Die Büchse der Pandora - Agatha Christie - E-Book

Die Büchse der Pandora E-Book

Agatha Christie

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  • Herausgeber: Atlantik
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

"Die lustigsten Detektivgeschichten überhaupt." The New York Times Book Review  Tommy und Tuppence sind immer auf ein gutes Abenteuer aus, und als ihnen angeboten wird, eine internationale Detektivagentur zu übernehmen, sagen sie sofort zu. Bald dürfen sie sich über einen kniffligen Fall nach dem anderen freuen, ob kryptische Geheimbotschaften, die über Zeitungsanzeigen getauscht werden, ein erstochener Golfer mit Hutnadel im Herzen oder eine Schachtel Pralinen, die einen ganzen Haushalt vergiftet. Auch das unerschütterlichste Alibi ist vor ihren abenteuerlustigen und gewieften Spürnasen nicht sicher. – "Genial."  The Scotsman 

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Seitenzahl: 336

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Agatha Christie

Die Büchse der Pandora

Kurzkrimis mit Tommy und Tuppence

Aus dem Englischen von Lotte Schwarz und Heike Steffen

Atlantik

Der Besuch der Fee

Mrs Thomas Beresford rückte sich auf dem Diwan zurecht und schaute trübselig aus dem Fenster. Der Ausblick war kein weiter, er bestand lediglich aus einem niedrigen Mietshaus auf der anderen Straßenseite. Mrs Beresford seufzte und gähnte.

»Ich wollte, es würde etwas geschehen«, sagte sie.

Ihr Mann schaute vorwurfsvoll auf.

»Vorsicht, Tuppence. Dieses Verlangen nach oberflächlichen Sensationen beunruhigt mich.«

Tuppence seufzte und schloss träumerisch die Augen.

»Und so wurden Tommy und Tuppence zu Mann und Frau«, sang sie, »und lebten glücklich und zufrieden immerdar. Und sechs Jahre später leben sie weiterhin glücklich und zufrieden immerdar! Es ist doch erstaunlich«, meinte sie, »wie sich alles immer ganz anders entwickelt, als man es sich vorgestellt hat.«

»Eine sehr tiefe Erkenntnis, Tuppence, wenn auch nicht originell. Bedeutende Dichter und noch bedeutendere Gottesmänner haben das schon lange gesagt und, verzeih das harte Wort, besser ausgedrückt.«

»Vor sechs Jahren«, fuhr Tuppence fort, »hätte ich geschworen, dass mit genügend Geld in der Tasche und mit dir als Ehemann das ganze Leben ein einziges Paradies auf Erden sein müsste, wie es einer der Dichter, mit denen du dich ja so gut auskennst, ausdrückte.«

»Bin ich es oder ist es das Geld, das seinen Reiz verloren hat?«, erkundigte sich Tommy kühl.

»›Reiz verloren‹ ist nicht ganz der richtige Ausdruck«, bemerkte Tuppence wohlwollend. »Ich habe mich einfach an den Gottessegen gewöhnt, das ist alles. So wie man nie darüber nachdenkt, wie wunderbar es ist, durch die Nase atmen zu können – bis man sich einen Schnupfen geholt hat.«

»Soll ich dich ein wenig vernachlässigen«, schlug Tommy vor, »andere Frauen in Nachtlokale ausführen und dergleichen?«

»Zwecklos. Du würdest mich dort bloß mit anderen Männern antreffen. Und ich wüsste genau, dass du dir aus den anderen Frauen nichts machst, während du dir nie ganz sicher sein könntest, ob mir die anderen Männer nicht doch gefallen. Frauen sind so viel gründlicher als Männer.«

»Nur in der Bescheidenheit liegen Männer vorn«, brummte Tommy. »Aber mal im Ernst, Tuppence, was ist los mit dir? Woher diese sehnsuchtsvolle Unzufriedenheit?«

»Ich weiß es nicht. Ich will, dass etwas geschieht. Etwas Aufregendes. Hättest du nicht auch mal wieder Lust, deutsche Spione zu jagen, Tommy? Denk doch nur an die stürmischen Tage der Gefahr, die wir überstanden haben! Ich weiß natürlich, dass du jetzt mehr oder weniger für den Geheimdienst arbeitest – aber doch nur hinter dem Schreibtisch.«

»Du hättest es also gern, dass sie mich als bolschewistischen Schmuggler verkleidet ins finsterste Russland schicken, etwas in der Art?«

»Das würde gar nichts nützen«, meinte Tuppence. »Ich dürfte ja nicht mitkommen, und ich bin doch diejenige, die unbedingt etwas zu tun haben möchte. Eine Aufgabe haben. Das sage ich doch von früh bis spät.«

»Der Wirkungskreis der Frau.« Tommy wies mit ausladender Geste um sich.

»Zwanzig Minuten Arbeit nach dem Frühstück genügen, um den Zeiger auf Perfektion zu halten. Du hast doch nicht zu klagen, oder?«

»Deine Haushaltsführung ist so perfekt, dass sie mir vor lauter Perfektion schon gar nicht mehr auffällt.«

»Wie schön ist doch Dankbarkeit. Du hast natürlich deine Arbeit, aber sehnst du dich nicht auch manchmal heimlich nach Aufregung, danach, dass etwas geschieht?«

»Nein«, sagte Tommy, »nein, ich glaube nicht. Die aufregenden Sachen können auch sehr unerfreulich sein.«

»Wie besonnen Männer doch sind!«, seufzte sie. »Spürst du denn niemals ein wildes, heimliches Verlangen nach Romantik, nach Abenteuer, nach Leben?«

»Was hast du in letzter Zeit gelesen, Tuppence?«, fragte Tommy.

»Stell dir nur vor, wie aufregend es wäre, wenn wir plötzlich wilde Schläge an der Tür hörten, und hereingetaumelt käme ein toter Mann.«

»Wenn er tot wäre, könnte er nicht taumeln«, bemerkte Tommy kritisch.

»Du weißt, was ich meine«, sagte Tuppence. »Sie taumeln immer herein, bevor sie sterben, und beim Zusammenbrechen stammeln sie noch ein paar rätselhafte Worte: ›Der fleckige Leopard‹ oder so etwas.«

»Ich rate dir zur Lektüre von Schopenhauer oder Immanuel Kant«, bemerkte Tommy.

»Das wäre eher etwas für dich«, versetzte Tuppence. »Du wirst langsam fett und bequem!«

»Das ist nicht wahr!«, sagte Tommy entrüstet. »Und überhaupt, du machst doch selbst Gymnastik für die Figur.«

»Das machen alle«, sagte Tuppence. »Als ich sagte, du wirst fett, war das bildlich gemeint: Du wirst wohlhabend, wohlgenährt und bequem.«

»Ich weiß wirklich nicht, was über dich gekommen ist«, entgegnete ihr Ehemann.

»Der Geist des Abenteuers«, raunte sie. »Immerhin besser als Sehnsucht nach einer Romanze. Das habe ich auch manchmal. Ich stelle mir vor, wie ich einem Mann begegne, einem wirklich attraktiven Mann …«

»Du bist mir begegnet«, bemerkte Tommy. »Genügt dir das nicht?«

»Ein braun gebrannter, schlanker Mann, groß und stark, der fest im Sattel sitzt und wilde Pferde mit dem Lasso fängt …«

»Dazu Lederhosen und ein Cowboyhut«, warf Tommy sarkastisch ein.

»… und in der Wildnis gelebt hat«, fuhr sie fort. »Er müsste sich heftig in mich verlieben. Ich würde ihn natürlich tugendhaft abweisen und meinem Ehegelübde treu bleiben, aber heimlich würde mein Herz für ihn entflammen.«

»Na gut«, meinte Tommy, »ich wünsche mir oft, einem wunderschönen Mädchen zu begegnen. Einem Mädchen mit goldenem Haar, das sich rettungslos in mich verliebt. Nur würde ich sie wahrscheinlich nicht abweisen – nein, sicher nicht.«

»Das zeigt deinen schlechten Charakter.«

»Was ist los mit dir, Tuppence?«, fragte Tommy. »Du hast noch nie so geredet.«

»Nein«, erwiderte seine Frau, »aber es gärt schon seit langem in mir. Es ist eben gefährlich, alles zu haben, was man sich wünscht – einschließlich genügend Geld, um zu kaufen, was man will. Natürlich gibt es immer Hüte …«

»Du hast schon mindestens vierzig Hüte«, sagte Tommy, »und sie sehen alle gleich aus.«

»Das ist so bei Hüten. Sie sind nicht wirklich gleich. Es gibt Nuancen. Gerade heute Morgen habe ich bei Violette einen sehr hübschen gesehen.«

»Wenn du nichts Besseres zu tun hast, als immer mehr Hüte zu kaufen, die du nicht brauchst …«

»Das ist es ja gerade. Genau das: Wenn ich nur etwas Besseres zu tun hätte. Vielleicht sollte ich mich Wohltätigkeitsaufgaben widmen. Ach, Tommy, ich wünsche mir so sehr, dass etwas Aufregendes passiert! Ich glaube wirklich, das würde uns guttun. Könnte nicht eine gute Fee erscheinen …«

»Ah!«, rief Tommy, »interessant, dass du das sagst!«

Er stand auf und durchquerte das Zimmer. Aus einer Schreibtischschublade holte er eine kleine Fotografie hervor und zeigte sie Tuppence.

»Oh, du hast sie entwickeln lassen. Welche Aufnahme ist das, deine oder meine?«

»Meine. Deine ist nichts geworden. Unterbelichtet. Wie immer.«

»Wie schön für dich«, meinte Tuppence, »zu denken, dass es etwas gibt, was du besser kannst als ich.«

»Eine unsinnige Bemerkung«, sagte Tommy, »aber lassen wir das für den Moment. Was ich dir zeigen wollte, ist das hier.« Er wies auf einen kleinen weißen Fleck auf dem Foto, das ihr Wohnzimmer zeigte.

»Das ist ein Kratzer im Film.«

»Ganz und gar nicht«, erwiderte Tommy. »Das, Tuppence, ist eine Fee!«

»Tommy, du Dummkopf!«

»Schau genau hin!«

Er reichte ihr ein Vergrößerungsglas. Tuppence studierte den Abzug aufmerksam. Mit ein bisschen Phantasie konnte man den Kratzer im Film tatsächlich für ein geflügeltes kleines Wesen auf dem Kamingitter halten.

»Es hat Flügel!«, rief Tuppence. »Köstlich, eine echte, lebende Fee in unserer Wohnung! Sollen wir Conan Doyle davon berichten? Oh, Tommy, glaubst du, sie wird uns Wünsche gewähren?«

»Das wirst du bald wissen. Du wünschst dir ja seit Stunden sehnlichst, dass etwas geschieht!«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein schlaksiger Junge von fünfzehn Jahren, der nicht recht zu wissen schien, ob er Butler oder Page war, erkundigte sich in wahrhaft hoheitsvoller Manier: »Sind Madam zu Hause? Es hat soeben an der Tür geläutet.«

»Ich wünschte, Albert würde nicht so oft ins Kino gehen!«, seufzte Tuppence, nachdem sie ihre Zustimmung geäußert und der Junge sich zurückgezogen hatte. »Jetzt mimt er den Butler von Long Island. Zum Glück habe ich ihm abgewöhnen können, Visitenkarten zu verlangen und sie mir auf einem silbernen Tablett hereinzubringen.«

Wieder schwang die Tür auf, und Albert verkündete: »Mr Carter«, als wäre es ein Adelstitel.

»Der Chef«, flüsterte Tommy erstaunt.

Mit freudigem Ausruf sprang Tuppence auf und begrüßte einen großen grauhaarigen Mann mit durchdringenden Augen und müdem Lächeln.

»Ich bin so froh, Sie zu sehen, Mr Carter!«

»Das ist schön, Mrs Beresford. Nun beantworten Sie mir eine Frage: Wie ist das Leben so im Allgemeinen?«

»Zufriedenstellend, aber langweilig«, erwiderte Tuppence mit einem Augenzwinkern.

»Ausgezeichnet. Ich treffe Sie offensichtlich in der richtigen Verfassung an.«

»Das klingt ja sehr aufregend!«, bemerkte Tuppence.

Albert, noch immer in der Rolle des Butlers von Long Island, brachte den Tee. Nachdem das Unterfangen ohne Malheur abgeschlossen war und sich die Tür wieder hinter ihm geschlossen hatte, brach es aus Tuppence heraus: »Sie haben etwas Bestimmtes gemeint, nicht wahr, Mr Carter? Haben Sie vor, uns auf eine Mission ins finsterste Russland zu schicken?«

»Nicht ganz …«

»Aber etwas ist los.«

»Ja, etwas ist los. Sie gehören doch nicht zu den Leuten, die vor Gefahren zurückschrecken, oder, Mrs Beresford?«

Tuppence’ Augen blitzten vor Aufregung.

»Unsere Abteilung hat eine gewisse Aufgabe zu vergeben, und da dachte ich – habe nur so gedacht –, dass das vielleicht etwas für Sie beide wäre.«

»Fahren Sie fort«, sagte Tuppence.

»Ich sehe, Sie lesen den Daily Leader«, bemerkte Mr Carter und nahm die Zeitung vom Tisch.

Er blätterte zu den Inseraten, legte den Finger auf eines und schob das Blatt zu Tommy hinüber. »Lesen Sie uns das einmal vor«, sagte er.

Und Tommy las:

»Internationale Detektivagentur. Leiter: Theodore Blunt. Private Ermittlungen. Zahlreiche hochqualifizierte Privatdetektive. Äußerste Diskretion garantiert. Kostenloses Beratungsgespräch. 118, Haleham Street, London WC.«

Er blickte fragend zu Mr Carter auf. Dieser nickte.

»Die Detektei pfiff schon seit längerem auf dem letzten Loch. Ein Freund von mir hat sie für einen Appel und ein Ei erstanden. Wir möchten sie wiederbeleben – sagen wir, für eine Probezeit von sechs Monaten. Und während dieser Zeit braucht sie natürlich einen Leiter.«

»Was ist mit Mr Theodore Blunt?«, fragte Tommy.

»Ich fürchte, Mr Blunt hat sich einiger Indiskretionen schuldig gemacht. Genauer gesagt: Scotland Yard hat eingreifen müssen. Mr Blunt wird augenblicklich auf Kosten Seiner Majestät festgehalten, und er erzählt uns nicht halb so viel, wie wir gerne wüssten.«

»Ich verstehe«, sagte Tommy. »Wenigstens glaube ich zu verstehen.«

»Ich schlage vor, Sie werden für sechs Monate freigestellt. Gesundheitliche Gründe. Und falls Sie Lust haben sollten, eine Detektei unter dem Namen Theodore Blunt zu führen, so hat das natürlich nicht das Geringste mit mir zu tun.«

Tommy blickte seinem Chef fest in die Augen.

»Irgendwelche Anweisungen, Sir?«

»Mr Blunt unterhielt gewisse Verbindungen mit dem Ausland, denke ich. Halten Sie nach blauen Briefumschlägen mit russischer Marke Ausschau. Von einem Schinkenhändler, der verzweifelt seine Frau sucht, die vor einigen Jahren als Flüchtling in unser Land kam. Befeuchten Sie die Marke, und Sie werden darunter die Zahl 16 geschrieben finden. Fertigen Sie Kopien dieser Briefe an und schicken Sie mir das Original. Auch wenn jemand in die Agentur kommt und die Zahl 16 erwähnt, verständigen Sie mich sofort.«

»Verstanden, Sir. Sonst noch etwas?«

Mr Carter nahm seine Handschuhe vom Tisch, um sich zu verabschieden.

»Sie können die Agentur führen, wie Sie wollen.« Und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: »Ich dachte, es würde Mrs Beresford vielleicht Spaß machen, sich an ein wenig Detektivarbeit zu versuchen.«

Eine Tasse Tee

Wenige Tage später bezogen Mr und Mrs Beresford die Büroräume der Internationalen Detektivagentur im zweiten Stock eines leicht baufälligen Gebäudes in Bloomsbury. Im Vorzimmer herrschte Albert, der die Rolle des Long-Island-Butlers aufgegeben und die des Bürogehilfen angenommen hatte – eine Rolle, die er glänzend ausfüllte. Eine Papiertüte mit Süßigkeiten, Tintenflecke an den Händen und zerzauste Haare waren seine Vorstellung von der Figur.

Vom Vorzimmer aus führten zwei Türen in die Büroräume. Auf der einen stand »Sekretariat«, auf der anderen »Privat«. Hinter Letzterer lag ein kleines, freundliches Zimmer, ausgestattet mit einem riesigen Schreibtisch, einer Unzahl kunstvoll beschrifteter Aktendeckel – alle leer – und einigen lederbezogenen Stühlen. Hinter dem Schreibtisch saß der falsche Mr Blunt und gab sich große Mühe, so auszusehen, als hätte er sein ganzes Leben lang eine Detektivagentur geleitet. Das Telefon stand griffbereit neben ihm. Tuppence und er hatten ein paar publikumswirksame Telefonszenen einstudiert, und auch Albert hatte seine Instruktionen.

Im Nebenzimmer befanden sich Tuppence, eine Schreibmaschine, die notwendigen Tische und Stühle, von etwas geringerer Qualität als die im Zimmer des Chefs, sowie ein Gaskocher zum Teekochen.

Nichts fehlte – außer den Klienten.

In der Begeisterung der ersten Tage hatte sich Tuppence die größten Hoffnungen gemacht.

»Es wird ganz großartig«, verkündete sie. »Wir werden Mörder zur Strecke bringen, verlorene Familienjuwelen aufspüren, Vermisste wiederfinden, Betrüger entlarven.«

An dieser Stelle fühlte Tommy sich verpflichtet, ihren Überschwang zu dämpfen: »Beruhige dich und vergiss die Schundromane, die du so gern liest. Unsere Kundschaft – wenn wir überhaupt welche haben werden – wird aus Ehemännern bestehen, die ihre Gattinnen beschatten lassen möchten, und aus Gattinnen, die ihre Ehemänner beschatten lassen möchten. Beweismaterial für Scheidungen heranzuschaffen – das ist das tägliche Brot eines Privatdetektivs.«

»Pah!«, rief Tuppence und rümpfte die Nase. »Mit Scheidungsgeschichten wollen wir nichts zu tun haben! Wir müssen das Niveau unseres neuen Berufsstands heben.«

»Ja-a«, sagte Tommy zweifelnd.

Und nun, eine Woche nach ihrem Einzug, hielten sie mit recht kläglichen Mienen Rückschau.

»Drei einfältige Frauen, deren Männer jedes Wochenende verreisen«, seufzte Tommy. »War während meiner Mittagspause jemand da?«

»Ein dicker Mann mit einer flatterhaften Frau«, sagte Tuppence. »Seit Jahren ist zu lesen, dass das Scheidungsfieber um sich greift, aber recht begriffen habe ich das erst jetzt. Ich habe es satt herzubeten: ›Wir übernehmen keine Scheidungsfälle.‹«

»Wir haben das jetzt in unseren Anzeigen vermerkt«, beruhigte Tommy sie.

»Dabei sind unsere Anzeigen so verlockend …« Ihre Stimme klang ganz melancholisch. »Wie dem auch sei, ich gebe mich nicht geschlagen. Wenn nötig, begehe ich selbst ein Verbrechen, und du wirst es aufdecken!«

»Und was hätten wir davon? Denk an meine Gefühle, wenn ich dir in Bow Street ein zärtliches Lebewohl zuwinken muss – oder war es Vine Street?«

»Du denkst an deine Junggesellenzeit zurück«, bemerkte Tuppence spitz.

»Old Bailey, das meinte ich«, sagte Tommy.

»Nun«, sagte Tuppence, »etwas muss geschehen. In uns schlummern große Talente, und wir sitzen hier und können sie nicht einsetzen!«

»Ich liebe deinen erfrischenden Optimismus! Du scheinst nicht den geringsten Zweifel an deiner außerordentlichen Begabung zu hegen.«

»Warum sollte ich!«, sagte Tuppence und riss erstaunt die Augen auf.

»Und doch verfügst du über keinerlei Fachkenntnisse.«

»Doch! Ich habe alle Detektivgeschichten gelesen, die in den letzten zehn Jahren erschienen sind.«

»Ich auch«, sagte Tommy. »Aber ich habe das Gefühl, dass uns das nicht viel helfen wird.«

»Du warst schon immer ein Pessimist, Tommy. Selbstvertrauen, das ist der Schlüssel zum Erfolg.«

»Ein Glück, dass du genug davon hast.«

»In Detektivgeschichten ist das alles natürlich ganz einfach«, überlegte Tuppence. »Da rollt man die Sache vom Ende her auf. Wenn man die Lösung kennt, kann man die Spuren legen. Ja, wenn man …«

Sie unterbrach sich und runzelte die Stirn.

»Nun?«, forschte Tommy neugierig.

»Ich glaub, ich habe da eine Idee«, flüsterte sie. »Warte, sie hat noch keine feste Gestalt angenommen, aber sie formt sich …« Sie stand entschlossen auf. »Ich werde mir den Hut kaufen gehen, von dem ich dir erzählt habe.«

»O Gott«, rief Tommy, »noch einen Hut?«

»Es ist ein sehr hübscher Hut«, erklärte Tuppence würdevoll und verließ mit entschlossener Miene den Raum.

Im Laufe der nächsten Tage erkundigte sich Tommy das ein oder andere Mal nach ihrer Idee. Seine Frau schüttelte nur den Kopf und bat um etwas mehr Zeit.

Dann, eines glorreichen Morgens, erschien der erste Klient, und alles andere war vergessen.

 

Es klopfte an der äußeren Bürotür, und Albert, der sich gerade ein saures Lutschbonbon in den Mund gesteckt hatte, rief ein undeutliches »Herein«. Dann verschluckte er vor lauter Überraschung und Begeisterung das ganze Bonbon. Denn diesmal sah es aus, als wäre es ein echter Kunde.

Ein groß gewachsener junger Mann, sehr elegant und geschmackvoll gekleidet, stand zögernd in der Tür.

»Ein feiner Schnösel, wenn ich je einen gesehen habe«, dachte Albert. Sein Urteil in diesen Dingen war unfehlbar.

Der junge Mann war etwa vierundzwanzig Jahre alt, hatte glatt zurückgekämmtes schwarzes Haar, leichte zartrosa Ränder um die Augen und kein nennenswertes Kinn.

In heller Aufregung drückte Albert auf einen Knopf unter seinem Pult, und fast im gleichen Augenblick ratterte im Sekretariat die Schreibmaschine los wie ein Maschinengewehr. Tuppence war an ihren Posten geeilt. Diese laute Betriebsamkeit schüchterte den jungen Mann noch mehr ein.

»Entschuldigen Sie«, sagte er, »ist das die – wie heißt es noch – Detektivagentur? Blunts Brillante Detektive oder so ähnlich? Sie wissen schon, diese Agentur? Ja?«

»Wünschen Sie Mr Blunt persönlich zu sprechen, Sir?«, fragte Albert, und seine Miene drückte deutlichen Zweifel an der Erfüllbarkeit dieses Ansinnens aus.

»Äh … ja, junger Mann, das war meine Absicht. Ließe sich das arrangieren?«

»Sie haben wohl keinen Termin?«

Der Besucher wurde immer kleinlauter.

»Leider, nein«, entschuldigte er sich.

»Es ist immer ratsam, Sir, vorher anzurufen. Mr Blunt ist so furchtbar beschäftigt. Im Augenblick ist er am Telefon. Scotland Yard wollte ihn sprechen.«

Der junge Mann schien angemessen beeindruckt.

Albert senkte die Stimme und ließ sich herbei, dem Besucher mitzuteilen: »Diebstahl wichtiger Dokumente aus einem Regierungsamt. Mr Blunt soll den Fall übernehmen.«

»Oh, wirklich? Donnerwetter. Er muss ein tüchtiger Kerl sein!«

»Der Chef – der ist der Beste!«

Der junge Mann ließ sich auf einem harten Stuhl nieder, ohne zu ahnen, dass er von zwei Augenpaaren, die durch geschickt getarnte Gucklöcher blickten, einer genauen Prüfung unterzogen wurde: Tuppence’ Augen, in den Pausen zwischen leidenschaftlichen Tippanfällen, und die von Tommy, der auf einen günstigen Augenblick lauerte.

In dem Moment schrillte auf Alberts Pult eine Klingel.

»Der Chef ist jetzt frei. Ich werde nachsehen, ob er Sie empfangen kann«, sagte Albert und verschwand durch die Tür, auf der »Privat« stand.

Er erschien sofort wieder.

»Bitte hier herein, Sir.«

Der Besucher wurde ins Privatbüro geführt, wo ein freundlich aussehender junger Mann mit rotem Haar und dem Gestus forscher Tüchtigkeit ihn begrüßte.

»Nehmen Sie Platz, bitte. Sie wollten mich zurate ziehen? Ich bin Mr Blunt.«

»Oh! Wirklich? Sie sind aber furchtbar jung.«

»Die Zeit der Alten ist vorüber«, sagte Tommy mit einer lässigen Handbewegung. »Wer war schuld am Krieg? Die Alten. Wer ist für die herrschende Arbeitslosigkeit verantwortlich? Die Alten. Wer ist schuld an allem Unfug, der täglich passiert? Wieder sage ich: die Alten!«

»Da haben Sie wohl recht, nehme ich an. Ich kenne einen Burschen, der ist Dichter – jedenfalls behauptet er, einer zu sein –, und der spricht genau wie Sie.«

»Ich will Ihnen eines verraten: Unter meinen hochqualifizierten Mitarbeitern ist nicht ein einziger über fünfundzwanzig. Nicht einen Tag darüber. Ehrenwort.«

Da der Stab der hochqualifizierten Mitarbeiter aus Tuppence und Albert bestand, war das die reine Wahrheit.

»Und nun zu den Tatsachen«, sagte Mr Blunt.

»Ich möchte, dass Sie eine Person finden, die abhandengekommen ist«, sprudelte der junge Mann hervor.

»Schön. Könnten Sie mir präzisere Angaben machen?«

»Ja, sehen Sie, das ist recht schwierig. Die Angelegenheit ist schrecklich heikel und verzwickt. Sie könnte es mir furchtbar übel nehmen. Ach, es ist wirklich sehr schwer zu erklären.«

Er blickte Tommy hilflos an. Tommy begann die Angelegenheit lästig zu werden. Er war gerade im Begriff gewesen, zum Mittagessen zu gehen, und nun zeichnete sich ab, dass es ein langwieriger und mühsamer Prozess sein würde, diesem Klienten die sachdienlichen Angaben aus der Nase zu ziehen.

»Ist sie aus eigenem Antrieb verschwunden, oder vermuten Sie eine Entführung?«, fragte er scharf.

»Ich weiß es nicht«, stotterte der junge Mann, »ich weiß gar nichts.«

Tommy griff nach Notizblock und Bleistift.

»Wollen Sie mir bitte erst einmal Ihren Namen nennen? Mein Gehilfe hat strikte Anweisung, niemals nach Namen zu fragen. So bleibt jede Konsultation streng vertraulich.«

»Oh, ausgezeichnet! Großartige Idee. Mein Name … hm … mein Name ist … Smith.«

»O nein!«, sagte Tommy. »Den echten Namen, bitte!«

Sein Gegenüber schaute ihn ehrfurchtsvoll an.

»Äh … St. Vincent«, sagte er. »Lawrence St. Vincent.«

»Es ist interessant«, meinte Tommy, »wie wenige Menschen wirklich Smith heißen. Ich selbst kenne niemanden, der Smith heißt. Aber von zehn Leuten, die ihren richtigen Namen verheimlichen wollen, nennen sich neun Smith. Ich bin daran, eine Monographie über dieses Thema zu verfassen.«

In diesem Augenblick ertönte diskret ein leises Klingeln auf dem Schreibtisch. Das war das Zeichen, dass Tuppence übernehmen wollte. Tommy, der Hunger hatte und nur wenig Geduld mit Mr St. Vincent, war nur allzu gern bereit, das Ruder abzugeben.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er und nahm den Hörer ab.

Auf seinem Gesicht malten sich in rascher Folge Erstaunen, Bestürzung und Stolz.

»Was Sie nicht sagen!«, sprach er ins Telefon. »Donnerwetter! Der Premierminister persönlich? Ja, da komme ich natürlich sofort.«

Er legte den Hörer auf und wandte sich seinem Klienten zu.

»Mein lieber Freund, Sie müssen mich entschuldigen. Eine überaus dringende Berufung. Vertrauen Sie die Einzelheiten des Falles bitte meiner Privatsekretärin an; sie wird das Nötige veranlassen.«

Er schritt zur Zwischentür.

»Miss Robinson, bitte.«

Tuppence, adrett und sittsam mit glatt gekämmten schwarzen Haaren und zierlichem weißem Kragen, trippelte herein. Tommy stellte die beiden einander vor und verabschiedete sich.

»Soweit ich verstanden habe, Mr St. Vincent, ist eine Dame, an der Sie ein Interesse hegen, verschwunden«, sagte Tuppence mit ihrer sanftesten Stimme, setzte sich und nahm Mr Blunts Block und Bleistift zur Hand. »Eine junge Dame?«

»O ja!«, rief Mr St. Vincent. »Jung … und … und … furchtbar hübsch und so.«

Tuppence legte ihr Gesicht in ernste Falten.

»O Gott«, murmelte sie, »ich hoffe bloß, dass …«

»Meinen Sie, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte?«, fragte Mr St. Vincent ganz außer sich.

»Hoffen wir das Beste«, tröstete sie ihn mit falscher Munterkeit, die auf Mr St. Vincent schrecklich entmutigend wirkte.

»Miss Robinson, bitte, Sie müssen etwas unternehmen! Scheuen Sie keine Ausgaben. Wir müssen um alles in der Welt verhindern, dass ihr etwas zustößt! Sie sind eine verständnisvolle Seele, Miss Robinson, das fühle ich, deshalb darf ich Ihnen anvertrauen, dass ich die Erde küssen möchte, auf die sie ihren Fuß setzt. Sie ist einzig, absolut einzig!«

»Sagen Sie mir bitte ihren Namen und alles, was Sie von ihr wissen.«

»Ihr Name ist Janet – ihren Nachnamen kenne ich nicht. Sie arbeitet in einem Hutgeschäft, bei Madame Violette in der Brook Street, und sie ist die Anständigkeit selbst. Hundertmal hat sie mich abgewiesen. Gestern Abend habe ich vor dem Geschäft auf sie gewartet. Alle anderen sind herausgekommen, nur sie nicht. Dann stellte sich heraus, dass sie gar nicht zur Arbeit erschienen war. Ohne Nachricht zu geben. Die alte Madame war wütend auf sie. Ich fand heraus, wo sie wohnt, und ging hin. Sie war am Abend zuvor nicht nach Hause gekommen, und niemand wusste, wo sie steckt. Ich war außer mir. Ich wollte zur Polizei gehen. Aber wenn nichts passiert ist und Janet einfach beschlossen hat, ihrer eigenen Wege zu gehen, dann würde sie mir das nie verzeihen, das weiß ich. Dann fiel mir ein, dass sie mich einmal auf Ihre Anzeige in der Zeitung aufmerksam gemacht hatte; sie erzählte mir, dass eine Frau, die ins Geschäft gekommen war, um einen Hut zu kaufen, in den höchsten Tönen von Ihren Fähigkeiten, Ihrer Diskretion und was weiß ich noch alles geschwärmt habe. Deswegen bin ich gleich hergekommen.«

»Schön, schön«, sagte Tuppence. »Wie war noch gleich die Adresse der jungen Frau?«

Der junge Mann gab sie ihr.

»Das wäre alles, denke ich«, sagte sie nachdenklich. »Das heißt … Ich gehe davon aus, dass Sie mit der jungen Dame verlobt sind?«

Mr St. Vincent lief puterrot an.

»Ja … nein … Das heißt, nicht so richtig. Ich habe noch nichts gesagt. Aber ich kann Ihnen versichern: Sobald ich sie wiedersehe, halte ich um ihre Hand an. Aber werde ich sie jemals wiedersehen?«

Tuppence legte den Notizblock beiseite.

»Wünschen Sie unseren speziellen Vierundzwanzigstunden-dienst?«, fragte sie in geschäftsmäßigem Ton.

»Was ist das?«

»Das Honorar ist doppelt so hoch, aber wir setzen unser gesamtes verfügbares Personal auf den Fall an. Mr St. Vincent: Wenn die Dame noch am Leben ist, werde ich Ihnen morgen um diese Zeit sagen können, wo sie sich aufhält.«

»Ach, das wäre wunderbar!«

»Wir arbeiten nur mit Fachleuten – und wir garantieren den Erfolg«, erklärte Tuppence trocken.

»Großartig, wirklich großartig. Sie müssen ausgezeichnete Mitarbeiter haben!«

»Ja, das haben wir. Übrigens, Mr St. Vincent, Sie haben mir die junge Dame noch nicht beschrieben.«

»Sie hat das wunderschönste Haar – wie pures Gold, aber eher dunkel … wie … wie das Abendrot, ganz genau, wie das Abendrot. Wissen Sie, bis vor kurzem habe ich so Dinge wie das Abendrot niemals zur Kenntnis genommen. Auch Poesie nicht, aber jetzt komme ich langsam darauf, dass da allerhand drinsteckt in der Poesie.«

»Rotes Haar«, notierte Tuppence sachlich. »Wie groß ist die Dame ungefähr?«

»O! Eher groß als klein, und sie hat hinreißende Augen, dunkelblau, glaube ich. Und so eine entschlossene Art – es verschlägt einem manchmal richtig den Atem.«

Tuppence schrieb noch ein paar Wörter nieder, klappte dann ihr Notizbuch zu und stand auf.

»Kommen Sie morgen um zwei Uhr wieder. Ich denke, dann werden wir Neuigkeiten für Sie haben. Auf Wiedersehen, Mr St. Vincent.«

Als Tommy zurückkam, war seine Frau gerade dabei, im Who’s who nachzuschlagen.

»Ich weiß alles«, erklärte sie kurz. »Lawrence St. Vincent ist der Neffe und Erbe des Earl of Cheriton. Wenn wir es richtig anfassen, ist unser Ruf in den höchsten Kreisen gesichert.«

Tommy las die Notizen seiner Frau aufmerksam durch.

»Was, meinst du, ist wirklich los mit dem Mädchen?«, fragte er.

»Ich glaube, ihr Herz befahl ihr zu fliehen, weil sie diesen jungen Mann zu sehr liebt.«

Tommy sah sie zweifelnd an.

»Ich weiß, das kommt in Büchern vor«, meinte er, »aber ich habe noch nie ein Mädchen getroffen, das das tatsächlich so gemacht hätte.«

»Nein? Du hast wohl recht. Aber Lawrence St. Vincent wird diese Hintertreppenromantik ohne weiteres schlucken. Er hat gerade lauter sentimentale Ideen im Kopf. Ich habe ihm übrigens Erfolg in vierundzwanzig Stunden garantiert – unser Spezialdienst.«

»Warum um alles in der Welt hast du das getan?«

»Es ist mir gerade so eingefallen. Ich fand, es klang sehr gut. Mach dir keine Sorgen. Überlass alles mir.«

Sie verließ den Raum und ließ Tommy höchst unzufrieden zurück. Er stand auf, seufzte, verfluchte Tuppence’ allzu lebhafte Phantasie und machte sich dann auf den Weg, um zu retten, was noch zu retten war.

Als Tommy um halb fünf Uhr müde und erschöpft zurückkehrte, ertappte er Tuppence gerade dabei, wie sie eine Schachtel mit Teegebäck aus ihrem Versteck hinter einem Aktenordner hervorholte.

»Du siehst abgespannt und vergrämt aus«, bemerkte sie. »Was hast du gemacht?«

»Ich habe alle Krankenhäuser nach dem Mädchen abgeklappert«, stöhnte Tommy.

»Habe ich dir nicht gesagt, du sollst das mir überlassen?«

»Du kannst doch dieses Mädchen nicht ganz allein, ohne Hilfe, bis morgen aufstöbern!«

»Und ob ich das kann. Und übrigens habe ich das schon.«

»Was? Wie meinst du das?«

»Ein sehr einfaches Problem, lieber Watson, wirklich sehr einfach.«

»Wo ist sie denn jetzt?«

Tuppence wies über ihre Schulter: »In meinem Büro nebenan.«

»Was macht sie da?«

Tuppence lachte: »Ein Kessel, ein Gaskocher und ein halbes Pfund Tee vor ihrer Nase können nur zu einem positiven Resultat führen.« Sie sah ihn an.

»Siehst du«, fuhr sie freundlich fort, »die Sache ist so: Bei Madame Violette kaufe ich meine Hüte. Und neulich habe ich unter ihren Mädchen eine gute alte Freundin aus meiner Krankenhauszeit wiedergetroffen. Sie hatte nach dem Krieg die Krankenpflege aufgegeben und ein Hutgeschäft eröffnet. Als das schiefging, nahm sie die Stelle bei Madame Violette an. Wir haben das ganze Spiel unter uns abgekartet. Sie sollte dem jungen St. Vincent zuerst die Vorzüge unserer Agentur gründlich einhämmern – und dann verschwinden. Man staune über die Tüchtigkeit von Blunts Brillanten Detektiven! Ausgezeichnete Reklame für uns … und für den jungen St. Vincent der letzte Anstoß, endlich um Janets Hand anzuhalten. Sie war schon ganz verzweifelt.«

»Da hört sich doch alles auf! Ich bin fassungslos! Etwas so Amoralisches ist mir noch nicht untergekommen! Du bringst diesen jungen Mann dazu, sich unstandesgemäß zu verheiraten?«

»Dummes Zeug!«, rief Tuppence. »Janet ist eine wunderbare Frau, und erstaunlicherweise ist sie tatsächlich bis über beide Ohren in diesen knieweichen Jüngling verliebt. Was seine Familie braucht, sieht man auf den ersten Blick: frisches Blut. Janet wird einen Mann aus ihm machen. Sie wird für ihn sorgen wie eine Mutter, seine Leidenschaft für Cocktails und Nachtclubs dämpfen und ihn dazu bringen, das solide, gesunde Leben eines Landjunkers zu führen. Komm, ich stelle dich vor.«

Tuppence öffnete die Tür zu ihrem Büro, und Tommy folgte ihr. Eine groß gewachsene Frau mit wundervollem kupferrotem Haar und einnehmenden Zügen stellte den dampfenden Kessel, den sie gerade in der Hand hielt, nieder und wandte sich den beiden mit einem Lächeln zu, das ihre regelmäßigen weißen Zähne sehen ließ.

»Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, Schwester Cowley – Pardon, Mrs Beresford. Ich dachte, Sie würden sicherlich gern eine Tasse Tee trinken. Wie oft haben Sie damals im Krankenhaus um drei Uhr früh für mich Tee gekocht!«

»Tommy«, sagte Tuppence, »das ist meine Freundin, Schwester Smith.«

»Smith, sagst du? Wie merkwürdig!« Tommy schüttelte die Hand der jungen Frau. »Wie? Ach … nichts weiter; eine kleine Monographie, die ich zu schreiben gedenke.«

»Nimm dich zusammen, Tommy«, mahnte Tuppence und schenkte ihm Tee ein.

»Trinken wir also alle zusammen auf den Erfolg der Internationalen Detektivagentur. Blunts Brillante Detektive! Mögen sie niemals versagen!«

Die rosa Perle

I

Was zum Teufel machst du da?«, fragte Tuppence, die beim Eintritt in das innere Heiligtum der Internationalen Detektivagentur (Slogan: Blunts Brillante Detektive) ihren Herrn und Meister in einem Meer von Büchern und auf dem Fußboden liegend vorfand.

Tommy rappelte sich mühsam auf.

»Ich wollte diese Bücher aufs oberste Regal stellen«, klagte er, »aber der verdammte Stuhl ist zusammengebrochen.«

»Was sind das denn für Bücher?«, fragte Tuppence und nahm einen Band zur Hand. »Der Hund von Baskerville. Das würde ich gern mal wieder lesen.«

»Verstehst du, was ich vorhabe?« Tommy staubte sorgfältig seinen Anzug ab. »Verachtet mir die Meister nicht! Weißt du, Tuppence, wir sind mehr oder weniger Amateure in diesem Geschäft. Freilich, Amateure in gewissem Sinn werden wir immer sein – aber es kann nicht schaden, wenn wir uns das Handwerk aneignen. Das sind Detektivromane, die von den größten Meistern dieser Kunst geschrieben wurden. Ich habe die Absicht, verschiedene Stile auszuprobieren und die Resultate zu vergleichen.«

»Hm, hm«, sagte Tuppence. »Ich frage mich oft, wie sich diese Detektive im wirklichen Leben geschlagen hätten.« Sie nahm einen anderen Band auf. »Du wirst es nicht leicht haben, einen Thorndyke zu imitieren. Du hast keine medizinischen Kenntnisse und noch weniger juristische. Und die Naturwissenschaften sind, soviel ich weiß, auch nicht deine stärkste Seite.«

»Da magst du recht haben«, gab Tommy zu. »Aber jedenfalls habe ich einen sehr guten Fotoapparat gekauft. Ich werde Fußspuren aufnehmen und Negative vergrößern und so weiter. Nun, mon amie, streng deine kleinen grauen Zellen an – was ruft dieser Anblick in dir wach?«

Er wies auf das unterste Regalfach, in dem ein futuristisch anmutender Morgenrock, ein türkischer Pantoffel und eine Geige lagen.

»Unverkennbar, mein lieber Watson«, sagte Tuppence.

»Richtig«, meinte Tommy, »Sherlock Holmes.«

Er nahm die Geige und zog den Bogen über die Saiten, sodass Tuppence sich verzweifelt die Ohren zuhielt.

In diesem Augenblick erklang die Glocke auf dem Schreibtisch und zeigte an, dass ein Klient im Vorzimmer war, wo er von Albert, dem Bürojungen, in ein Gespräch verwickelt wurde.

Tommy legte die Geige hastig in den Schrank zurück und bugsierte die Bücher hinter den Schreibtisch.

»Nicht dass wir es eilig hätten«, bemerkte er. »Albert wird die Geschichte von meinem dringenden Telefonat mit Scotland Yard auftischen. Geh in dein Büro und klappere auf der Schreibmaschine! Das gibt dem ganzen Betrieb die richtige Geschäftsatmosphäre. Nein, warte; ich habe eine bessere Idee: Ich werde dir etwas diktieren. Komm, schauen wir uns das Opfer erst einmal an, bevor wir Albert hereinrufen.«

Sie spähten durch das geschickt getarnte Guckloch, durch das man das Vorzimmer überblicken konnte.

Die Klientin war eine junge Frau ungefähr in Tuppence’ Alter, groß und dunkelhaarig, mit eher angestrengten Zügen und abfälligem Blick.

»Kleider stillos und auffällig«, bemerkte Tuppence. »Lass sie hereinkommen, Tommy.«

Einen Augenblick später reichte der berühmte Mr Blunt der jungen Frau die Hand zum Gruß, während Tuppence mit sittsam gesenkten Augen, Bleistift und Notizblock in der Hand, bescheiden dasaß.

»Meine Privatsekretärin, Miss Robinson«, stellte Tommy sie mit einer Handbewegung vor. »Sie können ganz offen vor ihr sprechen.« Dann lehnte er sich einen Augenblick lang zurück, schloss halb die Augen und bemerkte in müdem Ton: »Der Omnibus war um diese Tageszeit wohl sehr überfüllt?«

»Ich bin im Taxi gekommen«, sagte die Frau.

»Oh!«, sagte Tommy enttäuscht. Sein Blick ruhte vorwurfsvoll auf einer blauen Omnibusfahrkarte, die aus ihrem Handschuh hervorlugte. Die Frau folgte seinem Blick; sie lächelte und zog das Billett heraus.

»Sie meinen die Fahrkarte? Ich habe sie auf dem Gehsteig aufgelesen. Unser Nachbarsjunge sammelt sie.«

Tuppence hüstelte, und Tommy warf ihr einen vernichtenden Blick zu.

»Nun, zur Sache«, sagte er energisch. »Sie benötigen unsere Dienste, Miss …?«

»Kingston Bruce ist mein Name«, sagte die Frau. »Wir leben in Wimbledon. Gestern Abend hat eine Dame, die derzeit bei uns zu Gast ist, eine wertvolle rosa Perle verloren. Mr St. Vincent, der gestern bei uns zur Abendgesellschaft war, erwähnte Ihre Agentur. Nun hat mich meine Mutter heute Morgen beauftragt, mich zu erkundigen, ob Sie die Sache übernehmen möchten.«

Die junge Frau sprach mürrisch, fast feindselig. Ihre Mutter und sie waren in dieser Angelegenheit offensichtlich nicht einer Meinung gewesen. Sie war gegen ihren Willen gekommen.

»Verstehe«, sagte Tommy ein wenig verdutzt. »Und Sie haben die Polizei nicht hinzugezogen?«

»Nein. Es wäre doch wirklich albern, die Polizei zu rufen und dann festzustellen, dass die dumme Perle unter den Kamin gerollt ist.«

»Oh, dann kann es also sein, dass sie einfach nur verloren gegangen ist?«

Miss Kingston Bruce zuckte die Schultern. »Die Leute machen so viel Aufhebens um nichts und wieder nichts«, murmelte sie.

Tommy räusperte sich. »Natürlich«, sagte er zögernd, »bin ich zurzeit sehr beschäftigt …«

»Ich verstehe vollkommen …« Die Frau erhob sich. Tuppence bemerkte einen Schimmer von Genugtuung in ihren Augen.

»… nichtsdestoweniger«, fuhr Tommy fort, »will ich mir die Zeit nehmen und einen Abstecher nach Wimbledon machen. Können Sie mir die Adresse nennen?«

»The Laurels, Edgeworth Road.«

»Notieren Sie bitte, Miss Robinson!«

Miss Kingston Bruce zögerte einen Augenblick und sagte dann unwirsch: »Wir erwarten Sie also. Auf Wiedersehen.«

»Komische Frau«, bemerkte Tommy. »Ich bin nicht recht klug aus ihr geworden.«

»Ich frage mich, ob sie die Perle nicht selbst gestohlen hat. Komm, Tommy, wir wollen die Bücher wegräumen und hinfahren. Übrigens – welche Rolle willst du spielen? Immer noch Sherlock Holmes?«

»Ich glaube, dafür brauche ich mehr Übung. Die Geschichte mit der Omnibusfahrkarte war ein Reinfall, stimmt’s?«

»Das war es«, meinte Tuppence. »An deiner Stelle würde ich mit dieser Frau vorsichtig sein. Sie hat einen messerscharfen Verstand. Außerdem hat sie Kummer, die Arme.«

»Du weißt wahrscheinlich schon alles über sie«, sagte Tommy sarkastisch. »Alles an der Form ihrer Nase abgelesen!«

»Ich will dir sagen, was wir meiner Ansicht nach in The Laurels vorfinden werden«, entgegnete Tuppence ungerührt. »Ein Haus voller Snobs, ängstlich bemüht, in den besten Kreisen zu verkehren; der Vater – wenn es überhaupt einen Vater gibt – ist sicher Offizier gewesen. Die Tochter fügt sich dieser Lebensart und verachtet sich deswegen selbst.«

Tommy warf einen letzten Blick auf die Bücher, die nun in Reih und Glied auf dem Regalbrett standen, und sagte nachdenklich: »Ich glaube, heute bin ich Thorndyke.«

»Dabei scheint der Fall mit Gerichtsmedizin nicht viel zu tun zu haben.«

»Vielleicht nicht. Aber ich habe solche Lust, meine neue Kamera einzusetzen! Sie hat angeblich die großartigste Linse, die man sich denken kann.«

»Ich kenne diese Apparate! Bis man endlich die Blende eingestellt und die Belichtung berechnet hat, dabei die Libelle nicht aus den Augen lassend, ist im Gehirn Blutleere entstanden, und man sehnt sich nach der simplen alten Box zurück.«

»Nur Menschen ohne Ehrgeiz geben sich mit der simplen alten Box zufrieden.«

»Ich wette, ich mache bessere Fotos damit als du!«

Tommy überhörte die Herausforderung.

»Ich sollte einen Pfeifenputzer haben wie Thorndyke. Weißt du, wo man so etwas kaufen kann?«

»Wie wäre es mit dem Patentkorkenzieher, den du von Tante Araminta zu Weihnachten bekommen hast?«, schlug Tuppence vor.

»Gute Idee. Auf den ersten Blick hielt ich ihn für eine Art Höllenmaschine. Ein komisches Geschenk von einer strengen Abstinenzlerin.«

»Ich«, sagte Tuppence, »werde heute Polton darstellen.«

Tommy lächelte spöttisch.

»Ausgerechnet Polton! Du wirst kaum in seine Fußstapfen treten können.«

»Und wie ich das kann. Ich kann mir die Hände reiben, wenn ich zufrieden bin. Das genügt für den Anfang. Und ich erwarte, dass du von allen verdächtigen Fußspuren Gipsabdrücke anfertigst – oder nicht?«

Darauf wusste Tommy nichts mehr zu erwidern. Er steckte den Korkenzieher ein, sie holten den Wagen aus der Garage und machten sich auf den Weg nach Wimbledon.

The Laurels war ein großes Haus mit reichlich Giebeln und Türmchen; es hatte erst vor kurzem einen frischen Anstrich bekommen und war von ordentlichen Blumenbeeten mit leuchtend roten Geranien umgeben.

Ein stattlicher Mann mit sauber gestutztem weißem Schnurrbart und übertrieben martialischem Auftreten öffnete die Tür, bevor Tommy Zeit hatte zum Klingeln.

»Ich habe Sie schon erwartet!«, verkündete er mit Nachdruck. »Mr Blunt, nicht wahr? Ich bin Colonel Kingston Bruce. Darf ich Sie in mein Arbeitszimmer bitten?«

Er führte sie in einen kleinen Raum im rückwärtigen Teil des Hauses.

»Der junge St. Vincent hat mir von Ihrer Agentur vorgeschwärmt. Ihre Anzeige war mir selbst auch schon aufgefallen. Dieser garantierte Vierundzwanzigstundendienst, den Sie anbieten – ganz hervorragend! Das ist genau das, was ich brauche.«

Im Stillen die Leichtfertigkeit seiner Frau verfluchend, die dieses geniale Detail erfunden hatte, sagte Tommy gelassen: »Gewiss, Colonel.«

»Die Sache ist wirklich peinlich, äußerst peinlich.«

»Würden Sie so freundlich sein, mir erst einmal genau zu berichten, was eigentlich geschehen ist?« Tommys Ton war ein bisschen ungeduldig.

»Natürlich, sofort. Eine alte, sehr liebe Freundin ist zurzeit bei uns zu Gast – Lady Laura Barton, die Tochter des verstorbenen Earl of Carrowway. Der jetzige Earl, ihr Bruder, hat neulich im Oberhaus eine packende Rede gehalten. Wie gesagt – sie ist eine alte, liebe Freundin von uns. Die Hamilton-Betts – amerikanische Freunde, die erst kürzlich herübergekommen sind – wollten um jeden Preis ihre Bekanntschaft machen. ›Nichts einfacher als das‹, sagte ich, ›sie ist gerade bei uns zu Gast. Kommen Sie doch auch übers Wochenende.‹ Sie wissen ja, was für diese Amerikaner ein Adelstitel bedeutet!«

»So wie auch für andere Leute manchmal, nicht wahr, Colonel Kingston Bruce?«

»Ach, nur allzu wahr, mein Lieber. Nichts ist mir so verhasst wie ein Snob. Also, wie gesagt, die Betts sind übers Wochenende auf Besuch gekommen. Gestern Abend, beim Bridge, ging plötzlich der Verschluss der Halskette von Mrs Hamilton-Betts entzwei, also nahm sie den Schmuck ab und legte ihn auf einen Beistelltisch in der Absicht, ihn später mit hinauf ins Zimmer zu nehmen. Das allerdings vergaß sie. Sie müssen wissen, Mr Blunt, dass der Anhänger aus zwei Diamantflügelchen bestand, an denen eine große rosa Perle hing. Heute früh fand man die Kette dort, wo Mrs Betts sie hatte liegen lassen, aber die Perle – eine Perle von kolossalem Wert – war weg. Abgerissen.«

»Wer hat die Kette gefunden?«

»Das Stubenmädchen – Gladys Hill.«

»Ist sie verdächtig?«

»Sie ist seit einigen Jahren bei uns und hat niemals Anlass zu Beschwerden gegeben. Aber man weiß ja nie …«

»Gewiss. Erzählen Sie mir bitte von Ihrem Personal und auch, wen Sie gestern zu Tisch hatten.«

»Da ist zuerst einmal die Köchin, sie ist zwar erst seit zwei Monaten bei uns, aber sie hat nie im Salon zu tun; dasselbe gilt für das Küchenmädchen. Dann das Hausmädchen, Alice Cummings. Auch sie ist schon seit ein paar Jahren bei uns. Und Lady Lauras Zofe, natürlich. Sie ist Französin.«

Der Ton, in dem er diese Auskunft gab, war vielsagend, trotzdem schien Tommy von der Nationalität der Zofe nicht sehr beeindruckt. Er sagte: »Gewiss doch. Und die Abendgesellschaft?«

»Mr und Mrs Betts, wir drei, meine Frau, meine Tochter und ich, und Lady Laura. Der junge St. Vincent aß mit uns zu Abend, und nach dem Essen kam Mr Rennie auf einen Sprung.«

»Wer ist Mr Rennie?«

»Ein überaus unangenehmer Bursche, überzeugter Sozialist. Sieht gut aus, natürlich, und kann vordergründig sehr überzeugend sein. Aber ich gestehe Ihnen offen – ich traue dem Mann nicht über den Weg. Ein gefährlicher Bursche.«

Tommy meinte trocken: »Es ist also Mr Rennie, den Sie verdächtigen?«

»Richtig, Mr Blunt. Bei den Ansichten kann man keine Prinzipien haben. Nichts einfacher für ihn, als die Perle unauffällig an sich zu nehmen, während wir in unser Spiel vertieft waren. Es war zeitweise sehr spannend: mein gedoppeltes Sans Atout zum Beispiel … und auch der peinliche Wortwechsel, als meine Frau ungeschickterweise nicht Farbe bekannt hatte.«

»Ja, ja, gewiss. Eine Sache interessiert mich noch: Wie steht eigentlich Mrs Betts zu dieser Angelegenheit?«

»Sie wollte, dass ich die Polizei rufe«, sagte Colonel Kingston Bruce widerstrebend. »Natürlich erst, nachdem wir alles abgesucht hatten; die Perle konnte ja schließlich von selbst herausgefallen sein.«

»Aber Sie haben ihr davon abgeraten?«

»Ich war der Idee sehr abgeneigt, die Sache an die große