Die CEO-Auswahl - Jürgen Nebel - E-Book

Die CEO-Auswahl E-Book

Jürgen Nebel

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Beschreibung

Bei der Besetzung von Positionen im oberen Management gelten ganz besondere Regeln. In ihrem neuen Werk beschreiben Jürgen und Nane Nebel, wie es weiter-geht, wenn die erste Hürde geschafft ist und der Auswahlprozess beginnt: - Vom Background-Check über Business-Case-Präsentation und Kreuzverhör bis zum Abendessen mit Gesellschafter und Ehepartner: Womit muss man als CEO-Kandidat rechnen und wie kann man sich darauf vorbereiten? - Vom Vorstellungsgespräch bis zur Vertragsverhandlung: Was sind die rechtlichen Risiken? - Wie verhandelt man, um das Beste für sich herauszuholen? Basierend auf 15-jähriger praktischer Beratung von C-Level-Managern gewährt das Autorenduo den Blick hinter die Kulissen.

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Jürgen Nebel, Nane Nebel

Die CEO-Auswahl

Die drei Hürden zur neuen Verantwortungund wie Sie diese meistern

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Bei der Besetzung von Positionen im oberen Management gelten ganz besondere Regeln. In ihrem neuen Werk beschreiben Jürgen und Nane Nebel, wie es weiter-geht, wenn die erste Hürde geschafft ist und der Auswahlprozess beginnt: - Vom Background-Check über Business-Case-Präsentation und Kreuzverhör bis zum Abendessen mit Gesellschafter und Ehepartner: Womit muss man als CEO-Kandidat rechnen und wie kann man sich darauf vorbereiten? - Vom Vorstellungsgespräch bis zur Vertragsverhandlung: Was sind die rechtlichen Risiken? - Wie verhandelt man, um das Beste für sich herauszuholen? Basierend auf 15-jähriger praktischer Beratung von C-Level-Managern gewährt das Autorenduo den Blick hinter die Kulissen.

Vita

Dr. Jürgen Nebel war unter anderem Geschäftsführer eines Konzerntochterunternehmens und Headhunter für ein international führendes Executive-Search-Unternehmen. Er ist heute als Berater, Coach und Rechtsanwalt auf die Zielgruppe der oberen Führungskräfte spezialisiert.

Nane Nebel ist Karriereberaterin und -coach mit umfassender Praxiserfahrung als Inhouse-Consultant eines DAX-Konzerns und in verschiedenen operativen Führungsfunktionen. Sie unterstützt Führungskräfte beim Newplacement. Zudem schreibt sie Blogbeiträge zu Karriere und Bewerbung von Führungskräften als Xing-Branchen-Insider.

Inhalt

Kapitel 1CEO wider Willen: Praxisfall 1

Der Drehtüreffekt im CEO-Auswahlprozess: Warum Eder kaum zu Gesprächen eingeladen wurde

Der Dreh im CV – und im Kopf – brachte die erhoffte Wende

Kapitel 2. KapitelDie CEO-Auswahl – ein von Machtasymmetrie geprägter Prozess?

Pol 1: Das Unternehmen als Moderator des CEO-Auswahlprozesses

Pol 2: Das autokratische Unternehmen

Machtasymmetrie überwinden

Teil 1Die Vorauswahl: Die Auswählenden und die Instrumente

Kapitel 3. KapitelDer CV: Dreh- und Angelpunkt der Vorauswahl

Zunehmende Verunsicherung durch widersprüchliche Expertenmeinungen

Wie lesen Sie vorgelegte CVs und in welcher Zeit?

Der ärgerlichste Fehler: Ihr CV passt, wird aber nicht richtig gelesen oder verstanden

Die erste Seite des CVs: Beispiele für die kurzen Aufmerksamkeitsspannen der Entscheider

Der Confidential Report der Personalberater: Standardisierter CV mit Zusätzen

Kapitel 4. KapitelJob Descriptions auf CEO-Niveau: Nur ein Hauch von Realitätsbezug?

Kapitel 5. KapitelBedeutungslose Klassiker der Vor- und Endauswahl? – Zeugnisse, mündliche und schriftliche Referenzen

Abschlusszeugnisse

Selbstformulierte Zeugnisse

Verbot negativer Beurteilungen

Zeugnisnoten versus Erfolge

Formelhafte Zeugnissprache versus Authentizität und Aussagekraft

Das letzte Zwischenzeugnis

Mündliche Referenzen

Schriftliche Referenzen

Kapitel 6. KapitelInstrumente der Vorauswahl – genutzt von Menschen und Maschinen

Mythos CEO-Auswahl: Praxis ohne Empirie?

Vom Umgang mit Headhuntern: Auftrumpfen oder einknicken?

Self Assessment

Job Description

Assessment-Center und psychologische Eignungs- und Persönlichkeitstests

Selbstauskunft: Vom Auftauchen tückischer Begriffe und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Vorstellungsgespräch mit einem Roboter?

Teil 2Die persönlichen Gespräche und Vorverhandlungen mit den Unternehmensvertretern – genannt »Bewerbungsgespräche«

Kapitel 7. KapitelIhr Anspruch an die CEO-Auswahl

Kapitel 8. KapitelDer Höhepunkt des CEO-Auswahlprozesses: das Erstgespräch

Showdown und Auftakt oder Showdown und Schlusspunkt

Die gesprächsführenden und auswählenden Personen: Wer entscheidet am Ende?

Der äußere Rahmen indiziert die Wertschätzung

Kann ein Laie virtuos Gedichte aufsagen? – Der 90-Sekunden-Spot

Der Bewerber fragt und fragt und fragt und macht sich Notizen: Ein Gedankenspiel

Gut überlegte Fragen – für Ihre bessere Unternehmensauswahl

Nehmen Sie offen Schreibpapier und einen Stift zur Hand.

Machen Sie sich eine Liste zu stellender Fragen.

Welche Fragen empfehlen sich?

Das Vorstellungsgespräch entspricht einer Vertragsanbahnung – oder sollte es zumindest

Das Muster hinter den Fragerunden – Versuch einer Komplexitätsreduktion

Wahrheitsliebe und die Frage: »Warum wollen Sie Ihr derzeitiges Unternehmen verlassen?«

Kapitel 9. KapitelVom Umgang mit Wahrheit und Vertrauen – auf beiden Seiten

Echte Lügen, Betrug, Urkundenfälschung und Missbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen

Lebenslauf-Backgroundcheck und DSGVO im Rahmen des Auswahlverfahrens

Unautorisiert eingeholte Referenzen

Dieselben Menschen auf Unternehmens- und Kandidatenseite

Kapitel 10. KapitelDie Folgegespräche: Was jetzt nicht zur Sprache kommt …

Ihr Informationsbedürfnis sollte unstillbar sein

Die wichtigste Informationsquelle: die Gespräche

Hartnäckigkeit im Vorstellungsgespräch: Praxisfall 2

Teil 3Die letzten Etappen zum Vertragsschluss

Kapitel 11. KapitelKalkül und zeitliches Taktieren in der Phase der Gespräche mit mehreren Unternehmen

Nach den Gesprächen: Kontakthalten und Gelassenheit ausstrahlen

Fünf Bälle jonglieren oder die Kunst, gleichzeitig mehrere Alternativen aufzubauen

Vertrauen im CEO-Auswahlverfahren: Konzentration auf ein Unternehmen?

Unterschreiben, aber bis Vertragsantritt und darüber hinaus weitersuchen?

Kapitel 12. KapitelIhre Auswahl des Unternehmens

Risiken der falschen Auswahl

Entscheidungsmatrix

Feudaler Glanz und Elend in der deutschen Provinz: Praxisfall 3

Kapitel 13. KapitelDer gesteckte Rahmen für die Vertragsverhandlung

Das aufschlussreiche Procedere bis zur Vertragsunterzeichnung

Vertragsgestaltungsrecht

Ausgewogene und einseitig-restriktive Verträge

Vertragshistorie

Kapitel 14. KapitelVertragsverhandlungen: Die wichtigsten Vertragsklauseln

Festgehalt

Argumentationslinie beziehungsweise einzelnes Argument

Weitere Argumente für die Gehaltshöhe, die sich im Vertrag niederschlagen können

Empfehlenswerte Vertragsklausel

Variable Vergütungsbestandteile

Argumentationslinie beziehungsweise einzelnes Argument

Funktionsbezeichnung

Mitglied der Geschäftsleitung ohne Organschaft

Berichtslinie

Dienstsitz und Wohnort

Vertretungsmacht

Argumentationslinie beziehungsweise einzelnes Argument

D&O-Versicherung – auch für Prokuristen

Probezeit

Argumentationslinie beziehungsweise einzelnes Argument

Vertragsdauer

Kündigungsfristen

Argumentationslinie beziehungsweise einzelnes Argument

Vertragslaufzeiten bei Geschäftsführern und Vorständen

Argumentationslinie beziehungsweise einzelnes Argument

Urlaub

Firmenwagen

Argumentationslinie beziehungsweise einzelnes Argument

Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Unfallversicherung

Argumentationslinie beziehungsweise einzelnes Argument

Betriebliche Altersversorgung

Besitzstandswahrung

Argumentationslinie beziehungsweise einzelnes Argument

Change-of-Control-Klausel

Geheimhaltung, Arbeitnehmererfindungen, Wettbewerbsverbot, Schlussbestimmungen

Kapitel 15. KapitelEntscheidende letzte Gedanken

Sie wollen Gestaltungsfreiheit?

Welcher Führungstyp sind Sie?

Die sich rasant verändernde Realität von Wirtschaftsunternehmen, Gesellschaft und Staaten und ihre Bedeutung für Ihre Entscheidung

Literatur- und Quellenverzeichnis

Register

Unseren früheren, gegenwärtigen und künftigen Klienten,mit denen wir reiche Erfahrungenim Ablauf des C-Level-Auswahlverfahrens gesammelt habenund dabei immer wirksamere Methodenfür eine stärker selbst gesteuerteund selbstbestimmte Karriere entwickeln konnten.

Zur besseren Lesbarkeit werden in diesem Buch personenbezogene Bezeichnungen, die sich zugleich auf Frauen und Männer beziehen, nur in der männlichen Form angeführt, also etwa Leser statt Lesende oder Leserinnen und Leser oder LeserInnen oder Leser*innen oder Leser:innen.

Uns hat es das Schreiben erleichtert und Ihnen wird es das Lesen vereinfachen.

Das »Autorinnen- und Autoren-Duo« hofft daher auf Ihr Verständnis und bittet, den Gleichheitsgrundsatz bezüglich der Geschlechtergleichrangigkeit als gewahrt zu betrachten – ganz mit Wittgenstein, der erkannte:

»Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.«

Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, PU 43

Kapitel 1CEO wider Willen: Praxisfall 1

Christian Eder1, Familienvater mit zwei Kindern, hatte gerade seinen 47. Geburtstag gefeiert, da kam – mal wieder – der Anruf eines Headhunters. Das war der Beginn einer Achterbahnfahrt, wie sie auf gewöhnlichen Volksfesten nicht geboten wird. Warum nur hatte er sich darauf eingelassen?

Doch der Reihe nach. Nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre mit Prädikat an einer anerkannten deutschen Universität hatte Eder den Grundstein für seine Karriere gelegt. In seinen ersten fünf Berufsjahren hatte er aufeinander aufbauende kleinere kaufmännische Leitungsfunktionen in zwei mittelständischen Unternehmen inne. Danach, vor zwölf Jahren, war er, wie es später im Zeugnis hieß, in die deutsche Landesgesellschaft des internationalen Konzerns als Leiter Finanz- und Rechnungswesen eingetreten und schon nach einem Jahr zum kaufmännischen Geschäftsführer und CFO befördert worden. Mit 35 Jahren mitverantwortlich für gut 50 Millionen Euro Umsatz zu sein, war eine respektable Verantwortung, und Eder war schon in jungen Jahren finanziell komfortabel ausgestattet.

Die folgenden Jahre waren spannend: permanente Veränderungen durch kleinere Unternehmenszukäufe, SAP-Ausweitung, eine Werkschließung, landesspezifische Expansion in ein neues Geschäftsfeld – weltweite Finanzkrise inklusive! Aber Eder thronte nun als kaufmännischer Geschäftsführer schon über ein Jahrzehnt in seinem Organigramm-Kästchen – rein optisch ohne die geringste Veränderung – oben an der Spitze neben dem vorsitzenden Geschäftsführer, dem CEO, scheinbar unverrückbar, wie in Marmor gemeißelt.

Zu dieser Zeit kam der besagte Anruf des Headhunters, der gut informiert war und gleich zur Sache kam: Er habe einen Suchauftrag, der seiner Karriere wieder Schwung geben könne. Zu besetzen sei die Organfunktion des kaufmännischen Geschäftsführers, und nach präzisen Recherchen sei man auch auf ihn gestoßen: Seitenwechsel in derselben Branche zur Zuliefererindustrie, eigentümergeführter Mittelstand, das Unternehmen 35 Jahre am Markt, weitere Internationalisierung geplant und so weiter. Gesucht werde der strategische CFO, der gemeinsam mit dem CEO das Wachstum des Unternehmens vorantreibe, nicht der Number Cruncher oder der tumbe Zahlenknecht. Eder mochte diesen Slang nicht, aber der Inhalt gefiel ihm. Er zögerte, denn die genannte Umsatz- und Mitarbeiterverantwortung wäre nur ein Sidestep. Innerlich musste er schmunzeln, da er gerade selbst im Managerjargon gedacht hatte.

Der Headhunter bemerkte die kurze Funkstille und stieß nach: Nach über zehn Jahren Stagnation in ein und derselben Position könne seiner Karriere ein Wechsel und damit frischer Wind nur guttun. Er könne ihm glauben, der One-Company-Man, wie er einer sei, hätte es am Markt zunehmend schwerer. Und jetzt, da er auf die 50 zugehe, sei das eine Chance, die er sich zumindest näher anschauen sollte. Hinzu komme, dass für ihn als Manager des großen Mittelstands mit Konzernstruktur als nächste Station ein agiles Familienunternehmen, also der »echte Mittelstand«, nur von Vorteil sein könne.

CEO-Tipp

Viele Headhunter verstehen sich als »ehrliche Makler«. Vorsicht ist jedoch bei denjenigen geboten, die mit pauschalen Behauptungen die Marktgängigkeit von Kandidaten schlechtreden und sie unter Druck setzen, um sie aus Eigeninteresse zu einem Abschluss zu verlocken. Gleiches gilt für Unternehmensvertreter, die gezielt versuchen, Sie, Ihre Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität gezielt herabzusetzen.

Kurzum: Eder biss an. Er sprach mit dem Senior der Eigentümerfamilie, die den renommierten Executive-Search-Berater beauftragt hatte, sowie mit dessen Fremdgeschäftsführer, dem CEO. Er akzeptierte die nur minimal besseren Konditionen und kündigte kurz vor Quartalsende. »Reisende soll man nicht aufhalten«, sagte noch der Holding-Vorstand seines vieljährigen Arbeitgebers, bedankte sich artig und ließ ihm ein erstklassiges Zeugnis ausstellen.

Der Finanzchef und der Group-HR-Chef waren sicher nicht unglücklich darüber, dass Eder ohne Abfindung seine Karriere andernorts weiterentwickeln wollte, denn nach gut zehn Jahren war er eigentlich überfällig. Erst vor knapp einem Jahr hatte Eder widerwillig zusammen mit seinem eigenen Personalchef das vom Group-HR-Chef weltweit favorisierte Ampelsystem für Mitarbeiter und Führungskräfte auch für die deutsche Landesgesellschaft einführen müssen: Drei Jahre nach Einstellung sprang nun im HR-Controlling-Sheet die grüne Markierung auf gelb, nach fünf Jahren auf hellrot und nach sieben Jahren leuchtete ein dunkelrotes Signal. Karriereaussichten irgendwo in der Gruppe waren für Eder also gleich Null. Erst vor zwei Jahren hatte seine direkte Berichtslinie gewechselt. Von einem M-DAX-Konzern war aus der zweiten Reihe der neue Group-CFO gekommen, der mit seinen 44 Lebensjahren und einem Fünf-Jahres-Vertrag den Sprung auf die Vorstandsebene geschafft hatte. Und ein Wechsel in die Gesamtverantwortung kam für Eder nicht infrage: Eine Business-Unit mit P&L-Verantwortung zu leiten oder allein ein kleines Tochterunternehmen, das war nichts für ihn. Dazu liebte er zu sehr seine Zahlen, sein Fach und seine, wie er meinte, Berufung, auch und gerade weil er sich zusätzlich als Stratege sah. Genau mit dieser Begründung hatte er auch schon einmal dankend dem Group-HR-Chef geantwortet, als der ihn für eine vakante Business-Unit-Leitung ins Spiel bringen wollte.

Eder konnte und sollte durch die ihm eingeräumte verkürzte Kündigungsfrist früher seine neue Aufgabe übernehmen. In dem noch schnell vorgeschalteten einwöchigen Familienurlaub fühlte er sich im Rückblick beruflich weiterhin oben auf und war positiv gespannt auf das Neue, was ihn erwarten würde. Noch ahnte er nicht, dass er sich beruflich für mehrere Jahre zum letzten Mal in geordneten Bahnen auf dieser Höhe bewegen würde. Denn kaum lag der Kurzurlaub hinter ihm und er war rechtzeitig zum Start eingetragener Geschäftsführer, da rauschte er auch schon im 80-Grad-Winkel zusammen mit dem neuen Unternehmen bergab.

Dass es solche Fallhöhen tatsächlich gab, wusste er zwar, aber nicht, wie sich der Fall anfühlt. Nach seiner Verantwortungsübernahme für das Finanzressort der kleinen Unternehmensgruppe wurde ihm kurz etwas flau, denn die Liquidität und Kreditlinie waren kaum ein Fünftel dessen, was er aus seiner früheren Landesgesellschaft gewohnt war. Als existenzbedrohend erkannte er dann aber die Tatsache, dass vor einiger Zeit der größte Rahmenvertrag gekündigt worden war. Darüber informierte ihn der CEO erst jetzt. Im Verlaufe des CFO-Auswahlprozesses war dieser Großkundenverlust mit keinem Wort erwähnt worden, weder von dem wortgewandten Headhunter noch von Eders neuem Geschäftsführerkollegen und schon gar nicht vom honorigen Senior der Familie, bei dem die ehrgeizigen Expansionspläne für die kleine Unternehmensgruppe im Mittelpunkt des mehrstündigen Gesprächs mit anschließendem Essen im Golfhotel standen. Und natürlich noch, wann der Junior so weit sein würde, um in das Unternehmen einzusteigen, die allgemeinen Branchen- und Konjunkturaussichten und so weiter.

Der nächste Schlag folgte anderntags: Der sicher geglaubte große Ersatzauftrag, den der CEO zusammen mit dem Vertriebschef verhandelt hatte, war auf den letzten Metern gescheitert. Einen Plan B gab es nicht. Das Unternehmen befand sich im freien Fall.

CEO-Tipp

Ein alternativloser Wechsel zu einem Unternehmen birgt Gefahren. Nur mit einem Unternehmen Gespräche zu führen, ist riskant. Das machen Unternehmen in der Regel auch nicht: Sie verschaffen sich ein genaues Bild von vielen Kandidaten. Daher sollte der C-Level-Manager beim Wechsel des Unternehmens nicht nur eine einzige ernsthafte Option haben und diese dann ohne Abwägung und Vergleich mit anderen Möglichkeiten akzeptieren. Gehen Sie, ähnlich wie die Unternehmen, Ihre Suche breit an.

Obendrein bekam Eders Mitgeschäftsführer und CEO einen Schlaganfall und würde für Monate ausfallen, wenn nicht gar dauerhaft berufsunfähig sein. Plötzlich war Eder, was er nie sein wollte: gesamtverantwortlicher Geschäftsführer! Vom Senior der Familie, dem 75-jährigen Patriarchen der kleinen Unternehmensgruppe, war keinerlei Hilfe zu erwarten, finanzielle schon gar nicht. Er kämpfte zusammen mit seinem ältesten Sohn an der Hauptfront der Gruppe mit ganz anderen Problemen. Zwei Wochen später stellte Eder als alleiniger Geschäftsführer den Insolvenzantrag, was seine Pflicht war.

Nach zwölf Jahren Finanzverantwortung im Konzernunternehmen genügten die ersten sechs Wochen seiner Verantwortung in einem insgesamt ähnlich großen Mittelstandsunternehmen und Christian Eder stand vor den Scherben seiner Karriere. Denn ein Zurück gab es natürlich nicht und ein Woandershin ebenso wenig. Wie auch? Positionen wie die seine stehen nicht in der Zeitung, und die Headhunter rufen nicht monatlich an, schon gar nicht mit der passenden Position im Angebot. Und vor allem: Nach dieser Pleite konnte er sich doch nirgendwo mehr sehen lassen.

Ihm schien nichts übrig zu bleiben, als es dem überlebenden Frosch in Aesops Fabel »Die Frösche in der Milch« gleichzutun und heftig um sein und des Unternehmens Überleben zu strampeln. Butter unter die Füße zu bekommen, das war sein Ziel. Und es gelang ihm. Nach 30 bewegten Monaten wollte die Eigentümerfamilie, inzwischen vertreten durch den auch schon fast 50-jährigen Junior, das Unternehmen abstoßen. Sie war heilfroh, dass Eder die kleine Gruppe nicht einfach hatte Pleite gehen lassen, sondern sie in einem unglaublichen Kraftakt gerettet und von sich aus schon nach einem Käufer gesucht hatte, denn eine Rückgewinnung der Wettbewerbsfähigkeit bei den geringen Skaleneffekten war frühestens mittelfristig vorstellbar. Einen strategischen Investor, eine Holding mit Sitz in Österreich, hatte Eder schon in einem längeren Prozess als einzig ernsthaften Kaufinteressenten aufgespürt. Dieser kaufte tatsächlich das Unternehmen – und kaum, dass die Unterschrift unter dem Vertrag trocken war, kürzten die neuen Herren der kleinen Unternehmensgruppe per Änderungskündigung das Gehalt von Eder um 20 Prozent.

Eder akzeptierte das nicht. Er schluckte zähneknirschend statt eines Zigtausend Euro niedrigeren Gehalts eine nunmehr kürzere Kündigungsfrist. Wohlwissend, was bald geschehen würde: Kündigung mit kürzerer Restlaufzeit zu den alten Konditionen.

Der Drehtüreffekt im CEO-Auswahlprozess: Warum Eder kaum zu Gesprächen eingeladen wurde

Nach dieser zweieinhalb Jahre dauernden Berg- und Talfahrt fühlte sich Christian Eder endgültig im Tal angekommen, Berge sah er nur noch von unten, ob er sie noch einmal erklimmen würde, schien ihm fraglich. Durch die nicht enden wollenden Sorgen und die permanente Überarbeitung innerhalb der letzten dreißig Monate war er gesundheitlich angeschlagen, aber nicht am Boden.

In dieser Verfassung drehte Eder seine Runden bei den Headhuntern. Schnell zeigte sich, dass das C-Level-Auswahlverfahren seine Tücken hat, die er noch nicht durchschaut hatte. Warum nur riefen früher die Headhunter bei ihm an und wollten jetzt, keine drei Jahre später, meist noch nicht einmal mit ihm sprechen?

Bislang hatte er nur zwei Interviews mit Headhuntern geführt. Sie waren sehr frustrierend gewesen. Gesprächspartner war bei beiden Malen nur die zweite Ebene der Personalberatungen, und es wurde überwiegend an seinem Lebenslauf herumgemäkelt.

CEO-Tipp

Manche Executive-Search-Berater geben wertvollen Rat und gute Impulse für die Neuorientierung – auch wenn sie von den Unternehmen beauftragt und bezahlt werden. Es gibt aber auch etliche, deren Lieblingsbeschäftigung es zu sein scheint, ihr Gegenüber niederzumachen. Es ist daher nicht angebracht, alles unreflektiert zu akzeptieren, was Headhunter oder Unternehmensvertreter von sich geben. Selbstredend sollten Sie auch alles genau durchdenken, was Sie in diesem Buch lesen.

Eder hatte in seinem Curriculum Vitae (CV) seine letzten Stationen beschrieben, genauso wie es in den drei Büchern stand, die er gelesen hatte, und den unzähligen Beiträgen im Internet. Doch irgendetwas an seinem CV hielt die Personalberater davon ab, ihn einzuladen. Irgendetwas schien sogar Argwohn zu erzeugen. Statt Türen zu öffnen, blockierte sein zugesandter CV den Prozess. Das Bild einer ungewöhnlichen Drehtür beschreibt seine Erfahrung recht treffend: Nach dem Verschicken seines CVs an Headhunter oder an Unternehmen auf deren ausgeschriebenen Stellen (die oft wie auf ihn zugeschnitten klangen) fühlte er sich wie beim Zugehen auf eine Drehtür, deren Glasumfassung nur einen einzigen Ein- und Ausgang hat und ihn also nach einmaliger Umdrehung wieder auf die Straße zurückbeförderte.

Das war verheerend gewesen für sein Selbstbewusstsein und sein seelisches Gleichgewicht. All seine Anstrengungen – anders als bei seiner 30 Monate währenden Unternehmensrettung – waren vergeblich. Er trat auf der Stelle, fast immer war der Zugang zum Gespräch blockiert. Postwendend kamen die Unterlagen zurück. Und so war ihm auch die Möglichkeit verbaut herauszubekommen, was an seinem CV denn nicht gefiel.

Endlich, nach etlichen Wochen, besuchte er den dritten Executive-Search-Berater in seinem Büro. Dieser war Diplom-Ingenieur und früher selbst CEO gewesen. Nach einem kurzem, freundlichen Einstieg kam er direkt zur Sache: »Ich habe Sie eingeladen, weil ich trotz Ihrer verheerend wirkenden letzten drei Jahre gespürt habe, dass Sie ein guter Mann sind, dass Sie etwas geleistet haben. Und das haben Sie mir ja jetzt im Gespräch auch gezeigt. Aber wo um alles in der Welt stehen Ihre Leistungen in Ihrem CV? Außer den üblichen, immer ähnlichen Selbstbeschreibungen wie belastbar, durchsetzungs- und führungsstark sowie analytisch, strategisch und zugleich hands-on stehen da nur noch Unternehmensnamen, Funktions- und Zeitangaben. Da hätten Sie auch gleich Ihre Original-Visitenkarten mit den Funktionstiteln untereinander kopieren können und darauf handschriftlich die Zeiträume notieren können. So geht das schon lange nicht mehr. Jedenfalls nicht, wenn Sie die 40 überschritten und auf dem C-Level etwas vorzuweisen haben.«

Dann hielt er kurz inne und ergänzte: »Das ist meine Erfahrung. Und in der Art erzähle ich das öfter Managern, die hier zum Gespräch kommen, denn das übersehen doch recht viele. Bei Ihnen kommt noch ein Spezifikum hinzu, was Ihnen zusätzlich Ihren Erfolg am Markt, das heißt bei Headhuntern und Unternehmen gleichermaßen, erschweren dürfte. Manche haben ›Fehler‹ im CV, von denen sie selbst nichts merken, die aber zu Vorbehalten führen. Das sind immer wieder andere Sachen. Bei Ihnen, so ist mein Eindruck, sticht etwas ins Auge – zumal da es Ihr letzter Arbeitgeber ist, was verunsichert: Sie schreiben etwas von ›i. I.‹, in Insolvenz, als Anhängsel zum Firmennamen. Sonst steht hier aber nichts, rein gar nichts zu dem, was anscheinend wirklich passiert ist. Das ist doch keine Story. Wundern Sie sich daher nicht, dass nach zwölf Jahren Konzernunternehmensorgan Sie fast niemand mehr anschaut mit dieser nichtssagenden 30-monatigen ›Anschlussbeschäftigung‹ bei einem Mittelständler.«

Den CV-Drehtüreffekt hatte Eder selbst verschuldet, und zwar vorwiegend durch die unbedachte Gestaltung seines CVs! Der Personalberater gab ihm das Buch Die CEO-Bewerbung und sagte: »Entwickeln Sie Ihren CV von Grund auf neu und besser. Das ist ein Leitfaden, der Ihnen helfen wird.« Zum Abschied fügte er noch hinzu, er solle wiederkommen, wenn er die Inhalte des Buches umgesetzt hätte, dann könne er etwas für ihn tun.

Heute weiß Eder: Die beiden entscheidenden Punkte jedes Auswahlverfahrens sind der durch den schriftlichen CV vermittelte Ersteindruck sowie die nachfolgenden Vorstellungsgespräche. Das klingt banal und doch hatte er gravierende Fehler gemacht. Sein CV jedenfalls zeigte nicht, welche Beiträge er zum Unternehmenserfolg geleistet hatte. Außerdem war seine letzte berufliche Station mit einem ›i. I.‹ am Firmennamen gekennzeichnet, was unweigerlich Argwohn hervorruft. Zumal dieser Hinweis gleich am Beginn des CVs stand. So hatte der CV fast immer seine beabsichtigte Wirkung verfehlt.

Der Dreh im CV – und im Kopf – brachte die erhoffte Wende

Christian Eder kam zu uns in die Beratung. Welches Gold wir beziehungsweise er in Händen hielten, wurde uns erst nach und nach deutlich, als wir tiefer und tiefer in seine turbulenten letzten Jahre eintauchten. Was er geleistet hatte, das gelang nur wenigen Managern: Ohne Fremdmittel – und offen gestanden auch ohne wirkliche Vorerfahrung, denn Eder war Finanzer, kein Gesamtverantwortlicher – hatte er sich und das Unternehmen gleichsam am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen und statt Insolvenz einen Unternehmensverkauf zu ordentlichen Konditionen bewerkstelligt.

Wir bauten den CV komplett um: Der zwölfjährigen scheinbar bewegungslosen Konzernunternehmenszeit (mit elf Jahren ohne Beförderung, weil er schon nach kurzer Bewährungsprobezeit zum Geschäftsführer berufen worden war), wurde ein Rückgrat aus Erfolgen eingezogen. So hatten auch diese elf Jahre nichts mehr mit Stagnation zu tun. Dies war ja auch nie der Fall, nur rein optisch erweckte sein alter CV diesen negativen Eindruck. Was beim schriftlichen CV zählt, ist der Eindruck, den er hervorruft, denn er ist die alleinige Entscheidungsgrundlage, ob es zu einem Gespräch kommt.

Beispiel

Torsius Deutschland GmbH

2016 – heute: Gesamtverantwortlicher Geschäftsführer des deutschen Tochterunternehmens der Kanettli Invest AG, Schweiz

Krisenmanagement: Turnaround mit nachfolgendem Unternehmensverkauf

Der CV-Ausschnitt zeigt Eders jüngste Zeit als CEO. Mit wenigen, treffenden Worten zur Sanierung und dem Unternehmensverkauf im Rahmen der Stationenübersicht ist die Grafik der brillante Beginn auf der ersten Seite und als Übersicht aller wesentlichen Erfolgsbeiträge der krönende Abschluss seines CVs.

Diese sehr verdichtete Grafik nahm zwar weniger Platz ein als die Erfolgsdarstellung der Konzernunternehmenszeit – ein wenig auch, weil die Zeiträume im Verhältnis 4:1 waren, was sicherlich nicht maßgeblich ist. Entscheidend war aber nicht die Größe, sondern der Inhalt. Diese Grafik war zudem ein echter Hingucker, selbst am Ende eines vierseitigen CVs. Sie zwang die Empfänger regelrecht dazu, wenigstens einen Blick darauf zu werfen, denn der Leser will verstehen, welche stufenweise Aufwärtsentwicklung da stattgefunden hat. Und schon mit einem ersten Blick auf die wohl durchdachten Textpfeile wird er förmlich in die inhaltliche Auseinandersetzung hineingezogen. Natürlich entsprachen die Inhalte absolut der Wahrheit (übrigens ebenso wie alle Fallbeispiele, die in diesem Buch dargestellt sind; sie sind alle original, aber selbstverständlich anonymisiert).

In seinem früheren CV hatte Eder aus Unkenntnis vollkommen auf eine inhaltliche Darstellung dieser Zeit verzichtet. Stattdessen hatte er lediglich an den Firmennamen ein verschämtes »i. I.« angefügt, damit die ganze Sache möglichst nicht auffiel. Er hatte geglaubt, nur Erfolge seien »gut verkaufbar«, und die hatte er den Gesprächen vorbehalten und nicht schriftlich aufführen wollen. Seine durchlittene »Talfahrt auf der Achterbahn« dagegen müsse er schönreden, wenn er hiernach gefragt werden würde, am besten Einzelheiten verschweigen. Durchgemachte Krisen sind jedoch keineswegs von vornherein Misserfolge, sondern im Idealfall Auszeichnungen. Diese Leiderfahrungen beziehungsweise der erfolgreiche Umgang mit enormem Druck werden heute gerne mit dem Fachbegriff Resilienz für Widerstandsfähigkeit belegt.

Wir wissen noch genau, wie Eder aufblühte, als wir gemeinsam die Inhalte zusammentrugen und dann die Grafik entwickelten. Nun konnte er die rund drei Jahre aus einem gänzlich anderen Blickwinkel sehen – und bewerten! Wir betrachteten diese Existenzkrise, wie sie begonnen, sich weiterentwickelt hatte und am Ende ausgegangen war: positiv. Schon Epiktet fasste diesen neuen Blick auf eine Sache treffend zusammen: »Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben.«

Die ganze harte, kräftezehrende und gesundheitsaufreibende Zeit, die Christian Eder gerade erst hinter sich hatte, konnte er nun ganz anders bewerten. Er hatte etwas wirklich Wertvolles geleistet: Einige Mitarbeiter hatten zwar gehen müssen, ein Standort war geschlossen worden, aber das Unternehmen, die Marke und viele Arbeitsplätze hatte er retten können. Und für die Eigentümerfamilie hatte er einen ansehnlichen Verkaufspreis erzielen können, wo andernfalls mit der Insolvenz alles verlorengegangen wäre und zusätzlich der gute Ruf der gesamten Unternehmensgruppe gelitten hätte.

In der Psychologie und im Konstruktivismus wird das Reframing genannt: die Fähigkeit, ein Verhalten oder eine Situation aus einer neuen und damit unterschiedlichen Perspektive zu beleuchten. Sie macht unseren Geist frei und beweglich. Und das überträgt sich natürlich auf unser Gegenüber.

CEO-Tipp

Durchforsten Sie Ihren CV und prüfen Sie dort, wo die Dinge (zunächst) nicht liefen, wie sie sollten, ob Sie einen anderen wahrheitsgetreuen Blick auf die Ereignisse werfen können. Dieses als Reframing bezeichnete Vorgehen, Ereignisse, Phänomene oder auch Informationen in einem anderen Zusammenhang zu sehen, als der, den wir ihnen spontan geben, kann auch bei der CV-Aufbereitung zu entscheidenden Verbesserungen führen.

Eder stellte für sein späteres Gegenüber nicht nur seine verschiedenen Beiträge zu Unternehmenserfolgen konzentriert in seinem neuen CV dar, sondern auch die Vielfalt seiner Erfahrungen. Das ist keineswegs so selbstverständlich, wie es zunächst klingt. Für die Entscheider im CEO-Auswahlprozess ist es schon während der CV-Sichtungsphase – und natürlich auch später in den Gesprächen – wichtig, dass der Kandidat seine kontextbezogene Diversität, also die Vielfalt seiner Erfahrungen in sehr unterschiedlichen Unternehmensphasen und verschiedenen Unternehmensgrößen beziehungsweise -typen sowie Eigentümerstrukturen auf den Punkt bringt.

Spätestens auf dem C-Level werden zu Recht diejenigen Unternehmenslenker bevorzugt, die nachweislich »schon sehr viel Unterschiedliches erlebt haben«, Ereignisse, Konjunktur- und Unternehmensphasen sowie Strukturen, die das suchende Unternehmen jetzt schon beschäftigen oder die es in Zukunft beschäftigen könnten. Da sind einseitige Erfahrungen nicht von Vorteil. Wer zum Beispiel schon viele Sanierungen erfolgreich durchgeführt hat, ist sicherlich ein Könner auf seinem Gebiet. Was aber, wenn die Konjunktur wieder brummt und sich die Branche vor Aufträgen kaum retten kann? Wird er dann erfahren genug sein, stattliche EBIT-Margen hoch zu halten und zugleich eine zügige Expansion mit hohen, die Wettbewerbsfähigkeit sichernden Investitionen durchzuziehen? Vielleicht. Erfahrung hat er damit aber nicht! Gleiches gilt mit umgekehrten Vorzeichen natürlich für den einseitig bewährten Aufbau- und Expansions-CEO. Wer – wie virtuos und solide auch immer – während seiner Karriere immer nur neue Geschäftsfelder aufgebaut, neue Länder angegliedert und fleißig Organisations- und Mitarbeiterstrukturen errichtet hat, wird sich zu Recht fragen lassen müssen, ob bei ihm die Entscheider entspanntes Zutrauen haben können, dass er ebenso gekonnt wie die verantworteten Expansionen auch eine irgendwann einmal eintretende Krise bewältigen wird. Schließlich ist ihm das noch nicht passiert.

Eder überließ es nicht dem Zufall, ob die Leser des neuen CVs seine vertrauensstiftende Erfahrungs- und Erfolgsdiversität allein schon durch aufmerksames Lesen bemerken würden. Daher fasste er seine erlebten Eigentümerstrukturen, Unternehmensgrößenordnungen in einer Tabelle zusammen und hob damit auch die erlebten Wechselfälle der geplanten und ungeplanten Unternehmensentwicklungen hervor.

Erlebte Eigentümer-Strukturen

Mitgestaltete Unternehmensphasen

•Mittelständisches Industrieunternehmen in Familienbesitz

•Eigenständiges, nicht integriertes Tochterunternehmen in Mischkonzern

•Internationale Unternehmenszentrale eines börsennotierten Konzerns

•Aufbauphase, Expansion, Akquisition und Integration (Post Merger), Reorganisation

•Insolvenz, Sanierung, Sozialplan, Transfergesellschaft, Investorensuche

•Due Diligence und Asset Deal mit Unternehmensverkauf

Tabelle: Erfahrungs-/Kompetenz-Matrix

Die meisten Menschen sind eher risikoavers. Dies scheint auch für Bei- und Aufsichtsräte zu gelten, für Group-CEOs und all die anderen Mitentscheider im CEO-Auswahlverfahren. Dass das weitgehende Vermeiden jeglicher Risiken weit verbreitet ist, bestätigt auch die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie. In der Praxis zeigt sich dies unter anderem darin, dass der überwiegende Anteil aller Hierarchieebenen aus dem Unternehmen selbst befördert wird. Freilich ist dies nicht der einzige Grund dafür, so zu verfahren, aber einer der gewichtigsten – frei nach dem Motto: Den kennen wir doch. Eders CV war durch präzise Darstellungen – und zwar so, dass man es kaum überlesen konnte – seiner bisherigen Erfolge und seiner breiten Erfahrungsdiversität imstande, erstes Vertrauen aufzubauen und somit etlichen Lesern Lust auf ein persönliches Kennenlernen zu machen.

Dies war für Eder umso wichtiger, da ein von außen kommender Kandidat im Hinblick auf die Risikoaversion natürlich im Nachteil gegenüber einem internen Bewerber ist. Für ihn war der frühzeitige Aufbau von Vertrauen in seine Qualitäten essenziell. Mit herkömmlichen CVs ist dies selten zu leisten.

Freilich ist das Nichtaufweisen beziehungsweise Nichtaufweisen-Können von Diversität kein K.O.-Kriterium. Es darzustellen, wenn man hierüber verfügt, ist aber ein Gebot der Klugheit. Und wer wie Eder und die meisten, die auf die 50 zugehen, beides – Aufstieg und Niedergang – schon einmal in verantwortlicher Position erlebt hat, hat ein wichtiges Argument mehr für sich in die Waagschale zu werfen und sollte es auch tun. Das Verdeutlichen der ganzen Bandbreite gemachter Erfahrungen mit ihren beiden Polen und gegebenenfalls abgestuften, dazwischen liegenden Ereignissen schafft also erstes Zutrauen schon beim Lesen des CVs, noch vor der Entscheidung, ob überhaupt eingeladen wird.

Gleiches gilt auch für die pointiert zweiseitige Darstellung der gesammelten Erfahrungen, etwa in Mittelstandsunternehmen sowie Konzernen, zwei Polen der deutschen Wirtschaft, die über typische Vor- und Nachteile verfügen. Daher hat derjenige, der beides aufweisen kann, vermutlich auch deren Stärken zu nutzen gewusst und ist ebenso mit deren jeweiligen Begrenzungen klargekommen.

Und noch ein Signal setzten wir schon mit dem CV. Gleich zu Beginn stand dort unter der wegweisenden Überschrift Folgendes:

Beispiel

Angestrebte Unternehmensfunktionen:

Kaufmännischer Geschäftsführer oder Leiter, Chief Financial Officer; ggfs. auch CEO oder vorsitzender Geschäftsführer

Das war ein klares Statement. Eder wollte wieder Kaufmann sein, zielte nicht primär darauf, erneut CEO zu werden, wenn er es auch nicht ausschloss. In unserer Beratungspraxis gibt es etliche CFOs, die zeitweise auch Gesamtverantwortung getragen haben, die aber ihre Zahlen und Controlling, ihr Reporting und ihre Abschlüsse so sehr lieben, dass sie gar nichts anderes machen möchten. Gesamtverantwortliche sind nicht die erfolgreicheren Manager, sondern von anderem Zuschnitt und mit anderen Leidenschaften. Sie sind nicht besser oder schlechter, sondern einfach anders. Und warum hätte Eder dem ungeschriebenen Gesetz der meisten Headhunter, Gesellschafter und Aufsichtsräte »Einmal CEO, immer CEO!« folgen sollen, wenn ihm gar nicht danach war?

Für bestimmte, nicht näher spezifizierte Fälle (die er auch erst im Gespräch herausbekommen könnte) konnte er sich noch immer vorstellen, wieder Gesamtverantwortung zu tragen. Das wird auch sprachlich ausgedrückt: in der zweiten Zeile, nach dem Strichpunkt und eingeleitet mit »gegebenenfalls«. Vorrangig suchte er wieder etwas als Finanzchef, möglicherweise mit noch mehr Verantwortung oder in komplexeren Konstellationen, insoweit war er offen für eine Weiterentwicklung, einen »nächsten Schritt«. Und ob er diese Verantwortung als Bereichsleiter oder als Organ wahrnehmen würde, war für ihn erkennbar auch nicht entscheidend.

CEO-Tipp

Immer schneller, weiter und höher. Zurückgehen bedeutet Rückschritt. Das ist Unsinn! Besinnen Sie sich darauf, was Sie wirklich wollen. Einmal CEO heißt nicht, dass Sie absteigen wollen, wenn Sie sich künftig wieder auf die Finanzfunktion konzentrieren wollen. Im Gegenteil, es macht Sie für diese sogar attraktiver, da Sie für das Tandem CEO-CFO ein Partner sind, der aus Erfahrung weiß, was es bedeutet, CEO zu sein, und worauf es dabei ankommt.

Hatte Eder noch wenige Wochen zuvor geglaubt, er könne sich nirgendwo mehr blicken lassen – und es dann auch tatsächlich so erfahren –, drehte sich die Situation desselben Mannes um 180 Grad: Dieselbe Geschichte, nur völlig anders erzählt, erzeugte das richtigere, zutreffendere Bild der Wirklichkeit in seinem Kopf und seinem Selbstbewusstsein – und durch seine neuen Unterlagen automatisch auch im Kopf derjenigen, die zunächst seinen CV lasen und ihn daraufhin öfter einluden.

Über einen Mangel an Einladungen konnte sich Eder tatsächlich nicht mehr beklagen. Neben den neuen, überzeugenderen Unterlagen und seinem erwähnten wieder erstarkten Selbstvertrauen trug dazu ein dritter Faktor bei: Vertrieb. Der gelungenste CV nützt nämlich wenig, wenn nur ganz wenige wissen, dass Sie überhaupt am Markt sind. Eder setzte systematisch auf die möglichst vollständige Ansprache seiner Zielgruppen, so wie es in unserem Buch Die CEO Bewerbung beschrieben wird.

Christian Eder führte zahlreiche Erstgespräche, von denen natürlich einige nicht fortgesetzt wurden, weil er oder das Unternehmen es nicht wollten. In Summe führte er aber noch viel mehr Folgegespräche. Sofern und soweit das Thema der drohenden Insolvenz angesprochen wurde, redete er nicht mehr um den heißen Brei herum, sondern behielt den Kopf oben, fast reckte er ihn heraus, denn er hatte gerade in dieser gefährlichen und überaus anstrengenden Unternehmensphase Großes geleistet. Eder war vom Schicksal herausgefordert worden und hatte die Notlage glanzvoll überwunden. Ohne jegliche Vorerfahrung und Vorwarnung war er ins kalte Wasser geworfen worden und ist geschwommen und hat schließlich ein rettendes Ufer erreicht. Ganz zuletzt hatte er sogar als krönenden Abschluss den rentablen Unternehmensverkauf initiiert und durchgezogen. Das sind wahre Geschichten, die man gerne erzählt und gerne hört – oder liest.

Geschichtenerzählen hat einen emotionalen Aspekt – egal ob das Gegenüber Emotionen mag oder auch nicht: Geschichten wirken auf der emotionalen Ebene, Menschen können sich dem kaum entziehen. Und da, wie oben gezeigt, im CV alles schön sachlich dargestellt wird und immer seriös bleibt – ebenso wie ein Erzählen im Vorstellungsgespräch –, wirkt der willkommene Schuss Emotionalität attraktiv und vor allem animiert er zum Weiterlesen oder Zuhören. Diese Erkenntnis hat sich eine ganze Disziplin, das Storytelling, bewusst zunutze gemacht: Storytelling wird im Wissensmanagement oder in der Unternehmenskommunikation als Methode zur Problemlösung oder als Marketingmethode eingesetzt und selbst in der Wissenschaft zur Vermittlung von Expertenwissen an ein Laienpublikum.

Nach genauer Prüfung der Unternehmenssituationen, seiner jeweiligen Verantwortung und Aufgaben entschied sich Christian Eder schließlich wieder für eine Verantwortung als kaufmännischer Geschäftsführer und Chief Financial Officer in einem größeren mittelständischen Unternehmen einer anderen Branche.

Kapitel 2. KapitelDie CEO-Auswahl – ein von Machtasymmetrie geprägter Prozess?

Wenn man einen Menschen richtigbeurteilen will, so frage man sich immer:»Möchtest du den zum Vorgesetzten haben?«

Kurt Tucholsky

»Das Machtverhältnis zwischen Unternehmen und Bewerbern hat sich umgekehrt.« Stimmt das wirklich? Zumindest in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 6.10.2018 stand wörtlich und zusammenfassend genau dies auf Seite C2 der Beilage. Zitiert sei dies in der Überschrift stellvertretend für die immer mal wieder anzutreffende Überzeugung, die Macht im Bewerbungsverfahren liege nun bei der anderen Vertragspartei, den Arbeitnehmern. Das sei auch unabhängig davon, welcher hierarchischer Ebene der Arbeitnehmer zugehörig ist, und gelte damit für die ungelernte Hilfskraft ebenso wie für den gelernten Sachbearbeiter, den Facharbeiter, die Führungskräfte aller Ebenen und Organe der Unternehmen. Das ist eine in dieser Allgemeingültigkeit erstaunliche Aussage, die dort, gewissermaßen mit wissenschaftlichem Testat, der Bamberger Forscher Tim Weitzel knapp, zugespitzt und wörtlich äußert.

Weitzels Aussage ist nicht etwa deshalb zu hinterfragen, weil der oberfränkische Professor diese Kernaussage im Rahmen seiner Studie Recruiting Trends 2018 trifft, die er als Auftragsarbeit für eine der großen Internet-Stellenplattformen mit dem zugleich viel- und nichtssagenden Namen »Monster« durchgeführt hat. Das könnte Argwohn erwecken. Aber sicherlich hat hier wissenschaftlich alles seine Ordnung und der Universitätsprofessor ist bestimmt empirisch korrekt vorgegangen.

Zu hinterfragen ist aber sehr wohl die in seiner Studie gezogene Schlussfolgerung »Das Machtverhältnis zwischen Unternehmen und Bewerbern hat sich umgekehrt.«. Denn sie kommt als ermutigende Feststellung daher, die scheinbar belegt wird durch die beobachteten neuen Trends des Jahres. Und nicht nur des einen Jahres, dahinter stehe gar ein ganzer Trend, wie in der F.A.Z. weiter zu lesen ist, eine Entwicklung, die in den vergangenen Jahren, Tim Weitzel zufolge, immer stärker geworden sei! Problematisch an dieser trügerischen Schlussfolgerung von der Umkehr der Machtverhältnisse ist, dass sie als studiengestützte Tatsache daherkommt, nicht etwa als eine noch zu überprüfende These, gar Hypothese, aufgrund einer empirischen Studie.

Welche wirklichen Tatsachen liegen der Schlussfolgerung zugrunde? Offenbar die rein quantitativen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt, also das Gegenüberstellen von offenen Stellen zu Arbeitssuchenden, aufgeteilt nach Branchen, Unternehmensfunktionen, Qualifikationen und so weiter. Neu ist dieser »Bewerbermarkt« nicht. Seit Jahren veröffentlicht Monat für Monat das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung einigermaßen verlässliche Zahlen – jedenfalls werden sie mit großem Aufwand erhoben und sind die verlässlichsten, die derzeit erhältlich sind. Das Institut ist bekannt als IAB, die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Häufig wird das IAB als deren leistungsstärkste Sektion eingestuft. Kurzum: Für die Erkenntnis, dass der Arbeitsmarkt in weiten Teilen kein Anbietermarkt mehr ist, hätte es keiner Studie bedurft.

Die kühne These, das Machtverhältnis zwischen Unternehmen und Bewerbern habe sich seit Jahren immer weiter gedreht, muss sich messen lassen an dem, was die Bewerber in ihren meist zahlreichen Bewerbungsverfahren tatsächlich erleben – und nicht an abstrakten Zahlenverhältnissen. Um es kurz zu machen und von »unten nach oben« zu skizzieren: Die meist prekär beschäftigten Paketzusteller, Reinigungskräfte oder Schlachthausarbeiter werden sicherlich keine Umkehr der Machtverhältnisse erlebt haben. Zweifelhaft dürfte auch der konstatierte Machtüberhang zugunsten der im »Mittelfeld« tätigen Facharbeiter, Sachbearbeiter, Fachkräfte und Gruppenleiter der ersten Führungsebene sein. Schließlich – und hier können wir aus eigener langjähriger Erfahrung berichten – gänzlich unzutreffend ist auch für die Zielgruppe dieses Buches die Behauptung »Das Machtverhältnis zwischen Unternehmen und Bewerbern hat sich umgekehrt.«

Der fundamentale Denkfehler für den behaupteten Machtüberhang der Bewerber beruht auf dem unzulässigen Gleichsetzen von Makro- und Mikroökonomie. Dieses undifferenzierte Gleichsetzen übersieht die auch im CEO-Auswahlverfahren relevanten Unterschiede: Nicht die makroökonomische Ebene des zahlenmäßig gut zu beziffernden gesamten Arbeitsmarktes (und seiner Teilmärkte) entscheidet über Machtausgewogenheit oder -überhang zugunsten einer Seite, sondern der konkrete mikroökonomische Einzelfall. Und dieser Einzelfall sieht bei der Besetzung offener Stellen in Unternehmen – ebenso wie bei allen anderen Arbeitgebern, etwa bei öffentlich-rechtlichen oder kirchlichen Arbeitgebern in Verwaltung, Wissenschaft und Kultur – im Wesentlichen immer gleich aus: Durch die systematische Suche in der Regel über Anzeigen wird eine Vielzahl von Interessierten dazu bewogen, ihre Bewerbungen zu schicken, die dann in einem Auswahlverfahren, welches mehr oder weniger standardisiert ist, selektiert werden. Aus beispielsweise 100 zugesandten Bewerbungen werden 20 einigermaßen mit dem Suchprofil übereinstimmende vorausgewählt und so weiter und so fort. So entsteht unvermeidlich eine Position der Stärke, selbst dann, wenn die Unternehmen zunächst einmal nicht über Anzeigen oder Headhunter eine Vielzahl von Bewerbungen generieren, etwa weil sie auf ihr Kontaktnetz über Mitarbeiter, Verband oder Ähnliches zurückgegriffen haben oder einen Initiativbewerber eingeladen haben, so wissen sie doch, dass die in diesen Fällen ausgewogeneren Machtverhältnisse jederzeit wieder zu ihren Gunsten verändert werden können.

Dieses bis heute gültige Verfahren ist nun wirklich kein Geheimnis, sondern jedermann bewusst und bekannt, und stabilisiert die unverändert bestehende Machtasymmetrie – auch im CEO-Auswahlverfahren – weiterhin.

CEO-Tipp

Asymmetrische Machtverhältnisse zugunsten der C-Level-Bewerber ergeben sich im Auswahlverfahren nicht aus einem Überangebot an Vakanzen. Um die Marktgegebenheiten für sich zu nutzen, muss der intransparente Markt systematisch angesprochen werden. Nur auf Xing angesprochen zu werden und das vorhandene Kontaktnetz zu nutzen, reicht nicht (auch nachzulesen im Buch Die CEO-Bewerbung).

Ein wesentliches Kernelement dieses Buches ist, die bestehende Machtasymmetrie für die C-Level-Manager in Machtausgewogenheit zu verwandeln, um so die bessere Wahl treffen zu können. Dieses Buch ist deshalb durchzogen von Themen und Fallbeispielen, die die Machtasymmetrie im CEO-Auswahlverfahren bestätigen und illustrieren. Sie ist seit Jahren unverändert vorhanden und, wie noch zu zeigen sein wird, in der Natur der Sache begründet.

CEO-Tipp

Die vorhandene Machtasymmetrie im CEO-Auswahlverfahren birgt neben erheblichen Gefahren für eine gute Wahl auch eine exzellente Chance, schon im Verlauf der Auswahl herauszufinden, was Sie bei der späteren Verantwortungsübernahme wahrscheinlich erleben werden.

In vielen C-Level-Auswahlverfahren ist die Machtasymmetrie für die Bewerber über deren gesamte Dauer zu fühlen – mit all dem sich hieraus ergebenden Auftreten, Verhalten und den Forderungen. Es scheint aber mindestens ebenso viele CEO-Auswahlprozesse zu geben, wenn nicht sogar noch mehr, die von großem Respekt und Wertschätzung gekennzeichnet sind und den C-Level-Bewerber nie spüren lassen, wo die größere Macht liegt. Auch dieses genaue Gegenteil und die sich hieraus ergebenden Auswirkungen und Möglichkeiten werden selbstverständlich ebenso beschrieben.

Die nächsten beiden Unterkapitel zeigen idealtypisch die beiden anzutreffenden Auswahltypen: den auf Augenhöhe, wo sich gleichwertige Partner treffen und die Unternehmensvertreter als Einladende die verschiedenen Auswahlgespräche lediglich moderieren, und den anderen Pol, den diejenigen Unternehmen verkörpern, die schon im Auswahlverfahren autokratisch agieren und die Machtasymmetrie offen nutzen.

Pol 1: Das Unternehmen als Moderator des CEO-Auswahlprozesses

Tatsächlich gibt es nicht allzu viele Unternehmen, die diesen Typus in Reinkultur vertreten. Erkennbar ist es daran, dass sie während des gesamten CEO-Auswahlverfahrens mit den sogenannten Kandidaten partnerschaftlich diskutieren, ja sich beraten und am Ende über die Vertragsausgestaltung verhandeln. Sie moderieren gleichsam den Prozess lediglich und sind schon während der Gespräche sehr interessiert an Ihrem Wissen und Ihrer Erfahrung. Sie wollen bereits mit Ihnen gemeinsam schon erste Lösungen finden oder gar Pläne schmieden.

Doch selbst dort, wo die Unternehmen partnerschaftlich auftreten, womöglich bestätigt von tatsächlicher, gelebter kooperativer Führungskultur und flankiert von einer Website, die diese Unternehmenskultur preist, stößt diese Doppelrolle im CEO-Auswahlverfahren – Moderator und Partei zugleich zu sein – mitunter an Grenzen. Irgendwann im zeitlichen Prozessverlauf muss der Wechsel vom einladenden und den Prozess lenkenden Moderator hin zur Vertragspartei – und de facto und de jure zum Vorgesetzten – vollzogen werden. Also auch dort muss die anfänglich wahrgenommene Machtsymmetrie einer Machtasymmetrie weichen – auch wenn man Sie dies vielleicht niemals spüren lässt. Dies ist der »schöne Pol«, auf der Skala dessen, was Sie bei der CEO-Auswahl erleben können. Nach unserer Erfahrung ist dieses Verhalten durchaus häufiger anzutreffen, wenn auch nur selten in der dargestellten Reinkultur.

Immerhin kombinieren diese kooperativ gesonnenen Unternehmen schon im Auswahlprozess ihre tatsächlich existierende Macht mit Empathie und Respekt. Im Deutschen gibt es für die Kombination aus Macht und Empathie ein schönes Adjektiv: »gönnerhaft«. Das empathische Verhalten eines Menschen, der sich in einem einseitigen Machtverhältnis gegenüber einem anderen Menschen befindet, wird von diesem stets als gönnerhaft empfunden werden – so die Beobachtung der Sozialpsychologie. Dieses Verhältnis ist von den Intentionen der beteiligten Menschen unabhängig. Es ist auch von allen weiteren Faktoren der gegebenen Situation unabhängig. Anders gesagt: Befinden sich zwei Menschen in einer Beziehung, die von Machtasymmetrie geprägt ist, und ist der Machthabende gegenüber dem Ohnmächtigen empathisch, so verkommt diese »Empathie« aus strukturellen Gründen immer zur mehr oder weniger verkappten Belohnung. Wahre Empathie ist also in Verhältnissen, die von Machtasymmetrien geprägt sind, strukturell unmöglich. Dies gilt für beide Seiten. Dies gilt sogar noch stärker für den weniger Mächtigen, der zwar dem gegenüber, der Macht über ihn hat, sicher besonders wachsam ist, was aber mit wahrer Empathie nicht zu verwechseln ist.

Dies alles scheint unvermeidlich in der Natur der Sache liegend und ist daher auch niemandem vorzuwerfen. Schön ist dennoch, wenn man es Sie nicht spüren lässt, im Auswahlverfahren oder später in der Zusammenarbeit, dass die andere Seite am längeren Hebel sitzt. Sie wissen es aber natürlich trotzdem und die andere Seite, die Unternehmenseigentümer, deren Vertreter, also der Bei- oder Aufsichtsrat oder die bestellten Unternehmensorgane, die nicht Gesellschafter sind, wissen es auch. Bisweilen wird es durchschimmern und wenn es darauf ankommt, wird es wohl meist ostentativ zur Schau gestellt werden, um zu disziplinieren.

Der »schöne Pol« auf der Skala beobachteter Unternehmenskulturen mag im Auswahlverfahren und später für nahezu jeden Bewerber der angenehmere sein. Doch diese Unternehmenskultur hat zwei Seiten: Diejenigen C-Level-Manager, deren Persönlichkeit und Führungstyp autoritär sind, werden, sofern sie sich verstellen und den Unternehmensvertretern den kooperativen Typ vorgaukeln, »um den Job zu bekommen«, hinterher in der Verantwortung wenig Freude haben, denn das bei der Auswahl moderierende Unternehmen verfügt mit großer Wahrscheinlichkeit über eine Führungskultur, in das die eher autoritären, gar autokratischen Bewerber nicht passen werden. Vermutlich werden sie sich bei Unternehmen, die eher dem anderen Pol zuzurechnen sind, wohler fühlen.

Pol 2: Das autokratische Unternehmen

Die vorherrschende Sicht, dass das CEO-Auswahlverfahren ein von Machtasymmetrie geprägter Prozess ist, kommt nicht von ungefähr. Fast jeder ist schon despektierlich, gar von oben herab, von einem Headhunter behandelt worden oder hat als »Kandidat« die seltsam ruppige Art von manchen Entscheidern in den Unternehmen erfahren. Sie glauben, sich solches Verhalten leisten zu können, stehen doch hinter jedem Kandidaten viele andere, die auch den Job haben wollen. Sie werden in diesem Buch immer wieder auf illustrierende Beispiele treffen, die diesem Typus entsprechen, und Überlegungen, wie Sie im Rahmen der CEO-Auswahl damit umgehen können.

Auch wenn die meisten C-Level-Manager diese Art von Umgang als wenig erfreulich betrachten, wäre es falsch, alle Leser darin bestärken zu wollen, notfalls einfach die Gespräche abzubrechen. Zwar dürfte genau das für viele Leser ratsam sein, wenn die fehlende Augenhöhe auf der anderen Seite inakzeptabel ist. Aber keineswegs für alle. Denn es kommt doch sehr auf die Persönlichkeit des Managers an: Manche akzeptieren bewusst einen patriarchalischen, streng hierarchischen, erkennbar auf Über- und Unterordnung bedachten Stil im Auswahlprozess und in den Gesprächen, schließen sie doch zu Recht auf eine dazu passende Unternehmenskultur und einen dementsprechenden Führungsstil.

Entscheidend ist die Frage, was Sie für ein Persönlichkeitstyp sind. Manch einer fühlt sich wohl in einer Welt von Befehl und Gehorsam oder einer Unternehmenskultur, die dem sehr nahekommt. In manchem Unternehmen geht es ja tatsächlich zeitweise oder laufend zu wie auf dem Kasernenhof. Und wer sich dort wohlfühlt und nichts anderes erwartet, dürfte bei solchen Unternehmen und deren Vertretern in einer bestimmten Phase der Suche, den Headhuntern gleichen Schlages, seine Freude haben. Denn die C-Level-Manager, die weniger kooperativ führen wollen, sondern mehr patriarchalisch und direktiv, sind dort gut aufgehoben. Schließlich gibt es auch einen Gewinn für diesen Führungskräftetypus, er darf und soll in gleicher Weise seine Direct Reports so führen. Und nichts gibt es ohne Gegenleistung, zum Ausgleich unterliegt er demselben Führungsstil. Um das Bild des Kasernenhofs abschließend noch einmal aufzugreifen: Selbst ein General hat noch einen höheren Dienstgrad über sich, dem er Gehorsam schuldet, zu allerletzt der oder die Verteidigungsministerin selbst. Da weiß jeder, woran er ist.

Solche Unternehmen sind auch bei uns im zentraleuropäischen Raum anzutreffen und nicht nur in manchen asiatischen Staaten wie etwa Südkorea. Dort weisen viele Unternehmen Führungskulturen auf, die klar an militärischen Vorbildern orientiert sind. Wer hat nicht die wiederholt ausgestrahlten Fernsehbilder in Erinnerung von im Freien inszenierten Betriebsversammlungen, in denen alle Mitarbeiter, uniform gekleidet in kurzärmeligen, weißen Oberhemden und dunklen Hosen, wie auf einem Schachbrett in exakt gleichen Abständen zueinander stehend, den Worten des Vorsitzenden des Boards lauschen, der die neuesten unternehmensweit gültigen Richtungsvorgaben, Informationen und Weisungen erteilt? Abgesehen davon, dass die versammelte Belegschaft sich nicht bewegt, sondern mit auf dem Rücken verschränkten Armen dasteht, erinnern diese südkoreanischen Veranstaltungen an die Militärparaden ihrer nördlichen Landsleute.

Mit solchen Inszenierungen ist hierzulande freilich kein Staat zu machen und kein Unternehmen zu führen. Klar ist das dortige Auftreten von Unternehmen in keiner Weise vergleichbar mit unseren äußerlich sichtbaren Unternehmenskulturen. Wohl aber gibt es auch hier Unternehmen, auf die Sie im CEO-Auswahlverfahren treffen können, die bis ins tiefste Mark hinein durchzogen sind von Machtstrukturen.

Gleichgültig also, was auf Websites und in Broschüren steht (die in aller Regel ohnehin von einem kooperativen Führungsstil sprechen, weil er bei uns seit Jahren der sozial erwünschte ist), gibt es diese Unternehmenskultur auch bei uns im deutschsprachigen Raum und wer ein wenig aufpasst, kann die Vertreter unschwer schon in den Auswahlprozessen erkennen.

Wie die beiden extremen Ausgestaltungen des Machtgefälles zwischen den auswählenden Unternehmen und den Kandidaten kurz charakterisiert wurden: Es reicht von gut spürbar bis hin zu kaum spürbar, vom konsequenten und ostentativen Ausleben der mächtigeren Position bis hin zu den scheinbar ausschließlich moderierenden Unternehmensvertretern, die freilich am Ende nicht leugnen können, dass sie in den späteren Phasen des CEO-Auswahlprozesses diese Position nicht durchhalten können.

Selbstverständlich gibt es zwischen diesen beiden Polen alle Schattierungen, die beide Merkmalskonstellationen unterschiedlich stark vermischen. Und natürlich ist es noch komplexer: Selbst innerhalb ein und desselben Unternehmens agieren unterschiedliche Personen, die nicht unbedingt alle dasselbe Verhalten an den Tag legen. Mehr noch, dieselbe Person wechselt womöglich phasen- oder zeitweise den Stil.

Dennoch können Sie sich recht gut ein zutreffendes Bild von einem Unternehmen machen, und das ist für die Auswahl Ihrer nächsten Verantwortung von großer Bedeutung.

Machtasymmetrie überwinden

In langjähriger Arbeit ist durch die gesammelten Erfahrungen in uns eine Überzeugung gereift: Sie können dieses Machtgefälle nicht nur für sich überwinden, Sie müssen es geradezu. Das empfundene Machtgefälle schwingt ganz von selbst zurück in eine Machtbalance, sobald Sie Alternativen haben oder die Zeit und Kraft, auf diese zuzuarbeiten.

Machtbalance ist kein Selbstzweck, sondern logische Voraussetzung, um die Wahrscheinlichkeit, eine gute Entscheidung zu treffen, erheblich zu erhöhen. Die falsche Entscheidung, so zeigte sich immer wieder, wurden am ehesten getroffen, wenn keine Alternativen vorhanden oder in Sicht sind. Das ist menschlich. Man denkt sich schön, was man hat. Der kritische Blick fällt schwerer. Das ist auch eine Erklärung dafür, warum Manager länger an einer Position in einem Unternehmen festhalten, als sie »eigentlich wollten«. Anders ist es, wenn sie zwei oder mehr reale Optionen haben oder vermutlich bald haben werden. Sie müssen sich entscheiden, meist zügig. Sie werden mit sich – und mit Ihren Gesprächspartnern – kritischer sein müssen bezüglich der jeweils zur Entscheidung anstehenden C-Level-Position. Dadurch werden Sie sich nicht nur der Vor-, sondern gerade auch der Nachteile, Beschränkungen und Risiken bewusst. Denn Sie fragen bei den Unternehmensvertretern genauer nach – nicht anders, als die Unternehmen es mit »ihren« C-Level-Kandidaten machen. Das ist Machtbalance, die notwendigerweise erheblich die Wahrscheinlichkeit erhöht, die bessere, die richtige Entscheidung zu treffen. Darum geht es vor allem. Und wie Sie für sich im CEO-Auswahlverfahren ausgeglichene Machtverhältnisse herstellen können, davon handelt im Grunde das ganze Buch – manchmal als Randthema, manchmal als eines der zentralen Themen.

Wie in den beiden vorherigen Unterkapiteln beschrieben, kommt es sehr auf das einzelne Unternehmen an, ob die Machtasymmetrie ausgelebt und für Sie spürbar ist oder nicht. Überwinden können Sie die Machtasymmetrie derjenigen Unternehmen, die Dominanz im Umgang mit Bewerbern an den Tag legen, nicht – oder nur wenig – durch Ihre Reaktion. Bekanntermaßen nämlich so: Entweder Sie halten die gezeigte Machtdominanz mit stoischer Souveränität oder innerlich wutschnaubend aus. Oder Sie halten dagegen und nehmen dabei das Risiko in Kauf, sich hierdurch aus dem CEO-Auswahlverfahren herauszunehmen. Immerhin aber haben Sie sich Respekt verschafft und gehen, wenn man Ihnen nicht freiwillig Respekt gewähren wollte, ohne Blessuren vom Platz. In der Machttheorie wird dieses Selbstbestimmungsrecht »Walking Power« genannt, die Freiheit, von einer Verhandlung wegzugehen.

Sein Gesicht zu wahren, ist durchaus ein Gewinn, der Gegenhalten als die bessere Reaktion erscheinen lassen könnte. Mindestens ebenso wichtig könnte auch sein, dass – sollte das provokative Gehabe Ihnen am Ende vertretbar erscheinen und sollten Sie weiterverhandeln – Ihre Akzeptanz beim Gesprächspartner sogar steigt.

CEO-Tipp

Machtbalance ist kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung, um gute Entscheidungen mit größerer Wahrscheinlichkeit treffen zu können. Machtbalance ergibt sich am ehesten, wenn Alternativen vorhanden sind. Ansonsten ist es menschlich, sich die einzige Option schön zu denken und Negatives und Riskantes auszublenden.