Die Chronik der Verborgenen - Geliebtes ewiges Veilchen - Renate Blieberger - E-Book

Die Chronik der Verborgenen - Geliebtes ewiges Veilchen E-Book

Blieberger Renate

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Beschreibung

Ein romantischer Vampirroman für Erwachsene

Der Vampir Seth wurde durch eine Falle in einem Schattenreich eingekerkert, dazu verdammt die Welt der Lebenden nur noch beobachten zu können. Ausgerechnet von dort aus entdeckt er seine wiedergeborene große Liebe, die er vor Jahrtausenden verloren hat. Als ihm wie durch ein Wunder die Flucht gelingt, versucht er alles um sie für sich zu gewinnen. Das gestaltet sich allerdings schwieriger als erwartet, weil sein Kerker schon bald wieder nach ihm greift und Viola keine Ahnung von Vampiren, Hexen und anderen magischen Geschöpfen hat.

Viola wird schon ihr ganzes Leben lang von merkwürdigen Träumen aus dem alten Ägypten heimgesucht, in denen vor allem ein Mann immer wieder vorkommt. Als der eines Tages leibhaftig bewusstlos vor ihrem Haus liegt, berührt er sofort etwas in ihr. Sie versucht zwar ihn wieder loszuwerden, aber dummerweise macht er ihr das ziemlich schwer.

Andere Bände der Serie:
Band 1: Die Chronik der Verborgenen - Geliebte Blutrose
Band 2: Die Chronik der Verborgenen – Geliebte magische Lilie
Band 3: Die Chronik der Verborgenen – Geliebte zauberhafte Kirschblüte

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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DIE CHRONIK

DER VERBORGENEN

 

Geliebtes

ewiges Veilchen

 

von

Renate Blieberger

 

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Leseprobe

Impressum

 

 

ALLE RECHTE VORBEHALTEN

2. Auflage 2024

Autor und Herausgeber: Renate Blieberger

Zwischenweg 14, A-2700 Wiener Neustadt

E-Mail: [email protected]

Bildrechte: Blume: Dr. PAS/depositphotos.com, Hintergrund: Sirius-sdz/deviantart.com

Cover & Design: Linda Woods; www.designs-und-cover.de

Prolog

 

 

Seth

 

Ich war schon vieles, Sklave, Hexer, Vampir und ein Gott. Nun jedoch bin ich nur noch ein machtloser Schemen, dazu verdammt, die Welt der Lebenden zu beobachten, ohne jemals wieder daran teilhaben zu können. Es mutet wie eine Strafe des Schicksals an, dass ich sie gerade jetzt finde. Sie, nach der ich seit Jahrtausenden gesucht habe, sie der auf ewig mein Herz gehören wird, sie die mir einst genommen wurde. Obwohl ich weiß, dass mir ihre Berührung auf ewig verwehrt bleiben wird, kann ich nicht anders, als in ihrer Nähe zu bleiben, auch wenn jeder Moment mich unsagbar quält. Sie ist mein Licht und ich bin die Motte, die um sie herum flattert. Aber im Gegensatz zu einer Motte wird mein Leiden nicht durch einen schnellen Tod beendet werden.

 

 

Viola

 

Ich war eine Waise, eine Diebin, eine Schülerin und nun bin ich eine Künstlerin. Aber vor allem bin und war ich immer eines, eine Getriebene, meiner eigenen Träume. Solange ich denken kann, suchen mich diese merkwürdigen Träume heim, die wie Erinnerungen aus einem anderen Leben anmuten. Aber seit einigen Wochen meine ich, selbst jenseits dieser Träume jemand nach mir rufen zu hören. Ich ahne den nahenden Wahnsinn und doch kann ich mich seiner samtigen Stimme nicht entziehen. Es ist, als ob ein Teil von mir bereits ihm gehören würde.

1. Kapitel

 

 

Seth

 

„Du hast schon wieder getrödelt“, dringt eine strenge Männerstimme an mein Ohr. „Du willst wohl wieder mal gezüchtigt werden?“ Angst kriecht in mir hoch, als ich mich an den brennenden Schmerz auf meinem Rücken erinnere. Gerade als ich zu ihm eilen will, weicht die Erinnerung und ich finde mich in meinem Kerker aus Schatten und Nebelschwaden wieder. Ich schwebe seit Monaten in diesem Nichts, ohne jemand oder etwas berühren zu können. Als ob das noch nicht übel genug wäre, werde ich auch noch von Erinnerungen aus den fünf Jahrtausenden meiner Existenz heimgesucht und keine Einzige davon war bisher schön oder auch nur friedvoll gewesen. Ich war, als das große Ägypten noch jung gewesen war, als Sohn einer Sklavin geboren worden und war so selbst zur Sklaverei verdammt gewesen. Die Stimme eben hatte meinem Besitzer gehört. Seinen Namen und sein Gesicht habe ich längst vergessen, wie so viele andere auch, aber seine Stimme wird für mich auf ewig mit dem kalten Gefühl der Angst verbunden bleiben. Ich schüttle die Erinnerung wütend ab und konzentriere mich auf die Gegenwart. Der Verrat meiner falschen Königin hatte mich hierher gebracht, oder besser gesagt meine eigene Dummheit. Ich war eine Weile in der Nähe meines Refugiums verblieben und hatte dort die bittere Wahrheit erkannt. Die Vampirin Rose hatte den Plan eines alten Feindes ausgeführt, den dieser bereits vor Jahrtausenden geschmiedet hatte. Er hatte mir mit einem Artefakt vorgegaukelt, dass sie die Wiedergeburt meiner Ilea wäre und blind vor Sehnsucht hatte ich den falschen Visionen geglaubt, obwohl mein Herz sie nicht erkannt hatte. Ganz im Gegenteil zu der Frau vor mir. Ich hatte sie auf meiner Suche nach einem Fluchtweg erblickt und sie war mir vertraut erschienen, obwohl ich mir sicher war, sie noch nie vorher gesehen zu haben. Wie die Motte vom Licht angezogen hatte ich mich ihr genähert und war vor Ehrfurcht erstarrt, als ich in ihre Augen geblickt hatte. Sie trägt einen anderen Namen und sieht anders aus, als damals. Heute hat sie blondes, schulterlanges Haar, das sich wild lockt, wenn sie es nicht mit einem Band bändigt, und blasse Haut, wie die Nordländer, nur ihre Augen sind dieselben wie damals. Diese sanften braunen von grünen Sprenkeln durchzogenen Augen, die einem bis in die Seele zu blicken scheinen. Ilea hatte denselben Blick gehabt, ein Blick, der mich sofort wieder eingefangen hatte. Ich lache bitter auf. Welche Ironie des Schicksals, ich finde sie nach so langer Zeit endlich wieder und kann sie doch niemals haben, weil ich auf eine Schwindlerin hereingefallen bin.

 

 

Viola

 

Ich fahre erschrocken herum, als ein wütendes Fauchen an meine Ohren dringt, und sehe natürlich nichts. Wie auch? Ich bin in meinem kleinen Strandhaus, wo es unter Garantie nichts und niemand gibt, der fauchen könnte, oder schreien oder nach mir rufen. Ich seufze gequält auf. Es wird schlimmer. Ich frage mich nicht zum ersten Mal, ob Geisteskrankheiten in meiner Familie liegen. Aber das werde ich, wie so vieles, wohl nie erfahren. Laut den Berichten des Waisenhauses, in dem ich das erste Jahrzehnt meines Lebens verbracht hatte, war ich als Baby auf den Stufen abgelegt worden. Vielleicht weil meine unbekannte Mutter das Problem schon geahnt hatte? Ich schiebe die düsteren Gedanken energisch weg und wende mich wieder meinem Bild zu. Ich habe schon vor Jahren beschlossen, mich nie wieder irgendetwas oder jemand kampflos zu ergeben. Möglicherweise werde ich irgendwann eine brabbelnde Irre sein, aber bis dahin werde ich jeden Tag dagegen ankämpfen. Ich lege den Kopf schief und betrachte das halb fertige Bild. Es ist keines der üblichen Bilder, die ich an die Souvenirgeschäfte in der Stadt verkaufe, sondern es zeigt jemand aus einem meiner Träume. Ich träume schon mein ganzes Leben lang merkwürdige Träume aus dem alten Ägypten, aber vor einigen Wochen hatten sie sich verändert. Bis vor Kurzem waren die Gesichter immer verschwommen geblieben, nun jedoch werden sie immer deutlicher. Besonders ein Mann taucht immer wieder auf und ist mir sogar nach dem Erwachen noch gut in Erinnerung. Vielleicht ist er eine Wahnvorstellung von mir, da ich erst seit seinem Erscheinen in meinen Träumen immer wieder diese Stimme höre. Er ist jung, höchstens zwanzig, wenn nicht sogar jünger. Seine Gestalt ist für die heutige Muskelmode fast schon zu schlank, ohne jedoch dürr zu wirken. Seine Haut hat die Farbe von hellem Honig, sein Haar reicht ihm bis zur Hüfte und ist so tiefschwarz, dass es im Sonnenschein glänzt. Das zusammen mit der ägyptischen Toga weisen ihn als Ägypter aus, wenn da nicht diese bemerkenswerten Augen wären. Sie sind von so einem intensiven Grün, dass sie mich fast an Katzenaugen erinnern. Zuerst war er nur ein Bild am Rande meiner Träume gewesen, aber seit einigen Tagen beherrscht er sie förmlich, und zwar auf eine sehr anregende Art und Weise. Ich bin fünfundzwanzig und stehe normalerweise nicht auf jüngere Männer, aber bei ihm habe ich das Gefühl, er wäre uralt. Ich schüttle den Kopf, um diesen Unsinn loszuwerden. Es fehlt gerade noch, dass ich mir einrede mein Traummann wäre ein Vampir, der mich des Nachts heimsucht und zu seiner unsterblichen Braut machen will. Möglicherweise sollte ich in Betracht ziehen, dass diese Träume und die Stimme nur ein Zeichen für mein brachliegendes Sexualleben sind. Ich sollte wirklich meine sozialen Kontakte etwas ausbauen. Entschlossen mein Problem an der Wurzel zu packen, lege ich den Pinsel weg und hole meine Jacke. Es wird Zeit wieder mal einen alten Freund zu besuchen.

 

 

Seth

 

Neugier flackert in mir auf, als sie das Haus verlässt. Seit ich sie vor ein paar Wochen gefunden habe, ist sie nur ab und zu mit ein paar Bildern in die Stadt gefahren, um sie zu verkaufen und sich gleich danach mit Vorräten einzudecken. Die restliche Zeit hat sie mit malen, langen Strandspaziergängen und täglichen Kampfsportübungen verbracht. Das hier ist untypisch für sie. Ich folge ihr zu einem Haus am Stadtrand. Kurz, nachdem sie geläutet hat, wird die Tür geöffnet und ein Mann steht vor ihr. Ich schätze ihn auf Mitte dreißig, er ist groß, gut gebaut und hat ein attraktives Gesicht, das von einem akkuraten Kurzhaarschnitt eingerahmt wird. Als er sie erkennt, strahlt er und zieht sie in seine Arme. Eifersucht kocht in mir hoch, aber ehe ich auch nur versuchen kann, mich auf ihn zu stürzen, werde ich wieder mal in eine Erinnerung gezogen.

Ich spüre brennenden Durst und mein Kiefer schmerzt. Ich liege bäuchlings auf dem Boden und kralle die Klauen an meinen Fingern in den harten Lehmboden vor mir. In der Luft hängen der Geruch von ausgetrocknetem Schlamm und eine warme Kupfernote, die von dem Mann vor mir kommt. Er kommt mir vage bekannt vor, aber das vor Entsetzen verzerrte Gesicht kann mich auch täuschen. Er kriecht rücklings von mir weg und kreischt: „Bleib weg von mir Dämon.“

Ein leises Lachen ertönt hinter mir, gefolgt von einer melodischen Frauenstimme: „Dämonen sind wir wahrlich nicht, aber du wirst von dieser Erkenntnis nichts mehr haben Menschlein.“ Ich fühle eine zärtliche Berührung an meinem Rücken, aber mein Blick bleibt weiterhin wie fixiert an dem Mann haften. Sie flüstert mir ins Ohr: „Er hat dich so oft gequält, nimm dafür sein Leben, dann wirst du wahrhaft frei sein.“ Sie schreitet an mir vorbei und ich erblicke eine rassige Schönheit in prunkvollen Gewändern, ehe sie mit einer Hand ausholt und dem Mann vor meinen Augen die Kehle zerfetzt. Die rote Fontäne ist zu viel für meine Selbstbeherrschung. Ich hechte nach vorne, packe ihn an den Schultern und schlage meine Zähne in seinen Hals. Ich achte weder auf sein Röcheln, noch auf ihr Lachen, sondern nur auf den herrlichen Geschmack in meinem Mund. Erst als der Durst nachlässt, realisiere ich, was ich tue. Angewidert lasse ich ihn los und weiche vor ihm zurück. Die Frau tadelt mich: „Habe nie Mitleid mit ihnen. Sie würden mit uns auch keines haben. Aber hab keine Sorge, ich werde dich alles lehren, was du wissen musst. Du bist jetzt mein.“

Selbst als ich in meinem Kerker wieder zu mir komme, bleibt das bittere Gefühl. Das war meine Schöpferin gewesen und ich hatte nur einen Herrn gegen einen anderen getauscht. In gewisser Hinsicht war sie schlimmer gewesen als er. Er hatte meinen Körper nur misshandelt, während sie ihn in jeder nur erdenklichen Hinsicht benutzt hatte. Wütend schiebe ich die Erinnerung zurück in den Winkel, in dem sie hoffentlich für alle Zeiten ruhen wird, und konzentriere mich wieder auf Viola, wie Ilea sich heute nennt. Ich muss wissen, was sie mit diesem Mann verbindet.

 

 

Viola

 

Es tut gut, Maceo wiederzusehen. Ich erwidere seine Umarmung und lasse mich ins Haus ziehen. Das Inventar hat sich seit damals nicht großartig verändert. Es ist schlicht und zweckmäßig, wie der ganze Mann. Er hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht Streuner wie mich von der Straße zu holen und scheint sonst keine anderen Hobbys zu haben. Sein Geld verdient er mit Privatstunden in allen möglichen Kampfsportarten oder auch nur einfach ein paar Lektionen in simpler Selbstverteidigung. Fernöstliche Weisheiten sucht man bei ihm vergebens. Sein Motto lautet, versuche Ärger zu vermeiden, aber falls ihn jemand bei dir sucht, tritt ihn kräftig in den Hintern. Ich war fünfzehn gewesen, als er mich auf der Straße angesprochen hatte, um mich zu einer Übungsstunde einzuladen. Ich war eine großmäulige, von sich selbst überzeugte kleine Diebin gewesen und hatte eigentlich nur vorgehabt, ihm dabei die Bude auszuräumen. Aber bald hatte mich der Ehrgeiz gepackt und ich war immer wiedergekommen. Drei Jahre später war ich nicht nur eine brauchbare Nahkämpferin gewesen, sondern auch bereit für den Absprung aus meinem damaligen Leben. Als wir an seinem Übungszimmer vorbeikommen, fragt er: „Lust auf eine Trainingseinheit?“

Ich schnaube: „Ich habe heute meine schöne Jeans an, also keine Lust auf dem Hintern zu landen.“

„Dafür bist du schon viel zu gut. Es sei denn, du hast nachgelassen, während du dich in deinem Strandhaus verkrochen hast“, neckt er mich.

Ich drohe ihm spielerisch mit dem Finger. „Falls du mit einer deiner Predigten kommst, bin ich gleich wieder weg. Außerdem hast du, wie ich dich kenne, sicher einen Schüler, mit dem du dich fit halten kannst.“ Sein Lächeln verschwindet und sein Blick wird ernst. „Hast du Probleme?“, frage ich besorgt. Auch wenn ich es nie zugeben würde, Maceo ist das, was für mich einer Familie am nächsten kommt.

Er seufzt: „Mein derzeitiger Schüler ist ein wenig schwierig.“

„Schwieriger als ich?“, frage ich spöttisch, meine damalige Widerborstigkeit vor Augen.

Maceo erwidert ernst: „Du warst immer eine Kämpferin Viola und das nicht nur auf der Matte. Ich musste dir nur einen Ausweg zeigen und du hast dich selbst aus Krischans Sumpf gezogen. Er ist … Ich denke, er sieht keine Alternative für sich.“ Krischan, wie ein gerufener Dämon taucht sein Gesicht vor mir auf. Er hatte mich auf der Straße aufgelesen, zur Diebin ausgebildet und mich für sich arbeiten lassen. Er ist ein raffinierter Hund. Er prügelt seine „Kinder“ nicht, sonder gaukelt ihnen vor, sie zu lieben und sich um sie zu kümmern. Das macht es so unheimlich schwer, sich von ihm zu lösen. Vor allem wenn man sonst niemand hat.

Ich frage düster: „Er gehört zu Krischan?“

„Leider. Könntest du nicht mit dem Jungen reden? Mir glaubt er nicht, aber wenn ein ehemaliger Schützling Krischans ihm zureden würde, könnte das anders aussehen“, schlägt er vor. Ich will Maceo nicht im Stich lassen, dazu schulde ich ihm zu viel. Aber ich will mich auch nicht unbedingt mit Krischan anlegen. Doch der bekümmerte Blick in Maceos Augen sagt mir, wie viele Sorgen er sich um diesen Jungen macht.

Also gebe ich nach: „Schön, ich rede mit ihm. Aber finde eine Möglichkeit, bei der Krischan nicht auf mich aufmerksam wird.“

Er entspannt sich sichtlich. „Er kommt morgen so gegen zehn Uhr vormittags wegen einer Übungsstunde zu mir. Ich schlage vor, du schneist zufällig um dieselbe Zeit herein und nach der Übungsstunde lade ich dich zum Brunch ein.“

 

 

Seth

 

Mein Blackout hat lange genug gedauert, um Violas Besuch bei diesem Kerl zu verpassen. Gerade als ich das Haus betreten will, kommt sie schon wieder heraus. Aber wenigstens weist ihr ernster Gesichtsausdruck nicht eben auf ein Schäferstündchen hin. Aber früher oder später wird eine schöne Frau wie sie sich einen Liebhaber nehmen und das wäre mehr, als ich ertragen könnte. Ich muss hier raus, und zwar schnell.

2. Kapitel

 

 

Viola

 

Ich betrete Maceos Haus mit gemischten Gefühlen. Am liebsten hätte ich nie wieder etwas mit Krischan zu tun. Aber ich erinnerte mich noch zu gut daran, wie viel Angst ich vor einem Neuanfang gehabt hatte, um mich nicht in den Jungen hineinversetzen zu können. Eine Angst, die Maceo mir genommen hat. Vermutlich ist es dumm, aber tief in mir habe ich das Gefühl dem Universum dafür etwas zu schulden. Maceo hatte mir gestern einen Ersatzschlüssel gegeben, damit ich „rein zufällig“ reinschneien kann. Schon im Flur höre ich die Kampfgeräusche aus dem Übungsraum. Die Zwei gehen ganz schön zur Sache. Ich folge dem Lärm und drücke vorsichtig die Tür auf. Ich erblicke Maceo, der gerade einen braunhaarigen Jungen im Schwitzkasten hält. Selbst in dem weiten Trainingsanzug merke ich, wie schlaksig er ist. Sein Gesicht hätte hübsch wirken können, wenn es nicht diesen verkniffenen Ausdruck gehabt hätte. Er schlägt und tritt wild um sich, aber damit wird er Maceo nicht beeindrucken. Ich mache mich bemerkbar: „Du musst gezielt seinen Magen mit deinem Ellbogen treffen. Dann wird sein Griff locker genug, um ihn mit einem Schulterwurf zu Boden gehen zu lassen.“ Der Kopf des Jungen fährt erschrocken zu mir herum und er erstarrt in der Bewegung.

Maceo lässt ihn los und begrüßt mich: „Viola, was für eine Überraschung. Ramon das ist Viola, eine frühere Schülerin von mir. Viola, das ist Ramon.“

Trotz der misstrauischen Miene schenke ich ihm ein Lächeln. „Hallo Ramon. Soll ich dir zeigen, wie es funktioniert?“

Er schnaubt: „Nimm den Mund nicht zu voll. Der Kerl ist einfach nicht zu schlagen.“ Ich nehme ihm seine ruppige Art nicht übel, denn ich war auch so gewesen. Das ist unsere Art der Welt zu sagen, du kannst mich mal. Ich trete zu Maceo auf die Matte, wende ihm den Rücken zu und er nimmt mich in den Schwitzkasten. Unter Ramons schadenfrohem Blick verlagere ich mein Gewicht mit einem Ruck nach hinten, was Maceos Stand instabil macht, hole gleichzeitig mit dem Ellbogen aus und ramme ihn meinem ehemaligen Lehrer hart in den Magen. Das löst seinen Griff nicht, lockert ihn aber genug, um ihn zu packen und mit Schwung über meine Schulter zu Boden zu schicken.

Während Maceo vor mir hart auf die Matte prallt, wird Ramons Miene ungläubig und er keucht: „Das gibt es doch nicht.“

Ich zucke die Schultern. „Ich habe drei Jahre gebraucht, bis ich es zum ersten Mal geschafft habe. Am Anfang dachte ich auch, das wird nie was, aber ich war einfach zu stur, um aufzugeben. Maceo ist ein toller Lehrer. Ich würde an deiner Stelle diese Chance nutzen.“

Maceo, der inzwischen mit einer eleganten Bewegung wieder auf die Beine gekommen ist, mischt sich ein: „Viola ist eine echte Kämpferin. Heute ist sie Malerin und hat eine kleine Hütte am Strand. Aber vor ein paar Jahren hat sie wie du auf der Straße gelebt und wie du für Krischan gestohlen.“ Ramons Miene verschließt sich. Er ist offenbar kein Idiot und hat die Falle längst erkannt.

Ich schätze es hat keinen Sinn es mit weiteren Tricks zu versuchen und gebe zu: „Maceo hat mich gebeten, mit dir zu reden. Was hältst du davon, mit uns zu essen und dabei zuzuhören. Falls du es für Quatsch hältst, kannst du es anschließend gleich wieder vergessen.“

„Warum willst du mir helfen?“, fragt er misstrauisch.

„Weil Maceo mir geholfen hat und ich nicht gerne Schulden habe“, antworte ich ernst.

Der Junge gibt nach, wenn auch in patzigem Tonfall: „Also schön, ich kann etwas zu essen vertragen.“

 

 

Unser Essen hat fast eine Stunde gedauert, in der ich Ramon von meinem Absprung erzählt habe. Inzwischen ist er weg und ich sehe Maceo über meinen Tassenrand hinweg an, während ich feststelle: „Er hat Angst.“

„Die hattest du auch“, erwidert Maceo.

„Ja, aber eher davor eine der drogensüchtigen Huren am Straßenrand zu werden, sobald ich zu alt für Krischans Zwecke bin“, stelle ich klar. „Er ist noch nicht so weit. Krischan benutzt vor allem Kinder und Jugendliche, weil sie weniger Misstrauen erwecken und sich leichter beeinflussen lassen. Sie lieben ihn Maceo. Deswegen erlaubt er ihnen den Umgang mit dir. Etwas Anderes würde die Fassade des liebevollen Ersatzdaddys zerstören und unterm Strich nützt ihm dein Training. So können sie sich besser gegen die Konkurrenz behaupten.“

Maceo gibt zu bedenken: „Ich habe dich und noch ein paar andere da rausgeholt. Du denkst das nimmt er deswegen in Kauf?“ Ich seufze innerlich auf. Maceo ist ein guter Mensch, aber genau deshalb versteht er nicht, wie Leute wie Krischan ticken.

Ich frage ernst: „Wie viele waren es in den vergangenen Jahren? Ich wette nicht mehr als eine Handvoll. Es lohnt sich für ihn, glaub mir.“

„Er hat bei deinem Abgang keinen Ärger gemacht“, wirft er ein.

„Ich war schon achtzehn. Er hätte mich ohnehin nicht mehr allzu lange einsetzen können und mit dem Strich hat er zum Glück nichts am Hut. Ramon ist noch jünger. Bei ihm könnte das anders aussehen, vor allem solange er unentschlossen ist. Bitte sei vorsichtig“, mahne ich ihn.

 

 

Seth

 

Diesmal habe ich ihren Besuch bei diesem Mann nicht verpasst und erleichtert festgestellt, dass er ganz offenbar nur so etwas wie eine Vaterfigur für sie ist. Sie ist besorgt um ihn, was mich nicht überrascht. Schon als Ilea hat sie alles für jene getan, die ihrem Herzen nahegestanden haben. Ich hoffe nur, sie bekommt keinen Ärger. Seit ihrer Rückkehr zum Strand geht sie mit nachdenklicher Miene am Meer spazieren und ich folge ihr. Ihr so nahe zu sein, ohne sie berühren oder auch nur mit ihr sprechen zu können, ist eine Folter. Aber um nichts in diesem Universum hätte ich sie verlassen. Wenn ich doch nur hier raus könnte. Zum wohl tausendsten Mal, seit ich hier eingekerkert wurde, verfluche ich diesen Hexenmeister und die Vampirin, die seinen Plan ausgeführt hat. Dieser verfluchte Mistkerl ist nicht nur für meine Verbannung verantwortlich, sondern auch für Ileas Tod. Er war ihr Vater gewesen und hatte von Anfang an versucht, uns zu trennen. Ich hatte ihn Ilea zuliebe verschont und teuer dafür bezahlt. Ohne ihn hätte ich sie verwandelt, wir wären seit Jahrtausenden vereint und ich wäre nicht in diesem Kerker gefangen. Meine düsteren Gedanken werden je unterbrochen, als die Nebelschwaden und Schatten um mich herum zu rotieren beginnen und ein lauter Wutschrei ertönt. Wer immer da schreit, ich kann seine Wut und seine Verzweiflung förmlich körperlich spüren. Mir wird in dem Wirbel aus Schatten schwindlig. Nur mit Mühe schaffe ich es, an Viola dranzubleiben. Sonst gleite ich mühelos durch die Schatten und den Nebel, aber nun ist es, wie durch Treibsand zu waten. Ich merke, wie Viola sich immer weiter von mir entfernt, und schaffe es doch nicht ihr auf den Fersen zu bleiben. Aber der Richtung nach geht sie ohne Zweifel zu ihrer Hütte zurück, ich werde sie dort finden.

 

 

Viola

 

Nach dem stundenlangen Spaziergang am Strand fühlen meine Muskeln sich angenehm müde an. Für meine kreisenden Gedanken gilt das leider nicht. Ich sehe das Auto sofort, als ich mich meiner Hütte nähere. Ich war nie ein Fan von Automarken. Meiner Ansicht nach muss ein Auto nur fahren und ein Dach haben. Aber selbst ich sehe, dass dieses Exemplar mit Sicherheit eine Menge gekostet hat. Touristen kommen nicht an diesen steinigen Strand und ich habe außer Maceo keine Freunde, die mich besuchen könnten, also nähere ich mich der Hütte mit einem kalten Knoten im Magen, da ich ahne, wer der Besucher ist. Tatsächlich erkenne ich beim Näherkommen einen von Krischans Männern, der an meiner Hüttenwand lehnt. Er stößt sich ab und spottet: „Sieh an, du traust dich ja doch noch nach Hause.“ Bei Typen wie dem ist es wie bei Hunden, man darf um Himmels Willen keine Angst zeigen.

Ich schnappe: „Wenn du nicht warten willst, hättest du dich anmelden sollen.“

Er schlendert auf mich zu und stellt fest: „Krischan ist nicht erfreut. Er hätte sich mehr Dankbarkeit von dir erwartet, nach allem, was er für dich getan hat. Du hast dem guten Ramon Flausen in den Kopf gesetzt. Das solltest du ihn Zukunft unterlassen, sonst müssten wir dir deine Untreue rückwirkend abgelten, wenn du verstehst, was ich meine.“ Er hat mich inzwischen erreicht und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Jeder meiner Muskeln schreit danach, ihm eine zu verpassen. Aber das wäre unklug, also halte ich mich zurück. Er neigt sich zu meinem Ohr und flüstert mir zu: „Du bist eine schöne Frau geworden Viola. Falls du uns zu oft unter die Augen kommen solltest, könnte Krischan seine Meinung bezüglich deiner Nutzlosigkeit ändern.“

Jetzt schlage ich doch seine Hand weg und fauche: „Schon gut, ich habe verstanden. Wenn der Junge nicht von allein dahinter steigt, was für Mistkerle ihr seid, ist es sein Problem.“

„Braves Mädchen“, lobt er mich. Plötzlich tritt ein anzügliches Grinsen auf seine Lippen und er fährt fort: „Weißt du, da ist etwas, das ich schon lange wissen will. Du warst zwar immer recht hübsch, aber auch ziemlich unterkühlt. Hat dein Maceo dich auf der Matte aufgetaut? Wenn du uns deshalb verlassen hast, hättest du nur etwas sagen müssen. Ich hätte es dir besser besorgt als dieser Versager.“ Gleichzeitig greift er nach mir. Mein Knie zuckt hoch, ehe ich darüber nachdenke, und trifft ihn im Schritt. Er kreischt auf und geht mit gegen seinen Schritt gepressten Händen zu Boden.

Ich fahre ihn an: „Richte Krischan aus, dass ich mich von seinen Kids fernhalten werde. Aber wenn du noch mal versuchen solltest, mich anzufassen, werde ich dich kastrieren und Krischan dein bestes Teil mit der Post zuschicken.“

„Miststück“, flucht er. „Dafür werde ich dich ...“

Ich schneide ihm eisig das Wort ab: „In Ruhe lassen, oder Krischan erfährt, dass du mich angrapschen wolltest.“ Ich zaubere ein böses Lächeln auf meine Lippen und füge gehässig hinzu: „So weit ich mich erinnere, dürfen seine Leute nur mit seinen Sachen spielen, sobald er es erlaubt hat. Hat er es dir erlaubt?“ Seine verkniffene Miene ist Antwort genug. Ich hatte recht. Dass ich mich an eines seiner Kids herangemacht habe, nimmt Krischan persönlich und persönliche Rechnungen hat er immer gerne selbst beglichen. Dieser Idiot sollte mir nur die Nachricht überbringen und diese Drohung dürfte ihn mir vom Hals halten. Ich kann nur hoffen, dass Krischan meinem Versprechen glaubt, sonst könnte mein Leben bald sehr unerfreulich werden. Ich schimpfe mich im Stillen eine Närrin. Warum nur hatte ich mich zu dieser Sache überreden lassen?

 

 

Seth

 

Der Schrei, der meinen Kerker erschüttert hat, ist verstummt und die Schatten sind dabei, zur Ruhe zu kommen. Aber ich merke es kaum, weil die Szene vor mir mörderische Wut in mir auslöst. Ich habe es eben erst mit größter Mühe zu Violas Hütte geschafft und sehe, wie ein Mann sie berührt und sie anzüglich angrinst. Niemand außer mir darf sie so berühren. Ich weiß es ist sinnlos, dennoch werfe ich mich mit aller Kraft gegen die Grenze zwischen meinem Kerker und ihrer Welt. Einfach weil nichts zu tun mich in den Wahnsinn getrieben hätte. Aber diesmal werde ich nicht zurückgeschleudert, sondern die Nebelschwaden kriechen förmlich in mich hinein. Ehe ich auch nur darüber nachdenken kann, lande ich wieder in einer Erinnerung. Ich fauche wie eine Raubkatze und schlage mit meinen Klauen immer wieder in weiches Fleisch. Blut spritzt auf mich und auf den Boden rings um mein Opfer. Das einst schöne Gesicht meiner Schöpferin ist kaum noch zu erkennen und doch schlage ich immer weiter zu. „Sie hat den endgültigen Tod gefunden“, erklingt eine ruhige Männerstimme hinter mir. „Du hast dich von ihr befreit.“

Ich fahre zu ihm herum und fauche: „Ja ich bin frei und diesmal werde ich keinem Herrn mehr gehorchen.“

„Du musst erst noch lernen mit deinen Hexergaben umzugehen“, mahnt er mich.

Ich lache hart auf. „Was du mich lehren wirst, während ich dir diene? Vergiss es. Ich werde nie wieder ein Sklave sein. Mein altes Leben und mein Name werden fortan vergessen sein, ab heute bin ich Seth und wie der Gott dieses Namens werde ich Verderben und Chaos bringen. Ich werde die Menschen, die Vampire und die Hexen dazu bringen, sich vor mir zu verneigen. Ich werde ab heute ein Gott sein.“

Der Mann erwidert ernst: „Du wurdest als Sohn eines Hexers geboren und hast den dunklen Kuss der Vampire empfangen. Das macht dich sehr mächtig, aber zu keinem Gott.“ Während er das sagt, hat er seine Hände gehoben, in denen nun zwei Flammenbälle liegen, was mich daran erinnert, dass ich meine Schöpferin nur mit seiner Hilfe hatte bezwingen können.

Ich erhebe mich, komme zu ihm und entschuldige mich: „Du hast recht. Ich bin kein Gott und ich habe noch sehr viel zu lernen.“ Er entspannt sich sichtlich und die Feuerbälle in seinen Händen erlöschen. Ich reiße ihm mit einer einzigen, blitzschnellen Bewegung die Kehle heraus und füge hinzu: „Aber nun weiß das niemand mehr. Ich werde lernen meine magischen Gaben und meine Vampirfähigkeiten zu benutzten und dann sollen sie alle büßen. Mein Vater, der mich als Bastard einer Sklavin einfach vergessen hat, die Vampire und Hexen, die meinten mich als Werkzeug missbrauchen zu können und die Menschen, die mich wie Dreck behandelt haben. Heute ist es Zeit zu gehen, aber bald werde ich als Gott zurückkehren und Ägypten wird vor mir erzittern.“

Als ich dieses Mal wieder zu mir komme, sehe ich Violas Gesicht vor mir. Sie keucht: „Du?“

 

 

Viola

 

Ich bin kaum in meiner Hütte angekommen, als draußen gellende Schreie ertönen. Eine innere Stimme rät mir, mich am besten unter dem Bett zu verkriechen. Aber mein Verstand weiß, wie sinnlos das wäre. Ich muss wissen, was da los ist und notfalls weglaufen. Ich renne zuerst in die Küche und ziehe mein Tranchiermesser aus dem Messerblock, ehe ich auf der Rückseite aus einem der Fenster steige und mich vorsichtig, dicht an die Hüttenwand gedrückt zur Vorderseite schleiche. Inzwischen sind die Schreie verstummt und es herrscht gespenstische Stille. Ich spähe vorsichtig um die Ecke und sehe ein blutiges Bündel dort liegen, wo ich Krischans Mann zurückgelassen hatte und neben ihm liegt noch jemand. Ich suche mit meinem Blick die Umgebung ab, aber außer den zwei reglosen Körpern ist niemand zu sehen. Ich laufe zu ihnen. Das blutige Bündel ist Krischans Mann, der wirkt, als ob ein Raubtier ihn zerrissen hätte. Dem kann niemand mehr helfen. Als ich mich dem Körper gleich neben ihm zuwende, keuche ich erschrocken auf, weil ich den Mann aus meinen Träumen erkenne. Er trägt sogar die ägyptische Tunika, in der ich ihn gemalt habe. Sein langes tiefschwarzes Haar ist voller Blut, ebenso wie sein nackter Oberkörper. Ich verstehe nicht wieso, aber bei dem Gedanken, dass er tot sein könnte, krampft sich mein Herz zusammen. Ohne groß nachzudenken, falle ich neben ihm auf die Knie und umfasse sein Gesicht. In diesem Moment schlägt er die Augen auf und nimmt mich mit seinem Blick gefangen. Ohne dass ich es bewusst will, keuche ich: „Du?“ Ein sinnliches Lächeln teilt seine vollen Lippen. Er greift nach meinem Gesicht, zieht mich mit erstaunlicher Kraft zu sich und küsst mich hungrig. Es fühlt sich genauso an wie in meinen Träumen und ich erwiderte den Kuss für einen Moment, ehe mein Gehirn in die Gänge kommt. Aber ich komme nicht mehr dazu mich loszureißen, weil er die Besinnung verliert. Ich blinzle, um das Trugbild zu vertreiben, aber es hilft nichts. Er bleibt real und er wacht nicht wieder auf. Ich stehe auf, packe ihn unter den Achseln und ziehe ihn zur Hütte. Falls er pure Einbildung sein sollte, ist sowieso egal, was ich tue, aber falls nicht, braucht er Hilfe. Außerdem würde er Ärger bekommen, falls die Polizei ihn blutüberströmt neben einer Leiche finden sollte. Eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf weist mich darauf hin, dass mir das egal sein und ich ihn einfach den Cops überlassen sollte. Aber etwas in mir schreckt davor zurück. Es klingt wie in einem kitschigen Film, aber ein Teil von mir hat das Gefühl ihn schon ewig zu kennen.

3. Kapitel

 

 

Seth

 

Als ich dieses Mal erwache, liege ich auf einem ohne Zweifel billigen Sofa, dessen Schaumpolsterung durchgelegen ist. Ich will aufstehen, aber ein heftiger Schwindelanfall macht mein Vorhaben zunichte. Ich sinke wieder zurück und lasse erst mal nur meinen Blick durch den Raum wandern. Die Zimmerdecke über mir besteht aus schlichten Holzbrettern, die Wände sind in einem geschmackvollen Hellblau gestrichen und außer dem Sofa unter mir, erblicke ich noch einen niedrigen Couchtisch neben mir und eine Vitrine an der Wand vor mir. Aus dem Augenwinkel nehme ich einige Grünpflanzen wahr, deren Duft nach Natur mir in die Nase steigt. Ich ziehe genussvoll die Luft in meine Lungen, obwohl ich es nicht tun müsste. Mein Kerker hatte mir einen Ausblick in meine alte Welt gewährt und mich ihre Geräusche hören lassen, aber Gerüche waren mir versagt geblieben. Genau in diesem Moment mischt sich eine süße Note bestehend aus einem leichten Lavendelparfum und einem natürlichen weiblichen Duft der mich sofort betört in das frische Grün. Ich quäle mich nun doch hoch und erblicke Viola. Als sie mich sieht, runzelt sie missbilligend die makellose Stirn und schimpft: „Bleib liegen.“ Wie von selbst gleitet ein zärtliches Lächeln auf meine Lippen. Genau denselben Tonfall hatte sie schon als Ilea gehabt, wenn sie sich Sorgen um jemand gemacht hatte. Ihr Stirnrunzeln vertieft sich. „Was gibt es da zu grinsen? Ich kann an der ganzen Lage nichts Witziges entdecken. Was ist da draußen passiert?“ Ich würde ihr gerne antworten, aber ich weiß es nicht. Bis auf meine, ohne Zweifel nur für mich reale Erinnerung kann ich mich nur an ihr Gesicht und unseren Kuss erinnern, seit ich in den Nebel gezogen worden war. Sie fährt streng fort: „Du hast da draußen neben einer Leiche gelegen und warst über und über mit Blut besudelt. Wäre der Kerl nicht ganz offensichtlich mit Klauen in Stücke gerissen worden, könnte man dich für den Mörder halten. Aber die Polizei will sicher Antworten, sobald sie hier ankommt.“

„Sonst hast du niemand gesehen?“, frage ich.

„Nein“, antwortet sie knapp und sieht mich fragend an. Ich hatte den Kerl in Stücke reißen wollen, weil er Viola angefasst hatte und möglicherweise hatte ich es in meiner Erinnerung gefangen auch getan. Aber das kann ich schlecht zugeben.

Also antworte ich zögernd: „Ich kann mich nicht erinnern. Wann wird die Polizei hier sein?“

Sie schnaubt: „Wieso? Falls du abhauen willst, vergiss es gleich wieder. Du bist viel zu zittrig auf den Beinen, um auch nur dieses Sofa zu verlassen.“ Da hat sie leider verdammt recht. In meinem Kerker habe ich keinen Durst verspürt, aber dennoch habe ich seit Monaten kein Blut getrunken und bin deshalb schwach wie ein Neugeborenes. Der süße Duft von Violas Blut lockt mich, aber ich würde nie ohne ihr Einverständnis ihr Blut trinken und für die Wahrheit ist sie noch nicht bereit. Bei den Polizisten hingegen sieht das schon anders aus. Ich sehe an mir hinunter und bemerke anstatt meiner Tunika ein Handtuch, das um meine Hüften gewickelt ist. Sie erklärt verlegen: „Die Tunika ist völlig mit Blut durchweicht.“ Nur mit Mühe unterdrücke ich ein weiteres Lächeln, als ich daran denke, wie ihre Hände meinen nackten Körper berührt haben mussten, als sie mich ausgezogen und gewaschen hatte.

„Warum hast du mich gewaschen?“, frage ich möglichst neutral, obwohl alles in mir nach der Antwort fiebert. Ich liebe und begehre sie bis zum Wahnsinn, aber für sie bin ich ein Fremder. Ich muss sie erst wieder erobern und dazu brauche ich Informationen.

Röte steigt in ihre Wangen. „Ich dachte, es wäre besser, wenn die Polizei das Blut an dir nicht zu sehen bekommt.“

Wärme breitet sich in mir aus, weil sie sich um mich sorgt und ich erwidere sanft: „Ich danke dir. Ich schwöre, ich werde mich dafür erkenntlich zeigen.“

Sie runzelt abermals die Stirn. „Wie heißt du überhaupt und wo kommst du her? Ich habe dich hier noch nie gesehen.“

Beide Antworten würden ohne Zweifel nur Unglauben auslösen, also lüge ich: „Ich kann mich nicht erinnern.“

Sie stöhnt: „Einfach wundervoll. Als ob ich noch nicht genügend eigene Probleme hätte.“

Ich verspreche: „Ich werde dir keinen weiteren Ärger machen und draußen auf die Polizei warten“, und versuche aufzustehen.