Die Chroniken der Seelenwächter - Band 14: Engelsblut - Nicole Böhm - E-Book

Die Chroniken der Seelenwächter - Band 14: Engelsblut E-Book

Nicole Böhm

5,0

Beschreibung

Keira dringt in die Archive der Sapier ein und wird mit Gefahren konfrontiert, die sie körperlich und mental an ihre Grenzen treiben. Sie begibt sich auf eine wagemutige Reise und erfährt von Geheimnissen, die mächtiger sind als alles, was sie bisher erlebt hatte. Auch Jaydee bleibt nicht untätig und gräbt, gemeinsam mit Jess, in der Asche seiner Vergangenheit nach Hinweisen auf ihre Mutter. Währenddessen kämpft Anna mit ihrer Vergangenheit und verstrickt sich immer tiefer in ein Lügengeflecht. Dies ist der 14. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter". Empfohlene Lesereihenfolge: Bände 1-12 (Staffel 1) Die Archive der Seelenwächter 1 (Spin-Off) Bände 13-24 (Staffel 2) Die Archive der Seelenwächter 2 (Spin-Off) Bände 25-36 (Staffel 3) Bände 37-40 (Staffel 4) Das schwarze Element (die neue Reihe im Seelenwächteruniversum) Bände 1-7

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel3

2. Kapitel7

3. Kapitel19

4. Kapitel22

5. Kapitel28

6. Kapitel31

7. Kapitel35

8. Kapitel39

9. Kapitel44

10. Kapitel56

11. Kapitel61

12. Kapitel66

13. Kapitel72

14. Kapitel83

15. Kapitel91

16. Kapitel103

17. Kapitel109

18. Kapitel114

19. Kapitel122

20. Kapitel129

Die Lesereihenfolge von der Serie »Die Chroniken der Seelenwächter«134

Die Fortsetzung der Seelenwächter:135

Impressum136

Die Chroniken der Seelenwächter

Engelsblut

Von Nicole Böhm

1. Kapitel

Keira atmete tief ein. Im Grunde war ihre Aufgabe simpel. Bedauerlicherweise waren es meist diese Aufträge, bei denen etwas schiefging. So wie mit Lough und dem Gegenmittel, das ihre Erinnerungen zurückgeholt hatte. Auch das war eine Routinesache gewesen und hatte im Kampf geendet.

Egal, du schaffst das! Gehe durch das magische Portal, das dich weiß Gott wohin bringt, betrete das Archiv eines Jahrtausende alten Geheimbundes und hole eine magische Feder, mit der die Macht des gefährlichsten Mannes, den du je kennengelernt hast, gebannt werden kann.

Klang doch nicht so simpel, wie sie gedacht hatte. Insofern stiegen die Chancen exorbitant an, dass diese Aktion gut ging.

„Hast du alles verstanden?“, fragte A.J. und kam neben sie. „Sobald wir die Feder haben, brechen wir Jaydees Macht.“

„Ja, das ist klar. Du hast mir allerdings noch nicht erklärt, wie genau du das machen willst.“

„Das werde ich, wenn du zurück bist. Vertrau mir.“

„Das tue ich ganz gewiss nicht.“

„Es dauert zu lange, dir das jetzt zu erklären. Wir müssen noch mal in die Unterlagen von Joshua sehen. Dort hat er ein Ritual aufgeschrieben, das dafür notwendig ist. Lass uns bitte einen Schritt nach dem anderen gehen, sonst verzetteln wir uns.“

Keira kniff die Augen zusammen. Die Antwort missfiel ihr, aber sie wollte trotzdem in die Archive. Keira war neugierig darauf. Falls ihr nicht zusagte, was A.J. vorhatte, konnte sie die Feder immer noch für sich behalten.

„Hast du den Zettel mit dem Reim dabei?“

Wenn das Licht die Nacht erhellt und gestorb’ne Engel sprechen, eine Feder auf die Erde fällt, um die Macht des Kind’s zu brechen. Keira kannte die Worte mittlerweile auswendig, dennoch hatte sie den Zettel eingesteckt. „Leg los.“

Er nickte und hob den Schädel hoch, den er in Joshuas Sachen gefunden hatte und der angeblich von Sophias Mann Leander stammte. Mit der anderen Hand schlug er die Stimmgabel an einem Tisch an und versetzte sie in Schwingung.

Da es keine Rolle spielte, wo sie das Portal aufbauten, waren sie für diese Aktion in Keiras Wohnung gegangen. Sie hatte ihre Couch zur Seite geschoben, um die Wand dahinter als Projektionsfläche für das Portal zu nutzen.

„Und die Lichtershow startet“, sagte A.J. und setzte die Stimmgabel auf die Vorderseite des Schädels. Wie zuvor ging ein tiefes Vibrieren durch den Raum. Keira genoss den Klang, sog ihn bis in ihren Bauch ein. Wenn ihr etwas Stärke verleihen konnte, dann dieses Geräusch. Eine Erinnerung an ihren Vater.

A.J. neigte den Winkel der Gabel, der Ton veränderte sich, ein Leuchten entstand um den Schädel herum. Er trat näher an die Wand heran und richtete das Glühen auf die Tapete aus. Wie zuvor bestand das Portal aus einem Torbogen mit halbrunden Ecken, an denen je ein Gegenstand abgebildet war. Unten in der Mitte kniete eine Frau. Der Engel aus dem Reim vermutlich.

„Sobald du durch bist, muss ich die Stimmgabel absetzen. Ich kann das Portal nicht die ganze Zeit aufrechterhalten. Auf der anderen Seite solltest du einen Mechanismus finden, wie du das Portal öffnen und zurückkehren kannst.“

„Du hast eben nicht ernsthaft das Wort ‚sollte’ benutzt.“

„In den Aufzeichnungen von Joshua stand, dass man zurückkommen kann, aber nicht genau, wie. Insofern: Ja, es sollte eine Möglichkeit geben. Falls du in zwei Stunden nicht da bist, baue ich das Portal auf und halte es, so lange es geht. Wenn der Ton verklingt, schlage ich ihn erneut an. Ich lasse dich nicht im Stich, keine Sorge.“

Freu dich, Keira! Die Bedingungen für den Erfolg dieses Auftrages wurden stetig besser. „Na gut, ich habe mein Handy dabei und hoffe, dass es die Reise übersteht.“

A.J. nickte. „Gutes Gelingen. Ich freue mich auf deine Rückkehr.“

Und ich erst.

Sie straffte ihre Lederjacke und trat auf die Wand zu. Wie immer war sie mit zahlreichen Waffen ausgestattet. Zwei Messer an den Beinen, zwei weitere an der Hüfte, eine Pumpgun auf dem Rücken. Sie hatte noch überlegt, ihr Schwert mitzunehmen, aber sie wollte sich lieber frei bewegen können. Außerdem ging sie in die Archive der Sapier, nicht in den Höllenschlund. Sie prüfte den Verband an ihrer linken Hand. Bei dem letzten Auftrag hatte sie ein Hund gebissen. Dank A.J.s Behandlung heilte die Wunde gut, aber sie behinderte Keira noch beim Zupacken.

„Bis gleich.“ Sie trat vor das Portal und berührte die Wand. Ihre Finger glitten durch die feste Fläche, als wäre sie gar nicht da. Etwas mutiger steckte sie die ganze Hand hindurch.

Es klappte!

Keira schloss die Augen und trat komplett ein.

Sie war schon öfter durch Portale gereist. Meistens war der Weg unangenehm, der Sog drückte auf den Bauch, und man hatte das Gefühl, als würde man durch eine zu enge Röhre gequetscht. Dieses Portal jedoch war wie eine federleichte Berührung, die sanft über ihre Haut glitt. Als würde sie durch einen feinen Sprühnebel mit warmem Wasser laufen.

Sie spürte einen Windhauch auf ihrem Gesicht, die Temperaturen fielen, aber nicht unangenehm. Eher wie in einer Herbstnacht, die den ersten Geruch von Winter mit sich trug.

Keira atmete tief ein und sah sich um. Sie stand auf festem Sandboden, rings um sie war Dunkelheit, und über ihr zog sich ein intensiver Sternenhimmel. Sie blickte nach oben, erkannte aber keines der Sternenbilder.

Wo bin ich?

Keira drehte sich um ihre eigene Achse. Das Portal war hinter ihr. Ganz schwach konnte sie A.J. auf der anderen Seite erkennen, dann verblasste sein Bild. Keira trat auf das Portal zu. Es stand einfach so im freien Raum, ohne Begrenzung. Sie ging einmal drumherum, aber es sah auf beiden Seiten gleich aus. Vorsichtig tippte sie dagegen, doch es blieb undurchlässig. Einen Mechanismus fand sie auf die Schnelle ebenfalls nicht.

Fängt schon mal gut an.

Rasch griff sie in ihre Tasche und checkte den Empfang auf ihrem Handy. Null Balken. Natürlich.

Sie steckte es zurück, rotierte den Nacken, bis die Wirbel knackten. Es half ihr, sich zu konzentrieren. Kurz sammeln, durchatmen, dann konnte es weitergehen. Sie würde ein Problem nach dem nächsten lösen. Erst einmal den Auftrag durchführen.

Keira drehte herum und lief los. Da sie nichts von der Umgebung erkannte, spielte es womöglich auch keine Rolle, in welche Richtung sie ging. Sie zählte fünfzig Schritte, wendete neunzig Grad nach rechts und lief dann ebenfalls fünfzig Schritte. Auf keinen Fall wollte sie das Portal aus den Augen verlieren. Falls sie die Archive nicht finden würde, müsste sie am Ausgangspunkt warten, bis A.J. es öffnete.

Keira ging weiter, verfolgte ihre Methode, bis sie einmal komplett im Karree gelaufen war und eigentlich vor dem Portal stehen sollte.

Eigentlich.

Denn es war weg.

„Verdammt!“ Sie rannte ein paar Schritte in die Richtung. Sie war sich absolut und hundertprozentig sicher, dass es hier sein musste.

Doch das war es nicht.

„Das kann nicht sein!“ Keira hatte diese Methode schon zigmal angewandt. Sie funktionierte immer!

Auf einmal hörte sie ein dunkles Brummen hinter sich. Es klang nah, bedrohlich. Der Ton legte sich um ihr Zwerchfell und ließ ihr die Nackenhaare nach oben stehen.

Langsam drehte sie sich um, zog zeitgleich die Pumpgun vom Rücken.

„Ach du Scheiße!“ Vor ihr stand ein großer Vogel mit Flügeln, die sicher eine Spannweite von zwanzig Metern maßen. Statt Vogelbeinen hatte er einen Löwenrumpf mit langen Klauen, seine gelb-glühenden Augen fixierten sie. Er stampfte mit einem Fuß auf, der Boden vibrierte.

Keira kannte das Vieh. Das war der Greif, vor dem sie gemeinsam mit Jaydee geflohen war.

Sie hatten ihm eine Feder geklaut ...

2. Kapitel

Jessamine

Ein Klacken weckte mich aus einem traumlosen Schlaf. Ich brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, dass ich in meinem Bett lag, und weitere, um zu begreifen, was geschehen war.

Vorhin.

Heute Nacht.

Gestern Nacht.

Wir hatten es getan. Jaydee und ich. Wir hatten Sex gehabt ... und es war fantastisch gewesen. Mein Körper vibrierte von Jaydees Berührungen nach, genau wie meine Seele. Ich konnte noch immer nicht glauben, dass wir tatsächlich diesen Schritt gewagt hatten, dass ich mit einem Mann geschlafen hatte, der mich weit an meine Grenzen und darüber hinaus getrieben hatte.

Träge öffnete ich die Augen, es war so finster im Zimmer, dass ich kaum etwas erkannte. Ein kühler Luftzug streifte mich, ich drehte mich auf die Seite, das Laken hatte sich um meine Beine gewickelt, als hätte ich in den letzten Stunden damit gekämpft. Meine Haut hatte Jaydees Geruch aufgesogen. Nun duftete ich nach Frühling, nach Erde, nach Wasser, nach ihm. Es war herrlich angenehm und prickelnd. Ich tastete auf der anderen Betthälfte herum, doch sie war leer.

„Ich bin hier“, sagte er.

Ich drehte mich zur Nachttischlampe und knipste sie an. Jaydee stand komplett angezogen vor der Balkontür und hatte sie halb geöffnet.

„Wo willst du denn hin?“, fragte ich. Seit er gestern über mich hergefallen war, hatte er kaum ein Wort gesprochen. Er war den ganzen Tag über mit Will in der Bibliothek gewesen. Was auch immer die beiden besprochen hatten, es musste etwas Schlimmes gewesen sein. Ich hatte Jaydee mehrfach gefragt, was ihn so aufgewühlt hatte, ihn darum gebeten, mit mir zu reden, aber er hatte geschwiegen, fast schon fanatisch meine Nähe gesucht, als wäre es das einzige, was ihm Halt geben konnte.

„Wie spät ist es?“, fragte ich.

„Gleich halb vier. Ich wollte dich nicht wecken, und weil deine Zimmertür so quietscht ...“ Er ließ den Griff der Balkontür los.

„Du wolltest abhauen.“

„Mich ablenken.“

„Im T-Shirt. Es sind unter null Grad draußen.“

„Das macht mir nichts aus.“

Ich befreite meine Beine aus der Decke. „Wie wäre es, wenn du stattdessen bleibst und mir erzählst, was dich umtreibt?“

Sein gesamter Körper versteifte sich, als wäre es das Schlimmste, was ich von ihm verlangen konnte.

„Du musst mit mir reden, Jaydee.“

„Ich weiß, ich ... ich will auch.“ Er blickte über seine Schulter zu mir. Im Halbdunkel schimmerte seine Haut braun, seine Haare wirkten schwarz. Auf seinem Kinn sprossen die ersten Bartstoppeln. Seine Augen scannten meinen Körper, und mit jeder Sekunde, in der er mich musterte, wich die Anspannung aus seinen Zügen und machte einer tiefen Liebe Platz. „Selbst zerzaust siehst du traumhaft aus.“

„Danke.“ Ich fasste meine Haare zusammen und legte sie auf meine Schulter. „Aber du lenkst ab. Was ist los?“

Er sah mich eine ganze Weile an, bewegte sich keinen Millimeter, als wäre er eine Statue, die schon immer an meinem Fenster stand und über meinen Schlaf wachte.

Als ich ihn erneut bitten wollte, fing er schließlich an: „Seit Stunden gehe ich die Sachen in meinem Kopf durch, überlege, wie ich dir das erklären soll, wo ich anfangen muss, damit es einen Sinn ergibt. “

„Rede einfach, wir bekommen das schon hin.“

Er atmete tief ein und drehte sich zurück zum Fenster. „Will hat mir gesagt, wer ich bin. Oder eher: was ich bin.“

Jaydee sprach so leise, dass ich es kaum verstand.

„Wie ist das möglich?“

„Er ... er hat mir ein altes Buch gezeigt, das unter anderem meine Geschichte enthält. Es ist viel darin erklärt, wann und wo ich geboren wurde, wer meine Mutter war. Ilai hat davon gewusst. Er hat es Will gezeigt. Im Geist. Er ... er hat es die ganze Zeit gewusst.“

„Aber er kann doch nicht ... er wusste, wer deine Eltern sind und hat es dir nicht gesagt?“

„Ja.“

Mir schnürte es die Kehle zu. Es war schlimm, wenn man im Dunkeln tappte und sich nichts sehnlicher als erlösende Antworten wünschte. „Wo sind sie? Leben sie noch? Wissen sie von dir?“

„Keine Ahnung, ob ich einen Vater hatte, aber meine Mutter ist tot ... Schon lange. Ich ... Scheiße.“ Er kniff sich in den Nasenrücken. Die Muskeln in seinem Arm spannten sich. Er stand kurz davor zu platzen. Ich sah es ihm an. „Schon sehr lange ...“

Ich warf die Decke zur Seite, lief zu ihm und presste meinen nackten Körper gegen seinen Rücken. Er bebte vor Anspannung. Seine Muskeln, sein Atem – alles war verkrampft.

Auf einmal drosch er auf den Fensterrahmen ein. Das Holz splitterte, die Scheibe wackelte. Ich zuckte zusammen und wich einen Schritt zurück. Ein leises Knurren entwich seiner Kehle.

Das Geräusch kannte ich. Zu gut. Aus Reflex sah ich zu dem Dolch meiner Mutter, der auf der Kommode lag. Die einzige Waffe gegen den Jäger. Das einzige, was ihn zur Vernunft bringen konnte.

„Ich habe das Gefühl zu ertrinken“, flüsterte er.

Ich schluckte meine Furcht vor dem Jäger hinunter und erinnerte mich daran, was wir in den letzten Stunden erlebt hatten. Jaydee würde mir nicht schaden.

Nicht willentlich, zumindest.

„Du bist nicht alleine. Wir schaffen das. Gemeinsam.“

„Was, wenn nicht? Was, wenn es zu viel für uns wird?“ Er blickte zu mir. Selbst im Halbdunkel erkannte ich das silberne Glühen, das den Jäger ankündigte. „Was, wenn ich zu viel für dich werde?“

„Das kannst du gar nicht.“

Er drehte sich zurück. Seine Finger kratzten über den Holzrahmen, hinterließen tiefe Furchen. „Ich möchte am liebsten diese Scheibe einschlagen.“ Seine Fingerkuppen bluteten, so fest ratschte er über das Holz. Er drehte die Hand, blickte sie an. „Blut. Und Zerstörung. Genau das bin ich.“

„Nein, das bist du nicht.“

Er schnaubte. „Du hast keine Ahnung ...“

„Ich habe es doch schon gesehen. Ich habe in den Abgrund geblickt, deine dunkle Seite kennengelernt. Gleich als du mich bei unserer ersten Begegnung verfolgt hast. Ich weiß, zu was du fähig bist, Jaydee. Ich bin der Spur deiner Verwüstung gefolgt. Du hast mir in die Augen gesehen, während du mir mit einer Kette um den Hals das Leben aus dem Leib gequetscht hast. Ich kenne den Jäger.“ Besser, als mir lieb war. „Und ich kenne dich.“

„Du weißt nichts über mich. Bis gestern wusste ich es selbst nicht.“

Vorsichtig ging ich näher und glitt mit den Fingern nach vorne zu seiner Brust. Seine Haut glühte so stark, dass ich es durch das T-Shirt spürte. Ich erreichte sein Herz, legte meine Hand flach auf. Es raste. „Hab Vertrauen in mich ...“

Zischend stieß er den Atem aus. Seine Muskeln waren hart. Er fühlte sich an wie ein Raubtier, das mit seiner Kraft kämpfte und sich davor fürchtete, wenn sie ausbrach.

„... weil ich dich liebe.“ Ich küsste zärtlich seinen Nacken. „Erzähle mir, was los ist“, hauchte ich gegen seine Haut. „Schließ mich nicht aus.“ Bitte.

Er brummte leise, ließ zu, dass ich ihn weiter küsste.

Nach etlichen Minuten redete er endlich.

„Ich bin ... ich wurde erschaffen. Von einer Seelenwächterin namens Lilija. Sie brauchte ein Gefäß, in dem sie alle vier Elemente vereinen konnte.“

Und so erklärte er mir alles genau, erzählte von Ilai, von Sophia und von seiner leiblichen Mutter. Ich konnte kaum fassen, was er von sich gab, hing an seinen Lippen und sog jedes einzelne Wort auf. Mehr und mehr krampfte er beim Reden, seine Anspannung breitete sich im Raum aus, setzte sich als Brennen auf meiner Haut ab. Wie unter Schock sprach er und starrte dabei zum Fenster hinaus, als könnte er es nicht wagen, mich anzusehen. Schließlich erklärte er mir alles über König David, die Harfe und welche Macht sie besaß. Eine Macht, die ich entfesseln konnte, sobald der Zauber, den meine Mutter über mich gelegt hatte, gebrochen war. Einen Teil davon wussten wir, weil wir es uns über die Flashbacks von Anna und die Erzählungen von Keira zusammengereimt hatten.

„Hat Keira das alles gewusst? War sie deshalb zusammen mit Joshua in der Antarktis gewesen?“

„Vermutlich.“

„Sie wollte es mir eigentlich erklären, aber dann war sie auf einmal weg gewesen, und ich habe nie wieder von ihr gehört. Ich habe Will gefragt, ob wir sie suchen könnten, doch er meinte, sie wollte nichts mehr mit uns zu tun haben und hätte sich komplett gegen uns abgeschirmt.“

„Das war gelogen. Es war genau andersherum gewesen: Will hatte gemeinsam mit Anna ihre Erinnerungen manipuliert, damit sie nicht auf die Idee kommt, dich einzuweihen.“

„Wie bitte?“ Das war doch! „Dieser ...! Warum?“

„Weil er erst mit mir in aller Ruhe über alles reden wollte, und dazu musste er warten. Er wollte das Wissen schützen.“

Ich schürzte die Lippen. Auch wenn ich verstehen konnte, warum Will geschwiegen hatte, war ein Minianteil von mir gekränkt. Wir waren schließlich Freunde!

Jaydee verharrte still und wartete auf meine Reaktion. Ich atmete durch und kämpfte das Grummeln nieder.

„Was ist mit dem Jäger in dir? Hatte er dazu auch eine Erklärung?“

„Er vermutet, dass es das Ungleichgewicht ist, wenn alle vier Elemente in einem vermischt werden, oder Lilija hat schlicht und ergreifend das Böse in mir hinterlassen.“

Ich wollte gerne sagen, dass ich das nicht glaubte, dass er nichts Böses in sich trug, doch das wäre gelogen. Wir wussten das beide.

„Erinnerst du dich an das, was Violet sagte, bevor sie ging?“ Bevor ich sie weggeschickt hatte ...

„Es gab schon mal jemanden wie dich.“

„Er ist gestorben. Vor sehr langer Zeit“, ergänzte ich. „Womöglich war er ebenfalls eins von Lilijas Experimenten gewesen und hat es nicht überlebt.“

Aber woher wusste Vi davon?

„Kann sein.“ Jaydee drehte sich ganz herum und lächelte traurig. Ich legte die Hände um seine Wangen und strich mit den Daumen über seine Haut. Er schloss die Augen, genoss meine Berührung. „Ich weiß wirklich nicht, womit ich dich ...“

„Sht.“ Ich schlang die Arme um seinen Nacken und zog ihn an mich heran. Er stöhnte leise, presste eine Hand zwischen meine Schulterblätter und vergrub seine Nase an meinem Hals. Noch immer spürte ich einen Widerstand in seinem Körper, als würde sich etwas in ihm gegen unsere Nähe sperren. Vielleicht war es der Jäger, vielleicht waren es die Umstände. Vielleicht spielte es keine Rolle, und ich musste einfach nehmen, was er mir geben konnte.

„Was machst du nur mit mir?“, nuschelte er gegen meine Haare.

„Ich halte dich fest.“

Er gab einen kehligen Laut von sich, der in meinem Oberkörper vibrierte. Ich küsste ihn auf die Ohrmuschel, drückte mich stärker gegen ihn. „Du bist ein liebenswerter und guter Mann. Völlig egal, welche Kräfte in deinem Inneren wirken.“

Seine Hand glitt tiefer zu meinem Hintern, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass er mich anbaggern wollte, sondern mehr Hautkontakt brauchte. Je länger ich ihn festhielt, umso mehr blendete sich die Umgebung aus. Wir kehrten zurück in unsere Glocke, in unsere eigene Welt. Vielleicht war das eine Art Insel, die versteckt und geheim in einer Nebelbank lag, so dass sie kein Fremder betreten konnte. Sie gehörte uns allein.

„Was willst du tun?“, fragte ich schließlich.

„Einen Schritt nach dem anderen gehen. Deine und meine Geschichte hängen zusammen, das ist mittlerweile klar, und die beste Spur, die wir im Moment haben, sind die Tagebücher deiner Mutter.“

Mikael hatte es extra noch mal erwähnt, kurz bevor er zurück ins Licht kehrte und endlich Frieden fand: „Cassandra hat Tagebuch geführt. Frag Auguste ...“ Und dann gab es noch eine andere Sache, bei der wir bisher nicht weitergekommen waren. „Was ist eigentlich mit Ashriel? Sie hat mir doch die Kugel mit dem Spruch geschickt und mir viel Glück bei meiner Suche gewünscht.“

„Du hast gesagt, dass ihr nichts darüber herausgefunden habt.“

Ich nickte. Will hatte sie gründlich analysiert. Er hatte etliche Zauber daran ausprobiert, sogar mein Blut verwendet, aber keine Hinweise oder Sonstiges gefunden. Es hatte ihn fast zur Verzweiflung getrieben, dass er mir keine Antworten liefern konnte, doch die Kugel behielt ihre Geheimnisse für sich. „Wir könnten noch mal nach New York und ...“

„Auf keinen Fall!“

Okay, ich war auch nicht scharf darauf, ein weiteres Mal in das Theater des Schreckens zu tauchen, aber was blieb uns übrig? „Ashriel hat mir das Ding doch nicht ohne Grund gegeben.“

Jaydee nahm mein Gesicht in die Hände und sah mich fest an. „Nein. Wir gehen nicht noch mal so ein Risiko ein, wenn wir es nicht unbedingt müssen! Lass mich erst mit Auguste reden, okay?“

Ich nickte zögerlich.

„Und ich gehe alleine.“

Nicht okay.

„Auguste ist alt, ich will sie nicht mehr aufregen als unbedingt nötig.“

„Das verstehe ich.“ Nicht. Aber es war sinnlos, mit Jaydee darüber zu streiten. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, zog er es gnadenlos durch. „Weißt du denn, wo sie lebt?“

„In einem Altersheim in Riverside.“

„Dann kannst du gleich Ben besuchen. Er hat öfter nach dir gefragt.“ Wie er mir am Telefon neulich erzählte, war er mittlerweile gut mit dem Bürgermeister von Riverside Springs befreundet. Nachdem der Emuxor ein immenses Chaos hinterlassen hatte, war Ben fast rund um die Uhr beschäftigt gewesen, es zu beseitigen.

„Wie geht es ihm denn?“

„Gut. Er ist seit zwei Monaten auf einem Gesundheitstrip. Joggt jeden Morgen durch den Park.“

„Also keine Snickers mehr.“

Ich winkte ab. „Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, lagen drei leere Verpackungen in seinem Mülleimer, insofern weiß ich nicht, wie ernst er das Training nimmt.“

„Ich werde es herausfinden, ich breche gleich auf, Riverside liegt in der Zeit vor uns.“

Ich schmunzelte. „Alles andere wäre schließlich Zeitverschwendung.“

Er lachte leise, weil er das gestern zu mir gesagt hatte, nachdem wir das erste Mal Sex gehabt hatten und ich gleich eine zweite Runde wollte. „Ich würde lieber mit dir weiter die Laken zerwühlen, glaub mir, aber ich muss etwas tun, sonst werde ich verrückt.“

„Das kann ich verstehen. Ich würde nur gerne helfen.“

„Das tust du, indem du in Sicherheit bleibst.“

„Ich habe es dir schon oft gesagt: Ich bin nicht ...“