Die Drachenkrone - Ulrike Schweikert - E-Book

Die Drachenkrone E-Book

Ulrike Schweikert

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Beschreibung

Wunderbare Fantasy voller Abenteuer und Magie: Der Auftaktroman zur großen "Drachenkronen"-Trilogie von Bestsellerautorin Ulrike Schweikert! Vor Jahrtausenden wurde sie von großen Mächten geschmiedet: die Drachenkrone. Jeder, der diese magische Waffe trägt, kann die Welt unterjochen. Darum wird sie in einem schrecklichen Kampf in vier Teile zerschlagen. Fünf arglose Gefährten, die eigentlich auf der Suche nach einem verschwundenen Grafen sind, werden in ein mythisches Spiel aus Intrigen, Verrat und Zauberei verwickelt. Ihre einzige Chance: Sie müssen die Teile der Krone finden, bevor es ein finsterer Magier tut...

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Ulrike Schweikert

Die Drachenkrone

Edel:eBooks

Copyright dieser Ausgabe © 2013 by Edel:eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg.

Eine frühere Ausgabe des Titels erschien unter dem Pseudonym Rike Speemann.

Copyright © 2005 by Ulrike Schweikert

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.

Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-132-3

edel.comfacebook.com/edel.ebooks

Buch

Wunderbare Fantasy voller Abenteuer und Magie: Der Auftaktroman zur großen "Drachenkronen"-Trilogie von Bestsellerautorin Ulrike Schweikert! 

Vor Jahrtausenden wurde sie von großen Mächten geschmiedet: die Drachenkrone. Jeder, der diese magische Waffe trägt, kann die Welt unterjochen. Darum wird sie in einem schrecklichen Kampf in vier Teile zerschlagen. Fünf arglose Gefährten, die eigentlich auf der Suche nach einem verschwundenen Grafen sind, werden in ein mythisches Spiel aus Intrigen, Verrat und Zauberei verwickelt. Ihre einzige Chance: Sie müssen die Teile der Krone finden, bevor es ein finsterer Magier tut...

PROLOG

Der Magier

Das kleine Mädchen stapfte noch etwas wackelig auf seinen kurzen, speckigen Beinchen durch das Gras. Brigida warf dem Kind einen bunten Ball zu, doch Micas Hände waren zum Fangen noch zu ungeschickt, und so lief die Kleine fröhlich kreischend der schillernden Kugel hinterher und versuchte sie mit ihren dicken Fingerchen zu greifen. Stolz sah Brigida auf ihre Erstgeborene herab, die sich prächtig entwickelte, und dennoch gelang es der jungen Mutter heute nicht, sich ganz auf das Spiel mit ihrem Kind zu konzentrieren. Immer wieder wanderte ihr Blick den saftig bewachsenen Hügel zur Stadt hinunter, so als erwarte sie sehnsüchtig, dass jemand den sonnigen Hang heraufkäme.

Brigida liebte diesen Platz hoch oben auf dem Hügel, mit seinem Ausblick auf das tiefblaue Meer und die weiße Stadt zu ihren Füßen. Unten am Hafen und hinter den schlanken, hoch aufragenden Türmen der Stadt schimmerte das sich im Wind kräuselnde Wasser in Ultramarin, auf der anderen Seite des Hügels, in einer sandigen Bucht, leuchtete es in Türkis, das sich in der Ferne zu sanftem Flieder wandelte, bis es sich am Horizont mit dem blassen Blau des Himmels vereinte.

Unten im Hafen herrschte rege Geschäftigkeit. Ein Dreimaster war aus den Südlanden eingetroffen, und nun schleppten die kräftigen, dunkelhäutigen Männer die Kisten und Ballen der kostbaren Ladung von Bord. Brigida ließ den Blick von den niedrigen Häusern der Hafenvorstadt zu dem weitläufigen Marktplatz und dann bis zu dem prächtigen Kuppelbau schweifen, der sich am Nordrand der Stadt auf einem dicht bebauten Hügel erhob. Der luftige, hohe Bau bildete das Zentrum des magischen Viertels. Die scheinbar schwerelos schwebende Kuppel glänzte golden in der Nachmittagssonne. Die benachbarten Gebäude mit ihren weißen Marmorsäulen beherbergten die Akademie, Bibliotheken, Laboratorien, Wandelhallen und große Säle, in denen Vorlesungen gehalten und oft bis spät in die Nacht disputiert wurde.

Vom Meer her wehte ein sanfter Wind den Hügel herauf und fuhr durch Brigidas blonde Locken. Die junge Frau beschirmte ihre Augen und sah träumerisch auf das Meer hinaus. Waren das nicht weiße Segel dort am Horizont? Brigida kniff die Augen zusammen. Ja, drei, nein, fünf große Schiffe pflügten durch das glatte Wasser und nahmen Kurs auf die Magierstadt Xanomee, die eingebettet in einem grünen Tal zwischen zwei erloschenen Vulkangipfeln lag.

Konnte das die Flotte von Kapitän Svenderlog sein, der aufgebrochen war, weit im Osten Seide und goldenes Geschmeide zu erwerben? Wie mussten sich die Männer freuen, nach Wochen voll harter Arbeit und Entbehrung, nach wilden Stürmen und brennender Hitze nun die wundervolle Stadt am Horizont auftauchen zu sehen. Brigida träumte von den Weiten des blauen Meeres, den braun gebrannten, muskulösen Männern, die im Takt der monotonen Stimmen die Taue anzogen, um die weißen Segel dem Wind preiszugeben, bis er in das Leinen fuhr und es aufblähte. Das Schiff tauchte in die weiße Gischt ein, dass sie in schillernden Schaum zerbarst, die heiseren Schreie der Möwen als Begleiter.

»Da ! Da !«, rief Mica, deutete mit ihrem speckigen Finger den Weg hinunter und riss die Mutter aus ihrer Träumerei.

Endlich! Ein untersetzter, grauhaariger Mann in einem wehenden weißen Umhang kam den Hügel herauf. Die ungewohnte Anstrengung hatte ihm Schweißperlen auf die Stirn getrieben und sein Gesicht rot gefärbt. Brigida nahm das Kind in ihre Arme und eilte dem Mann entgegen.

»Vater, sagt mir, was hat der hohe Rat beschlossen?«, rief sie ihm schon von weitem entgegen.

»Lass mich doch erst einmal Atem schöpfen«, stöhnte der Vater, ließ sich ins Gras fallen und tupfte sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von Stirn und Schläfen. Mica kletterte fröhlich brabbelnd auf den Schoß ihres Großvaters und kuschelte sich in seine Arme. Inthan lächelte das Mädchen an.

»Bitte, quält mich doch nicht so!«, drängte Brigida und ließ sich neben dem Vater im Gras nieder.

»Gut, gut, du brauchst nicht so besorgt dreinzuschauen. Dein Gatte war großartig, und das Komitee ist von seinen neuen Heiltränken sehr angetan. Er hat seine Prüfung mit Auszeichnung bestanden.«

Brigida hielt die Luft an.

»Und sie haben ihn in den Rat gewählt.«

Die junge Frau seufzte erleichtert. »Sein Traum geht in Erfüllung.«

Inthan nickte. »Ja, er ist das jüngste Mitglied des magischen Rates seit Beginn der Geschichtsschreibung. Ich hatte keine Zweifel, dass es so kommen würde. Teravio ist brillant, schließlich ist er mein Schüler«, fügte er unbescheiden hinzu. »Außerdem wurde ich zum Sprecher des Rates bestimmt«, sagte der Magier und tippte sich an die Brust.

Brigida riss ehrfürchtig die Augen auf. »Dann sind wir nun die wichtigste Familie der Stadt. Wir werden in den prächtigen Säulenbau am Fuß des Hügels ziehen und Gäste aus fernen Ländern bewirten«, sagte sie träumerisch. Plötzlich richtete sie sich kerzengerade auf.

»Ich brauche neue Kleider! Bei einem so wichtigen Vater und Gatten kann ich nicht in diesen altmodischen Gewändern herumlaufen. Teravio muss mir Seide kaufen, sobald die Schiffe in den Hafen eingelaufen sind.«

Der alte Magier schmunzelte. »Ich habe keine Zweifel darüber gehegt, dass du die Goldstücke deines Gatten wohl zu verwenden weißt, doch von welchen Schiffen sprichst du, mein Kind?«

Brigida deutete in die Ferne, wo sich am Horizont nun deutlich fünf Segel abzeichneten. Inthans Blick folgte ihrem Finger. Einige Augenblicke sah er zu den Schiffen hinaus, die mit prall gefüllten Segeln Kurs auf die Magierstadt nahmen. Eine seltsame Erregung erfasste den alten Mann. Er setzte Mica ins Gras, erhob sich und kramte aus seinem Beutel einen wasserklaren, zu einer Linse geschliffenen Edelstein hervor. Als er den Kristall ins Auge klemmte, waren die Schiffe plötzlich zum Greifen nah. Kein Detail blieb ihm verborgen.

Nein, es war nicht Kapitän Svenderlog, der auf dem Flaggschiff neben dem Steuer stand. Es waren überhaupt keine Handelsschiffe, die dort in strenger Formation durch die tiefe See pflügten. Ungläubig ließ Inthan den Blick über bewaffnete Männer in Kettenhemden schweifen, über Katapulte und Kanonen. Statt Seide und Gold schwamm dort eine Armee auf die Stadt zu! Dabei wusste jeder, dass es sinnlos war, Xanomee anzugreifen. Nicht nur Mauern und Türme schirmten die weiße Stadt ab. Die Hochburg der Magie stand noch unter ganz anderem Schutz und war noch nie im Laufe ihrer tausendjährigen Geschichte eingenommen worden.

»Vater, was ist denn?«, drängte Brigida, der der entsetzte Gesichtsausdruck nicht entging, doch der alte Magier antwortete nicht.

Wieder blickte Inthan durch den Kristall und ließ den Blick am Mast des führenden Schiffs hinaufschweifen. Rot und schwarz flatterte das Wappen von Tomord im Fahrtwind. Ein seltsam flaues Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. Viele Gerüchte waren ihm schon über den Meister der schwarzen Magie zu Ohren gekommen, und wenn nur die Hälfte davon der Wahrheit entsprach, dann stellte sich der Stadt ein Feind entgegen, der nicht dumm war. Der Magier, der dort zufrieden lächelnd neben dem Steuer stand, war schlau, gerissen und sehr machtgierig. Lange war es her, dass Inthan ihm zum letzten Mal begegnet war. Vor vielen Jahren war er aus der Akademie ausgeschlossen und der Stadt verwiesen worden, und nun, so schien es, kehrte er zurück, um die Schmach, die man ihm angetan hatte, zu rächen.

Inthan beobachtete ihn durch die Linse. Es war ihm als könne er den Magier von Tomord zufrieden kichern hören. Was in aller Welt hatte er vor? Wie konnte er sich nur einbilden, einen mächtigeren Zauber zu beherrschen als all die Magier der Akademie zusammen? Ratlos schüttelte Inthan den Kopf. Er hörte, wie unten in der Stadt die Sturmglocken zu läuten begannen. Die Tore wurden geschlossen, und Geharnischte eilten auf die Brustwehr.

»O Vater, seht nur, ist das ein Drache?«, rief Brigida plötzlich aus, als sich ein geschmeidiger Körper mit ledernen Schwingen aus der hellen Sonnenscheibe löste.

Der Magier richtete das Augenglas auf das fliegende Wesen. Prächtig glänzte sein goldener Körper im Sonnenlicht. Inthan konnte den riesigen Kopf, die scharfen Klauen, den langen Schwanz und die fast durchscheinenden Flügel sehen. Dahinter tauchten ein silberner Drache und dann ein kupferfarbener auf. Ein tiefer Friede breitete sich in seinem Herzen aus. Es gab keine edleren Wesen in den Ländern um das Thyrinnische Meer als die metallglänzenden Drachen. Gut und weise sorgten sie dafür, dass die Welt nicht aus den Fugen geriet. Niemals würden sie sich für einen nicht gerechtfertigten Angriff missbrauchen lassen. Inthan wollte gerade den Kristall vom Auge nehmen, als sich die Sonne verdüsterte. Erst konnte er nur einige Flecken vor dem gleißenden Gestirn erahnen, doch dann hoben sich die riesigen Echsen deutlich vom blauen Himmel ab. Der Kristall fiel zu Boden.

Auch die junge Frau hatte erkannt, was dort auf die Stadt zuschwebte. Sprachlos vor Entsetzen deutete Brigida in den bis vor wenigen Augenblicken noch so friedlichen Sommerhimmel.

»Vater«, keuchte sie, und ihr Finger zitterte, »sagt mir, dass ich mich täusche!«

Inthan hob die Linse wieder auf, doch inzwischen waren die Echsen auch mit bloßem Auge gut zu erkennen. Rote und silberne, schwarze, kupferne und blaue Drachen schwebten auf die Stadt zu, geführt von dem großen goldenen.

Wie war so etwas möglich? Niemals würde ein goldener Drache an der Seite eines roten fliegen, nie ein blauer Drache dasselbe Ziel verfolgen wie ein kupferner. Sie waren wie der Tag und die Nacht, das Feuer und das Wasser, für immer entzweit in Gut und Böse. Sie konnten nicht miteinander existieren, und doch war es genau das, was Inthans Augen sahen. Sein Herz verkrampfte sich. Hier braute sich etwas zusammen, schrecklicher, als sein Verstand zu begreifen bereit war. Es war ihm, als könne er die unglaubliche Magie über dem Wasser flimmern sehen.

Die Schiffe hatten inzwischen die weitläufige Bucht erreicht, und der Kapitän ließ die Segel reffen. Abwartend lagen sie vor den Kais, über ihnen die Drachenschar. Die Männer auf den Wehranlagen der Stadt und die Kämpfer auf den Schiffen starrten sich gegenseitig schweigend an. Über dem Akademiehügel erschien ein schimmerndes Kraftfeld. Magier eilten mit wehenden Gewändern zu den Stadtmauern. Frauen und Kinder strebten über den großen Platz dem schützenden Hügel zu.

»Vater«, sagte Brigida schwach, »sie werden doch nicht etwa die Stadt angreifen?« Ängstlich drückte sie ihre Tochter an sich. »Sie haben doch keine Chance, nicht wahr? Das Kraftfeld ist viel zu mächtig?«

Wenn all diese Drachen gemeinsam angreifen, dann wird die Stadt heute Abend nicht mehr existieren, dachte der Magier, doch er wagte es nicht, das Unfassbare auszusprechen.

»Ich weiß es nicht«, antwortete er stattdessen. »Nimm Mica und lauf zum Elbentor. Du weißt, wie du das Tor zwischen den Welten benutzen musst. Geht hinüber ins Reich der Elben und wartet dort auf mich.« Er schob sie vor sich her den Pfad hinunter.

»Was ist mit Teravio? Ich gehe nicht ohne meinen Gatten!«

Inthan griff sie hart am Arm. »Du tust jetzt genau das, was ich dir sage! Dies ist kein Spaß!«

Wie zur Bekräftigung seiner Worte löste sich ein Kanonenschuss von dem Dreimaster in der Mitte und klatschte kurz vor der Kaimauer ins Wasser. Die Männer auf der Brustwehr schrien wütend auf und hoben drohend ihre Waffen.

»Ich werde mit Teravio nachkommen, sobald ich kann. Beeile dich!«, fügte er noch hinzu und hob dann wieder den Stein ans Auge.

Er konnte Graf Tomord sehen. Ein zufriedenes Lächeln huschte über seine schmalen Lippen. Er bückte sich und öffnete eine kleine Truhe zu seinen Füßen. Vorsichtig nahm er einen Gegenstand heraus und setzte ihn sich auf das tiefschwarze Haar. Als die Sonnenstrahlen ihn erfassten, blitzte und schimmerte er in allen Farben. Kleine Drachenfiguren wanden sich in einer Krone um sein Haupt.

Inthan blieb keine Zeit, genauer darüber nachzudenken, denn Tomord hob langsam die Arme. Giftgrüner Rauch quoll aus seinen Fingerspitzen und wallte zu seinen Füßen auf. Er öffnete den Mund und formte seltsame Worte. Die Rauchschwaden begannen sich zu drehen. Sie wirbelten in einer Spirale, verdichteten sich und schossen dann in den Himmel.

»Vernichtet Xanomee!«, schrie Graf Tomord und warf die Arme in die Luft. »Tötet sie alle!«

Auf seinen Befehl hin setzte sich die Drachenstreitmacht in Bewegung. Wie die zuckenden Blitze eines Gewitters kamen die Echsen über die Stadt. Nun schimmerten auch die Stadtmauern in magisch bläulichem Licht, doch das konnte die Drachen nicht aufhalten. Sie schossen herab, sandten Feuer und spien ihren ätzenden Atem aus. Die Kraftfelder knisterten. Blaue Funken sprühten in den Himmel, aber sie konnten den dicken Schuppen der Echsen nichts anhaben. Die Drachen flogen einen Bogen, sammelten sich wieder und brausten dann zum zweiten Mal heran. Graf Tomord hob wieder die Arme und murmelte einen Spruch, und plötzlich brach die magische Barriere um die Stadt herum zusammen. Den Menschen auf den Wehrgängen blieb nicht viel Zeit, sich über den Fall des Schutzwalls zu entsetzen. Die roten Drachen rückten vor. In gleißender Helligkeit fuhren Flammenstrahlen aus den aufgerissenen Rachen der riesenhaften Reptilien und hüllten die Vorstadt in eine Feuerwand. Die Schreie der Sterbenden gingen im Brausen der Höllenglut unter. Dann schossen die schwarzen Drachen vor, und was den Flammen entgangen war, wurde Opfer der ätzenden Säure, die todbringend und alles vernichtend auf die Stadt herabregnete. Inthan stöhnte voll Entsetzen auf. Brigida schrie. Der Magier fuhr herum und starrte seine Tochter an, die immer noch wie angewurzelt dastand. Tränen rannen über ihr Gesicht.

»Lauf!«, brüllte er. »Lauf!«

Endlich reagierte sie. Das Kind fest an sich gedrückt, taumelte sie den Pfad entlang, während hinter ihr die weiße Stadt in Schutt und Asche versank.

In heller Panik rannten die Menschen auf den schützenden Hügel zu. Noch hielt die Energiekuppel. Die Drachen konzentrierten ihre Angriffe auf die Vorstädte. Ganze Stadtteile standen schon in Flammen, obwohl erst wenige Minuten seit dem ersten Angriff vergangen waren. Überall lagen Tote und Verletzte, schwarze, gekrümmte Körper, von den Trümmern erschlagen, von der scharfen Säure zerfressen. Kein Albtraum konnte so schrecklich sein wie diese Wirklichkeit.

Inthan warf noch einen Blick auf seine Tochter, vielleicht der letzte, der ihm in seinem Leben noch vergönnt war, dann eilte er in die Stadt hinunter, um Teravio zu suchen und zu retten, falls es noch etwas zu retten gab.

Brigida warf noch einmal einen Blick zurück zu der Stadt, die so lange ihre Heimat gewesen war, doch der dichte Qualm, der nun in den Himmel stieg, verwehrte ihr die Sicht. Die junge Frau eilte weiter. Das Kind in ihren Armen schrie und wehrte sich, doch Brigida umklammerte Mica, so fest sie konnte.

Schon von weitem sah sie das Portal am Fuß des aufragenden Vulkankegels. Mit schmerzenden Lungen folgte sie dem schmalen Tal und stieg dann die glatten Stufen zum Eingang der Höhle hinauf. Keuchend blieb sie oben stehen. Ihre Arme fühlten sich bleischwer an, und so ließ sie Mica erschöpft zu Boden sinken. Ihre Gedanken waren bei ihrem Vater und dem Gatten, die dort draußen mitten in der Hölle waren.

»Komm, Liebes«, sagte sie leise und nahm das Mädchen bei der Hand. Es folgte der Mutter in die magisch schimmernde Höhle, bis sie an einen grünen See kamen. Das Wasser lag zu ihren Füßen, glatt und glänzend wie ein Spiegel. Stufen führten hinab in die Tiefe. Brigida war mit dem Vater schon einige Male durch die Tore zu den anderen Welten gereist. So stieg sie ohne zu zögern die Treppe hinab, bis das grüne Wasser sie verschlang. Schwebend wie in einem Traum schritt sie einen Gang entlang, bis sie eine achteckige Höhle erreichte. In der Mitte des Bodens war eine klare Kristallplatte eingelassen, die abwechselnd in den verschiedenen Farben des Regenbogens schimmerte. Brigida nahm Mica auf den Arm und trat auf die gläserne Platte. Die Höhle um sie herum verschwamm, flimmernde Nebel hüllten sie ein, ihre Gedanken verlangsamten sich, bis sie völlig erstarrten, ihr Körper hörte auf zu existieren. Sie war nur noch ein Hauch, ein Gedanke in der Unendlichkeit des Universums. Dann, plötzlich wurde es um sie herum wieder klar. Benommen und noch etwas verwirrt trat Brigida mit dem Kind in die große, säulengestützte Halle, wo sie von einem grauhaarigen Elb in langen, weißen Gewändern freundlich begrüßt wurde. Brigida und ihre Tochter waren in Sicherheit.

Beißender Rauch empfing Inthan, als er die Stadt durch eine schmale Geheimtür in der Ostmauer nahe des immer noch schillernden Kraftfeldes betrat. Unweit von ihm schlugen Flammen aus mehreren Gebäuden. In der Ferne waren panische Schreie zu hören, doch hier schien das lodernde Feuer das einzig Lebendige zu sein. Unwillkürlich duckte sich der alte Magier, als ein schwarzer Drache über die Gasse hinwegfegte, doch die Echse hatte ihn nicht gesehen. Dennoch zauberte er sich eine Schutzhülle gegen die Säure der Drachen und die immer unerträglicher werdende Hitze, die ihn umgab. Der dichte schwarze Qualm nahm ihm die Sicht und reizte seine Lungen.

Mit tränenden Augen machte er sich zur Akademie auf, um Teravio zu suchen. Er musste ihn dort herausholen, bevor der Schild zusammenbrach. Vielleicht konnte er mit den anderen Magiern zusammen einen beweglichen Schirm erzeugen, unter dem die Menschen in die Berge zum Elbentor flüchten konnten.

Mit lautem Getöse krachte ein Lagerhaus in sich zusammen. Brennende Balken flogen durch die Luft, und die Funken wirbelten in den grauen Himmel. Eine schwere Säule stürzte auf Inthan herab und prallte heftig gegen seine Schutzhülle. Sie hielt zwar das Schlimmste von ihm ab, doch die Wucht war so groß, dass er zu Boden geschleudert wurde und der Länge nach auf einen verkohlten Balken fiel Mühsam rappelte er sich auf. Nein, er hatte sich nichts gebrochen. Er wollte sich gerade erheben, als sein Blick an dem verkohlten Etwas hängen blieb, auf das er gefallen war. Die glänzende Ascheschicht zeichnete die Konturen eines Gesichts mit stumpfen, blicklosen Augen nach. Sein Herz krampfte sich zusammen. Er konnte nicht einmal sagen, ob es ein Mann oder eine Frau gewesen war. Voll Entsetzen richtete er sich auf und eilte weiter. Inthan musste immer wieder über die Trümmer zusammengestürzter Häuser hinwegsteigen. Ab und zu tauchte einer der Drachen zwischen den Rauchschwaden auf und verschwand dann wieder, um an einer anderen Stelle noch mehr Leid und Zerstörung zu bringen.

Inthan erreichte unbeschadet den großen Platz, der die Wohnhäuser vom Hügel der Magie trennte, blieb jedoch zögernd im Schutz der Trümmer stehen. Nur noch vereinzelt versuchten sich die meist schwer verletzten Menschen in den Schutz der Kuppel zu retten, doch sobald sie den freien Platz betraten, schoss eine der Echsen aus den Rauchschwaden hervor und ließ Säure, heißen Dampf oder Feuer herabregnen. Voll Grauen sah der Magier, dass der einst so prächtige Platz von Toten und Sterbenden bedeckt war.

Inthan nahm all seine Kraft zusammen und konzentrierte sie auf seine Schutzhülle. Noch einmal holte er tief Luft, dann eilte er los. Der Platz schien ihm heute so riesig. Er keuchte, und seine Beine waren schwer wie Blei.

In meinem Alter sollte man nicht um sein Leben laufen müssen, dachte er bitter.

Schon bevor er sich umdrehte, spürte er, dass der Drache ihn entdeckt hatte. Der Magier blieb stehen, um sich zu konzentrieren, und schon traf ein Strahl kochenden Dampfs seine Schutzhülle, prallte an ihr ab und hüllte ihn in eine weiße Wolke. Der Magier wandte sich um. Ein Windstoß verwehte den Dampf, und da traf sein Blick den der riesenhaften goldenen Echse. Die Augen des Drachen waren stumpf und ohne Regung starr auf sein Opfer gerichtet.

»Mächtigstes aller magischen Wesen, was ist nur in Euch gefahren?«, schrie Inthan gegen das Tosen an.

Der Drache beachtete ihn nicht, flog eine elegante Schleife und näherte sich dann erneut im Sturzflug. Der Magier warf sich zu Boden, und trotz seiner Schutzhülle fühlte er die brennende Kraft der Zerstörung auf seiner Haut. Schnell erhob er sich wieder und eilte weiter. Da lag plötzlich eine Frau mit ihrem Kind in den Armen zu seinen Füßen. Inthan bückte sich zu ihr herab. Sie war tot, doch das Kind schien kaum verletzt. Der Magier hob den Knaben in seine Arme und hastete weiter. Gerade als der Drache zu seinem dritten Angriff herabgerauscht kam, erreichte Inthan die schützende Kuppel und drückte das Kind einer Priesterin in die Arme.

In der Akademie und den Versammlungssälen herrschte ein heilloses Chaos. Alle liefen und schrien durcheinander. Überall lagen Verletzte auf dem Boden, Kinder weinten, Verwundete stöhnten. Die Priester mühten sich nach allen Kräften, Linderung zu verschaffen und Wunden zu heilen. Einige Mitglieder des magischen Rates hatten sich unter der großen Kuppel versammelt und mühten sich, das Kraftfeld zu stabilisieren, andere versuchten durch starke Energieblitze die Angreifer vom Himmel zu holen. Eine rote Echse stürzte ab und schlug sterbend in den Trümmern auf, in denen schon zwei verendete schwarze Drachen lagen.

Inthan eilte in den Kuppelsaal und besprach hastig seinen Plan, die Menschen sicher in die Berge zu bringen, doch die anderen Magier lehnten ab. Sollten sie hier alles ungeschützt zurücklassen? Die wertvolle Bibliothek, die Kammern voller seltener Zaubertränke, die Keller mit den aus aller Welt gesammelten Zutaten? Sie konnten die Seele ihrer Stadt doch nicht dem Feueratem der Drachen preisgeben!

Kopfschüttelnd wandte sich Inthan ab, um Teravio zu suchen. Er lief durch die Gänge, doch keiner schien den jungen Magier gesehen zu haben. Endlich fand er einen Schüler, der ihm Auskunft geben konnte.

»Teravio ist nach Hause gelaufen, um seine Heiltränke zu holen«, rief der Junge und rannte dann weiter, um seinem Meister eine Phiole zu bringen, nach der dieser verlangt hatte.

Der alte Magier unterdrückte einen Fluch und machte sich eiligst auf den Weg. Hoffentlich war ihm nichts passiert. Das Familienanwesen der Sonterones, in dem Teravio mit seiner jungen Frau und Mica lebte, lag außerhalb des schützenden Energiefeldes, drüben am Ufer des träge dahinfließenden Flusses. Keuchend überquerte Inthan den Platz ein zweites Mal und eilte dann die eichengesäumte Allee entlang, die zum Wohnviertel der wohlhabenden Magier führte. Von den einst prächtigen Bäumen standen nur noch rauchende Stümpfe. Die meisten der üppigen Villen brannten lichterloh. Schon von weitem sah Inthan, dass auch aus dem Haus der Sonterones Flammen schlugen. Die Angst griff kalt nach seinem Herzen. Er liebte den Schüler und Gatten seiner Tochter wie einen eigenen Sohn. Entschlossen stürzte sich der alte Magier in das Flammenmeer und versuchte den erstickenden Rauch in seiner Lunge zu ignorieren, doch schon bald merkte er, wie seine Konzentration nachließ. Schweiß tropfte von seiner Stirn, sein Umhang begann zu qualmen.

»Teravio, wo bist du? Antworte mir!«, schrie er gegen das Brausen des Feuers an, doch ein Hustenanfall raubte ihm die Worte. Noch einmal versuchte er seinen Schutzschild gegen Feuer und Hitze und auch gegen den Qualm zu verstärken.

Inthan durchquerte die Halle, doch die große Treppe war von den Flammen bereits ausgezehrt und musste jeden Moment zusammenbrechen. Keinen Moment zu spät kehrte er um. Hinter ihm krachte ein Teil der Hallendecke herunter, die Treppe sackte mit einem Seufzer in sich zusammen. Inthan lief um das Gebäude herum. In der Küche fand er die Leichen der Köchin und zweier Diener, die am beißenden Qualm erstickt waren, bevor sie die Tür hatten erreichen können. Der alte Magier eilte die steinerne Hintertreppe hinauf, stieg über brennende Balken hinweg, tastete sich die Flure entlang und öffnete alle Türen, doch er konnte den jungen Mann nirgends entdecken.

Vielleicht war Teravio bereits zur Akademie zurückgekehrt, und er hatte ihn auf seinem Rückweg verpasst.

Fast wäre er über die am Boden zusammengekrümmte Gestalt gestolpert. Teravio war nicht in der Akademie! Der junge Magier lag dort und stöhnte vor Schmerz. Sein Rücken und die linke Seite waren verbrannt, die Kleider verkohlt, von seinem langen schwarzen Haar waren nur ein paar Strähnen geblieben. Inthan fiel auf die Knie und drückte den jungen Mann an sich.

»Teravio, du darfst nicht sterben, deine Frau und deine Tochter brauchen dich! Halte durch! Ich bringe dich zum Elbentor. Dort können sie dich heilen.«

Verzweifelt ließ der alte Magier seinen Blick über die schweren Verletzungen wandern. Teravio brauchte dringend einen seiner Heiltränke, um so lange durchhalten zu können. Suchend tastete er die rauchenden Lumpen ab, die einst ein teures Gewand gewesen waren. Nichts. Schnell erhob sich der Magier. Er musste sich zur Experimentierkammer durchschlagen. Dort waren sicher noch einige Phiolen mit dem neuen Trank. Seinen Ärmel auf Mund und Nase gepresst, folgte er dem Gang weiter, doch schon nach wenigen Schritten musste er aufgeben. Die Kammer stand in Flammen, und mit dem Klang von splitterndem Glas verdampften die magischen Schätze. Inthan kehrte um, beugte sich zu dem Verletzten herab und zog ihn hoch. Er war bei Bewusstsein und starrte seinen Schwiegervater an.

»Mica?«, krächzte er. »Brigida?«

»Sie sind in Sicherheit und warten im Eibenreich auf dich«, beruhigte ihn Inthan.

Langsam schüttelte Teravio den Kopf. »Es ist zu spät. Sagt ihnen, ich liebe sie.«

Obwohl der alte Magier wusste, dass er Recht hatte, verdrängte er diesen schmerzenden Gedanken.

»Nein!«, fauchte er. »Du wirst leben! Ich bringe dich zur Akademie. Dort sind genug Priester, um dich zu heilen.«

Er schob seine Arme unter den Achseln des Verletzten hindurch, verschränkte seine Hände vor dessen Brust und schleppte ihn auf die Treppe zu. Teravio schrie auf und versank dann in tiefe Ohnmacht.

»O ihr Götter«, stöhnte Inthan, als er die Hintertreppe erreichte, »gebt mir Kraft.« Er bückte sich herab und zog den Bewusstlosen über seine Schulter. Es war ihm, als müsse sein Rückgrat brechen, doch langsam richtete er sich ein Stück auf und tastete sich dann die erste Stufe hinunter. Da schoss plötzlich ein pelziger Schatten aus einer Nische und strich dem Magier maunzend um die Füße. Fast wäre Indian mit seiner schweren Last gestrauchelt, doch er lehnte sich schwer atmend an die Wand und klammerte sich mit einer Hand an dem Sims der Nische fest.

»Cleo, du Biest, hast du mich erschreckt. Komm schnell mit hinaus. Das Haus kann jeden Moment einstürzen. Ihr Katzen sollt ja neun Leben haben, doch solltest du dich nicht darauf verlassen.«

Ächzend setzte er seinen Weg fort. Stufe für Stufe, Schritt für Schritt trug er Teravio aus der Flammenhölle. Die Katze folgte ihm miauend. Endlich hatte der Magier den Hof erreicht, und nun wankte er die rauchende Allee entlang auf den großen Platz zu. Wie sollte er unter dieser Anstrengung seinen Schutzschild aufrechterhalten, fragte er sich bang. Als er aus dem Schatten der letzten rauchenden Ruine trat, blieb er schwer atmend stehen. Teravio rutschte von seiner Schulter und schlug hart auf dem Boden auf. Inthan sank auf die Knie und drückte ihn an seine Brust, doch sein Blick war auf den magischen Hügel gerichtet.

Es war eine seltsame Stille eingekehrt, die nur vom Knistern der Flammen durchbrochen wurde. Die Drachen hatten sich alle um die magische Kuppel versammelt und schwebten in einem großen Kreis über dem Hügel der Magie. Plötzlich schossen sie gemeinsam herab, und ihr Atem vereinigte sich zu einem tödlichen Sturm. Er brauste über das Kraftfeld hinweg. Weißblaue Funken sprühten auf. Die Drachen schwebten in einer langen Schleife um den Hügel und griffen dann wieder gemeinsam an. Einige Augenblicke hielt das Kraftfeld der vereinten Feuerkraft noch stand und versprühte seine Funken, doch dann brach es lautlos in sich zusammen.

Inthan verbarg das Gesicht in Teravios verbranntem Gewand. Er wollte nicht sehen, wie die Drachen über die bis vor wenigen Augenblicken noch so strahlende Domäne der Magie herfielen. Die Bibliothek ging in Flammen auf, die goldene Kuppel stürzte geschwärzt in sich zusammen. Unbarmherzig machten sich die Echsen über jedes Lebewesen her, das versuchte, dem Inferno zu entkommen. Inthan saß in der herabrieselnden Asche und weinte um all die verlorenen Seelen und um Teravio, den Schüler und Gemahl seiner Tochter, der, ohne noch einmal zu erwachen, in seinen Armen gestorben war.

Es war so unbegreiflich, dass dem Mann, der seine ganze Jugend in die Erforschung von Heiltränken gesteckt hatte, nun in seiner Todesstunde keiner helfen konnte. Doch war nicht der ganze Überfall unbegreiflich? War er vielleicht nur einer jener bösen Träume, aus denen man schweißgebadet erwacht? Die Katze strich klagend um Indians Beine.

Da entdeckte ein junger schwarzer Drache den Magier, kreischte angriffslustig auf und löste sich aus der Formation. Der Schrei riss Inthan aus seiner Lähmung. Er ließ den leblosen Körper zu Boden gleiten, drückte ihm noch einen Abschiedskuss auf die Stirn und richtete sich dann schnell auf, um den herabstürzenden Drachen mit einer Salve blauer Blitze zu empfangen. Das riesenhafte Reptil brüllte vor Wut und Schmerz und stob davon. Mit Bedauern ließ Inthan den Toten zurück, doch er hatte nicht die Kraft, ihn in die Berge zu tragen. So hob er die Katze auf und lief los. Der verletzte Drache drehte um und folgte ihm. Immer wieder musste sich der Magier unter seinen wütenden Angriffen hinwegducken. Die Säure brannte schmerzhaft auf seinem Rücken, als sein Schutzschild immer dünner wurde. Ab und zu blieb er stehen und schoss eine Salve gefiederter Pfeile ab, doch lange konnte er den Drachen damit nicht von sich fern halten. Selbst als der Magier die Stadt hinter sich gelassen hatte, blieb das Untier ihm auf den Fersen. Inthan schleppte sich weiter. Er wehrte sich nicht mehr und drehte sich auch nicht mehr um, wenn er das zornige Fauchen hinter sich vernahm. Er setzte einen Schritt vor den anderen und murmelte unablässig seine Beschwörungsformel.

Er spürte, wie sich unter seiner Haut schmerzhafte Blasen bildeten, sein Blick aber war starr auf das Felsenportal gerichtet. Er würde das Tor erreichen, das ihn in die rettende Elbenwelt bringen würde, dort wo Brigida auf ihn wartete, um die Wunden seines Körpers und seiner Seele zu pflegen und seine Qualen zu lindern.

Endlich, einer Ohnmacht nahe, taumelte er die Stufen hinauf und ließ die schwarze Echse zurück. Wohltuende Kühle und sanftes Dämmerlicht umfingen ihn. Wie in Trance stieg er in den See hinunter und folgte dann dem Gewölbe, das ihn zur Kristallplatte brachte. Heute hatte er keinen Blick für die vielen Gänge und prächtigen Gemächer, die zu beiden Seiten vom Hauptweg abzweigten. Die eine Hand suchend nach vorn gestreckt, mit der anderen die Katze an sich gepresst, wankte er auf die Plattform zu. Seine Tochter rief ihn, er konnte ihre Stimme hören.

Nur noch ein paar Schritte. Alles um ihn herum begann sich zu drehen. Seine Beine versagten ihm ihren Dienst, und der alte Magier brach bewusstlos zusammen.

Stöhnend rieb sich Inthan den Kopf und sah sich verblüfft um. Warum lag er hier auf dem felsigen Boden und nicht daheim in seinem Bett? Warum litt er solche Schmerzen? Als sein Blick über die Kristallplatte glitt, fiel ihm alles wieder ein: Xanomee war vernichtet worden! Ein Paar grüner Augen musterte ihn. Erwartungsvoll saß die graue Katze neben der magischen Steinplatte. Mühsam erhob sich der alte Magier und nahm das Tier in seinen Arm.

»Komm, meine Freundin, wir gehen zu den Elben. Dort können wir zusammen unsere Wunden lecken.«

Die Katze begann zu schnurren, als Inthan auf die Platte trat. Das Licht flackerte seltsam, und erst jetzt bemerkte der Magier den Riss, der quer durch den Kristall lief, doch er war zu erschöpft, um sich weiter Gedanken darüber zu machen. Inthan stellte sich in die Mitte der pulsierenden Platte und fühlte die vertrauten Nebel um sich herum aufsteigen. Bald würde er seinen Körper nicht mehr spüren, sein Geist würde dahingleiten, um sich auf der anderen Seite des Tores wieder mit seinem Körper zu vereinen.

Irgendetwas stimmte nicht. Die Nebel wallten auf, doch die Lichter und Farben zuckten unruhig, und plötzlich merkte Inthan, dass er sich wieder im magischen Wasser des grünen Sees befand. Verwirrt trat er aus der Grotte in die Höhle und folgte dem Gang bis zu der Halle mit der Kristallplatte. Er betrat den Stein erneut, aber auch dieses Mal fand er sich im Wasser des Sees wieder. Nach mehreren Versuchen gab er es auf. Traurig stieg er in den See, um den Rückweg in seine zerstörte Welt anzutreten.

Er schritt durch das klare Wasser, das grün über seinem Kopf schimmerte, auf die Treppe zu. Plötzlich wurde sein Körper leicht. Er fühlte sich schwerelos. Unter seinen Füßen begann es zu flimmern, Nebel wallten auf, und als er hinabsah, merkte er, dass er auf dem gesprungenen Kristall stand. Jetzt packte ihn die Furcht. Er rannte zum See und stürzte sich hinein, doch auch dieses Mal konnte er die Treppe nicht erreichen und fand sich stattdessen auf der gläsernen Platte wieder.

Das Tor war beschädigt. Zu groß waren die magischen Kräfte gewesen, die dort draußen über Xanomee getobt hatten. Das empfindliche Gebilde, das den Weg über die Astralebene zu einer anderen Welt gestattet hatte, war zerstört und hielt nun Inthan, den großen Magier, zwischen den Welten gefangen. Ein Felsenlabyrinth und ein paar Gemächer zwischen zwei magischen Schranken, die er nicht überwinden konnte ohne Hoffnung auf Befreiung, war alles, was ihm blieb. Verzweifelt sank er auf den Boden und drückte die Katze an sich. Tränen standen in seinen Augen, als er flüsternd von allem Abschied nahm, was er einmal geliebt hatte und was er nun niemals wieder sehen würde. Dann lehnte er sich an die Höhlenwand und wartete auf seinen Tod.

1 Graf Gerald von Theron

Lamina stand an die steinerne Brüstung gelehnt und beobachtete ihren Gatten, der langsam über den Hof schritt. Der Wind fiel kalt von den Silberbergen herab, deren schroffe Klippen sich im Westen der Burg erhoben. Fröstelnd zog die junge Frau ihren Umhang enger um sich und bedeckte das tiefe, perlengeschmückte Dekolleté. Unter dem samtblauen Mantel bauschte sich ihr seidiges Kleid, das in der Farbe reifer Aprikosen ihre schlanke Gestalt umschmeichelte. Ihr kupferrotes Haar hatte sie sich von ihrer Zofe zu einer kunstvollen Frisur aufstecken lassen. Das Flammenlicht der Fackeln zu beiden Seiten des Tores ließ die Facetten kleiner Edelsteine in ihrem Haar aufblitzen.

Gerald von Theron kam langsam näher und blieb dann stehen, so als wisse er plötzlich nicht mehr, wohin er hatte gehen wollen. Lamina seufzte leise. Es schmerzte sie, ihn anzusehen, wie er, verloren wie ein kleines Kind, mitten im Burghof stand, die Stirn gerunzelt, die Lippen fest zusammengepresst, und doch konnte sie ihren Blick nicht abwenden.

War das der Mann, der im Sturm ihr Herz erobert, den sie gegen den erbitterten Widerstand ihres Vaters geheiratet hatte? Mit dem sie Tage und Nächte im Rausch des überschäumenden Glücks verbracht hatte? Der starke, männliche junge Graf von Theron, dessen Lächeln sie schmelzen und dessen klingende Stimme sie vor Verlangen erschaudern ließ, der seine Ländereien und seine Bauern mit ruhiger sicherer Hand führte, vor keinem Kampf zurückschreckte und eine geschickte Klinge führte.

Das war früher gewesen, bevor sich Gerald auf so rätselhafte Weise vollkommen verändert hatte.

Mit unsicherem Schritt nahm der Graf seinen Weg wieder auf und kam auf die weit geschwungene Freitreppe zu. Lamina raffte ihren Rock und eilte ihm entgegen.

»Liebster, wo bist du gewesen? Ich habe über eine Stunde bei Tisch auf dich gewartet.« Ein leichter Vorwurf schwang in ihrer Stimme.

»Oh.« Der Graf blinzelte und lächelte sie dann unsicher an. »Ich wusste nicht, dass es schon so spät ist. Meine Liebe, ich bin untröstlich, dass ich dich warten ließ.«

»Aber Clem hat dich in deinem Gemach aufgesucht und dir gemeldet, dass das Mahl bereitet ist!«, begehrte sie auf und spürte den Unmut in ihrem Herzen brodeln.

»Ja? Ich kann mich nicht daran erinnern«, erwiderte der Graf und bot ihr den Arm. »Wir sollten hineingehen. Es ist viel zu kalt für dich hier draußen«, sagte er, doch es war eher die fehlende Wärme in seiner Stimme, die Lamina frösteln ließ. Schweigend schritten sie die Treppe hinauf und traten in die große Halle. Gerald von Theron führte seine Gattin in den Speisesaal, der von einem großen Kaminfeuer erwärmt und von einem Dutzend Kerzen erhellt wurde. Der Tisch aus glänzend poliertem Wurzelholz war reich gedeckt, doch nur einer der beiden Teller war unbenutzt. Ein Diener begann den Teller des Grafen mit den längst kalten Speisen zu füllen. Gerald von Theron blieb stehen.

»Wie ich sehe, hast du schon gespeist, meine Liebe, dann will ich dich nicht aufhalten und bitten, mir Gesellschaft zu leisten. Du musst müde sein. Clem soll dir deine Zofe schicken.«

Er küsste sie leicht auf die Stirn und wandte sich dann ab, um ein kaltes Brathuhn zu verspeisen. Lamina blieb verdattert stehen und starrte auf seinen Rücken, doch er schien seine Gemahlin bereits vergessen zu haben.

Die Gräfin trat zu ihrem Gatten und legte ihm die Hand auf den Arm. Gerald von Theron ließ das Hühnerbein, das er gerade zum Mund führen wollte, sinken.

»Kommst du später noch in mein Gemach?« Ihre Stimme nahm einen schmeichelnden Klang an. »Wie viel gemütlicher sind diese kühlen Nächte, wenn man sie in weichen, warmen Armen zubringen kann.«

Gerald von Theron sah sie nicht an. »Sicher, meine Liebe, sicher«, sagte er teilnahmslos und biss ein Stück des kalten weißen Fleischs ab. Lamina drehte sich um und eilte hinaus. Er sollte ihre Tränen nicht sehen.

Wahrscheinlich würde er meine Tränen nicht einmal bemerken, wenn ich mit rot geweinten Augen direkt vor ihm stünde, dachte sie bitter, als sie mit gerafften Röcken die Treppe hochstieg und dann dem nur spärlich erleuchteten Gang in den Westflügel folgte.

Sie ließ sich von Veronique entkleiden und schlüpfte dann in ein langes, seidig schimmerndes Nachtgewand. Nachdenklich betrachtete sie ihr Spiegelbild, während das Mädchen ihr das lange rote Haar auskämmte. Große, fast schwarze Augen, von langen Wimpern gerahmt, sahen ihr entgegen, aus einem blassen, schmalen Gesicht mit vollen roten Lippen.

Es ist meine Schuld, dass ich ihn verloren habe, dachte sie, und wieder stiegen Tränen in ihr auf. Erst Cervin und dann Gerald. Ach, wäre das alles nur nicht passiert. Doch niemand konnte die Zeit zurückdrehen, niemand die Toten wieder lebendig machen, nicht einmal die großen Magier. Und niemand konnte eine verlorene Liebe zurückbringen.

Lange lag sie wach in ihrem Bett und lauschte den verklingenden Lauten der Burg, doch keine Schritte näherten sich ihrem Gemach. Kein Gatte kam, um das Lager mit ihr zu teilen. Der Mond stieg hoch und sank wieder herab. Seine silbernen Strahlen streichelten ihre Wangen, als Lamina plötzlich hochschreckte. War es ein Geräusch oder eine böse Ahnung, die ihre Nackenhaare sich sträuben ließen? Ohne darüber nachzudenken, sprang die junge Frau aus ihrem Bett und streifte sich ihren Umhang über. Barfuß trat sie ans Fenster und schob die Vorhänge beiseite. Der Mond tauchte den Burghof in sein fahles Licht und enthüllte zwei gedrungene Gestalten, die an der Mauer entlang zum Wirtschaftsgebäude hinüberhuschten. Dort trat ihnen eine schlanke, schwarzhaarige Frau entgegen. Lamina konnte die Schneide einer Kriegsaxt aufblitzen sehen. Die Frau sprach einige Augenblicke mit den beiden, dann öffnete sie die Tür, die zu den Kellergewölben hinunterführte. Die beiden Gestalten verschwanden in der Schwärze der Öffnung, dann schloss die Frau die Tür hinter ihnen wieder. Sie sah sich aufmerksam im Hof um. Ihr Blick wanderte die Mauern hinauf und blieb an einem offenen Fenster im Westflügel hängen. Die junge Gräfin trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Mykina konnte sie unmöglich gesehen haben, beruhigte sie sich, und doch fühlte sie sich von einem scharfen Blick durchbohrt. Wie schon so oft fragte sie sich, ob die unheimliche Frau wirklich das war, was sie zu sein vorgab: eine Schülerin der Magie, die bei Graf Therons Hofmagier Lahryn dienen und lernen wollte.

Was geht hier vor sich?, fragte sich Lamina beunruhigt. Sie zögerte einen Moment, doch dann eilte sie aus ihrem Zimmer, folgte dem düsteren Gang und klopfte an die Tür von Geralds Gemach. Nichts rührte sich. Sie klopfte noch einmal und trat dann ein. Lamina durchquerte den Vorraum und trat ins Schlafgemach ihres Gatten. Nichts deutete darauf hin, dass er es in dieser Nacht schon einmal betreten hatte. Sein Bett war unberührt, das Nachtgewand lag sauber gefaltet auf dem Kopfkissen. Lamina erstarrte. Sie spürte, wie die Angst nach ihr griff. Hatte sie, als Gerald von seiner langen Reise endlich zurückkehrte, noch gedacht, die schlimmste Zeit wäre vorüber, so fühlte sie plötzlich, dass die Stürme des vergangenen Jahres erst die Vorhut gewesen waren. Ein düsterer Schatten legte sich über die Burg, kroch in alle Ritzen und Herzen, doch sie konnte dem Schrecken keinen Namen geben, konnte das Böse um sich herum nicht greifen.

Ein Geräusch hinter ihr ließ sie herumfahren. In Reithosen und Stiefeln, den Mantel noch über der Schulter, stand der Graf im Schlafzimmer und betrachtete Lamina stirnrunzelnd.

»Warum bist du nicht in deinem Bett? Du solltest zu dieser Zeit schlafen«, sagte er barsch.

Da brach es aus ihr heraus. Was sie wochenlang mühsam in sich vergraben hatte, flutete in einem Strom hervor und ergoss sich über den Grafen.

»Sag mir, warum habe ich deine Liebe verloren? Gibst du mir die Schuld? Auch ich trauere um unseren Sohn, mehr als du dir vorstellen kannst! Musst du mich auch noch mit deiner Verachtung strafen?«

Etwas wie Erstaunen huschte über die Züge des Grafen. Zögernd legte er die Arme um sie und zog Lamina an seine Brust. Behutsam streichelte er ihren Rücken. »Niemand gibt dir die Schuld an einem tragischen Unfall. Gräme dich doch nicht so sehr.«

Mit tränennassem Blick sah sie zu ihm hoch.

»Was dann hat mir deine Liebe geraubt? Was ist in diesem Jahr geschehen, als du in der Ferne weiltest? Sag es mir, denn ich kann mit deiner Gleichgültigkeit nicht mehr weiterleben. Es ist, als habe ich für dich nie existiert.«

Die Lippen ihres Mannes zuckten, und er schwieg lange, ehe er antwortete.

»Es ist nicht deine Schuld«, sagte er noch einmal. »In dieser Welt geschehen Dinge, die größer sind als unser Verstand. Sie nehmen keine Rücksicht auf einen armseligen Menschen und seine kleinen Gefühle. Ich kann es dir nicht erklären. Ich kann nur hoffen, dass du mir irgendwann vergibst.«

Sie sah fragend zu ihm hoch, und plötzlich flackerte wieder der vertraute Glanz in seinen Augen auf. Er beugte sich herab und küsste sie auf den Mund, erst zögernd und dann immer stürmischer. Der Mantel fiel zu Boden, das Nachtgewand folgte. In heißer Leidenschaft eng umschlungen, fielen sie in die weichen Kissen. Lamina vergaß ihre Angst, vergaß die Einsamkeit und die Leere der vergangenen Monate, und als sie in einen seligen Traum hinüberglitt, war sie sich sicher, dass nun das Glück zu ihr zurückkehren würde.

Als die junge Gräfin am späten Morgen erwachte, war Gerald verschwunden. Sie suchte ihn in der ganzen Burg, sie fragte alle Bediensteten, doch niemand hatte den Grafen gesehen. Was die ersten Stunden Erstaunen war, wurde am Abend Besorgnis und in der folgenden Nacht kalte Angst. Die Tage vergingen, doch Gerald von Theron blieb verschwunden. Eine Woche wachte und wartete Lamina vergeblich, dann packte sie zwei Bündel, ließ die Pferde für sich, ihre Zofe und einen der Wächter satteln und reiste nach Fenon, um sich Rat beim alten Advokaten des Grafen zu holen.

2 Die Abenteurer

Thunin warf der Elbe wieder einmal finstere Blicke zu, doch Ibis schien dies nicht zu bemerken. Leicht federnd und mit hoch erhobenem Haupt schritt die zierlich gebaute Elbe der Gruppe voran. Sie hatte langes, grünlich schimmerndes Haar, spitze Ohren und große, dunkelgrüne Augen, die sehr unschuldig dreinblicken konnten. Brummend stapfte der Zwerg hinter ihr her.

»Kein Respekt vor dem Alter«, maulte er. »Dieses unverschämte Spitzohr!«

Thunin zankte so oft mit der Elbe, dass keiner der Gefährten die Streitereien mehr ernst nahm. Vlaros legte dem stämmigen Zwerg, der ihm kaum bis zur Brust reichte, beschwichtigend die Hand auf die Schulter.

»Nimm ihre Sticheleien doch nicht so ernst. Sie ist noch ein halbes Kind und hat, soweit ich es weiß, keine gute Erziehung genossen.«

Thunin schnaubte nur durch die Nase. »Du hast ja Recht«, seufzte er und pickte sich ein paar alte Krümel aus seinem Bart, der ihm in einer braunen Krause bis auf die Brust hing. Das lange Haupthaar, in dem sich die ersten Silberfäden zeigten, hatte er sich zu zwei Zöpfen geflochten. Das dunkelbraune Haar des jungen Magiers dagegen war sauber gestutzt, Kinn und Wangen frisch rasiert. Vlaros trat einen Schritt zur Seite. Er fürchtete, der Zwerg könne sein weißes Gewand beschmutzen. Das ungepflegte Haardickicht war ihm ein wenig unheimlich, denn es sah aus, als würde sich das Ungeziefer förmlich darum reißen, darin seine Wohnstatt einzurichten. Wie um diese Vermutung zu bestätigen, kratzte sich Thunin ausgiebig am Kinn.

Mit etwas Abstand folgten ihnen Rolana und Cay. Rolana war eine junge, schlanke Frau von vierundzwanzig Jahren, mit üppigen schwarzen Locken und lebhaften, dunkelbraunen Augen. Die lange Reise hatte ihre vornehme Blässe in eine gesunde Sonnenbräune verwandelt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte sie die Klostermauern hinter sich gelassen, die seit ihrer Jugend ihre Heimat waren. Rolana hatte ihr Leben dem Mondgott Soma gewidmet und lebte mit seinen Priesterinnen im Kloster über dem Adasee, doch Solano, der heilige alte Mann hatte gemeint, nun sei es für sie an der Zeit, draußen in der Natur ihrem Gott und den Menschen zu dienen, und so hatte sie zwei ältere Mönche auf ihrer Reise vom Adasee nach Fenon begleitet. Auf ihrem Weg durch grüne Täler und über weite, ausgedehnte Steppen hatte sie viel Muße, die anderen Reisenden der Gruppe kennen zu lernen: die beiden Brüder ihres Ordens, den betagten Magier, der mit seinem Schüler Vlaros nach Fenon wollte, die vorlaute Elbe, die auch nach dem anstrengendsten Ritt durch eisigen Regen noch eine freche Bemerkung auf der Zunge hatte, und den brummigen Zwerg, der die Spuren des Weges zu lesen verstand und dem sie als Führer der Gruppe bald ihr Vertrauen geschenkt hatte. Ja, und dann war da noch Cay, ein junger Schwertkämpfer, kaum ein Jahr älter als sie, der sich zum Schutz der Reisenden hatte anheuern lassen.

Rolanas Blick schweifte über den hochgewachsenen, breitschultrigen Mann an ihrer Seite, dessen gut trainierte Muskeln man unter seinem braunen Lederhemd erahnen konnte. Sein widerspenstiges Haar war von unscheinbar graubrauner Farbe, und da es sich offensichtlich dagegen sträubte, zu einer Frisur gebürstet zu werden, trug er es kurz geschnitten, so dass es ihm wild nach allen Seiten vom Kopf abstand. Cay hatte ein sanftes, offenes Lächeln und strahlend blaue Augen, mit denen er vertrauensvoll die Welt betrachtete. In diesem Moment jedoch sah er eher verwirrt drein, als er versuchte, Rolanas Ausführungen über Priester und die Magie zu folgen. Vom Feuer der Begeisterung getragen und heftig gestikulierend, sprach sie auf den jungen Mann ein.

»Es ist überaus wichtig, dass sich die Priester unseres Ordens mit den Akademien der Magie austauschen. Denke nur an die Krankenheilung. Jeder verfolgt seinen eigenen Weg, das Ziel jedoch ist das gleiche. Wie viel wirksamer kann man vorgehen, wenn man die göttlichen Kräfte mit den magischen vereint, Cay – Cay? Hörst du mir überhaupt zu?«

Mit träumerischem Blick ging der Kämpfer neben ihr her. Er sah ihr Haar sich im Wind wiegen, hörte ihre warme Stimme, die begeistert von Soma und der Magie sprach, doch wie konnte er sich auf solch komplizierte Themen konzentrieren, wenn diese wundervolle Frau mit der fast zerbrechlich wirkenden schmalen Taille neben ihm herging?

»Cay?«

Er errötete. »Ja, also den Schluss habe ich nicht mehr so ganz mitbekommen, aber du hast sicher Recht, und ich …« Unter ihrem vorwurfsvollen Blick brach er verlegen ab.

Schweigend gingen sie weiter. Cays schon etwas angerostetes Schwert klirrte bei jedem Schritt leise. Sanft fuhr er mit der Hand über den glatten kühlen Griff. Ein beruhigendes Gefühl ging von dem kalten Stahl aus. Er seufzte leise. Mit dem Schwert in der Hand zwischen einem Haufen Strauchdieben fühlte er sich sicherer als bei einem Gespräch mit Rolana. Doch hier in der Stadt würde er kaum eine Gelegenheit bekommen, sie mit seiner Fechtkunst zu beeindrucken. Er konnte es gar nicht glauben, dass erst drei Wochen vergangen waren, seit er sie zum ersten Mal erblickt hatte. Auch mit der flinken Elbe und dem knurrigen Zwerg hatte er schnell Freundschaft geschlossen. Er genoss es, nachdem sie die älteren Teilnehmer der Reisegruppe sicher an ihr Ziel geleitet hatten, an diesem herrlichen Morgen mit den Gefährten gemeinsam die kleine Hafenstadt Fenon zu erkunden.

Die Reisegruppe schlenderte über den Markt. Vlaros und Rolana blieben an den Ständen mit seltenen Kräutern und weit gereisten, seltsamen Pulvern stehen. Cay jedoch interessierte sich eher für die Metzgerstände mit ihren saftigen Würsten und geräucherten Schinken. Ibis stibitzte sich eine Hand voll Dörrpflaumen und kaute genüsslich vor sich ihn, während sie kritisch die verschiedenen Besucher des Markts musterte.

Nachdem schließlich einige Kräutersäckchen und Münzen in entgegengesetzten Richtungen über den Tisch gewandert waren, konnten sich Vlaros und Rolana von den Auslagen der Krämer losreißen und folgten den anderen zum Laden des weithin berühmten Waffenhändlers Terfu. Neugierig betraten sie die große Diele, in deren Halbdunkel der kalte Stahl von unterschiedlichen Klingen glänzte. Ibis’ Augen funkelten vor Begeisterung, und auch Cay und Thunin schlenderten interessiert an den Ständern mit Schwertern, Säbeln und Degen entlang und strichen prüfend über die eine oder andere Klinge. Hände reibend kam der ehemalige Schmied Terfu auf seine Kunden zu. Sein Lächeln fiel überschwänglich freundlich aus, denn er witterte ein gutes Geschäft. Er ging auf Cay zu, sah ihn einige Augenblicke mit zusammengekniffenen Augen an und eilte dann davon, um genau das richtige Schwert für ihn zu holen.

Terfu war ein breitschultriger Zwerg aus dem Silbergebirge, der sich im Schurz des Schmiedes wohler fühlte als in den Gewändern eines Händlers. So trug er das Hemd offen und hatte die schmutzigen Hosen hochgekrempelt. Seine haarigen Füße steckten in ausgetretenen Lederpantoffeln.

Terfu kam zurückgewuselt und reichte Cay ein prächtiges Schwert. Es lag fantastisch in der Hand, die Balance war perfekt, seine Klinge schimmerte makellos. Mit glänzenden Augen ließ Cay es durch die Luft zischen, gab es Terfu jedoch bedauernd zurück, als der den Preis für die herrliche Waffe nannte.

»Wir werden für den jungen Herrn schon das Richtige finden«, sagte er und bemühte sich, seine Enttäuschung zu verbergen. Behutsam nahm er das Schwert wieder in Empfang. Er führte Cay und Thunin zu einem Ständer mit einfachen, doch solide gearbeiteten Waffen. Ibis griff sich ein paar Wurfmesser und ließ sie quer durch den Laden wirbeln. Erschreckt zuckte Rolana zusammen, als die Dolche in den schwarzen Kreis in der Mitte einer hölzernen Scheibe fuhren, die kaum einen Schritt neben ihr an der Wand hing.

Eine Glocke erklang, als ein weiterer Kunde den Laden betrat. Vlaros, der gelangweilt inmitten des Kriegswerkzeugs stand, betrachtete den Fremden neugierig. Der Mann war etwa fünfzig Jahre alt, und der unter seinem langen Gewand sich wölbende Bauch zeigte deutlich, dass er keinen Hunger litt. Sein Umhang war aus edlem Barchent, und das graue Haar zierte ein Samtbarett mit einer langen Adlerfeder. Nicht nur seine Kleidung, auch die stolze Haltung zeugte von Ansehen und Wohlstand. Terfu ging ihm entgegen und zog ihn in eine düstere Ecke. Die beiden flüsterten miteinander und warfen den Freunden bedeutungsvolle Blicke zu. Als der Fremde Vlaros’ Blick auf sich ruhen spürte, verabschiedete er sich rasch und eilte hinaus.

Terfu wandte sich wieder Thunin und Cay zu.

»Nun, habt Ihr Euch entschieden?«, fragte er. Thunin hielt ihm ein Schwert mit langer Klinge und einem schmucklosen Griff entgegen.

»Eine gute Wahl«, meinte der Waffenhändler, »und für nur siebzehn Goldstücke ist es Eures.«

Mit betrübter Miene nahm Cay die Waffe, um sie in den Ständer zurückzustellen. Obwohl er das vergangene Jahr über sehr sparsam gelebt und für die Begleitung der Reisegruppe nach Fenon einige Münzen bekommen hatte, waren nicht mehr als ein Dutzend Goldstücke in seinem Beutel.

»Siebzehn?«, knurrte der Zwerg und hielt Cay am Arm fest. »Ihr seid heute wohl zu Scherzen aufgelegt, Meister Terfu? Ich bin weit herumgekommen, und ich sage Euch auf den Kopf zu, es ist nicht mehr als zehn Goldstücke wert.«

Der Händler machte ein beleidigtes Gesicht. »Es ist wunderbar ausgewogen und liegt leicht in der Hand. Mit dieser Klinge könnt Ihr ein Blatt Pergament spalten.« Er zögerte kurz. »Nun gut, fünfzehn, weil Ihr neu in der Stadt seid und wir Fremde hier gern willkommen heißen.«

Thunin schob das Schwert mit einer verächtlichen Miene in den Ständer zurück. »Dann sollten ich und meine Freunde heute und in Zukunft unsere Waffen wohl doch wieder in Ehniport besorgen.«

»Vierzehn, das ist ein wirklich guter Preis.«

Für zwölf Goldstücke wechselte das Schwert schließlich den Besitzer. Ibis erstand für eine Hand voll Silber zwei schlanke Wurfdolche, die sie sich in ihre Stiefel steckte. Den dritten, der auf wundersame Weise einen Weg in ihren Beutel gefunden hatte, nahm ihr Thunin mit finsterer Miene ab und legte ihn unbemerkt wieder an seinen Platz. Schmollend verschränkte Ibis die Arme vor der Brust.

»Wie wäre es denn mit diesem prächtigen Hammer für Euch?«, fragte Terfu und legte Thunin einen silberbeschlagenen Kriegshammer von beträchtlichem Gewicht in die Hände. Cay bewunderte ihn mit weit aufgerissenen Augen, doch Thunin gab ihn dem Händler zurück.

»Nein, nein, ich bin mit dem Mädchen an meiner Seite ganz zufrieden und würde es niemals gegen solch einen modischen Schnickschnack eintauschen.« Fast liebevoll strich er über den schartigen Griff seiner zweischneidigen Kriegsaxt, die immer an seinem Gürtel hing.

Endlich standen die Gefährten wieder auf dem Marktplatz. Es war schon weit nach Mittag, und da die Sonne heiß vom wolkenlosen Himmel schien und der Staub in den trockenen Kehlen brannte, beschlossen sie, sich im Grünen Drachen, in dem sie sich für die Nacht eingemietet hatten, ein kühles Bier zu genehmigen.

Sie waren noch nicht weit gekommen, als Ibis Cay in den Arm kniff.

»Wir werden verfolgt«, murmelte sie und warf unter ihren langen schwarzen Wimpern einen prüfenden Blick den Weg zurück, den sie gekommen waren.

»Bist du sicher?«, erwiderte Cay ungläubig. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand für uns interessiert. Uns sieht man doch schon von weitem an, dass es da nichts zu holen gibt.«

»Wenn ich es dir doch sage!« Der Tonfall der Elbe war drängend.

Auch Thunin hatte ihre Worte vernommen und ließ sich nun unauffällig ein wenig zurückfallen.

»Wie viele sind es denn?«, raunte er.

Ibis hob den Zeigefinger.

»Gut«, sagte Thunin nickend. »Dann werden wir dem Kerl mal auf den Zahn fühlen.«

Er zweifelte nicht einen Augenblick an Ibis’ Worten. Obwohl er nur selten mit ihr einer Meinung war, wusste er doch, dass man sich auf ihre Augen und ihr scharfes Gehör verlassen konnte.

Als sie um die nächste Ecke bogen, gab der Zwerg Cay einen Wink. Die beiden drückten sich in die Schatten der schmalen Gasse, während die anderen scheinbar sorglos schwatzend weitergingen. Angewidert rümpfte Thunin seine große, meist leuchtend rote Nase, als ihm der scharfe Geruch von Fäulnis und Dung entgegenschlug. Durch einen beherzten Sprung zur Seite rettete er sich knapp vor dem Inhalt eines Nachttopfs, der aus einem Dachfenster des heruntergekommenen Gebäudes geleert wurde.

»Ich hasse Städte«, knurrte er.

Von ihren Schritten aufgescheucht, huschte eine Ratte aus dem Unrathaufen vor ihnen, der noch von einer Unmenge Fliegen und weitaus lichtscheuerem Getier bewohnt wurde. Lautlos erhob sich ein riesiger, getigerter Kater von seinem Beobachtungsposten auf einem niederen Fensterbrett und nahm dann die Spur des Nagers auf.

Die beiden Freunde mussten nicht lange in ihrem ungemütlichen Versteck warten. Nur wenige Augenblicke später lugte eine Gestalt vorsichtig um die Ecke und nahm dann, dicht an die Hauswand gedrängt, wieder die Verfolgung auf. Doch da stand plötzlich Cay hinter ihm und legte dem Fremden seine Pranken um den Hals. Vor ihm tauchte Thunin auf, stellte sich mit grimmiger Miene breitbeinig mitten auf den Weg und wog abschätzend die Axt in seinen Händen. War das nicht der vornehme Kerl, den sie bei Terfu gesehen hatten? Erstaunt hob Thunin die Augenbrauen. Er sah die panische Angst in den Augen des Gefangenen. Das würde ihnen die Sache erleichtern, die Wahrheit aus ihm herauszuholen. Grob schleifte Cay den Mann hinter sich her, bis sie die anderen erreichten, die hinter einer verfallenen Scheune warteten. Jetzt erst ließ Cay sein Opfer los. Der Mann rappelte sich auf und rieb sich den schmerzenden Hals, auf dem recht deutlich die Abdrücke von Cays Händen zu sehen waren. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder zu Atem kam. Thunin musterte ihn feindselig.

»Warum folgt Ihr uns?«, fragte er scharf und hielt schon wieder drohend die Axt in den Händen. »Ist das in dieser Stadt so üblich, friedlichen Reisenden hinterherzuspionieren? Feine Sitten habt Ihr hier.«

»Verzeiht«, sagte der Mann mit rauer Stimme und hustete. Mit gequälter Miene massierte er sich den schmerzenden Hals. »Ich sollte mich vorstellen. Mojewsky ist mein Name, Cewell Mojewsky.« Er deutete eine Verbeugung an, ohne die gefährliche Axt aus den Augen zu lassen. Dann straffte er den Rücken und fuhr mit kräftigerer Stimme fort. »Ich bin auf der Suche nach ein paar mutigen Abenteurern, die einen kleinen Auftrag für mich ausführen. Ihr seid mir bei Terfu gleich aufgefallen, und daher machte ich mich auf, Euer Domizil hier in der Stadt zu erfahren, um Euch mein Angebot zu unterbreiten.«

Mit jedem Wort wurde seine Stimme sicherer, seine Haltung stolzer. Offensichtlich hatte er sein inneres Gleichgewicht wieder gefunden. Rolana stemmte die Hände in die Hüften und trat einen Schritt näher. Misstrauisch ließ sie den Blick über den Vornehmen wandern.

»Worum geht es denn bei Eurem Angebot?«, fragte sie, denn sie konnte sich nicht denken, was dem Edlen an dem bunt zusammengewürfelten Haufen als Empfehlung für einen Auftrag aufgefallen sein konnte.

»Das besprechen wir am besten bei einem reichlichen Mahl auf meinem Gut vor der Stadt«, antwortete Cewell glatt und ließ den Blick wohlgefällig über die junge Frau gleiten.

Rolana schürzte unwillig die Lippen, doch Cay strich sich über seinen immer hungrigen Magen und nickte, und auch Ibis und Thunin schienen nichts gegen den Vorschlag einzuwenden zu haben. Ein Lächeln huschte über die sauber rasierten Wangen des Kaufmanns. Er strich sein Gewand glatt und winkte den Gefährten, ihm zu folgen.

Sie nahmen Mojewsky in ihre Mitte und schritten mit ihm zum Osttor, wo sie in einem Mietstall ihre Pferde untergestellt hatten. Auch das Tier des Kaufmanns stand hier in einer eigenen Box, ein feuriger Rappe, der sicher einen prallen Beutel Goldstücke wert war. Sobald sie die Katen und halb verfallenen Hütten der armen Bauern, die sich vor der Stadtmauer angesiedelt hatten, hinter sich gelassen hatten, gab Cewell seinem Pferd die Sporen. Wie ein Pfeil flog es davon, so dass nicht einmal Rolanas Fuchsstute mit ihm Schritt halten konnte. Auf der nächsten Anhöhe zügelte er den edlen Rappen, um auf die Gefährten zu warten und ihnen die Gelegenheit zu geben, einen bewundernden Blick auf sein Anwesen und die Ländereien zu werfen.

Als Thunin sie endlich eingeholt hatte, ritten sie langsam den grasigen Hügel hinunter, der sanft bis zum Strand hin abfiel. Das Meer zu ihren Füßen war glatt und glänzte in der Junisonne. Nur die kleinen Boote der Fischer unterbrachen das schimmernde Blau. Bald erreichten sie den Eichenhain, in dem sich, um einen quadratischen Hof angeordnet, Haus und Lagerscheunen des reichen Kaufmanns erhoben.

Weit im Süden schien die gleiche Junisonne durch die bunten Scheiben der in Spitzbogen zulaufenden Fenster in einen großen Raum. Ein dürrer Mann mit einem scharfkantigen Gesicht, einer vorstehenden Adlernase und stechenden schwarzen Augen schritt unruhig über die roten Steinfliesen. Die weiten, mit goldenen Runen bestickten Gewänder schlotterten um seinen Körper. Die Lippen waren mürrisch zusammengepresst.