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Vor vielen Jahren, als die Menschen noch glaubten, die Erde sei eine flache Scheibe und mit güldenen Ketten am Himmelsgewölbe befestigt, lebte in einem Waldstück, weitab von den Siedlungen der Menschen, eine Köhlerfamilie. Sie hatten nur einen Sohn namens Wilhelm, wofür sie täglich dem "Lieben Herrgott" dankten, denn ein zweites Kind oder gar mehrere hätten sie, arm wie sie waren, gar nicht ernähren und großziehen können. So beginnt das Märchen, das eigentlich kein richtiges ist und keins für Kinder.
Als Bonus gibt es noch zwei weitere Mini-Geschichten.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Vor vielen Jahren, als die Menschen noch glaubten, die Erde sei eine flache Scheibe und mit güldenen Ketten am Himmelsgewölbe befestigt, lebte in einem Waldstück, weitab von den Siedlungen der Menschen, eine Köhlerfamilie. Sie hatten einen Sohn namens Wilhelm, wofür sie täglich dem "Lieben Herrgott" dankten, denn ein zweites Kind oder gar mehrere hätten sie, arm wie sie waren, keinesfalls ernähren und großziehen können.
Jedoch nur mit Sohn, der, als er groß geworden war, kräftig dem Vater zur Hand ging, hatte die Familie ihr, wenn auch bescheidenes, Auskommen. An manch Winterabend, so draußen der Sturm brauste und wie man sagte: "Die Windbraut mit dem wilden Jäger unterwegs war", hatte die Mutter, Wilhelm, als der noch klein war, viele, viele Märchen erzählt. Eines wunderschöner als das andere und sie alle waren fröhlich. Nie wäre der Mutter eingefallen, ihren Sohn Geschichten von grässlichen Gespenstern, abgrundtief bösen Menschen, Hexen oder teuflischen Zaubermeistern zu erzählen. Freilich war die Rede von Faulpelzen, Zankteufeln, Geizhälsen, die am Ende bestraft wurden, aber da sie reuige Sünder waren, immer ernstlich Besserung gelobten, war die Strafe nie schlimm.Keiner musste sich in glühenden Eisenschuhen zu Tode tanzen oder wurde in ein mit Nägel gespicktes Fass gesperrt und den Berg hinuntergerollt. Die Guten, die Fleißigen, die Tüchtigen und Hilfsbereiten wurden natürlich belohnt. Sie heirateten die Königstochter oder bekamen, von einer, als altes Mütterchen verkleideten, Waldfee, einen Sack pures Gold geschenkt. Wilhelm gefielen die Märchen und selbst als schon fast Erwachsenen gingen sie ihm nie gänzlich aus dem Kopf. "Hätte ich Gelegenheit eine gute Tat zu tun, den Sack mit Gold möchte ich mir zu gern verdienen", dachte Wilhelm manches Mal und seufzte, weil sich einfach keine Gelegenheit bot jemanden zu helfen, außer dem Vater bei seiner schweren Arbeit. Kurz vor Weihnachten, Vater und Sohn hatten am Vortage ein paar Bäume gefällt und aufgespalten, hatte der Vater solch starke Rückenschmerzen bekommen, dass an Arbeiten gar nicht zu denken war. Doch Wilhelm, inzwischen ein 17-jähriger kräftiger Bursche, konnte das Holz, mit dem großen, stabilen Schlitten auch alleine nach Hause bringen.
Hatte es der Vater nicht früher ohne Hilfe mit dem beladenen Schlitten oder Wagen bis in die umliegenden Dörfer geschafft! Gesagt – getan; die Mutter gab dem Sohn noch ein paar belegte Brote und eine Kanne Kräutertee zur Arbeit mit. Es war ein schöner Wintertag, die Sonne schien, aber da es in der Nacht Schneeregen gegeben hatte, waren die Bodensenken mit Wasser gefüllt, dass bloß an der Oberschicht gefroren war. Diese Senken mit dem Wagen zu umfahren war ebenso kräftezehrend wie zeitaufwendig. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht, als Wilhelm endlich am Ziel war. "Eine Pause und etwas zu Essen und zu Trinken habe ich mir verdient", meinte er, setzte sich auf den Wagen und entnahm der Reisetasche, das Päckchen mit Broten und die Teekanne. Er wollte gerade das Päckchen öffnen, als plötzlich, wie aus heiterem Himmel gefallen, ein altes Mütterchen vor ihm stand. Auf dem Rücken trug sie eine große mit Brennholz bis zum Rand gefüllte Kiepe, die sie vergeblich versuchte abzusetzen. Wilhelm sprang vom Wagen und nahm ihr vorsichtig die Kiepe ab. Sie war so schwer von Gewicht, dass es Wilhelm wunderte, wie ein so altes, allem Anschein nach schwaches Mütterchen, solch eine Last, noch dazu durch teilweise kniehohen Schnee hatte tragen können. »Danke, Söhnchen, das war sehr lieb von dir, mir geholfen zu haben.