Die Deutschen Gebirgstruppen - Thomas Müller - E-Book

Die Deutschen Gebirgstruppen E-Book

Thomas Müller

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Beschreibung

Mit ihren vielfältigen Einsätzen in schwierigem Gelände und unter ungünstigen klimatischen Bedingungen sind die Gebirgsjäger sicherlich einer der faszinierendsten Truppenteile der Bundeswehr. Diese in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Armeemuseum und der Stiftung Deutsche Gebirgstruppe entstandene Enzyklopädie bietet nun erstmals einen detaillierten Einblick in die Entwicklung der Truppe von den Anfängen des Alpenkorps bis zu den aktuellen Einsätzen in Afghanistan. In kenntnisreichen Texten beschreibt der Militärexperte Dr. Thomas Müller dabei auch die Waffen und die weitere Ausrüstung der Einheit sowie ihre umfangreiche Ausbildung für den Ernstfall.

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Seitenzahl: 338

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Thomas Müller / Gerd M. Schulz

DIE DEUTSCHEN

GEBIRGSTRUPPEN

Geschichte • Ausrüstung • vom Alpenkorps bis Afghanistan

 

IMPRESSUM

Math. Lempertz GmbH

Brandenburgisches Verlagshaus

Hauptstr. 354

53639 Königswinter

Tel.: 02223 / 900036

Fax: 02223 / 900038

[email protected]

www.edition-lempertz.de

Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus zu vervielfältigen oder auf Datenträger aufzuzeichnen.

© Math. Lempertz GmbH

Bayerisches Armeemuseum, Stiftung Deutsche Gebirgstruppe

Autoren: Dr. Thomas Müller, Gerd M. Schulz

ISBN: 978-3-945152-85-0

Bildnachweis

Falls nicht anders verzeichnet:

Farbige Bundeswehr-Fotos: Privatbesitz der Autoren / Gebirgspionierbataillon 8, Ingolstadt

S/W-Bundeswehr-Fotos: Stiftung Deutsche Gebirgstruppe

Übrige S/W-Fotos: Bayerisches Armeemuseum, Ingolstadt

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort des Bayerischen Armeemuseums

Vorwort

DIE DEUTSCHEN GEBIRGSTRUPPEN

Die Aufstellung des Alpenkorps

Die Alpen als Kriegsschauplatz

Formierung des Alpenkorps in Lechfeld und Brixen

Die erste Kriegsgliederung

Das Edelweiß

Das Alpenkorps wird „erwachsen“

Grenzschutz in Tirol

Offensive in Serbien

Reims und Verdun – Stellungskrieg im Westen

Einsatz vor Verdun: Thiaumont, Fort Souville und Fleury

Vormarsch in Transsylvanien und Stellungskrieg an der Putna

Durchbruch durch die Transsylvanischen Alpen

Stellungskrieg an der Putna

Das „Wunder von Karfreit“ – die 12. Isonzo-Schlacht

Das letzte Jahr des Alpenkorps

Somme, Serbien und der Rückzug

Das Karpaten-Korps

UNIFORMIERUNG UND AUSRÜSTUNG DER GEBIRGSTRUPPEN IM ERSTEN WELTKRIEG

Feldmütze M1907

Einheitsfeldmütze M1917

Dienstmütze mit Schirm M1908

Feldmütze für Offiziere M1910

Feldmütze für Offiziere M1915/1916

Feldgraue Schirmmütze M1915/1916

Einheitsfeldmütze für Offiziere M1917

Mütze für Schneeschuhtruppen

Kampfabzeichen

Helm M1895 bzw. M1896

Helm M1871 für Offiziere (Preußen)

Helm M1871 für Offiziere (Württemberg)

Helm M1886 (Bayern)

Tschako

Stahlhelm M1916 und M1918

Waffenrock M1907

Waffenrock für Offiziere M1910

Bluse M1915

Waffenrock M1915

Schneeschuhlitewka M1914 und M1915

Württembergische Schneeschuhlitewka

Windjacke für Gebirgstruppen M1914

Schneetarnbekleidung

Gebirgsstiefelhose, Gamaschen

Berg- und Kletterschuhe

Rucksack

Schneeschuh, Schi, Schneeschutzbrille

Bergsteigerische Ausrüstung, Bergstock

Transportmittel

DIE GEBIRGSTRUPPE DER REICHSWEHR

Die Gebirgstruppe zwischen 1933 und 1939

DIE DEUTSCHEN GEBIRGSTRUPPEN IM 2. WELTKRIEG

Kriegsverbrechen

Die Gebirgsdivisionen des Heeres

Russland-Feldzug

Auf dem Balkan

GEBIRGSTRUPPEN DER DEUTSCHEN BUNDESWEHR

Einsätze

Die Traditionspflege der Gebirgstruppe

UNIFORMIERUNG UND AUSRÜSTUNG DER GEBIRGSTRUPPE DER DEUTSCHEN BUNDESWEHR

Stahlhelm M1955

Stahlhelm FJ60

Stahlhelm M1A1 und M1A1modifiziert

Gefechtshelm

Tarnmaterial zum Stahlhelm

Kletterhelm

Schirmmütze M1955/56

Schirmmütze M1962

Schirmmütze ab ca. 1970

Bergmütze

Panzerschutzmütze und Barett

Feldmütze

Krempenhut Tropen

Strickmütze

Dienstbluse M1955/56

Rock M1955/56

Schibluse M1957

Gebirgstruppenabzeichen

Laufbahnabzeichen

Schibluse M1962

Verbandsabzeichen

Rock M1957 und Trageweise ab 1962

Rock ab 1973

Gesellschaftsrock M1963

Gesellschaftsanzug M1973

Jacke für weibliche Sanitätsoffiziere

Jacke für Frauen M1992

Kragenspiegel

Heeresbergführerabzeichen

Dienstgradabzeichen

Hosen zum Dienstanzug

Kampfanzug Tarndruck M1955

Arbeitsanzug M1955

Kampfanzug jagdmeliert 1958

Feldjacke (Kampfjacke, Parka) 1960

Heeresbergführeranorak

Feldanzug Moleskin M1963

Feldanzug Tarndruck

Feldjacke, Kälteschutz, Nässeschutz

Schneetarnbekleidung

Stiefel

Berg- und Schischuhe

Gamaschen, Strümpfe

Handschuhe, Kälteschutz

Kampfmesser

Schutzbrille

Schi, Schneeschuhe

Geleitwort

Geleitwort des Bayerischen Armeemuseums

2014 jährt sich zum einhundertsten Male der Beginn des Ersten Weltkrieges. Ohne diese grauenhaften fünf Jahre hätte es in Deutschland keinen Sturz der deutschen Monarchien (1918), keine Hyperinflation (1923), keinen ersten – gescheiterten – Versuch einer freiheitlichen Demokratie (1919 bis 1933), kein Drittes Reich (1933 bis 1945) und Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945), keine Ost/West-Blockkonfrontation (1946 bis 1989/90) und kein bis zum 3. Oktober 1990 erneut geteiltes Deutschland gegeben. Und sehr wahrscheinlich auch keine deutschen Gebirgstruppen in der heutigen Form. Im Frühjahr 1915 schlug sich das Königreich Italien endgültig auf die Seite der Entente (Frankreich, Großbritannien, Russland) und erklärte seinem bisherigen Verbündeten Österreich-Ungarn – nicht aber dem Deutschen Reich! – den Krieg. Zu groß waren die verlockenden territorialen Angebote der gegnerischen Koalition. Die Italiener (zumindest diejenigen im Norden) sahen sich damit vor dem Abschluss der „risorgimento“, der „Wiedererstehung“ eines geeinten italienischen Nationalstaates samt den „unerlösten“ Gebieten des deutschsprachigen und deutschgeprägten, gleichwohl von Italien beanspruchten Südtirols. Das Deutsche Reich, das bis dahin einfach keinen Bedarf an speziellen, für den Krieg im Gebirge bzw. Hochgebirge ausgebildeten und ausgerüsteten Truppen hatte – schließlich war man nur von Freunden umgeben –, sah sich vor dem Hintergrund der neuen außenpolitischen Lage spätestens jetzt gezwungen, umgehend gebirgskriegtaugliche Formationen aufzustellen.

Dieses Buch versteht sich als ein weiterer in einer langen Reihe von Katalogen zu den Sammlungen des Bayerischen Armeemuseums. Es will dem Leser, umrahmt und eingebettet von der Ereignisgeschichte der deutschen Gebirgstruppen, zeigen, wie sich im Lauf von rund 100 Jahren das äußere Erscheinungsbild des Gebirgssoldaten gewandelt hat. Auf seine Bewaffnung wird aus Platzgründen nicht eingegangen, denn spezielle, gebirgsjägertypische Handfeuerwaffen gab und gibt es nicht – zumindest nur sehr bedingt. Das frühere Sturmgewehr G3 der Bundeswehr in der Version mit einschiebbarer Schulterstütze war zwar die typische „STAN-Waffe“ des Gebirgsjägers, aber eben nicht nur seine. Insofern wäre es eine angesichts des verlagstechnisch bedingt begrenzten Rahmens dieses Buches Platzverschwendung, zum wiederholten Male auf den Karabiner 98, das Maschinengewehr MG 42 (resp. MG1/MG3) oder die Pistole P38 (P1) usw. einzugehen. Wirklich interessant wäre zwar ein ausführlicher Blick auf die Gebirgsartillerie, denn hier gab es sehr wohl nur in der Gebirgstruppe anzutreffende Geschütze, aber auch hier gilt: Der Seitenumfang ist begrenzt. Abgesehen davon ist die Literaturlage zu diesem Aspekt der Gebirgstruppengeschichte recht befriedigend. Da zu den vier Kernaufgaben eines Museums auch das Präsentieren des jeweils im Fokus eines (Fach-)Museums stehenden Kulturgutes steht, vieles aber aus mancherlei Gründen nicht ausgestellt werden kann, übernimmt ein Katalog gewissermaßen diese Aufgabe und stellt den Menschen, die eine öffentliche Einrichtung wie ein Museum mit ihren Steuern finanzieren, auch Dinge vor, die sie ansonsten nie zu Gesicht bekommen würden (Museumsdepots sind aus konservatorischen und Sicherheitsgründen für die Allgemeinheit in der Regel nicht zugänglich).

Einen Schwerpunkt bildet die Bestellung von Konrad Krafft von Dellmensingen zum ersten „Führer des Deutschen Alpenkorps“. Während dem Interessierten eine große Auswahl an lesenswerter Literatur zu den Gebirgstruppen der Wehrmacht und Waffen-SS zur Verfügung steht – eine ausführliche Darstellung somit lediglich eine Wiederholung wäre –, ist die Historiographie „Gebirgstruppen im Ersten Weltkrieg“ recht dünn, zum Teil veraltet oder seit langer Zeit vergriffen. Die Umstände um die Aufstellung des „Deutschen Alpenkorps“, ferner die Art und Weise, wie Krafft v. Dellmensingen, salopp gesprochen, zu seinem „Job“ kam und wie es dann weiterging, sind außerhalb des überschaubaren Kreises der Fachhistoriker kaum bekannt und darüber hinaus in ihrem Verlauf keineswegs als ein folgerichtiger Automatismus zu sehen. Auch damals „menschelte“ es an allen Ecken und Enden, und manche Entscheidung – auch eine in der Sache richtige und logische wie eben die Bestellung Kraffts – war mehr ein Ausfluss persönlicher Animositäten und Befindlichkeiten als das Ergebnis strukturierter Prozesse.

„Gebirgstruppen“ genannte Formationen hatte die Reichswehr aufgrund des Verbots im Versailler Vertrag offiziell nicht. Selbstverständlich wurden ihre Soldaten aber im Gebirgs- und Winterkampf ausgebildet. Zudem führten einige Reichswehr-Verbände die Tradition von Gebirgsformationen der „Alten Armee“ weiter.

Die Autoren berühren aufgrund des selbstgestellten Rahmens Kriegsverbrechen, die von deutschen Gebirgssoldaten oder an deutschen Gebirgssoldaten begangen wurden, nur am Rande.

Die ehemalige Nationale Volksarmee (NVA) der 1990 untergegangenen DDR – die zweite deutsche Armee nach dem Zweiten Weltkrieg – hatte keine eigenen und als solche ausgewiesenen Gebirgsformationen. Gleichwohl wurden die „mot. Schützen“ (motorisierte Schützen) im Schifahren und Winterkampf ausgebildet. Ein Angriff des „Warschauer Paktes“ gegen die NATO wäre schließlich auch durch die deutschen Mittelgebirge vorgetragen worden.

Ich wünsche dem Buch eine möglichst breite Leserschaft, dem Leser viele neue Erkenntnisse und vor allem Spaß beim „Schmökern“ – und in der Folge „Appetit“ auf einen Ausflug nach Ingolstadt ins Bayerische Armeemuseum.

In diesem Sinne und gemäß dem Motto der alten Königlich Bayerischen Armee:

„In Treue fest!“

Vorwort

 

STIFTUNG DEUTSCHE GEBIRGSTRUPPEVOM ALPENKORPS ZUR BUNDESWEHR

Über fast 100 Jahre hinweg haben die Gebirgsjäger in ihren Stationierungsorten entlang des Alpenrandes das Bild des bayerischen Soldaten geprägt. Sie sind damit zu einem die Einwohner verbindenden Element und „Markenzeichen“ bayerischen Soldatentums geworden. Hunderttausende unserer Mitbürger oder deren Vorfahren haben bei ihren „Jagern“ gedient.

Mit der Aufstellung des Deutschen Alpenkorps im Mai 1915 holte das Deutsche Reich eine militärische Entwicklung nach, die die anderen Alpenländer schon Jahrzehnte vorher eingeleitet hatten, nämlich die Zusammenführung, Neuaufstellung und organisatorische Zusammenfassung von Spezialtruppen für den Kampf im Gebirge.

Sein Kern bestand aus bayerischen Truppen, unter anderem aus dem Königlich Bayerischen Infanterie Leibregiment, dessen III. Bataillon von dem mit dem Militär-Max-Joseph-Orden ausgezeichneten Major Heinrich Prinz von Bayern geführt wurde.

Unter ihrem Kommandeur, dem bayerischen Generalleutnant Konrad Krafft von Dellmensingen, erwarb sich dieser Großverband, der trotz der Bezeichnung „-korps“ eine verstärkte Division war, bereits bei seinem ersten Einsatz in den Dolomiten den Ruf einer Eliteformation.

Bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges rekrutierte sich die 1. Gebirgsdivision der Wehrmacht, der Stammdivision aller weiteren Gebirgsdivisionen, mit ihren am Alpenrand dislozierten Friedensstandorten vornehmlich aus bayerischen Soldaten, die aufgrund ihrer „zivilen“ Bergerfahrungen beste Voraussetzungen für die militärische Ausbildung zum Kampf im alpinen Gelände, im Hochgebirge und unter extremen klimatischen Bedingungen mitbrachten. Naturverbundenheit, Liebe zu den Bergen und zu ihrer bayerischen Heimat waren dabei die bestimmenden und den Geist dieser Truppe prägenden Wesenmerkmale.

Auf Weisung des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Strauss, stellte die Bundeswehr im Dezember 1956 die 1. Gebirgsdivision auf. Die Division knüpfte an die den Gebirgsjägern eigenen Merkmale hinsichtlich Geist und innerer Haltung an und entwickelte sich, auch aufgrund des Rekrutierungsraums ihrer Soldaten und ihrer Standorte, zur „Bayerischen“ Division der Bundeswehr. Seit Juni 2001 werden die Gebirgstruppenteile der Bundeswehr nach der Auflösung der 1. Gebirgsdivision im Zuge der Neuausrichtung der Bundeswehr durch die Bad Reichenhaller Gebirgsjägerbrigade 23 geführt.

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Mit Aufbau und Entwicklung der Gebirgstruppe in Bayern wird die bayerische Militärgeschichte vom 1. Weltkrieg bis auf den heutigen Tag fortgeschrieben.

So ist es nur schlüssig, dass das Bayerische Armeemuseum in Ingolstadt damit begonnen hat, eine „Abteilung Deutsche Gebirgstruppe“ aufzubauen, die die Geschichte und Tradition unserer Gebirgssoldaten unter besonderer Berücksichtigung ihres bayerischen Charakters und mit Schwerpunkt Bundeswehr darstellen wird.

Unterstützt wird das Bayerische Armeemuseum dabei durch die „Stiftung Deutsche Gebirgstruppe“, die dafür ihre über Jahrzehnte hinweg gesammelten Ausstellungsobjekte sowie Geldmittel einbringt und es deswegen auch besonders begrüßt, dass mit dem vorliegenden Buch eine wichtige Lücke hinsichtlich der Dokumentation der Ausrüstung unserer Gebirgstruppenteile geschlossen wird.

Winfried Dunkel

Generalmajor a.D. und Stiftungspräsident

Die deutschen Gebirgstruppen

Die deutschen Gebirgstruppen bis zum Frühjahr 1915

Bereits im Frieden fordern alpine Gebirgsregionen, unter gewissen Umständen aber auch schon Mittelgebirgslandschaften, bereits alles von Menschen, die sich nur von A nach B bewegen wollen. Erst recht gilt das im Krieg, wenn zu den natürlichen Belastungen und Schwierigkeiten wie der dünneren Luft, plötzlichen Wetterumschwüngen und dem von vornherein schon ungleich raueren Klima als in den Ebenen (zumal im Winter) zusätzlich noch Lawinen, Geröllabgänge, Temperaturstürze, Schneemassen, Gletscherspalten und Muren dazukommen. Weitere Probleme bereiteten den (Gebirgs-)Soldaten das damals noch ausgesprochen dünne Verkehrsnetz bis hin zur völligen Wegelosigkeit und natürlich die physischen und psychischen Belastungen sowie die taktischen, operativen und logistischen Zwänge einer Gefechtstätigkeit. Oberhalb der Vegetationsgrenze fehlen zudem – zumindest reduzieren sich – die Möglichkeiten zur Tarnung von Mensch und Material. Der Fels potenziert obendrein noch die Splitterwirkung einschlagender Artilleriegeschosse, und ein Eingraben ist hier nicht möglich! Nicht umsonst schieden die Alpen in Mitteleuropa als Kriegsschauplatz aus. Der erste, sozusagen „namentlich“ bekannte, im Gebirge durch Gewalteinwirkung (einen Pfeilschuss) ums Leben gekommene Mensch, der „Ötzi“ († ca. 3.200 v. Chr.), war jedoch kein Kriegsopfer. Schon wesentlich näher am Thema war die zumindest jedem Lateinschüler bekannte Alpenüberquerung des karthagischen Feldherren Hannibal Barkas (247 v. Chr. – 183 v. Chr.) im Jahre 218 v. Chr. im Rahmen des Zweiten Punischen Krieges (218 v. Chr. – 201 v. Chr.) – und zwar mitten im Winter! Mit anfänglich circa 50.000 Soldaten, 9.000 Reitern und 37 Kriegselefanten, allesamt völlig unerfahren darin, was „Gebirge“ eigentlich bedeutet, marschierte er über einen heute nicht mehr genau zu bestimmenden Pass nach Oberitalien ein. Dieses äußerst gewagte Unternehmen ist damit die erste allgemein bekannte Erwähnung einer, wenn man es recht weit fassen will, „Gebirgskriegführung“ in der Militärgeschichte. Der Karthager nutzte die Alpen aber nicht als Kriegsschauplatz bzw. Operationsgebiet, in dem eine Schlachtentscheidung fallen sollte, sondern im Sinne einer taktisch-operativen Überraschung „nur“ als Durchmarschgebiet, da er auf diesem Weg Rom aus einer völlig unerwarteten Richtung anzugreifen gedachte. Fazit: Die Hälfte seines Heeres sowie alle Elefanten gingen verloren. Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts beschränkte sich der Kampf im Gebirge dann auch nur auf die Verteidigung von respektive den Angriff auf strategisch wichtige(n) Täler(n) oder Passstraßen. Eines der bekannteren Beispiele ist der Überraschungs-Coup des kaiserlichen Feldherren Prinz Eugen von Savoyen (1663 – 1736), der zu Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges (1701 – 1714) mit 29.000 Mann auf Wegen, die er dazu erst anlegen lassen musste, unter Umgehung der französischen Stellungen durch Tirol über die Lessinischen Alpen nordwestlich des Gardasees zog und am 9. Juli 1701 im Raum Mincio – Etsch die Franzosen unter Marschall Catinat in der Schlacht bei Carpi besiegte.

 

Gebirgsjäger (hier der Wehrmacht)

 

Zu den psychischen Anforderungen des Kämpfens kommen im Hochgebirge noch die physischen hinzu!

 

Die körperlichen Herausforderungen für den einzelnen Gebirgssoldaten sind geblieben, vielleicht sogar noch gestiegen. Dieser Soldat trägt auf dem Rücken zusätzlich noch einen Panzerabwehrlenkflugkörper MILAN

Zwei Jahre später, ebenfalls im Zuge dieses Krieges, kam es in Tirol zu Ereignissen, die diejenigen des weit bekannteren Tiroler Volksaufstandes von 1809 unter Andreas Hofer in mancher Hinsicht vorwegnahmen. Im – reichlich verharmlosend benannten – „Boarischen [Bayerischen] Rummel“ wurde Tirol zum Kriegsschauplatz. Mit dem Kriegseintritt des Kurfürstentums Bayern unter Maximilian II. Emanuel (1662 – 1726) auf Seiten der Franzosen sahen sich die habsburgischen Truppen plötzlich in die Zange genommen. Kufstein, Rattenberg, Hall und Innsbruck fielen trotz des gut ausgebildeten Landesverteidigungssystems der Tiroler zunächst in die Hände der nach Süden vorstoßenden Bayern, die sich mit den in der Poebene dislozierten Franzosen vereinigen wollten. Dieser Zangenangriff schien das weitere Schicksal Tirols angesichts der hier nur schwachen österreichischen militärischen Kräfte zu besiegeln. Im Etsch- und Eisacktal sowie im oberen Inntal formierte sich allerdings der Widerstand der Bevölkerung gegen die Eindringlinge. In Bozen und Meran sammelte sich der Landsturm. Am 27. Juni rückten ca. 3.000 Landsturmmänner aus dem Vinschgau im oberen Etschtal gegen den Jaufenpass, den Übergang von Meran nach Sterzing, vor und vertrieben mit kleinkriegsartigen Überfällen und „hit-and-run“-Unternehmen die bayerischen Vorposten. Die Bayern wichen daraufhin bis auf den Brennerpass zurück und bezogen jenseits der Passanhöhe am Lueg neue Verteidigungsstellungen. Hier kam der Vormarsch der Tiroler Verteidiger dann auch fürs Erste zum Stehen, da die bayerischen Feldbefestigungen nicht sofort zu nehmen waren. Im Gegenzug begannen nun die Bayern mit wiederholten Angriffen, um ihren Vormarsch in Richtung Süden fortzusetzen. Diese konnten aber allesamt abgewehrt werden. Beim Vorstoß ins obere Inntal wurden allerdings 300 bayerische Soldaten am Reschenpass, dem Übergang vom Inntal in den Vinschgau – von den Oberinntaler Landstürmern in eine Falle gelockt – mittels Steinlawinen dezimiert, woraufhin sie bis Imst ausweichen mussten. Diese Kämpfe sowie die Nachricht, dass der Südtiroler Landsturm am Brenner stehe, ermutigten nun auch die Unterinntaler zum Aufstand gegen die Bayern. Dadurch wurden die Kräfte der Bayern an verschiedenen Schauplätzen gebunden, so dass ihre Angriffe gegen Süden und Westen an Stoßkraft verloren. Ein letzter Durchbruchsversuch der Bayern am Brenner misslang am 17. Juli 1703. Nach Verstärkung des Tiroler Landsturmes mit regulären österreichischen Truppen gelang es diesen, den Feind bis nach Innsbruck zurückzudrängen. Die Bayern zogen sich daraufhin aus Tirol zurück.1

 

Umgestürzter Bv 206 „Hägglund“ der Bundeswehr

Gut 100 Jahre zogen dann wieder ins Land, bis die Alpen wieder zum Kriegsschauplatz wurden – und dieses Mal auch wirklich zum „theatre of war“. Das von Napoleon und seinen Verbündeten im Dritten Koalitionskrieg (1805) geschlagene Österreich musste im Frieden von Pressburg (26. Dezember 1805) die gefürstete Grafschaft Tirol an das mit Napoleon verbündete Bayern abtreten. Dieses erhielt mit Wirkung vom 22. Januar 1806 die Besitzrechte über Tirol. Nur drei Wochen später, am 11. Februar, wurde das Land offiziell von französischen Offizieren dem bayerischen Hofkommissär übergeben. Übereifrige, gegenüber der Tiroler Volksseele, Mentalität und Tradition völlig verständnislose, von ihrer Mission der Modernisierung aber zutiefst überzeugte, seit dem 1. Januar 1806 nicht mehr kurfürstlich bayerische, sondern königlich bayerische Beamte machten sich denn auch umgehend an die Arbeit, das ihrer Meinung nach rückständige Land „auf Vordermann“ zu bringen. Ihr unsensibles, bisweilen rigides Vorgehen sowie eine Vervielfachung der Steuerlast brachten 1809 das Fass des Unmutes über die neuen Herren zum Überlaufen. Unter der Führung Andreas Hofers wurde das Land im Frühjahr 1809 von der bayerisch-französischen Besatzung zunächst befreit und bis zum Herbst verteidigt. Erst im November und Dezember 1809 konnten die alliierten Truppen Tirol erneut besetzen und ihre Herrschaft wieder festigen. Die Zeit der Kämpfe dazwischen war geprägt von Hinterhalten, Partisanenkrieg und religiösem Fanatismus. Hier aber von einem „Gebirgskrieg“ sui generis zu sprechen wäre falsch. Der Krieg – eher ein Volksaufstand – fand zwar in wesentlichen Teilen im Gebirge statt, weil Tirol nun einmal in den Alpen liegt, aber wesentliche Elemente eines „richtigen“ Krieges fehlten eben, unter anderem das Aufeinanderprallen regulärer Armeen oder die bewusste Miteinbeziehung des Raumes als Operationsgebiet im Rahmen einer Gesamtstrategie.

 

Im Allgemeinen mieden die Menschen jener Epoche das Hochgebirge. Es war lebensfeindlich, man konnte dort nichts anbauen und ernten, und die Waffentechnik war noch nicht soweit, um hier taktisch sinnvoll kämpfen zu können. Vorderladermusketen hatten um 1800 eine Kernschussweite von etwa 70 bis 80 Metern, oder anders ausgedrückt: Die Trefferwahrscheinlichkeit auf diese Entfernung lag bei ca. 75%! Feldgeschütze konnten nur sehr begrenzt eingesetzt werden, leichte, gar zerlegbare Gebirgsartillerie gab es nicht. Die bis weit ins 19. Jahrhundert übliche Kolonnentaktik der Napoleonischen Kriege ließ sich aufgrund dessen in einem solch ungünstigen Gelände einfach nicht umsetzen, schon gar nicht die Tercio- und Lineartaktik des 17. oder 18. Jahrhunderts. Eine Gebirgskriegführung scheiterte aber bereits an der Unmöglichkeit, eine solche logistisch zu organisieren und zu unterstützen. Alles in allem hatten die Menschen jener Zeit einfach kein Interesse am (Hoch-)Gebirge. Warum auch? Andererseits kamen die Armeen früherer Jahrhunderte auch ohne eigene Gebirgstruppen ganz gut zurecht, und aus den genannten Gründen wurden Gebirgsregionen ohnehin, wo und wann immer möglich, gemieden. Standen die Berge aber tatsächlich einmal im Weg, trachtete man danach, sie so schnell wie möglich zu durchqueren. Kam es im Zuge einer solchen Operation zu Kampfhandlungen – Hinterhalte oder Begegnungsgefechte –, versuchten die herkömmlichen Truppen den Feind unter der Führung von Ortskundigen zu umgehen und so die Heerstraßen in den Tälern wieder freizubekommen. Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren somit auch alle gegen Italien gerichteten Festungen Österreichs in den Tälern angelegt.2 Und dennoch gab es zumindest Ansätze einer für den Kampf im Gebirge spezialisierten leichten Infanterie. Als Vorläufer der deutschen Gebirgstruppen können die bayerischen Gebirgsschützen angesehen werden. Um die Südgrenze des Königreiches zu Tirol und Vorarlberg vor österreichischen Übergriffen zu schützen, wurde 1813 zur Verteidigung der Gebirgsausgänge ein Gebirgsschützen-Korps aufgestellt, dessen Vorgeschichte bis 1492 zurückreicht. Ähnlicher den Tiroler Standschützen als regulären Einheiten rekrutierte es sich vornehmlich aus Jagd- und Forstpersonal. Am 16. Februar 1814 wurde dieses aus lediglich fünf Kompanien bestehende „Korps“, „ohne nennenswerten Nutzen gestiftet zu haben“, schon wieder aufgelöst.3 Als teilweise private Traditionsverbände bestanden sie aber fort. Einen direkten Übergang von diesen „Alpenkriegern“ hin zu den modernen Gebirgstruppen wie in Österreich gab es im Deutschen Reich demnach nicht. Obwohl Bayern im Süden von den Alpen begrenzt wird (und Österreich oft genug als feindlicher Nachbar betrachtet wurde) und sich diverse Mittelgebirge durch das ehemalige Königreich ziehen, gab es bis zu den wenigen Schneeschuhverbänden und dann dem „Alpenkorps“ des Ersten Weltkrieges keine „echten“ deutschen Gebirgssoldaten.

Ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts, dem „bürgerlichen Jahrhundert“, kam es indes zu einem langsamen, aber stetigen und immer deutlicheren Wandel im Verhältnis des Menschen zur Natur. Die Bewohner der Städte, vor allem der boomartig expandierenden Großstädte mit ihren noch durch keinerlei Umweltschutzgesetze in Zaum gehaltenen Industrieanlagen, sehnten sich zunehmend nach unberührter, ursprünglicher Natur. Mehr und mehr entwickelten sie einen Blick für die Schönheit der Berge. In der wilden Urwüchsigkeit des Gebirges sahen sie die Erfüllung ihres Wunsches, „zurück zur Natur“ zu kommen – zumindest dann, wenn man die Möglichkeit und vor allem die finanziellen Mittel hatte, Urlaub zu machen, ein bis dahin weitgehend unbekanntes Wort. Der allmählich aufkommende Tourismus – noch weit, weit entfernt von den Massenreisewellen unserer Zeit – ging einher mit dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur: Schutzhütten, Klettersteige, bessere Wege, sogar die ersten „richtigen“ Straßen, Hütten für Wanderer, die ersten Seil- und Zahnradbahnen entstanden peu à peu. Das Gebirge wandelte sich so vom „Feind“ des Menschen zu einem seiner Lebens-, Freiheits- und Sehnsuchtsräume, dazu zu einem Raum für Naturforscher aller Fakultäten. Die damals nahezu vorbehaltlos und unbedarft-hemmungslos fortschrittsgläubigen und zukunftsoptimistischen Ingenieure waren zutiefst davon überzeugt, die Herausforderungen des Gebirges mit Hilfe ihrer neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Möglichkeiten meistern zu können. Bald erlaubte der Schilauf dem Menschen, sich auch während der langen Gebirgswinter im Hochgebirge mehr oder minder frei zu bewegen. Aber: Wenn dadurch die Alpen ihren bisherigen Schrecken für die Menschen verloren, mussten sie folglich auch für das Militär einen neuen Stellenwert gewinnen. Denn wohin Alpinisten und Schifahrer in immer größeren Scharen gelangen konnten, dahin konnten auch entsprechend ausgebildete und ausgerüstete Truppen kommen – und das nicht nur, um diese Räume, wie einst Hannibal oder Prinz Eugen, zu durchqueren. Solche Truppen, immer besser ausgestattet mit leichten (Gebirgs-)Geschützen und Maschinengewehren, konnten für eine im Gebirge operierende Armee eine ganz neue Gefahr bedeuten, da konventionelle Verbände weiterhin an die wenigen, in den Haupttälern verlaufenden und ihre Bewegungen kanalisierenden Verkehrswege gebunden waren. So ergriff der Krieg schließlich auch vom Gebirge Besitz. Im Zuge dieser Entwicklung gerieten die Alpen also mehr und mehr in den Fokus der Generalstäbe. Aus einem lebensfeindlichen, unwirtlichen, für militärische Operationen völlig ungeeigneten Raum wurde zunehmend ein mögliches und somit in die Planungen unbedingt einzubeziehendes Kampfgebiet. Italien und Frankreich zogen als erste die Konsequenzen aus dieser Entwicklung und schufen mit den 1872 aufgestellten „Alpini“ – der ersten regulären Gebirgstruppe im modernen Sinn überhaupt – und den später, 1914, in den Vogesen für die Deutschen recht unangenehm agierenden „Chasseurs alpins“ die ersten, speziell für den Gebirgskrieg geschulten und ausgerüsteten Sonderformationen. Die Armeen dieser beiden Nachbarstaaten – der eine potenzieller „Erbfeind“, der andere (zumindest auf dem Papier) ein Verbündeter – machten sich die zunehmende Begeisterung der Menschen für die neuen Trendsportarten Bergsteigen und Schilaufen zunutze, gaben sie doch dadurch vielen Wehrpflichtigen und jungen Offizieren die Möglichkeit, die Freude an ihrem Sport mit dem Wehrdienst zu verbinden, denn keine Gebirgstruppe ist ohne sportliches Engagement und ohne einen eigenen, von tiefer Kameradschaft geprägten Korpsgeist denkbar. Die Integrierung des freien Sportsgeistes in das geschlossene militärische System von Befehl und Gehorsam ist jedoch nicht leicht, und so steckt in dem Satz von Mathias Zdarsky, dem Pionier des alpinen Schisports in Österreich-Ungarn und Schi-Instrukteur der k.u.k. Armee, sehr viel Wahrheit: „Es ist leichter, aus Soldaten Schiläufer zu machen als aus Schiläufern Soldaten“. Diese Wahrheit hat sich bei der Entstehung der deutschen Gebirgstruppe dann auch wiederholt bestätigt. Nur mit halbem Herzen folgte das Deutsche Reich dieser Entwicklung, denn vor dem Ersten Weltkrieg bestand für die vier deutschen Kontingentsheere aus militärischer Sicht trotzdem keine zwingende Notwendigkeit, eine eigene Gebirgstruppe aufzustellen. Der schmale Alpenanteil in Südbayern bot zudem nur geringe Verteidigungsmöglichkeiten. Es war daher vorgesehen, bei einem eventuellen Angriff aus dem Süden den Gegner auf die schwäbisch-bayerische Hochebene vordringen zu lassen, um ihn dann hier mit „normalen“ Truppen zum Kampf zu stellen. Und die auf dem Vogesenkamm verlaufende Grenze zu Frankreich war, so die vorherrschende Meinung, auch mit herkömmlichen Truppen zu verteidigen, die nur einer gewissen, auf den Krieg im Gebirge abgestimmten Bekleidung und Ausrüstung, sicher aber nicht einer spezialisierten Gebirgsausbildung bedurften. Vor diesem Hintergrund wurde ab 1892 im Rahmen von Truppenversuchen (s. u.) bei den Jäger-Bataillonen Nr. 8 in Schlettstadt im Unterelsaß und Nr. 10 in Goslar (im heutigen Niedersachsen) neben der regulären jägerspezifischen Ausbildung auch eine Schiausbildung durchgeführt. Man war also auf deutscher Seite durchaus nicht blind gegenüber dieser Entwicklung und hat auch nicht versäumt, den Schilauf militärisch nutzbar zu machen. Allerdings dachten die Generalstäbe und Kriegsministerien nicht an einen geschlossenen infanteristischen Einsatz größerer Verbände in einem Gebirgskrieg, sondern an einen vom Gelände unabhängigen Sicherungs- und Aufklärungsdienst, falls die Schneelage die Verwendung der sonst für diese Aufträge vorgesehenen Divisionskavallerie oder Infanterie unmöglich machte.

 

Auch das gehört(e) zur infrastrukturellen Erschließung

 

Eine schon etwas komfortablere „Hütte“ (ca. 1938)

 

Fast ohne die heute üblichen Sicherungen schlängelten sich die damaligen Straßen die Gebirgstäler entlang

 

Zuerst mühselig gebaut, binnen Sekunden im Gebirgskrieg zerstört: Brücken sollen eigentlich verbinden …

 

 

Frühe Skitouristen (links Wilhelm Paulcke) (Bild: Deutsches Skimuseum Planegg)

 

Aus Schiläufern werden Soldaten … (Bild: Immanuel Voigt, Jena)

Noch vor der bayerischen begann allerdings die preußische Armee Anfang der 1890er Jahre im Harz, in den Vogesen und in Ostpreußen mit den ersten Versuchen, Patrouillen Schibeweglich zu machen. Das Kriegsministerium in München erfuhr davon aber nicht durch offizielle Mitteilungen aus der preußischen Partner-Behörde, sondern allein aus den Angeboten von Schiherstellern, die die bayerische Armee gerne als Kunde gewonnen hätten und mit der preußischen Armee als Referenz für sich warben. Erst als die Preußen 1897 die Ausrüstung der Jägerbataillone mit je zwölf Paar „Schneeschuhen“, wie die Schier in der Armee bezeichnet wurden, und die Ausbildung einiger Patrouillen im Schneeschuhlauf verfügten und der königlich bayerische Militärbevollmächtigte in Berlin den Erfolg der preußischen Versuche bestätigte, entschloss sich das bayerische Kriegsministerium 1898 zu einem entsprechenden Versuch bei den beiden eigenen Jägerbataillonen. Die von diesen Verbänden eingereichten Erfahrungsberichte ermutigten die oberste Militärbehörde dazu, bei Prinzregent Luitpold die Ausrüstung „mit einer bemessenen Zahl von Schneeschuhen“ zu beantragen, da die Erprobung ergeben habe, „daß die Ausstattung einzelner Patrouillen mit diesen [Schneeschuhen] unter gewissen Voraussetzungen für die Aufklärung und Sicherung – namentlich im bergigen Gelände – und für die Nachrichten- und Befehlsübermittlung Vorteile zu bieten vermag“. Des „Königreiches Bayern Verweser“ genehmigte diesen Antrag am 4. Juni 1901. Mit der 1911 erfolgten Erlaubnis, einige Unteroffiziere der Telegraphentruppe beim k. b. 1. Jägerbataillon im Schilaufen schulen zu lassen, um ihnen bei Schneelage die Revision der Fernsprechleitungen zu ermöglichen, schloss sich der kleine Kreis der aus dienstlichen Gründen im Schilauf ausgebildeten Angehörigen der Bayerischen Armee. Außerdienstlich dagegen hatte der Schilauf unter den Angehörigen der bayerischen Armee zahlreiche Anhänger gefunden, und die erwähnte Schulung von Angehörigen der Telegraphentruppe war nur deshalb auf die Unteroffiziere beschränkt worden, „weil diese vorwiegend den Bevölkerungsschichten entwachsen sind, die derartigen Sport nicht betreiben“, während schifahrende Offiziere und Mannschaften angesichts der Zunahme des Schisportes ausreichend zur Verfügung standen. Das bayerische Kriegsministerium hat aus fiskalischen Erwägungen das außerdienstliche Schifahren indes nicht gefördert, um Schadenersatz- oder gar Pensionsansprüche nach Schiunfällen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Aus diesem Grund genehmigte das Ministerium dem in Kempten in Garnison liegenden II. Bataillon des k. b. 20. Infanterieregiments erst 1912 die Durchführung freiwilliger Schikurse unter der Leitung von Offizieren bei gleichzeitiger Anerkennung von Schiunfällen als Dienstbeschädigung. Dem kurz vor Kriegsausbruch gestellten Antrag desselben Bataillons um bevorzugte Zuweisung der vielen jungen Schifahrer des Allgäus zur Ableistung des Wehrdienstes im Bataillon lehnte das Ministerium aber mit der Begründung ab, dass unter „den derzeitigen Verhältnissen […] ein dienstliches Bedürfnis für eine erhöhte Ausbildung der bayer. Inf.[anterie] im Schneeschuhlaufen nicht anerkannt werden“ könne. Diese Zurückhaltung des Kriegsministeriums findet ihre Erklärung in einer Stellungnahme des Generalkommandos des bayerischen I. Armeekorps von 10. Januar 1913 zu dem Vorwurf des „Clubs Alpiner Schiläufer München“, dass seiner Meinung nach die bayerische Armee den militärischen Schilauf unzulänglich fördere: „Bei aller Anerkennung […] glaubt das Generalkommando doch dem Schilauf eine höhere Bedeutung als militärischen Ausbildungszweig nicht zuerkennen zu können, da die Verwendung militärischer Schiläufer auf den für Bayern in Betracht kommenden, voraussichtlichen Kriegsschauplätzen kaum wird erfolgen können“. Der Einsatz der Masse der bayerischen Armee in Lothringen zu Beginn des Ersten Weltkriegs sollte dem Generalkommando zunächst recht geben. Der Krieg nahm 1914 im Westen bekanntlich nicht den erwarteten schnellen Verlauf, den sich v. Schlieffen und seine Nachfolger so sehnlich erhofft hatten. Man rief von der Vogesenfront für den Aufklärungs- und Sicherungsdienst im kommenden Winterfeldzug nun doch nach Schneeschuhläufern, die Kriegsministerien mussten jetzt reagieren. Für die in den Vogesen zwischen dem Hartmannsweilerkopf und dem Judenhut fechtenden württembergischen Landwehrtruppen stellte die zuständige Behörde beim Ersatz-Bataillon des Infanterie-Regiments Nr. 124 in Baienfurt bei Weingarten die „Württembergische Schneeschuh-Kompagnie Nr. 1“ auf. Die Einheit umfasste drei Züge mit insgesamt sechs Offizieren, 210 Unteroffizieren und Mannschaften und 22 Maultieren sowie einen MG-Zug mit einem Offizier, 45 Unteroffizieren und Mannschaften und 18 Maultieren. Die Einheit sollte in Bekleidung und Ausrüstung möglichst den bayerischen Schneeschuhtruppen angeglichen werden. Mitte Februar 1915 erhielt die Kompanie einen vierten Zug. Nach dem Ende der Winterkämpfe in den Vogesen erfolgte die Umbenennung in „Württembergische Gebirgs-Kompagnie Nr. 1“, und am 1. Oktober 1915 die Umgliederung zum „Württembergischen Gebirgs-Bataillon“ mit einer Erweiterung auf sechs Kompanien und sechs Gebirgs-MG-Züge mit insgesamt 39 Offizieren, 1.620 Unteroffizieren und Mannschaften und 258 Pferden.4

 

… oder umgekehrt. (Bild: Immanuel Voigt, Jena)

 

Schibewegliche Patrouille um 1905

 

Pause während eines Bergmarsches

 

Schneeschuhausbildung bei Garmisch-Partenkirchen (Januar 1915)

 

Originalunterschrift auf dieser Postkarte: „Vorpostendienst auf Schneeschuhen“

Das bayerische Kriegsministerium griff die vom Deutschen Ski-Verband vorgetragene Anregung zur Bildung eines „Freiwilligen Skiläuferkorps“ auf und formierte am 21. November 1914 in München aus des Schilaufens kundigen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften sowie aus Freiwilligen das k. b. Schneeschuhbataillons Nr. 1. Der Verband erhielt unter seinem ersten Kommandeur, Major Alfred Steinitzer, in einem Schnellverfahren in Neuhaus bei Schliersee seine militärische Ausbildung. Das Bataillon rückte im Januar 1915, jetzt bereits mit Maultieren ausgerüstet, in Stärke von vier Kompanien als Armeetruppe an die Armee-Abteilungen Gaede und Falkenhausen an die Vogesenfront ab, wo es der 51. gemischten Landwehr-Brigade unterstellt wurde. Im Zuge einer Operation mit dem Ziel, sich in den Besitz der taktisch günstigeren Linie Hilsenfürst – Sengern zu setzen, kam es am 13. Februar 1915 bei Hilsen zu einem Gefecht zwi schen der 1. und 3. Kompanie dieses Bataillons mit französischen Kräften. Zugweise „bretterten“ die Soldaten mit hoher Geschwindigkeit die steilen Hänge hinunter und warfen den völlig überraschten Gegner nach kurzem Feuerkampf, der daraufhin die Ortschaft räumte.

 

Unterkunftsbau in den Vogesen

Noch im Dezember 1914 wurde das preußische Schneeschuh-Bataillon Nr. 2 unter Hauptmann d. R. Wilhelm Paulcke formiert, das Ende Januar 1915 mit sechs Kompanien in Kurland und in den Karpaten als Armeetruppe in den Einsatz ging. Ersatztruppenteil für die beiden Schneeschuhbataillone war die in München aufgestellte Schneeschuh-Ersatzabteilung.

Mit dem Ende des Winters war die Frage zu entscheiden, was nun mit den Schneeschuhtruppen geschehen sollte. Die Truppen bestanden aus Schiläufern, von denen viele zugleich Hochtouristen waren. Major Steinitzer sah von vornherein sein Schneeschuhbataillon Nr. 1 als Gebirgstruppe, und so stellte er bereits im Februar 1915 den Antrag, das Bataillon auch nach dem Winter als Gebirgstruppe bestehen zu lassen. Ihr sollte künftig in den Hochlagen des Gebirges der Aufklärungs- und Sicherungsdienst übertragen werden. Steinitzer erwartete darüber hinaus, dass sein Bataillon gleichsam zum Nukleus einer späteren, mehrere Verbände umfassenden und der herkömmlichen Infanterie hierarchisch gleichgestellten Gebirgstruppe werden sollte. Unterstützt von den Armee-Abteilungen Gaede und Falkenhausen leitete das bayerische Kriegsministerium diesen Antrag an den Chef des Generalstabes des Feldheeres weiter, der sofort zustimmte. So konnte das Ministerium bereits am 19. März 1915 verfügen, „daß mit Eintritt der wärmeren Jahreszeit das Schneeschuhbataillon Nr. 1 in eine Gebirgstruppe für die Dauer des Feldzuges umgewandelt wird. Organisation, Bekleidung etc., Bezeichnungen bleiben wie bisher“. Die Schneeschuh-Ersatzabteilung hatte die Gebirgsausbildung zu übernehmen. Wenig später folgten Württemberg und Preußen, letzteres unter gleichzeitiger Aufteilung des Schneeschuhbataillons Nr. 2 in die Bataillone Nr. 2 und Nr. 3. Aber nicht nur Teile der Infanterie wurden „gebirgstauglich“ gemacht. Noch im November 1914 wurden im Bereich des für die Vogesen zuständigen Generalkommandos des XV. Armeekorps die ersten Gebirgsartillerie-Batterien aufgestellt. Diesen folgten im April und Mai 1915 die für den Einsatz in den Vogesen bestimmten bayerischen Gebirgsartilleriebatterien Nr. 7 und 8, für deren Ersatz die gleichzeitig in Sonthofen aufgestellte Gebirgsartillerie-Ersatzabteilung zu sorgen hatte. Ebenfalls für den Einsatz in den Vogesen bestimmt waren die im Frühjahr 1915 in Bayern formierten Gebirgsmaschinengewehr-Züge und -Kompanien, für die eine Ersatz-Gebirgsmaschinengewehr-Kompanie der Schneeschuh-Ersatzabteilung angegliedert wurde. Wegen ihrer Gebirgsausrüstung galt die um die Jahreswende 1914/15 für die Vogesenfront aufgestellte k. b. 8. Reserve-Division ebenfalls als Gebirgstruppe, die übrigens im Mai 1915 unter Berufung auf ihre bisherige Gebirgserfahrung den (allerdings vergeblichen) Antrag auf eine Verwendung in Tirol stellte.

 

Man hat es sich gemütlich (?) gemacht (Bild: Immanuel Voigt, Jena)

 

Skibewegliche Patrouille 1914/15

 

Skibewegliche Patrouille um 1910

 

Aus Mangel an viel besser geeigneten Gebirgsgeschützen wurden vielfach herkömmliche Feldgeschütze eingesetzt

 

Skibewegliche Patrouille im Feuerkampf (gestelltes Ausbildungsfoto) (Bild: Immanuel Voigt, Jena)

1 Nach Reichl-Ham, Claudia, Der Spanische Erbfolgekrieg. In: Truppendienst, Folge 337 (1/2014), www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel/php?id=1662, Zugriff vom 30. April 2014.

2 Vgl. Heyl, Alpenkorps, S. 13.

3 Vgl. Hebert, S. 5.

4Am 3. Mai 1918 Umgliederung und Umbenennung in „Württembergisches Gebirgs-Regiment“ mit zwei Bataillonen.

Die Aufstellung des Alpenkorps5

Krafft wird „Führer des Alpenkorps“6

Szenenwechsel. Westfront. Frühjahrsschlacht bei La-Bassée und Arras („Loretto-Schlacht“), von den Franzosen als „Bataille de l‘Artois“ bezeichnet. Blicken wir auf die Wochen vor dem Kriegseintritt Italiens und der Ernennung Krafft v. Dellmensingens zum „Führer des Alpenkorps“ zurück. Wie schon die Besetzung des Postens „Generalstabschef der 6. [also bayerischen] Armee“ bei Kriegsausbruch im Sommer 1914 mit Krafft, so war auch diese Personalmaßnahme kein einem Naturgesetz folgender, quasi gottgegebener Selbstläufer, sondern Ergebnis politischer Ränke und Machenschaften sowie persönlicher Vorlieben und Abneigungen.7 Der „Wettlauf um die Flanke“ vom Herbst 1914 (im Anschluss an die Marne-Schlacht) beendete den operativen Bewegungskrieg und führte zum Stellungskrieg. Der Krieg entartete endgültig zu einem Menschen und Material vernichtenden Gemetzel, wie man es nicht für möglich gehalten hatte. Allein auf deutscher Seite waren in dieser Schlacht ca. 80.000 Mann gefallen, verwundet oder vermisst! Die Schuld an dem Debakel schoben die „Schlieffen-Jünger“ unter den deutschen Militärs allein Erich v. Falkenhayn, dem Nachfolger des glücklosen v. Moltke („dem Jüngeren“) als Chef der OHL zu. Falkenhayn wurde immer erbitterter angefeindet und bekämpft, und nicht selten grenzte der um sich greifende Hass auf den menschlich schwierigen v. Falkenhayn – er galt als arrogant und zynisch – mitunter schon ans Pathologische. Zum Glück für diesen waren sich aber auch seine Gegner untereinander nicht sonderlich „grün“.8 Dem Reigen der immer unverhohlener agierenden Kritiker schloss sich noch im Herbst 1914 auch Konrad Krafft v. Dellmensingen an, der Generalstabschef der 6. Armee und damit de facto der bayerischen Armee, die nicht ohne Geschick und Erfolg im August 1914 in Lothringen gekämpft hatte9 und seit dem 9. Mai 1915 gegen die schweren englisch-französischen Angriffe bei Arras-La Bassée im Feuer stand. Krafft, ein Ausnahmeoffizier, fühlte sich zeit seines Lebens dem bayerischen Herrscherhaus zutiefst verbunden. Dies kam besonders im ausgesprochen persönlichen Verhältnis zu seinem Armee-Oberbefehlshaber, dem Kronprinzen Rupprecht, zum Ausdruck. Kraffts Kritik wurde immer massiver und war bald von kaum noch zu überbietender Schärfe, wähnte er doch durch das Verhalten v. Falkenhayns den „Geist unseres großen Lehrmeisters aus [der Führungskunst] verbannt – kein Wunder, […] mit einem ehrgeizigen Dilettanten an ihrer Spitze. […] Die Falkenhayn’sche Lösung war Schlieffen’schen Gedankengängen durchaus zuwiderlaufend.“10 Krafft lastete die Schuld für das Scheitern der Offensiven allerdings nicht allein v. Falkenhayn an, mitverantwortlich machte er ebenso strukturelle wie personelle Defizite. Unter den Kritikern des preußischen Generalstabschefs nahm die Spitze des AOK 6 im Frühjahr 1915 eine herausragende Stellung ein, umso mehr, als der Nachfolger v. Moltkes mit jeder seiner Maßnahmen in ihren Augen wiederholt seine fachliche Inkompetenz offenkundig machte. Falkenhayn hatte sich mit seinem gescheiterten Ypern-Unternehmen (Erste Flandern- bzw. Ypernschlacht; 20. Oktober bis 18. November 1914) nach Ansicht nahezu aller im AOK 6 nicht nur in der offensiven Operationsführung als unfähig erwiesen, auch in der noch ungewohnten Situation der Defensive, in der sich das deutsche Heer im Westen unversehens wiederfand, führten Rupprecht und Krafft die horrenden Opfer auf dessen „Besessenheit“ und „Fanatismus […], jeden Fuß breit feindlichen Geländes zu behaupten“11, zurück: „Hier wirken sich die Falkenhayn’schen Verteidigungsthesen sehr nachteilig aus.“12 Wurde die Amtsübernahme v. Falkenhayns anfänglich durchaus recht positiv aufgenommen, gründete in jener blutigen Schlacht der unüberbrückbare und mit geradezu bewundernswerter Halsstarrigkeit gepflegte Gegensatz zwischen v. Falkenhayn einerseits und dem Führungsduo Rupprecht/Krafft andererseits, auf dessen 6. Armee er doch seine größten Hoffnungen gesetzt hatte, die sie aber nicht hatte erfüllen können.13 Diese persönliche Abneigung aber beruhte auf Gegenseitigkeit und war aus der Perspektive v. Falkenhayns sogar durchaus berechtigt. Kraffts „Ia“ v. Mertz berichtete beispielsweise viele Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, dass Rupprecht lange Zeit nicht imstande war, v. Falkenhayn gegenüber offen aufzutreten. Stattdessen redete er hinter dessen Rücken schlecht über ihn und machte ihn, wo immer möglich, bei den anderen Offizieren madig. Davon erfuhr der neue Generalstabschef jedoch über Dritte und reagierte mit verständlicher Verachtung, aber auch mit Zynismus und Ungeschicklichkeiten wie dem wiederholt geäußertenehrabschneidenden Vorwurf an den Kronprinzen und dessen Generäle, es ermangele diesen an persönlichem Mut im Gefecht. So nahm die Auseinandersetzung zwischen ihm und dem bayerischen Kronprätendenten immer brüskere und menschlich immer verletzendere Formen an14. Zu einer offenen Konfrontation zwischen den beiden Männern kam es jedoch noch nicht, vielmehr erschöpfte sie sich zunächst in versteckten Spitzen hier und Boshaftigkeiten dort. Ähnlich unaufrichtig, wenn auch nicht in dem Maße wie der bayerische Kronprinz, verhielt sich auch Krafft. Auf taktischer bzw. operativer Ebene führte er zwar manchen, gelegentlich sogar geharnischten Disput mit v. Falkenhayn, andererseits finden wir gleichwohl auch Fälle domestikenhafter Unterwerfung, die seine Umgebung nachgerade peinlich berührten. Aus Anlass des Verlustes von Neuve-Chapelle während der Loretto-Schlacht verlangte v. Falkenhayn beispielsweise von Krafft eine Erklärung, wie es dazu hatte kommen können. Ein Offizier im Stab der 6. Armee hielt die sich darob abspielende Szene in seinem Tagebuch fest: „Abends spricht der General mit Falkenhayn und entschuldigt sich wie ein Schulbub wegen des Unglücks bei Neuve-Chapelle. Mertz und ich schämen uns.“15 Neben den im Zwischenmenschlich-Psychologischen zu verortenden Aversionen waren es aber in erster Linie die fachlichen Differenzen, die das Feuer der Antipathie in Krafft schürten. Er steigerte sich so sehr in seine Ablehnung gegen „seinen größten Feind“ hinein, dass er jede Maßnahme v. Falkenhayns bereits a priori verdammte. Es reichte schon, wenn ein Dokument dessen Unterschrift trug! Egal, was die 2. OHL unternahm, deren Chef konnte es Krafft einfach nicht recht machen. Kümmerte sie sich nicht genügend um die Sorgen der Bayern, mokierte sich Krafft darüber, mischte sie sich – seiner Meinung nach – zu viel ein, „ertötet [das] jede Freude an der Sache.“16 Und: „Keine Vorgesetzteneigenschaft ist übler als die, daß man seine Führer nicht selbsttätig arbeiten lassen kann.“17 Diese Inkonsequenz ist aber mit das deutlichste Indiz für das vollkommen gebrochene Verhältnis zu v. Falkenhayn, denn seine Abneigung, sein blanker Hass gegenüber dem Preußen beeinträchtigte sogar sein sonst im Wesentlichen nüchternes Urteil. Das aber waren lediglich die Auswirkungen des „Bevormundungssystems“18 v. Falkenhayns, wie der Bayer dessen Führungsstil und Vorgehensweise empfand, denn dieser war, so Krafft, „stets bestrebt, sich nach allen Seiten so abzusichern, dass man die Schuld eines Misserfolges auf den Ausführenden abladen konnte. Das entsprach ganz dem intriganten Charakter dieses Mannes.“19 Misstrauen und Verdächtigungen bis hin zu mehr oder weniger kindischen Spekulationen von Seiten des AOK 6 über ein Komplott Preußens gegen Bayern beherrschten die Atmosphäre in diesen Monaten, als im Frühjahr 1915 im Zuge der Schlachten von Ypern und La Bassée-Arras aus dem kalten Krieg zwischen den deutschen Generälen schließlich ein heißer wurde, dessen prominentestes Opfer Krafft hieß. Zwei Tage vor dem berüchtigten ersten deutschen Gasangriff bei Ypern am 22. April traf v. Falkenhayn im Armeeoberkommando 6 ein, um über offensive Maßnahmen parallel zum eigentlichen Angriff sowie über die Ausgliederung mehrerer Regimenter aus dem Armeeverband zu sprechen. Schon im Vorfeld dieses Frontbesuches drängte Krafft den Kronprinzen dazu, v. Falkenhayn bei seinen Besuchen des VII. und XIV. Armeekorps auf keinen Fall aus den Augen zu lassen und „überall hin mitzufahren […], sonst läge es sehr nahe, daß hinter unserem Rücken die Dinge sehr einseitig dargestellt und über uns hinweg Anordnungen getroffen werden.“20