Die Bescholtenen - Eugen von Dedenroth - E-Book

Die Bescholtenen E-Book

Eugen von Dedenroth

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Beschreibung

Ein Kriminalroman aus dem ausklingenden 19. Jahrhundert.

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Ähnliche


Die Bescholtenen

Eugen Hermann von Dedenroth

Inhalt:

Eugen Hermann von Dedenroth – Biografie und Bibliografie

Die Bescholtenen

1.

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19.

20.

21.

Die Bescholtenen, Eugen von Dedenroth

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849609184

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Eugen Hermannvon Dedenroth – Biografie und Bibliografie

Schriftsteller, wurde am 5. März 1829 in Saarlouis geboren und erhielt infolge vielfacher Versetzungen seines Vaters, des Generalleutnants v. D., seine Bildung und Erziehung in verschiedenen Garnisonstädten. Nachdem er die Gymnasien in Posen, Danzig und das Kölnische Gymnasium in Berlin besucht hatte, trat er 1847 als Avantageur in das Kaiser Franz-Garde-Grenadierregiment ein, zog mit demselben 1848 in den Krieg gegen Dänemark und wurde in der Schlacht bei Schleswig (23. April) Offizier. Das spätere Garnisonleben gewährte ihm Muße genug, sich mit journalistischen und poetischen Arbeiten zu beschäftigen, wobei er sich des Pseudonyms Eugen Hermann bediente. In rascher Folge erschienen von ihm „Die Schöpfung“ (ein didaktisches Gedicht, 1855); „Glanz und Flitter. Gesellschaftsbilder aus der Gegenwart“ (1856); „Der große Kurfürst“ (ein episches Gedicht, das eigentlich nur historischen Werth hat, 1857); „Des Kaisers Polizei“ (Histor. Rom., II, 1858), „Bernhard Owen, oder: Der Sohn des Magnetiseurs“ (Rom., 1859); „Eine deutsche Revolution, oder: Der Karneval von 1848“ (Rom., II, 1860), „Robert Hammer“ (Erzählung, II, 1860). Indes trat der Hang zur Schriftstellerei oft in Kollision mit den Beschränkungen, welche für schriftstellernde Offiziere eine Art Zensur bilden, und eine an sich ziemlich harmlose Satire „Ein Sohn Alexanders von Humboldt“ (in „Gesammelte Novellen und Skizzen“, IV, 1858) wurde schließlich die Veranlassung, dass D. 1858 aus dem aktiven Militärdienst schied. Er hatte in jener Skizze die Kammerherrnstelle des Gelehrten gegeißelt, und durch die ausgesprochene Ansicht, dass der Gelehrte in solcher Stellung an Würde verliere, Anstoß erregt. Da dem Verfasser nun die Wahl gestellt wurde, schriftstellerische Arbeiten ganz zu unterlassen oder dieselben vor der Veröffentlichung der Zensur seiner Vorgesetzten zu unterbreiten, so gab er seine Laufbahn auf und beschloss, sich durch seine Feder eine neue Existenz zu begründen. Letzteres gelang in selten glücklicher Weise, besonders, nachdem er 1862 das Gebiet der Volkstümlichen, der Kolportage- und Schauerromane betreten hatte, welche er unter dem Namen Ernst Pitawall in die Welt sandte, und die zum Teil in 40000 Exemplaren verbreitet wurden. Dabei besaß er eine erstaunliche Produktivität, die von 1862 ab 46 Romane, Novellen und Erzählungen auf den Büchermarkt warf und ihm eine behagliche Existenz ermöglichte. Aus dem stehenden Heere war D. zur Gardelandwehr übergetreten, erhielt dort einen Adjutantenposten und sah in dem Angebot desselben eine Genugtuung für die wenig humane Art, mit der man wegen eines belletristischen Scherzes gegen ihn aufgetreten war. In dieser Stellung avancierte er zum Hauptmann, führte im Kriege von 1866 eine Gardelandwehrcompagnie bei Königgrätz und wurde 1867 auf seinen Antrag, weil seine Augenschwäche Invalidität konstatierte, mit Pension in den Ruhestand versetzt. In der Folge lieferte er neben seinen belletristischen Arbeiten die Theaterkritiken für die „Tribüne“. Im Jahre 1873 verlegte D., der bis dahin auf seinem Besitzthum in Charlottenburg gelebt hatte, seinen Wohnsitz nach Kötzschenbroda bei Dresden, und hier ist er am 16. Oktober 1887 gestorben. Auf eine Aufzählung seiner belletristischen Schriften muss hier verzichtet werden; wichtiger als diese sind sein historisches Werk „Die Männer des Volks“ (1864), das anonym erschien, und seine militärischen Schriften „Der Krieg in Holstein“ (1864) und „Übersicht des Krieges 1870–71 (1871), das für alle militärischen Erziehungsanstalten beschafft wurde.

Die Bescholtenen

1.

"Ich habe Dir eine sehr ernste Mittheilung zu machen," sagte der Major a. D. v. Trotten zu seinem Sohne, den er in sein Arbeitskabinet gerufen, "setze Dich und höre mich mit Ruhe an – es handelt sich um eine wichtige Lebensfrage für Dich."

Auf dein sonst so freundlichen Antlitz des alten Herrn lagerte die Sorge, ihre Schatten machten den Blick des sonst so heiter schauenden Auges fast düster.

Eduard war erschrocken, sein Vater gehörte nicht zu den Naturen, welche sich leicht der Unruhe und Angst hingeben, er hatte zahlreichen Stürmen des Lebens Trotz geboten und erzählte gern davon, wie ihn niemals das Vertrauen auf Gott und die eigene Kraft verlassen habe. Der alte Herr war mit einer sehr geringen Pension als Invalide aus der Armee geschieden, hatte in einer Civilanstellung bei der Armeeverwaltung lange gedient, sich den Titel Kriegsrath a. D., einen Orden und die Achtung aller seiner Vorgesetzten und Collegen erworben. Er hatte sich im Laufe der Zeit dann allmählig ein kleines Vermögen zusammengespart und gehörte in G. jetzt zu den angesehensten Personen des Ortes; was ihn beunruhigte, betraf also wahrscheinlich die Angelegenheiten Eduard's, und den jungen Mann beschlich eine Ahnung, als solle ihn ein Schlag da treffen, wo sein Herz am schmerzlichsten zu verwunden war.

Derartige Ahnungen täuschen selten.

"Lieber Eduard," fuhr der alte Herr fort und blies den Dampf stärker aus seiner Tabakspfeife, ein sicheres Zeichen, daß er Unangenehmes mitzutheilen hatte, "Du weißt, daß man mich in den Verwaltungsrath der projektirten Bahn G.-R.. gewählt hat?"

"Gewiß, mein Vater, das ist ja schon mehrere Wochen her."

"Ich wollte, es wäre nicht geschehen."

Eduard schaute überrascht, aber mit steigender Unruhe auf. "Wie?" sagte er, "das solltest Du wünschen? Du freutest Dich ja, eine neue Beschäftigung zu haben, Dich interessiren ja die Arbeiten so sehr, daß Du selbst Deine alten Freunde und Deine Whistparthie darüber vernachlässigst. Ebeling sprach erst neulich darüber –"

Die Stirne des alten Herrn zog sich finsterer in Falten. "Als man mich wählte," erwiederte er und der Ton seiner Stimme war von Bitterkeit getränkt, "da freute ich mich über das Vertrauen, welches meine Mitbürger mir schenkten, ich ahnte aber nicht, daß ich mir Feinde machen könne, wenn ich mich bestrebte, dies Vertrauen zu rechtfertigen, daß es Leute gäbe, welche mich nur in der Erwartung zu dem Amte vorgeschlagen, daß ich den Titel führen werde, ohne zu arbeiten, daß ich unterschreibe, ohne zu prüfen. Mit einem Worte, ich sollte eine Puppe, vielleicht Schlimmeres sein, sollte meinen ehrlichen Namen verkaufen und prostituiren, bei einem Betruge, bei einer Schurkerei helfen!"

"Unmöglich, Vater!" rief Eduard bestürzt. "Das konnte Niemand von Dir erwarten, ein Jeder kennt Dich als ehrenfest!"

"Ja, aber nicht Jeder wußte, daß ich nichts unternehme, was ich nicht verstehe, daß ich scharfe Augen habe, daß ich keine Arbeit scheue, wenn es heißt, eine Pflicht zu erfüllen. Um Deinetwillen, Eduard, wünschte ich, ein Anderer wäre statt meiner gewählt worden, ein Anderer hätte entdeckt, was ich leider entdecken mußte: das Unternehmen Ebeling's ist ein Schwindel, die Aktionäre sollen betrogen werden, und Ebeling hatte die Stirne, mir in's Antlitz zu sagen, ich wäre sein Feind, wenn ich nicht darüber schweigen wolle!"

Das Antlitz Eduard's war todtenbleich geworden. "Also das ist's," murmelte er. "Darum war Ebeling in letzter Zeit so kühl gegen mich!"

"Ah, er ahnte also, was ich ihm heute sagen würde, seine Ueberraschung war Heuchelei! Eduard, der Mann ist schlimmer als ich dachte, er log, als er sagte, er sei bestürzt über meine Entdeckung, er sei selber getäuscht worden; er hat mit Bewußtsein bei dem Betruge geholfen. Das Gründungskapital, auf dessen Vorhandensein die Aktionäre bauen, für dessen Existenz meine und meiner Kollegen Ehre bürgt, ist nicht da, existirt nur in Scheinzeichnungen, die werthlos sind. Anstatt dreihunderttausend Thaler sind kaum dreißigtausend Thaler in reellen Werthen vorhanden, obwohl das Gegentheil in den Prospekten garantirt wird. Ebeling versichert, dergleichen käme bei fast allen neueren Gründungen vor, es sei offenes Geheimniß, daß man überall das Gesetz umgehe, welches ein deponirtes Grundkapital fordert, er sagt, es handle sich nur um Zeitgewinn, in einem halben Jahre spätestens werde das Grundkapital in reellen Werthen vorhanden sein. Ich bezweifle das stark, aber wenn ich es auch glaubte, so halte ich mich einfach an die Thatsache, daß ich durch mein Amt verpflichtet bin, Unregelmäßigkeiten nicht zu dulden, und daß man mir zumuthet, wissentlich meine Namensunterschrift einer unwahren Erklärung zu geben. Ich halte das für Betrug und habe daher meinen Austritt aus dem Verwaltungsrath erklärt – findest Du das richtig oder nicht?"

"Ich finde es vollständig korrekt gehandelt," erwiederte Eduard, "und Niemand kann es Dir verargen, wenn Du lieber ein Amt aufgibst, als etwas unterschreibst, was Du mit gutem Gewissen nicht verantworten kannst."

"Ich danke Dir, Eduard, für dieses Wort. Ich freue mich, daß Du ebenso denkst und in Ehrensachen keine andere Rücksicht kennst als die ans unser Gewissen. Ich habe, da Ebeling sich sehr erregt zeigt, die schonendste Form gewählt, ich trete aus dem Amt, anstatt im Verwaltungsrathe meine Ansichten zur Sprache zu bringen, ich habe sogar erklärt, daß ich, um Ebeling zu zeigen, wie großes Vertrauen ich ihm persönlich schenke, mein kleines Vermögen nicht zurückziehen, sondern dem Unternehmen lassen will, aber er hat darauf nicht einmal geantwortet, sondern mich in leidenschaftlicher Erregung verlassen."

"Er wird sich beruhigen, mein Vater, und dann Deinem Charakter die verdiente Achtung zollen, es liegt einmal in seiner Natur, bei Widerspruch aufzubrausen und, wo ihm Hindernisse in den Weg treten, der Leidenschaft die Zügel schießen zu lassen, aber er muß doch schließlich einsehen, daß Du das Recht hast, in Deinen Angelegenheiten Deinem Ermessen zu folgen."

Trotten schüttelte den Kopf, sein Auge, welches aufgeleuchtet, als der Sohn ihm Beifall gezollt, schaute wieder düster. "Eduard," sagte er nach kurzer Pause, in der er wohl mit sich selber gekämpft, ob er seine Befürchtungen aussprechen dürfe, "Du thätest wohl, Dich auf eine schwere Prüfung vorzubereiten. Du mußt Dir vor Allem darüber klar werden, ob Dir Marie morgen ebenso viel gelten würde wie heute, wenn sie morgen die Tochter eines Mannes wäre, dessen Ehre nicht mehr rein –"

"Vater!"

"Urtheile selbst, Eduard. Ebeling umgeht das Gesetz. Wird die Sache entdeckt, so ist seine Ehre schon befleckt, gelingt es ihm aber, die Täuschung durchzuführen, das Unternehmen in's Leben zu setzen und es wird durch ein Mißgeschick die Berechnung zu Schanden gemacht, welche den Aktionären sichere Renten ihres Kapitals verspricht, und es fehlt alsdann das Stammkapital, so trifft Ebeling die entehrende Strafe für Betrug."

"Das ist nicht möglich, Vater, Du siehst zu schwarz. Du beurtheilst die Spekulationen eines Kaufmanns mit den pedantischen Bedenken eines Beamten. Wer gewinnen will, der wagt auch Verluste, ich will zugeben, daß Ebeling dreist im Wagen ist, aber ich halte ihn für unfähig, ehrlos zu handeln."

"Ich will mich freuen, wenn ich mich täusche," entgegnete der alte Herr, "aber ich fürchte, daß ich die Menschen besser kenne als Du, obwohl Du Psychologie studirt hast. Der reiche Ebeling hat, glaube ich, lange geschwankt, ehe er Dir die Hand seiner Tochter zusagte, und ich argwöhne jetzt, er that es, weil ich in den Verwaltungsrath gewählt wurde."

Eduard wechselte die Farbe. "Vater," sagte er, "der Argwohn, den Du da andeutest, ist die schwerste Anklage, die Du gegen Ebeling erheben kannst, spräche das ein Anderer aus als Du, so wüßte ich nicht, was ich thäte –"

"Ich weiß, was ich sage, Eduard," erwiederte Trotten mit Festigkeit, "es wäre infam, einen solchen Verdacht auszusprechen ohne Beweise. Aber Ebeling hat mich selber darauf gebracht. Es ist mir nicht leicht, Dir das Gift einzuflößen, welches Dein Vertrauen auf die Menschen zerfressen muß, aber ich kann nicht anders. Ebeling sagte zu mir, seine Tochter werde keinen Mann heirathen, dessen Vater sein Feind geworden, sie könne unter Grafensöhnen wählen; er nannte sie den Preis für meine Nachgiebigkeit. Er stieß diese Worte in der Leidenschaft aus – wir wollen sehen, ob er sie in ruhiger Stunde zurücknimmt, dann werde ich es vergessen, daß er von dem ›Bettelgeld‹ meiner Pension gesprochen."

Das Antlitz Eduard's verrieth, welcher Sturm in seinem Innern tobte, welche Empörung diese Beschimpfung in ihm hervorrief. Es dauerte geraume Zeit, bis er Herr der mächtig widerstreitenden Gefühle geworden, die seine Brust durchflutheten. "Vater," sagte er endlich mit dem Ausdruck fester Entschlossenheit, aber doch mit bebender Stimme, "die Tochter trägt keine Schuld an der Denkungsweise und dem Handeln des Vaters, ich liebe Marie und vertraue auf ihr Herz."

Trotten, der mit ängstlicher, schmerzlicher Sorge seinen Sohn beobachtet, ergriff die Hand Eduard's und drückte sie innig. "Diese Antwort ist Deiner würdig," rief er, "ich habe nichts Anderes von Dir erwartet. Hoffen wir das Beste, machen wir uns aber auf das Schlimmste gefaßt!"

Das Schlimmste trat denn auch ein. Man brachte dem Major ein kleines Packet, welches ein Diener des Bankiers Herrn Ebeling für ihn abgegeben. Das Päckchen enthielt den Verlobungsring und eine Perlenschnur – ein Andenken von Eduard's Mutter, welches derselbe seiner Braut geschenkt. "Euer Hochwohlgeboren," so schrieb Ebeling an den Major, "werden es begreiflich finden, daß meine Tochter Beziehungen zu Ihrem Herrn Sohne abbricht, welche ich nur in der Voraussetzung gestattet, daß die Bande, welche unsere Familien vereinen sollten, auch unsere Interessen mit einander verknüpfen müßten. Die Bedenklichkeiten, welche Sie bewogen haben, aus dem Verwaltungsrathe des G..-R..schen Bahnunternehmens auszuscheiden, haben mich gezwungen, kolossale Opfer zu bringen, um das Gelingen des Unternehmens zu retten, denn ich habe trotz Ihrer Zusage ebenso wenig Vertrauen auf Ihre Diskretion, wie Sie den Versicherungen, welche ich gegeben, vertrauen mochten. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, Sie können also in meiner Erklärung nur die Rückgabe eines kränkenden Wortes erblicken.

Unter solchen Umständen sieht meine Tochter sich genöthigt, Ihrem Herrn Sohne sein Wort zurückzugeben und betrachtet sich, ohne eine besondere desfallsige Erklärung zu wünschen oder zu erwarten, auch ihrer Zusage ledig.

Mit aller Form konventioneller Höflichkeit habe ich die Ehre zu zeichnen

Euer Hochwohlgeboren ergebenerFranz Ebeling."

Das Antlitz des Majors färbte sich purpurn, als er das grobe Schreiben las. "Der Wisch ist keiner Antwort werth," murmelte er, "der Mensch schießt sich ja doch nicht – sende Deinen Ring ohne ein Wort zurück, Eduard, zeige ihr, daß Du Deinem Vater ebenso gehorchst wie sie dem ihrigen."

"Das ist infam!" rief Margareth, die Schwester Eduard's, welche dem Vater das Päckchen gebracht, als sie den Brief gelesen, während Eduard keines Wortes mächtig war, hatte doch die Rücksendung seines Ringes und der Perlen ihm Alles gesagt. "Armer Eduard!" fuhr sie fort, auf ihren Bruder mit warmer, schmerzlicher Theilnahme schauend, "arme Marie! Mache ihr keine Vorwürfe, sie hat gehorchen müssen, Ebeling soll sehr hart sein und keinen Widerspruch dulden. Sie ahnte gestern schon, daß ihr ein Unglück drohe, mit Thränen im Auge klagte sie mir, der Vater schaue so finster, wenn von Dir die Rede sei."

"Du hast Marie gestern gesprochen?" rief Eduard auffahrend, "sie war nicht leidend? Sie hätte sich schon gestern vor mir verleugnen lassen?!"

"Ich war vor Tische einen Augenblick dort."

"Du hast mir nichts davon gesagt, daß Du sie in Unruhe gefunden," versetzte Eduard bitter. "Hättest Du mir das nicht verschwiegen, so hätte ich mich gestern Abend nicht abweisen lassen, ich hätte dann von ihr gehört, was uns bedrohte, hätte sie beschwören können, nur ihre Liebe zu bewahren."

"Lieber Eduard, sie wußte nichts Bestimmtes und bat mich, Dir nichts von ihrer Unruhe zu sagen."

"Ebeling wollte mich erst sprechen, ehe er duldete, daß Du Marie wiedersahst," nahm Trotten das Wort, "er hatte seine Vorbereitungen getroffen, er wird sich um die Thränen seiner Tochter nicht viel kümmern. Wer keine Ehre, keine Scham besitzt, hat auch kein Herz. Mache keine Versuche, Eduard, sie zu sehen. Ebeling wird sie zu hüten wissen, Du setzest Dich nur Beschimpfungen aus und ziehst ihr strengere Behandlung zu, bekämpfe Deinen Schmerz und zeige Dich als Mann, setze gerechten Stolz diesem elenden Hochmuth entgegen."

Eduard schüttelte den Kopf. "Sie gab mir freiwillig ihr Wort," sagte er, "sie müßte es freiwillig zurücknehmen, soll ich sie freigeben, Gewalt erkenne ich nicht an. Mag er sie hüten, sie bleibt vor Gott meine Braut, bis sie mir sagt, daß ich nicht mehr hoffen darf." Damit verließ er das Gemach.

"Lasse ihn gehen," sagte der Major, als Margareth ihn zurückhalten wollte, "ihm kann der Trost keines Menschen helfen, er muß das selber durchfechten, was ihm das Schicksal sendet. Ich fürchte, er wird sich auch in Marien täuschen. Sie ist ein braves, liebes Mädchen, aber noch zu jung für solche Prüfung. Ihre Thränen werden bald trocknen, sie ist an die Genüsse des Lebens gewöhnt, sie ist eitel. Ebeling wird ihr sagen, daß Eduard ihr nur ein ärmlich Brod bieten kann, wenn er selbst ihr eine Mitgift versagt, und wenn ihr Herz auch einige Zeit blutet, die Wunde wird bald heilen und vergessen sein."

"Nein, Vater, sie ist nicht schlecht, und das wäre sie, wenn sie ihr Wort bräche –"

"Sie ist ein Kind, Gretchen, obwohl sie so alt wie Du. Sie hat noch nichts Bitteres erfahren als höchstens eine Kränkung ihrer Launen, und ist also auch nicht daran gewöhnt, ernste Dinge ernst zu behandeln. Sie wird vielleicht über die Aufhebung der Verlobung etwas mehr weinen, als wenn ihr der Besuch eines Balles verboten worden wäre, aber sie wird sich darein finden."

"Du urtheilst sehr hart, Vater."

"Nein, denn ich mache ihr keinen Vorwurf deshalb. Du weißt es nicht, wie es in einem reichen Hause zugeht, wie ein reiches Mädchen denkt. Es kennt alle Freuden und Genüsse, sein Herz begehrt nach Veränderung, nach buntem Wechsel, es kennt selten die innige Freude, die ein armes Mädchen an einem Geschenke, einer Ueberraschung, einer Hoffnung haben kann, weil ihr selten eine Freude wird."

"Dann wäre der Reichthum ja mehr als ein Unglück, Vater, dann wäre er ein Fluch."

"Das ist er, wenn der Mensch eben nichts Anderes hat als das Gold und nach nichts Anderem trachtet, als seine Schätze zu vermehren. Ich habe, das darf ich Dir jetzt sagen, der Zukunft Eduard's mit Sorge entgegengesehen, seit ich Ebeling's näher kennen gelernt habe. In dem Hause wird Jeder nur nach dem gewürdigt, was er besitzt, man taxirt das Vermögen, den Werth eines Titels, die Konnexionen, aber fragt nicht nach der Ehrenhaftigkeit des Charakters. Alles ist auf äußeren Schein und Eitelkeit basirt, und ich wette darauf, Ebeling denkt gar nicht daran, daß er das Herz Eduard's tief verwundet hat, wohl aber glaubt er, Eduard's Hoffnung auf eine reiche Heirath vernichtet und uns ein Haus, in welchem man uns lukullische Genüsse bot, verschlossen zu haben, um uns dadurch empfindlich zu kränken."

"Vater, Deine Bitterkeit ist entsetzlich. So erbärmlich kann Niemand von uns denken."

"Ich bin nicht bitter, hätte Eduard weniger tiefe Empfindung, müßte ich nicht fürchten, daß ihm diese Erfahrung das Leben vergiftet, ich würde über die Auflösung der Verlobung eine ungetrübte Freude haben, denn sie war eine Thorheit, Marie war kein Weib für ihn. Die Tochter theilt mehr oder minder die Denkungsweise ihrer Eltern, ist an die Anschauungen derselben gewöhnt. Marie weiß es, daß sie reich und daß Eduard arm ist, sie überschätzt den Werth des Geldes, welches sie ihrem Gatten mitbringt, und hinter ihr stehen ein roher, gefühlloser, hochmüthiger Vater, eine eitle Mutter, da war die Gefahr nahe, daß sie bei einer Reibung Eduard einmal einen Vorwurf machte, den ein ehrenhafter, empfindsamer Charakter niemals ganz vergeben kann: den Vorwurf, daß das Weib den Mann ernährt – hat doch Eduard schon, dem Wunsch Ebeling's folgend, seinen Plan, ein praktischer Arzt zu werden, aufgegeben und sich eine andere Carrière suchen wollen, der Stand eines Arztes, welcher Honorare annimmt, war für Ebeling's nicht vornehm genug."

Margareth schwieg, die überzeugende Kraft der Worte des Vaters besiegten die Zweifel ihres Herzens, welche mehr aus der Freundschaft zu Marien als aus einem Urtheil, welches sie sich gebildet, entquollen waren.

2.

Eduard v. Trotten hatte schon früh Neigung für Botanik und Chemie gezeigt, sein Vater hatte die für einen wenig bemittelten Mann immerhin sehr bedeutenden Opfer gebracht, den Sohn studiren zu lassen, aber auch die freudige Genugthuung gehabt, von den Professoren zu hören, daß Eduard nicht nur ein fleißiger und strebsamer, sondern auch hervorragend begabter Schüler sei.

Eduard absolvirte seine Examina mit glänzendem Erfolge, und erhielt verhältnißmäßig früh den Doktorhut. Die Stadt G., in der sein Vater lebte, war kein unbedeutender Ort, aber doch eine Provinzialstadt, in welcher die Leute der verschiedenen Gesellschaftsklassen sich unter einander kennen und je nach ihrer Neigung in mehr oder minder lebhaftem geselligen Verkehr mit einander stehen. Major von Trotten war Mitglied mehrerer Vereine, er bekleidete verschiedene Ehrenposten und Vertrauensämter, er war allgemein geachtet, man interessirte sich daher auch für seine Familie und Eduard hatte in G. den Ruf eines vortrefflichen Sohnes, eines jungen Mannes, der zu den besten Hoffnungen berechtige; so mancher Vater, der eine heranreifende Tochter hatte, mochte wünschen, daß Eduard dieselbe einmal heimführe. So oft Eduard in den Ferien zum Besuche nach G. gekommen, fand er in zahlreichen Familien freundliche Aufnahme, seine Erscheinung bestätigte die Hoffnungen des Vaters, man sah ihn überall gern.

Vor einigen Monaten hatte er seine Studien beendet und war zum Doktor promovirt, er mußte sich jetzt darüber entscheiden, ob und wo er sich als Praktischer Arzt niederlassen wollte. Eduard hatte keine Abneigung dagegen, sich durch ärztliche Praxis eine Existenz zu schaffen, aber ein innerer Drang ließ ihm ein anderes Gebiet der Thätigkeit verführerischer erscheinen. Er hatte mit besonderer Vorliebe Chirurgie getrieben und sein Geist beschäftigte sich mit Ideen, Instrumente zu konstruiren, welche den Blick des Arztes in das Innere des menschlichen Körpers erleichtern, er hatte schon auf der Universität den Versuch gemacht, durch Spiegel-Reflexe ein Bild der Halsröhre zu erhalten. Um sich jedoch diesen Bestrebungen zu widmen, bedurfte er weiterer physikalischer und mechanischer Studien, da waren Reisen nöthig, um Celebritäten in diesen Fächern der Wissenschaft zu hören, da bedurfte er vor Allem der Mittel zu einer sorgenfreien Existenz. Er wußte aber, welche Opfer sein Vater schon für ihn gebracht und daß derselbe nun darauf rechnete, er werde sich selber ernähren können, er verschwieg den Seinigen daher den innersten Wunsch seines Herzens und machte Anstalt, einen Ort zu suchen, wo er mit der Aussicht, gute Praxis zu finden, sich niederlassen könne. In G. selbst erschien ihm das nicht rathsam, da daselbst eine Ueberfülle von Aerzten war und es ihm auch widerstrebte, sich den Bekannten seines Vaters als Arzt aufzudrängen, seine Praxis auf derartige Konnexionen zu gründen.

Da lernte er Marie Ebeling kennen und lieben. Es war nicht die Tochter des reichen Mannes, die er gesucht, derartige Spekulation war seinem Denken fremd, ihn bezauberte das schöne blühende Mädchen, er hätte sie erwählt, wenn sie auch die Tochter eines armen Mannes gewesen wäre. Im Gegentheil, er sagte sich selber, daß er Marie nicht heimführen dürfe, ehe er sich eine Existenz geschaffen habe, sein Selbstgefühl stellte ihm diese Bedingung. Er faßte es nicht als Ausdruck eitlen Hochmuthes aus, als Ebeling die Ansicht aussprach, Marie passe nicht zur Frau eines praktischen Arztes, der für einige Groschen selbst in der Nacht Jedem zu Diensten stehen müsse und dem Publikum mehr angehöre als seiner Frau, er gestand, welche geheimen Wünsche er hege und der Bankier ging sehr lebhaft auf seine Gedanken ein. "Das gefällt mir," rief er, "das ist etwas Apartes. Da macht eine Erfindung Sie zu einer Berühmtheit. Mangel an Mitteln darf Sie von Ihrer Idee nicht zurückschrecken, die Kapitalisten sind dazu da, das Genie zu unterstützen."

Der Hausarzt Ebeling's war Spezialist für Halskrankheiten, Eduard hatte mit ihm über seine Ideen gesprochen und der Arzt war seines Lobes voll – vielleicht weil es ihm lieber war, wenn der junge begabte Doktor sich derartigen Studien widmete, als wenn er ihm in der Praxis Konkurrenz machte, vielleicht aber auch aus edleren Motiven – genug, er äußerte sich derart über die Bestrebungen und Aussichten Eduard's, daß Ebeling nicht zweifelte, Eduard's Bild noch einmal unter den Porträts berühmter Männer in einem illustrirten Journal zu sehen, die Brust mit Orden geschmückt. Er bot Eduard seine Unterstützung an. Eduard lehnte dieselbe dankend ab, aber der Beifall des Arztes, das Zureden Ebeling's verführten ihn, seinem Lieblingswunsche Gehör zu geben und mit seinem Vater darüber zu sprechen, es ward ihm das um so leichter, als der Bankier ihm versichert hatte, jetzt, wo Trotten sein Vermögen ihm zur Verwaltung anvertraut, würden die Renten des Majors sich verdoppeln und verdreifachen. Trotten machte keinen Einwand. "Ich verstehe davon nichts," sagte er, "Du mußt selbst der Schmied Deiner Zukunft sein und ich wäre ein schlechter Rechner, wollte ich, um jetzt einige hundert Thaler zu sparen, Dich hindern, aus der theuren Erziehung, die Du erhalten hast, die lohnendsten Früchte zu ziehen."

Eduard bemerkte es in seiner Freude über die Zustimmung des Vaters nicht, daß derselbe diese Worte mit einem eigenthümlichen Ernste sprach, als halte ihn ein Gefühl, das er nicht äußern wollte, ab, seine Bedenken auszusprechen. Er war zu selig in dem Gedanken, Alles erreicht zu haben, wonach seine Seele gedürstet – das Jawort Mariens und die Erfüllung des Wunsches, sich ganz seinen Ideen widmen zu können.

Aber der Traum des Glückes sollte bald zerfließen, wenigstens in einer Beziehung, der Schlag traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel, daß er auf Mariens Hand verzichten solle! Selbst gestern noch, wo man seinen Besuch im Ebeling'schen Hause mit der Entschuldigung, Marie sei nicht ganz wohl, Herr Ebeling aber sehr beschäftigt, abgewiesen, hatte er nichts Böses geahnt, obwohl ihn die Art und Weise der Abfertigung peinlich berührte. Er wußte ja nichts von den geschäftlichen Differenzen, welche zwischen seinem Vater und Ebeling entstanden waren – jetzt hatte er Kenntniß davon, und je klarer er schaute, um so furchtbarer, vernichtender traf ihn der bittere Schlag. Jetzt war es ihm erklärt, wie es gekommen, daß der reiche, hochmüthige Mann ihm so rasch das Jawort gegeben, Ebeling hatte wohl weniger auf die Bitte der Tochter gehört, als daran gedacht, daß er sich mit dem Sohne auch den Vater kaufe.

Ja, "kaufe!" So hart, so bitter das Wort klang, es malte die Wahrheit. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Aus tausend kleinen Zügen, die ihm bis dahin unverständlich gewesen, die ihn peinlich berührt, die er aber weiter nicht beachtet, leuchtete ihm jetzt der Charakter Ebeling's so entgegen, wie ihn sein Vater geschildert. Hatte der Mann kein Ehrgefühl, scheute er selbst den Betrug nicht, um Gold zu erwerben, dann waren tausend gelegentliche Bemerkungen von ihm verständlich, welche oft genug Eduard's Befremden erregt. Und der Wille dieses Mannes sollte ihm seine schönste Hoffnung rauben, ihn elend machen, sollte grausam Mariens Glück zertreten? War sie denn ihres Vaters Sklavin? Hatte dieser ein Recht, sein gegebenes Wort zurück zu nehmen, ein heiliges Band zu zerreißen? Ein solches Recht hätte ihm doch nur eine unwürdige Handlung Eduard's gegeben, nicht aber der Verdruß über eine zerstörte Spekulation. "Nein" rief Eduard, "nein. Er überschreitet das Recht väterlicher Gewalt und Du brauchst Dich nicht zu fügen, Marie darf ihm trotzen." Er griff zur Feder und schrieb in leidenschaftlichen Zeilen diese Erklärung an Marie nieder. Er beschwor sie, ihm die Treue zu bewahren, er werde niemals seine Rechte an sie aufgeben, es sei denn, daß ihr freier Wille dies fordere, und das sei unmöglich, denn alsdann hätte sie ihn nie geliebt.

Mit brennender Ungeduld erwartete Eduard die Antwort auf sein Schreiben, welches er einem Diener Ebeling's mit der Bitte zugesteckt, dasselbe nur an das Fräulein abzugeben, wenn sie allein sei.

Er erhielt eine doppelte Antwort. In der Morgenzeitung stand die Meldung von der aufgelösten Verlobung und durch die Post erhielt er sein Schreiben uneröffnet, aber neu couvertirt zurück. Auf der Kehrseite seines Briefes standen die Worte von Mariens Hand: "Der Wille meines Vaters ist auch der meine. Ich bitte, nicht wieder an mich zu schreiben. Marie Ebeling."

Ja, es war ihre Handschrift, sein Auge täuschte ihn nicht. Welche Künste der Vater auch gebraucht haben mochte, seine Tochter zu solcher Handlung zu bewegen, das konnte ihre Schuld mehr oder minder verringern, aber niemals die schnöde That entschuldigen, denn es gab keine Gewalt, die ein freies Wesen zwingen konnte, wider seinen Willen solche Worte zu schreiben. Und die Handschrift verrieth nicht, daß ihre Seele erregt gewesen, die Schriftzüge waren dieselben wie sonst, keine Thräne hatte das Papier gefeuchtet. Kalt, ohne ein Wort der Klage zerriß sie das heilige Band, welches ihm in das innerste Herz gewachsen. Bitterkeit und Empörung waren in ihm fast gewaltiger als der Schmerz. – –

Eduard hatte vor einigen Tagen in einer größeren Zeitung zufällig ein Inserat gelesen. Der Magistrat von O., einer kleinen Provinzialstadt in Schlesien, forderte junge Aerzte auf, sich in O. anzusiedeln, da der kürzlich erfolgte Tod des bisher dort ansäßig gewesenen Doktors N. den Mangel an Aerzten daselbst doppelt fühlbar gemacht habe. Eduard hatte, als er das Inserat gelesen, den Gedanken gehabt, daß der in romantischer Gegend gelegene Ort gewiß ein angenehmer Aufenthalt für einen Arzt sei, besonders da reiche Gutsbesitzer in der Umgegend wohnten, jetzt griff er rasch entschlossen zur Feder, der Stadtbehörde seine Dienste anzubieten. Er fühlte einerseits das Bedürfniß, G., wo er Marien täglich begegnen konnte, so bald als möglich zu verlassen und dadurch auch allen Fragen und Bezeigungen der Theilnahme von Seiten seiner Bekannten auszuweichen, mochte Ebeling die Aufhebung der Verlobung erklären, wie er wollte. Andererseits aber hielt er es für richtig, durch die Entscheidung, die er über seine Zukunft traf, einer delikaten Erörterung mit seinem Vater vorzubeugen. Er hatte neue Unterstützungen von seinem Vater annehmen können, so lange er hoffen durfte, daß das Vermögen desselben durch die Hilfe Ebeling's reichere Zinsen abwerfen werde. Der Vater hatte zwar gesagt, er wolle sein Geld nicht aus dem Unternehmen Ebeling's zurückziehen, um darzuthun, wie er persönliche Beziehungen von amtlichen zu unterscheiden wisse, und daß ein Gebot der Amtspflicht nichts mit seinem persönlichen Vertrauen zu thun habe, es schien jedoch Eduard als das Richtigste, wenn er dem Vater Gelegenheit biete, sich von den Beziehungen zu Ebeling völlig frei zu machen, und wenigstens dafür Sorge trage, daß der Vater nicht etwa seinetwegen, um ihn weiter unterstützen zu können, mit seinem Vermögen spekulire. Mochte Ebeling darüber die Achseln zucken, daß er einen Broderwerb suchte, bei welchem er freilich für wenige Groschen Jedem auch zur Nachtzeit zu Gebote stand: es lag vielleicht doch in seiner Kraft, Bedrängten Dienste zu leisten, welche selbst der reiche Mann mit Gold nicht erkaufen kann und welche der Gerettete mit Dankesthränen lohnt. Hatte seine Neigung sich auch andere Ziele gesteckt, hatte er auch gehofft, in anderer Weise der Menschheit nützen zu können, so ruhte vielleicht gerade deshalb, weil das Schicksal ihn zu anderer Thätigkeit zwang, der Segen Gottes auf dem Streben, welchem er sich hingeben wollte, um sich eine unabhängige Existenz zu gründen.

Als der Brief abgeschickt war, theilte er den Seinigen mit, was er gethan. Margareth schaute ihn mit inniger Theilnahme an, sie fühlte, wie schwer ihm das Opfer war, das er gebracht, der alte Trotten aber verbarg seine Freude nicht. "Du wirst Deinen Entschluß nie bereuen," sagte er, "wie schwer es Dir auch geworden sein mag, eitlen Hoffnungen zu entsagen. Jede Hoffnung ist eitel, die man auf einen glücklichen Zufall begründet, und das ist eine Entdeckung, eine Erfindung stets, – nur der Glückliche findet das, woran Tausende vergebens gearbeitet. Ich verstehe von der Sache nichts, aber ich habe gehört, daß gelehrte Leute sich schon lange darüber den Kopf zerbrechen. Das Erste für den Mann ist, sich eine Existenz zu gründen, dann mag er seinen Idealen nachgehen."

Als Eduard jetzt die Bemerkung fallen ließ, der Vater könne nun seine Beziehungen zu Ebeling ganz abbrechen, schüttelte der alte Trotten verneinend den Kopf. "Ich glaube," sagte er, "es wäre klug, wenn ich das thäte, ich fürchte sogar, ich verletze meine Pflicht gegen meine Kinder, wenn ich Ebeling mein erspartes Vermögen lasse, aber Ihr werdet nicht wollen, daß ich gegen das Gefühl handle, welches mir die Ehre diktirt. Ich habe durch meinen Austritt aus dem Verwaltungsrath Ebeling sehr geschadet, meine früheren Kollegen haben mir das bestätigt, sie sind Alle der Ansicht, daß dadurch das ganze Unternehmen gefährdet ist. Meine Kollegen geben mir in der Sache Recht, meinen aber, ich sei zu pedantisch, Ebeling thue nur, was tausend Andere gethan, er umgehe ein Gesetz, welches lückenhaft und stellenweise zweideutig sei. Ich mag nicht gegen mein Gewissen handeln, aber gerade weil Ebeling mein Auftreten als ein gehässiges und feindseliges hinstellt, weil er an meinem Worte zweifelt, daß ich ihm nicht schaden, nur mein Gewissen nicht belasten wolle, mag ich mein Geld nicht zurückziehen. Nur wenn ich mein Geld dem Unternehmen lasse, darf ich über die Gründe meines Rücktrittes aus dem Verwaltungsrath schweigen, sonst hätte ich die Verpflichtung, auch Andere zu warnen, welche ihr Geld der Sache widmen. Vielleicht wäre das überhaupt meine Pflicht, aber ich würde damit eine Anklage gegen Ebeling und auch gegen meine bisherigen Kollegen erheben, die zu ernst ist, um ohne stichhaltige Beweise ausgesprochen werden zu können, solche habe ich aber um so weniger, als Ebeling sich heute meinen früheren Kollegen gegenüber verpflichtet hat, für den reellen Werth aller Zeichnungen zu bürgen."

"Ich danke Dir, mein Vater," erwiederte Eduard, "hättest Du mich befragt, so würde ich nicht anders gerathen haben. Je erbärmlicher Ebeling sich zeigt, je gehässiger er gegen uns auftritt, um so korrekter muß unsere Haltung sein. Die beste Antwort auf den Brief, den er Dir geschrieben, ist die, daß Du ihn durch Festhalten an Deinem Worte beschämst. Er mag dann auch den Leuten die Aufhebung meiner Verlobung mit Marie erklären, wie er will, ich werde zu Allem schweigen, es wird mir lieb sein, wenn er ihren Wortbruch, ihren Wankelmuth zu entschuldigen vermag, ich möchte um keinen Preis Diejenige bloßgestellt sehen, die ich geliebt habe."

"Bravo," sprach der alte Herr und drückte die Hand des Sohnes, "ich dachte, daß Du so denken würdest, und habe in Deinem Sinne gehandelt. Ich höre, daß Ebeling erzählt, er habe die Ueberzeugung gewonnen, daß Du nach einer reichen Frau getrachtet und da unser Vertrauen auf seine Spekulationen geschwunden, habe er den Bruch einer Erörterung über die Mitgift, zu der er sich verpflichtet, vorgezogen."

Eduard erbleichte, aber Margareth fuhr auf in Empörung, ihr Antlitz flammte in edlem Zorn. "Diese Lüge mußt Du brandmarken, Vater," rief sie, "oder ich thue es – o, das ist zu infam, das entehrt meinen Bruder!"

"Die Lüge entehrt den Verleumder, nicht mich." versetzte Eduard mit gepreßter Stimme, aber erzwungener Ruhe. "Wer von uns derselben widerspricht, der hält sie einer Antwort werth. Nur Eine gibt es, die ihr widersprechen darf, das ist Marie. Thut sie das nicht, so mag sie darüber mit dem eigenen Herzen rechten."

Margareth warf sich an die Brust ihres Bruders und weinte laut. Das Auge des alten Herrn ward feucht, aber unbeschreiblich selig war der Blick, der auf seinen Kindern ruhte. "Haltet Ihr zusammen," murmelten seine Lippen leise, wie im Gebet, "der Herr wird Euch segnen!" – –

3.

Sechs Monate sind verflossen, seit Eduard Abschied von den Seinigen genommen, um sich in O. eine Existenz zu gründen, und heute ist er wieder in G., man hat ihn an das Sterbebett des Vaters gerufen. Wenn die Jugendkraft sich dem erwählten Berufe mit sanguinischen Hoffnungen weiht und sich in Träumen die höchsten Ziele stellt, so denkt sie wohl der Hindernisse und Schwierigkeiten, welche zu überwinden sind, aber sie ahnt nicht, welche kleinlichen Dinge oft den Strebenden ermüden, ihn erschöpfen und mürbe machen. Man hofft auf Glück, selbst der Bescheidene baut darauf, wenigstens das zu erreichen, was Fleiß und Eifer verdienen, aber die Meisten erfahren im wirklichen Leben, daß an sich unbedeutende Dinge, ungünstige Verhältnisse, störende Zufälle u. s. w. unser Fortkommen oft mehr hemmen als besondere Unglücksfälle, die uns nur vorübergehend schädigen oder um einige Schritte auf der Bahn des Strebens zurückwerfen. "Der Arbeiter," so sagt das Wort, "ist seines Lohnes werth," aber er findet diesen Lohn nicht immer, oft nicht einmal Arbeit überhaupt.

Als Eduard sich entschlossen, der Nothwendigkeit nachzugeben und ein sicheres Brod zu suchen, da hatte er nicht daran gezweifelt, dieses "sichere" Brod auch finden zu müssen, wenn er pflichtgetreu arbeitete, er hatte sich nur gesagt, daß es Glückssache sei, ob dieses Brod reichlich sein werde oder nicht.

Mit den besten Empfehlungen ausgestattet, ging er nach O., es hatten außer ihm noch zwei junge Aerzte auf das Inserat des Magistrats reflektirt, der Eine derselben hatte im Orte Protektionen und erhielt die Armen-Praxis und die Bestallung als Physikus, der Andere gab daher sein Vorhaben, sich in O. niederzulassen, ohne Weiteres auf, Eduard dagegen ließ sich durch die Versicherung, er werde ebenfalls noch genügende Praxis finden, zum Bleiben bestimmen. Es herrschte in der Stadt große Furcht vor einer Seuche, welche schon wiederholt im Orte gewüthet hatte und jetzt wieder auszubrechen drohte, man versprach Eduard, falls diese traurige Sorge sich erfülle, Anstellung in einem Noth-Hospital, überdem hörte er von verschiedenen Seiten, daß der älteste und bedeutendste Arzt des Ortes, Doktor Globig, seine sehr ausgebreitete Praxis nur dem Umstande verdanke, daß in weitem Umkreise kein besserer Arzt zu finden sei. Doktor Globig, so hieß es, kurire noch mit den Mitteln, welche vor dreißig Jahren üblich gewesen, er habe sich um die Fortschritte der Wissenschaft nicht bekümmert, verachte die neueren Methoden, und der Patient, welcher die Mittel dazu besitze, einen Arzt in Breslau zu konsultiren, lasse sich in ernsten Fällen von dort einen Helfer kommen, besonders seit Doktor N. gestorben.

Eduard machte dem Doktor Globig seinen Besuch, um sich ihm als College vorzustellen, er fand bestätigt, was man ihm über diesen Arzt gesagt. Globig empfing ihn mit herablassender Freundlichkeit und machte gar keinen Hehl daraus, daß der Rival ihm höchst unwillkommen sei. "Sie werden es bereuen," sagte er, "daß Sie hieher gekommen sind. Was der Magistrat vergeben konnte, hat Doktor Balz erhalten, er wird hier ein kümmerliches Brod finden, aber Sie, Sie werden viel Zeit haben, spazieren zu gehen. Ich meine es ehrlich, darum spreche ich die Wahrheit, wenn dieselbe auch Ihre Illusionen zerstört. Es ist hier für Aerzte gar wenig zu thun, ich bin noch sehr rüstig, brauche keine Hilfe. Sie denken natürlich, mir meine Patienten abzujagen, mit den neuen Modetheorien Wunderkuren zu verrichten, aber Sie werden sich täuschen. Mancher wird freilich zu Ihnen gehen, schon um mich zu ärgern, aber was werden Sie für Patienten haben? Entweder Unheilbare, denen Niemand mehr helfen kann, oder eingebildet Kranke, die es aus Neugierde mit Ihnen versuchen, in ernsten Fällen hat man nur zu einem älteren Arzte Vertrauen, da ruft man nicht junge Leute."

Doktor Globig bestritt es, daß die Cholera sich im Orte gezeigt habe, und Eduard verließ ihn mit der wenig ermuthigenden Ueberzeugung, in diesem Kollegen einen Gegner zu haben, der grundsätzlich ihm entgegen arbeiten werde, hatte Globig dies doch offen und ehrlich ausgesprochen. Dennoch ließ er sich nicht irremachen. Der Mann sprach den Fortschritten der Wissenschaft Hohn, seine Eitelkeit fürchtete keinen Rivalen, es kam also nur darauf an, bei einigen glücklichen Kuren die Ueberlegenheit der neuen Methoden zu zeigen und er war besiegt.

Doktor Balz kam Eduard mit einer Freundlichkeit entgegen, welche einem argwöhnischen Charakter sehr verdächtig erschienen wäre, und es sollte sich bald zeigen, daß dieser College Eduard gefährlicher war als Globig. Doktor Balz war ein Mann der Reklame, er verstand es, seine Protektionen im Orte zu benutzen und alle die Kunden an sich zu ziehen, welche das Vertrauen zu Globig verloren hatten.

Globig hatte Recht gehabt, die Angst vor dem Ausbruch der Cholera war eine Übertriebene gewesen, es zeigte sich, daß man einige heftige Anfälle von Brechdurchfall fälschlich für diese furchtbare Krankheit gehalten, ein Umschlag des Wetters verscheuchte die Angst vor dem unheimlichen asiatischen Gaste völlig. Eduard fand unfreiwillig Muße zu seinen Lieblingsstudien, er hätte, wie Globig gesagt, viel spazieren gehen können, denn nur ab und zu fand sich ein Patient, der seine Hilfe suchte, aber vergebens wartete er auf die Gelegenheit, durch eine glückliche Kur sich einen Namen zu machen – auch in dieser Beziehung schien Globig Recht zu behalten: man rief ihn entweder zu Kranken, denen nicht mehr zu helfen war, oder zu solchen, die nicht ernstlich krank waren und von dem jungen Arzte erwarteten, er werde für seine Besuche wenig oder gar nichts nehmen, er müsse sich durch die Ehre bezahlt glauben, daß man ihm Vertrauen geschenkt und ihn zum Frühstück oder Abendessen eingeladen habe.

Eduard besaß eine nothwendige Tugend der Aerzte: die Geduld, aber dieselbe wurde auf eine harte Probe gestellt – er war bald sechs Monate in O. und hatte kaum zwanzig Thaler an Honorar eingenommen, seine ausstehenden Forderungen betrugen vielleicht dreißig Thaler, aber es war zweifelhaft, ob er das Geld je eintreiben konnte. Da endlich wurde er eines Tages auf das zwei Meilen von O. entfernte Schloß des Grafen Wildenfels, eines der reichsten Grundbesitzer der Gegend, gerufen. Der Wagen des Grafen brachte ihn hinaus, man sagte ihm, Doktor Globig habe die Gräfin seit einiger Zeit behandelt und das Leiden für unbedeutend erklärt, heute Nacht habe man ihn anrufen müssen, weil die Kranke sich plötzlich sehr schlecht gefühlt, und Globig habe gesagt, sie sei nicht mehr zu retten, ein Blutgefäß in der Brust sei gesprungen. Graf Wildenfels, so berichtete der Kutscher weiter, habe eine Depesche an einen Breslauer Arzt geschickt, bitte aber Trotten, herauszukommen, da der Breslauer Arzt frühestens am späten Abend eintreffen könne.

Eduard hatte für alle Fälle Medikamente mitgenommen, er fand die Kranke in bewußtlosem Zustande, ihren Gatten, einen alten Herrn, in trostloser Verzweiflung, ein bildschönes junges Mädchen, eine Nichte des Grafen, hatte am Bette der Kranken eine schlaflose Nacht in Unruhe und Angst zugebracht.

Der Graf bat Eduard um sein Urtheil. Seine Worte machten den Eindruck, als besorge er, Eduard könne mehr verderben als nützen, als habe er ihn nur rufen lassen, um zu hören, ob die Kranke noch leben könne, bis der Breslauer Arzt da sei, als solle Eduard das Leben der Kranken nur bis dahin fristen.

Eduard ließ sich die Rezepte zeigen, welche Globig verschrieben, dann schickte er sich an, die Kranke zu untersuchen. Seine ruhige Haltung schien der jungen Dame Vertrauen einzuflößen, während der Graf immer unruhiger dreinschaute, als bereue er es schon, den Doktor gerufen zu haben.