Die Chroniken der Seelenwächter - Band 13: Das Böse erwacht - Nicole Böhm - E-Book

Die Chroniken der Seelenwächter - Band 13: Das Böse erwacht E-Book

Nicole Böhm

4,0

Beschreibung

Vier Monate sind vergangen. Jess fiebert dem Tag von Jaydees Entlassung aus der Isolation entgegen. Wird er sich im Griff haben, oder hat der Jäger die Kontrolle übernommen und macht ihn zu einem unberechenbaren Monster? Keira jagt unterdessen einem mysteriösen Artefakt nach, das mächtiger ist, als sie ahnt. Sie begibt sich in die Hände eines dubiosen Barbesitzers und löst dabei eine Kette von Ereignissen aus, die sie schon bald nicht mehr kontrollieren kann. Dies ist der 13. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter". Empfohlene Lesereihenfolge: Bände 1-12 (Staffel 1) Die Archive der Seelenwächter 1 (Spin-Off) Bände 13-24 (Staffel 2) Die Archive der Seelenwächter 2 (Spin-Off) Bände 25-36 (Staffel 3) Bände 37-40 (Staffel 4) Das schwarze Element (die neue Reihe im Seelenwächteruniversum) Bände 1-7

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel5

2. Kapitel9

3. Kapitel19

4. Kapitel38

5. Kapitel48

6. Kapitel61

7. Kapitel70

8. Kapitel78

9. Kapitel82

10. Kapitel103

11. Kapitel114

12. Kapitel117

13. Kapitel123

14. Kapitel135

15. Kapitel142

Die Lesereihenfolge von der Serie »Die Chroniken der Seelenwächter«150

Die Fortsetzung der Seelenwächter:151

Impressum152

Die Chroniken der Seelenwächter

Das Böse erwacht

Von Nicole Böhm

Für die volle Geschichte solltest du den Spin-off »Der Weg des Kriegers« vor diesem Band gelesen haben.

Für Dich!

Den wahren Helden dieser Geschichte.

1. Kapitel

Malea Island – Vor vier Monaten

Jessamine

„Jaydee“, stammelte ich.

„Schon gut. Setz dich, du kippst gleich um.“ Er nahm neben Akil Platz und rüttelte ihn an den Schultern. „Komm zu dir!“

Ich taumelte rückwärts, suchte Halt an der nächsten Wand. Mir war übel von dem vielen Blut. Obwohl ich schon in einige Kämpfe verwickelt gewesen war, stieg mir die Galle nach oben. Denn das hier war eine absolute Katastrophe! Jaydee hatte Akil tatsächlich den Dolch ins Herz gerammt, und nun warteten wir darauf, dass er sein Bewusstsein zurückerlangte.

Jemand hustete. Ich drehte mich um. Es war Colin, der langsam zu sich kam und sich auf die Seite rollte. Jaydee hatte ihn dummerweise k.o. geschlagen. Es war eine seiner typischen Kurzschlussreaktionen gewesen. Colin hatte ihn abführen wollen, um ihn in die Isolation zu bringen, und Jaydee hatte sich geweigert, weil er erst Akil helfen wollte.

Dafür hat er einen Monat länger Isolationszeit abbekommen. Er musste vier statt drei Monate weg.

Colin stemmte sich nach oben, aus seiner Nase tropfte Blut. Sicher wäre er dieses Mal nicht mehr so nachsichtig. Er ballte die Hand zur Faust. Unter seinen Fingern glühte es, er erzeugte einen Feuerball.

„Tritt sofort vom Sofa zurück“, blaffte er Jaydee an.

Jaydee ignorierte ihn und schüttelte Akil noch einmal. „Jetzt mach schon!“

„Vertrauen“, brabbelte Akil. „Hab Vertrauen ... Das hab ich ...“

„Du wirst sofort mitkommen“, sagte Colin.

„Gib mir noch eine verfluchte Minute“, antworte Jaydee.

„Ich werde dich auf keinen Fall erneut auffordern. Es reicht!“

Oh je, das würde nie und nimmer gut ausgehen. Colins Adern stachen auf seinen Armen hervor, so sehr staute er das Feuer in sich. Seine Haut glühte, das Leuchten verstärkte die Brandnarben, die sich von seinen Händen nach oben zogen.

Ich stieß mich von der Wand ab, lief zu Colin und legte meine Finger über seine. „Jaydee wird mit dir gehen, aber bitte lass ihm noch einen Moment mit seinem Freund.“

Colins Hand war brütend heiß, die Flammen züngelten daraus hervor, doch sie verbrannten mich nicht. Feuerwächter kontrollierten ihr Element. Jederzeit.

„Bitte, Colin. Er wird Akil drei ... nein, vier Monate nicht mehr sehen.“ Und mich auch nicht, aber das stand auf einem anderen Blatt. „Diese Sache ist wichtig. Für beide.“ Ich verstärkte den Druck auf seine Hand und hoffte, ich konnte an sein Mitgefühl appellieren.

Colin und Jaydee mochten sich nicht, was nicht außergewöhnlich war. Mit Jaydee kamen die Wenigsten zurecht. Doch Colin hatte sich mir gegenüber als nett und fürsorglich gezeigt. Er war ein guter Seelenwächter, mit einem guten Herz.

„Nur eine Minute“, schob ich nach.

Er biss den Kiefer aufeinander und nickte zähneknirschend. „Also schön, aber nicht länger.“

„Danke“, hauchte ich, ließ ihn los und lief zurück zur Couch, auf der Akil lag und noch immer mit seiner Verletzung kämpfte. Ich stellte mich Jaydee gegenüber und beugte mich über die Lehne. Akil war blass, sein Atem kam flach. Immerhin hatte die Wunde in seiner Brust aufgehört zu bluten, mehr noch: Sie schien sogar zu heilen. Kleine Wassertropfen bildeten sich um die Ränder und fügten sie zusammen wie ein unsichtbares Pflaster.

Jaydee legte die Hand darauf und schloss die Augen. „Komm schon, Bruder.“

„Hab Vertrauen ...“, flüsterte Akil erneut.

Vertrauen mussten sie beide haben. Es war ein wahnsinniges Risiko gewesen, diese Sache durchzuziehen. Wenn Jaydee nur einen halben Zentimeter danebengestochen und Akils Herz verletzt hätte ...

„Die Minute ist gleich um“, sagte Colin.

Jaydee beugte sich tiefer über Akil, strich über seine Wange. „Kannst du mich hören?“

„Hab Vertrauen ...“

„Akil, bitte! Ich habe keine Zeit mehr. Wach auf, verflucht noch eins! Ich kann unmöglich gehen, wenn du nicht ...“

Auf einmal schoss Akils Hand hoch und packte Jaydee am Genick. Ich schrie vor Schreck und schlug die Hand vor den Mund. Akil riss die Augen auf, starrte Jaydee an.

„Hat es funktioniert?“, stammelte Jaydee. „Hast du deine Fähigkeiten wieder?“

Ich lehnte mich nach vorne. Ganz leicht vernahm ich den Geruch nach feuchter Erde und Moos.

„Oh, mein Gott“, sagte ich.

Es war wieder da. Das Element Erde.

Akil blinzelte, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Er sah zu der Wunde in seiner Brust, zu mir, zurück zu Jaydee.

„Du elender Mistkerl hast es geschafft!“, sagte Akil.

Jaydee ließ erleichtert die Luft aus den Lungen.

„Das heißt, du hast deine Fähigkeiten wieder?“, fragte ich. Ich musste es hören. Aus seinem Mund.

Akil schluckte und atmete tief ein, als würde er zum ersten Mal einen ganz besonderen Duft wahrnehmen. „Und wie ich sie wiederhabe, Schatz.“

2. Kapitel

Vier Monate später

Keira zupfte an ihrem Ausschnitt und überprüfte ein letztes Mal den Sitz ihrer Waffen. Viel Platz ließ das Outfit nicht, doch es hatte sich bei dieser Art von Einsätzen bewährt. Es war ein eng anliegendes Kleid in einem dunklen Stoff, der je nach Licht die Farbe wechselte und mal dunkel-, mal hellrot schimmerte. In einer eingenähten dünnen Korsage konnte sie hinten ein Messer verstecken. Zwei weitere Dolche trug sie rechts und links an ihrem Slip, den sie extra für diesen Zweck angefertigt hatte. Er bestand aus festem Stoff, der auch als Hotpants durchgehen würde. Außerdem hatte sie in ihrer Handtasche einen Lippenstift, in dem sich Betäubungsgift befand. Anthony hatte ihr das Spielzeug vor fast einem Jahr überlassen. Sobald sie den Deckel des Stiftes abschraubte, wurde das Gift freigesetzt. Keira musste nur damit über die Haut eines anderen streifen, und das Toxin legte das Nervensystem lahm. Es war unangenehm, aber nicht gefährlich. Nach einer halben Stunde verlor es seine Wirkung.

Aus Gewohnheit strich sie über die Stellen auf ihrer Haut, wo früher die Tattoos angebracht waren. Auch wenn es schmerzhaft war, sie stechen zu lassen und sie danach tagelang Migräne bekam, waren sie nützlich. Durch die Zeichen konnte sie die Stärke ihres Gegners absorbieren. Je kräftiger, umso unbesiegbarer wurde Keira und umso schneller brannten die Tattoos aus. Den Zeichen war es zu verdanken gewesen, dass sie damals Jaydee überwältigen konnte, als er in seine Raserei verfallen und auf sie losgegangen war. Zum Glück war die Wunde, die er ihr zugefügt hatte, mittlerweile kuriert. Wobei Keira sich die Wunderheilung nicht erklären konnte, genauso wenig wusste sie, warum sie eines Morgens mit einer weißen Haarsträhne aufgewacht war. Das Letzte, an das sie sich erinnerte, war, dass sie mit Anna und Will gesprochen hatte. Danach hatte Keira weder Kontakt zu den Seelenwächtern noch das Bedürfnis gehabt, diesen herzustellen. Sie war froh, wenn sie nichts von ihnen hörte, abgesehen davon hatte sie sowieso Besseres zu tun. Die Suche nach Coco musste finanziert werden.

Und genau deshalb war sie hier.

„Heute wird gespielt.“

Sie zog den Schlüssel von ihrer Maschine, steckte ihn in die Handtasche und überquerte die Straße. Noch immer war der Asphalt nass von dem Regenguss, der vorhin heruntergekommen war. Keira hatte sogar kurz angehalten, damit ihre Frisur nicht zerstört wurde. Immerhin hatte sie lange genug dafür gebraucht, bis ihre Haare so drapiert gewesen waren. Der Club, den sie besuchen wollte, lag in einem der reicheren Viertel in Orlando. Normalerweise würde Keira sich nicht hierherverirren, sie verbrauchte ihr gesamtes Geld für die Suche nach Coco, doch Auftrag war Auftrag, auch wenn sie nicht wusste, wer sie engagiert hatte – was häufig vorkam. Im Grunde spielte es auch keine Rolle. Hauptsache, sie bekam ihr Geld, und dieser Einsatz heute würde äußerst lukrativ werden.

Das Wummern der Musik im Inneren empfing sie bereits, als sie sich dem Club näherte. Mit jedem Schritt fühlte Keira sich mehr in ihre Rolle hinein. Sie schwang die Hüften aufreizend, streckte ihren Busen nach oben, senkte den Blick. Männer reagierten so leicht auf äußere Reize. Sie war es gewohnt zu bekommen, was sie wollte. Vor allen Dingen in Clubs wie diesen. Selbstbewusst schlenderte sie an den Wartenden vorbei, als wäre sie die Königin der Stadt. Einige pöbelten sie an, andere rollten genervt mit den Augen. Keira störte es nicht. Sie konzentrierte sich auf ihre Aufgabe, mehr gab es nicht zu tun.

Beim Vorbeigehen scannte sie den Club ab. Er war giftgrün gestrichen, Laser waren am Dach angebracht und zeichneten in unterschiedlichen Farben Muster in den Himmel. Die Lightshow passte zu dem Rhythmus, den die Musik drinnen vorgab. Vor der Eingangspforte blieb sie stehen. Es war eine gusseiserne Tür mit Koboldköpfen als Klopfer. Zwei Rausschmeißer warteten davor, einer kontrollierte die Karten der Gäste, der andere behielt die Menge im Blick. Keira trat vor ihn.

„Ich möchte Lough sehen.“

„Jeder will Lough sehen.“

„Ich bin nicht jeder.“ Sie zog ein Kärtchen aus ihrer Handtasche. Es hatte die gleiche Farbe wie die Außenwände des Clubs, auf der einen Seite war ein vierblättriges Kleeblatt, auf der anderen ein Speer, auf dessen Schneide Keiras Name graviert war. Wenn sie das Kärtchen drehte, schimmerten die Buchstaben sogar in verschiedenen Farben. Die Einladung hatte sie von ihrem Auftraggeber erhalten, sie waren exklusiv und limitiert.

Der Türsteher nahm sie entgegen, nickte und ließ sie vorbei.

„Sehr freundlich, danke.“

Sie trat ins Innere und sah sich sofort um. Immer wenn sie einen Ort zum ersten Mal betrat, ging sie gleich vor. Sie hielt für fünf Sekunden die Luft an, blickte erst nach rechts, dann nach links, nach oben und unten. Sie machte sich genau bewusst, wo sie gerade war, fokussierte all ihre Sinne auf den Moment. Wie weit war sie von den Wänden entfernt? Wie hoch war die Decke? Wie war der Boden beschaffen? Es half Keira, ein Gefühl für den Raum zu bekommen. Sie nahm seine Schwingung, seine Energie auf, und sie spürte, ob ihr Gefahr drohte oder nicht. Waren die fünf Sekunden verstrichen, ging sie langsam los.

Keira bemerkte jede Bewegung in ihrem Blickfeld, sie hörte und fühlte die Musik in ihrem Körper pulsieren. Dunkle keltische Klänge, mit Trommeln unterlegt. Eine Musik, um in Trance zu fallen, und tatsächlich wirkten die Gäste leicht entrückt. Sie tanzten und wiegten sich im Rhythmus, viele hatten die Augen geschlossen, andere streckten die Hände in die Luft, als wollten sie eine unsichtbare Macht kanalisieren. Es war Keira nicht geheuer. Die Magie an diesem Ort triefte förmlich von den Wänden. Ein Grund mehr, wachsam zu sein.

Keira bog nach rechts ab und gelangte in den hinteren Teil des Clubs. Ein Wachmann stand vor einer Tür und schaute griesgrämig. Er war klein und untersetzt. Seine Wangen waren gerötet, als hätte er zu viel getrunken. Wenn man ihm einen grünen Mantel und die passenden Hosen anziehen würde, könnte er glatt als Kobold durchgehen.

Sie blieb vor ihm stehen und grüßte höflich. „Lough erwartet mich.“

„Was sind deine Fähigkeiten?“

Keira rollte die Augen, natürlich wusste sie von diesem albernen Brauch. „Muss das wirklich sein?“

„Was sind deine Fähigkeiten?“

Jeder, der zu Lough gelangen wollte, musste Besonderheiten nachweisen. Es war eine Art Ritual für ihn, eine Wertschätzung an den keltischen Sonnengott Lugh, nachdem er sich selbst benannt hatte. Keira hatte natürlich vorher recherchiert. Lough stammte aus Irland und liebte sein Volk. Er besaß einundzwanzig Bars in Orlando und unzählige in Irland und Schottland. Dieser Typ war stinkreich und angeblich genauso skrupellos.

„Also gut: Ich kann kämpfen.“

Die Wache hob die Braue. Offenbar genügte ihm das noch nicht.

„Ich kann wirklich gut kämpfen. Mit einem Schwert. Mit einem Messer. Mit einer Schusswaffe, wenn es sein muss. Ebenso habe ich mir verschiedene Kampfsporttechniken aus Jiu-Jitsu, Taekwondo, Karate angeeignet.“ Mittlerweile hatte sie ihren eigenen Stil gefunden. „Reicht das?“

Die Wache schüttelte den Kopf.

„Okay, ich kann Motorradfahren.“ Ziemlich halsbrecherisch, aber sie kam von A nach B.

Keine Regung im Gesicht der Wache.

„Ich kann ... ich bin schlau. Ich kann mir Dinge gut merken.“ Gut, das klang selbst in ihren Ohren lahm. „Bitte, lass mich ein.“ Oder ich muss dir zeigen, wie gut ich kämpfen kann.

„Was sind deine Fähigkeiten?“

Na gut, was sollte der Geiz: „Ich kann einen Greif zähmen, einen Jäger fangen, teleportieren – okay, das geht nur mit Hilfsmitteln –, und ich bin in der Lage, fünf Minuten lang die Luft anzuhalten. Außerdem kann ich einen Handstand.“

Die Wache blinzelte.

Keira trat näher und beugte sich zu ihm. Natürlich war ihr bewusst, dass ihr der Kerl so voll in den Ausschnitt glotzen konnte. „Soll ich ihn dir vorführen?“ In einem Kleid wäre das überaus spannend für ihn.

„Das wird nicht nötig sein“, erklang eine Stimme durch eine Sprechmuschel neben der Tür. „Lass sie ein.“

Die Wache nickte und trat zur Seite. Keira zwinkerte ihm zu. „Beim nächsten Mal.“

Keira lief in das Büro und gab sich erneut ihre fünf Sekunden. Es waren nur ein paar Augenblicke, gerade so viel, dass man es nicht als unhöflich empfand, ihr aber genügte, um sich ein Bild von der neuen Umgebung zu machen. Sie atmete tief ein, bemerkte eine leicht herbe Unternote, die im Raum hing. Es roch nach Tier.

Auf der Rückseite des Büros gab es eine zweite Tür. Keira wusste von den Bauplänen – die sie vorher natürlich studiert hatte –, dass diese in einen Flur und der nach draußen in den Hinterhof führte. Es war früher ein Lieferanteneingang gewesen.

Das Büro war modern eingerichtet, die Farben dunkel mit viel Grün. Lough saß hinter einem schweren Schreibtisch aus Eiche. Er sah anders aus, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Natürlich kannte sie ihn von Bildern, aber jemandem persönlich gegenüberzustehen und die Aura der Person wahrzunehmen, war eine andere Sache. Er wirkte ... freundlicher. Lough hatte schulterlange blonde, leicht gewellte Haare. Nicht Keiras Geschmack, aber es stand ihm. Seine Augen waren von Lachfältchen umgeben und wirkten in dem dämmrigen Licht dunkelbraun, doch sie wusste, dass sie eher honigfarben waren. Um den Hals trug er eine goldene Kette mit einer Münze daran befestigt. Sie sah antik aus.

„Sei gegrüßt, Keira Bennett.“

„Hallo.“ Sie nickte ihm zu und blieb vor dem Schreibtisch stehen. Das Büro war etwa dreißig Quadratmeter groß, es gab eine Sitzecke, eine dritte Tür – vermutlich die Toilette – und drei Schränke. An einer Wand hing ein Gemälde von einem Kobold, der einen Topf mit Gold im Arm hielt. „Hübscher Gnom.“

„Das ist ein Leprechaun. Eins der Wahrzeichen Irlands. Eine Erinnerung an meine Heimat.“

Keira ließ sich langsam auf den Stuhl nieder. Hinter ihr surrte eine Kamera und behielt jede ihrer Bewegungen im Auge. Keira blickte demonstrativ in die Richtung.

„Reine Vorsichtsmaßnahmen“, sagte Lough.

„Und das, obwohl du einen Hund bei dir hast.“

Lough grinste. „Du hast ihn bemerkt.“

„Natürlich.“

„Balor“, rief Lough. Ein schwarzer Hund schob sich unter dem Tisch hervor und lief zu Keira. Es war keine Rasse, die sie kannte, vermutlich irgendein Mischling. Er war etwa so groß wie ein Deutscher Schäferhund, hatte leuchtend goldene Augen und ein tiefschwarzes Fell.

„Balor, wie nett.“ Lough war wirklich vernarrt in den irischen Volksglauben. Balor war der Sage nach der Großvater von Lugh – dem Sonnengott.

Der Hund kam zu Keira und schnupperte an ihrer Hand. An seinem Halsband baumelte ein kleines Prisma, das jedes Mal in einer anderen Farbe glänzte, wenn er sich bewegte.

„Keine Angst, er beißt nur, wenn ich es ihm sage.“

Keira nahm das Prisma zwischen die Finger, um es besser ansehen zu können. „Wozu einen Wachhund, wenn du so einen tollen vor der Tür hast?“

Lough grinste breit. „Weil ich es kann.“

„Diese Fragerei nach den Fähigkeiten nervt übrigens.“

„Erstens ist es eine alte Tradition, zweitens hilft es mir, meinen Besucher einzuschätzen. Du kannst dir nicht vorstellen, was man alles über einen Menschen erfährt, wenn er gezwungen wird, mit seinen Fähigkeiten aufzuwarten.“

Klar, einige prahlten, andere hielten sich klein, wieder andere nervte es. Die, die am wenigsten mit ihrem Können angaben, waren oft die gefährlichsten. „Wie dem auch sei: Ich bin hier, um dir ein Angebot zu machen.“

„Das weiß ich.“

„Dann brauchen wir ja nicht lange drumherum zu reden.“ Keira öffnete ihre Handtasche, zog einen Umschlag heraus und warf ihn vor Lough auf den Tisch. „Fünfzig Millionen. Die anderen fünfzig gibt es, wenn ich mich der Echtheit des Artefaktes versichert habe.“

Lough betrachtete den Umschlag, strich mit dem Daumen darüber. „Du läufst mit ziemlich viel Geld herum.“

„Ich kann darauf aufpassen, außerdem gehört es mir ja jetzt nicht mehr.“

Er nahm den Umschlag entgegen und öffnete ihn. Im Inneren befand sich eine Chipkarte von einer privaten Bank.

„Du musst bei der Nummer auf der Rückseite anrufen. Dort erhältst du alle relevanten Daten.“

„Mein Assistent wird das überprüfen.“ Lough drückte einen Knopf an seinem Telefon. Keine zehn Sekunden später kam ein Mann mittleren Alters zur Tür herein. Er trug einen Anzug, ebenfalls in der Farbe Grün. Anscheinend war das die Corporate Identity hier. Der Mann grüßte Keira knapp, nahm die Karte entgegen und verschwand wieder.

„Nur interessehalber: Warum verkaufst du das Artefakt?“

„Weil ich wissen wollte, wer mir dieses obszöne Angebot macht.“

Keira kniff die Augen zusammen. Das klang eher so, als hätte er gar nicht vor, das Ding herzugeben. „Du hast es dir hoffentlich nicht anders überlegt.“

„Mitnichten.“

„Gut.“ Denn Keiras Auftrag war klar: Besorge das Artefakt, egal, was es kostet. Je schwerer es wird, umso mehr Kohle gab es am Ende für sie. „Wo ist es?“

Lough erhob sich, er war größer, als Keira gedacht hatte und maß sicherlich an die Einsneunzig. Balor blieb sitzen und blickte seinem Herrchen hinterher. Keira folgte Lough, ohne den Hund dabei außer Acht zu lassen. Gemeinsam liefen sie zur hinteren Tür, die hinaus in den Lieferantenflur führte. Lough öffnete für sie und ließ sie als Erstes eintreten. Es war ihr nicht recht, doch sie würde ihm den Gefallen tun. Der Gang war mit grauem Linoleum ausgelegt, die Strahler an der Decke hüllten alles in einen kalten Schein. Ungemütlich.

„Letzte Tür rechts“, sagte Lough und deutete den Flur entlang.

Keira lief los und spürte dabei den musternden Blick ihres Gastgebers im Nacken. Ihr war klar, dass er sie damit verunsichern wollte. Leider gelang es ihm ein bisschen. Keira musste mal wieder feststellen, dass sie sich mit ihren Tattoos deutlich wohler fühlen würde.

Ein Piepsen erklang. Lough griff in seine Tasche und zückte sein Smartphone. „Mein Assistent bestätigt die Zahlung.“

„Sehr gut. Dann kann es ja weitergehen.“

Sie blieben vor der besagten Tür stehen. Lough drehte sich herum, tippte einen Code in das Zahlenfeld an der Wand und entriegelte für sie. Dieses Mal ging er zuerst in den Raum. Keira folgte ihm und stolperte über die Schwelle. Sie konnte sich gerade noch an Lough abfangen, aber ihre Handtasche fiel zu Boden. „Wie ungeschickt von mir.“

Lough machte sich von ihr los, er wirkte irritiert. Natürlich. Keira war nicht die Frau, die einfach so stolperte. Rasch hob sie die Handtasche auf. „Tut mir leid.“

Er kniff die Augen zusammen. Ein Anzeichen von Misstrauen. Sie holte Luft, drückte ihre Schultern durch und lächelte ihn so freundlich an, wie sie konnte. Er wirkte noch immer unsicher, doch wenigstens zeigte er ihr den Raum. Es gab keine Fenster, die einzige Tür war die, durch die sie eben gekommen waren. Das Zimmer roch, als wären sie in einer Grabkammer, in der seit Jahrhunderten nicht mehr gelüftet worden war. Die einzige Lichtquelle stand in der Mitte: ein rundes, etwa eineinhalb Meter hohes Podest mit einem Regenbogen ringsum eingraviert. Es wurde von sechs Strahlern angeleuchtet, die sich oben in einem Prisma bündelten und alle paar Sekunden die Farbe wechselten. Im Zentrum schwebte eine gläserne Phiole mit einer grünen Flüssigkeit, als würde sie von unsichtbaren Fäden gehalten. Keira trat näher. Die Flüssigkeit wirkte dicker als Wasser, wie Sirup. „Was ist das für Zeug?“

„Nektar. Aus einer alten Blume gewonnen, die einst in Irland wuchs, aber mittlerweile ausgestorben ist. Man sagt, sie habe anregende Kräfte.“

„Anregend? Wofür?“

Lough grinste und schob sein Becken nach vorne.

Na toll. Und dafür gibt jemand hundert Millionen Dollar aus ... wobei es sie nicht wundern sollte. Keira hatte schon etliche Gegenstände beschafft, die sie lieber auf den Müll geworfen hätte. Sie streckte die Finger aus, um danach zu greifen, und bekam einen elektrischen Schlag.

„Autsch.“

„Ach so, du solltest aufpassen: Sie ist durch ein Kraftfeld geschützt.“

Keira rieb sich die Finger und blickte zu Lough. „Wärst du so nett und würdest es senken?“

„Nein.“

Keira atmete einmal durch, sie hasste es, dieses Wort zu hören, vor allen Dingen im Zusammenhang mit einem wichtigen Auftrag. „Ich werde dich nicht darum bitten. Ich halte mich an unseren Teil der Abmachung. Fünfzig Millionen jetzt, die andere Hälfte, wenn ich die Echtheit bestätigt habe.“

„Die Flüssigkeit ist echt, keine Sorge, aber sie ist nicht zu verkaufen. Sag das deinem Auftraggeber.“

Oh, na großartig! Sie hätte es sich denken können. „Ich werde das Zeug mitnehmen, wie abgemacht.“

Lough drückte eine Tastenkombination auf seinem Handy, und die Phiole löste sich vor Keiras Augen in Luft auf.

„Wo ist sie hin?“

„Wie gesagt, sie ist nicht zu verkaufen. Du darfst meinen Club nun verlassen. Wenn du bevorzugst, es auf deinen Beinen zu tun, würde ich gleich gehen.“

„Nicht ohne das Artefakt.“

Lough atmete ein, griff in seine Tasche und zog eine kleine Pistole heraus. „Wie du willst.“

Ohne weitere Vorwarnung drückte er ab.

3. Kapitel

Jessamine

„Auf gar keinen Fall!“, rief ich.

„Stell dich nicht so an, Schatz“, antwortete Akil.

„Nein!“

„Ach, komm schon! Da ist doch nichts dabei!“

„Du hast leicht reden. Dich erschüttert es ja nicht mal, wenn man dir einen Dolch ins Herz treibt!“

Er lachte. Wie schön, dass er das konnte, denn mir war gerade alles andere als zum Lachen zumute. Mir war übel und kalt und ich hatte schlechte Laune.

„Überleg mal, was du alles schon geschafft hast. Das ist ein Klacks für dich, Jess.“

„Pffff!“

„Du musst nur einen Schritt machen.“

„Nein, hab ich gesagt!“

„Sei keine Memme.“

„Ich bin keine Memme!“ Das war ja wohl eine Frechheit!

„Du solltest sie nicht so unter Druck setzen.“

„Danke, Anna!“, rief ich. Wenigstens eine, die auf meiner Seite stand.

„Spinnst du? Wo setze ich sie denn unter Druck?“

„Indem du sie zwingst, etwas zu tun, was sie nicht will.“