Die Abenteuer des Huckleberry Finn - Mark Twain - E-Book

Die Abenteuer des Huckleberry Finn E-Book

Mark Twain

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Beschreibung

Huckleberry Finn ist gewieft, gerissen und lügt, dass sich die Balken biegen. Er ist aber auch ein gefühlvoller, sensibler Geschichtenerzähler, der ein detailreiches Porträt der Menschen und Orte entlang des Mississippi zeichnet. "Die Abenteuer des Huckleberry Finn" sind die Fortsetzung von Tom Sawyers Abenteuer: Der abenteuerlustige Huck, auf der Flucht vor seinem gewalttätigen Vater und dem zivilisierten Leben, trifft den entflohenen Sklaven Jim. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg in die Nordstaaten – auf einem Floß den Mississippi hinunter in Richtung Freiheit. – Mit einer kompakten Biographie des Autors.

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Seitenzahl: 570

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Mark Twain

Die Abenteuer des Huckleberry Finn

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Ekkehard Schöller

Reclam

2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Anja Grimm Gestaltung

Coverabbildung: © Gutentag-Hamburg

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2020

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961291-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-02606-5

www.reclam.de

Inhalt

Warnung

Erklärung

Ich lerne Moses und die Schilfer kennen

Unsre Bande schwört finstre Rache

Wir lauern den A-rabern auf

Jims Haarknäuel sagt mir weis

Pap fängt ein neues Leben an

Pap kämpft mit dem Todesengel

Ich überliste Pap und fliehe

Ich lasse Jim davonkommen

Das Todeshaus treibt vorbei

Was dabei rauskommt, wenn man ne Schlangenhaut anfasst

Sie sind hinter uns her!

»Wir tun vdammt gut dran, es seinzulassen«

Ehrliche Beute von der »Walter Scott«

War Salomon weise?

Ein böses Spiel mit dem guten alten Jim

Die Klapperschlangenhaut zeigt Wirkung

Die Grangerfords nehmen mich auf

Wieso Harney zu seinem Hut zurückgeritten ist

Der Herzog und der Dauphin kommen an Bord

Wie der König Pokeville ausgenommen hat

Ein Arkansas-Problem

Warum das Lynchen schiefgegangen ist

Könige sind allesamt widerwärtig

Der König wird Pfaffe

Eine einzige Mischung von Tränen und Mumpitz

Ich stehle dem König seine Beute

Der tote Peter hat sein Gold wieder

Man soll nie den Bogen überspannen

Ich verdufte im Gewitter

Das Gold rettet die Diebe

Eine Lüge kann man nicht beten

Ich bekomme einen neuen Namen

Das jämmerliche Ende von Königen

Wir machen Jim Mut

Finstre, schlau angelegte Pläne

Wir kommen Jim zu Hilfe

Jim kriegt seine Hexenpastete

»Hier ging ein gefangnes Herz kaputt«

Tom schreibt amonyme Briefe

Eine chaotische, aber glorreiche Befreiung

»Das müssen Geister gewesen sein«

Warum sie Jim nicht gehängt haben

Es gibt nichts mehr zu schreiben

Kurze Anleitung zum Lesen dieser Übersetzung

Anmerkungen

Zeittafel

Warnung

Wer versucht, in dieser Erzählung ein Motiv zu finden, wird gerichtlich belangt; wer versucht, eine Moral darin zu finden, wird des Landes verwiesen; wer versucht, eine Handlung darin zu finden, wird erschossen.

AUF BEFEHL DES AUTORS

DURCH G. G., Stabschef der Artillerie

 

Erklärung

In diesem Buch werden eine Reihe von Dialekten benutzt, nämlich: der Missouri-Negerdialekt, die extremste Form des hinterwäldlerischen Südwestdialekts, der gewöhnliche »Pike-County«-Dialekt und vier gemäßigte Varianten des Letzteren. Diese Schattierungen sind nicht willkürlich oder auf gut Glück vorgenommen worden, sondern sorgfältig und mit dem zuverlässigen Rat und der Unterstützung, die der Autor aus der persönlichen Vertrautheit mit diesen verschiedenen Sprachformen gewonnen hat.

Ich gebe diese Erklärung deshalb ab, weil sonst manche Leser meinen könnten, dass alle Figuren gleich zu sprechen versuchen und es ihnen nicht gelingt.

DER AUTOR

 

Ich verweise auf meine »Kurze Anleitung zum Lesen dieser Übersetzung«.

DER ÜBERSETZER

Kapitel 1

Ich lerne Moses und die Schilfer kennen

Ihr wisst nichts von mir, außer ihr habt das Buch mit dem Namen Tom Sawyers Abenteuer gelesen, aber das macht nichts. Das Buch hat Mark Twain geschrieben, und er hat die Wahrheit erzählt – fast. Es gibt Dinge, die er nicht so genau genommen hat, aber fast immer hat er die Wahrheit gesagt. Da ist nichts dabei. Ich hab noch keinen gesehn, der nicht ab und zu gelogen hat, außer Tante Polly oder die Witwe oder vielleicht Mary. Über Tante Polly – Toms Tante Polly ist das – und Mary und die Witwe Douglas steht alles in dem Buch, das fast immer wahr ist; mit ein paar Schwindeleien, wie ich schon gesagt habe.

Und so hört das Buch auf: Tom und ich fanden das Geld, das die Räuber in der Höhle versteckt hatten, und wir wurden reiche Leute. Wir kriegten sechstausend Dollar pro Kopf – alles in Gold. Es war ne irre Menge Geld, wie’s so auf einem Haufen lag. Ja, und der Richter Thatcher, der hat’s genommen und für uns angelegt, und das brachte uns das ganze Jahr über 1 Dollar pro Kopf und Tag ein – mehr als ein Mensch weiß, was er mit anfangen soll. Und die Witwe Douglas, die hielt mich wie ihren Sohn und war der Meinung, sie tsiwilisiert mich; aber es war hart, die ganze Zeit im Haus zu bleiben, wo sie in allem so fürchterlich pingelig und ordentlich war; und als ich’s nicht mehr aushielt, bin ich abgehauen. Ich bin wieder in meine alten Lumpen und mein großes Zuckerfass reingekrochen und war frei und zufrieden. Aber Tom Sawyer, der hat mich aufgespürt und gesagt, er will ne Räuberbande gründen, und ich könnt mitmachen, wenn ich wieder zur Witwe zurückgeh und mich anständig benehme. Also bin ich wieder hin.

Die Witwe, die hat über mich geheult und nannte mich ein armes verlornes Schaf und warf mir auch ne Menge Schimpfwörter an den Kopf, aber sie hat’s nie bös gemeint. Sie steckte mich wieder in die neuen Klamotten da, und ich bin aus dem Schwitzen nicht mehr rausgekommen und fühlte mich total eingezwängt. Also, dann fing die alte Geschichte wieder an. Die Witwe läutete zum Abendessen, und man musste pünktlich erscheinen. Wenn man an den Tisch kam, konnte man nicht gleich losessen, sondern musste warten, bis die Witwe ihren Kopf ins Essen steckte und irgendwas grummelte, obwohl eigentlich nichts Besondres dran war – nichts, außer dass alles einzeln für sich gekocht war. Ein Kübel mit Küchenresten ist da was andres; alles vermischt sich, und der Saft schwappt nur so rum, und es rutscht besser.

Nach dem Abendessen hat sie ihr Buch geholt und lernte mich was über Moses und die Schilfer; und ich war scharf drauf, alles über ihn zu erfahren; aber schon bald ließ sie’s raus, dass Moses schon ewig lang tot war; von da an ließ er mich kalt, weil, für Tote interessier ich mich nicht.

Nicht lange, da wollt ich rauchen und hab die Witwe gebeten, mich zu lassen. Aber sie wollte nicht. Sie sagte, das war ne üble Angewohnheit und war nicht sauber, und ich müsst versuchen, es nicht wieder zu tun. So sind eben einige Leute. Machen was mies, wenn sie gar nichts davon verstehn. Da hat sie sich über Moses aufgeregt, welcher nicht mal verwandt war mit ihr und keinem was nutzte, weil er ja tot war, und an mir hatte sie riesig was auszusetzen, weil ich was tat, was irgendwo auch sein Gutes hat. Dabei nahm sie selber Schnupftabak; natürlich war das in Ordnung, weil sie selber es tat.

Ihre Schwester, Miss Watson, ne ziemlich dürre alte Jungfer mit ner dicken Brille, war grade bei ihr eingezogen und rückte mir jetzt mit einer Lesefibel auf die Pelle. Sie nahm mich gut ne Stunde ziemlich hart ran, und dann ließ sie’s auf Geheiß von der Witwe lockrer angehn. Viel länger hätt ich’s nicht ausgehalten. Dann war’s ne Stunde todlangweilig, und ich wurde nervös. Miss Watson sagte dann immer: »Leg deine Füße nicht da drauf, Huckleberry«, und: »Zapple nicht so – setz dich grade«, oder: »Sperr den Mund nicht so auf und streck dich nicht so, Huckleberry – versuch doch, dich zu benehmen, ja?« Dann hat sie mir die Hölle in allen Farben ausgemalt, und ich sagte, ich wollt, ich wär dort. Da wurd sie wütend, aber ich wollt sie gar nicht ärgern. Ich wollt bloß weg, irgendwohin; ich wollt bloß ne Abwechslung, ich war gar nicht wählerisch. Sie sagte, es wär böse, so was zu sagen; sie würd das um alles in der Welt nicht sagen; sie wollte so leben, dass sie in den Himmel käme. Bloß, ich fand, das lohnte sich nicht, dahin zu kommen, wo sie hinwollte, und so hab ich beschlossen, es gar nicht zu probieren. Aber gesagt hab ich das nie, weil’s nur Ärger gegeben und zu nichts geführt hätte.

Jetzt hatte sie mal angefangen und machte weiter und erzählte mir alles übern Himmel. Sie meinte, alles, was dort einer tun muss, wär, den ganzen Tag mit der Harfe rumlaufen und singen, für immer und ewig. Darum hab ich mir nicht viel draus gemacht. Aber gesagt hab ich das nie. Ich fragte sie dann, ob sie glaubte, dass Tom Sawyer hinkommt, und sie meinte, nie und nimmer. Ich war froh drüber, weil ich wollte, dass er und ich zusammenbleiben.

Miss Watson, die hat weiter auf mir rumgehackt, und es wurde langweilig und öde. Nicht lange, da holten sie die Nigger rein und hielten Andacht, und dann haben sich alle ins Bett verzogen. Ich bin mit nem Kerzenstummel rauf in mein Zimmer und stellte ihn auf den Tisch. Dann hockte ich mich auf einen Stuhl am Fenster und hab versucht, an was Fröhliches zu denken, aber es war zwecklos. Ich hab mich so einsam gefühlt, dass ich mir fast wünschte, ich wär tot. Die Sterne schienen, und die Blätter im Wald raschelten so unheimlich traurig; und weit weg hörte ich ne Eule schu-huhen wegen jemand, der tot war, und ein Schreiender Ziegenmelker und ein Hund klagten über jemand, der gerade im Sterben lag; und der Wind hat versucht, mir was zuzuraunen, und ich konnte nicht verstehn, was es war, und so sind mir kalte Schauer übern Rücken gelaufen. Dann hörte ich draußen im Wald so nen Laut, wie ihn ein Geist macht, wenn er was loswerden will, was ihn bedrückt, und es versteht ihn keiner, und darum kann er nicht ruhig in seinem Grab liegen und muss jede Nacht immer so kummervoll rumirren. Ich wurde so mutlos und bekam Angst, dass ich mir wünschte, jemand wär bei mir. Auf einmal ist mir ne Spinne über die Schulter gekrabbelt, und ich hab sie weggschnippt, und sie ist in der Kerze gelandet; und eh ich mich versah, war sie ganz verschrumpelt. Ich brauchte keinen, der mir sagte, das war ein fürchterlich schlechtes Vorzeichen und brächt mir bestimmt irgendein Unglück, und so hat mich die Angst gepackt, und alles an mir schlotterte. Ich stand auf und drehte mich dreimal auf dem Absatz und bekreuzigte mich dabei jedesmal; dann hab ich ne kleine Locke von meinem Haar mit einem Faden zusammengebunden, um Hexen abzuhalten. Aber Vertrauen hatte ich keins. Man macht das, wenn man ein Hufeisen findet und dann verliert, statt es über die Haustür zu nageln, aber ich hab noch keinen sagen hören, dass man damit Unglück abhalten kann, wenn man ne Spinne getötet hat.

Zitternd an allen Gliedern hab ich mich wieder hingesetzt und holte meine Pfeife raus, um zu rauchen; das Haus war nämlich jetzt totenstill, und so würd die Witwe nichts merken. Nach langer Zeit hörte ich drüben im Ort die Turmuhr schlagen – bum – bum – bum – zwölf Schläge, dann war alles wieder still – noch stiller als vorher. Kurz drauf hörte ich nen Zweig knacken, unten im Dunkeln zwischen den Bäumen – irgendwas bewegte sich da. Ich saß still und hab gelauscht. Grade noch konnt ich hören, wie einer von unten »miau! miau!« rief. War das gut! »Miau! miau!«, echote ich zurück, so leis ich konnte, dann hab ich die Kerze ausgeblasen und bin zum Fenster rausgeklettert auf den Schuppen. Und ich rutsch runter auf den Boden und schleich zwischen den Bäumen lang, und natürlich!, da hat Tom Sawyer auf mich gewartet.

Kapitel 2

Unsre Bande schwört finstre Rache

Auf Zehenspitzen sind wir nen Pfad lang zwischen den Bäumen ans hintre Ende vom Garten der Witwe, gebückt, damit uns die Zweige nicht das Gesicht zerkratzten. Wie wir an der Küche vorbeikommen, fall ich über ne Wurzel und mach ein Geräusch. Wir haben uns geduckt und flach gelegt. Jim, Miss Watsons großer Nigger, saß in der Küchentür; wir konnten ihn ziemlich deutlich sehn, weil ein Licht hinter ihm an war. Er stand auf, streckte den Kopf vielleicht ne Minute lang raus und hat gelauscht. Dann ruft er:

»Is da wer?«

Er hat nochmal gelauscht; dann kam er auf Zehenspitzen runter und stand genau zwischen uns; beinah hätten wir ihn berühren können. Also, es vergingen viele Minuten, wo sich keiner regte – und wir alle so dicht beisammen. An meinem Knöchel fing ne Stelle an zu jucken; aber ich hab mich nicht getraut zu kratzen; dann fing mein Ohr an zu jucken; und gleich auch mein Rücken, genau zwischen den Schultern. Es war, wie wenn ich sterben müsst, wenn ich mich nicht kratzen konnte. Ich hab das seitdem immer wieder erlebt. Wenn man bei vornehmen Leuten ist, oder bei nem Begräbnis, oder wenn man einzuschlafen versucht und gar nicht schläfrig ist – wenn man irgendwo ist, wo man sich, egal warum, nicht kratzen darf, da juckt’s einen am ganzen Körper an mehr als tausend Stellen. Auf einmal sagt Jim:

»Los sag – wer bissen du? Wo bis du? Will verdammt sein, wenn ich net was ghört hab. Na, ich weiß, was ich jetzt tu. Setz mich hierhin und horch, bis ich widder was hör.«

Worauf er sich auf den Boden gesetzt hat, genau zwischen mich und Tom. Mit dem Rücken hat er an nem Baum gelehnt und seine Beine von sich gestreckt, bis er mit dem einen bald meins streifte. Meine Nase fing an zu jucken. Sie hat gejuckt, bis mir die Tränen in die Augen stiegen. Aber ich hab mich nicht getraut zu kratzen. Dann fing sie innen an zu jucken. Und gleich drauf juckte’s mich irgendwo unten. Ich wusste nicht, wie ich noch still sitzen sollte. Das Elend hat gut sechs, sieben Minuten gedauert; aber mir kam’s viel länger vor. Es juckte mich jetzt an elf verschiednen Stellen. Ich hab geglaubt, länger als ne Minute könnt ich’s nicht mehr aushalten, aber dann hab ich die Zähne zusammengebissen und es trotzdem versucht. Grade da fing Jim an, schwer zu atmen; gleich drauf hat er losgeschnarcht – und da hab ich mich schnell wieder wohlgefühlt.

Tom machte mir ein Zeichen – so ein leises Geräusch mit dem Mund – und wir sind auf allen vieren weggekrochen. Als wir zehn Fuß weit waren, hat Tom mir zugeflüstert, er wollt Jim aus Jux an den Baum fesseln; aber ich sagte nein; er könnt aufwachen und Lärm machen, und dann würden sie rauskriegen, dass ich nicht drin war. Dann sagte Tom, er hätt nicht genug Kerzen mit, und er wollt in die Küche schleichen und noch welche holen. Ich wollte nicht, dass er’s probiert. Jim könnt aufwachen und kommen, sagte ich. Trotzdem wollte Tom es riskieren; so sind wir reingeschlichen, holten drei Kerzen, und Tom legte fünf Cent dafür auf den Tisch. Dann kamen wir raus, und ich wollt nichts wie weg; aber Tom hat das immer noch nicht gereicht, er musste unbedingt auf allen vieren zu Jim kriechen und ihm nen Streich spielen. Ich hab gewartet, ne ganze Weile kam’s mir vor, alles war so still und einsam.

Als Tom zurückkam, machten wir uns auf die Socken, den Pfad lang, um den Gartenzaun rum, und bald waren wir oben am Steilhang auf der andern Seite vom Haus. Tom sagte, er hätt Jim den Hut vom Kopf gezogen und an einen Ast direkt über ihm gehängt, und Jim hätt sich ein bisschen gemuckst, war aber nicht aufgewacht. Später hat Jim erzählt, die Hexen hätten ihn verhext und ihn in Trance versetzt und ihn durch den ganzen Staat geritten und ihn dann wieder unter den Bäumen abgesetzt und seinen Hut an nen Ast gehängt, um zu zeigen, wer’s war. Und beim nächsten Mal, wo er’s erzählt hat, sagte er, sie warn bis nach New Orleans runter auf ihm geritten; und jedesmal, wenn er’s wieder erzählte, hat er immer dicker aufgetragen, bis er zum Schluss behauptet hat, sie hätten ihn durch die ganze Welt geritten und ihn fast zu Tode gehetzt, und sein Rücken war voller Beulen vom Sattel. Jim war ungeheuer stolz drauf, und es kam so weit, dass er die andern Nigger kaum mehr beachtet hat. Meilenweit kamen die Nigger her, um zu hören, wie Jim davon erzählte, und er war mehr geachtet als irgendein Nigger in der Gegend. Fremde Nigger standen da mit offnem Mund und haben ihn von oben bis unten begafft, als wär er wunder wer. Die Nigger quasseln im Dunkeln am Herdfeuer immer über Hexen; aber immer wenn einer davon anfing und so tat, als wüsst er alles über solche Dinge, da ist Jim reingeplatzt und sagt: »Hm! Was weißten du von Hexen?«, und dem Nigger war das Maul gestopft, und er hatte nichts mehr zu bestellen. Jim hatte das Fünfcentstück immer an ner Schnur um den Hals und sagte, es war ein Amulett, das der Teufel ihm eigenhändig gegeben hätte, und er könnte, wie der Teufel ihm gesagt hatte, jeden damit heilen und, wann immer er wollte, Hexen herholen, er bräucht bloß was zu dem Amulett sagen; aber was es war, damit ist er nie rausgerückt. Nigger aus der ganzen Gegend kamen an und gaben Jim bloß für nen Blick auf das Fünfcentstück alles, was sie hatten, aber anfassen wollten sie’s nicht, weil der Teufel die Hand drauf hatte. Jim war als Diener so gut wie ruiniert, so hochnäsig wurde er, weil er den Teufel gesehn hatte und die Hexen auf ihm geritten warn.

Also, wie Tom und ich oben auf dem Hügel ankamen, haben wir aufs Dorf runtergeguckt und konnten drei oder vier Lichter blinken sehn, bei kranken Leuten vielleicht; und die Sterne über uns funkelten noch so wunderschön; und unten beim Dorf war der Fluss, eine ganze Meile breit und unheimlich still und herrlich. Wir sind den Hügel wieder runter und fanden Jo Harper und Ben Roger und noch zwei oder drei andre Jungs in der alten Gerberei versteckt. Und so haben wir ein Boot losgemacht, sind zweieinhalb Meilen flussab zu dem großen Steilfelsen am Uferhang gerudert und dann an Land.

Wir sind zu ner Gruppe von Büschen, und Tom ließ alle schwören, das Geheimnis nicht zu verraten, und dann hat er ihnen ein Loch im Hügel gezeigt, mitten im dichtesten Gebüsch. Dann haben wir die Kerzen angezündet und sind auf allen vieren reingekrochen. Wir kamen so ungefähr zweihundert Yard weit, und dann ist die Höhle breiter geworden. Tom ist in den Gängen rumgetappt und dann auf einmal unter ne Wand getaucht, wo keiner was von nem Loch vermutet hätte. Wir passierten dann ne enge Stelle und kamen in so’ne Art Zimmer, ganz feucht und klamm und kalt, und da machten wir halt. Da sagt Tom:

»Jetzt gründen wir die Räuberbande und nennen sie Tom-Sawyer-Bande. Jeder, der mitmachen will, muss nen Eid schwören und seinen Namen mit Blut schreiben.«

Alle wollten. Und da hat Tom ein Blatt Papier rausgeholt, wo er den Eid draufgeschrieben hatte, und las ihn vor. Der Eid hat jeden verpflichtet, zur Bande zu halten und nie eins von ihren Geheimnissen zu verraten; und wenn irgendwer einem von der Bande was antat, so musste jeder, der das befohlen bekam, denjenigen und seine Familie töten und hat nicht essen und nicht schlafen dürfen, bis er die alle getötet und ihnen ein Kreuz in die Brust gekerbt hatte, was das Zeichen der Bande war. Und keiner, der nicht zur Bande gehört hat, durfte das Zeichen verwenden, und wenn er’s doch tat, so kam er vor Gericht; und wenn er’s nochmal tat, musste er getötet werden. Und wenn einer aus der Bande die Geheimnisse verriet, musste ihm die Kehle durchgeschnitten, seine Leiche verbrannt und die Asche ringsrum verstreut werden, und sein Name musste von der Liste mit Blut gelöscht werden und durfte in der Bande nie wieder genannt werden, sondern sollte für immer verflucht und vergessen sein.

Alle haben gesagt, das wär wirklich ein glänzender Eid, und wollten von Tom wissen, ob er von ganz allein drauf gekommen war. Tom sagte, teilweise, aber der Rest wär aus Piratenbüchern und Räubergeschichten, und jede Bande mit Grundsätzen hätte so einen.

Ein paar fanden, es wär gut, auch die Familie von dem zu töten, der die Geheimnisse verriet. Tom fand das auch ne gute Idee, und er hat nen Bleistift genommen und schrieb’s rein. Worauf Ben Rogers sagt:

»Aber Huck Finn, der hat doch gar keine Familie – was willsten mit dem machen?«

»Aber ’n Vater hat er doch, oder?«, sagt Tom.

»Ja klar, aber der ist jetzt nicht mehr aufzutreiben. Früher hat er immer betrunken bei den Schweinen in der Gerberei gelegen, aber seit nem Jahr oder noch länger hat er sich hier in der Gegend nicht mehr blicken lassen.«

Sie haben sich beraten und waren drauf und dran, mich auszuschließen, weil sie meinten, jeder müsst ne Familie oder irgendwen zum Töten haben, sonst wär’s unfair und ungerecht gegenüber den andern. Keiner kam auf ne Idee, was wir tun konnten – alle waren ratlos und saßen stumm da. Mir war zum Heulen; aber auf einmal fiel mir ein Ausweg ein, und ich hab ihnen Miss Watson angeboten – die konnten sie töten. Alle haben gerufen:

»Klar, die geht! Einverstanden! Bist dabei, Huck.«

Dann haben sich alle mit ner Nadel in den Finger gestochen für Blut zum Unterschreiben, und ich machte mein Zeichen auf das Papier.

»So«, sagt Ben Rogers, »und in was für ner Branche soll die Bande arbeiten?«

»Nur Morden und Rauben, sonst nichts«, sagt Tom Sawyer.

»Aber was solln wir rauben? Häuser – oder Vieh – oder –«

»Quatsch! Vieh und so was stehlen ist nicht Rauben, das ist Stehlen«, sagt Tom. »Wir sind keine Diebe. Das ist unter unsrer Würde. Wir sind Straßenräuber. Wir haben Masken auf und überfallen Kutschen und Wagen auf der Landstraße, wir töten die Leute und nehmen ihnen Uhren und Geld ab.«

»Müssn wir die Leute immer töten?«

»Aber sicher, ist das Beste, ’n paar Kapazitäten denken da anders, aber meistens hält man’s fürs Beste, sie zu töten. Bis auf die paar wenigen, die ihr hierher in die Höhle schafft und erst freilasst, wenn sie ausgelöst werden.«

»Was issen das – auslösen?«

»Weiß ich nicht. Aber so wird’s gemacht. Das hab ich aus Büchern; und so müssen wir’s natürlich auch machen.«

»Aber wie denn? – wenn wir gar nicht wissen, was es ist?«

»Verdammt nochmal, wir müssen! Ich sag euch doch, so steht’s in den Büchern. Wollt ihr wirklich was andres machen, als wie’s in den Büchern steht, und ’n Kuddelmuddel am Ende?«

»Das sagst du so leicht, Tom Sawyer, aber wie zum Teufel solln die Burschen denn ausgelöst werden, wenn wir gar nicht wissen, wie wir’s ihnen antun sollen? Das isses, was ich wissen will! So, und jetzt sag mir endlich, wie’s geht!«

»Gut, zugegeben, ich weiß es nicht. Aber vleicht – wenn wir sie einsperren, bis sie ausgelöst werden – bedeutet das, dass wir sie gefangenhalten müssen, bis sie tot sind.«

»Na klar, so was muss es sein. Klingt gut. Wieso haste das nicht gleich gesagt? – Halten se fest, bis sie fürn Tod ausgelöst werden – bloß sind se dann für uns auch ’n lästiges Pack, fressen uns alles weg und versuchen dauernd abzuhaun.«

»Was redste da für ’n Stuss, Ben Rogers! Wie können die abhauen, wenn ne Wache bei ihnen ist, immer schussbereit, wenn sie bloß nen Mucks machen?«

»Ne Wache – das ist gut! Soll einer die ganze Nacht Wache schieben und nicht mal ne Mütze Schlaf kriegen, nur um die zu bewachen? Ich find das verrückt. Wieso kann nicht einer nen Prügel schnappen und se auslösen, wenn se hierherkommen?«

»Weil’s so nicht in den Büchern steht – darum. Also, Ben Rogers, willst du die Dinge richtig machen oder nicht? – Das will ich jetzt mal wissen. Glaubst du, die Leute, die die Bücher geschrieben haben, wissen nicht, wie man korrekt vorgeht? Glaubst du, du kannst die was lernen? Nie im Leben! Nee, mein Freund, wir machen’s genau so und lösen sie auf die korrekte Art aus.«

»Gut, einverstanden – is mir auch egal; aber verrückt isses trotzdem. Sag mal, töten wir auch die Weiber?«

»Also, Ben Rogers, wenn ich so ’n Ignorant war wie du, tät ich’s nicht zeigen. Die Weiber töten? Nee – so was steht nirgendwo in den Büchern. Ihr schafft sie hierher und seid superhöflich zu ihnen; und schon bald verlieben sie sich in euch und haben keine Lust mehr auf zu Hause.«

»Na, wenn’s so ist, hab ich nichts dagegen, aber eigentlich interessiert’s mich gar nicht. Auf ein Schlag haben wir nämlich die Höhle vollgepfercht mit Weibern und Kerlen, die auf ihre Auslöse warten, und für die Räuber ist kein Platz mehr da. Aber mach nur weiter, ich hab ja nichts zu melden.«

Der kleine Tommy Barnes war inzwischen eingepennt, und als sie ihn geweckt haben, war er erschrocken und hat losgeheult, er wollt heim zu seiner Mama und kein Räuber mehr sein.

Alle haben ihn aufgezogen und ihn nen kleinen Schreihals genannt, und da wurd er wütend und hat gedroht, er würd gleich losrennen und alle Geheimnisse verraten. Aber Tom gibt ihm fünf Cent, damit er die Klappe hält, und sagte, wir würden jetzt alle gleich nach Hause gehen und uns nächste Woche wieder treffen, um irgend jemand auszurauben und ein paar Leute zu töten.

Ben Rogers sagte, er könnt nicht oft weg, nur am Sonntag, und darum wollt er am nächsten Sonntag anfangen; aber alle Jungs sagten, am Sonntag wär’s Sünde, und damit war die Sache entschieden. Sie beschlossen, wieder zusammenzukommen und sobald wie möglich einen Tag auszumachen, und dann haben wir Tom Sawyer zum Bandenchef gewählt und Jo Harper zu seinem Vize und sind heim.

Noch eh’s hell wurde, bin ich auf den Schuppen geklettert und zum Fenster reingekrochen. Meine neuen Klamotten waren total verschmiert und dreckig, und ich war hundemüde.

Kapitel 3

Wir lauern den A-rabern auf

Also, am Morgen kriegte ich nen Mordsrüffel von der alten Miss Watson wegen meinen Kleidern; aber die Witwe, die hat nicht geschimpft, die hat nur den Lehm und Dreck weggeputzt; sie sah so traurig aus, dass ich fand, ich sollt mich ne Weile benehmen, wenn ich’s irgendwie schaffe. Dann nahm mich Miss Watson mit in die Kammer und hat gebetet, aber raus kam nichts dabei. Sie sagte, ich sollt jeden Tag beten, und um was ich auch bitten würde, das würd ich kriegen. Aber das stimmte nicht. Ich hab’s probiert. Einmal hab ich ne Angelschnur gekriegt, aber keine Haken. Ohne Haken kann ich nichts anfangen. Ich hab’s drei- oder viermal wegen den Haken probiert, aber irgendwie hat’s nicht funktioniert. Eines Tages, nicht lang danach, hab ich Miss Watson gebeten, es für mich zu probieren, aber sie sagte, ich wär ein Dummkopf. Wieso, hat sie mir nicht gesagt, und ich bin auch nie dahintergekommen.

Ich hab mich draußen im Wald mal hingesetzt und lange drüber nachgedacht. Wenn einer, sag ich mir, alles bekommen kann, um was er betet, wieso kriegt dann der Diakon Winn das Geld nicht wieder, das er beim Schweinehandel verloren hat? Wieso kriegt die Witwe nicht ihre silberne Schnupftabakdose wieder, die man ihr gestohlen hat? Und warum wird Miss Watson nicht dicker? Nee, sag ich mir, da stimmt was nicht. Ich bin zur Witwe und hab’s ihr erzählt, und sie sagte, was einer durch Beten kriegen kann, wärn »geistige Gaben«. Das war zu hoch für mich, aber sie hat mir erklärt, was sie meinte – ich müsst den andern Menschen helfen, und alles, was ich kann, für sie tun, mich die ganze Zeit um sie kümmern und nie an mich selber denken. Einschließlich Miss Watson, soweit ich’s verstanden habe. Ich bin in den Wald und ließ mir alles lang durch den Kopf gehn, aber ich fand, das lohnte sich nicht – außer für die andern Menschen – und so hab ich beschlossen, nicht weiter drüber nachzugrübeln und es einfach auf sich beruhn zu lassen. Manchmal nahm mich die Witwe beiseite und hat mir von der Vorsehung erzählt, dass einem der Mund wässrig wurde; aber dann hat mich am andern Tag vielleicht Miss Watson erwischt und alles wieder kaputtgemacht. Ich fand, dass es zwei Arten von Vorsehung gibt und ein armer Kerl bei der von der Witwe gut wegkommt, aber wenn ihn die von Miss Watson erwischte, dann gab’s keine Rettung mehr für ihn. Ich hab mir alles reiflich überlegt und fand, dass ich zu der von der Witwe gehören wollte, wenn die mich haben wollte, obwohl mir nicht klar wurde, wieso die mit mir besser dran war als ohne mich, wo ich doch so unwissend und ziemlich fies und störrisch war.

Pap, der hatte sich über ein Jahr nicht mehr blicken lassen, und das war beruhigend; ich wollt ihn nicht mehr sehn. Er hat mich immer versohlt, wenn er nüchtern war und mich zu fassen kriegte; nur, ich bin meistens in den Wald verduftet, wenn er da war. Um die Zeit fand man ihn ertrunken im Fluss, ungefähr zwölf Meilen oberhalb vom Dorf – so sagten die Leute. Jedenfalls meinten sie, er wär’s; dieser ertrunkne Mann wär grad von seiner Größe, zerlumpt und hätte ungewöhnlich langes Haar – genau wie bei Pap –, aber sie konnten sein Gesicht nicht mehr erkennen, weil’s so lang im Wasser gelegen hatte, dass es gar nicht mehr aussah wie ’n Gesicht. Er war auf dem Rücken getrieben, sagten sie. Sie haben ihn rausgezogen und am Ufer begraben. Aber meine Ruhe hielt nicht lang vor, weil mir zufällig was einfiel. Ich wusste haargenau, dass ein ertrunkner Mann nicht auf dem Rücken treibt, sondern auf dem Gesicht. Von daher wüsst ich also, dass das nicht Pap war, sondern ne Frau, die Männerkleider anhatte. Da wurd ich wieder unruhig. Ich dachte, der Alte taucht sicher bald wieder auf, obwohl ich wollte, dass er wegblieb.

Wir spielten ab und zu Räuber, ungefähr noch nen Monat, und dann hab ich’s aufgegeben. Und die andern Jungs auch. Wir hatten niemand ausgeraubt, wir hatten keine Leute getötet, sondern bloß so getan. Wir sind immer aus den Wäldern rausgeflitzt und auf Schweinetreiber und Weiber losgegangen, die in ihren Karren Gemüse zum Markt brachten, aber eingesammelt haben wir nie jemand. Tom nannte die Schweine Goldbarren und die Rüben und das Gemüse Juwelen, und danach sind wir in die Höhle und haben über unsre Taten palavert und wie viele Leute wir getötet und mit unserm Kreuz gezeichnet hatten. Aber ich fand, das lohnte sich nicht. Einmal hat Tom Sawyer nen Jungen losgeschickt, der mit nem brennenden Stock, was er ne Parole nannte, im Ort rumrennen sollte (was für die Bande das Zeichen zum Versammeln war), und dann hat er erzählt, durch seine Spione hätt er geheime Botschaft bekommen, dass am nächsten Tag ne ganze Kolonne von spanischen Händlern und reichen A-rabern in Cave Hollow kampieren wollte, mit zweihundert Elefanten und sechshundert Kamelen und über tausend Saumtieren, alle voll beladen mit Diamanten, und die hätten bloß ne Wache von vierhundert Soldaten; da sollten wir uns in einen Hinterhalt legen, wie er’s nannte, und die ganze Gesellschaft töten und die Dinge abkassieren. Aber vorher müssten wir noch unsre Schwerter und Gewehre polieren und uns fertigmachen. Er konnte nie auch bloß nem Rübenkarren nachlaufen, ohne dass wir dafür unsre Schwerter und Gewehre blank putzen mussten; bloß warn das nur Latten und Besenstiele, und man konnte dran schrubben bis zum Schwarzwerden, und dann warn sie keinen Deut mehr wert als vorher. Ich hab nicht geglaubt, dass wir so nen Haufen Spanier und A-raber schlagen können, aber die Kamele und Elefanten wollt ich sehn, und so war ich am andern Tag, einem Samstag, im Hinterhalt zur Stelle; und als wir das Kommando bekamen, sind wir aus dem Wald gerannt und den Hügel runter. Aber da waren keine Spanier und A-raber, und auch keine Kamele und Elefanten. Es war man grad ein Sonntagsschulpicknick, und dazu noch von Abc-Schützen. Und das haben wir gesprengt und die Kinder das Tal raufgescheucht; erwischt haben wir nichts als ein paar Krapfen und Mus, bloß Ben Rogers hat ne Stoffpuppe erobert und Jo Harper ein Gesangbuch und ein Traktätchen; und dann kam der Lehrer angerannt, und wir haben alles hingeschmissen und sind abgehaun. Ich sah keine Diamanten und sagte das Tom Sawyer auch. Er meinte, es wärn jedenfalls massenhaft welche dagewesen, und auch A-raber und Elefanten und alles war dagewesen. Ich hab ihn gefragt, warum wir sie dann nicht gesehn hätten? Er sagte, wenn ich nicht so ein Ignorant wär und ein Buch, das Don Quijote heißt, gelesen hätte, würd ich nicht fragen, warum. Es war nämlich alles verzaubert gewesen. Hunderte von Soldaten wärn dagewesen, und Elefanten und Schätze und alles, aber wir hätten Feinde, welche er Magier nannte, und die hätten das Ganze in ne Kindersonntagsschule verwandelt, einfach so aus Bosheit. Na schön, sag ich, dann müssen wir uns halt die Magier vornehmen. Tom Sawyer meinte, ich wär ein Trottel.

»Was denkste«, sagt er, »ein Magier kann ne Menge Geister beschwören, und die würden dir wie nix die Knochen brechen, eh du piep sagen kannst. Die sind so groß wie ’n Baum und so dick wie ne Kirche.«

»Und wenn wir ein paar Geister dazu kriegen könnten, uns zu helfen – können wir dann den andern Haufen nicht schlagen?«

»Wie willste welche dazu kriegen?«

»Ich weiß nicht. Wie machen’s die andern?«

»Also, die reiben an einer alten Blechlampe oder an einem Eisenring, und dann kommen die Geister angerauscht, mit Blitz und Donner, und Rauch quillt auf, und alles, was man ihnen sagt, das machen sie ruckzuck. Mit Leichtigkeit reißen die ’n Schrotsilo ausm Boden und knallen es nem Sonntagsschulrektor übern Schädel – oder wem auch immer.«

»Und wer bringt die dazu, dass sie anrauschen?«

»Wer grade an der Lampe oder an dem Ring reibt. Die gehören dem, der an der Lampe oder dem Ring reibt, und sie müssen alles tun, was der ihnen sagt. Wenn er ihnen befiehlt, nen vierzig Meilen langen Palast aus Diamanten zu bauen und ihn randvoll zu stopfen mit Kaugummi, oder was du willst, und die Tochter des Kaisers von China für dich zum Heiraten zu holen, dann müssen sie das tun – noch vor Sonnenaufgang am andern Morgen. Und mit dem Palast müssen sie im ganzen Land rumwirbeln, wo du ihn hinhaben willst, verstehst du?«

»Also«, sag ich, »das müssen ja schöne Idioten sein, statt den Palast für sich zu behalten, lassen die sich so an der Nase rumführen. Und außerdem, wenn ich einer von denen wäre, ich würd den Mann zum Teufel jagen, eh ich meine Geschäfte im Stich lasse und zu ihm komm, bloß weil er an altem Blech reibt.«

»Was redste für ’n Stuss, Huck Finn. Du müsstest kommen, wenn er dran reibt, ob du willst oder nicht.«

»Was! – Und ich soll so groß wie ’n Baum sein und so dick wie ne Kirche? Na schön; ich würde kommen; aber wetten, dass ich den Mann auf den höchsten Baum im ganzen Land jage!«

»Quatsch – hat kein Sinn, mit dir zu reden, Huck Finn. Du hast von nichts nen blassen Schimmer – der letzte Idiot bist du.«

Zwei oder drei Tage habe ich über das Ganze nachgedacht und fand, ich sollt mal probieren, ob da irgendwas dran ist. Ich nahm ne alte Blechlampe und nen Eisenring, bin in den Wald raus und hab gerieben und gerieben, bis ich wie ein Injaner schwitzte, und spekulierte auf nen Palast, den ich verkaufen wollte; aber es hat nichts genützt, keiner von den Geistern kam. Da hab ich gemerkt, dass der ganze Kram bloß wieder eine von Tom Sawyers Lügen war. Vermutlich glaubte er an die A-raber und die Elefanten, aber ich denk da anders drüber. Das roch alles doch zu sehr nach Sonntagsschule.

Kapitel 4

Jims Haarknäuel sagt mir weis

Drei oder vier Monate gingen rum, und es war schon mitten im Winter. Fast die ganze Zeit war ich in der Schule gewesen, konnte buchstabieren und lesen, auch ein bisschen schreiben und das Einmaleins aufsagen bis 6 mal 7 ist 35, aber ich glaub, weiter als bis dahin werd ich nie kommen, und wenn ich ewig lebe. Ich interessier mich jedenfalls nicht für Mathematik.

Zuerst hasste ich die Schule, aber mit der Zeit hab ich’s so weit gebracht, dass ich’s aushalten konnte. Immer wenn sie mir zum Hals raushing, hab ich geschwänzt, und die Prügel, die ich am andern Tag bekam, haben mir gut getan und mich aufgemuntert. Und so ist’s mir immer leichter gefallen, je länger ich hin bin. Auch an die Art von der Witwe hab ich mich ein wenig gewöhnt, und sie nervte mich jetzt nicht mehr so. In einem Haus wohnen und im Bett schlafen war meistens ne ziemliche Folter für mich, aber eh’s kalt wurde, bin ich manchmal rausgeschlichen und hab im Wald geschlafen – war das eine Erholung für mich! Am liebsten warn mir die alten Gewohnheiten, aber ich hab’s so weit gebracht, dass ich die neuen auch ein klein wenig mochte. Die Witwe sagte, ich würd mich langsam aber sicher machen, und es ginge ganz befriedigend voran mit mir, und sie würd sich jetzt meinetwegen nicht mehr schämen.

Eines Morgens ist mir beim Frühstück das Salzfass umgekippt. Ich langte nach ein paar Salzkörnern, so schnell ich konnte, um sie über die linke Schulter zu werfen und so Unglück abzuhalten, aber Miss Watson war schneller als ich und ist mir dazwischengefahren. Sie sagte: »Nimm die Hände weg, Huckleberry – was machst du auch immer für einen Schmutz!« Die Witwe legte ein gutes Wort für mich ein, aber das würd das Unglück nicht abhalten, das wusste ich ganz genau. Nach dem Frühstück bin ich raus; ich hab mich unruhig und wacklig gefühlt und mich gefragt, wo es mich treffen würd und was es sein würd. Einige Arten von Unglück kann man abhalten, dazu gibt es Mittel, aber bei dem ging es nicht; deswegen hab ich’s gar nicht erst probiert, sondern bin bloß rumgestapft, richtig niedergeschlagen und ständig auf der Hut.

Ich bin zum Vorgarten runter und über den Zauntritt geklettert, wo man durch den hohen Bretterzaun kommt. Es lag ein Zoll Neuschnee auf dem Boden, und ich sah die Fußspur von jemand. Sie kam vom Steinbruch hoch, stand ne Weile am Zauntritt und ging dann weiter um den Gartenzaun rum. Komisch, dass sie nicht reingekommen war, nachdem sie so lang dagestanden hatte. Ich wurd nicht schlau draus. Es war irgendwie sehr seltsam. Ich wollt schon der Spur überallhin nachgehn, aber dann hab ich mich erst mal gebückt, um sie zu untersuchen. Zuerst fiel mir gar nichts auf, aber dann doch. Im linken Stiefelabsatz war ein Kreuz aus dicken Nägeln, um den Teufel abzuhalten.

Und ich nichts wie hoch und den Hügel runtergerast. Ab und zu hab ich über meine linke Schulter zurückgeschaut, aber ich sah niemand. So schnell ich konnte, war ich beim Richter Thatcher. Und er sagte:

»Nanu, mein Junge, bist ja ganz außer Atem! Bist du wegen deinen Zinsen gekommen?«

»Nee, Herr Richter«, sag ich, »sind denn welche für mich gekommen?«

»Ja, die fürs letzte halbe Jahr sind da, seit gestern Abend. Über hundertfünfzig Dollar. Ein ganzes Vermögen für dich. Lass sie mich lieber zusammen mit deinen andern sechstausend anlegen, denn wenn du sie mitnimmst, gibst du sie doch aus.«

»Nee, Herr Richter«, sag ich, »ich will se nicht ausgeben. Ich will sie überhaupt nicht – auch die sechstausend nicht, garnix. Ich möcht, dass Sie’s nehmen; ich möcht’s Ihnen geben – die sechstausend und alles.«

Er sah überrascht aus. Er wurde, scheint’s, nicht schlau draus. Und er sagt:

»Nanu, was meinst du denn damit, mein Junge?«

Ich sag: »Bitte stellen Sie mir keine Fragen nich. Sie nehmen’s doch – oder?«

Und er sagt:

»Nun, das erstaunt mich. Ist denn irgendwas passiert?«

»Bitte nehmen Sie’s«, sag ich, »und fragen Sie mich nich weiter – dann brauch ich keine Lügen erzählen.«

Er überlegte ne Weile und sagt dann:

»Aha. Ich glaube, jetzt versteh ich. Du willst dein Eigentum an mich verkaufen – nicht verschenken. So ist es!«

Dann schrieb er was auf ein Papier, las es durch und sagt:

»Hier – siehst du, da steht ›gegen Entgelt‹. Das bedeutet, dass ich es dir abgekauft und dir dafür bezahlt habe. Hier ist ein Dollar für dich. So, nun unterschreib.«

Und so hab ich unterschrieben und bin weg.

Miss Watsons Nigger, der Jim, hatte ein Haarknäuel, so groß wie ne Faust, das jemand nem Ochsen aus seinem vierten Magen rausgeholt hatte, und mit dem zauberte er immer. Innen war ein Geist drin, sagte er, und der wüsste alles. Und so bin ich am Abend zu ihm und hab ihm erzählt, Pap war wieder hier, ich hätt seine Spuren im Schnee entdeckt. Ich wollt von Jim wissen, was Pap vorhat und ob er bleibt. Jim holte sein Haarknäuel und sagte seinen Spruch über ihm auf, und dann hielt er’s hoch und ließ es fallen. Es fiel ziemlich plump und rollte bloß einen Zoll weit. Jim probierte es nochmal, und dann nochmal, aber es ist jedesmal genau dasselbe passiert. Er kniete sich hin und legte sein Ohr dran und horchte. Aber es hat nichts genützt; der Geist wollte nicht reden, sagte er; manchmal würd er nicht ohne Geld reden. Ich hab ihm erzählt, ich hätt nen alten glatten falschen Vierteldollar, der nichts mehr taugt, weil das Messing schon durchschimmert, aber auch wenn das Messing nicht durchschimmern würde, ginge er nirgendwo mehr durch, weil er so glatt war, dass er sich ganz schmierig anfühlte, und so würd er sich bestimmt jedesmal verraten. (Ich dachte, von dem Dollar, den ich vom Richter Thatcher bekommen hatte, wollt ich lieber nichts sagen.) Es war ziemlich schlechtes Geld, sagte ich, aber vielleicht würd das Haarknäuel es nehmen, weil’s vielleicht den Unterschied nicht merkt. Jim roch dran, biss drauf, rieb es und sagte, er würd’s so hinkriegen, dass das Haarknäuel glaubt, es wär echt. Er würd ne rohe irische Kartoffel nehmen und die Münze reinstecken und die ganze Nacht drinlassen, und am nächsten Morgen wär kein Messing mehr zu sehn, und die Münze würd sich nicht mehr schmierig anfühlen, und jeder im Dorf würd sie sofort nehmen, und ein Haarknäuel natürlich sowieso. Dass ne Kartoffel so wirkt, wusste ich schon, ich hatt’s aber vergessen.

Jim legte den Vierteldollar unter das Haarknäuel, kniete hin und horchte wieder. Diesmal, sagte er, stimmt alles beim Haarknäuel, und wenn ich wollt, würd es mir mein ganzes Schicksal weissagen. Dann mal los, sag ich. Und da hat das Haarknäuel zu Jim gesprochen, und Jim hat es mir erzählt:

»Dein alter Vadder weiß noch net, was er mache will. Manchmal sagt er, er will weg, und dann widder sagt er, er will bleibn. ’s Beste is, abwartn un den Alte sein eignen Weg gehn lassen. Da sin zwei Engel, die über ihm rumschwebn. Einer davo is weiß un glitzrig, un dr ander is schwarz. Dr weiße kriegt ihn auffen rechtn Weg, ne kurze Weil, un dann segelt dr schwarze an un macht alls kaputt, ’s kann keiner noch net sage, welcher ihn holt zum Schluss. Aber bei dir isses gut. Du wirst ne Menge Ärger ham in deim Lebn, un ne Menge Freude. Manchmal wirste verletzt sein, un manchmal wirste krank sein, aber jedesmal wirste widder heil. Da sin zwei Mädle um dich rum in deim Lebn. Die eine is hell, un die ander is dunkel. Eine is reich, und die ander is ahm. Zuerst wirste die Ahme heiraten, un nacher die Reiche. Un du möchst vom Wasser wegbleim, soviel du kannst, un geh kein Wagnis net ein, von wegen weil’s innen Gesetzen steht, dass de sonst wirst aufghängt wern.«

Als ich am Abend meine Kerze angezündet habe und in mein Zimmer rauf bin, saß da Pap höchstselbst.

Kapitel 5

Pap fängt ein neues Leben an

Ich hatte die Tür zugemacht. Dann hab ich mich umgedreht, und da saß er. Ich hab immer Angst vor ihm gehabt, er hat mich so oft durchgebleut. Ich glaub, ich hatt auch diesmal Angst; aber schon bald hab ich gemerkt, dass ich mich getäuscht hatte. Das heißt, nach dem ersten Schock sozusagen, wo mir fast die Luft weggeblieben ist, wie er so unerwartet dasaß; aber dann hab ich im Nu gemerkt, dass ich meine Angst vor ihm glatt vergessen konnte.

Er war an die fünfzig, und man sah’s ihm an. Sein Haar war lang und wirr und schmierig und hing runter, und seine Augen funkelten wie hinter Kletterranken vor. Es war ganz schwarz, kein bisschen Grau drin; und so war auch sein langer Zottelbart. Keine Farbe war in seinem Gesicht, wo sein Gesicht noch zu sehn war; es war weiß; kein Weiß wie bei andern Leuten, sondern ein Weiß, dass es einem schlecht davon wurde, ein Weiß, dass es einem kalt übern Rücken lief – ein Baumkrötenweiß, ein Fischbauchweiß. Und seine Kleider – Lumpen, sonst nichts. Den einen Fuß hatte er aufs Knie vom andern gelegt; der Stiefel war an diesem Fuß vorn aufgeplatzt, und zwei Zehen haben sich durchgebohrt, die er ab und zu bewegte. Sein Hut lag auf dem Boden; ein alter schwarzer Schlapphut, oben eingedellt wie ein Topfdeckel.

Ich stand da und sah ihn an; er saß da und sah mich an, den Stuhl ein bisschen nach hinten gekippt. Ich stellte die Kerze ab. Ich sah, dass das Fenster auf war; er war also übern Schuppen reingekommen. Von oben bis unten hat er mich angestiert. Nach ner Weile sagt er:

»Noble Kleider – soso. Denkst wohl, du bist schon bald ’n hohes Tier – was?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sag ich.

»Werd mir ja nich frech!«, sagt er. »Tust ganz schön vornehm, seit ich weg bin. Ich werd dir nen Dämpfer aufsetzen, eh wir miteinander fertig sind. Und zum Unterricht gehste auch, sagen se; kannst lesen und schreiben. Bildest dir wohl ein, du bist jetzt was Bessres als dein Vadder, weil der’s nich kann, was? Ich werd dir das austreiben! Wer hat ’n dir gesagt, du sollst dich mit so ’m großkotzigen Blödsinn abgeben, he? – wer hat ’n dir das gesagt?«

»Die Witwe. Die hat’s gesagt.«

»Die Witwe, he? – Und wer hat der Witwe gesagt, sie soll ihre Nase in was reinstecken, was sie überhaupt nix angeht?«

»Niemand.«

»Also, der werd ich beibringen, sich einmischen! Und hörmal – mit der Schule da ist jetzt Schluss, verstanden? Ich werd den Leuten lernen, einen Jungen so erziehn, dass er sich vor seim eignen Vater aufspielt und so tut, wie wenn er was Bessres ist als er. Lammich dich ja nich erwischen, wenn du dich wieder um die Schule da rumtreibst, verstanden? Deine Mutter hat nich lesen und nich schreiben können, nix, bis sie gestorben ist. Keiner aus der Familie hat’s können, bis sie gestorben sind! Und ich auch nich. Ich bin nicht der Mann, der sich das gefallen lässt – verstanden? Sag mal – lammich mal hörn, wie du liest.«

Ich nahm ein Buch und fing mit was an über General Washington und die Kriege. Als ich so ne halbe Minute gelesen hatte, hat er mit der Hand aufs Buch geschlagen und es quer durch die Gegend geschmissen. Er sagt:

»Stimmt. Du kannst’s. Ich hatt noch so meine Zweifel. Jetzt hör mal zu: das mit dem Vornehmtun hört auf. Ich duld es nicht. Und ich werd dich abpassen, du Klugscheißer, und wenn ich dich bei der Schule da erwisch, dann versohl ich dich – und wie! Und auf einmal wirste auch noch fromm! So ’n Sohn hab ich noch kein erlebt.«

Er hob ein blau und gelbes Bildchen auf, mit ein paar Kühen und nem Jungen drauf, und fragt:

»Was issen das?«

»Das hab ich dafür gekriegt, weil ich gut gelernt habe.«

Zerrissen hat er’s und sagt:

»Ich geb dir was Bessres – ich geb dir ne Tracht Prügel!«

Eine Weile saß er da, hat gemurmelt und gebrummt, dann sagt er:

»Nee – so ein feiner Pinkel! ’n Bett, und Bettzeug, und ’n Spiegel, und ’n Teppich aufm Boden – und dein eigner Vater muss bei den Schweinen in der Gerberei schlafen! So ’n Sohn hab ich noch kein erlebt. Wetten, dass ich dir ’n paar von diesen Flausen wieder austreib, bevor wir mitnander fertig sind! Aber das ist ja noch nich mal alles von deinem großkotzigen Getue – se sagn, du bist reich. He? – Wie kommt das?«

»Sie lügen – daher kommt’s.«

»Nimm dich in Acht – überleg dir, was du sagst; ich lass mir allerhand gefallen – also werd nich patzig. Ich bin jetzt zwei Tage hier im Dorf und hab nix andres gehört als, wie reich du bist. Schon weiter unten am Fluss hab ich’s gehört. Deswegen bin ich gekommen. Bis morgen will ich das Geld sehn – ich brauch es.«

»Ich hab aber kein Geld mehr.«

»Lüg nicht. Der Richter Thatcher hat’s. Und du holst’s mir. Ich brauch es.«

»Ich hab kein Geld mehr, wenn ich’s dir sage. Frag den Richter Thatcher; der wird dir ’s gleiche sagen.«

»Gut. Ich frag ihn; und blechen soll er – oder ich erfahr den Grund. Sag mal, wieviel Geld hast du in der Tasche? Ich brauch es.«

»Bloß nen Dollar, und den brauch ich für –«

»Ist mir schnuppe, für was du den brauchst – raus damit!«

Er nahm ihn und biss drauf, um zu sehn, ob er echt war, und dann hat er gesagt, er geh jetzt ins Dorf Whisky holen; er hätt den ganzen Tag noch keinen Tropfen gehabt. Und als er schon auf dem Schuppen draußen war, hat er den Kopf nochmal reingestreckt und mich wegen meiner Vornehmtuerei verflucht und weil ich was Bessres sein wollt als er; und wie ich denk, jetzt ist er endlich weg, kommt er nochmal zurück und hat den Kopf nochmal reingestreckt und hat mir gedroht, ich soll mich bloß in Acht nehmen wegen der Schule, er stell mir nämlich nach und bleu mich durch, wenn ich’s nicht lasse.

Am nächsten Tag war er besoffen, und er ist zum Richter Thatcher und hat ihn drangsaliert und wollt ihn zwingen, dass er das Geld rausrückt, aber gekriegt hat er’s nicht, und da hat er Stein und Bein geschworen, dass er ihn durchs Gericht dazu zwingt.

Der Richter und die Witwe sind selber vor Gericht und haben verlangt, dass man mich meinem Vater wegnimmt und einen von ihnen zu meinem Vormund macht; aber grad war ein neuer Richter ins Amt gekommen, und der kannte den Alten nicht; und deswegen hat er gesagt, Gerichte dürfen sich nicht einmischen und Familien trennen, wenn’s vermeidbar ist; und er wollt ein Kind lieber nicht seinem Vater wegnehmen. Und so mussten der Richter Thatcher und die Witwe die Sache aufgeben.

Das gefiel dem Alten, und er gab jetzt keine Ruhe mehr. Er sagte, er würd mich verdreschen, bis ich grün und blau wär, wenn ich kein Geld für ihn auftreibe. Ich lieh mir drei Dollar vom Richter Thatcher, und Pap schnappte sie und ließ sich volllaufen, und dann ist er losgezogen, schnaubend und fluchend und grölend und tobend; und im ganzen Dorf hat er bis bald um Mitternacht auf nem Blechtopf rumgetrommelt; dann haben sie ihn eingesperrt und am andern Tag vor Gericht gestellt und ihn nochmal für ne Woche eingesperrt. Aber er sagte, er sei zufrieden: er sei der Herr von seinem Sohn, und dem wolle er schon noch einheizen.

Als er rauskam, sagte der neue Richter, er wollt wieder einen Menschen aus ihm machen. Er nahm ihn mit zu sich nach Haus, zog ihn sauber und ordentlich an, ließ ihn mit der Familie frühstücken und mittag- und abendessen und hat ihn überhaupt mit Samthandschuhen angefasst. Und nach dem Abendessen hat er ihm was über Mäßigkeit und lauter so Zeug erzählt, bis der Alte losheulte, er sei ein Narr gewesen und hab sein Leben vertan; aber jetzt wolle er ne neue Seite aufschlagen und ein Mensch werden, dessen sich niemand zu schämen braucht, und er hoffe, dass ihm der Richter dabei hilft und ihn nicht verachtet. Der Richter sagte, er könnt ihn umarmen für diese Worte; er weinte jetzt selber, und seine Frau auch; Pap sagte, er wär ein Mensch gewesen, der immer missverstanden worden sei, und der Richter sagte, er glaub ihm das. Und der Alte sagte, was ein Mensch braucht, der am Boden liegt, ist Mitgefühl; und der Richter meinte, so ist es; dann weinten sie wieder. Und als es Zeit zum Schlafengehen war, stand der Alte auf, hat seine Hand ausgestreckt und sagt:

»Seht sie euch an, ihr Herren und Damen alle; fasst sie nur an; schüttelt sie. Das war die Hand von einem Schwein; aber sie ist es jetzt nicht mehr; jetzt ist’s die Hand eines Menschen, der in ein neues Leben eingetreten ist und lieber sterben will als nochmal wortbrüchig werden. Merkt euch diese Worte – vergesst nicht, dass ich sie gesprochen habe! Es ist eine saubere Hand jetzt; schüttelt sie nur – habt keine Angst!«

Und so haben sie seine Hand geschüttelt, einer nach dem andern, alle reihum, und weinten. Und die Frau vom Richter, die hat sie sogar geküsst. Dann unterschrieb der Alte ein Gelöbnis – machte sein Krakel. Der Richter meinte, es wär der schönste Tag in seiner Erinnerung oder irgend so was. Dann haben sie den Alten ins Bett gesteckt in einem wunderschönen Zimmer, das nämlich ihr Gästezimmer war; und irgendwann in der Nacht hat ihn ein fürchterlicher Durst gepackt, und er ist aufs Verandadach rausgeklettert, an nem Pfosten runtergrutscht und hat seine neue Jacke gegen nen Krug Fusel eingetauscht, und dann ist er zurückgeklettert und hat sich volllaufen lassen; und gegen Morgen ist er stockbesoffen wieder rausgekrochen, von der Veranda runtergekugelt, hat sich an zwei Stellen den linken Arm gebrochen und war fast steif gefroren, als ihn jemand nach Sonnenaufgang fand. Und als sie in ihr Gästezimmer reinschauten, mussten sie erst mal Maß nehmen, bevor sie durchkamen.

Der Richter war ganz schön eingeschnappt. Man könnt den Alten vielleicht noch mit ner Schrotflinte bessern, sagte er, er jedenfalls wüsst keinen andern Weg.

Kapitel 6

Pap kämpft mit dem Todesengel

Schon bald war der Alte wieder auf den Beinen, und dann hat er den Richter Thatcher vor Gericht geschleppt, um ihn zu zwingen, dass er das Geld rausgibt, und mich hat er sich auch vorgenommen, weil ich die Schule nicht sein ließ. Ein paarmal hat er mich erwischt und versohlt, aber ich bin trotzdem weiter hin; meistens bin ich ihm ausgewichen oder vor ihm abgehauen. Ich bin vorher nicht grade gern in die Schule gegangen, aber jetzt, glaub ich, bin ich Pap zum Trotz hin. Sein Prozess kam nur mühsam voran; es schien, wie wenn sie gar nie damit anfangen wollten. Und so hab ich immer wieder mal zwei oder drei Dollar vom Richter für ihn geliehen, damit ich um Prügel rumkam. Jedesmal, wenn er Geld bekam, hat er sich besoffen; und jedesmal, wenn er besoffen war, machte er nen Riesenkrach im Dorf; und jedesmal, wenn er Krach machte, haben sie ihn eingesperrt. Das war ihm grade recht – so ein Leben gefiel ihm.

Er ist jetzt gar zu viel ums Haus von der Witwe rumgelungert, und irgendwann hat sie ihm gedroht, wenn er’s nicht sein ließe, mach sie ihm Ärger. Also, war der wütend! Er würd ihr zeigen, schimpfte er, wer hier der Herr von Huck Finn ist. Und eines Tags im Frühling lauert er mir auf, packt mich, nimmt mich in nem Boot drei Meilen flussauf und setzt über ans Illinois-Ufer, wo’s waldig war und wo’s keine Häuser gab bis auf ne alte Blockhütte; und die war an ner Stelle, wo der Wald so dicht stand, dass man sie nicht finden konnte, wenn man nicht wusste, wo sie lag.

Die ganze Zeit behielt er mich bei sich, und nie fand ich ne Gelegenheit, abzuhauen. Wir wohnten in der alten Hütte, und nachts schloss er immer die Tür ab und legte den Schlüssel unter seinen Kopf. Er hatte ne Flinte, die er vermutlich gestohlen hatte, und wir fischten und jagten, und davon haben wir gelebt. Ab und zu hat er mich eingesperrt, fuhr drei Meilen flussab zu dem Laden an der Fähre, tauschte Fisch und Wild gegen Whisky, brachte ihn nach Haus, soff sich genüsslich nen Rausch an, und dann hat er mich versohlt. Die Witwe, die hat dann doch noch rausgefunden, wo ich steckte; sie schickte einen Mann rüber, der mich ergreifen sollte, aber Pap hat ihn mit der Flinte verjagt. Nicht lange, da war ich an mein Leben hier gewöhnt und hatte Spaß dran – bis auf die Sache mit den Prügeln.

Das war schon lustig und bequem, den ganzen Tag rumzufaulenzen, zu rauchen und zu fischen – ohne Bücher und Büffeln. Zwei Monate oder noch mehr gingen rum, meine Kleider waren jetzt ganz zerlumpt und verdreckt, und ich verstand gar nicht mehr, wie mir’s bei der Witwe jemals so gut gefallen konnte, wo man sich waschen und vom Teller essen musste, sich kämmen und pünktlich ins Bett gehn und aufstehn und sich ewig über nem Buch plagen; und dabei hackte die alte Miss Watson noch ständig auf einem rum. Ich wollte nicht wieder hin. Ich hatte das Fluchen gesteckt, weil die Witwe es nicht gern hörte, aber jetzt hab ich’s mir wieder angewöhnt, weil Pap nichts dagegen hatte. Im ganzen war es ne recht schöne Zeit da oben im Wald.

Aber allmählich war Pap immer schneller mit dem Hickorystock bei der Hand, und ich konnt’s nicht mehr aushalten. Ich war voller Striemen. Er ging auch immer öfter weg und schloss mich ein. Einmal hat er mich eingeschlossen und blieb drei Tage weg. Es war schrecklich einsam. Ich dachte schon, er wär ertrunken und ich käm nie wieder hier raus. Ich hatte Angst. Ich beschloss, ne Methode auszutüfteln, wie ich hier rauskam. Ich hatte schon oft versucht, aus der Hütte rauszukommen, aber keinen Weg gefunden. Ein Fenster, das groß genug für nen Hund zum Durchkommen war, gab’s nicht. Den Kamin raufklettern ging nicht, der war zu eng. Und die Tür war aus dicken, massiven Eichenbohlen. Pap hat sehr drauf geachtet, dass er kein Messer oder so was in der Hütte liegen ließ, wenn er weg war; bestimmt hab ich sie über hundertmal durchsucht; ja, ich war fast die ganze Zeit am Suchen, weil das so gut wie die einzige Möglichkeit war, die Zeit rumzubringen. Aber diesmal hab ich doch noch was gefunden; es war ne alte, rostige Holzsäge ohne Griff; sie lag zwischen einem Dachsparren und den Schindeln. Ich hab sie eingefettet und ging dann an die Arbeit. Hinterm Tisch, an der Rückwand der Hütte, war ne alte Pferdedecke an die Balken genagelt, damit der Wind nicht durch die Ritzen blies und die Kerze auslöschte. Ich kroch untern Tisch, schob die Decke nach oben und fing an, aus dem dicken untern Balken ein Stück auszusägen, groß genug, damit ich durchkam. Also, das war ne ziemlich langwierige Angelegenheit, aber ich war schon fast fertig damit, als ich Paps Flinte im Wald hörte. Ich ließ die Spuren meiner Arbeit verschwinden, zog die Decke runter und versteckte meine Säge, und bald danach kam Pap rein.

Pap war nicht gut gelaunt – so wie er normalerweise immer war. Er wär im Dorf unten gewesen, sagte er, und alles ginge schief. Sein Anwalt hätte zu ihm gesagt, seinen Prozess würd er vermutlich gewinnen und das Geld kriegen, wenn sie nur mal mit der Verhandlung anfingen; aber es gäbe Mittel und Wege, sie auf die lange Bank zu schieben, und der Richter Thatcher wüsst, wie man so was macht. Und die Leute meinten sogar, es würd noch ne zweite Verhandlung geben, um mich von ihm wegzuholen und mich zur Witwe als mein Vormund zu bringen, und sie meinten, diesmal würd die andre Seite gewinnen. Das hat mir nen Schreck eingejagt, weil ich nicht wieder zur Witwe zurück und mich so einzwängen und tsiwilisieren lassen wollte, wie sie’s nannte. Dann fing der Alte an zu fluchen und fluchte auf alles und jeden, der ihm grad einfiel, und dann hat er sie alle nochmal von vorn verflucht, um auch sicherzugehn, dass er keinen ausgelassen hatte, und danach hat er alle zusammen mit so ner Art von Generalfluch weggeputzt, mitsamt nem Haufen von Leuten, von denen er die Namen nicht wusste, und so hat er sie den Dingsbums genannt, wenn er zu ihnen kam, und dann hat er grad so weitergeflucht.

Das wollt er doch mal sehn, wie die Witwe mich kriegte, hat er geschrien. Und er war auf der Hut, wenn sie versuchten, ihm mit Tricks zu kommen, er wüsst nämlich sechs, sieben Meilen weit von hier ein Versteck, wo sie mich bis zum Umfallen suchen könnten und nie im Leben finden würden. Das hat mich wieder ziemlich unruhig gemacht, aber nur für nen Moment; ich dacht mir, solang bleib ich nicht da, bis er die Gelegenheit kriegt.