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Mega Anti-Bumm! Eigentlich sind Elliot, Sternbild-Mädchen Virgo und die griechischen Götter ein unschlagbares Team. Doch Erzfeind Thanatos holt zum letzten Schlag aus. Und während Zeus die olympische Chaoten-Truppe zum Gefecht ruft und Virgo in der Unterwelt festsitzt, ist Elliot nach dem plötzlichen Tod seiner Mum allein. Ausgerechnet Thanatos bietet ihm einen Handel an: Die vier Chaossteine gegen die Seele seiner Mum. Aber das würde den Untergang der Welt bedeuten. Können Virgo und die Götter Elliot retten, bevor er einen Riesenfehler begeht? Das finale Abenteuer der sagenhaft komischen Kinderbuch-Serie! Die Götter sind los (Band 1) Götter allein zu Haus (Band 2) Götter an Bord (Band 3) Götter mit Schuss (Band 4)
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Maz Evans
Götter mit Schuss
Mit Wumms! ins große Finale!
Eigentlich sind Elliot, Sternbild-Mädchen Virgo und die griechischen Götter ein unschlagbares Team. Doch Erzfeind Thanatos holt zum letzten Schlag aus. Und während Zeus die olympische Chaoten-Truppe zum Gefecht ruft und Virgo in der Unterwelt festsitzt, ist Elliot nach dem plötzlichen Tod seiner Mum allein. Ausgerechnet Thanatos bietet ihm einen Handel an: Die vier Chaossteine gegen die Seele seiner Mum. Aber das würde den Untergang der Welt bedeuten. Können Virgo und die Götter Elliot retten, bevor er einen Riesenfehler begeht?
Alle Bände der sagenhaft komischen Chaos-Götter-Serie:
Die Götter sind los (Band 1)
Götter allein zu Haus (Band 2)
Götter an Bord (Band 3)
Götter mit Schuss (Band 4)
Wohin soll es gehen?
Buch lesen
Danksagung
Vita
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Leseprobe
ARGUS-KURIER
(limitierte Ausgabe)
Der Argus-Kurier musste seinen Standort verschieben
(weshalb wir das hier auf WC-Rollen schrieben).
Wir sind jetzt im Untergrund, in mehr als einem Sinn.
Wir sitzen im Tartarus – und wer will da schon hin?
Die Nachrichten stellen wir trotzdem nicht ein
(auch wenn jetzt alle Klos nach Klopapier schrein).
Der Todesdämon, ihr habt’s schon vernommen,
will Krieg, um endlich die Weltherrschaft zu bekommen.
Das sterbliche Kind wird ihm die Steine geben
und Thanatos holt dessen Mutter zurück ins Leben.
Nur einen muss der Junge noch erringen:
Den Feuerstein, den Saphir, muss er bezwingen.
Wenn er – o weh – die Flammenhölle übersteht,
bekommt er seine Mutter, die dann mit ihm geht.
Der Dämon schwört, er habe keine List angewendet.
Aber was, wenn der Junge als Chickennugget endet?
Überlebt er, werden es die Sterblichen büßen,
(die paar, die verschont bleiben, tritt Thanatos mit Füßen).
Was soll man dazu sagen? Es ist nun mal nicht gut,
wenn die Welt allein auf zwei Kinderschultern ruht.
»Willst du mich verarschen?«
Elliot Hooper stieß einen tiefen Seufzer aus. Noch so eine grässliche Todesart. Heute war garantiert Freitag.
»Nein«, grinste Hypnos, der Dämon des Schlafes. »Willkommen am Fluss Phlegethon! Du musst nur noch reinspringen und dir den Feuerstein holen. Kinderleicht! Aber Vorsicht: Dieses Wasser ist h-h-heiß!«
»Na toll«, stöhnte Elliot. Vorsichtig spähte er über das Balkongeländer zu dem glühenden Feuerstrom hinunter, der zwischen ihm und dem letzten Chaosstein tobte. Selbst hier oben, in Thanatos’ relativ sicherem Klippen-Büro, traf ihn die Hitze, die der Fluss tief unter ihm abstrahlte, wie eine Glutwelle. Ganz unten im Flussbett konnte Elliot einen blassblauen Schimmer ausmachen, der durch die Flammen empordrang. Das war er, der Stein. Elliot beugte sich über das Geländer und streckte eine Hand danach aus. Vielleicht war der Fluss selbst ja gar nicht so heiß?
»Autsch!« Eine Flamme schnellte aus dem Inferno hoch und versengte ihm die Spitze des Zeigefingers. Elliot riss seine Hand zurück und saugte an der verbrannten Haut. Das war’s also. Wenn er den Feuerstein da herauszuholen versuchte, würde er als gegrilltes Marshmallow enden. Einfach ätzend. Und jetzt?
Eine Welle von Kummer schwappte in seiner Brust hoch. Erwischte ihn eiskalt, und Elliot musste seine ganze Kraft aufbieten, um nicht loszuheulen. Schnell drängte er den Schmerz zurück, ganz tief in seine Seele hinunter, zu den vielen anderen schwarzen Momenten, die ihm dort Gesellschaft leisten konnten. Was Elliot brauchte, war ein Schutzwall gegen die Verzweiflung, die ihn immer beim Gedanken an seine Mum überrollte. Es tat so schrecklich weh. Josie … zwei Tage war es jetzt her, seit … Elliot konnte das Wort nicht einmal denken, geschweige denn laut aussprechen. Aber egal. Er musste jetzt seinen Job machen, dann bekam er sie zurück. Seine Mum. Sobald Thanatos alle vier Chaossteine besaß. Wozu also weinen? Josie war ja nicht wirklich fort.
Plötzlich hatte Elliot einen Geistesblitz und zog die goldene Uhr seines Vaters aus der Tasche. Er schluckte den Hass hinunter, der ihn ihm aufstieg, wenn er an seinen Vater dachte – an David Hooper, diesen jämmerlichen Loser, der die Home Farm an Patricia Pferdearsch verscherbelt und Elliot um sein Zuhause gebracht hatte. Aber das Schlimmste war, dass er Elliot daran gehindert hatte, rechtzeitig ins Krankenhaus zu kommen und Abschied von seiner …
Elliot schloss die Augen und kämpfte gegen den Schmerz an. Er durfte jetzt nicht an Josie denken, musste seinen Schutzwall gegen den Kummer noch viel höher bauen.
Außerdem war es ja gar kein Abschied, rief Elliot sich in Erinnerung. Und deshalb musste er den Stein da rausholen. Das war seine einzige Chance. Nur so würde er sie zurückbekommen.
Er ließ die Uhr aufschnappen und kniff seine übermüdeten Augen zu, weil ihn der Glanz der Juwelen im Inneren blendete. Drei waren es bisher: der Erdstein-Diamant, der Luftstein-Smaragd und der Wasserstein, ein tiefroter Rubin. Elliot hielt die Uhr über seinen Kopf.
»REGEN!«, befahl er und prompt erfasste ihn der gewaltige Powerschub der Chaossteine. Ein roter Lichtstrahl schoss aus dem Wasserstein und durchdrang die finstere Atmosphäre des Tartarus. Über dem Feuerfluss ballte sich eine gigantische schwarze Wolke zusammen, von fernem Donnergrollen begleitet, dann prasselte der Regen auf die Flammen herunter.
Elliot wich zurück und wartete darauf, dass die Gluthitze nachließ.
»Warum funktioniert das nicht?«, fragte er nach einer Weile enttäuscht.
Thanatos trat hinter ihn. »Falsche Sorte Regen«, näselte er gedehnt.
Elliot zuckte zusammen – die Stimme des Todesdämons jagte ihm jedes Mal kalte Schauer über den Rücken.
»Wieso? Wie meinst du das?«, fauchte er ungeduldig und starrte auf den Regen, der zischend verdunstete, sobald er auf die tobenden Flammen traf.
»Sterblicher Regen, unsterbliche Flamme«, bemerkte Thanatos trocken. »Viel zu schwach. Du kannst den Phlegethon nicht auspusten wie eine Geburtstagskerze.«
»Und wie sollen die Steine dann deine Dämonenarmee befreien?« Elliot deutete wütend auf einen düsteren Bau in der Ferne – das Gefängnis, in dem die Dämonen eingesperrt waren.
»So lautet nun mal die Prophezeiung.« Thanatos zuckte mit den Schultern. »Ich mache hier nicht die Regeln. Als die Götter meine Dämonen eingesperrt haben, gab es eine Prophezeiung, nach der die Chaossteine sie befreien können. Aber mein hirnverbrannter Trottel von einem Bruder …«
»Herzlichen Dank auch«, murrte Hypnos beleidigt.
»Tja, tut mir leid«, sagte Thanatos und verbeugte sich spöttisch. »Mein vertrottelter Bruder hat den Feuerstein einfach im Phlegethon versenkt, so wie andere Leute ihre schmutzigen Unterhosen in den Wäschekorb pfeffern. Die Chaossteine nützen dir nichts.«
Elliot nahm seinen Arm herunter und der rote Strahl schnellte in die Uhr zurück.
»Es sei denn … vielleicht sollte ich es mal probieren?«, flüsterte Thanatos mit kaum verhohlener Gier und griff nach der Uhr. Im selben Moment wurde sein Arm von einer unsichtbaren Kraft zurückgeschleudert – der Kraft, die den Todesdämon daran hinderte, den sterblichen Jungen zu berühren, der ihn aus seinem Verlies unter Stonehenge befreit hatte.
»Einen Versuch war’s wert.« Thanatos grinste verlegen.
»Warum springst du nicht einfach selber in den Fluss und holst den Stein?«, sagte Elliot. »Du kannst doch nicht sterben, im Gegensatz zu mir.«
»Stimmt«, erwiderte Thanatos. »Aber verbrennen könnte ich mich trotzdem und dann würde ich mich in alle Ewigkeit vor Schmerzen am Boden wälzen. Da wärst du noch besser dran, glaub mir.«
»Na toll«, murrte Elliot. Wie sollte er das jemals schaffen?
Niedergeschlagen folgte er Thanatos und Hypnos in das Büro zurück und schloss die Balkontür hinter seinem finsteren Schicksal.
»Wo ist Mumsy?«, schmollte Hypnos und plumpste auf einen steinernen Sessel. »Sie hat versprochen, dass sie mir heute mein Baby zurückgibt. Wo ist sie?«
»Mir doch egal«, knurrte Elliot und ließ sich neben Hypnos auf den zweiten Sessel fallen. Er hasste Nyx, die Göttin der Nacht, die seinen Freund Hermes mit einem vergifteten Hydrapfeil ins Koma geschossen hatte. Beim Gedanken an Hermes zog sich sein Herz zusammen. Der Götterbote war immer noch nicht aufgewacht. Würde Elliot ihn je wiedersehen? Hermes war der Einzige von der ganzen Götterfamilie gewesen, dem wirklich etwas an Elliot lag. Die anderen hatten ihn nur benutzt, um an ihre dummen Chaossteine zu kommen. Das wusste Elliot jetzt.
Wieder überrollte ihn der Kummer und drohte sein mühsam errungenes inneres Gleichgewicht zu zerstören. Elliot drängte ihn schnell zurück.
»Mutter ist unterwegs … was Wichtiges erledigen.« Thanatos setzte sich auf seinen steinernen Thron hinter dem langen schwarzen Schreibtisch. »Deine dumme kleine Schlaftrompete muss bis morgen warten, wenn sie zurückkommt.«
»Die Trompete ist nicht dumm.« Hypnos starrte seinen Bruder beleidigt an. »Du bist dumm …«
»Also sag schon, wie ich die Flammen löschen kann«, verlangte Elliot ungeduldig. Was gingen ihn diese ewigen Streitereien zwischen den beiden Zwillingsbrüdern an? Dafür war jetzt wirklich keine Zeit. Er schaute sich in dem düsteren Büro um, das nur von den trüben Fackeln an der Wand und dem Feuerschein des Phlegethon unten beleuchtet wurde. Ein finsterer, gruseliger Ort. Höchste Zeit, dass er hier wegkam. Mit seiner Mum natürlich.
»Überhaupt nicht«, erwiderte Thanatos gelassen und faltete seine Hände.
»Und wie soll ich den Stein dann rausholen?«, fragte Elliot gereizt. »Ich bin nicht feuerfest, falls dir das entgangen sein sollte.«
»Nun ja … vielleicht doch?«, sinnierte Thanatos.
Elliot knirschte mit den Zähnen.
»Kannst du mir ausnahmsweise mal eine einfache Antwort geben, statt in Rätseln zu sprechen?«, zischte er. »Du gehst mir auf den Geist, Mann!«
»Oh, das tut mir leid«, säuselte Thanatos. »Du erinnerst dich vielleicht, dass in der besagten Prophezeiung die Rede von einem ›sterblichen Kind mit dem Herzen eines Löwen‹ ist. Das sollst offenbar du sein.«
Elliot zuckte mit den Schultern. Nach derselben Prophezeiung würde er sogar eines Tages dank der vier Chaossteine die Welt beherrschen. Daran erinnerte er sich noch genau.
»Nun, wir werden es ja gleich erfahren«, fing Thanatos wieder an. »Nur eine wahrhaft tapfere Seele überlebt das Flammenmeer des Phlegethon. Dein Mut wird dich vor dem Feuer schützen wie eine Rüstung.«
Elliot starrte auf seine verbrannte Fingerspitze.
»Und woher weiß ich, dass ich eine wahrhaft tapfere Seele habe?«, fragte er.
»Du springst kopfüber in die Flammen«, sagte Thanatos. »Die Antwort wirst du umgehend erhalten.«
»Und dann gibst du mir meine Mum zurück? Ehrenwort?«, hakte Elliot misstrauisch nach.
»Zum allerletzten Mal: Ich habe es dir beim Styx geschworen«, seufzte Thanatos. »Und wenn ich diesen Schwur breche, verliere ich mein Kardia und werde sterblich – ein grässlicher Gedanke. Was würde es mir schon nützen, der Herrscher der Welt zu sein, wenn mich jederzeit ein Bus über den Haufen fahren könnte? Ich gebe dir die Seele deiner Mutter zurück, du führst sie aus der Unterwelt, und sobald ihr die Erde betretet, erhält sie ihre sterbliche Hülle zurück. So wie sie war, bevor sie …«
»Hab schon verstanden«, unterbrach ihn Elliot. Er wollte das nicht laut ausgesprochen hören, schon gar nicht aus Thanatos’ Mund. Seine Mum war ja nicht wirklich … nicht am Leben. Sie würde zurückkommen.
Elliot stand auf, ging wieder ans Fenster und schaute auf den Fluss hinunter, in dem eine Flammenwand nach der anderen vorüberwogte. Er würde alles tun, um seine Mum wiederzubekommen. Wirklich alles. Aber das hier? Undenkbar.
Die Flammen unter ihm fauchten und zischten noch wilder.
»Sie spüren deine Angst«, flüsterte Thanatos, der wieder hinter ihn trat und ihm über die Schulter schaute. »Du musst dich in den Griff bekommen, Junge. Und Müdigkeit ist nicht gerade die beste Voraussetzung dafür. Hab gehört, du kannst nicht schlafen.«
Elliot gab keine Antwort, aber es stimmte. Sobald er für einen kurzen Moment einnickte, quälten ihn Träume von Josie. Im Traum war sie am Leben und gesund, seine fröhliche, liebevolle Mum von früher. Und wenn er dann aufwachte, musste er der grausamen Wirklichkeit ins Auge blicken – einem Leben ohne Mum. Also war es besser, gar nicht erst einzuschlafen.
»Wir versuchen es morgen, Junge. Ruh dich erst aus.« Thanatos nickte zur Tür, die auf seinen stummen Befehl hin aufging. »Du wirst deine Kräfte brauchen. Jedes kleine Fitzelchen.«
Elliot stand auf und ging aus dem Büro in die glühenden Ebenen des Tartarus hinaus. Er überquerte eine Brücke, die ihn vom Phlegethon weg zu seiner Unterkunft führte. Die Schreie der gefangenen Dämonen hallten in der rußigen Luft wider und verdüsterten die Atmosphäre noch mehr. Am schummrigen Horizont konnte Elliot den Hang mit dem Tal darunter ausmachen, wo Sisyphus, Tantalus und Asteria mit ihren Schwestern in alle Ewigkeit ihre Strafe abbüßten. Das unwirtliche Brachland dazwischen wimmelte von Elementaren, die Waffen schmiedeten und damit trainierten. Elliot konnte sich gerade unter einem Stein wegducken, der von einem improvisierten Katapult abgefeuert wurde und haarscharf an ihm vorbeizischte.
»Oh, ’tschuldige«, rief ein junger Satyr. »War nicht so gemeint!«
»Kein Problem«, murmelte Elliot und wanderte weiter durch die versengte Landschaft. Hypnos flatterte hinter ihm her. Der Dämon des Schlafes wartete, bis Thanatos komplett außer Hörweite war, bevor er den Mund öffnete.
»Hör mal, du musst das nicht machen«, flüsterte Hypnos. »Ich helfe dir bei der Flucht, wenn du willst. Ich kann dich an einem Ort verstecken, wo Thanatos dich niemals findet. Du kannst einfach gehen. Jetzt sofort.«
»Und warum solltest du das tun?« Elliot blieb stehen und starrte den Dämon an. »Hast du keine Lust mehr, mich zu töten?«
»Scheint so, ja.« Hypnos zuckte mit den Schultern. »Außerdem … überleg doch mal, wie viel Spaß du mit den Chaossteinen haben könntest! Die ganze Welt würde dir zu Füßen liegen. Eine Welt voller Stürme, Überschwemmungen und Erdbeben … Wir könnten wer weiß was alles anstellen …«
»Geht nicht«, sagte Elliot einfach. »Ich muss das jetzt machen.«
Er dachte an Josie und holte tief Luft. Solange er den Hauch einer Chance hatte, seine Mum wiederzusehen, würde Elliot Hooper keinen Schritt von hier weichen – egal was ihm abverlangt wurde, egal wie gefährlich es war oder wie aussichtslos …
Virgo starrte die massive Steinwand vor ihr an.
»Also gut«, sagte sie. Hoffentlich klang ihre Stimme energisch genug. »Das hier müsste funktionieren. Seid ihr bereit?«
Ihre ehemaligen Kollegen vom Zodiakrat – und jetzigen Mitgefangenen – drängten sich in der feuchten Zelle im untersten Verlies des Tartarus zusammen und wechselten unsichere Blicke.
»Ähm, Virgo«, flüsterte Cancer, der Krebs. »Halte mich jetzt bitte nicht für übertrieben bürokratisch oder pingelig, aber …«
»Ja? Und? Was ist?«, fauchte Virgo ungeduldig. Seit zwei Tagen zerbrach sie sich den Kopf, wie sie hier herauskommen sollten. Und zwar bald. Erstens hatte Virgo natürlich keine Lust, den Rest ihrer Ewigkeit im Tartarus zu verbringen. Und zweitens durfte sie gar nicht daran denken, was alles passieren konnte, solange sie hier festsaß. Thanatos, der die Erde mit seinen Chaossteinen auslöschte; Elliot, der nur Blödsinn machte, sobald sie ihm den Rücken kehrte … Und vor allem – das war das Schlimmste – hielt sie es keinen Tag länger mit dem Zodiakrat in diesem finsteren Gefängnis aus.
»Das Problem ist nur«, jammerte Aquarius, der Wassermann, »dass es nach den Vorschriften des Zodiakrats streng genommen …«
»Was heißt hier Vorschriften?«, empörte sich Virgo. »Wollt ihr hier raus oder nicht?«
Die Zodiakräte wechselten erneut betroffene Blicke.
»Na gut«, seufzte Taurus, der Stier, schließlich. »Nachdem ich offiziell noch immer der Vorsitzende der Organisation bin, schlage ich vor, wir schreiten unverzüglich zur Abstimmung.«
»Ja, ja, gute Idee«, stimmten die anderen Zodiakräte erleichtert zu. Virgo stand da wie vom Donner gerührt.
»Seid ihr von allen guten Geistern verlassen?«, schrie sie los. »Ihr wollt darüber abstimmen, ob wir aus diesem ewigen Gefängnis flüchten sollen oder nicht?«
»Klingt doch gut«, blubberte Pisces, der Fisch. »Ich bin dafür, dass wir abstimmen.«
»Hört, hört«, johlte Leo, der Löwe. »Ich unterstütze hiermit das Votum, dass wir umgehend zur Abstimmung schreiten.«
»Und ich unterstütze den Unterstützer des Votums für … also für … ähm … ein Votum«, stotterte Sagittarius, der Schütze, unsicher.
Virgo feuerte ihren besten Todesblick (sie hatte ihn in den letzten beiden Tagen erheblich verbessert) auf die Gruppe ab. Eine äußert nützliche Waffe, wenn es darauf ankam.
»Also … Wer dafür ist, dass wir aus diesem finsteren, feuchten Höllenloch flüchten, der hebe seine Hand beziehungsweise Zange, Huf oder sonstigen Körperteil«, fuhr Taurus fort.
Elf vordere Gliedmaßen schossen in die Luft. Virgos Blick fiel auf Castor, einen der beiden Zwillinge, der es kindischerweise vorzog, sein Hinterteil in die Höhe zu strecken.
»Also gut«, seufzte sie, ohne ihn zu beachten. »Dann lasst uns jetzt weitermachen.«
»Moment mal«, wandte Taurus ein. »Wir haben noch nicht nachgeprüft, ob es Gegenstimmen gibt.«
Virgo zählte die Zodiakräte noch einmal. Alle hatten bereits abgestimmt.
»Das Votum ist einstimmig«, sagte sie zähneknirschend und kämpfte gegen die seltsame Hitze an, die sich in ihrer Brust ausbreitete. »Das ist doch lächerlich.«
»Nein, das ist Demokratie«, bellte Pisces. »Wer ist dagegen?«
Totenstille kehrte im Verlies ein.
»Bitte zähle jetzt die Stimmen«, sagte Taurus zu Pisces.
Mit offenem Mund schaute Virgo zu, wie Pisces etwas Nichtvorhandenes zählte. Waren ihre Kollegen vom Zodiakrat schon immer so … so suboptimal gewesen?
»Gut. Ich habe alles geprüft und das Ergebnis von einer unabhängigen Instanz verifizieren lassen«, verkündete Pisces. »Der Entschluss, aus diesem finsteren, feuchten Höllenloch zu flüchten, ist demnach einstimmig.«
»Danke«, sagte Virgo. »Wenn ihr jetzt bitte alle einfach mal …«
»Einen Moment noch«, warf Taurus ein. »Jetzt müssen wir warten.«
Virgo schaute sich in der dunklen Gefängniszelle um.
»Warten? Worauf?«, fragte sie.
»Wir müssen natürlich die dreißigtägige Beratungszeit verstreichen lassen«, klärte Taurus sie auf.
»SCHNURDELGROTZNOCHMAL!«, brüllte Virgo so laut, dass die Wände zitterten, und ihre Zellengefährten starrten sie entsetzt an. »Das reicht jetzt. Wir müssen hier raus … und Thanatos aufhalten, verstanden?«
»Darüber streiten wir jegliches Wissen ab«, sagte Scorpio schnell.
»Ach ja?« Virgo funkelte den Skorpion wütend an. »Ist das so? Du streitest also jegliches Wissen ab, dass der Todesdämon vor zwei Tagen in Elysium aufgetaucht ist, um uns von seinen Titanen in den Tartarus werfen zu lassen? Thanatos höchstpersönlich? Auge in Auge mit uns? Von diesem Dämon sprechen wir?«
Scorpio warf den anderen Zodiakräten einen Hilfe suchenden Blick zu, aber niemand sprang ihm zur Seite.
»Ja, ganz recht – von diesem«, brabbelte er kaum hörbar. »Nicht dass ich irgendwas darüber wüsste …«
»Sei. Einfach. Still«, fauchte Virgo ihn an. »Ich sage euch jetzt, was wir tun werden. Auf drei rennen wir alle gleichzeitig gegen die Wand. Dieses Verlies ist jahrtausendealt – es muss irgendwo eine Schwachstelle im Gemäuer geben, wo es bereits bröckelt. Und das ist die optimale Art, sie zu finden.«
»Gut«, stimmte Taurus eilfertig zu. »Wer dafür ist, der hebe …«
»Nein!«, donnerte Virgo. »Keine Abstimmungen mehr. Jetzt wird gehandelt. Also, jeder nimmt sich einen bestimmten Abschnitt der Wand vor.«
Die Zodiakräte blickten sich in der engen rechteckigen Zelle um.
»Wer geht wohin?«, fragte Libra, die Waage. »Ich könnte vielleicht ein Ablaufdiagramm zeichnen, falls das eine Hilfe wäre?«
Die anderen Zodiakräte nickten begeistert, aber Virgo stieß sie einfach auf die Zellenwände zu. In wenigen Sekunden waren alle an ihrem Platz.
»Gut«, bestimmte Virgo. »Ich zähle bis drei, und dann rennen wir alle gegen die Wand vor uns und suchen die Schwachstelle. Und wenn wir sie gefunden haben, konzentrieren wir uns auf diese Stelle, um die Wand zu durchbrechen. Seid ihr bereit?«
Ein Chor von lustlosen Grunzern antwortete ihr.
»Also, eins … zwei … drei … LOS!«
Gleichzeitig schnellten die Zodiakräte von ihrer Startposition zurück, um Anlauf zu nehmen. Und wumms!, prallten sie alle mitten in der Zelle zusammen und landeten mit verzerrten Gesichtern, lautem Gekreische plus einem einsamen SCHNURDELGROTZ-Ruf auf dem Boden. Virgo plumpste in das Knäuel aus Armen, Beinen, Scheren und Hufen und raufte sich ihre langen braunen Haare.
»Das ist ja zum Verzweifeln«, heulte sie auf. »Wir werden für immer und ewig hier unten festsitzen.«
»Wenn du erlaubst«, widersprach Capricorn, der Steinbock, und legte ihr tröstend einen Huf auf die Schulter. »Das ist schlicht nicht wahr.«
»Ach ja?« Virgo sprang auf die Füße. »Dann verrate mir doch deinen Plan – wie sollen wir hier wegkommen?«
»Gar nicht«, meckerte Capricorn sanft. »Wir bleiben hier bis ans Ende der Zeit.«
Virgo verdrehte die Augen. »Ja eben? Worauf willst du hinaus?«
»Du bist nicht mehr unsterblich.« Capricorn zwinkerte ihr zu. »Du bleibst also nicht ewig hier. Nein, nein – du sitzt nur so lange in der Zelle, bis du qualvoll verhungert und verdurstet bist.«
»Stimmt nicht«, rief einer der Zwillinge.
»Dem Himmel sei Dank«, seufzte Virgo.
»Als Erstes leidet sie unter Dehydrierung«, meldete sich der andere Zwilling zu Wort. »Sterbliche können zehn Tage ohne Essen überleben, aber nur drei Tage ohne Wasser. Das habe ich aus einem Knallbonbon.«
»Na großartig.« Virgo sank auf den Boden zurück.
»Was wir wirklich brauchen«, fing Aries, der goldene Widder, an, »ist ein riesengroßer …«
»PLOPP!«
»Also bitte, Kind – ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du deine sterblichen Toiletten-Gewohnheiten für dich behalten könntest …«, blökte Aries entrüstet.
»Psst!« Virgo sprang auf und spitzte die Ohren. »Habt ihr das gehört?«
»Was gehört?«, grummelte Taurus. »Alles, was hier drin jemals jemand …«
»PLOPP!«
»Da ist es wieder!«, rief Virgo triumphierend. Diese Stimme würde sie überall erkennen. »Gorgy! Gorgy, bist du das?«
»PLLLLOOOOOOOPPPPP!«, jubelte das Gorgonenjunge, das die Titanen ebenfalls in den Tartarus verschleppt hatten (und das AUFKEINENFALL Virgos geliebtes Haustier war).
Virgo drehte sich im Kreis. Wo kam die Stimme her? Und dann sah sie es: Ganz weit oben klaffte ein winziger Spalt, als wären die Wände dort nicht richtig miteinander verfugt. Warum war ihr das nicht gleich aufgefallen? Ihr Herz machte einen Freudensprung, als sie den dicken grünen Schleim entdeckte, der an dem alten Gemäuer heruntertröpfelte.
»Schnell«, schrie sie ihre Ex-Kollegen an. »Ihr müsst mir helfen da hochzukommen.«
»Tja, da werden wir wohl zuerst ein volles Gutachten bezüglich der gesundheitlichen und sicherheitstechnischen Risiken erstellen müssen«, seufzte Pisces.
»Soll ich dir mal was sagen?«, fauchte Virgo ihn an. »Die größte gesundheitliche und sicherheitstechnische Gefahr für euch bin im Augenblick ich! Ist das angekommen? Und jetzt helft mir gefälligst da rauf!«
Langsam und unter maximalem Einsatz erbitterter Diskussionen und Unstimmigkeiten bildeten die Zodiakräte eine unsterbliche Räuberleiter, auf der Virgo hastig hinaufkletterte.
»Autsch«, zischte Taurus, als sie ihm auf den Kopf trat. »Kannst du nicht aufpassen, wo du deine Füße hinsetzt?«
»Oder deinen dicken Hintern hinpflanzt!«, stöhnten die Zwillinge, die den Steinbock, den sie zwischen sich genommen hatten, mit aller Kraft abzustützen versuchten.
»Haltet still«, ächzte Virgo, während sie an Cancers Panzer hinaufkletterte. »Ich bin fast da …«
Einen Fuß auf Libras Kopf gestemmt, den anderen auf Scorpios Hinterteil, erreichte Virgo schließlich den hellen Spalt in der Wand.
»Gorgy!«, rief sie und presste ein Auge daran. Und tatsächlich – dort unten in der Glutwüste des Tartarus stand ihr Gorgonenbaby und schaute stolz zu ihr hoch. »Du hast mich gefunden!«
»Mama!«, quakte Gorgy und streckte seine Ärmchen aus.
Aus unerfindlichen Gründen setzte Virgos Herz einen Schlag lang aus beim Anblick ihres kleinen Liebl… also ihres Forschungsobjekts natürlich.
»Tut mir leid, Gorgy – Mama kann jetzt nicht mit dir kuscheln …«
»Plopp«, quakte Gorgy. Er schüttelte den Kopf und zeigte auf etwas, das Virgo nicht sehen konnte. »Mama! Mama! MAMA!«
Virgo drehte den Kopf, so weit der Spalt es ihr erlaubte. Und … was war das? Neben dem Gorgonenbaby stand ein ausgewachsenes Gorgonenweibchen, ebenfalls grün und schleimig. Ihr Schlangenhaar zischelte träge um ihren Kopf. Virgo schluckte. Diese Kreatur war brandgefährlich. Die Schlangen auf ihrem Kopf konnten Virgo jederzeit zu Stein erstarren lassen. Sie musste jetzt sehr behutsam vorgehen.
»Hal-lo«, sagte sie langsam und überdeutlich. Es sollte freundlich und vertrauenerweckend klingen, ohne jedoch den geringsten Zweifel an ihrer Überlegenheit aufkommen zu lassen. Diese Gorgone war ja schließlich nur eine Elementare, die niedrigste aller fünf Kategorien von Unsterblichen.
»WIEGEHTESDIR?«, fuhr sie im selben Tonfall fort. Wenn sie eine sinnvolle Verständigung mit dieser Kreatur erreichen wollte, musste sie als Erstes ihre Sprachkompetenz durch einfache Fragen und Antworten testen.
Das Gorgonenweibchen musterte sie neugierig, wie primitive Geschöpfe das zu tun pflegten. Virgo seufzte. Geduld war nicht ihre Stärke.
»SPRICHSTDUENGLISCH?«, fragte sie mit übertriebenen Mundbewegungen.
Die Gorgone sah sie nur an. Virgo schnaubte abfällig. Eine dumme Kreatur. Typisch Elementare.
»ICHHABEGESAGT«, wiederholte sie langsam, »SPRICHSTDUENGL…«
»Ich habe dich sehr gut verstanden.« Das Gorgonenweibchen hielt seine Finger hoch und zählte etwas daran ab. »Muss nur erst nachzählen, wie viele Sprachen ich genau beherrsche. Ab der siebenundzwanzigsten habe ich den Überblick verloren und außerdem kommt es ganz darauf an, ob man Katalanisch als eigene Sprache betrachtet oder nur als spanischen Dialekt.«
»O-oooh …« Virgo blieb einen Augenblick die Luft weg. »Ich verstehe. Es ist mir … ähm, ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mrs … Gorgy.«
»Ganz meinerseits.« Die Gorgone lächelte liebenswürdig. »Mein Sohn hat mir erzählt, wie rührend Sie sich um ihn gekümmert haben.«
»Gorgy ist ein ganz reizendes … Kind.«
»Danke. Das finden wir auch, Gorgys Vater und ich. Darf ich mich vorstellen? Dr. Shonley ist mein Name, aber Sie können mich Rachel nennen. Ach, und nur der Vollständigkeit halber: Mein Sohn heißt Quentin.«
»Plopp!«, quiekte Gorgy fröhlich und nahm die Hand seiner Mutter.
»Oh, ähm … danke, Rachel, das ist sehr nett von Ihnen …«, stotterte Virgo. Zum Glück konnte diese sprachbegabte Gorgone ihren roten Kopf nicht sehen.
»Was ist? Geht’s jetzt endlich weiter?«, rief Taurus ärgerlich zu ihr herauf. »Uns geht hier unten langsam die Puste aus.«
»Wie ich sehe, stecken Sie in der Klemme«, bemerkte Rachel und studierte das steinerne Gefängnis. »Kann ich Ihnen vielleicht meine Dienste anbieten?«
»Das ist sehr freundlich«, sagte Virgo. »Aber lassen Gorgonen nicht immer alles zu Stein erstarren?«
»Nur die ungebildeten unter uns. Auf Gorgonen, die einen Doktor der Chemie an der Universität Cambridge erworben haben, trifft das natürlich nicht zu«, gab Rachel lächelnd zurück. »Ich habe mein Leben der Forschung gewidmet und meine besonderen Kräfte weiterentwickelt. Also wenn ich nicht gerade die Welt bereisen musste, um mit meinen Forschungen nachhaltige Energiequellen und erneuerbare Rohstoffe zu fördern.«
»O ja … natürlich.« Virgo wurde immer kleinlauter. »Und was soll ich tun?«
»Überlassen Sie das mir«, sagte Rachel mit einem breiten Lächeln. »Quentin, du kannst mithelfen. Schlimm genug, dass wir dir aufgrund unserer widerrechtlichen Inhaftierung keinen Hauslehrer beschaffen können, aber lernen musst du trotzdem. Jeder Tag ist ein Schultag, mein Sohn, merk dir das. Und Thanatos werden die Augen aus dem Kopf fallen, wenn dein Vater hier rauskommt.«
»Oh, dann ist Ihr Mann also ein gefährliches Monster?«, platzte Virgo heraus, ehe sie sich bremsen konnte.
»So könnte man es auch nennen«, bestätigte Rachel. »Mein Mann ist ein bekannter Strafverteidiger. Komm, Quentin – mach mir einfach alles nach.«
Rachel schloss die Augen und summte leise vor sich hin.
»Was singen Sie da?«, fragte Virgo. »Einen alten Zauber?«
»Mathematische Gleichungen«, flüsterte Rachel. »Aber pst jetzt, ich muss mich konzentrieren. Wenn ich Pi-Kalkulus statt Knoten nehme, weiß ich nicht, was passiert …«
Virgo nickte wissend. Natürlich hatte sie jedes Wort verstanden. Das seltsame Gemurmel ging weiter, bis die Schlangen um Rachels Kopf aus ihrem Schlaf erwachten und leise zischelten. Das Zischeln schwoll an, wurde lauter und lauter, und die Schlangen tanzten um Rachels Kopf, während sie ihre betörende Magie wirkte.
»Wer hat sich da bewegt?«, stöhnte Pisces, als die Pyramide der Zodiakräte ins Wackeln kam.
»Und wer hat meinen Wasserkrug umgeworfen?«, entrüstete sich Aquarius. »Mir läuft das Wasser in die Hose.«
»Solange es nicht aus deiner Hose rausläuft …«, brummte Scorpio bissig.
»Was macht ihr da? Was ist denn los?«, rief Virgo, die hilflos auf den Schultern ihrer Kollegen herumwackelte.
Aber ihre Worte gingen im Schlangengezischel unter. Als sie sich umblickte, stellte sie fest, dass nicht die Zodiakräte sich bewegten, sondern die Wand.
»Oh … Mist«, murmelte Virgo, denn die massive Mauer vor ihnen bröckelte jetzt spürbar und die Ratsmitglieder unter ihr wackelten immer heftiger.
Virgo schaute zu Gorgy – nein, Quentin – hinunter, der in den rhythmischen Gesang seiner Mutter einstimmte. Es funktionierte. Die Wände bebten immer stärker …
»AUFPASSEN!«, schrie Virgo, aber leider eine Nanosekunde zu spät. Das steinerne Gefängnis sackte abrupt um sie herum zusammen und die Zodiak-Pyramide, die sie oben gehalten hatte, ebenfalls. Wie Dominosteine fielen sie um, Virgos Sturz wurde einzig und allein von den gut gepolsterten Körpern ihrer Ex-Kollegen abgefangen.
»Gut gemacht, Quentin«, lobte Rachel. »Dafür bleibt dir eine ganze Stunde Algebra erspart.«
»Plopp«, quakte Gorgy entzückt.
»Aber Quentin«, ermahnte seine Mutter ihn streng. »Willst du dir nicht endlich diese Babysprache abgewöhnen? Du bist doch ein großer Junge. Du kannst richtige Wörter benutzen.«
Gorgy warf Virgo einen verlegenen Blick zu.
Dann drehte er sich zu seiner Mutter um und sagte großspurig: »Du hast natürlich recht, Mutter, aber Dr. Geary, der Lehrer in meinem Psychologiekurs für Fortgeschrittene, hat gesagt, dass man mit seinem inneren Kind in Verbindung bleiben müsse – das sei wichtig für eine gesunde Entwicklung.«
Virgo kletterte an dem Schutthaufen hinauf, um zu den beiden Gorgonen hinuntersehen zu können.
»Danke«, sagte sie einfach. »Ich weiß wirklich nicht, was wir ohne euch gemacht hätten.«
»Nun, ich denke, wir hätten zahlreiche Seminare abgehalten, um eine Zusammenfassung aller denkbaren Resultate präsentieren zu können«, murmelte Leo.
»Genau«, seufzte Virgo hinter vorgehaltener Hand. »Also, jetzt müssen wir schleunigst zur Erde zurück. Ich muss Elliot warnen, bevor es zu spät ist …«
»Ist es schon.« Quentin senkte den Kopf. »Es tut mir schrecklich leid, dass ich der Überbringer der schlechten Nachricht sein muss, Miss Virgo, aber Elliot ist bereits dort. Bei Thanatos. Er bereitet sich gerade darauf vor, den letzten Chaosstein zu bergen, um seinen Deal mit dem Dämon zu erfüllen.«
»Nein!«, stieß Virgo entsetzt hervor.
»Leider ist Quentins Darstellung des Sachverhalts absolut korrekt«, bestätigte Rachel bedauernd. »Thanatos will, dass wir alle für ihn kämpfen. Aber nicht jeder wird ihm folgen. Wie hat Einstein einmal gesagt: Frieden lässt sich nicht mit Gewalt erreichen, sondern nur durch Verständnis.«
»Unbedingt.« Virgo nickte eifrig. »Dieser Einstein war ein brillanter Mann. Ich habe alle seine Filme gesehen.«
Dr. Shonley lächelte bloß. Wahrscheinlich war sie überwältigt von Virgos brillantem Geist.
Virgo scheuchte die Zodiakräte zu dem Lift, der sie aus Elysium heruntergebracht hatte.
»Gut. Ihr macht euch jetzt auf die Suche nach den Göttern und erzählt ihnen, was hier vorgeht«, kommandierte sie. »Und ich werde Elliot stoppen, bevor er einen Riesenfehler macht. Wieder mal.«
»Alles klar.« Taurus quetschte sich eilig in den Lift. »Wir brechen sofort auf.«
»Toll«, sagte Virgo, »jetzt muss ich nur … Hey, Moment mal … Ihr wollt wirklich gehen? Jetzt sofort? Ohne Abstimmung und PowerPoint-Präsentationen? Ohne Kreisdiagramme?«
»Mach dich nicht lächerlich«, schnaubte Pisces. »Nichts von all dem wäre in dieser Lage angemessen.«
»Auf keinen Fall«, stimmte Aries zu.
»Na endlich … und jetzt fort mit euch!« Virgo griff nach dem Liftknopf.
»Wir sind gleich weg«, versicherte Capricorn und stoppte ihre Hand. »Aber erst brauchen wir noch eine Flipchart. Eine wirksame Ausbruchstrategie zeichnet sich nicht von selbst …«
»Ab jetzt, auf der Stelle!«, brüllte Virgo. Sie drückte auf den Startknopf und ließ ihre Kollegen mit Lichtgeschwindigkeit nach Elysium hinaufzischen.
»Kannst du mich zu Elliot bringen?«, fragte sie Quentin.
»Plopp!«, quiekte Quentin und salutierte vor ihr.
Bald darauf wanderte Virgo durch die glühend heiße Tartarus-Wüste, flankiert von den beiden Gorgonen. Elliot brauchte sie. Die Götter brauchten sie. Und die Erde sowieso. Höchste Zeit, dass Virgo die Welt rettete.
Wieder einmal.
Zeus trommelte mit den Fingern auf den langen, leeren Tisch, ein Geräusch, das wie prasselnder Regen in einer stürmischen Nacht durch den großen Saal auf dem Berg Olymp hallte. Warten war nie die Stärke des Göttervaters gewesen. Und jetzt erst recht nicht. Er schaute seine beiden Töchter an, die rastlos hin und her liefen, während Hermes, sein Sohn, in dem riesigen, leeren Raum herumflatterte. Hephaistos, der Gott der Schmiede, schärfte schweigend seine Axt, was die gespannte Atmosphäre noch mehr anheizte. Irgendwann platzte Zeus der Kragen.
»Ich versteh das nicht«, polterte er los. »Wo zum Teufel bleiben die nur alle? Es ist doch Tage her!«
»Nur zwei. Und sie kommen schon noch.« Athene versuchte aufmunternd zu klingen, was ihr aber nicht wirklich gelang. »Unser Signal kann ihnen nicht entgangen sein.«
»Warum gehen wir nicht einfach los und holen sie?«, sagte Aphrodite und stampfte mit dem Fuß auf dem staubigen Marmorboden auf.
»Schwesterchen, Babe – chillimax«, flötete Hermes und führte ein paar Liegestütze mitten in der Luft vor. »Die kennen doch den Drill. Und ehrlich gesagt hab ich gerade genug eigene Probleme. Ihr seht ja, was die sechs Wochen im Koma mit meinen Muckis gemacht haben! Oder vielmehr Flappis!«
»Die kommen schon noch«, knurrte Hephaistos. »Immer schön die Nerven behalten.«
»Tja, das ist nun mal nicht seine Stärke«, ertönte eine spöttische Stimme. »Anderen Leuten auf die Nerven gehen ist mehr sein Ding …«
Eine uralte Wut kochte in Zeus hoch, ein Hass, wie ihn nur eine einzige Person in allen Welten in ihm auszulösen vermochte.
»WASBEIMSENGENDENTARTARUSHATDIEHIERVERLOREN?«, brüllte er los. »WIRWOLLENEINENKRIEGGEWINNENUNDKEINENNEUENANZETTELN!«
Hephaistos zuckte lässig mit den Schultern.
»Du hast mir gesagt, ich soll allen Bescheid geben«, brummte er. »Und das hab ich gemacht.«
»Ganz recht, und keine Sekunde zu früh.« Hera, die Göttermutter, ging durch die Halle auf ihren Ex-Mann zu. »Wie konntest du es nur so weit kommen lassen? Einem sterblichen Kind die Chaossteine anvertrauen? Hast du jetzt vollends den Verstand verloren?«
»Sieht ganz danach aus, immerhin hat er dich mal geheiratet«, murrte Aphrodite.
Zeus lachte über Aphrodites schlagfertige Antwort, während Hera sich zu ihren Stiefkindern umwandte und sie mit kühlen Blicken musterte.
»Aphrodite …« Hera neigte kaum merklich den Kopf. »Athene. Hermes. Wie schön, euch alle wiederzusehen.«
»Was leider nicht auf Gegenseitigkeit beruht«, erwiderte Athene mit eisigem Lächeln.
»Hera, Babe!« Hermes flog strahlend auf den Boden herunter, um ihr die Hand zu küssen. »Jetzt mal ganz ohne Scheiß – du bist und bleibst eine rattenscharfe Enchilada.«
»Sehr charmant.« Hera zog leicht eine Augenbraue hoch, um Hermes wissen zu lassen, dass sie sich geschmeichelt fühlte. Zeus kannte diesen Blick nur zu gut und schnaubte verächtlich. Obwohl er zugeben musste, dass Hermes mit seiner Bemerkung nicht ganz unrecht hatte …
»Unter welchem Stein hast du dich versteckt?«, herrschte der Göttervater seine Ex-Gemahlin an. Einen Augenblick standen beide nur da und versuchten einander niederzustarren.
Schließlich zuckte Hera mit den Schultern und leerte ihre Tasche am Kopfende des Tisches aus. »Du hast kein Recht, mich nach meinem Aufenthaltsort zu fragen – das hast du längst verwirkt, seit du in dieser lächerlichen Miss-Welt-Jury gesessen und hinterher Miss Puerto Rico geheiratet hast«, ließ sie ihn wissen.
»Irrtum, meine Liebe …« Zeus stieß Heras Besitztümer angewidert von sich weg. »Das war Miss Venezuela. Miss Puerto Rico war die Nachfolgerin.«
»Er hat sie sechs Wochen später geheiratet«, kicherte Aphrodite.
»Ganz ruhig, Vater«, flüsterte Athene und nahm Zeus’ Hand. »Du weißt doch, wie sie ist. Lass dich nicht provozieren.«
»Also«, fing Hera an und zog einen der beiden goldenen Sessel am Kopfende des Tischs hervor. »Dann lasst uns mal anfangen. Nehmt bitte alle Platz.«
»Es sind nur wir«, knurrte Zeus und riss ihr den Sessel aus der Hand. »Sonst ist niemand gekommen.«
»Tatsächlich?« Heras Gesicht verfinsterte sich. Sie riss den Sessel wieder an sich und fügte hinzu: »Vielleicht weil du sie gefragt hast?«
»Ach, halt den Mund, du hochnäsige alte Schreckschraube«, schimpfte Zeus und packte den Sessel, den Hera partout nicht loslassen wollte. »Du hättest es natürlich besser gemacht!«
Die zierliche Göttermutter zerrte den Sessel mit erstaunlicher Kraft wieder an sich. Hasserfüllt starrten sie einander an.
»Du wirst es nicht glauben«, sagte Hera schließlich schulterzuckend. »Aber das habe ich bereits getan.«
»Wirklich?«
»Wirklich.«
Ohne Vorwarnung ließ sie los, sodass Zeus voll nach hinten krachte. Er landete kopfüber auf dem Boden, mit dem Sessel auf seinem dicken Hintern, und kratzte sein letztes bisschen Würde von den Marmorfliesen ab. Als er wütend zu seiner Ex-Frau aufschaute, lächelte sie, was das Fass endgültig zum Überlaufen brachte.
»DUBÖSARTIGE, HINTERHÄLTIGE, WIDERLICHEALTEHEXE …«
»Also, kommt jetzt bitte!«, rief Hera, ohne ihn zu beachten, und klatschte laut in die Hände.
»Glaub ja nicht, du kannst uns herumkommandieren wie Hunde«, murrte Athene und setzte sich brav an ihren Platz.
»Wenn du dich getroffen fühlst …«, säuselte Hera und im selben Moment wurden vor der Tür draußen Schritte laut. »Ah, da sind sie ja.«
Zeus und seine Kinder starrten auf die goldene Tür, durch die sich mehrere Neuankömmlinge gleichzeitig zu quetschen versuchten.
»Wie hast du das …?«, stotterte Zeus, während die olympische Verwandtschaft sich um den Tisch verteilte.
»Ganz einfach.« Hera nahm an seiner rechten Seite Platz. »Ich habe sie gefragt.«
»Hmpf, ich würde es eher Erpressung nennen«, grunzte Poseidon und plumpste in seinen muschelförmigen Sessel. »Sie hat mir damit gedroht, meine Seepocken zu verbrennen, wenn ich nicht komme.«
»Ich dachte, Zeus will den großen Saal renovieren lassen?«, sagte Hestia, die Göttin von Heim und Herd. Sie klappte ihren Koffer auf und zerrte eine Reihe von Stoffmustern hervor. »Ich habe extra diesen edlen Silberchiffon für die Entwürfe mitgenommen …«
»Gefragt, aha!« Zeus lachte höhnisch und ließ sich in seinen goldenen Sessel fallen. »Aber du warst ja schon immer eine intrigante alte Schachtel.«
»Also, meine Lieben, da wir nun mal so vollzählig versammelt sind, können wir uns auch was Anständiges zum Essen gönnen.« Demeter, die Ackergöttin, füllte ein duftendes Schmorgericht in goldene Schalen.
»Nicht für mich, bitte«, wehrte eine blasse, schmächtige Gestalt ab, die auf einem Sessel mit geschnitzten Weinranken Platz nahm. »Ich entschlacke gerade.«
»Dionysos?«, trompetete Zeus und starrte ihn über den Tisch hinweg an. »Bist du das? Hab dich kaum wiedererkannt, alter Junge. Bist ja nur noch ein Schatten deiner selbst.«
»Hi, Dad«, sagte der Gott des Weins mit schwacher Stimme. »Ja, ich habe mir vorgenommen, besser auf mich zu achten und gesünder zu leben. Ich verzichte ganz auf Nektar, Weizen, Milchprodukte, Fette, Kohlehydrate, Zucker, Salz und Fleisch.«
»Alter!«, lachte Hermes und flog herüber, um Dionysos einen Fauststoß zu verpassen. »Dann geht’s dir ja sicher supidupi!«
»Ja«, murmelte Dionysos und hob schwach seine Faust. »Hab mich nie besser gefühlt.«
Im selben Moment krachte die Tür auf und die Göttin der Jagd galoppierte auf einem gescheckten Pferd in den Saal, gefolgt von ihrem Zwillingsbruder, dem Gott der Musik. »Hallihallo allerseits!«, rief sie fröhlich.
»Artemis! Apollo!« Zeus strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
»Tut mir leid, dass wir zu spät kommen. Hatte wieder mal Stress mit den Nachbarn«, seufzte Artemis und verdrehte die Augen. »Die regen sich immer über meine Sonntagsjagden auf.«
»Wieso? Wo ist das Problem?«, fragte Aphrodite.
»Also erstens sind sie einfach nicht schnell genug«, erklärte Artemis. »Meine Hetzhunde holen diesen Rentner von Nummer sechsunddreißig locker ein.«
Die Jagdgöttin wieherte vor Lachen und klatschte sich mit der Peitsche auf ihre Reithose, die so breit von ihren Hüften abstand wie die Tragflächen einer Spitfire.
»Okay, Schwesterherz, ich akzeptiere es natürlich total, dass du als Jagdgöttin drauf abfährst, Tiere zu hetzen und so …«, sagte Apollo, der sein langes graues Haar mit einem regenbogenfarbenen Stirnband zusammengefasst hatte. »Aber Jagen ist einfach nur sinnloser Mord.«
»Papperlapapp … dummes Geschwätz!«, rief Artemis. »Die Tiere lieben es! Frische Luft, Bewegung …«
»Ach ja? Und besonders das blutige Ende«, feixte Apollo.
»Wie schön, dass ihr alle da seid«, trompetete Zeus und winkte ihnen vom anderen Tischende zu, während Hades sich unauffällig unter die anderen mischte und seinen Platz an der langen Tafel einnahm. »Ich glaube, jetzt sind wir vollzählig versammelt.«