Die Chroniken der Seelenwächter - Band 35: Die Nachfahren Sophias - Nicole Böhm - E-Book

Die Chroniken der Seelenwächter - Band 35: Die Nachfahren Sophias E-Book

Nicole Böhm

0,0

Beschreibung

Auf ihrer Suche in der Bibliothek des Rates finden Emma, Jess und Akil nicht nur heraus, was es mit dem Gefüge der Zeit auf sich hat. Akil kann endlich auch das Geheimnis lüften, welches Ilai dort versteckt hat. Jess und Akil müssen sich einer ebenso unerwarteten wie unangenehmen Wahrheit stellen. Einer Wahrheit, die auch in der Gegenwart noch wirkt. Jaydee sieht sich Kontrahenten gegenüber, denen er kaum gewachsen scheint. Weder körperlich noch mental. Er muss seine gesamte Kraft aufbringen, um sich ihnen zu entziehen. Wird sie ausreichen? Dies ist der 35. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter". Empfohlene Lesereihenfolge: Bände 1-12 (Staffel 1) Die Archive der Seelenwächter 1 (Spin-Off) Bände 13-24 (Staffel 2) Die Archive der Seelenwächter 2 (Spin-Off) Bände 25-36 (Staffel 3) Bände 37-40 (Staffel 4) Das schwarze Element (die neue Reihe im Seelenwächteruniversum) Bände 1-7

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 174

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.

Beliebtheit




Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel3

Hoffentlich mussten wir nicht tagelang suchen, ehe wir fündig wurden.11

3. Kapitel32

4. Kapitel41

6. Kapitel57

7. Kapitel78

8. Kapitel85

9. Kapitel117

10. Kapitel130

11. Kapitel147

12. Kapitel158

Die Lesereihenfolge von der Serie »Die Chroniken der Seelenwächter«170

Die Fortsetzung der Seelenwächter:171

Impressum172

Die Chroniken der Seelenwächter

Die Nachfahren Sophias

Von Nicole Böhm

1. Kapitel

Jessamine

Ich konnte kaum richtig atmen, während ich durch die halbdunklen Gänge der Bibliothek wanderte. Mein Herz hämmerte, der Puls rauschte mir in den Ohren. Dieser Ort war erfüllt von purer Magie. Sie vibrierte in den Wänden und dem Boden und legte sich wie ein Film über meine Haut. Ich war zwar keine ausgemachte Büchernärrin, die regelmäßig in Romanen versank, aber ich konnte mich der Faszination dieser Halle nur schwer entziehen; eingehüllt von der Geschichte der Seelenwächter, in einem Tempel, der fast genauso alt war wie sie selbst.

»Unglaublich«, sagte Emma und kam neben mich. Sie war ruhig geworden, seit wir weiter in die Bibliothek vorgedrungen waren. »Mich könnte auf der Stelle der Blitz treffen und ich wäre glücklich gestorben.«

»Sag solche Dinge nicht zu laut«, warf Akil ein. »Manchmal gehen Sachen schneller in Erfüllung, als uns lieb ist.«

»Stimmt«, sagte Emma und bog nach links in einen Gang ab. Kurz darauf quietschte sie vor Freude. »Die Geschichte über die Entdeckung Amerikas! O mein Gott!«

Akil lachte leise und sah in die einzelnen Gänge, die Tausende Bücher in ihren Fächern beherbergten. Er hatte mir erzählt, dass Ilai ihm aufgetragen hatte, er sollte hier in ein Geheimfach schauen, das er einst angelegt hatte. Ich war sehr gespannt darauf, zu sehen, was drin war.

»Ich muss dort entlang«, sagte Akil und deutete einen Gang hinunter.

»Soll ich mit dir kommen?«

»Ich informiere dich, sobald ich was Spannendes gefunden habe. Vielleicht ist in dem Fach auch nur Ilais Lieblingsrezept für Schokokuchen.«

»Glaubst du nicht wirklich, oder?«

»Er mochte Schokokuchen echt gerne, also wer weiß. Wenn du mehr über die Nomaden herausfinden willst: Es ist alles chronologisch sortiert.«

»Also muss ich in die Zeit 215 v. Chr.?« Da hatte Akil Safraz kennengelernt.

»Früher. Safraz und Ilai arbeiteten ja schon eine Weile zusammen, als ich zu ihnen gestoßen bin.«

»Alles klar.« Ich schaute mich nach Emma um, die noch bei Kolumbus festsaß. Vielleicht wäre das jetzt die Gelegenheit, Akil auf Ben anzusprechen. Vorhin hatte er gesagt, dass es Neuigkeiten von ihm gab. »Was ist mit Ben passiert? Du sagtest, du hättest ihn getroffen.«

»Ja, ich …« Er kratzte sich am Hals, was er immer tat, wenn er nicht wusste, wie er Dinge formulieren sollte. »Ich bin ihm begegnet und habe ihn meine Seelenenergie ziehen lassen.«

»O mein Gott.« Ich legte eine Hand über meinen Mund und schauderte. Auch ich war schon Opfer eines Schattendämonenangriffs geworden und wusste genau, wie ekelhaft es sich anfühlte.

»Es ging nicht anders, er hätte sonst einen Menschen …«

»Ich verstehe.«

Akil nickte nur. »Ich habe außerdem jemanden getroffen, der uns helfen kann. Mit Ben. Ihm zeigen, wie er sich ernähren soll, ohne dabei Unschuldige zu töten.«

»Ach ja? Wen denn?«

»Flipp nicht aus, okay?«

Ich zog die Augenbrauen zusammen, und eine Woge aus Unruhe stieg in mir hoch.

»Es ist … Joanne …«

»Wie bitte?!« Meine Stimme hallte laut in den Gängen wider und kehrte als Echo zu mir zurück.

Akil zog nur kurz den Kopf ein und legte die Hände auf meine Schultern, um mich zu beruhigen.

»Das ist hoffentlich nicht dein Ernst!«

»Bedauerlicherweise ja. Sie hat mir einen Deal angeboten, ich habe zugesagt.«

»Akil!« Ich machte mich von ihm los, lief ein paar Schritte zurück und funkelte ihn an. »Diese Frau … Dieser Dämon hat mir alles genommen, was ich geliebt habe! Ariadne! Violet! Sie hat mich in meinem eigenen Haus überfallen, sie hat mich gefoltert und mir den Boden unter den Füßen weggezogen!«

»Ich weiß, Jess. Denke nicht, dass das leicht für mich war.«

»Ich … Ich fasse es nicht!« Ich fuhr herum, stieß ein Brüllen aus, das genauso nachhallte wie mein Ruf von eben.

»Hey«, sagte Akil leise und trat von hinten an mich heran. Ich spürte seine Wärme, noch ehe er eine Hand an mich legte. Sein moosiger Duft hüllte mich ein, beruhigte sofort meine Nerven und vermittelte mir Ruhe, wie nur er es konnte.

Zum ersten Mal wollte ich mich dagegen wehren. Ich wollte ihn wegschieben, ihn beschimpfen, auf ihn einprügeln, weil er Joanne zurück in unser Leben gelassen hatte; als könnte er etwas dafür, dass sie so ein Biest war.

Akil spürte es. Er spürte, was in mir vorging, und er tat genau das Richtige. Er murmelte Worte, die ich nicht mit dem Geist verstand, aber mit dem Herzen. Er beruhigte mich, legte eine Hand auf mein Dekolleté und zog mich an seine feste Brust. »Ich habe fast genauso reagiert«, flüsterte er in meine Haare. »Und ich hätte sie auf der Stelle getötet, aber sie hatte eine verdammt gute Verhandlungsbasis. Sie hat Ben.«

Sie hat Ben.

Diese Worte fegten alles nieder.

Diese verdammte Göre hatte etwas, das wir liebten, und sie nutzte es gnadenlos zu ihrem Vorteil aus.

Weil es das war, was sie konnte. Sie liebte es, Menschen zu manipulieren und so zu biegen, wie sie es brauchte. Sie war nur auf ihren Vorteil aus und hatte nun vom Schicksal genau die Karten in die Hand gelegt bekommen, die sie benötigte, um uns auszuspielen. Schon wieder betrog mich das Leben. Schon wieder bekam ich die volle Breitseite ab.

In ruhigen Worten erklärte Akil mir alles von ihrer Begegnung, angefangen von der Geisel, die Joanne genommen hatte, bis hin zu ihrem Zerfall und dem Hinweis mit dem Flügelmal. Er hielt mich die ganze Zeit fest. Sein starker Arm lag um meine Schultern, seine Brust schmiegte sich an meinen Rücken. Ich war eingehüllt in die Kraft der Natur, eingehüllt in diese Stärke, die kein Orkan der Welt hinwegfegen konnte.

»Sie hat mir Violet genommen«, flüsterte ich zwischendrin.

»Ich weiß.«

»Sie hat mir so viel genommen.« Meine Stimme brach, und ich hasste mich dafür. Ich wollte Joanne nicht noch mehr Macht über mich geben, ich wollte nicht einknicken, indem ich anfing zu weinen. Das hatte sie nicht verdient.

»Ich weiß«, wiederholte Akil nur wieder und wieder, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte. »Es tut mir leid, dass du damit konfrontiert wirst. Ich wünschte, ich könnte sie von dir fernhalten, aber ich glaube wirklich, dass sie uns helfen wird.«

Ich schnaubte nur. Akil verstand es.

»Als Ben mich aussaugte, hat er übrigens weitere Schattendämonen gesehen. Eine Frau namens Meda. Sie redete vom Gefüge der Zeit, genau wie Jonathan. Alles kommt immer wieder dorthin zurück.«

Ich löste mich von ihm und drehte mich herum, sodass ich ihn ansehen konnte. Meine Augen brannten von Tränen, die ich nicht geweint hatte. »Dann wird es echt Zeit, dass wir mehr darüber erfahren.«

»Sehe ich auch so.«

Ein leises Räuspern erklang neben mir. Ich blickte über meine Schulter und sah Emma, die an einem Regal wartete. Keine Ahnung, wie lange sie schon dort stand, aber ihre sonst so funkelnden Augen wirkten traurig und besorgt.

»Alles klar hier?«, fragte sie und runzelte die Stirn.

»Ja.« Ich schüttelte mich, rieb mir noch mal durchs Gesicht und stemmte die Hände in die Hüften. »Lasst uns anfangen, ich muss was tun.«

Akil nickte, sah zwischen mir und Emma hin und her und deutete dann in einen Gang zu unserer Rechten. »Ihr könnt euch in Ruhe umsehen, ich finde euch.«

»Danke«, sagte ich und klang kühler als beabsichtigt. Akil sollte nicht denken, dass ich sauer auf ihn war, denn das war ich nicht. Er hatte getan, was er für richtig erachtet hatte, und ich vertraute ihm. Ich war sauer auf die Umstände. Sauer darauf, dass das verdammte Schicksal uns immer wieder Knüppel zwischen die Beine warf, wenn wir gerade erst aufgestanden waren.

Plötzlich kamen mir Ashriels Worte von damals in den Sinn, als sie mich kennenlernte: »Es ist dir vorherbestimmt, zu leiden, und es ist noch lange nicht vorüber. Geliebte Menschen werden dich verraten, du wirst weiterkämpfen müssen, alles was dich erwartet, wurde nur zu einem einzigen Zweck erschaffen: deine Seele zu zerbrechen.«

Dieser Fluch schien mir wirklich anzuhaften, egal wohin ich ging.

Ich schloss mich Emma an und lief mit ihr tiefer in die Bibliothek hinein.

Wir schwiegen für eine Weile, ehe sie das erste Mal wieder gluckste. Ich sah ihr an, wie sie ihre Freude unterdrücken wollte, vielleicht aus Rücksicht auf mich.

»Lass es ruhig raus«, sagte ich.

Sie klatschte in die Hände und quiekte etwas lauter. Ich musste schmunzeln. Emma war wie ein kleines Kind, das sich über alles freuen konnte. Aus vollem Herzen. Wie unglaublich beneidenswert.

»In die Welt der Seelenwächter zu kommen, war das Beste, was mir je passiert ist«, sagte sie leise.

»Interessanter Standpunkt.«

»Ich weiß. Und schräg, nach allem, was wir mitgemacht haben. Aber ich empfinde es wirklich so. Mein Alltag war vorher so gewöhnlich und langweilig. Ich habe mich zwar mit Freunden verabredet und versucht, Spaß zu haben, aber ich hatte keine Ahnung, was es heißt, wirklich am Leben zu sein. Etwas zu bewegen, anderen zu helfen, zu kämpfen. Auch auf die Gefahr hin, dabei zu sterben. Ich bin nicht leichtsinnig oder so, aber ich würde mich auch nie vor einer Aufgabe drücken. Egal wie gefährlich sie ist. Wir tragen so viel Verantwortung für andere, wir können so viel Gutes bewirken und so viel Schlechtes abwehren. Der Preis dafür ist für uns, diese Bürde zu tragen und mit der ständigen Angst zu leben, aber ich trage sie gerne. Ich zahle diesen Preis gerne, weil ich weiß, dass es sinnvoll ist.«

Emma wirkte in der Tat völlig im Einklang mit sich und erinnerte mich schmerzlich an die Dowanhowee, die mittlerweile im Exil lebten. Vielleicht lag es an der Wandlung, die Emma und die anderen drei durchgemacht hatten. Das Serum, das Ananka ihnen gespritzt hatte, veränderte immerhin ihre DNA, und sie kehrten mehr zu ihren Wurzeln zurück. Aber vielleicht war das alles schon in Emma gewesen und kam nun verstärkt hervor.

Wir gingen schweigend weiter und gelangten endlich an die Regale, die wir vom Datum her suchten. Emma und ich teilten uns auf, sie nahm die rechte Seite, ich die linke. Mir wurde ein wenig schwindelig ob der unzähligen Bücher.

Hoffentlich mussten wir nicht tagelang suchen, ehe wir fündig wurden.

2. Kapitel

William stand am Ufer des Sees und blickte über die fast glatte Oberfläche. Die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf die ruhigen Wellen, ein weiterer Tag neigte sich dem Ende zu. Seit Kedos besiegt worden war, kehrte William jeden Abend hierher und betrachtete das natürliche Spektakel. Er liebte den Sonnenunter- oder aufgang. Der Stern verkörperte Williams Element wie nichts anderes. Pures Feuer. Energie so hell und strahlend, dass sie Lichtjahre zurücklegen und bis zur Erde vordringen konnte. Wärme kribbelte in Williams Adern und flutete ihn mit der sanften Stärke, die ihm so vertraut war wie sein eigener Atem. Er gab sich diesem Gefühl hin, ließ die Hände locker an seinem Körper hängen und schloss die Augen. Sogar hinter seinen Lidern erkannte er noch das Flackern und Leuchten der Sonne, sie drang bis zu seiner Seele vor und heizte ihn von innen her auf. In Momenten wie diesen fühlte William alles um sich herum. Zeit spielte keine Rolle mehr, er könnte in der Vergangenheit oder der Zukunft stehen, es wäre beides gleich. Noch hatten sie nicht herausgefunden, wie sie zurückkehren konnten, aber seit Payden aufgetaucht war, waren auch erst vier Tage vergangen.

Sie war nur sporadisch wach geworden, hatte etwas gegessen oder getrunken und war sofort wieder in einen tiefen, heilsamen Schlaf gefallen. Niaka erklärte William, dass die Paste, die sie Payden auftrug, mit dafür verantwortlich war. Sie beruhigte das Nervensystem, sodass Müdigkeit in die Glieder zog und der Patient ruhen konnte. Schlaf brachte Heilung.

Er hörte Schritte hinter sich, musste sich allerdings nicht umdrehen, um zu wissen, wer sich ihm näherte. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, und dann berührte sie ihn auch schon. Anna schlang die Arme um seine Schultern und verschränkte sie vorne an seiner Brust. Sie schmiegte ihren angenehm kühlen Körper gegen seinen Rücken und atmete mit ihm im Gleichklang. Die letzten Tage mit ihr waren pure Magie gewesen. Noch nie hatte William sich derart fallen lassen können, wenn er mit einer Frau zusammen war, und er hatte das Gefühl, dass es Anna ganz ähnlich erging. Sie liebten sich lange und intensiv, sie redeten, sie gingen spazieren. Zwischen ihnen war eine ursprüngliche Hingabe entfacht, die mit jeder Sekunde wuchs und ein enges Band zwischen ihnen knüpfte. William spürte sie, ehe sie in seiner Nähe war. Er nahm sie auf einer Ebene wahr, die weit über das normale Verständnis zweier Seelen hinausging. Die Erlebnisse hatten sie und ihre Elemente zusammengeschweißt, in einem Maße, wie er es noch nie erlebt hatte. Sie waren beide in Bereiche vorgedrungen, die ein Seelenwächter nie betreten hatte. Sie waren mit ihren Elementen vereint, lange bevor die ersten ihrer Art die Erde bevölkerten. Anna und William waren ursprünglicher als die ersten vier, so abstrus das klingen mochte, doch er spürte genau das. Mit jedem Atemzug, mit jeder Faser seines Daseins. Und er spürte auch Annas Element. William hatte nicht länger das Gefühl, dass ein Element das andere beherrschte, wie sie es gerne sagten, sondern dass sie Hand in Hand arbeiteten und sich gegenseitig stärkten. Wie schön es wäre, wenn er das auch mit der Erde und dem Wasser erleben könnte. Wenn sie gemeinsam die vier Elemente auf eine neue Stufe der Evolution heben könnten. Er hatte keine Ahnung, wo das hinführen mochte, aber er würde sich auf den Weg einlassen, denn das war etwas, das er bei diesem Volk gelernt hatte: Alles offenbarte sich zur richtigen Zeit. Man musste nur genügend Geduld behalten, selbst dann, wenn der Pfad ins Nicht zu führen schien.

»Tiriak kam eben zurück«, sagte Anna.

»Was gibt es Neues?«

Tiriak war mit ein paar Dowanhowee losgezogen, um zu erkunden, ob Kedos‘ Einfluss wirklich überall gebrochen war. Seit der Dämon gebannt war, herrschte eine ganz eigene Form des Friedens auf diesem Land.

»Er ist weg, Will. Kedos ist eliminiert. Endgültig. Tiriak traf auf ein weiteres Dorf der Inji. Sie waren noch verwirrt, weil sie nicht wussten, was mit ihnen passiert ist, aber alle berichteten von einem Schleier, der sich von ihnen gelöst hat. Es passt alles zusammen. Wir haben ihn erledigt.«

»Das sind großartige Neuigkeiten.« Vor ein paar Tagen hatte William sich gefragt, ob sie das Richtige getan hatten. Ob das Ritual wirklich eines der guten gewesen war, denn letztlich hatten sie der Magie blind vertraut und sie genutzt, ohne zu wissen, ob sie auch Erlösung brachte.

Es war ein Pokerspiel gewesen, das sie gewonnen hatten.

William drehte sich zu Anna. Die untergehende Sonne zauberte einen rot-orangenen Schein auf ihre blasse Haut. Ihre hellen Haare schimmerten in einem zarten Rosé-Ton. Wie sehr er diese Frau liebte, konnte er nicht einmal annähernd in Worte fassen. Sein Herz weitete sich, wenn er sie nur ansah. Er war ihr verfallen, mit seinem Herzen und seiner Seele, und er würde alles für sie tun, damit sie glücklich war. Sie lächelte, ihre Augen funkelten klar und rein wie der See hinter ihm. Anna hatte mehr als ihre Stärke hier bei den Dowanhowee gefunden, sie war noch mal über sich hinausgewachsen und hatte alles Grässliche, das sie je belastet hatte, hinter sich gelassen. Eine Frau, die durch die Hölle gegangen war, um sich selbst zu finden.

Er umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen und gab ihr einen warmen, langen Kuss auf die Stirn. Anna lehnte sich ihm entgegen und verharrte still. Das Feuer stob in William auf, glitt über seine Arme auf Annas Körper und umschloss sie mit der Wärme, die er in seinem Herzen trug. Sie schauderte, als die Flammen über ihre Haut züngelten, ohne sie zu verletzen. Das Spektakel dauerte nur wenige Atemzüge, ehe sie sich wieder auflösten.

»Es ist unglaublich, oder?«, hauchte sie.

»Ja.« Er strich ihr über die Haare, den Nacken, die Schultern und freute sich schon jetzt auf die kommenden Stunden mit ihr. Sie hatten sich ein Zelt eingerichtet, in das sie sich jederzeit zurückziehen und wo sie für sich sein konnten. Es war fast so etwas wie ein Zuhause geworden. Die Zeit bei den Dowanhowee kam William so intensiv vor wie ein ganzer Lebensabschnitt.

Anna hob eine Hand und ließ sie über das Flügelmal auf seiner Brust gleiten. Manchmal muckte es auf und sandte Energiewellen oder Bilder durch Williams Geist.

»Heute Nacht hatte ich einen sehr wirren Traum«, sagte er.

»Ich höre.«

»Ich habe gesehen, wie Akil von Ben ausgesaugt worden ist.«

»Was?«

»Er war ein … ein Schattendämon.«

William und Anna wussten, dass Ben gestorben war. William hatte es gespürt, als er mit Meda Kontakt gehabt hatte. Ben hatte sich für ihn geopfert, sonst wäre William ausgesaugt worden. Es war schlimm genug, dass Ben das getan hatte, aber wenn er dadurch selbst zum Schattendämon geworden war, könnte er sich das nie verzeihen. »Denkst du, … das ist echt?«

»Ich weiß es nicht.« Anna wurde blasser, der Gedanke schockierte sie genauso wie ihn.

»Falls ja, bin ich dafür verantwortlich.«

»Nein.« Anna legte ihre Hand auf seine Schulter. »Bist du nicht, hörst du? Du hättest das nicht verhindern können, es war Bens freie Entscheidung. Wir …« Sie schloss die Augen und biss sich auf die Unterlippe. »Wir haben … Nein. Das warst nicht du.«

William nahm ihre Hand in seine und knetete ihre Finger. Vielleicht täuschte er sich ja auch. Nur weil William davon träumte, musste es nicht heißen, dass Ben wirklich ein Schattendämon war. »Ich habe übrigens nicht nur Ben gesehen, sondern auch Meda. Sie hat mit ihm gesprochen und ihm gesagt, dass er die Lösung für die Schatten sei und dass er im Gefüge der Zeit wäre.«

»Was soll das bedeuten?«

»Keine Ahnung. Es war sehr verwirrend, ich …«

»Anna! Will«, rief Niaka auf einmal von weiter oben und rannte über die Wiese auf sie zu. William blickte hoch. Niaka blieb auf der Böschung oben stehen und winkte die beiden zu sich.

»Payden ist wach und ansprechbar«, sagte sie. »Kommt.«

William warf Anna nur einen kurzen Blick zu, nahm ihre Hand und eilte mit ihr die Böschung nach oben. Sie waren nicht weit vom Lager entfernt, der Fußmarsch dauerte nur wenige Minuten.

Payden saß vor einem kleinen Feuer, eine Decke um ihre Schultern, die Haare fielen ihr offen über den Rücken. Sie hielt einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit in den Händen und redete mit Anjana, einer älteren Frau, die sich viel um Payden gekümmert hatte.

»Payden!«, rief William, als sie näher kamen.

Sie blickte auf, ihre Miene erhellte sich vor Freude. Payden schob die Decke von ihren Schultern, stellte den Becher ab und sprang auf, um den beiden entgegenzurennen. Sie warf sich erst William in die Arme, dann begrüßte sie Anna, die in ihrer Zeit nicht so viel mit ihr zu tun gehabt hatte wie er. Dennoch spürte er ihre Erleichterung, zwei bekannte Gesichter zu sehen.

»Gott sei Dank seid ihr auch da!«, sagte Payden und machte sich von Anna los. Payden wirkte erholt, zumindest körperlich. Wie es innen aussah, müsste sich erst herausstellen. »Ich kann es nicht glauben! Ich … Ich habe keine Ahnung, was das alles soll, mein Kopf ist voll mit Bildern und Eindrücken. Wo bin ich?«

»In der Vergangenheit«, sagte William. »Bei den Dowanhowee.« Offensichtlich. »Es ist eine lange Geschichte, die wir dir gerne erzählen.«

»Bitte. Ich habe noch nie etwas Derartiges erlebt. Es ist, als wäre ich aus einem endlosen Albtraum aufgewacht. Es war das pure Grauen, und dann waren da viel Licht und Energie und eine Art Portal und ich weiß nicht …«

»Eins nach dem anderen, okay?«, sagte William. »Wir werden alles sortieren.«

Payden kniff sich in den Nasenrücken und schüttelte den Kopf. »Es ist so verwirrend.«

Anna griff nach ihrer Hand und drückte sie. »Wir dröseln es auf. Ganz sicher.«

Payden hielt inne und sah auf Annas Finger, die sich um ihre geschlungen hatten. Sie fing an zu zittern und zu beben, schien wie gefangen zu sein von dieser Berührung.

Anna ließ sie sofort wieder los, aber Payden griff wieder nach ihren Fingern. »Nein, nicht. Das … Das tut gut.« Sie verwob sich enger mit Anna und schloss für einen Moment die Augen. »Es ist, als würde das Geplapper in meinem Kopf zur Ruhe kommen.«

»Aber ich tue gar nichts«, sagte Anna.

»Dein Element«, sagte William leise. »Es bringt Klarheit.«

Anna sah auf Paydens Arm, über den sich ein feiner Luftzug bewegte und ihre Härchen aufrichtete. Wie eben mit den Flammen, die über Annas Körper gekrochen waren, teilte auch sie mit Payden die Magie der Elemente. Der Zauber hielt nur wenige Momente, dann verklang er.

Payden ließ Anna los und strich mit den Fingern über die Stellen, an denen sie sich berührt hatten.