Die Chroniken von Nyúmel - Stefanie Gerken - E-Book

Die Chroniken von Nyúmel E-Book

Stefanie Gerken

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Beschreibung

Er ist ein herablassender Elf und ein Sklave. Sie ist neugierig und eine falsche Prinzessin. Ihr Ziel ist es einen König zu retten, doch der stirbt. Von nun an, scheint es in Nyúmel keinen ruhigen Tag mehr zu geben, denn die Angst greift um sich. Wer steckt hinter den Morden in Nyúmel? Sind es wirklich die Elfen? Ist es richtig sie zu achten? Was sucht der junge Elfenprinz Lorenonn wieder auf dem Festland? Stimmen die Gerüchte, dass sich die Menschen und Elfen verbünden müssen? *Reihenfolge* Band 1 - Götterblut Band 2 - Drachenjäger Band 3 - Zwillingsbürde

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 474

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Die Chroniken von Nyúmel

Zwillingsbürde

Stefanie Gerken

die chroniken von

Nyúmel

zwillingsbürde

Das Zeitalter der Menschen

Stefanie Gerken

- FoxBuxs -

© 2022 Stefanie Gerken

Verlagslabel: FoxBuxs

ISBN Softcover: 978-3-347-59297-1

ISBN Hardcover: 978-3-347-59298-8

ISBN E-Book: 978-3-347-59299-5

ISBN Großschrift: 978-3-347-59300-8

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

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Prolog

Der Regen prasselte auf Lyrias Schultern und durchnässte ihre Kleidung. Seit Stunden kauerte sie bereits hier und ignorierte den stummen Protest von ihrer zweiten Hälfte. Sie warf Listus einen finsteren Blick zu, damit er endlich aufhörte zu denken und konzentrierte sich wieder auf ihr Ziel, dass noch immer ahnungslos in seinem Planwagen lag und schlief.

Erst, als der Regenschauer noch stärker wurde, wagte sie sich aus ihrem Versteck heraus. Leichtfüßig berührte sie den matschigen Boden, schnitt im Vorbeilaufen die Kehle der schlafenden Wache durch und rammte der anderen Wache von hinten ihren Dolch zwischen die Schultern. Die Sklaven, die an dem Planwagen angebunden waren und sich schutzsuchend unter eine alte Eiche gekauert hatten, beobachteten ihr Treiben mit großen Augen. Doch niemand von ihnen machte Anstalten, ihren Besitzer zu warnen und sie zu verraten.

Wie das Monster, vor dem sich die Kinder fürchteten, schlich sie sich in den Planwagen, sprang auf den Brustkorb des Sklavenhändlers. Mit Genuss sah sie, wie er seine Augen aufriss und seine Gesichtsfarbe schwand, als er ihr wütendes Gesicht sah.

»Wo ist er?«

Der Sklavenhändler versuchte unter ihrem Gewicht genug Luft in seine Lungen zu saugen, um ihr zu antworten.

»Ich weiß nicht von wem du redest.«

»Ich rede von dem Elfen. Ich weiß, dass du ihn hast!«

»Draußen warten genug Elfen. Wenn du einen willst, kannst du dir einen aussuchen. Natürlich nur, wenn du das passende Kleingeld dafür hast.«

»Ich will deine einfachen Elfen nicht! Ich suche einen besonderen Elfen. Und ich weiß, dass du ihn hast.«

Er verzog sein Gesicht, während sie ihr Knie zu seiner Kehle schob. Mit jedem Wort verlagerte sie ihr Gewicht mehr.

»Wo ist der Heiler?«

Das Gesicht des Sklavenhändlers verfärbte sich allmählich, sodass sie wirklich Bedenken hatte, ob sie sich zurückziehen musste. Doch dann quetschte er eine Antwort hervor.

»Verkauft.«

»Wann?«

»Tage.«

»Wie viele?«

»Drei.«

»An wen hast du ihn verkauft?«

»Weiß nicht.«

Sie schluckte ihren Zorn hinunter und ließ ihm etwas mehr Platz zum Atmen. Gierig sog er die frische Luft in seine Lungen.

»Noch einmal. Wer war dein Käufer?«

»Ich sagte es doch schon, ich weiß es nicht. Er hat mir sein Gesicht nicht gezeigt und kein Wort gesagt. Aber sein Beutel wog schwer, deswegen war es mir egal. Dein Elf ist weg. Und du tätest gut daran, wenn du dich ihm nicht nähern würdest. Er bringt den Tod!«

Wortlos setzte sie ihre Klinge an seiner Kehle an und zog sie durch. Während sein warmes Blut über ihre Finger lief, wischte sie an seinem Kopfkissen ihren Dolch ab.

»Du Narr, ich bringe den Tod. Er bringt das Leben.«

Als sie den Planwagen wieder verließ, konnte sie ihre beiden Begleiter dabei beobachten, wie sie die gefangenen Elfen befreiten. Eine Frau verbeugte sich vor ihnen.

»Ich danke Ihnen. Sie haben unser Leben gerettet.«

»Ihr braucht Euch nicht bedanken, niemals würden wir einen Elfen in der Gefangenschaft lassen.«

Lyria wollte sich gerade herumdrehen, als einer der Sklaven sie ansprach.

»Sera?«

Sie drehte sich zu ihm herum und lächelte ihn milde an.

»Ich bin kein Ritter, junger Elf.«

Er ignorierte ihren Einwand und redete einfach weiter.

»Ich habe gehört, welche Fragen Sie dem Sklavenhändler gestellt haben. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

Neugierig geworden, weiteten sich ihre Augen kurz, bevor sie sich wieder an den Elfen wandte.

»Nun mein Freund, wir haben Zeit. Erzähle mir alles, was du weißt.«

1

Der Auftrag

Die Lichter der Sonne und die Schatten des Waldes flossen an ihr vorbei, während sie ihr Pferd über den festgetretenen Weg jagte. Ihr Herzschlag hatte sich schon längst dem Rhythmus des Pferdes angeschlossen, als sie endlich aus dem Wald herausbrach und das offene Tor sah. Innerlich seufzte sie, dennoch ließ sie ihren Blick nicht von der Burgmauer abreißen. Als die Wachmänner sie sahen, liefen sie hastig auseinander und ließen sie hindurch, bevor sie unter die Hufe des Pferdes gerieten.

Sie ritt die letzten Schritte bis zur Tür, ehe sie an den Zügeln riss und somit unsanft das Pferd zum Stehen brachte. Schnell war sie aus dem Sattel herausgerutscht, um das Pferd herumgelaufen und schon halb die Treppen hinaufgerannt, als das Tor geöffnet wurde und ein bekanntes Gesicht ihr erschrocken entgegenlief.

»Kümmern Sie sich um das Pferd!«, waren die einzigen Worte, die sie dem Hausverwalter entgegenwarf. Was er ihr hinterher schrie, konnte sie schon gar nicht mehr hören, denn sie lief bereits durch die Halle.

In der Küche fand sie schließlich ihren Großvater.

Schwer atmend blieb sie vor ihm stehen. Sie bemerkte in ihrem Augenwinkel, dass alle sie verwundert anstarrten, doch ihr war das egal. Sie zog aus ihrer Brusttasche den Brief ihres Großvaters heraus und überreichte ihn.

»Du hast nach mir verlangt?«

»Robyn! Himmel, Kind. Was tust du da?«

Langsam stellte sie sich wieder aufrecht hin und versuchte nicht zu heftig zu atmen. Sie hatte während des Ritts gar nicht gemerkt, wie oft sie die Luft angehalten hatte, jetzt wusste sie es.

»Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Was ist passiert?«

Robyn sah in die eisblauen Augen ihres Großvaters und wartete auf ihre Antwort. Beruhigend legte er seine riesige Hand auf ihren Rücken und klopfte ihr auf die Schulterblätter. Dabei schmiss er sie beinahe um.

»Kind, du solltest dich erst einmal setzen und etwas trinken. Du bist ja ganz erschöpft.«

»Ellervater, bitte. Du sagtest, du brauchst meine Hilfe. Was kann ich für dich tun?«

Er ignorierte sie und drehte sich zu seiner Küchenmagd herum.

»Ich bringe meine Enkelin in die Halle. Du folgst uns mit einem Teller und einem Krug.«

»Sehr wohl, Ser Eland.«

Robyn wurde herumgedreht und wieder in die Halle zurückgebracht.

Erst als sie saß, wagte sie sich noch einmal vor.

»Ellervater, dein Anliegen?«

»Erst isst du mir etwas. Quynn wird nicht begeistert sein, wenn du mir in der Halle umkippst.«

»Mir geht es doch gut.«

»So siehst du auch aus.«

»Ich habe mir Sorgen gemacht, dein Brief klang dringlich.«

»Es ist auch dringend. Aber zehn Minuten länger, bringen offensichtlich nur dich um, niemand anderen sonst.«

Robyn wusste, dass sie schweigen sollte, deswegen wartete sie auf die Magd und ihr Essen.

Während ihre Finger das Fleisch von dem Geflügelknochen zogen, hörte sie ihrem Großvater zu und antwortete ihm. Er fragte sie nach dem Befinden von ihrem Vater, wie sich ihr Bruder machte und wie es den Menschen in Dranka erging. Ihre Antworten fielen kurz und knapp aus. Angespannt wie eine Bogensehne wartete sie auf ihren Auftrag. Es war zwar nicht das erste Mal, dass Robyn einen Auftrag für ihren Großvater erledigen sollte, doch dieses Mal, hatte er sie alleine sehen wollen. Niemand war bei ihr, keine Wachen, kein Vater, keine Berater oder Ritter, die sich bei ihren Entscheidungen über sie hinwegsetzten und sie ignorierten. Dieser Mann vertraute ihr und er mutete ihr etwas zu. Ihr, einer unverheirateten Frau, die erst seit zwei Jahren ein Teil seiner Familie war. Noch nie war Robyn so stolz gewesen.

»Nun Robyn, ich glaube, du bist soweit gesättigt. Du kannst deine Reste den Hunden geben.«

Robyn nahm die letzten Karotten und Fleischstücke von ihrem Teller und reichte jedem der beiden großen grauen Hunden eine Handvoll. Ohne zu kauen, schluckten die Hunde das Essen hinunter und leckten anschließend mit ihrer riesigen Zunge über ihre Hände. Seit sie klein war, war sie von den Hunden ihres Großvaters fasziniert gewesen. Neben ihnen fühlte sie sich stets so winzig, auch heute noch.

Als Ser Eland aufstand, riss er sie aus ihren Gedanken heraus. Robyn kämpfte sich hastig zwischen den Stühlen hindurch und folgte ihm. Dabei wischte sie sich unauffällig die Handflächen an ihrem knielangen Mantel ab.

In einem Nebenraum blieb er anschließend stehen. Noch nie hatte er Robyn in diesen Raum mitgenommen. Sie wusste nur, dass er hier mit den Rittern und mit ihrem Vater sprach, wenn kein Diener ihn hören sollte.

Mit großen Augen sah sich Robyn um. Die Wände hingen voll mit alten Trophäen, die Ser Eland in seinen Zeiten als König von Dranka erobert hatte. Auch ein Gemälde hing in diesem Raum.

Ser Eland saß auf einem prächtigen Stuhl, die Stachelkrone von Dranka ruhte auf seinem Kopf und ließ ihn ehrfürchtig aussehen. Es schien, als ob er mit seinen eisblauen Augen in die Tiefen ihrer Seele sehen konnte. Neben ihm stand seine Ehefrau Königin Roslynd. Schon oft hatte sie von der kleinen Königin, mit dem großen Herzen gehört. Hier sah Robyn, dass sie ihren Ehemann nur um wenige Zentimeter überragte, wenn er neben ihr saß. Ihre Hand ruhte auf seiner Schulter, während sie gütig lächelte. Robyn spürte immer ein Drücken in ihrem Hals, wenn sie an ihre verstorbene Großmutter dachte. Gerne hätte sie diese bemerkenswerte Frau kennengelernt. Sie kannte niemanden im Königreich, der schlecht über sie sprach.

Robyn ließ ihren Blick von dem Gemälde abschweifen, nur um anschließend an dem großen Tisch hängenzubleiben, der in der Mitte des Raumes stand. In seine Oberfläche hatte man die Karte von ganz Nyúmel eingebrannt. Die Handwerkskunst setzte mit dieser Arbeit neue Maßstäbe. Selten hatte sie eine Abbildung von Nyúmel gesehen, die so detailliert war, wie dieser Tisch. Im Norden konnte sie den tiefen Nadelwald von Dranka erkennen. Natürlich hatte sich der Tischler bemüht nicht nur die Burg von ihrem Vater in den Tisch einzuarbeiten, sondern auch die Burg von Ser Eland. Das hügelige Land mit seinen vielen Seen, dass einst Wesla gewesen war, bedeckte den kompletten nördlichen Teil von Nyúmel.

Im Osten konnte sie die Inselgruppe der Sonnlunds erkennen. Ihr Lehrer hatte ihr erklärt, dass die Elfen ihre Inseln effizient nutzten. Sie wusste, dass eine dieser Inseln, Tolun, ein großes Gefängnis war. Dort gab es so viele Felsen und Schluchten, dass selbst die Inseln im Norden freundlich dagegen wirkten. Die Elfen schickten hier ihre Verbrecher hin. Robyn hatte bereits viele Geschichten über diese Verbrecher gehört. Irgendwann wurden alle Gefangenen Elfen schreckliche Monster, die jeden töten würden, der ihnen zu nahekam. Ein kalter Schauer huschte über ihren Rücken und sie löste ihren Blick von den Inseln und wandte ihn gen Süden.

Im Süden lag Helis, Robyn war bereits ein paar Mal dort gewesen. Sie liebte dieses Land, dass so viele Farben und Früchte bot. Die Menschen waren stets glücklich und niemand musste hungern oder sich vor einen langen Winter fürchten. Sie konnte sich an kein Jahr erinnern, in dem es in Helis geschneit hatte. Anders, als in Dranka, wo der Winter erbarmungslos werden konnte. Dies war die Zeit, in der die Könige, die Lords und die Ritter des Landes die einfachen Menschen in ihre Häuser ließen und sie gemeinsam versuchten diese Zeit zu überstehen.

Wenn Robyn es sich recht bedachte, mochte sie diese Zeit. Dann wirkte die Burg nicht mehr so groß und sie genoss die Geschichten, die die anderen Menschen zu erzählen hatten.

Ihre Augen schweiften weiter, sodass sie im Westen die weiten Ebenen, die Wälder, die an Helis angrenzten, und die Seenplatte erkennen konnte, in dessen Mitte sich Feol verbarg. Sie wusste zwar, dass hier das Katzenvolk der Co’adz lebte, doch noch nie hatte Robyn einen von ihnen gesehen. Ihr Vater hatte stets dafür gesorgt, dass sie immer außerhalb der Burg war, wenn ein Gesandter aus dem Westen kam. Einst hatte er ihr erklärt, dass die Co’adz heute zwar friedvoll waren. Doch vor vielen Jahren hatten diese katzenartigen Wesen die Menschen und Elfen in ganz Nyúmel gejagt und gefressen. Erst das Eindringen der Drachen, konnte sie verjagen, bis sie vor einigen Jahren als ruhige, friedliche Wesen zurückkehrten.

Die Erinnerung an ihre alte Heimat flackerte schwach in ihr auf, deswegen wanderte ihr Blick zurück in den Norden zu der rauen See, die vor den Küsten von Dranka lag. Dorthin, wo eine kleine felsige Insel lag, die ganz anders war, als alle anderen Inseln im Norden. Sie konnte die schroffe Küste erkennen. Das Erste, was Robyn einfiel, wenn sie an Skasla dachte, war ein stürmischer Tag. Die dunklen Wolken hingen am Himmel und die Gischt spritzte über die Felsen in Robyns Gesicht. Völlig gebannt, hatte sie die Schiffe beobachtet, die wie Meeresungeheuer auf die Insel zuhielten. Was an diesem Tag folgte, würde sie niemals vergessen.

»Robyn? Robyn, hörst du mir zu?«

Die tiefe Stimme ihres Großvaters riss sie zurück in die Gegenwart. Noch leicht in ihren Gedanken versunken, starrte sie ihn an.

»Verzeih mir. Was hast du eben gesagt?«

»Ich habe dich gefragt, ob es dir gut geht?«

Hastig nickte sie.

»Mir geht es gut, Ellervater. Ich habe mich nur gefragt, wo bei diesem wunderschönen Tisch Tulumei liegt.«

»Ah, Du möchtest wissen, wo das Land liegt, von dem deine Mutter stammt?«

»So ist es, Ellervater.«

»Tulumei habe ich natürlich nicht vergessen. Doch auf dem Tisch gab es keinen Platz mehr. Deswegen haben wir für Tulumei einen eigenen Tisch angefertigt. Hier ist er.«

Er zeigte ihr einen kleinen Tisch, der neben einem der Stühle stand. Robyn erkannte die rundliche Form von Tulumei und lächelte, als sie die vielen fremden Bäume sah.

»Hat deine Mutter dir schon einmal von diesen Bäumen erzählt?«

»Das hat sie, sie hat mir viel über ihr Land erzählt, auch über die Bäume, die sie Palmen nennen. Und über ihre Tiere. Sie erzählte mir von den Löwen und von den Elefanten, mit ihren großen Ohren und der grauen Haut.

Das ganze Land klingt so aufregend. Ich würde es gerne eines Tages mit meinen eigenen Augen sehen.«

Ser Eland lachte und Robyn warf ihm hastig einen fragenden Blick zu.

»War das wieder falsch?«

»Nein, Robyn, das war nicht falsch. Nur ich kenne keine Frau, die so eine Sehnsucht nach fremden Orten verspürt, wie du. An dir ist der geborene Entdecker verloren gegangen.«

Robyn wusste, dass ihr Großvater sie nicht verletzten wollte. Schließlich konnte er ja nicht ahnen, wie es war, als Frau zu leben.

»Nun, ich bin hier, wegen einem Auftrag?«

Das Gesicht von ihrem Großvater veränderte sich schlagartig und er drehte ihr den Rücken zu, als er sich dem Gemälde zuwandte.

»Weißt du, Robyn. Ich habe deine Großmutter wirklich geliebt. Zwar war unsere Ehe arrangiert, doch ich habe sie nie bereut. Mein Volk verlangte nach ihrem Tod wieder eine Königin. Ich schaffte es nicht. Mein Schmerz sitzt noch immer zu tief, deswegen hatte ich ihnen versprochen, dass mit meinem Sohn eine neue Königin in Dranka herrschen wird.«

»Ellervater, hat mein Auftrag etwas mit Königin Roslynd zu tun?«

Roby war ganz irritiert. Warum antwortet er auf ihre Frage mit einem Liebesgeständnis an seine Frau?

»Nein. Königin Sommerly schrieb mir. Ihr Mann sei schwer krank und sie wisse nicht, wie lange er noch zu leben hätte. Sie haben bereits die besten Ärzte des gesamten Landes gerufen, doch niemand konnte ihm helfen. Meine liebe Schwester ist vollkommen außer sich.«

Robyn wusste nicht, was ihr Großvater ihr damit sagen wollte, dennoch fühlte sie eine starke Trauer um König Rej.

Zwar hatten sie nie viel miteinander gesprochen und er hatte sie auch nie als einen Teil der Familie angesehen, doch Königin Sommerly war stets freundlich zu ihr gewesen. Und auch ihre Tochter, Prinzessin Zivenna, war ein guter Mensch.

»Ich möchte, dass du ihnen hilfst.«

Robyn traute ihren Ohren nicht.

»Willst du das wirklich?«

»Ja. Ich habe selbst erfahren müssen, wie es ist, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Das will ich meiner zarten Schwester nicht antun. Und meiner Nichte auch nicht. Du weißt selbst, dass sie sehr nach ihrer Mutter kommt.«

»Aber, was soll ich machen? Meine Fähigkeiten reichen nicht aus.«

»Ich weiß, dass du meinen Schwager nicht heilen kannst. Aber der Elf, der es kann, den wirst du zu ihnen bringen. So schnell, wie es nur geht.«

»Sagtest du eben, ich soll mit einem Elfen reisen? Alleine?«

»Das sagte ich. Ich habe einen Elfen gefunden, der heilende Kräfte besitzt und ihn gekauft.«

Robyn spürte, wie ihr gleichzeitig heiß und kalt wurde. Ihr Großvater hatte einen Fehler begangen, sie musste es ihm sagen.

»Aber, Minherr. Der Sklavenhandel ist in Dranka verboten.«

»Das weiß ich. Und ich weiß auch, dass ich das Gesetz in Dranka unterzeichnet habe, dass dies besagt. Aber ich kenne auch die Schatten, die nach deinem Herzen greifen, wenn der Tod einen geliebten Menschen ereilt.«

Er drehte sich zu Robyn herum und funkelte sie mit seinen eisblauen Augen an.

Ein Schauer jagte über ihren Körper, als sie seinen Ausdruck sah. Er wusste, was er von ihr wollte. Und sie wusste, dass sie es ihm geben musste.

»Ich werde ihn so schnell es geht, nach Helis bringen.«

»Sehr gut. Ich wusste, ich kann auf dich zählen. Ich habe dir eine Reiseausrüstung zusammenstellen lassen und zwei frische Pferde warten auf euch im Stall. Der Stallmeister weiß Bescheid und wird euch beide gehen lassen. Eine Karte brauchst du nicht, oder?«

»Nein, Ellervater. Ich kenne den Weg.«

»Gut. Dann macht euch auf den Weg.«

»Weiß der Elf, wo ich ihn hinbringe?«

»Er weiß es. Und er ist gewillt zu helfen.«

»Was mache ich danach mit dem Elfen?«

Das harte Gesicht von Ser Eland wurde wieder weicher und Robyn erkannte ihren Großvater wieder.

»Du lässt ihn frei, sobald er seine Aufgabe erledigt hat und du dich davon überzeugen konntest, dass es König Rej wieder bessergeht. Danach kehrst du wieder zu mir zurück. Dein Vater muss davon ja nichts wissen.«

»Sehr wohl, Ellervater.«

Innerlich atmete sie erleichtert aus. Wenn sie den Elfen freilassen würde, würde ihrem Großvater nichts geschehen. Jeder konnte in Frieden weiterleben. Das klang gar nicht so schlecht.

»Du bist ein gutes Kind, Robyn.«

Er lehnte sich vor und strich mit seiner Hand zärtlich ihre wilden roten Locken aus ihrem Gesicht. Anschließend spürte sie seine warmen Lippen auf ihrer Stirn und lächelte.

Das Wasser tropfte von den Wänden der Höhle und sammelte sich in Pfützen auf dem Boden. Die Moose und Flechten krochen über das moderige Holz der Kisten, die er hier versteckte, und über die Steine, die auf dem Boden lagen. Er stand im Schatten und wartete darauf, dass der nächste Bluttropfen aus seiner Beute heraustropfte. Bald schon würde die Zeit kommen, in der er dieses neue Geschenk in der Welt platzieren würde und die Menschen es in Empfang nehmen würden. Langsam stieß er sich von der Felswand ab und ging auf seine Beute zu, dabei zog er seinen Dolch aus seinem Gürtel heraus. Lange blieb sein Blick auf der blanken Haut seiner Beute ruhen, ehe er hervortrat und den Dolch für den ersten Schnitt ansetzte. Die Klinge glitt mühelos in die Haut hinein und geschickt konnte es seine Bahnen ziehen.

Sie hatten im Wald eine kleine Lichtung gefunden. Nach einer kurzen Kontrolle ihrer täglichen Essensrationen, entschlossen sie sich dazu, eine Pause einzulegen. Lyria war zwar nicht begeistert, doch als Fugl ihr anbot sich umzuhören, stimmte sie diesen Entschluss zu. Deswegen saß sie im Gras, an einem Baumstamm angelehnt und beobachtete ihren Freund aus zusammengekniffenen Augen.

Seit einiger Zeit, saß er mitten in der Lichtung, hielt die Augen geschlossen und hörte auf die Stimmen der Vögel. Im Augenblick hatte sie nicht einmal einen Blick dafür übrig, dass er seinen Mantel ausgezogen hatte und die Sonne mit ihren Sonnenstrahlen seine Haut erwärmte. Ihr hing die Zeit im Nacken, wie ein Schwert, dass an einem dünnen Faden über ihrem Kopf hing, unter dem eine Kerze stand. Sie wusste, dass ihre Mission scheitern würde, je länger sie dafür brauchten. Doch aus Tagen waren bereits Wochen und aus denen Monate geworden. Dieses verfluchte Festland war einfach zu groß, um einen einzigen Elfen zu finden, der nie an einem Ort blieb. Ihre Ungeduld wuchs und Fugl musste das unglücklicherweise ertragen.

»Hörst du jetzt etwas, Fugl?«

Sie konnte sehen, wie er für einen kurzen Augenblick seine Augenbrauen zusammenzog und biss sich auf ihre Unterlippe. Lyria wusste, dass es sehr lange dauerte, bis Fugl verärgert war. Dass sie es so schnell geschafft hatte, ließ die Schuldgefühle in ihr aufsteigen.

»Nein. Und ich werde auch nichts hören, wenn du mir nur einen kleinen Augenblick gibst, bevor du mich erneut fragst.«

Sie schwieg und versuchte sich zu bessern. Er konnte nichts dafür, dass ihre Suche erfolglos war und er konnte nichts für den Druck, den sie sich selbst machte. Er war freiwillig hier, genauso wie ihr Bruder. Dies war ihre Aufgabe, ihre Mission. Dieser verfluchte Elf war ihre Verantwortung.

In ihrer Nähe bewegte sich ein dunkler Schatten.

»Lyria, du solltest dich in Geduld üben. So, wie ich.«

»Geduld? Das ich nicht lache! Du interessierst dich nicht für andere Elfen. Das ist keine Geduld, die du hast, Listus.«

Ihr Bruder öffnete eines seiner Augen und lächelte sie an.

»Und dennoch bin ich hier und sehe meiner Schwester dabei zu, wie sie sich zu einem trotzigen Kleinkind entwickelt. Und dennoch bringe ich dich nicht um. Das nennt sich Geduld, meine Liebe.«

Lyria verdrehte ihre Augen und ließ ihn reden. Sie hatten Wichtigeres zu tun, als sich gegenseitig zu zerreißen.

Fugl stand auf und streckte sich. Lyria löste ihren Blick von dem kleinen Feuer und sah ihn auffordernd an, doch er schüttelte nur mit seinem Kopf.

»Er muss irgendwo sein, wo ihn kein Vogel finden kann. Sonst hätten sie mir bereits einen Hinweis gegeben.«

»Ich danke dir, Fugl.«

Er setzte sich neben sie hin und nahm das Stück Brot entgegen, das sie ihm reichte.

»Ich werde es noch einmal versuchen, wenn die Nacht angebrochen ist. Irgendwann wird er sein Versteck verlassen müssen. Und dann wissen wir, wohin wir gehen müssen.«

Listus lag ausgestreckt im kühlen Gras, seine Arme hatte er hinter seinem Kopf verschränkt und er beobachtete mit seinen rot schimmernden Augen den Himmel.

»Versteck. So ein Unsinn. Du kennst doch diese verdammten Menschen. Sie geben uns die Schuld an allem. Ein Kind stirbt, ein Elf war das. Das Vieh trinkt nicht, ein Elf hat ihm das in seine Ohren geflüstert. Ein Mehlsack reist ein. Das war bestimmt der Elf, der vor vier Jahren hier vorbeigelaufen ist. Du weißt schon, dort auf der Straße. Die, die eine halbe Tagesreise von der Mühle entfernt ist.

Es sind immer die Elfen. Ich bin mir sicher, dass er sich nicht versteckt, sondern dass er versteckt wird.«

Zwar peitschten die Worte von Listus gegen ihre Nerven, doch Lyria wusste, wie ihr Bruder fühlte. Er fürchtete sich davor, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Wer konnte es ihm verübeln? Keiner von ihnen, hatte in den letzten dreihundertdreißig Jahren aufgehört sich für ihn verantwortlich zu fühlen.

Tamris war in Gefahr. Und sie mussten ihn retten.

Während sie durch den Gang gingen, wurde eine Tür von einer Wache geöffnet. Das Sonnenlicht brach in den Gang hinein und beleuchtete die Gemälde auf der anderen Seite. Als sie das Zimmer betraten, hielt sich Robyn schützend die Hand vor ihre Augen. Nachdem sie ein paar Mal geblinzelt hatte, konnte sie wieder etwas erkennen und sah sich in dem Gästezimmer ihres Großvaters um. Erstaunt darüber, dass der Elf nicht in Ketten lag, warf sie ihrem Großvater einen flüchtigen Blick zu.

»Du kennst mich, Robyn. Ich hätte diesen Elfen niemals von einem Sklavenhändler gekauft, wenn es nicht wichtig gewesen wäre. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir uns barbarisch aufführen müssen.«

Als sie jetzt mit dem Elf in einem Raum stand, zuckten die Erinnerungen an die Geschichten, die sie über Elfen gehört hatte, durch ihren Geist. Sie wollte ihrem Großvater so viel sagen, ihre Bedenken mitteilen und ihn warnen. Doch stattdessen, lächelte sie ihren Großvater an und nickte ihm zu.

»Ich verstehe dich.«

Sie gingen durch das schlicht eingerichtete Zimmer, bis sie hinter dem Elf stehenblieben. Der Elf hielt es nicht für nötig sich zu ihnen herumzudrehen. Er stand vor dem Fenster und betrachtete schweigend die Landschaft. Robyn nutzte diese Gelegenheit, um ihn eingehend zu mustern. Noch nie stand sie einem Elfen so dicht gegenüber. Zuerst fiel ihr auf, dass er bereits einfache Reisekleidung trug. Zwar konnte er sich mit dem Braun seiner Kleidung im Wald verstecken, doch genauso konnte er sich unter den einfachen Menschen nahezu unsichtbar machen. Genauso, wie sie es konnte, wenn sie es nur wollte.

Als nächstes bemerkte sie seine langen braunen Haare. Sie umschlossen seinen Rücken, wie ein kurzer Mantel, verwundert betrachtete Robyn sie genauer. Oft hatte sie von den edlen und kunstvollen Haaren der Elfen gehört. Und auch, wenn die Elfen einen schlechten Ruf hatten und viele Menschen Angst vor ihnen hatten, so eiferten die edlen Damen den Frisuren der Elfen nach. Doch dieser hier hatte seine Hand nicht an seine Haare gelegt.

Ser Eland räusperte sich und riss damit Robyn und den Elfen in die Gegenwart zurück.

»Elf?«

Der Elf drehte sich zu ihnen herum und Robyn stockte der Atem. Seine Augen leuchteten, wie das frische, saftige Grün des Frühlings. Fast schon konnte sie den Geruch der jungen Triebe auf ihrer Zunge schmecken.

»Ich danke Ihnen, dass Sie mir bei dieser Angelegenheit helfen, Elf.«

Er schien ihren Großvater zu ignorieren, denn seine Augen hingen an Robyn. Sie glaubte schon fast, dass er Menschen gegenüber stumm sein würde, doch dann sprach er.

»Ser Eland, sind wir doch einfach ehrlich zueinander. Ich hatte keine andere Wahl. Im Augenblick gehöre ich Ihnen.«

Robyn hörte die harten Worte, die dieser Elf sprach, doch die Melodie seiner Stimme, nahm sie gefangen. Sie konnte nicht verärgert sein. Nachdem er sie weiter beobachtet hatte, löste er seinen Blick und wandte sich vollends ihrem Großvater zu.

»Gut, Sie haben meiner Begleitung alles anvertraut. Das spricht für Sie, Ser Eland.«

»Sicher. Denken Sie wirklich, dass ich nicht zu meinem Wort stehe? Ich erzählte Ihnen bereits, was ich von diesen ganzen Geschichten halte. Ich möchte einfach nur, dass der Mann meiner Schwester lebt.«

Sie konnte sehen, wie es in den Augen des Elfen aufblitzte.

»Das Volk und die Familie, sind wichtiger denn je. Vor allem, wenn das eigene Volk von skrupellosen Mördern abgeschlachtet oder versklavt wird. Ich verstehe Sie, Ser Eland. Es ist wichtig, dass die, die wir lieben, leben.«

»So ist es.«

Robyn zog ihre Augenbraue hoch und musterte ihren Großvater. Sie wusste nicht, ob er diesen dezenten Hinweis nicht verstand, oder schlicht ignorierte. Zumindest reagierte er nicht darauf.

»Nun, Sie vertrauen meine Sicherheit, also einer Frau an?«

»Robyn ist sehr gut ausgebildet und sie wird Sie heil nach Helis eskortieren können.«

Der Elf lachte kurz auf und verlagerte sein Gewicht.

»Und Sie haben keine Bedenken, dass diese Frau genauso behandelt wird, wie jede andere Frau in diesem Land auch?«

»Nein, an Robyn wird niemand seine Hand legen.«

»So? Dann fühle ich mich gleich viel sicherer. Können wir dann gehen? Je schneller der andere König wieder zu Kräften kommt, desto eher bekomme ich meine Freiheit zurück.«

»So ist es.«

»Dann sollten wir aufbrechen.«

Der Elf schritt mit sicherem Gang an Robyn vorbei und sie musste schmerzlich feststellen, wie unbedeutend sie neben ihm wirkte. Seine ganze Art sich zu bewegen, war schwungvoll und voller Energie. Sein Blick war wach und auch, wenn er abwesend schien, wusste sie jetzt bereits, dass er alles um sich herum wahrnahm. Dieser Mann war einst ein Krieger gewesen. Und das war nicht das Einzige, was sie feststellte. Nicht nur, dass sie ihm nur bis zu seiner Schulter reichte und somit als Hilfe eher mickrig wirkte, nein, auch was ihre Ausbildung anging, hatte ihr Großvater gelogen. Natürlich hatte ihr Vater ihr eine Ausbildung beschert. Doch damals war sie das Waisenkind, dass in die Obhut eines Mannes kam. Als Mündel des Thronfolgers, bekam sie nur einen Einblick in das, was die anderen Töchter bereits seit Jahren lernten. Robyn wusste zwar, wie sie ein Stoffstück besticken konnte und wie man kochte, doch selten hatte sie einen Dolch geführt, geschweige denn ein Schwert. Wie stellte sich ihr Großvater nur vor, wie sie diesen Elfen beschützen sollte? Die Menschen hassten die Elfen.

Robyn konnte schon gar nicht mehr zählen, wie oft sie gehört hatte, dass erneut ein Elf einen Menschen umgebracht hatte und mit diesen merkwürdigen Symbolen versehen hatte. Sie war keine Hilfe für ihren Großvater. Und für diesen Krieger erst recht nicht.

Bevor sie den Stall betraten, hielt Robyn ihren Großvater an seinem Arm fest.

»Ellervater? Auf ein Wort?«

»Natürlich Robyn.«

Der Elf blieb stehen, während sie ihren Großvater zurück zur Burg führte.

»Hast du dir das auch gut überlegt?«

»Das habe ich.«

»Und wie soll ich das machen?«

»Du schaffst das schon.«

»Ich würde gerne wissen, welche Kräfte und Talente ich in deinen Augen besitze.«

»Robyn, ich verstehe deine Bedenken. Als mein Sohn dich vor zwei Jahren als seine Tochter anerkannt hat, hast du nicht nur eine Familie bekommen, sondern auch einen Status. Und der ist in unserem Land mehr wert, als das Führen eines Schwertes.«

Robyn zog ihre Augenbraue hoch und schüttelte leicht mit ihrem Kopf.

»Ich liebe dich, Ellervater…«

»Das weiß ich.«

»Aber du bist verrückt.«

»Das weiß ich auch. Deswegen habe ich ja abgedankt.«

»Du hast nur abgedankt, weil du musstest. Du weißt, dass du nicht länger regieren durftest.«

»Ja, ja. Schon gut. Und nun geh, schwinge dich auf das Pferd und reite als die Tochter deines Vaters und rette das Leben von König Rej.«

Sie schluckte ihren Widerwillen herunter und nickte tapfer. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass diese ganze Aufgabe zum Scheitern verurteilt war.

Robyn drehte sich herum und traf für einen kurzen Moment die Augen des Elfen. Er stand neben den Pferden und sah sie mit einem merkwürdigen Blick an. Robyn wandte ihr Gesicht ab und spürte, wie ein Teil ihrer Locken über ihre Schulter rutschte und ihm so den Blick auf ihre Augen verdeckte. Schweigend stellte sie sich neben das Pferd und wollte gerade aufsteigen, als sie neben sich etwas bemerkte. Irritiert drehte sie sich herum und sah, wie der Elf neben ihr mit einem Bein auf dem Boden kniete.

»Wenn Sie gestatten, Minherrin.«

»Danke, aber das müsst Ihr nicht tun.«

»Sie sind eine Dame und einer solchen bietet man seine Hilfe an. Dies brachten mir meine Eltern bei.«

Robyn hob schweigend ihren Fuß und legte ihn vorsichtig in die Mulde, die seine Handflächen bildeten. Ihr Herz raste und sie erwartete das Schlimmste. Etwa, dass er ihren Fuß herumdrehen würde und sie als Geisel nehmen würde, oder dass er sie einfach über das Pferd in den Dreck werfen würde.

Doch nichts von dem geschah.

Sanft half er ihr hoch, sodass sie leicht in den Sattel glitt. Während der Elf zu seinem Pferd hinüberging und schwungvoll in seinen eigenen Sattel stieg, stellte sich ihr Großvater neben sie hin.

»Und Robyn? Bitte sei achtsam mit dem Pferd. Hetze es nicht zu sehr.«

Gedankenverloren strich sie mit ihrer Hand über die Mähne des Tieres und nickte.

»Du wirst ihn an einem Stück zurückbekommen.«

Erleichtert atmete ihr Großvater aus und streichelte das Tier.

»Ich danke dir.«

Sie drückte mit ihren Schenkeln gegen die Flanken des Pferdes und spürte, wie sich dieses mächtige Tier unter ihr in Bewegung setzte. Der Wind wehte ihr entgegen und zerstreute ihre Bedenken. Sie würden irgendwie in Helis ankommen. Zumindest hoffte sie das.

Unruhig zog er seinen Schleifstein über die Klinge seines Schwertes, während er vor sich in die Luft starrte.

»Entweder zerbricht dein Schwert bei deinem nächsten Schlag, oder du zerteilst deinen Angreifer, ohne, dass er dies spürt.«

»Wieso lasst ihr mich nicht gehen, Mutter?«

»Du kennst den Grund, Lorenonn. Tamris hat sich alleine auf diesen Weg gemacht. Das Festland ist nicht mehr sicher, wie es früher war. Niemanden interessiert es, wer du bist. Im Gegenteil, als Prinz der Sonnlunds, bringst du ein gutes Geld ein. Wir wollen nicht noch einen Sohn verlieren.«

Unruhig stand Lorenonn auf. Dabei schob er sein Schwert zurück in seine Scheide.

»Tamris ist mein Bruder! Ich muss ihm helfen.«

»Ich weiß, dass dir dein Bruder viel bedeutet.«

»Was ist, wenn den anderen etwas geschieht? Wir waren noch nie getrennt auf dem Festland.«

»Beruhige dich, Lorenonn. Manchmal muss man auf seinem Thron warten, während die Krieger eine kleine Schlacht gewinnen.«

»Wenn sie gewinnen, Mutter. Wenn.«

Die Elfenkönigin trat noch näher auf ihren Sohn zu und zog ihn in ihre Arme.

»Mein lieber Junge, ich vermisse ihn auch. Und auch ich habe jeden Tag Angst davor, dass ihm etwas geschieht. Aber du kennst Tamris. Er kann sich verteidigen, wenn er dies wünscht.«

»Richtig, ich kenne Tamris. Ich weiß, wie schnell er in Schwierigkeiten steckt.«

Sie hatten einen halben Tagesritt hinter sich. In dieser Zeit, ritten sie schweigend nebeneinander her, als Robyn seine Blicke zu viel wurden.

»Warum sagen Sie nicht einfach, was Sie denken?«

»Weil es mir nicht zusteht zu sprechen, wenn ich nicht gefragt werde.«

»Auf einmal sind Sie so unterwürfig? Bei meinem Großvater konnten Sie doch auch frei sprechen.«

»Ihr Großvater ist im Augenblick mein Besitzer. Er wünschte sich, dass ich frei mit ihm spreche.«

Robyn warf ihm einen kurzen Blick zu und schüttelte leicht mit ihrem Kopf. Zwar konnte sie den fragenden Blick des Elfen sehen, doch sie ignorierte ihn. Sie vermutete, dass die nächsten Tage sehr ruhig werden würden.

Ihr Weg führte sie an dem Dorf vorbei, zu dem die Burg von ihrem Großvater gehört. Hier kannte sie die Wege, die sonst niemand nutzte. Sie ritten schweigend durch den Wald, während der Elf sie von hinten mit seinen Augen durchbohrte. Robyn atmete tief ein und blieb stehen. Die Hufe des anderen Pferdes schwiegen ebenfalls und Robyn drehte sich zu ihm herum.

»Was ist?«

Unschuldig zog er seine Augenbrauen hoch.

»Ich habe nichts gesagt.«

»Aber Sie. Sie.«

Robyn schluckte ihren Ärger hinunter. Noch gut hatte sie die Moralpredigt von ihrem Lehrmeister in ihren Ohren. Sie durfte einem Mann gegenüber nicht ihre Stimme erheben.

»Was wollten Sie sagen?«

Robyn schüttelte mit ihrem Kopf und drehte sich wieder herum.

»Nichts, verzeihen Sie mir bitte.«

Sie trieb ihr Pferd an, um in einem schnelleren Tempo weiterzureiten, dabei bemerkte sie die finsteren Wolken, die am Himmel hingen. Leicht holte der Elf zu ihr auf und ritt neben ihr her. Knapp nickte sie zu einem der Hügel, die vor ihnen lagen.

»Hinter dem Kamm von diesem Hügel befindet sich ein Wirtshaus. Wenn wir uns beeilen, erreichen wir es noch, bevor der Regen beginnt.«

Als die Sonne unterging, erreichten sie das Wirtshaus.

Bevor sie jedoch auf die freie Fläche ritten, blieb Robyn stehen. Der Elf hielt sein Pferd neben ihrem an und wartete auf sie, doch als sie keine Anstalten machte, weiterzureiten, fragte er nach.

»Geht es Ihnen gut?«

»Ich dachte, Sie sprechen nicht.«

Der Blick des Elfen richtete sich auf den Mähnenkamm des Pferdes und seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Robyn beobachtete heimlich das Spiel seiner Gesichtszüge. Als sie erkannte, dass er mit ihrem Tadel zu kämpfen hatte, entschuldigte sie sich bei ihm.

»Verzeiht mir, ich wollte Sie nicht verärgern.«

»Sie haben mich nicht verärgert. Ich muss mich nur an meine neue Stellung gewöhnen, Minherrin.«

Robyn schwieg und beobachtete ihn. Als ihm die Stille zu schwer wurde, hob er wieder seinen Kopf, dieses Mal sah er ihr direkt in die Augen.

»Wir sollten unsere Pferde in den Stall bringen und uns ein Zimmer im Wirtshaus besorgen.«

»Ein Zimmer?«

»Ja, ein Zimmer für Sie. Ich werde bei den Pferden bleiben.«

»Und mich morgen früh mit einem Blutbad begrüßen? Sie wissen nicht, was für Menschen in diesem Wirtshaus sind. Und ich weiß das ebenfalls nicht.«

»Ihr Ellervater sagte doch, dass niemand es wagen wird, Sie zu berühren.«

»Mich nicht. Aber ich werde meine Hand nicht dafür in das Feuer legen, dass auch Sie in Sicherheit sind.«

»Ich weiß, was Ihr Ellervater zu Ihnen gesagt hat.«

Ihr erstaunter Blick ließ ihn leicht lächeln.

»Ich bin ein Elf, ich habe gute Ohren.«

Das hatte sie vergessen.

»Wir können uns einen Lagerplatz im Wald suchen, jedoch würde ich das nicht begrüßen. Schließlich bin ich in Begleitung einer jungen Dame. Wir können auch das Wirtshaus ausprobieren.«

»Aber nur, wenn Ihr Zimmer neben meinem Zimmer liegt.«

Er sah ihr fest in die Augen und nickte ihr zu.

Mit klopfendem Herzen ritten sie zum Stall hinüber und stiegen davor ab. Der Stallknecht trat heraus und nahm ihr die Zügel ihres Pferdes ab. Anschließend sah er den Elfen an und sein Gesicht verzog sich angewidert.

»Er gehört zu mir.«

Schweigend betrachtete der Stallknecht ihr Gesicht und ihre feine Kleidung, schließlich nickte er.

»Sehr wohl, Minherrin.«

Er führte beide Pferde in den Stall und Robyn sah noch zu, wie er sie absattelte, sie putzte und fütterte. Wissend, dass die Pferde gut versorgt waren, drehte sie sich herum und betrachtete das Wirtshaus. Das Reisigdach war alt und Robyn bezweifelte, dass es dem nächsten Regenschauer trotzen konnte. Dennoch machten die Wände aus gekalktem Lehm einen stabilen Eindruck.

Schnell hatte sie gesehen, dass keine Balkone und keine Umrandungen an der Hauswand angebracht waren, das bedeutete, dass der Flur in diesem Gebäude im Inneren lag.

»Möchten Sie sich eine andere Unterkunft suchen?«

»Die nächste Unterkunft ist zwei Tagesritte entfernt. Wir müssen hier einkehren.«

Innerlich straffte sie sich, als sie mit schnellen Schritten zur Tür eilte. Die ersten Regentropfen trafen bereits ihren Mantel, als sie die Tür öffnete. Sie konnte die Blicke der anderen Gäste sehen, als sie eintrat. Als sich jedoch die ersten wieder abwendeten, ohne ein Wort zu sagen, drehte sie sich ebenfalls wieder herum. Der Elf stand noch vor der Tür und beobachtete etwas in den Bäumen. Robyn stellte sich neben ihn und sah in dieselbe Richtung.

»Was seht Ihr?«

»Einen Vogel.«

»Und was für einen?«

Kurz warf er ihr einen amüsierten Blick zu, ehe er sich wieder dem Tier zuwandte.

»Ein Sperlingskauz sitzt dort im Baum und beobachtet uns.«

Robyn sah zu den Bäumen hinüber und versuchte durch den stärker werdenden Regen etwas zu erkennen.

Der Elf löste seinen Blick von dem Kauz und betrat mit ihr das Wirtshaus. Jetzt, da er neben ihr stand, traten die Reaktionen ein, die sie erwartet hatte. Einige der Männer funkelten ihn wütend an, während die wenigen Frauen, die bei ihren Männern saßen, zurückwichen. Selbst die Wirtin schickte ihre beiden Töchter in die Küche. Aufrecht bahnte sich Robyn einen Weg zu einem freien Tisch in einer Ecke und setzte sich hin.

Der Elf blieb neben ihr stehen, bis sie auf den anderen Stuhl zeigte.

»Ich soll mit Ihnen reisen, Sie sind nicht mein Sklave.«

Er setzte sich ihr gegenüber und lächelte sie an. Robyn wusste nicht wie, jedoch hatte das Grün in seinen Augen einen dunkleren Farbton angenommen. Sie redete sich ein, dass das an der schwachen Beleuchtung im Wirtshaus lag.

Bevor sie sich weiter unterhalten konnte, trat der Wirt an sie heran.

»Was kann ich Ihnen bringen, Minherrin?«

»Zwei Abendmahle.«

»Für Sie und den Elfen?«

»Das sagte ich.«

Der Wirt ging und kam kurz darauf mit zwei Schüsseln wieder. Die Tochter, die ihn begleitete, trug zwei Krüge und zwei Becher in ihren Händen. Sie stellten alles auf den Tisch und schenkten in die Becher ein. Robyns Augen erfassten das Abendmahl und ihre Stimmung schlug um. Während in ihrem Eintopf dicke, saftige Fleischstücke neben dem frischen Gemüse lagen, hatte der Wirt dem Elfen eine Schüssel mit grauem Schleim hingestellt.

Sie war sich sicher, dass sogar seine Schweine besseres Futter bekamen.

»Ich sagte zwei Abendmahle. Nicht ein Abendmahl und die Reste vom letzten Monat.«

»Minherrin, er ist doch nur ein dreckiger Elf.«

Robyn hob ihre Augenbraue hoch.

»Seit Jahren bereist meine Familie diesen Weg nach Helis, um die Schwester meines Großvaters zu besuchen.

Und jedes Mal, kehren wir hier ein. Ihr wisst, wer ich bin und dennoch wagen Sie es, meinen Begleiter so zu behandeln?«

»Minherrin, ich schwöre Ihnen, dass wir für Sie nur das Beste bringen werden.«

»Und wenn Sie nicht bereit sind, dies auch meinem Begleiter zuzugestehen, werde ich uns eine andere Unterkunft suchen. Auch für zukünftige Reisen.«

Sie konnte den Schweiß auf der Stirn des Wirtes sehen. Auf der einen Seite, wollte er seine königlichen Gäste nicht vergraulen. Auf der anderen Seite schien er den Elfen bereits mit seinen Augen umzubringen.

Robyn griff nach der Schüssel, die vor dem Elfen stand und reichte sie dem Wirt. Anschließend nahm sie seinen Krug und seinen Becher und stellte es vor die Tochter. Als der Elf sah, dass nur noch der Krug mit dem Wein auf dem Tisch stand, hob er seine Hände.

»Bitte, Wasser genügt mir vollkommen.«

»Das ist wahrscheinlich das Wasser aus dem Becken, in denen sie ihre Nachttöpfe reinigen. Ich verlange, dass Ihr dasselbe Essen erhaltet, wie ich. Wer mit mir reist, wird vernünftig behandelt.«

Den letzten Satz sagte sie, während sie dem Wirt fest in die Augen sah. Murrend nahm er das Geschirr und räumte es ab.

Während der Wirt durch die Gaststube ging, schob Robyn dem Elfen ihre Schüssel und ihren Becher hinüber. Verwirrt sah er hinunter und anschließend sie wieder an.

»Warum?«

»Weil der Wirt es nicht wagen würde, in mein Essen zu spucken. In Eures jedoch schon.«

Während sie miteinander sprachen, stand der Wirt bereits in der Mitte des Wirtshauses. Als er nun sah, wie Robyn dem Elfen ihre Schüssel entgegenschob, drehte er sich wieder maulend herum und holte aus der Küche erneut einen Teller.

Der Elf beobachtete ihn aufmerksam.

»Woher habt Ihr das gewusst?«

»Menschen sind alle gleich. Sie versuchen jeden, den sie nicht mögen zu quälen. Egal, ob es dafür einen Grund gibt, oder nicht.«

Als das frische Abendmahl vor ihr stand, lächelte sie den Wirt freundlich an.

»Ich werde meinem Großvater von Ihrer Güte erzählen.«

Der Wirt wischte sich mit einem Tuch den Schweiß ab und stammelte neben ihr herum.

»Minherrin, kann ich noch etwas für Sie tun? Ein Bett für die Nacht vielleicht?«

»Zwei Betten, Ihre besten. Und die Zimmer liegen nebeneinander.«

Die Augen des Wirtes schienen aus ihren Höhlen zu fallen, doch er fasste sich wieder.

»Sehr wohl.«

Er verließ sie und Robyn konnte sich endlich etwas entspannen. Als sie ihren Löffel in den reichhaltigen Eintopf tauchte, bemerkte sie, dass der Elf sich nicht rührte. Sie sah zu ihm hoch und lächelte ihn an.

»Sie können das ruhig essen. Ich habe es Ihnen hart erkämpft.«

Schweigend nahm er seinen Löffel in die Hand und begann langsam zu essen.

Der Kauz landete auf seinem Unterarm. Lyria beobachtete, wie Fugl tief in die Augen des Kauzes sah und wie sein Blick sich dabei trübte. Die Unterhaltung, die die beiden führten, sorgte dafür, dass sie die Luft anhielt. Wenn dieser Vogel freiwillig zu ihm kam, dann nur, weil er etwas wusste.

Der Kauz flog wieder davon und Fugls Blick schärfte sich wieder.

»Und? Was sagt er?«

»Die gute Nachricht ist, dass er ihn gefunden hat. Die schlechte ist jedoch, dass wir den ganzen Tag in die falsche Richtung geritten sind. Er ist nördlich von uns. Es heißt, dass er in Begleitung von einer jungen Frau sei.«

Lyria legte ihren Kopf in ihren Nacken und spürte den kühlen Regen auf ihrer Haut. Listus und Fugl taten es ihr gleich und gemeinsam genossen sie die Umarmung des Regens.

Sie hatten endlich wieder eine Spur.

Das Licht der Kerzen erhellte den Flur und die Tochter des Wirtes öffnete eine Tür.

»Hier soll der Elf übernachten, Euer Zimmer ist neben seinem. Genauso, wie Sie es gewünscht haben, Minherrin.«

Das Mädchen überließ den beiden jeweils eine Kerze, verabschiedete sich und ging wieder hinunter. Erst als sie ihre Schritte nicht mehr hörten, öffnete Robyn ihre Tür.

»Minherrin?«

Sie blieb stehen und sah dem Elfen offen in sein Gesicht.

»Ich wollte mich bei Ihnen noch bedanken. Für Ihre Hilfe in der Gaststube.«

Robyn lächelte ihn freundlich an.

»Wir beide kennen nur zu gut die ganzen Geschichten, ich weiß nicht, was davon stimmt und was nicht. Ich weiß aber, dass Ihr mich bisher nicht umgebracht habt, obwohl Ihr genug Möglichkeiten gehabt hättet. Wir sind unterwegs, damit Ihr einem Mann aus meiner Familie helfen könnt, einem König, der wichtig für die Führung seiner Familie und seines Landes ist. Ich kenne Euch nicht, Elf. Aber ich denke nicht, dass Ihr es verdient habt, so behandelt zu werden, wie die anderen es wollen. Ich werde nicht zulassen, dass Euch jemand bestraft, weil vielleicht einige Elfen Mörder sind. Auch wir Menschen haben unsere Fehler. Und unsere Mörder. Deswegen sind nicht alle schlecht.«

Der Elf verbeugte sich vor ihr. Robyn zuckte zusammen, als sie das sah. Damit hatte sie nicht gerechnet.

Als er wieder stand lächelte er sie an.

»Gute Nacht, Minherrin.«

»Schlaft gut, Elf.«

Tamris verschloss die Tür hinter sich und atmete tief ein. Seit Monaten war er bereits auf dem Festland unterwegs. Dabei hatte er andere Elfen getroffen, die hier geboren wurden.

Halbelfen berichteten ihm davon, dass der menschliche Teil ihrer Eltern sie verstießen oder gar versklavt hatten. Die Sklavenhändler hatten ihn wie Dreck behandelt. Er hatte schon viele Eindrücke aus dem heutigen Nyúmel gesammelt, doch diese Enkelin des einstigen Königs von Dranka, war das Merkwürdigste, das er hier entdeckt hatte.

Sie schien furchtlos zu sein und dennoch konnte sie sehr mütterlich werden. Während er zu dem Bett hinüberging, lächelte er.

Sein Bruder hätte ihm gesagt, dass das gute Eigenschaften für eine zukünftige Ehefrau wären.

Eine Ehefrau.

Das war das letzte, an das Tamris im Augenblick denken sollte.

Er blieb vor dem Bett stehen und sah in die Nacht hinaus. Sie schien ihn zu rufen und lockte ihn mit dem Versprechen, seine Sorgen und Gedanken in den Wind und den Regen zu ziehen. Langsam ging er um das Bett herum und zu dem offenen Fenster hinüber. Die kühle Luft wehte ihm entgegen und brachte dieses Mal den leisen Wunsch mit, dass er sich bald wieder um solche banalen Dinge, wie eine Ehefrau, Gedanken machen durfte.

Er wusste nicht, wie lange er an dem offenen Fenster stand, doch schließlich hörte er die Stimmen auf dem Flur.

»Mir doch egal, wer sie ist! Sie lässt sich auf einen verdammten Elfen ein. Ihr muss eine Lektion erteilt werden.«

»Aber erst ist der Elf dran. Ich will seinen Kopf an meiner Wand!«

Tamris Augen weiteten sich, als er ihre Situation erkannte. Lautlos kletterte er hinaus und setzte sich draußen auf den Balken des Fensters. Geschickt ließ er sich herunterhängen, bis seine Fußspitzen den Balken erreichten, der das obere Stockwerk, von dem unteren abtrennte. Er schob sich an der Hauswand entlang, bis er mit einem letzten Schwung den unteren Balken von ihrem Fenster erreicht hatte. Tamris zog sich hinauf in ihr Zimmer und fand sie schlafend im Bett.

Nur ihr Mantel lag auf der Bettdecke, sonst hatte sie nichts ausgezogen. Selbst ihre Stiefel lugten unterhalb der Decke hervor. Kurz schmunzelte er über diese verrückte Frau, ehe er sich zu ihr schlich und ihr blitzschnell seine Hand auf ihren Mund legte. Schlagartig öffnete sie ihre Augen und sah ihn an. Er legte den Zeigefinger an seine Lippen und deutete zu der Wand, die ihre Zimmer voneinander trennte. Noch hörte sie nichts, doch als der erste der Männer schimpfte, weil Tamris nicht in seinem Bett lag, weiteten sich ihre Augen. Leise stand sie auf, zog ihren Mantel an und ging zur Tür. Tamris trat ihr in den Weg und schüttelte mit seinem Kopf. Er führte sie zu dem Fenster und lächelte sie entschuldigend an. Wortlos legte er seine Arme hinter ihre Knie und hob sie hoch. Ihr Blick protestierte und sie funkelte ihn wütend an. Doch während er sie vorsichtig durch die Öffnung des Fensters schob, ging die Tür hinter ihnen krachend auf. Er wusste nicht, ob die Männer sie gesehen hatten. Ihm war es auch egal, er musste schnell weglaufen.

Wortlos hielt er sie auf seinen Armen und lief mit ihr durch den dunklen Wald. Er sprang über alte Baumstämme, wich erschrockenen Hasen aus und lief zielstrebig Richtung Süden.

Nach einiger Zeit sprach sie ihn an.

»Elf? Wo lauft Ihr hin?«

»Schlaft, Minherrin. Ich bringe uns nach Süden.«

»Müsst Ihr euch nicht ausruhen?«

Ein Lächeln verzog seine Lippen.

»Ihr kennt nicht viele Elfen, oder? Schlaft jetzt. Morgen sind wir außer Gefahr.«

Er wusste nicht, ob sie schlafen konnte, denn schließlich war sein Lauf durch den Wald voller Tiere und Pflanzen. Doch sie schwieg und lehnte sich an seiner Brust an. Sie schien sich auszuruhen und alleine das zählte. Er hingegen genoss es endlich wieder zwischen den Bäumen ein Wettrennen mit dem Wind zu führen.

2

Mordecay

Der röchelnde Atem ihres Mannes hallte durch sein Schlafgemach, sie hingegen saß schweigend auf einem Stuhl und starrte ihn mit ihren müden Augen an. Die letzten Stunden hatte sie damit verbracht neben seinem Bett zu sitzen und zu weinen. Königin Sommerly versuchte sich zwar vor ihrer Tochter und dem Hofstaat nichts anmerken zu lassen, dennoch wusste sie, dass sie schrecklich aussah.

Sie wurde in dem Glauben erzogen, dass ihr Ehemann immer für sie da sein und sie beschützen würde, doch jetzt sah es so aus, als ob sie bald alleine sein würde. Die Königin hatte Angst vor der Zukunft. Sie wusste nicht, ob sie diese Aufgabe, ein Königreich zu regieren, alleine meistern konnte.

Der Knoten in ihrer Brust schwoll erneut an, doch dieses Mal stand sie auf und verließ den Raum. Sie wollte nicht mehr weinen und sie wollte keine Angst mehr haben. Königin Sommerly spürte, dass etwas in ihr zerbrach, was sie nicht aufhalten konnte. Sie wusste nur eines, wenn es zerbrach, würde sie niemals wieder sie selbst sein.

Der Arkadengang, der einmal um die Etage des Palastes herumführte, eröffnete ihr den Blick auf die Kronen der Bäume, die im üppigen königlichen Garten standen.

Mit tauben Gliedern, überquerte sie den Gang, bis sie neben einer Säule stand und sich daran festhielt. Vorsichtig schob sie ihre Füße zum Rand des Bodens und sah hinunter. Zwei Etagen unter ihr, konnte sie das kurze Gras sehen, durch das der kleine künstliche Fluss in seinem Marmorbecken floss. Sie folgte mit ihren Augen seinem Lauf, bis er in dem großen, runden Brunnen endete, in dessen Mitte eine Statue aus weißem Marmor des ersten Königspaares von Helis stand.

Königin Sommerly schluckte schwer und schob ihre Zehen über den Rand. Ihr Herzschlag pulsierte in ihren Ohren, sodass sie mit ihren wirren Gedanken alleine war. Lediglich einen Gedanken, konnte sie fassen, sie wollte nicht zerbrechen und diese andere Person werden.

Eine starke Hand umschloss ihren Arm und zog sie unsanft zurück in den Arkadengang hinein. Sie strauchelte und wäre beinahe gestürzt, wenn sie nicht jemand aufgefangen hätte. Erschrocken riss sie ihre Augen auf, als sie sah, wer sie zurückgezogen hatte.

»Ihr?«

»Verzeiht mir, meine Königin. Aber ich habe Euch ein paar Mal angesprochen, Ihr habt jedoch nicht geantwortet. Ich war in Sorge.«

»Wagt es noch einmal, mich anzufassen und ich lasse Euch auf die Himmelsscheibe werfen!«

Während der Mann mit den dunklen Haaren und der dunklen Haut sich vor ihr verbeugte, entschuldigte er sich.

»Gewiss, meine Königin.«

»Und nun verschwindet, Xanar!«

»Gute Nacht, meine Königin.«

Er drehte sich herum und ging. Nur langsam beruhigte sich die Königin. Noch nie hatte sie daran gedacht, sich selbst das Leben zu nehmen, doch in dieser Nacht, war es knapp gewesen. Heute hatte sie nur durch die Hand des königlichen Meuchelmörders überlebt. Sie hatte Angst davor, welche dunklen Streiche ihr ihr Leben noch spielen würde. Ihr Ehemann musste wieder genesen, koste es, was es wolle.

So sanft, wie eine Feder doch auch so fest wie eine Käseschneide, umrundete das einzelne braune Haar ihre Finger. Schweigend stand Lyria in der dunklen Ecke der Wohnküche, des Wirtes und wartete darauf, dass Listus seine Antworten bekommen hatte.

»Gute Frau, glauben Sie wirklich, dass ich auf diese Geschichte hereinfalle? Ein edles Fräulein kam herein, in Begleitung eines Elfen. Beide wirkten sehr vertraut, was Ihre Gäste erzürnt hatte. Und dann soll dieser Elf auch noch Unzucht getrieben haben, als einige der männlichen Gäste ihn am Abend darauf ansprechen wollten?

Ja, kommt Ihnen denn gar nicht in den Sinn, dass wir diesen Elfen nicht suchen, weil er ein Elf ist, sondern weil wir ihn kennen? Nein? Sie sollten mir jetzt schnellstmöglich erzählen, wohin dieser unsittliche Elf und seine unsittliche Begleiterin verschwunden sind, bevor ich meiner Schwester gestatte ihr eigenes Glück mit Ihnen zu versuchen.

Und glauben Sie mir, ihre Mittel und Wege an ihre gewünschten Antworten zu kommen, sind nicht so langatmig, wie die meinen.«

Listus ließ seine Worte wirken, ehe er es zum letzten Mal versuchte, eine vernünftige und glaubwürdige Antwort zu bekommen.

»Möchten Sie mir nun etwas sagen?«

»Wenn ich es doch sage! Die Männer öffneten seine Tür, um ihm in sein Gewissen zu reden, doch er war nicht da. Als sie die Tür der Herrin öffneten, sahen sie, wie die beiden eng umschlungen aus dem Fenster sprangen! So glaubt mir doch, das ist die reine Wahrheit.«

Lyria sah, wie sich Listus Blick verfinsterte und schritt ein.

»Bruder.«

Er drehte sich zu ihr herum und schlug ihr offen seine Gefühle entgegen. Sie verstand ihn, auch sie war nicht begeistert, über diese Lügengeschichte. Mit dieser Geschichte, befleckten diese Menschen das Ansehen, ihrer Königsfamilie.

»Lass es mich versuchen.«

»Ich warte draußen.«

Lyria ließ ihn gehen. Erst, als er die Wohnküche verlassen hatte, setzte sich Lyria an das große Bett des Wirtes und lächelte ihn an.

»Gut, dann wollen wir doch einmal sehen, ob Sie mir die Wahrheit erzählen.«

»Wenn ich es doch sage, meine Frau würde Sie niemals anlügen!«

Erschöpft verließen Lyria und Fugl das Wirtshaus. Ohne hochzusehen, spürte sie die Anwesenheit von Listus bei dem kleinen alten Stall.

»Wir sollten uns sammeln und überlegen, wie wir jetzt fortfahren.«

Sie wurde kurz abgelenkt, als der Stallknecht sich an ihnen vorbeischlich und anschließend in das Wirtshaus rannte.

»Menschen. Wenn sie nicht so viel Angst hätten, würden wir schneller vorankommen. Und vielleicht, würden wir ihn dann endlich finden!«

Sie wollte bereits weitergehen, als Fugl sie in seine Arme zog. Lyria schob ihre Arme unter seinen Mantel und legte ihre Hände auf die warme Haut an seinem Rücken. Seine tiefen, ruhigen Atemzüge beruhigten ihr Gemüt und ließen sie für einen kurzen Augenblick ihre Sorgen verdrängen. Doch schnell schlichen sich die schlimmsten Gedanken wieder in ihren Geist.

»Wir müssen ihn finden, bevor noch etwas Schreckliches passiert.«

»Das weiß ich.«

Lyria wollte noch etwas sagen, als sie Listus Verwunderung spürte. Sie hielt inne und sortierte ihre Gefühle.

»Listus hat etwas Interessantes gefunden.«

Sie liefen in den Stall hinein und fanden ihn bei den Sätteln.

»Was hast du gefunden?«

»Dieser nette Knecht hat mir geholfen. Er hat mir die Pferde und ihr Zaumzeug gezeigt. Und jetzt seht euch diesen Sattel an.«

Lyria lehnte sich vor und untersuchte in dem schwachen Kerzenlicht den Sattel.

Schon bald entdeckte sie, was Listus meinte. Deutlich konnte sie jetzt das Wappen mit dem großen Adler und dem Bären erkennen.

»Wo gehört dieses Wappen hin? Verdammt! Wenn Lorenonn bei uns wäre, könnte er uns das sagen!«

Lyria war kurz davor, zu schreien. Alles in dieser Welt, schien sich gegen sie und ihr Leben verschworen zu haben.

»Das habe ich ihn auch gefragt, Schwesterchen. Er sagte, dass dies das Wappen des ehemaligen Königs von Dranka sei.«

Lyria legte den Sattel zurück und lächelte.

»Dann wollen wir Ser Eland doch mal einen Besuch abstatten.«

Langsam öffnete Robyn ihre Augen. Anfänglich hatte sie Schwierigkeiten, den braunen Stoff und diese schaukelnde Bewegung einzuordnen, doch dann erwachten ihre Sinne und somit auch ihre Erinnerungen. Der Elf trug sie noch immer auf seinen Armen durch den Wald.

»Du kannst mich herunterlassen.«

Er blieb stehen und ließ sie von seinen Armen herunter. Als Robyn sich bewegen wollte, spürte sie einen Druck zwischen ihren Schultern und erstarrte.

»Wartet.«

Er legte seine Handfläche auf diese Stelle und die andere Hand auf ihre Schulter.

»Vertraut mir, Ihr seid verspannt. Wenn wir die Verspannung nicht lösen, werdet Ihr noch länger Schmerzen verspüren.«

Vorsichtig zog er sie an ihrer Schulter zurück, gleichzeitig drückte er sanft gegen ihren Rücken. Nachdem sie einen kurzen, leichten Ruck in ihrem Körper gespürt hatte, verschwand der Schmerz wieder. Schließlich stand sie vor ihm und streckte sich.

»Wo hast du das gelernt?«

Sein freundliches Lächeln verschwand wieder und der für ihn typische unfreundliche, grüblerische Ausdruck legte sich wieder über seine Augen. Seine Antwort war kurz, bevor er von ihrer Frage ablenkte.

»Unterwegs. Wir müssen unseren Weg fortsetzen, wenn wir den König retten wollen.«

Lorenonn legte seine ganzen Sorgen in die nächsten Schläge, die er auf den Schild und gegen das Schwert von Ser Bealon prasseln ließ. Gekonnt konterte sein Freund, jedoch hörte Lorenonn schon bald, wie er schnaufte.

»Mein Freund?«

Lorenonn begann einen neuen Angriff und ignorierte seinen Einwand. Als er ihn schließlich mit seinem Titel ansprach, hielt er inne.

»Mein Prinz?«

»Was ist denn?«

»Lorenonn, mein Freund. Wir müssen uns unterhalten.«

»Warum?«

»Ich bekomme die volle Wucht deiner Sorgen mit, doch bekommst auch du deine Sorgen mit?«

»Wie meinst du das, Bealon?«

»Komm, machen wir eine Pause.«

Sie setzten sich in die Wiese. Während Bealon seine Wasserflasche zu sich zog und einen kräftigen Schluck trank, starrte Lorenonn finster zurück zum Palast.

»Willst du mir nicht endlich erzählen, was dein Vater von dir wollte?«

»Er ist alt. Und senil.«

»Und dennoch ist er auch dein König und dein Vater. Also, welchen Befehl hat er dir gegeben?«

Lorenonn lehnte seinen Kopf in einen Nacken und schloss seine Augen.