Die Braut aus Gibraltar - Anonym - E-Book

Die Braut aus Gibraltar E-Book

Anonym

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Beschreibung

SÂR DUBNOTAL Nr. 5 enthält zwei Geschichten: Hass über den Tod hinaus Die Gräfin Azilis, die Geliebte des Verbrechers Tserpchikoff, kehrt mit ihren Kindern aus dem Exil in die Heimat zurück. Der Russe versucht, sie aus dem Jenseits immer wieder anzugreifen. Die Braut aus Gibraltar Sâr Dubnotal wird gebeten, die Tochter eines britischen Obersts aufzuspüren, die in Gibraltar verschwunden ist. Die Nachforschungen führen zu einem raffinierten Hochstapler.

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In dieser Reihe bisher erschienen:

1001 Edgar Rice Burroughs Caprona - das vergessene Land

1002 Ernst Konstantin Sten Nord - der Abenteurer im Weltraum

1003 Unbekannter Autor Jack Franklin, der Weltdetektiv

1004 Robert E. Howard Die Geier von Wahpeton

1005 Robert E. Howard Abrechnung in den Los Diablos

1006 Robert E. Howard Steve Costigan – Seemann und Boxer

1007 Murray Leinster Der tollwütige Planet

1008 Robert E. Howard Grabratten

1009 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 1

1010 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 01: Zurück vom Amazonas

1011 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 01: Das Spukschloss

1012 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 2

1013 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 3

1014 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 4

1015 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 02: Die Expedition

1016 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 5

1017 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 03: Im Dschungel

1018 Hein Patrik Kapitän Grant

1019 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 02: Der verhängnisvolle Brunnen

1020 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 03: Der blutige Streit

1021 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 04: Der Hypnotiseur

1022 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 6

1023 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 7

1024 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 05: Jack the Ripper

1025 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 06: Die Braut aus Gibraltar

1026 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 07: Die Vampire vom Friedhof

1027 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 08: Die Schlafwandlerin

Die Braut aus Gibraltar

Sar Dubnotal 06

Kult Romane

Buch 25

Gerd Frank

Inhalt

Hass über den Tod hinaus

Augen aus Feuer

Der Fliegende Holländer

Der rätselhafte Neufundländer

Rätsel über Rätsel und erster Verdacht

Seelenwanderung

Das traurige Ende einer schuldlos schuldig gewordenen Frau

Ein seltsamer Kampf

Auseinandersetzung mit dem Jenseits

Epilog

Die Braut aus Gibraltar

Der Psychagoge in der Sommerfrische

Zerbrochene Ehepläne

Die Geschichte eines Häftlings

In Paris

Durch Spanien

Eine wiedergefundene Spur

Epilog

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

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Copyright © 2024 BLITZ-Verlag  

Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH 

Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier 

Redaktion: Hans-Peter Kögler

Logo und Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

www.Blitz-Verlag.de

ISBN: 978-3-68984-061-7

1025 vom 15.09.2024

Hass über den Tod hinaus

Augen aus Feuer

„Gräfin, ich habe gute Nachrichten für Sie! Sâr Dubnotal, den Sie unter dem Namen Severus el Tebib kennen, hat mir gerade ein Telegramm gesandt. Darin teilt er mir mit, dass er auf Grund Ihrer offensichtlichen Reue damit einverstanden ist, dass Sie nach Frankreich zurückkehren können, wo Sie Ihre beiden Töchter zurückgelassen haben. Im Übrigen ist er der Meinung, dass Sie Ihr Verbrechen ausreichend gesühnt haben. Ich habe nun angeordnet, dass Sie direkt nach Yokohama gebracht werden, wo Sie den nächsten Dampfer nach Europa besteigen können.“

„Meine Kinder! Ich darf meine Kinder wiedersehen! Ist das wirklich wahr, Herr Gouverneur?“

„Ja, so ist es, Gräfin! Ich bin von dieser Nachricht nicht einmal überrascht, denn ich habe ja entscheidend dazu beigetragen, Sâr Dubnotals Entscheidung zu beschleunigen! Ich habe ihm nämlich von Ihrem erstaunlichen Fortschritt in überschwänglichen Worten berichtet.“

„Oh, wie dankbar bin ich Ihnen!“, jubelte die unglückliche Frau. „Andrée und Jeanne – meine süßen Kleinen! Oh, mein Gott, das ist zu viel Glück auf einmal!“

Dieses Gespräch fand zwischen Azilis de Tréguilly und Oberstleutnant Tedworth, einem früheren Offizier, der als Ausbilder der chinesischen Armee gearbeitet hatte, statt.

Tedworth war amerikanischer Staatsbürger und gezwungen worden, nach einem Aufstand der von ihm befehligten Truppen die Stadt Kanton zu verlassen. Er war mit dem großen Psychagogen sehr gut befreundet, mit dem er einmal eine längere Weltreise an Bord von dessen Yacht unternommen hatte. Die Reise hatte damit geendet, dass sie ein erst kürzlich entstandenes Atoll im Indischen Ozean entdeckt hatten, das bis zu diesem Zeitpunkt weder Kartographen noch Seeleuten bekannt gewesen war. Tedworth hatte den Wunsch geäußert, eine kleine Kolonie auf dieser Koralleninsel zu gründen. Von einigen alten Haudegen begleitet, die ihm treu ergeben waren, war er dann an Land gegangen, versehen mit genug Wasser, Waffen und Essensvorräten, Werkzeug, Gerätschaften und Saatgut -- kurz gesagt, er war ausgestattet mit allem, was man für einen Neuanfang benötigte.

Die erste Zeit war nicht leicht gewesen, aber mit Sâr Dubnotals Hilfe gelang es schließlich, ihre Lage rasch und spürbar zu verbessern. Nach einigen Jahren hatten sie das Atoll in ein blühendes Eiland verwandelt, ein kleines Stück Paradies, um das man sie beneiden konnte. Tedworth war überaus begeistert von dieser Entwicklung (seine Gefährten teilten übrigens seine Ansicht) und konnte sich nicht vorstellen, diesen Ort jemals wieder zu verlassen.

Der Oberstleutnant hatte das Atoll Redemption Island genannt, das heißt Insel der Sühne. Denn der große Psychagoge hatte die Idee gehabt, einige Verbrecher, die ihre Untaten bereuten, dort auszusetzen. Statt diese Übeltäter der jeweiligen Strafjustiz auszuliefern, schickte Sâr Dubnotal diese bemitleidenswerten Geschöpfe auf dieses Atoll und vertraute sie Tedworths Oberaufsicht an.

Harte Arbeit und tägliches Gebet bewirkten bei den meisten von ihnen einen langsamen, aber erfolgreichen Sinneswandel. Sobald der Oberstleutnant den Eindruck gewonnen hatte, dass es wieder einmal gelungen war, den einen oder anderen zu resozialisieren, benachrichtigte er den Meister; der große Psychagoge erteilte anschließend sofort seine Einwilligung, die betreffende Person in die Freiheit zu entlassen. Aus diesem Grund war auch Azilis de Tréguilly auf diese Insel gekommen, und weil sie sich nach langer Läuterung nun offenbar tiefgreifend zum Positiven hin verändert hatte, war Tedworth wieder einmal vom Erfolg seiner Therapie überzeugt. Gerührter, als er es sich eingestehen wollte, schritt er still in der Zelle hin und her, in der die Frau nun schon mehrere Jahre eingesperrt gewesen war. Sie hatte gewiss schwere Schuld auf sich geladen.

Azilis war die Tochter des armen bretonischen Uhrmachers Père Le Floch aus Kerambellec, nicht weit von Morlaix. Jung und schön, hatte sie mit ihrem Charme den Grafen Jean de Tréguilly betört, dessen auf Klippen errichteter Landsitz den bezaubernden Strand von Trez-Hir beherrschte. Anstatt ihrem Gatten dankbar dafür zu sein, dass er sie aus ihrem Elend herausgeholt und zur Gräfin gemacht hatte, wollte sie ihn schnell wieder loswerden, vermutlich, um sich in den Besitz seines großen Vermögens zu setzen – obwohl sie ihm bereits zwei bezaubernde Töchter geschenkt hatte. Sie beging ein teuflisches und heimtückisches Verbrechen, das lange Zeit nicht einmal als solches erkannt worden war, bevor es Sâr Dubnotal mit außergewöhnlichen Mitteln aufdeckte.

Beeindruckt von den Tränen, die seine Gefangene vergoss, fuhr der Oberstleutnant fort: „Gräfin, ich sehe, dass Sie von Sâr Dubnotals Barmherzigkeit genauso gerührt sind wie ich, Sie konnten sich von seiner Großherzigkeit ja ohnehin schon mehrfach überzeugen. Obwohl Sie hier – fern von all den Menschen, die Ihnen etwas bedeuten könnten – eingekerkert waren, haben Sie wohl die Hoffnung auf Freiheit niemals aufgegeben. Andererseits ist Ihnen hier wohl auch das Ausmaß Ihrer Schuld erst richtig bewusst geworden, einer Schuld, die Sie sich vermutlich nicht aufgeladen hätten, wenn Sie nicht ein Opfer des infamen Schurken Tserpchikoff geworden wären.“

„Oh, Herr Gouverneur, wie recht Sie damit haben. Er war es, er allein, der mich ins Verderben gestürzt hat!“

„Das weiß ich doch“, sagte der Oberstleutnant beruhigend. „Und Sâr Dubnotal weiß das auch. Hat Sie Tserpchikoff geliebt? Doch wohl kaum, wenn man ihn kennt, aber durch Ihre Heirat sind Sie reich und damit interessant für den Gauner geworden. Vermutlich nur deshalb wollte er Sie nach dem Tod Ihres Gatten heiraten. Dank Sâr Dubnotals Eingreifen konnte das im letzten Moment verhindert werden. Und was noch wichtiger ist: Tserpchikoff, der Urheber zahlreicher schrecklicher Untaten, der Mann, der als König der Schachbande und Jack the Ripper Paris und London unsicher gemacht und in Angst und Schrecken versetzt hat, hat für seine Verbrechen mit dem Leben bezahlt! Und Sie, Gräfin ...“

„Das Schicksal hat sich mir gegenüber als gnädig und großzügig erwiesen, denn eigentlich hätte ich das Los meines Komplizen teilen müssen.“

Tedworth schüttelte den Kopf. „Nein, nein, Gräfin! Der stets verzeihende Sâr Dubnotal hat das nicht so gesehen und er hatte recht, denn Sie haben ja bereut und gesühnt. Redemption Island ist kein Arbeitslager, in dem die Gefangenen nach langer Pein qualvoll sterben müssen, sondern ein Ort, an dem die Sünder zur Einsicht und Besserung gebracht werden sollen. Es ist, wenn Sie so wollen, ein Ort der Läuterung, eine Art Fegefeuer auf Erden, das Sâr Dubnotal extra zu diesem Zweck ins Leben gerufen hat.“

Tedworth fasste die Gräfin bei der Hand und fuhr fort: „Während Sie hier waren, konnte ich mich davon überzeugen, dass und inwieweit Sie sich geändert haben. Von dem Tag an, von dem Sie nicht mehr unter Tserpchikoffs Einfluss standen, seiner Hypnosekraft, seiner okkulten und perfiden Machenschaften, haben Sie zu einer anständigen, rechtschaffenen Natur zurückgefunden. Wie schon bei Magdalena im Alten Testament haben auch bei Ihnen die Tränen alle Ihre Sünden abgewaschen ... Niemals hatte ich Grund, mich über Sie zu beklagen. Sie haben sich stets vollkommen unseren strengen, aber gerechten Regelungen unterworfen. Ihr Haar ist hier weiß geworden, ihr Teint verblasst und ihre Augen haben an Glanz und Schärfe beim vielen Weben verloren. Sie haben genug gesühnt.“

„Aber kann ich es wagen, meinen Töchtern so gegenüberzutreten?“, seufzte die Unglückliche.

„Ihre Töchter haben nie die Wahrheit erfahren“, beeilte sich der Gouverneur zu erwidern. „Die armen Kinder sind praktisch wie Waisen aufgewachsen. Aber Sâr Dubnotal achtete darauf, dass ihre Interessen angemessen vertreten wurden, und ließ sie von rechtschaffenen Landwirten großziehen, bevor sie in ein angesehenes Internat geschickt wurden, wo sie heute noch sind. Erst vor etwa einem Jahr haben sie erfahren, dass ihre Mutter noch am Leben ist.“

„Was müssen sie von mir halten?“, murmelte Azilis traurig. „Werden sie je begreifen können, warum und wie sie in diese beklagenswerte Lage gekommen sind?“

„Sâr Dubnotal hat sich unter dem Pseudonym Severus el Tebib ihrer intensiv angenommen; er hat alles getan, um zu ermöglichen, dass Sie sie wiedersehen können. Und er hat den Mädchen gesagt (es war ihm sichtlich unangenehm, fortzufahren) – ich bin mir sicher, Gott wird diese kleine Notlüge verzeihen –, dass Ihr Verstand unter dem Tod Ihres Gatten, des Grafen Jean, der ja ihr Vater war, etwas gelitten hat ...“

„So großmütig war er?“, fragte Azilis – wie es schien, angenehm überrascht.

„Ja, Gräfin! Ihre Töchter Andrée und Jeanne de Tré-guilly glauben, dass Sie in einem Sanatorium untergebracht waren, wobei es niemandem erlaubt war, Sie zu besuchen, und ihnen schon gar nicht, da dies fatale Folgen für Sie hätte haben können. Sâr Dubnotal hat ihnen gegenüber aber zum Ausdruck gebracht, dass Sie in Ihrer Kur recht gute Fortschritte machten und ein gewisser Optimismus angebracht ist, dass Ihr gesundheitlicher und vor allem seelischer Zustand bald wieder völlig hergestellt sein wird.“

Mit fortschreitender Unterhaltung fühlte sich Azilis zwischen den unterschiedlichsten Gefühlen und Eindrücken hin- und hergerissen. Endlich, endlich würde sie ihre kleinen Würmchen wieder in den Armen halten, ihre Köpfchen streicheln und ihre süßen Lippen küssen dürfen! Diese Hoffnung allein hätte genügt, all ihre mentalen und körperlichen Leiden auf Redemption Island zu vergessen, doch da war immer noch die schreckliche Erinnerung an das Verbrechen, das sie auf Crec’h-ar-Vran begangen hatte ...

Es gelang ihr nicht, weder die Gedanken an den Tod von Graf Jean noch ihre verhängnisvolle Liaison mit dem Russen Tserpchikoff zu verdrängen, und sie fragte sich immer wieder, ob sie es wirklich wagen sollte, ihren unschuldigen Töchtern Andrée und Jeanne unter diesen Umständen gegenüberzutreten. Waren ihre Hände nicht befleckt vom Blut ihres eigenen Vaters? Wie nun, wenn sie die Wahrheit in ihren Augen läsen und sich voller Abscheu und Verachtung von ihr abwandten, um nie mehr etwas mit ihr zu tun zu haben?

Dieser Tag war übrigens nicht der erste, dass sie ihre Rückkehr nach Frankreich erwogen hatte, Tedworth hatte sie schon seit längerem darauf vorbereitet, dass sich die Tore ihres Gefängnisses bald für immer öffnen würden. Seltsam war nur, dass sie sich nie unglücklicher gefühlt hatte als zu dem Zeitpunkt, an dem sie begonnen hatte, ernsthaft Hoffnung zu schöpfen, ihre Freiheit wiederzuerlangen.

Sie hatte schreckliche Alpträume, bedrückende Halluzinationen und Visionen von Mord und Massakern. Die blutigen Bilder häuften sich, ihre überhitzte Phantasie gebar die scheußlichsten Szenen, in denen sie sich den Grafen Jean auf dem Totenbett vorstellte, wachsbleich, vom Licht der Kerzen um ihn herum beleuchtet. Im Allgemeinen verschwand das Bild des toten Gatten dann rasch wieder, doch an Ort und Stelle blieben zwei riesige Augen zurück, die sie weich und traurig zugleich anstarrten. Azilis konnte dem Blick nicht standhalten, ohne sogleich Tränen zu vergießen. Ihr Herz klopfte wie wild, die Brust hob und senkte sich konvulsivisch; dann glitt sie meist auf den Fußboden der Zelle, faltete die Hände und bat: „Vergib mir, Jean! Bitte, bitte, vergib mir, mein armer Mann!“

Dann aber tauchten plötzlich andere Augen auf, riesige, brennende Augen, welche die unglückliche Frau sofort in ihren Bann zogen, kaum dass sie sie erblickt hatte. Jene Augen waren von leuchtend phosphoreszierendem Grün und besaßen einen geradezu magnetischen Glanz. Von Azilis’ zitternden Lippen löste sich angsterfüllt ein einziges Wort, das ihr durch und durch ging: „Tserpchikoff ...“ Und in der Tat: Diese feurigen, brennenden Smaragde, diese teuflischen Pupillen gehörten zweifellos dem mächtigen Hypnotiseur, der das Verhängnis ihres Lebens heraufbeschworen hatte.

Als Kain in alttestamentarischer Zeit seinen Bruder Abel getötet hatte, floh er verzweifelt vom Ort seiner Untat; dabei hatte er ständig Abels traurige Augen vor sich. Die unglückliche Gräfin jedoch musste nicht nur die Augen ihres Opfers, sondern auch die ihres unseligen Komplizen ertragen. Diese doppelten Erscheinungen spielten sich derart häufig und mit solcher Eindringlichkeit ab, dass die Gefangene von Redemption Island schließlich nahezu überhaupt nicht mehr schlafen konnte und ernstlich erkrankte. Vorzeitig gealtert und erschöpft war ihr Zustand mit dem einer Pflanze zu vergleichen, die aus Mangel an Luft und Licht allmählich einging. Es war offensichtlich: Ihre Gewissensbisse, das Geschwür schuldiger Seelen, fraßen sie langsam aber sicher von innen her auf.

Azilis wagte nicht, sich dem Gouverneur anzuvertrauen; dabei hätte er sie ganz gewiss verstanden. Merkwürdig war auch, dass die Erscheinungen gerade in der Zeit zunahmen, in der die Chancen für eine baldige Freilassung wuchsen. Dennoch konnte diese langsame Agonie seiner Gefangenen dem Oberstleutnant auf Dauer nicht verborgen bleiben. Und da er einerseits ein wachsendes Gefühl von Mitleid verspürte und sich andererseits sicher war, dass die Gräfin ihr Verbrechen zutiefst bereute, zögerte Tedworth nicht länger, Sâr Dubnotal entsprechend darüber zu informieren.

Der große Psychagoge befand sich zu diesem Zeitpunkt wieder einmal mit Schülern, Agenten und Medium in Frankreich – in Trez-Hir, seinem Lieblingsaufenthalt an der bretonischen Küste. Er antwortete dem Oberstleutnant telegrafisch, wobei er ihm die sofortige Repatriierung von Azilis auftrug, und dieser handelte weisungsgemäß.

„Kommen Sie, Gräfin“, sagte er eifrig. „Die Yacht, welche Sie nach Japan bringen wird, steht bereits unter Dampf. Eben hat mir Sâr Dubnotal mitgeteilt, dass Sie sein Hindudiener Naïni, den Sie ja bereits kennen, in Yokohama erwarten wird. Er wird Sie nach Frankreich zurückbringen und sich während der Reise um Sie kümmern. Kommen Sie und hören Sie auf, zu klagen!“

Azilis aber schüttelte den Kopf und entzog dem braven Tedworth abrupt ihre Hand, die jener spontan ergriffen hatte. „Nein, Gouverneur!“, rief sie energisch. „Nein, nein, nein“

„Wie?“, rief der Oberstleutnant erstaunt. „Sie wollen gar nicht weg?“

„Nein, nein, nein!“, wiederholte die Gefangene eigensinnig und lachte hysterisch. „Weggehen? Warum sollte ich weggehen?“

„Sie werden Ihre Töchter wiedersehen.“

„Habe ich noch Töchter? Habe ich überhaupt das Recht, welche zu haben? Nein, nein, Gouverneur – lassen Sie mich hier in meinem Gefängnis. Ich habe keine Kinder mehr!“

Der Oberstleutnant, der diese hartnäckige Weigerung nicht begriff, beobachtete Azilis de Tréguilly aufmerksam. Sie schien eine vollkommen andere geworden zu sein: Der Tränenstrom war versiegt, über ihren hohlen Wangen und in ihren verhärmten Zügen lag ein Ausdruck des Schreckens und der Qual, den er nicht zu deuten wusste. Sie war in den Hintergrund ihrer Zelle getreten und starrte unentwegt auf die frisch getünchte Wand. Der Gouverneur hätte zu gern gewusst, was diese veränderte Haltung bewirkt haben mochte.

Plötzlich versteifte sich ihr Körper; der ausgestreckte rechte Arm zeigte zur Wand und mit schreckenserfüllter Stimme stotterte sie: „Dort ... dort!“

„Was? Was ist los?“, fragte Tedworth und folgte ihrem Blick, doch er konnte nichts sehen.

„Dort! Schauen Sie nur!“, stöhnte die Gräfin. „Dort an der Wand! Können Sie es nicht sehen?“

„Nein, nichts, ich sehe gar nichts.“

„Sehen Sie wirklich nicht diese zwei Augen aus Feuer?“

„Nein!“

„Sie sehen sie nicht? Wirklich nicht?“

„Äh, hm – nein, Gräfin.“

„Oh, er ist blind!“, murmelte Azilis de Tréguilly. „Wenn ich doch auch blind wäre! Oh, diese Augen, diese Augen aus Feuer! Mein Gott! Mein Gott!“

„Was ist denn los, Gräfin? Was haben Sie nur?“, fragte der Gouverneur behutsam und trat einen Schritt auf sie zu. „Beruhigen Sie sich doch, mein Gott, beruhigen Sie sich! Ich versichere Ihnen, dass es nichts zu sehen gibt.“

„Ich sehe sie aber ganz deutlich! Ich sehe, dass mich diese teuflischen Augen anblicken, nein, anstarren! Schauen Sie nur, Gouverneur, hier sind sie, ganz nahe, hier, direkt vor uns! Ich brauche nur meine Hand auszustrecken und schon berühre ich sie, aber das werde ich nicht tun. Nein, das werde ich nicht tun ... Sie brennen, sie verbrennen mich! Diese Augen sind aus Schwefel und aus Phosphor!“

Plötzlich schob sie den Oberstleutnant heftig von sich und warf sich auf ihr Bett, das – gemeinsam mit einem Tisch und einem Stuhl – die einzige Einrichtung der Zelle bildete; dann vergrub sie ihr Gesicht in einem Kissen.

Tedworth war für einen Moment verwirrt, brauchte aber nicht lange, seine Fassung wiederzugewinnen. „Ich verstehe“, murmelte er. „Die Freude war zu viel für sie; die unglückliche Frau leidet wohl von neuem an diesen merkwürdigen Halluzinationen, die sie schon immer hatte – von gelegentlichem Wiederaufleben derselben war ja auch in den Aufzeichnungen unserer Wärter schon die Rede. Ich muss versuchen, sie von hier wegzubringen. Frische Luft wird ihr guttun, außerdem ist’s ja auch schon an der Zeit, an Bord zu gehen. Der Meister hat mir aufgetragen, sie exakt um fünf Uhr nachmittags in See stechen zu lassen – obwohl ich nicht verstehe, warum. Jetzt ist es vier Uhr und ich muss mich an die Order halten. Sâr Dubnotal ist nicht der Mann, dem man sich widersetzt. Er weiß stets, was er will ...“

Damit wandte sich der Gouverneur wieder an Azilis und sagte zu ihr, bewusst heiter: „Kommen Sie, Gräfin, haben Sie Mut! Bitte, stehen Sie auf und folgen Sie mir.“

Azilis antwortete nicht.

Leicht ungeduldig, war der Oberstleutnant versucht, sie an der Hand zu fassen, als die unglückliche Frau sich aufsetzte. „Oh, diese Augen!“, schrie sie von neuem. „Diese flammenden Augen! Bin ich etwa verdammt, sie zu sehen, solange ich lebe? Jean, mein armer Jean, wenn es doch nur die Deinigen wären! Aber du hattest wohl Mitleid mit mir und hast mich deshalb nur ein- oder zweimal am Tag angeblickt, während dieses Monster nicht aufhört, mich zu quälen ... Er ist dort, Oberstleutnant Tedworth, schauen Sie doch! Sie können weder seinen Kopf noch seinen Körper sehen, nur seine phosphoreszierenden Augen sind da! Und die verbrennen mich! Fliehen Sie, Gouverneur! Das Feuer wird auch vor der Zelle nicht Halt machen. Die Flammen, die von diesen teuflischen Augen ausgehen, kommen immer näher, sie sind schon da bei mir! Ich möchte sterben, lassen Sie mich sterben!“

„Gräfin, ich bitte Sie! Nehmen Sie sich doch zusammen, bitte, wachen Sie auf!“

„Fliehen Sie, um Gottes willen!“, stöhnte Azilis und schob ihn beiseite.

Tedworth war der Statur nach ein Riese, alles an ihm war kolossal. Man hätte meinen können, dass er einen Ochsen mit einem einzigen Faustschlag zu Boden strecken konnte; Proben seiner Stärke – die allenfalls noch mit der des Hindus Naïni zu vergleichen war – hatte er bereits des Öfteren abgelegt. Er war der Meinung, dass es für ihn ein Leichtes sein würde, den Widerstand der Gräfin zu brechen, fasste sie daher an den Handgelenken und wollte sie kurzerhand hochziehen. Zu seiner großen Überraschung gelang es ihm nicht. Er stemmte sich gegen das Bett und zerrte mit all seiner Kraft an ihren Armen, konnte sie aber dennoch nicht von der Stelle bewegen. Es schien, als sei sie zu Stein geworden. Sie verharrte in aufrechter Haltung, auf dem Bett sitzend und steif wie eine Puppe, wobei sie fortfuhr, immer ängstlichere Schreie auszustoßen.

Schließlich blieb Tedworth nichts anderes übrig, als aufzugeben. „Bei allen Teufeln!“, rief er aus und furchte seine Brauen. „Das ist die erstaunlichste Situation, die ich je erlebt habe. Wenn es einem starken Mann wie mir nicht gelingt, eine schwache Frau wie die Gräfin von der Stelle zu bewegen, dann haben die Suffragetten – die von der Gleichheit der Geschlechter ausgehen – zu einhundert Prozent Recht.“

Der brave Oberstleutnant war perplex. „Trotz allem“, murmelte er, „muss etwas unternommen werden. Tut mir leid, dass der Meister selbst nicht hier ist, denn all das kommt mir reichlich merkwürdig vor. Ich verstehe das Ganze einfach nicht!“ Er verließ die Zelle, um nach den Wärtern zu rufen. Sofort eilte ein halbes Dutzend Männer dienstbeflissen herbei.

Azilis schrie noch immer. „Was wollen sie nur von mir? Warum starren sie mich so an, diese verdammten Augen? Sie haben meinen Körper versengt, wollen sie nun auch noch meine Seele in Brand setzen?“

„Sie denkt, dass sie zwei riesige, brennende Augen von der Wand her anstarren!“, erklärte der Oberstleutnant seinen Leuten. „Die Information über ihre Freilassung hat sie total durcheinandergebracht, denn in einer solchen Aufregung wie heute habe ich sie noch nie erlebt. Bitte, schauen Sie alle, die Sie bei klarem Verstand sind, sich genau in der Zelle um: Gibt es irgendwo zwei brennende Punkte, welche die Gräfin irrtümlicherweise für Augen gehalten haben könnte?“

„Nein!“, sagten die Wärter übereinstimmend, nachdem sie sorgfältig in alle Winkel der Zelle geblickt hatten. „Es gibt nichts Besonderes hier.“

„Dann muss es sich unbedingt um eine Halluzination handeln. Oder es war ein Anfall von Demenz! Sâr Dubnotal hat also mit der kleinen Notlüge, die er den Töchtern der Gräfin gegenüber gebraucht hat, nicht ganz Unrecht gehabt. Damals hat er ja gewissermaßen als Entschuldigung für die Entfremdung zwischen Mutter und Kindern vorgebracht, dass der Verstand der Gräfin auf Grund des Todes ihres Gatten ein wenig gelitten habe ... Ich bin trotz allem der Meinung, dass es nur von Vorteil sein kann, wenn wir sie jetzt nach Frankreich zurückschicken. Auf geht’s, meine Freunde: Nehmt sie euch vor und schafft sie zum Hafen, wo die Yacht schon vor Anker liegt. Wir wollen sie dem Kapitän anvertrauen!“

Die Wärter gehorchten – oder besser gesagt, wollten gehorchen. Doch obwohl auch sie bärenstark waren und von der rauen Seemannsarbeit gestählte Muskeln besaßen, waren sie nicht in der Lage, Azilis de Tréguilly vom Bett zu entfernen und mit sich zu nehmen.

„Lasst mich!“, heulte die Gräfin und sträubte sich noch mehr als vorher. „Seht ihr nicht, ihr Narren, dass ich nicht das Recht habe, von hier wegzugehen? Sie wollen mich nicht gehen lassen! Nein, nein, sie wollen es nicht!“

„Das ist Wahnsinn!“, sagte der Gouverneur. „Die Gräfin muss ein Opfer von Halluzinationen sein, davon bin ich mehr denn je überzeugt. Was ich aber überhaupt nicht begreife, ist, dass sie in der Lage ist, uns derartigen Widerstand zu leisten. Dabei war sie in letzter Zeit nur noch schwach und krank, ja, es schien, als stürbe sie uns unter den Händen.“

„Nicht ich bin es, die Ihnen Widerstand leistet!“, sagte Azilis da mit klarer Stimme. „Sie sind es, sie!“

„Wer?“, fragte Tedworth. „Die Augen?“

„Ja.“

„Soll das heißen, dass Ihnen die Augen befehlen, hierzubleiben?“

„Genau so ist es, Gouverneur.“

„Verdammt!“, rief der Oberstleutnant. „Was kann ich da tun? Ich weiß mir nicht zu helfen, doch die Zeit drängt! Was wird Sâr Dubnotal sagen, wenn ich seine Anordnungen nicht befolge?“

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als Azilis nach rückwärts auf das Bett glitt.

„Großer Gott!“, stammelte der Oberstleutnant. „Hoffentlich ist dies das Ende ihrer Nervenkrise!“

Es war tatsächlich das Ende, doch ein Ende ganz anderer Art, als es der Gouverneur erwartete. Aus dem Zustand der Erstarrung erwachend, sprang die Gräfin plötzlich aus dem Bett, breitete ihre Arme in der Form eines Kreuzes aus und sprach wie in Ekstase: „Danke, Severus el Tebib! Sie haben mich gerettet! Vielen Dank, die verdammten Augen haben aufgehört, mich zu bedrängen. Ja, ja, ich kann Sie sehen, Severus el Tebib! Sie sind in Trez-Hir, in Ihrem Labor, und ich höre Ihre tiefe Stimme, die mich beruhigt. Ja, Meister, ich bin geheilt, ich leide nicht mehr. Ich brauche sie nicht mehr zu ertragen, diese Augen, sie sind verschwunden. Es ist vorbei, ich versichere es Ihnen.“

Sie wandte sich wieder an den erstaunten Gouverneur. „Bin ich nicht vernünftig?“, fragte sie mit der Andeutung eines Lächelns. „Sagen Sie dem Meister, dass er sich auf mich verlassen kann, ich werde an Bord gehen, nichts hält mich mehr hier, seit diese schrecklichen Augen von der Wand verschwunden sind.“

„In der Tat, ich werde ihm all das sagen“, erwiderte der Oberstleutnant. Er konnte noch immer nicht glauben, was er soeben erlebt hatte. „Doch wir sollten uns beeilen, Gräfin! Da Sie ja dem Meister Ihr Wort gegeben haben, sollten Sie es auch halten – und zwar möglichst schnell.“

In diesem Moment fuhr sich Azilis de Tréguilly mit der Hand über die Stirn und sah sich ängstlich um. Sie schien lediglich den Gouverneur und die Wärter wahrzunehmen. Indem sie wie beiläufig in einen über dem Tisch hängenden Spiegel blickte, stieß sie einen schwachen Schrei aus. „Weshalb bin ich wachsbleich und so nachlässig gekleidet? Was ist passiert, Gouverneur?“

„Nichts!“, entgegnete Tedworth, der nicht verstehen konnte, warum die Gräfin von ihrer eben überstandenen Krise offenbar nichts mehr wusste. „Diese Männer und ich wollen Sie zur Yacht bringen, mit der Sie in Kürze nach Yokohama reisen werden.“

„So ist es wirklich wahr: Ich werde von hier weggehen?“

„So ist es.“

„Oh, was für ein Glück!“, rief sie erfreut. Schwach, aber bestimmt, folgte sie Tedworth und seinen Leuten zum Hafen.

Der Fliegende Holländer

Sâr Dubnotal besaß mehrere Schiffe; darunter auch die Brahma, die speziell dazu bestimmt war, Nachschub nach Redemption Island zu schaffen. Sie verkehrte bevorzugt zwischen der Koralleninsel und Yokohama, denn der große japanische Hafen wurde von den europäischen Schifffahrtsgesellschaften am häufigsten angelaufen. Die Insel war nur wenige Dutzend Hektar groß, an der steil abfallenden Nordküste befand sich ein geschützter und sicherer Hafen. Das Schiff war vorgesehen und konzipiert als Vergnügungsyacht; es fand dort Zuflucht, vor allem vor den Bedrohungen durch Taifune.

Beim Glockenschlag fünf Uhr nachmittags ging Azilis de Tréguilly an Bord der Brahma, die anschließend sofort Anker lichtete.