich glaub, dass es um mich nicht so schlimm steht, dass die Herren mit mir unnötig Zeit verlieren müssten. Mich hat schon ein Doktor auf der Polizeidirektion untersucht, ob ich nicht etwa Tripper* habe.«
»Wissen Sie, Herr Švejk, wir versuchen es doch einmal mit den Herren Gerichtsärzten. Wir stellen schön eine Kommission zusammen, bringen Sie in Untersuchungshaft, und währenddessen ruhen Sie sich schön aus. Vorerst noch eine Frage: Sie haben angeblich laut Protokoll erklärt und verbreitet, dass bald ein Krieg ausbrechen soll?«
»Das, bitte, Euer Ehren, Herr Rat, wird ganz bald passieren.«
»Und haben Sie nicht manchmal irgendwelche Anfälle?«
»Das, bitte, habe ich nicht, nur einmal hätte mich beinahe am Karlsplatz irgendein Auto überfahren, aber das ist schon einige Jahre her.«
Damit war das Verhör beendet. Švejk gab dem Gerichtsrat die Hand, und als er in sein Zimmerchen zurückkehrte, sagte er zu seinen Nachbarn:
[32] »Die werden mich also wegen des Mordes am Herrn Erzherzog Ferdinand durch Gerichtsärzte untersuchen lassen.«
»Ich wurde auch schon mal durch Gerichtsärzte untersucht«, sagte ein junger Mann, »das war damals, als ich wegen der Teppiche vor die Geschworenenbank gekommen bin. Ich wurde als schwachsinnig anerkannt. Jetzt habe ich einen Mähdrescher veruntreut, und die können mir nichts anhaben. Gestern abend sagte mir mein Anwalt, wenn ich schon einmal im Leben für schwachsinnig erklärt worden bin, dann sollte mir das mein ganzes Leben nützlich sein.«
»Ich glaube den Gerichtsärzten gar nichts«, sagte ein Mann von intelligentem Aussehen. »Als ich einmal Wechsel* gefälscht habe, bin ich für alle Fälle zu den Vorlesungen des Dr. Heveroch* gegangen, und als die mich erwischt haben, habe ich einen Paralytiker* simuliert, und zwar genau so, wie Dr. Heveroch ihn beschrieben hatte. Ich habe einen der Gerichtsärzte bei der Kommission ins Bein gebissen, habe die Tinte aus dem Tintenfass ausgetrunken und habe dann, mit Verlaub, meine Herren, vor der Kommission in die Ecke gemacht. Aber weil ich dem einen den Unterschenkel durchgebissen habe, haben die mich für völlig gesund befunden, und ich war verloren.«
»Ich habe vor der Untersuchung durch diese Herren gar keine Angst«, erklärte Švejk, »als ich beim Militär war, hat mich einmal irgendein Tierarzt untersucht, und das ist ganz gut gelaufen.«
»Gerichtsärzte sind Schufte«, ließ sich ein kleiner, gekrümmter Mensch vernehmen, »letztens haben die bei mir auf der Wiese zufällig ein Skelett ausgegraben, und die Gerichtsärzte haben gesagt, dass das Skelett mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf ermordet worden sei, vor vierzig Jahren. Ich bin achtunddreißig und bin eingesperrt, obwohl ich einen Taufschein habe, einen Auszug aus dem Geburtenregister und einen Heimatschein.«
»Ich denke«, sagte Švejk, »dass wir das alles von einer ehrlicheren Seite betrachten sollten. Jeder kann sich irren, und er muss sich irren, [33] je mehr er über etwas nachdenkt. Gerichtsärzte sind auch Menschen, und Menschen haben ihre Fehler. Genauso wie einmal in Nusle, gerade an der Brücke über den Botitschbach*, kam einmal nachts irgendein Herr auf mich zu, als ich gerade von ›Banzets‹ nach Hause ging, und hat mir mit dem Ochsenziemer* eins auf den Kopf gehauen. Und als ich dann so am Boden lag, hat er mich angeleuchtet und gesagt: ›Das ist ein Irrtum, das ist gar nicht er.‹ Und er hat sich so sehr darüber geärgert, dass er sich geirrt hatte, dass er mir dann noch eins auf den Rücken übergezogen hat. Das gehört eben zur Natur des Menschen, dass er irrt, bis zu seinem Tod. So wie der eine Herr, der einmal nachts einen halberfrorenen Hund fand, der aber tollwütig war. Und er nahm ihn mit nach Hause und steckte ihn zu seiner Frau ins Bett. Als dann der Hund sich aufgewärmt hatte und zu sich gekommen war, hat er die ganze Familie gebissen, und den Jüngsten in der Wiege hat er zerrissen und aufgefressen. Oder aber ich kann euch ein Beispiel nennen, wo sich bei uns im Haus ein Dreher geirrt hat: Er hat mit seinem Schlüssel die kleine Kirche in Podol* aufgemacht, und weil er dachte, er sei zu Hause, hat er sich in der Sakristei die Schuhe ausgezogen, weil er dachte, dass es bei ihnen in der Küche sei, und hat sich auf den Altar gelegt, weil er dachte, dass er zu Hause im Bett sei, und hat sich mit den Deckchen mit den heiligen Inschriften drauf zugedeckt und sich das Evangelium unter den Kopf gelegt und noch andere geweihte Bücher, damit er auch genug unter dem Kopf hat. Morgens hat ihn der Küster so gefunden, und er hat dem ganz gutmütig gesagt, als er so zu sich kam, dass das ein Irrtum sein muss. ›Schöner Irrtum‹, sagt da der Küster, ›wenn ich wegen so einem Irrtum die Kirche neu weihen lassen muss.‹ Und dann stand der Dreher vor den Gerichtsärzten, und die haben ihm nachgewiesen, dass er völlig zurechnungsfähig und auch nüchtern gewesen sei, weil er, wenn er besoffen gewesen wäre, mit dem Schlüssel nicht ins Schlüsselloch der Kirchentür getroffen hätte. Später starb der Dreher im Gefängnis von Pankratz. Und noch [34] ein Beispiel gebe ich euch, wie sich in Kladno* mal ein Polizeihund geirrt hat, ein Schäferhund des bekannten Rittmeisters Rotter. Der Rittmeister Rotter hat Hunde gezüchtet und Versuche mit Landstreichern gemacht, so dass die Landstreicher anfingen, das Gebiet um Kladno zu meiden. So hat er den Befehl ausgegeben, dass die Gendarmen, koste es, was es wolle, irgendeinen verdächtigen Menschen herbeischaffen sollten. So haben die ihm dann mal einen recht anständig angezogenen Menschen gebracht, den sie in den Wäldern von Lana* auf irgendeinem Baumstumpf sitzend angetroffen hatten. Sie haben ihm gleich ein Stück vom Mantel abgeschnitten, das haben sie den Polizeihunden von der Gendarmerie zu schnüffeln gegeben, haben den Mann dann in so eine Ziegelei hinter der Stadt gebracht und haben dann diese dressierten Hunde auf seine Spur losgelassen, die ihn gefunden und wieder zurückgebracht haben. Dann musste dieser Mensch auf irgendeiner Leiter auf den Dachboden klettern, über eine Mauer klettern, in einen Teich springen und die Hunde hinterher. Zum Schluss hat sich herausgestellt, dass der Mann ein Abgeordneter der Tschechischen Radikalen* war, der einen Ausflug in die Wälder von Lana unternommen hatte, als er mal keine Lust aufs Parlament gehabt hat. Deshalb sage ich, dass die Leute Fehler machen, dass sie irren, ob einer ein Gelehrter oder ein blöder ungebildeter Trottel ist. Auch Minister können mal irren.«
Die Kommission der Gerichtsärzte, die entscheiden sollte, ob Švejks geistiger Horizont den Verbrechen, derer er angeklagt war, entsprach oder nicht, setzte sich aus drei ungewöhnlich ernsthaften Herren zusammen, welche Ansichten vertraten, die sich bei jedem einzelnen von ihnen in bedeutender Weise von jeder Ansicht der beiden anderen unterschieden.
Es waren hier drei verschiedene wissenschaftliche Schulen und psychiatrische Anschauungen vertreten.
Dass es im Falle von Švejk zu einer völligen Übereinstimmung [35] zwischen den entgegengesetzten wissenschaftlichen Lagern kam, kann nur durch den überwältigenden Eindruck erklärt werden, den Švejk auf die Kommission machte, indem er den Saal, in dem sein geistiger Zustand untersucht werden sollte, betrat und beim Anblick des an der Wand hängenden Bildes des österreichischen Monarchen laut ausrief:
»Meine Herren, es lebe Kaiser Franz Joseph I.!«
Die Sache war ganz eindeutig. Durch Švejks spontane Äußerung entfiel eine ganze Reihe von Fragen, und es verblieben nur einige der allerwichtigsten Fragen, die auf den Systemen des Psychiaters Kallerson, des Dr. Heveroch und des Engländers Weiking beruhten.
»Ist Radium schwerer als Blei?«
»Ich habe es, bitte, nicht ausgewogen«, sagte mit seinem netten Lächeln Švejk.
»Glauben Sie an das Ende der Welt?«
»Zuerst mal müsste ich das Ende der Welt sehen«, erwiderte Švejk uninteressiert, »auf jeden Fall aber werden wir es morgen noch nicht erleben.«
»Könnten Sie den Durchmesser der Erdkugel berechnen?«
»Das, bitte, könnte ich nicht«, antwortete Švejk, »ich selbst aber, meine Herren, könnte auch Ihnen eine Rätselfrage stellen: Ein dreistöckiges Haus, in dem Haus gibt es in jedem Stockwerk acht Fenster. Auf dem Dach zwei Erker und zwei Schornsteine. In jedem Stock zwei Mietparteien. Und jetzt verraten Sie mir, meine Herren, in welchem Jahr die Großmutter des Hausmeisters verstorben ist?«
Die Gerichtsärzte blickten sich gegenseitig bedeutungsvoll an, nichtsdestoweniger stellte einer von ihnen noch folgende Frage:
»Kennen Sie die tiefste Stelle im Stillen Ozean?«
»Die kenne ich, bitte, nicht«, lautete die Antwort, »ich denke aber, dass sie eindeutig tiefer sein muss als die in der Moldau unter dem Felsen vom Wyschehrad*.«
[36] Der Kommissionsvorsitzende fragte nur knapp: »Genügt das?« Dennoch stellte noch ein Mitglied folgende Frage:
»Wie viel ist 12 897 mal 13 863?«
»729«, antwortete Švejk, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Ich denke, das genügt vollkommen«, sagte der Vorsitzende der Kommission, »Sie können den Angeschuldigten wieder zurückbringen.«
»Ich danke Ihnen, meine Herren«, ließ Švejk sich ehrfurchtsvoll vernehmen, »auch mir genügt es völlig.«
Nach seinem Abgang einigte sich das Dreierkollegium, dass Švejk ein notorischer Trottel und Idiot gemäß allen von psychiatrischen Wissenschaftlern entwickelten Naturgesetzen sei.
In dem Gutachten, das dem Untersuchungsgericht überreicht wurde, stand unter anderem: »Die unterzeichneten Gerichtsärzte begründen ihr Urteil über den vollständigen geistigen Stumpfsinn und angeborenen Kretinismus* des der oben angeführten Kommission vorgestellten Josef Švejk mit dessen Äußerung: ›Es lebe Kaiser Franz Joseph I.‹ Diese Äußerung genügt vollkommen, um den Geisteszustand des Josef Švejk als den eines notorischen Idioten zu klassifizieren. Die unterzeichnete Kommission empfiehlt folgendes: 1. Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Josef Švejk. 2. Überstellung des Josef Švejk zur Beobachtung in die Psychiatrie, um festzustellen, ob sein geistiger Zustand eine Fremdgefährdung darstellt.«
Während dieses Gutachten abgefasst wurde, erklärte Švejk seinen Mitgefangenen:
»Der Ferdinand war denen völlig egal, die haben sich mit mir über noch größeren Unsinn unterhalten. Zum Schluss haben wir uns gesagt, dass das, worüber wir uns unterhalten haben, vollkommen genügt, und sind dann auseinandergegangen.«
»Ich traue keinem«, sagte der kleine verhutzelte Mann, auf dessen [37] Wiese man zufällig das Skelett ausgegraben hatte, »das ist doch alles ein großer Beschiss.«
»Auch Beschiss muss es geben«, sagte Švejk, als er sich auf seinen Strohsack legte, »wenn alle Menschen es gut mit den anderen Menschen meinen würden, dann würden sie sich doch gegenseitig so schnell wie möglich abmurksen.«
Kapitel 4
Man wirft Švejk aus dem Irrenhaus
Wenn Švejk später sein Leben im Irrenhaus schilderte, tat er dies in ungewöhnlich lobender Art und Weise. »Ich weiß wirklich nicht, worüber sich die Geisteskranken so aufregen, wenn man sie dort einsperrt. Man kann auf dem Boden herumkriechen, wie ein Schakal heulen, man kann toben und beißen. Wenn man so was auf der Promenade täte, würden sich die Leute wundern, dort aber ist das was ganz Stinknormales. Dort herrscht eine solche Freiheit, wie es sich nicht einmal die Sozialisten erträumen konnten. Man kann sich dort selbst für den Herrgott ausgeben oder die Jungfrau Maria, oder aber für den Papst oder den englischen König oder den heiligen Wenzel*, obwohl der letzte doch ständig festgebunden war und nackt in Einzelhaft liegen musste. Es war dort auch einer, der herumgeschrien hat, er sei ein Erzbischof, der hat aber nichts anderes getan als fressen* und noch was, mit Verlaub, Sie wissen schon, das reimt sich darauf, dort aber schämt sich deswegen keiner. Einer dort hat sich sogar als heiliger Cyrill* und als heiliger Methodius gleichzeitig ausgegeben, nur damit er eine doppelte Portion bekommt. Und ein Herr hat behauptet, er sei schwanger, und jeden zur Taufe eingeladen. Es gab dort auch eine Menge eingesperrter Schachspieler, Politiker, Angler, Pfadfinder, Briefmarkensammler, Fotografen und Maler. Einer war wegen [38] irgendwelcher alter Töpfe da, die er als Asche-Urnen bezeichnete. Ein anderer war ständig in eine Zwangsjacke gebunden, nur damit er nicht ausrechnen kann, wann das Ende der Welt kommen wird. Ich bin dort auch einigen Professoren begegnet. Einer lief mir ständig hinterher, um mir zu erklären, dass die Wiege der Zigeuner im Erzgebirge liege, und der andere hat mir andauernd erklärt, dass im Inneren der Erdkugel noch eine andere Erdkugel sei, aber eine viel größere als die äußere.
Jeder dort hat ständig erzählt, was er wollte und was ihm gerade auf die Zunge kam, das war wie im Parlament. Manche haben sich dort Märchen erzählt und sich dann geprügelt, wenn es mit irgendeiner Prinzessin schlecht ausgegangen ist. Am wildesten war ein Herr, der sich für den sechzehnten Band von ›Ottos gelehrtem Lexikon*‹ ausgegeben hat und jeden bat, er solle ihn aufschlagen und das Schlagwort ›Kartonagebindemaschine‹ suchen, weil er anderenfalls verloren sei. Er hat sich erst beruhigt, als er die Zwangsjacke bekam. Das hat ihm sehr gefallen, da er dachte, er sei in die Buchbindepresse gekommen, und er bat darum, man solle ihm einen modernen Einband gestalten. Überhaupt, man hat dort gelebt wie im Paradies. Man kann dort brüllen, schreien, singen, weinen, meckern, jaulen, springen, beten, Purzelbäume schlagen, auf allen vieren klettern, auf einem Bein hüpfen, im Kreis laufen, tanzen, hopsen, den ganzen Tag in der Hocke sitzen und die Wände hochklettern. Da kommt keiner und sagt: ›Das dürfen Sie nicht, das gehört sich nicht, mein Herr, da sollten Sie sich schämen, Sie wollen eine gebildete Person sein?‹ Es gibt dort allerdings auch, das ist wahr, ganz ruhige Irre. So wie irgend so ein hochgebildeter Erfinder, der nur ständig in der Nase gebohrt hat und dazu einmal am Tag sagte: ›Ich habe gerade die Elektrizität erfunden.‹ Wie ich schon sagte, es war dort sehr schön. Die paar Tage, die ich im Irrenhaus verbracht habe, gehören zu den schönsten in meinem Leben.«
Und wirklich, schon allein die Begrüßung, welche Švejk [39] erwartete, nachdem man ihn zur Beobachtung aus dem Landeskriminalgericht überstellt hatte, übertraf seine Erwartung. Zuerst zog man ihn nackt aus, gab ihm irgendeinen Umhang und führte ihn zum Baden, wobei man ihn vertraulich unter den Achseln packte und einer der beiden Pfleger ihn die ganze Zeit mit irgendwelchen Witzen über die Juden unterhielt. Im Bad tauchten sie ihn in eine Wanne mit warmem Wasser, zogen ihn dann heraus und stellten ihn unter eine kalte Dusche. Das wiederholten sie dreimal und fragten ihn dann, wie es ihm gefiele. Švejk antwortete, dass das besser sei als in der Badeanstalt an der Karlsbrücke und dass er überhaupt sehr gerne bade.
»Wenn Sie mir jetzt noch die Nägel und die Haare schneiden, wird mir nichts mehr zu meinem Glück fehlen«, setzte er angenehm lächelnd hinzu.
Und auch diesem Wunsch kam man nach, und nachdem man ihn mit einem Schwamm abgeschrubbt hatte, wickelte man ihn in ein Laken und brachte ihn in die erste Abteilung ins Bett, wo man ihn niederlegte und ihn bat, einzuschlafen.
Švejk erzählt auch heute noch mit Liebe davon:
»Stellen Sie sich mal vor, die haben mich getragen, richtig weggetragen, ich habe mich in dem Augenblick so selig gefühlt.«
Und so schlief er auf dem Bett auch seelenruhig ein. Dann weckten sie ihn, brachten ihm einen Becher mit Milch und ein Brötchen. Das Brötchen war schon in kleine Stücke vorgeschnitten, und während einer der Pfleger Švejk an beiden Armen festhielt, tunkte der andere die Brötchenstücke in die Milch und fütterte ihn, so wie man eine Gans mit Stopfnudeln füttert. Als sie ihn gefüttert hatten, nahmen sie Švejk wieder unter den Achseln und führten ihn zum Klo, wo sie ihn baten, er solle seinem kleinen und auch großen körperlichen Bedürfnis nachkommen.
Auch von diesem schönen Augenblick erzählt Švejk mit Liebe, und ich muss sicher nicht seine Worte bemühen, um darzustellen, [40] was sie dann mit ihm gemacht haben. Ich zitiere nur, dass Švejk sagte: »Dabei hat mich einer von denen im Arm gehalten.«
Als sie ihn zurückgebracht hatten, legten sie ihn wieder ins Bett und baten ihn, einzuschlafen. Nachdem er eingeschlafen war, weckten sie ihn und brachten ihn ins Untersuchungszimmer, wo Švejk ganz nackt vor zwei Ärzten stand und an die glorreiche Zeit dachte, in der er als Rekrut hatte einrücken müssen. Und unbewusst kam es von seinen Lippen:
»Tauglich.«
»Was reden Sie da«, sagte einer der Ärzte, »machen Sie fünf Schritte vor und fünf Schritte zurück.«
Švejk machte zehn.
»Ich habe Ihnen doch gesagt«, sagte der Arzt, »dass Sie fünf machen sollen.«
»Mir kommt es auf ein paar Schritte mehr nicht an«, antwortete Švejk.
Dann baten ihn die Ärzte, sich auf einen Stuhl zu setzen, worauf ihn ein Arzt auf das Knie klopfte. Er sagte dann zu dem anderen, dass die Reflexe völlig normal seien. Der schüttelte den Kopf und begann selbst, Švejk auf das Knie zu klopfen, während der erste Švejks Augenlider hochhob, um seine Pupillen zu untersuchen. Dann entfernten sie sich zu einem Tisch und wechselten einige lateinische Ausdrücke.
»Sagen Sie mal, können Sie singen?« fragte einer der beiden Švejk. »Könnten Sie uns nicht mal irgendein Lied singen?«