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Sie sind Freunde seit Kindertagen und bereits im Studium erfolgreiche Musiker. Doch als auf Helgoland ein Mord geschieht, ist ihre Bandkarriere schlagartig vorbei. Jahrzehnte später beschäftigen zwei tote Wachleute die Kölner Kripo. Stammen die Täter aus der Drogenszene? Aber was hat dann ein geplanter Kunstraub im Wallraf-Richartz-Museum damit zu tun? Kriminalhauptkommissar Max Harmsen hat alles im Griff, so scheint es. Bis er seinen alten Widersachern begegnet.
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Seitenzahl: 367
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Autoreninfo
Winrich C.-W. Clasen, Jahrgang 1955, schreibt unter dem Pseudonym Paul Schaffrath seit 2011 Kriminalromane. Nach einem Studium der Romanistik, Evangelischen Theologie und Kunstgeschichte in Bonn arbeitet er als Verleger in Rheinbach. Die Drei Könige ist sein zweiter Roman.
Haupttitel
Paul Schaffrath
Köln-Krimi
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015 by CMZ-VerlagAn der Glasfachschule 48, 53359 RheinbachTel. 02226-9126-26, Fax 02226-9126-27, [email protected]
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagfoto (Dom und Musical Dome, Köln):Dirk Quardt, Iserlohn
Umschlaggestaltung:Lina C. Schwerin, Hamburg
eBook-Erstellung:rübiarts, Reiskirchen
ISBN 978-3-87062-167-4 (Paperback)ISBN 978-3-87062-191-9 (eBook epub)ISBN 978-3-87062-196-4 (eBook kindle)
20161105
www.cmz.de
Motto
I can strip you of lifeStrip you of breathShip you downTo the house of death
Bob Dylan
Autoreninfo
Haupttitel
Impressum
Motto
Donnerstag, 12. März 2015: Köln, St. Aposteln
Samstag, 14. März 2015: Köln, Rheinauhafen
Mittwoch, 5. Februar 1964: Köln, St. Gereon
Montag, 16. März 2015: Köln, Polizeipräsidium
Samstag, 14. März 2015: Köln, Schanzenstraße
Montag, 16. März 2015: Köln, Polizeipräsidium
Donnerstag, 15. Juni 1967: Köln, Gereonsdriesch
Sonntag, 15. März 2015: Köln, Dom / Volksgarten
Montag, 16. März 2015: Köln, Polizeipräsidium / Bonn, Altstadt
Dienstag, 4. September 1979: Köln, St. Severin
Montag, 16. März 2015: Köln, Volksgarten
Sonntag, 15. März 2015: Köln, Dom / Wallraf-Richartz-Museum
Freitag, 6. November 1981: Köln, St. Severin
Montag, 16. März 2015: Bonn, Altstadt / Köln, Volksgarten
Mittwoch, 15. Mai 1985: Bonn, Universität
Sonntag, 15. März 2015: Köln, Rheinauhafen / Keule
Freitag, 7. August 1987: Helgoland
Montag, 16. März 2015: Bonn, Altstadt / Köln, Polizeipräsidium
Samstag, 8. August 1987: Helgoland
Montag, 16. März 2015: Köln, Schanzenstraße / Rheinauhafen
Samstag, 8. August 1987: Helgoland
Montag, 16. März 2015: Köln, Wallraf-Richartz-Museum / Rheinwiesen
Mittwoch, 23. Mai 1990: Hannoversch Münden
Montag, 16. März 2015: Köln, Schanzenstraße / Rheinauhafen
Dienstag, 24. Oktober 1995: Köln-Meschenich, Am Kölnberg
Montag, 16. März 2015: Köln, Päffgen
Montag, 16. März 2015: Köln, Rheinauhafen
Freitag, 7. Mai 1999: Hamburg, Övelgönne
Dienstag, 17. März 2015: Köln, Polizeipräsidium / Wallraf-Richartz-Museum
Dienstag, 17. März 2015: Köln, Schanzenstraße / Rheinau-Hafen
Freitag, 25. Mai 1990: Helgoland
Mittwoch, 18. März 2015: Köln, Polizeipräsidium / Schanzenstraße
Mittwoch, 18. März 2015: Köln, Rheinauhafen / Hahnwaldweg
Mittwoch, 18. März 2015: Köln, Leipziger Platz
Mittwoch, 18. März 2015: Köln, Rheinauhafen / Bonn, Heerstraße / Köln, Polizeipräsidium
Freitag, 7. August 1987: Helgoland
Donnerstag, 19. März 2015: Köln, Dom / Polizeipräsidium
Donnerstag, 19. März 2015: Bonn, Altstadt
Donnerstag, 19. März 2015: Köln, Rheinauhafen
Donnerstag, 19. März 2015: Bonn, Altstadt / Köln, Polizeipräsidium
Donnerstag, 19. März 2015: Köln, Rheinauhafen / Polizeipräsidium
Freitag, 7. August 1987: Helgoland
Freitag, 20. März 2015: Köln, Polizeipräsidium / Rheinauhafen
Freitag, 20. März 2015: Köln, Altstadt / Rheinauhafen
Freitag, 20. März 2015: Köln, Polizeipräsidium / Innenstadt
Freitag, 20. März 2015: Köln, Dom
Freitag, 7. August 1987: Helgoland
Freitag, 20. März 2015: Köln, Wallraf-Richartz-Museum
Samstag, 21. März 2015: Köln, Päffgen
Danksagung
Wie viele Schattierungen doch Grau haben konnte! Fünfzig? Patrick Schwartz betrachtete die Häuserfassaden, die wenigen Sträucher, einen Stromkasten und zwei tagsüber wahrscheinlich anthrazitfarbene Autos, die jetzt im Dunkeln fast gleich aussahen. Dann ging er weiter. Nach wenigen Metern bog er auf den Neumarkt ein. Er war müde; sein Dienst im Wallraf-Richartz-Museum hatte wieder länger gedauert. Hinterher hatte er mit den Kollegen noch im Café des Museums gesessen, weil eine der beiden Kellnerinnen in ihren Geburtstag hineinfeiern wollte.
Er sah sich um. Hatte er Schritte gehört? Seine Armbanduhr zeigte 01:35 Uhr, und selbst die Nachtschwärmer hatten mitten in der Woche das heimatliche Bett aufgesucht. Er beschleunigte seinen Gang etwas. Morgen hatte er frei und konnte endlich wieder ausschlafen.
Eigentlich machte ihm sein Dienst Spaß. Er hatte vor zwei Jahren bei einer Kölner Wach- und Schließgesellschaft, einem alten Familienunternehmen, eine Stelle als »Museumsbeamter« erhalten, wie seine Kollegen das nannten, weil man sich selten bewegen mußte und den ganzen Tag seinen Gedanken nachhängen konnte. Ab und zu mußte man uneinsichtige Besucher ermahnen, etwas vom jeweiligen Gemälde zurückzutreten; das war aber auch alles.
Die Arbeitsstelle war ideal für ihn; er war immer ein Einzelgänger gewesen, las viel und gerne, hörte ein bißchen die Musik seiner noch nicht allzulange zurückliegenden Jugend und traf sich nur selten mit seinen Kollegen. In seinem Leben hatte er verschiedene Tätigkeiten ausprobiert, war Kellner gewesen (zu hektisch), hatte als U-Bahn-Fahrer gearbeitet (kein Tageslicht), hatte für den Kölner Stadt-Anzeiger geschrieben (nur Vereinsjubiläen) und war schließlich durch einen entfernten Bekannten auf den »Sicherheitssektor« unter den ihm möglichen Berufen aufmerksam gemacht worden. Seine Arbeit gefiel ihm. Zu seiner Ausbildung hatte Sport gehört, dazu kamen ein Schieß- und ein Kampftraining, Schlüsseldienstkenntnisse und einiges andere mehr, bei dem er wenig reden mußte. Außerdem hatte er ausreichend Zeit für eine kleine Nebentätigkeit. Er freute sich auf Sonntag, ein wichtiger Tag für eine kleine, wie er es nannte, Einnahme.
Hinter ihm hustete jemand.
Er drehte sich um. Niemand war zu sehen.
Er ging schneller.
Als er den Chor von St. Aposteln erreichte, trat aus dem Schatten der beiden Bäume eine dunkle Gestalt. Gleichzeitig packte ihn von hinten jemand an der Schulter. Er versuchte, einen der Judogriffe anzusetzen, die er vor längerer Zeit gelernt hatte, kam aber gegen die beiden Männer nicht an. Der hinter ihm Stehende drehte seine Arme auf den Rücken, was ziemlich schmerzhaft war; der Vordere trat ihn in den Bauch.
Er krümmte sich vor Schmerzen. Dann erhielt er einen Schlag auf den Kopf und verlor das Bewußtsein.
Das Messer, das direkt in sein Herz fuhr, spürte er nicht mehr.
Ingolf Campen langweilte sich. Er hatte nichts zu tun. Er stand auf und ging zum Fenster seiner zweihundert Quadratmeter großen Eigentumswohnung im Kranhaus Nord am Kölner Rheinauhafen. Die Wohnung lag im elften Stock, und der Blick war schon atemberaubend, obwohl er von der anderen Rheinseite auf die drei Kranhäuser sicher besser war. Den Kaufpreis im Jahre 2008 von sechstausend Euro pro Quadratmeter hatte er aus der Portokasse bezahlt. Die Wohnung war schnell eingerichtet gewesen: Möbel und Bücherregale vom Antiquitätenhändler, die Küche von zeyko, das Bad auf dem modernsten technischen Stand. Extravaganzen wie in Limburg auf dem Domplateau hatte er allerdings vermieden.
Sein Lieblingsraum war ein eigentlich für Gäste vorgesehenes kleines Zimmer von fünfunddreißig Quadratmetern. Hier stand seine gesamte Technik: vier große Monitore, diverse Computer, Notebooks, ein Gerät zum Abhören des Polizeifunks, eine komplizierte Telefonanlage und zwei große Flachbildschirme, einer davon ein gekrümmter Samsung-Fernseher.
An der Querwand war ein großer Stadtplan von Köln befestigt, in dem an verschiedenen Stellen bunte Pins steckten. Daneben war eine große Korkwand angebracht, an der die unterschiedlichsten Papiere hingen: Fotografien, Briefe, Fahrscheine. Fast sah es wie im Major Incident Room in den englischen Krimiserien aus.
In der Ecke befand sich ein großes Regal, das mit säuberlich beschrifteten Aktenordnern gefüllt war. Ein halbhohes Bord daneben enthielt eine moderne Ausgabe von Meyers Konversationslexikon und die vollständige Encyclopædia Britannica. Oben auf dem Regal stand eine Karaffe mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit und einem Glasstöpsel. Daneben waren vier Whiskygläser sorgfältig im Viereck arrangiert.
Campen blickte gedankenverloren auf den Fluß. Eigentlich ging es ihm gut. Er war reich, hatte erfolgreiche Jahre, einige davon in den Vereinigten Staaten, als Softwareentwickler hinter sich, in denen er Großes geleistet hatte – was seine Finanzen anging.
Und immer wieder hatte er anonym der Polizei geholfen, zuletzt in der Angelegenheit des Millionärsehepaars Schwerte, das vor zwanzig Jahren aus seiner Wohnung am Hahnwald spurlos verschwunden war. Eine Zeitlang hatte die Tochter als Hauptverdächtige gegolten, aber das hatte Campen mit einer Bewegungsanalyse des Onkels des Mädchens und einer lückenlosen Auflistung aller seiner Unternehmungen in einer bestimmten Woche entkräften können. Der Onkel saß jetzt wegen Mordes ein und war bestimmt ziemlich wütend, daß Campen ihm auf die Schliche gekommen war. Und die Kripo wußte nicht, wem sie die Lösung auch dieses Verbrechens zu verdanken hatte.
Aber richtig interessiert hatte ihn keiner »seiner« Fälle. Etwas nagte an Campen. Er fühlte sich zu wenig gefordert, intellektuell unterbeansprucht, nicht seinen Geistesgaben entsprechend eingesetzt – auch wenn er sich selbst die jeweilige Angelegenheit zuteilte.
Schon immer hatten ihn die Grauzonen der Halbwelt interessiert. Manches Mal hatte er sie betreten, aber immer wieder rechtzeitig verlassen, um nicht erwischt zu werden. Oft hatte er sie zu seinem Vorteil ausgenutzt. Ob Leute dabei auf der Strecke blieben, hatte ihn nie interessiert, solange er etwas für sich bewegen konnte und sein jeweiliges Ziel erreichte. War er ein Egoist? Wahrscheinlich nicht, wenn er an Zeitgenossen wie die Amazon- und Google-Gründer dachte. Konnte man ihn als eitel bezeichnen? Er ging zum Flurspiegel und sah hinein. Nein, höchstens als bemerkenswert sorgfältig und gut gekleidet. Als intelligent? Bestimmt; ein Test seines Intelligenzquotienten während der Studienzeit hatte als Wert 143 erbracht, genug, um in der Mensa damit angeben zu können. Aber das alles war jetzt unwichtig.
Campen seufzte. Er war einundfünfzig Jahre alt, und er mußte überlegen, was er mit seinem Leben noch anfangen wollte.
Sollte er das Heft selbst in die Hand nehmen? Aber wollte er seine, die gesetzestreue Welt der Langweiler ganz verlassen? Vielleicht ging ja beides: nach außen anständig bleiben, nach innen den Schurken herauskehren. Oder umgekehrt. Er grinste sein schiefes, dämonisches Grinsen, wie es in einem anderen Leben mal ein Klavierspieler genannt hatte.
Plötzlich wußte er, was er zu tun hatte. Entschlossenen Schritts ging er in den Technikraum, den er seine »Leitstelle« getauft hatte. Er schwang sich in den großen schwarzen Ledersessel, fuhr den Hauptcomputer hoch und schaltete die Bildschirme ein. Die beiden linken Monitore zeigten das gewohnte Windows-Bild; auf den beiden rechten war ein Film zu sehen. Jedenfalls würde das ein unverhoffter Besucher annehmen, dachte Campen. Ein Schelm, wer Böses dabei dachte. Er wußte genau, was zu sehen war: die Kreuzung der Aachener Straße mit dem Melatengürtel aus zwei Blickrichtungen, einmal vor der Ampel in der Aachener Straße stadtauswärts, einmal vor der Ampel des Melatengürtels nach Süden.
Campen grinste befriedigt. Wozu Computerkenntnisse doch gut waren. Es war nicht schwer gewesen, sich in den städtischen Verkehrsrechner hineinzuhacken. Er konnte – wie in der Verkehrsleitstelle selbst – das Bild jeder jeweils gewünschten Kamera aufrufen. Was aber noch viel besser war: er konnte auch auf die Ampeln zugreifen und ihre Schaltung ändern. Einmal hatte er das nachts um drei ausprobiert, um niemanden zu gefährden, und sich gewundert, wie leicht das gegangen war.
Ein Test im wirklichen Leben stand allerdings noch aus.
Campen zögerte.
Wenn er jetzt die Enter-Taste betätigte, überschritt er eine unsichtbare Linie. Eine Linie, die die Grenze von Licht und Dunkelheit markierte. Eine Linie, die sein Leben ändern, es endlich richtig aufregend machen würde. Eine Linie, die seine bisher nur halb genutzten Fähigkeiten von ihrem vollständigen Einsatz trennte. Eine Linie, von der seine Mutter sicher gedacht hätte, daß er sie entweder nicht kenne oder sich nie getraute, sie zu überqueren. Seine vorherigen Betrachtungen zum gesetzestreuen Bürger dagegen hätte sie gut geheißen – wobei, obrigkeitshörig war sie nie gewesen, dem Staat nicht und schon gar nicht der Kirche gegenüber.
Campen sah auf die Bildschirme. Die Ampel an der Aachener Straße zeigte Rot. Er senkte den Finger.
»Verdammt, was ist denn jetzt wieder los?« brüllte der Leiter der Verkehrsleitzentrale. Hektisch drückte er verschiedene Tasten auf seinem Keyboard, fummelte mit dem Mauszeiger auf einem Windows-Fenster herum, das nicht reagierte, und fluchte hemmungslos weiter.
Sein Stellvertreter trat neben ihn. »Klappt etwas nicht?«
»Siehst du doch. Mach doch deine Augen auf ! Der Rechner hängt – nichts geht mehr.« Er deutete auf den Großbildschirm, auf dem eigentlich im Minutenabstand die Bilder wechseln sollten.
Das Bild war nicht eingefroren, denn sonst wäre der weiter fließende Verkehr nicht mehr zu beobachten gewesen. Aber die Kameras wechselten nicht mehr. Statt dessen war nur noch die Kreuzung Aachener Straße / Melatengürtel zu sehen.
Alle vier Ampeln hatten Grün.
Campen beobachtete fasziniert, wie die Ampel an der Aachener Straße auf Grün umsprang.
Ein gelber Porsche Boxster gab Gas und vertraute augenscheinlich der Technik. Aus dem Melatengürtel kam von rechts ein dunkler Mercedes Kombi, der ein gut zu funktionierendes Gaspedal zu haben schien. Beide Autos touchierten sich mit Schmackes, wie ein Bewohner von Nippes es wohl formulieren würde. Der Porsche drehte sich um die eigene Achse – waren Porsches leichter als Mercedesse? Campen wußte es nicht. Das gelbe Fahrzeug blieb entgegengesetzt zur Fahrtrichtung stehen. Der Fahrer stieg aus und näherte sich dem Mercedesfahrer, der schon vor seinem Auto stand und sich den Schaden besah. Beide Herren fingen an zu gestikulieren.
Campen grinste.
Der Leiter der Verkehrszentrale hatte den Telefonhörer am Ohr. »Nun fahrt doch endlich los! Mit Blaulicht und so!«
»Du könntest etwas freundlicher zu den Kollegen in der Bereitschaft sein. Schließlich arbeiten wir zusammen«, sagte sein Stellvertreter. Seinen Chef als Choleriker zu bezeichnen, hatte er immer als etwas untertrieben empfunden. Er verfolgte das Geschehen auf dem Bildschirm.
Von links näherte sich ein ups-Lieferwagen der Unfallstelle, die er in einem großen Bogen umfahren wollte. Schließlich zeigte auch die Ampel auf seiner Straße Grün. Leider stieß er mit einem grünen Kleinwagen zusammen, dessen Fahrerin sich ebenfalls im Recht gewähnt hatte.
Fünf Minuten später war die Kreuzung dicht.
Campen schaltete das Verkehrsbild auf die Stolkgasse in der Nähe des Hauptbahnhofs um und verfolgte, wie gleich drei Polizeiwagen mit hoher Geschwindigkeit die Polizeiinspektion 1 verließen. Früher hätte man Polizeiwache gesagt, dachte er; aber wahrscheinlich änderte eine Kommission im Innenministerium alle zwei Jahre auch diese Bezeichnungen.
Die Einsatzwagen brausten davon. Bestimmt benötigten sie zehn Minuten für die viereinhalb Kilometer bis zur Unfallstelle, überlegte er – Zeit genug, daß der städtische Verkehr zumindest im Westen der Großstadt ziemlich lahmgelegt wurde.
Das war ja alles ganz nett, dachte Campen, aber weder schwierig, noch aufregend gewesen. Beim Schachspiel wußte man wenigstens nicht vorher, wie es ausgehen würde, wobei … Er verlor sich in seinen Gedanken an die vielen Schachturniere, die er gewonnen hatte. Aber spannender hatte er immer Go gefunden, das chinesische Brettspiel, bei dem es nur um Strategie ging und es fast immer einen eindeutigen Gewinner gab. Leider hatte er in Köln bislang keinen ebenbürtigen Spieler auftreiben können. Im Studium war das noch anders gewesen. Zu viert hatten sie gegeneinander gespielt, wobei Nummer Vier meist verloren und irgendwann genug gehabt hatte.
Konzentrier dich, sagte sich Campen. Wenn er sein Leben wirklich von Grund auf umkrempeln wollte, mußte er planvoll vorgehen. Verkehrsunfälle bewußt herbeizuführen, war eigentlich auch langweilig. Irgendwas Großes mußte es schon sein.
Ein Banküberfall? Pfft, das konnte jeder Jogginghosenträger mit einem schnellen Motorrad.
Eine Geiselnahme, um Lösegeld zu verlangen? Genauso dämlich. Außerdem besaß er genug Geld. Darum ging es eben nicht, um noch mehr Geld. Die Banker, die es horteten, würden wahrscheinlich irgendwann an ihrem Geld ersticken.
Erpressung? Um vielleicht ein politisches Erdbeben auszulösen? Aber dann würde nur eine Pappnase durch eine andere ersetzt werden. Die Parteien waren inzwischen ja alle gleich, bis auf ein paar wackere Sozis, einige vernünftige Konservative, mit denen man noch reden könnte, und ein paar Grüne, mit denen man …
Campen grinste. Ihm fiel das wunderbare Lied Jrön des kölschen Barden Gert Köster ein, das einige seiner Lieblingstextzeilen enthielt: »En Kinder Punk Band spillt en dr Waldorf Schull / 40 db de Wäng sin Mahagoni / De Texte sin vun dr Schulleiterin.« Die Grünen konnten mit ihrer Penetranz manchmal schon ihre Umgebung verpesten. Aber schlimmer waren noch die Veganer. Ihre etwas einseitige Weltanschauung hielt Campen für eine Epidemie, die in Berlin ihren Ursprung hatte. Man wußte immer sofort, wann ein Veganer vorhanden war – er würde es einem schon sagen.
Zurück zum Wesentlichen, dachte er. Was sollte er tatsächlich tun? Irgendwie fand das ganze Leben unter seinem Niveau statt, wie der große Dichter Hildebrandt gesagt hatte.
Plötzlich hatte er eine Idee.
Campen war wie elektrisiert. Das war es, das würde ihn unsterblich machen; zumindest die erste Zeit danach würde man mindestens in Deutschland von ihm reden.
Gertrud Mannes stand vor St. Gereon und fror. Die Frühmesse war gerade vorbei, die wenigen Besucher waren gegangen, und sie hoffte, Pater Hubert noch kurz sprechen zu können. Sie trat neben das Baumaterial, das für die Wiederherstellung der im Krieg beschädigten Taufkapelle bereitlag, und wartete. Von irgendwoher kam der Geruch nach verbranntem Holz – wahrscheinlich fehlte immer noch das Geld für Kohle oder Öl, und jemand verheizte seinen Gartenschuppen. Es fing wieder an zu regnen. Gertrud zog den alten Mantel ihrer Tante enger um sich und sah an sich hinunter. Ihr Bauch war nicht zu übersehen. Wie sie die Bemerkungen ihrer Tante haßte. »Wer ist es denn gewesen? In deinem Alter! Was deine armen Eltern dazu sagen würden! Schämst du dich nicht!« Und noch mehr Sätze mit Ausrufezeichen.
Sie seufzte. Ihre Eltern waren kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner in Köln beim Einsturz ihres Hauses umgekommen. Ihre Tante hatte sie aufgenommen und als Gegenleistung die Mitarbeit in der von ihr betriebenen Wäscherei verlangt. Der Hinweis auf ihr Alter war ungerecht. Fünfunddreißig war sie im letzten Sommer geworden. Und hatte den Mann ihres Lebens getroffen.
Die Kirchentür schlug zu. Gertrud blickte auf und sah den hochgewachsenen jungen Priester auf sich zukommen.
»Ich habe dir doch gesagt, nicht hier! Wenn uns die Leute sehen!« zischte Pater Hubert. Er duftete nach Eau de Cologne. Eigentlich hatte sie das immer gemocht; heute störte es sie. War er etwa eitel? Durften Priester Parfum benutzen?
»Dann sagst du, du stehst nur einer armen jungen Frau bei, die kurz vor Ostern ihr erstes Kind erwartet.« Gertrud lächelte ihn an.
»Ja, ausgerechnet von mir.« Pater Hubert war aufgebracht.
»Du hast versprochen, daß du zu mir hältst.«
»Das hast du völlig falsch verstanden. Wie stellst du dir das überhaupt vor?«
Gertrud fing an zu weinen.
»Ich kann doch nicht meinen Beruf aufgeben. Wovon soll ich denn dann leben?« Der Pater gab ihr sein weißes Taschentuch.
Gertrud betrachtete die langen schmalen Finger des Geistlichen. Schreibtischarbeit und Reden, das war das einzige, was für ihn in Frage kam. »Wir könnten wegziehen, und du könntest als Lehrer arbeiten.«
Pater Hubert schüttelte den Kopf. »Ohne meine Kirche …« Er drehte sich um und blickte auf die romanische Basilika, die ihm in den letzten beiden Jahren zur neuen Heimat geworden war. Er war in Mainz zum Priester geweiht worden, mußte aber die Stadt nach der Sache mit der kleinen Verkäuferin … Er lächelte.
»Siehst du, das würde dir gefallen«, sagte Gertrud. »Wir könnten uns in Süddeutschland – du wolltest doch immer nach Süden, oder? – erst einmal eine Wohnung suchen und dann …«
»Laß die Träumereien. Ich bleibe hier. Und überhaupt, wer sagt denn, daß das Kind wirklich von mir stammt?«
Gertrud sah ihn ungläubig an. »Das ist jetzt doch nicht dein Ernst.« Sie schluckte. »Wenn das so ist – vielleicht interessieren sich auch deine Vorgesetzten für das Kind.« Sie ließ den Pater stehen. Auf dem Weg zur Wäscherei weinte sie bitterlich.
Max Harmsen betrat den Erweiterungsbau des Polizeipräsidiums am Walter-Pauli-Ring in Köln-Kalk. Inzwischen hatte er sich an seinen neuen Arbeitsplatz gewöhnt. Nach seiner Ausbildung in Hannoversch Münden hatte er lange Jahre in Hamburg, Oldenburg und Münster verbracht und sich dann vor drei Jahren auf die ausgeschriebene Stelle als Kriminalhauptkommissar in Köln beworben.
Köln war für ein Nordlicht wie ihn schon etwas Spezielles. Wie in anderen großen Städten war es wichtig, auf welcher Seite des entsprechenden Flusses man auf die Welt gekommen war oder auf welcher Seite des Flusses man arbeitete. Erwähnte er, daß er auf der Schääl Sick in Köln sein Geld verdiente, also auf dem rechten Rheinufer, zogen die echten Kölner schon mal eine Augenbraue hoch und sagten: »Wenn et nit anders jeht …«
In Hamburg war das allerdings ähnlich gewesen. Zählen tat nur das Hamburg nördlich der Elbe, wo die wirklichen Hanseaten residierten, die natürlich nie zugeben würden, daß sie hochnäsig waren. Für sie begann nämlich südlich der Elbe Bayern.
Ein Problem war der kölsche Klüngel, der für jemanden wie ihn, der in Lübeck geboren und darauf auch ein bißchen stolz war, nicht rätselhaft, aber zumindest unverständlich blieb. Wieso bekamen immer die Bekannten und guten Freunde die Posten, egal ob im Karnevalsverein, in der Stadtverwaltung oder in der Politik? Das funktionierte allerdings stets so verschwiegen, daß das Anrüchige daran höchstens bis in die nächste Straße reichte. Immer mal wieder versuchte jemand, das System zu ändern; meistens gelang das erst nach Unglücksfällen wie dem Einsturz des Stadtarchivs vor sechs Jahren. Da waren »Köpfe gerollt«, wie der Express es betitelt hatte. Die Ursache des Einsturzes hatte man jedoch noch immer nicht herausgefunden. Und die Leute ohne Rückgrat saßen wieder da, wo sie vor dem Unglück auch schon gesessen hatten.
Aber wahrscheinlich war das mit dem Klüngel in seinen bisherigen Städten nicht anders. In Hamburg s-prach man nicht darüber; in Münster war ohnehin klar, daß der örtliche Geldadel das Leben bestimmte; in München erörterte man alles stillschweigend bei einer Maß Bier.
Max seufzte. Die Sonne schien, kein großer Fall war aktuell zu bearbeiten, und er sinnierte über das Leben im allgemeinen und in Köln im besonderen. Er schüttelte den Kopf, was den Pförtner irritierte, der seinen Gruß abbrach und wieder zu seiner Tageszeitung griff. »Pleitegeier über der Akropolis« hieß die Schlagzeile auf der heutigen Titelseite.
Sein Büro lag im ersten Stockwerk, leider nicht im obersten, das das »Penthouse« genannt wurde, weil es etwas von der Fassade gesehen zurückgebaut worden war. Ein Glasdurchgang verband den fünften Stock mit dem Nachbargebäude. Die schöne Aussicht begann allerdings erst hinter dem S-Bahn-Damm: man konnte nämlich bis zur Rheinbrücke und zum Dom sehen.
Als er seine Bürotür aufstoßen wollte, hörte er die Stimme seines Chefs hinter sich.
»Schon jehört?«
Walter Pankow kam aus Berlin, was man ihm auch nach zwanzig Jahren in Köln immer noch anmerkte. Ähnlich wie der Kardinal, der 1989 von der Spree an den Rhein gekommen und bis 2014 geblieben war, war er nicht sonderlich beliebt; man schätzte ihn aber wegen seiner sachlichen Art und seiner vielen Ermittlungserfolge.
»Was denn?« Max hatte sich in Hamburg diesbezüglich wohler gefühlt; einen Flurfunk hielt er für überflüssig. Montagmorgens leitete Pankows Frage meistens einen Monolog über a) die Spielergebnisse der Bundesliga, b) eine seiner Meinung nach wichtige Fernsehserie vom Sonntag oder c) ein neuentdecktes Restaurant ein. Er drehte sich um und versuchte, gespannt auszusehen.
»St. Aposteln?«
Seit wann interessierte sich sein Chef denn für die Kirchenszene?
»Neben dem linken Chorturm?«
Hieß das so?
»Mit einer Plane abgedeckt?«
Max schüttelte den Kopf.
»Etwas vom Adenauer-Denkmal entfernt?«
Jetzt war Max mit den Rätselfragen überfordert.
Sein Chef schien es nicht eilig zu haben und wollte zu einer weiteren Frage ansetzen. Max kam ihm aber zuvor; Musterschüler sollten sich manchmal auch am Unterricht beteiligen, dachte er und fragte: »Kunsthistorisch? Kulinarisch? Oder kriminalistisch?«
Pankow sah ihn verständnislos an. »Wie jetzt?«
»Ihre neue Geschichte«, sagte Max. »Ich nehme an, daß es sich um eine solche handelt, oder?«
»Ach so«, sagte Pankow. »Nein, das ist dienstlich.«
»Ich hatte die vergangene Woche frei. Und jetzt war ich gerade auf dem Weg in mein Büro, um nachzusehen, ob etwas Wichtiges …«
»Das ist unwichtig. Das hier ist jetzt wichtig. Wir haben einen Toten.« Pankow berichtete vom Fund einer männlichen Leiche neben dem Chor von St. Aposteln, die dort wohl schon mehrere Tage gelegen hatte. Sie war mit einer Kfz-Abdeckplane zugedeckt worden, die zu einem Pkw in der Apostelnstraße gehörte, der wiederum gegenüber dem Gloria abgestellt worden war. Die Nummernschilder fehlten. »Das hatte aber nichts mit der Leiche zu tun. Der Besitzer war wohl nur zu faul, das bereits abgemeldete Auto zum Schrottplatz zu bringen.« Er machte eine Pause.
»Dä Schrottmann hätt jesaat«, summte Max leise eine Zeile von Gert Köster. Kölsche Leeder hatten doch etwas, selbst für einen Imi wie ihn.
Pankow runzelte die Stirn, ging aber nicht darauf ein. »Jedenfalls wissen wir, um wen es sich handelt. Der Tote hatte noch alle Papiere und seine Geldbörse bei sich. Patrick Schwartz war Angestellter bei einer Sicherheitsfirma.«
»Worin bestand denn seine Arbeit?«
»Wissen wir noch nicht. Ayşen ist dorthin unterwegs. Dann wissen wir in Kürze alles, was es dort zu erfahren gibt. Sie ist einfach immer gut.«
Daß Pankow seine junge türkische Kollegin sehr schätzte, war bekannt; daß da aber mehr war, glaubte Max nicht. »Und was machen die anderen?«
»Wollrath erstellt gerade die Akte; Kellner und Niederdorf besuchen die Anwohner.«
Anwohner ist gut, dachte Max. Die Penner um die Kirche, sorry: die Obdachlosen zu befragen, hatte in seinen Augen noch nie etwas gebracht. Die »Anwohner«, das waren zum größten Teil Geschäftsleute um den Heumarkt und in den angrenzenden Straßen. Und wer wirklich dort wohnte, waren einige Familien, viele Studenten und die seit Kriegszeiten Hinzugezogenen. Echte Kölner, wenn man darunter die in der dritten Generation in Köln Geborenen verstand, waren sicher nur wenige. Er bezweifelte, daß irgend jemand etwas Aussagekräftiges auszusagen hatte. »Wann war das denn?« fragte er.
Pankow sah auf seine Armbanduhr. »Gegen halb neun. Wieso?«
»Nein, wann ist die Leiche denn verstorben, äh …« Irgendwie war Max doch noch nicht ausgeschlafen. Er hatte gestern abend mit einem alten Freund getafelt, und es war ziemlich spät geworden.
Pankow lachte. »Mein Deutschlehrer hätte seinen ganz spitzen Rotstift gezückt …«
»Meiner hat immer seinen Füller und rote Tinte genommen«, sagte Max.
»Jedenfalls wissen wir, daß die Stadtreinigung, die am Donnerstagmittag vorbeikam, nichts Auffälliges festgestellt hat. Das Ganze muß also später passiert sein.«
»Und wer hat die Leiche gefunden?«
»Der Hausmeister von St. Aposteln.«
Hieß der Hausmeister eines Gotteshauses nicht Küster? Max war sich nicht sicher. Oder waren Küster nur evangelisch? Und was machte der Hausmeister vor dem Haus, respektive der Kirche, wenn er doch Meister im Haus …
Pankow fuhr unbeirrt fort: »Er hat aber auch nichts Auffälliges festgestellt.«
Das war jetzt wieder Polizeisprech, dachte Max, Verlautbarungsprosa. Aber sein Chef hätte beim zweiten Mal wenigstens ein Synonym verwenden können – »nichts Besonderes« zum Beispiel oder »nichts«, »gar nichts«, »überhaupt nichts« oder …
»Passen Sie überhaupt auf ?«
Max zuckte zusammen. »Gewiß doch. Woher wissen Sie denn, daß die ganze Angelegenheit das KK 11 betrifft?«
»Todesermittlungen sind doch unsere Sache. Außerdem steckte das Messer noch.«
Hermann-Josef Schwaadt war sauer, richtig sauer. »Kaltstellen, habe ich gesagt, nicht kaltmachen. Und was macht ihr? Nehmt ein Messer.« Er schüttelte den Kopf. »Ich versteh’ es einfach nicht. Muß man alles dreimal sagen? Zum Mitschreiben? Seid ihr komplett bescheuert?« Er beugte sich in seinem schwarzen Ledersessel nach vorne und nahm einen weiteren Zigarillo aus der Packung auf seinem Schreibtisch. Sein Büro lag in einem der alten Backsteingebäude auf einem der vielen Hinterhöfe der Schanzenstraße in Mülheim.
Ihm gegenüber saßen zwei Männer unterschiedlichen Alters. Der Jüngere der beiden trug eine neue blaue Jeans und eine schwarze Lederjacke. Der andere hatte einen etwas älteren grauen Anzug an. Der Hemdkragen stand offen; eine Krawatte hätte den Eindruck auch nicht wesentlich verbessert. Schäbig war das richtige Wort, dachte Schwaadt. Aber das war ja auch beabsichtigt. Unauffälligkeit war das oberste Gebot, jetzt noch mehr. »Was habt ihr mir zu sagen?«
»Kaltstellen, kaltmachen – Deutsch ist schwierig. Tut uns leid, Chef«, sagte der Jüngere mit einem leichten französischen Akzent.
»Mir auch, Chef«, sagte der Ältere in härterem Deutsch. »Ich dachte immer, nur Getränke kann man kaltstellen?«
Er stammte wohl aus dem ehemaligen Jugoslawien, hatte Schwaadt aber nie verraten, ob er jetzt Serbe oder Kroate war. Schwaadt dachte an die Bonner Mensa zu seiner Studentenzeit – Serbisches Reisfleisch stand heutzutage bestimmt nicht mehr auf der Speisekarte. Damals war das ein kulinarisches Highlight gewesen. »Und nun?«
Der Franzose zuckte die Schultern. »Fremdenlegion?«
Schwaadt lachte. »Gute Idee, aber das lösen wir anders.« Er sah den Osteuropäer an. »Irgendwelche Vorschläge?«
»Australien?«
Schwaadt lachte erneut. »Auch gut, wäre mir aber zu sonnig da, mit zuviel UV-Strahlen und so.« Er überlegte. »Hat euch jemand gesehen?«
»Ich glaube nicht«, sagte der Jüngere. »Es war ja schon spät.«
»Okay. Trotzdem verschwindet ihr jetzt erst einmal für einige Zeit von der Bildfläche. Es gibt doch da diese Möbeltransporte bis nach Makedonien und in die Türkei und da …«
»Arbeiten?« Der Franzose sah entgeistert aus.
»Möbel transportieren?« Sein Nachbar sekundierte ihm.
»Ich könnte unseren Freunden von der Trachtengruppe auch einen kleinen Hinweis geben.« Er schwieg und sah beide an.
Der Jüngere blickte sofort zur Seite, der Ältere erwiderte seinen Blick, sah dann aber auch weg. »Keine Polizei!« sagten beide gleichzeitig.
»Knast. Lebenslänglich. Wollt ihr das?«
Da das eine rhetorische Frage war, schüttelten die beiden auch nicht den Kopf.
»Was ist denn mit unserem Geld?« Das war der Franzose.
»Genau«, sagte der Ältere.
»Ihr bekommt die abgemachten zweitausend Euro pro Nase.«
»Dreitausend«, sagte der Jüngere.
»Die Preise haben sich seit gestern abend geändert. Zweitausend oder …« Schwaadt ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen.
»Bon, dann aber sofort.«
Der Ältere nickte zustimmend.
Schwaadt zog die Schublade seines Schreibtisches auf und holte ein Bündel Geldscheine heraus. Er zählte zwei Stapel ab und schob sie über die Tischplatte. Den Rest legte er zurück, wobei ihn der Franzose aufmerksam beobachtete.
»Wie heißt die Möbelfirma?« fragte der Ältere.
»Vatter und Söhne, wißt ihr doch. Eine kleine Tarnfirma, falls man mal etwas zu versenden hat.« Schwaadt konnte ziemlich schmutzig lächeln.
»Und wann geht’s los?« fragte der Franzose.
»Morgen früh um acht«, sagte Schwaadt.
»Am Sonntag?« Der Franzose verzog das Gesicht.
»Wolltest du vorher noch in den Dom? Die Heilige Messe ist um sieben Uhr«, sagte Schwaadt.
Woher weiß er das schon wieder, dachte der Franzose. Aber er kannte seinen Chef, für den er schon mehrere Aufträge durchgeführt hatte – Drecksarbeede hatte das mal einer seiner Kumpel aus der Südstadt genannt. Schwaadt war eigentlich immer über alles informiert.
Der Franzose stand auf. »Au revoir, Chef.«
Sein Kollege erhob sich ebenfalls. »Do swidanja«, sagte er.
Schwaadt war irritiert. War der Serbokroate jetzt doch ein Russe oder wie? »Maat et joot«, sagte er. Er wartete, bis die beiden die Tür zu seinem Büro verlassen hatten.
Daß der eine Trottel das Messer hatte stecken lassen, war natürlich besonders blöd. Andererseits stammte das Messer von Opinel und war damit in jeder drittklassigen Messerschleiferei und bei Amazon käuflich zu erwerben. Er hoffte nur, daß keine DNA am Stiel klebte.
Okay, wie sollte er jetzt vorgehen? Sein erstes Ziel auf dem Weg zu seinem aktuellen Vorhaben hatte er jedenfalls erreicht: in der Sicherheitsfirma war nun eine Stelle frei.
Schwaadt rieb sich die Hände und grinste.
»Und was habe ich jetzt mit dem Fall zu tun?« Max sah seinen Chef fragend an.
»Sie übernehmen die Ermittlungen. Nach einer freien Woche sind Sie ja wieder ausgeschlafen. Ziehen Sie Thelen hinzu. Sie haben doch schon mal zusammengearbeitet?«
»Habe ich. Sehr gut sogar.« Vor seinem inneren Auge sah Max seinen Kollegen Sebastian Thelen, ein Urkölner, der akzentfrei hochdeutsch und kölsch wie ein Eingeborener schwaade konnte. Er hatte bislang zweimal mit ihm ermittelt; beide Male war ihm die ruhige Sachlichkeit des jungen Mannes wohltuend aufgefallen. Thelen war Jahrgang 1980 und hatte es sein ganzes Leben erfolgreich vermeiden können, »Basti« gerufen zu werden. Er bestand auf seinem vollständigen Vornamen.
»Okay. Dann holen Sie sich noch fünf weitere Kollegen dazu. Eine kleine Mordkommission muß reichen. Sie wissen doch, die Rocker …«
Max erinnerte sich, Neues aus der Türsteherszene in der Zeitung überflogen zu haben. Meistens bedeutete das, daß wegen der »bekloppten Kuttenträger«, wie der Express das nannte, diverse Kollegen von anderen Fällen abgezogen wurden. »Wer war denn am Tatort?«
»Hochrath und Merzbach. Die sind jetzt aber beim KK 27.«
Bandenkriminalität und Stelleneinsparungen bei der Kripo konnten zusammen nicht funktionieren, dachte Max. Dabei beschäftigten sich mit KK 25 und 26 schon zwei Dezernate mit den Rockern.
»Gibt es was Schriftliches?«
»Liegt auf Ihrem Schreibtisch«, sagte Pankow, nickte Max zu und verschwand in seinem Zimmer.
Max stieß die Tür zu seinem Büro auf und setzte sich in seinen Schreibtischstuhl. Der Korb mit der Eingangspost quoll über, was auch kein Wunder nach einer Woche Abwesenheit war. Auf der Schreibtischunterlage lag eine dünne Akte, mit »Patrick Schwartz« beschriftet. Max schlug sie auf und überflog die beiden darin liegenden Blätter.
Der Tote war 26 Jahre alt, besaß die deutsche Staatsbürgerschaft und hatte zuletzt bei einer Wach- und Schließgesellschaft gearbeitet. Alle Papiere trug er bei sich. Die Fotos aus der Brieftasche zeigten keine Familie; nur auf einem unscharfen Schnappschuss war eine junge Frau zu sehen, die an einem Tresen stand und lächelte.
Max überlegte. Seine Kollegin Ayşen würde sicher in Kürze mehr von Schwartz’ Arbeit wissen. Thelen und er mußten sich dann wohl um die Familie kümmern. Wo wohnte nochmal der Tote? Max ertappte sich dabei, wie er innerlich den Rotstift zückte.
Adolfstraße 152, 53111 Bonn las er. Nachdem er seinen Rechner hochgefahren hatte, rief er den Bonner Stadtplan auf. Die Adolfstraße lag in der Nordstadt, der von den Bonnern fälschlicherweise so genannten Altstadt, nicht weit entfernt vom Verteilerkreis, von dem aus man schnell zur Autobahn und nach Köln gelangte. Vielleicht war dem Toten Köln zu laut gewesen und er hatte sich für das beschaulichere Bonn entschieden? Wobei ja jetzt der Friedhof für genug Ruhe reichte.
Max griff zum Telefonhörer, nachdem er Thelens Nummer herausgesucht hatte. »Harmsen hier. Pankow sagte, ich solle Sie zum aktuellen Fall dazubitten. – Hat er Ihnen schon gesagt? – Okay, dann bis gleich.«
Wenig später steckte Thelen seinen Kopf zur Tür herein.
Max sah ein freundliches Gesicht mit einem Dreitagebart und blonden Haaren, die in einen kleinen Pferdeschwanz gedreht waren. »Herzlich willkommen!« sagte er.
Thelen kam ins Zimmer und setzte sich auf einen der beiden Besucherstühle neben dem Schreibtisch. »Fahren wir nach Bonn?« Anscheinend hatte auch er die Akte gelesen.
»Haben Sie eine bessere Idee?«
»Nein, außerdem kenne ich ein kleines Lokal, in dem wir vielleicht zu Mittag essen können.«
»Das Angenehme mit dem Nützlichen … Können wir aber gerne machen.« Max stand auf, stellte sein Festnetz- auf sein tragbares Diensttelefon um und ging mit seinem Kollegen nach unten zum Parkplatz.
Draußen wurden sie fast von Ayşen umgerannt, die ins Gebäude stürmen wollte. »Habt ihr schon gehört?« rief sie.
Es war heiß. Der frühe Sommer hatte hohe Temperaturen und die übliche Schwüle in die Stadt gebracht. Gertrud saß auf der Parkbank am Gereonsdriesch und sah ihrem Sohn beim Spielen mit seinem Ball auf dem Rasen zu. Seine neue kurze Lederhose mit Trägern hatte schon die üblichen grünen Grasflecken, die man aber mit Wasser wieder beseitigen konnte. Bei diesem Wetter hatte sie auf Strümpfe und Schuhe bei dem Kleinen verzichtet.
Lorenz war inzwischen drei Jahre alt. Ausgerechnet am Karfreitag 1964 war er auf die Welt gekommen. Das paßte zu seinem Vater. Eine Ähnlichkeit konnte sie bisher allerdings nicht entdecken. Und Kinderbilder von Pater Hubert hatte sie nie gesehen. Was er wohl gerade machte? Nach der Geburt hatte sie sich noch einmal mit ihm getroffen, aber er hatte jegliche Form von Unterstützung verweigert. Inzwischen arbeitete Pater Hubert in Rom und machte Karriere. Auch ein Gespräch mit dem alten Pater Gerhard, seinem damaligen Vorgesetzten, und ein Anklopfen beim Erzbistum waren sinnlos gewesen. Es hatte nur noch mehr böse Sätze gegeben.
Daraufhin hatte sie mit Hilfe ihrer Tante, die sie anfangs völlig falsch eingeschätzt hatte, beschlossen, ihren Sohn ohne finanzielle Unterstützung von seiten des Vaters großzuziehen.
Lorenz lief auf einen etwa gleichaltrigen Jungen zu, den Gertrud schon ein paar Mal hier mit seiner Mutter gesehen hatte.
»Darf ich mich setzen?« Die kleine korpulente Frau mit einem fröhlichen Gesicht ließ sich schnaufend neben Gertrud fallen. Die Bank wackelte bedenklich. »Darf ich mich vorstellen? Schwaadt, Mechthild Schwaadt.«
»Gertrud Mannes. Und das da ist Lorenz.« Sie deutete auf den Jungen.
Frau Schwaadt zeigte auf das andere Kind. »Das ist mein Sohn Hermann-Josef, aber alle nennen ihn nur Hejo.« Sie lachte freundlich.
Hejo holte gerade mit seinem linken Fuß aus und verpaßte Lorenz einen Tritt gegen das Schienbein. Lorenz fiel um und fing an zu schreien. Befriedigt sammelte Hejo den verlassenen Ball auf und rannte weg.
Gertrud war aufgesprungen und half ihrem Sohn wieder auf. »Nächstes Mal trittst du zuerst«, flüsterte sie ihm zu. »Ist er immer so?« fragte sie dann ihre Nachbarin.
»Hejo kann sich immer gut durchsetzen«, sagte Frau Schwaadt. »Er weiß, was er will!«
Campen stand wieder am Fenster und überlegte. Würde sein Plan wirklich funktionieren? Oder mußte er ihn über mehrere Monate vorbereiten, wozu er eigentlich keine Lust hatte? Echte action war ihm lieber, nachdem er die vergangenen Jahre mehr oder minder in seiner »Leitstelle« verbracht hatte. Also, was war zu tun?
Er holte seinen Übergangsmantel aus dem Schrank und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten. Er beschloß, die Strecke bis zum Dom zu Fuß zurückzulegen. Es waren knapp zwei Kilometer, und etwas frische Luft würde ihm bestimmt gut tun. Auf der Straße unter den drei Kranhäusern wandte er sich nach links Richtung Schokoladenmuseum, das am Rande des ehemaligen Zollhafens lag. Einige Mütter mit Kinderwagen begegneten ihm, wobei er sich fragte, wie sie sich die teuerste Wohngegend Kölns leisten konnten. Augenscheinlich hatten sie am Sonntagmorgen wie er nichts Wichtigeres zu tun. Auf der kleinen Stahlbrücke, die nur von Radfahrern und Fußgängern genutzt wurde, überquerte er die wenigen Meter des Rheins, die den Eingang zum Hafen bildeten. Die Sonne schien, und ihn hatte das Jagdfieber gepackt. Es war das gleiche großartige Gefühl wie immer, wenn er die Fährte aufgenommen hatte. Allerdings jagte er dieses Mal keinen Menschen, sondern ein Objekt.
Campen ging an den fliegenden Händlern vorbei, die auf dem – wie hieß das rheinisch? – Trottewaar ihre Zelte aufgebaut hatten. Ihm war schleierhaft, wie man vom Handtaschenverkauf leben konnte. Einer Frau wollte er gerne den Besitz mehrerer Handtaschen zugestehen, aber irgendwann wor et auch joot damit. Jeden Morgen standen die Händler mit der gleichen Anzahl nagelneuer Handtaschen wieder am Rhein. Vielleicht lebten sie aber auch vom Drogenverkauf und gaben jeweils eine Handtasche dazu?
Unterhalb der Deutzer Brücke blieb er erneut stehen und beobachtete ein junges Paar, das die Welt um sich herum vergessen zu haben schien und sich hemmungslos küßte.
Von Jagd hatte er sich selbst gegenüber nie gesprochen; es war ihm immer nur darum gegangen, ein Rätsel zu lösen, jemanden mit etwas in Verbindung zu bringen oder nicht, etwas wiederzufinden, eine Tat aufzuklären. Es hatte ihm Vergnügen bereitet, das im Geheimen zu tun und sich das Gesicht des jeweiligen Kommissars auszumalen, wenn er ihm die Lösung auf dem Silbertablett servieren konnte.
Aber ausmalen war ihm jetzt zu wenig. Etwas Anerkennung oder noch besser: Neid der professionellen Ermittler wäre nicht schlecht. »Kölner IT-Spezialist klärt …« was auch immer, das wäre doch eine schöne Überschrift gewesen. Aber darauf hatte er ja bisher bewußt verzichtet, zumal er sich dann hätte outen müssen.
Das Pärchen hatte inzwischen Luft geholt, ihn verlegen angelächelt und war untergehakt rheinaufwärts entschwunden.
Im Nachhinein seine »Fälle« offenzulegen, um Anerkennung einzuheimsen, fand Campen albern. Das klang nach »nachkarten«, und das galt bekanntlich nie. Obwohl die verschiedenen Dezernate, denen er, ja: zugearbeitet hatte, bestimmt überrascht wären zu erfahren, was er alles geleistet hatte. Und in Zukunft würden sie ihn sofort kontaktieren können, wenn sie nicht mehr weiterkamen.
Aber dabei würde der Nervenkitzel fehlen, den er manches Mal gespürt hatte, wenn die Kripo mitbekommen hatte, daß noch ein Dritter mitmischte. Einmal war er fast erwischt worden, als er gleichzeitig mit der Polizei dort eintraf, wo das Entführungsopfer versteckt gehalten wurde. Campen hatte nur nachsehen wollen, ob er mit seinen Ermittlungen richtig gelegen hatte, und dabei übersehen, daß die Polizei über Funkgeräte verfügte und nicht erst von der rechten Rheinseite zum Tatort aufbrechen mußte, sondern einfach einen in der Nähe befindlichen Einsatzwagen losgeschickt hatte. So hatte er, mit Aktentasche und Schirm unauffällig bewaffnet, die Beamten freundlich gegrüßt und langsam schleunigst das Weite gesucht.
Auf der Höhe von Groß St. Martin setzte Campen sich auf eine Bank und sah den Schiffen auf dem Fluß zu. Ein einsamer Kanufahrer kämpfte sich rheinaufwärts. Ein entladenes Frachtschiff fuhr seltsamerweise leer den Rhein hinunter und lag so hoch über der Wasserlinie, daß es fast zu schweben schien. Ein Polizeiboot überquerte den Fluß Richtung Deutz. Campen überlegte, wo es wohl anlegen mochte. Aber vielleicht fuhr es ja auch nur im Kreis, am Steuer ein Philosoph, der über den Sinnspruch Panta rhei nachdachte.
Warum saß er hier? Wie hieß das? Prokrastination? Das bedeutete, daß man das, was zu tun war, vom Schreibtisch und von sich selbst wegschieben und durch andere, vorgetäuscht wichtige Tätigkeiten überdecken mußte. Es betraf hauptsächlich Studenten, hatte er mal gelesen. Aber er war wohl auch nicht dagegen gefeit. Er gab sich einen Ruck und stand auf.
Schwaadt sah auf die Digitaluhr. Sie zeigte 06:15 Uhr. Er war schon immer Frühaufsteher gewesen, auch sonntagmorgens, wenn der gemeine Kölner als solcher nie pünktlich aus dem Bett kam. In der Regel war daran abwechselnd das verlorene Spiel des FC, die Frau oder das Wetter schuld.
Er gähnte und verließ das breite Doppelbett, in dem er seit längeren Jahren bis auf kurzweilige Unterbrechungen alleine schlief.
Alles mußte man selber machen. Wenn er an den gestrigen Morgen dachte, als seine beiden Chaoten ihm gegenübergesessen hatten, stieg der Ärger sofort wieder in ihm hoch. Erst als die beiden wieder gegangen waren, hatte er begriffen, daß die Sache noch schiefer gelaufen war, als er geplant hatte. Patrick Schwartz sollte gar nicht das Opfer sein, schon überhaupt nicht ein totes. Den Angestellten des Museums, den es dagegen treffen sollte, hatte er seinen beiden Herren genau beschrieben. Daß die Museumsleute sich ähnelten, war schade; aber blondes und schwarzes Haar sollte man doch wohl auseinanderhalten können! Wie hieß das noch? Nachts waren alle Männer grau oder so ähnlich.
Also würde er sich selber der Angelegenheit annehmen und den richtigen Angestellten am Sonntagabend nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Verkehr ziehen.
Die hübsche Kommissarin sah Max und seinen Kollegen an. »Ihr wißt es echt noch nicht?«
»Du hast dich verlobt, oder?« sagte Max. Plötzlich mußte er an Renate denken. Schon merkwürdig. Wie lange war das jetzt her? Fünfundzwanzig Jahre? Wenn sie damals nicht zu viert nach Helgoland gefahren wären und Renate nicht … Thelens Lachen riß ihn wieder in die Wirklichkeit zurück.
Ayşen guckte beleidigt. »Das geht euch gar nichts an. Dienst ist Dienst und Schnaps …« Jetzt mußte sie doch lachen. »Nee, im Ernst. Ihr wißt nichts? Es gibt wieder Arbeit.«
»Hast du den aktuellen Fall schon gelöst?« fragte Max.
»Nee, aber es gibt einen neuen Toten.«
»Dafür sind doch genug andere Kollegen da«, sagte Thelen. »Wir wollten gerade nach Bonn, um uns die Wohnung von Patrick Schwartz anzusehen und eventuelle Angehörige ausfindig zu machen.«
»Der neue Tote ist auch erstochen worden«, sagte Ayşen.
»Habt ihr das Messer?« fragte Max.
»Dieses Mal leider nicht. Der Stich war auch nicht so gut gezielt wie bei Schwartz. Der Täter oder die Täterin mußte ein zweites Mal zustechen, nachdem das erste Mal das Messer von einer Rippe abgerutscht ist.«
»Oha«, sagte Max. »Liegt das Obduktionsergebnis schon vor?«
»Das nicht«, sagte Ayşen. »Aber sein Hemd hatte zwei Löcher.«
»Und woher weißt du, daß der neue Tote mit dem alten in Verbindung steht? Also nicht spirituell oder so, sondern in echt?« Das war wieder Thelen.
»Das wäre schon prima«, sagte Ayşen. »Aufklärung von Untaten durch geistige Verbindung.«
Max gluckste. »Du meinst, Verwendung einer kölschen Klüngelleitung?«
Thelens Mundwinkel waren wieder oben.
»Also, im Ernst, Kollegen«, sagte die Kollegin. »Der neue Tote arbeitete auch bei einer Sicherheitsfirma.«
»Vor seinem Tod, meinst du sicher. Name, Adresse, Beruf«, sagte Max. »Aber bitte nicht hier auf dem Parkplatz.«
Ayşen überlegte. »Wie lange habt ihr in Bonn zu tun? Zwei Stunden?«
»Eher drei«, sagte Max und dachte an das avisierte Mittagessen.
»Okay. Dann um drei wieder hier.«
»Och«, maulte Thelen. »Hier kann man doch nirgendwo vernünftig sitzen. Hier gibt es doch nur Büros und Konferenzräume.«
Max pfiff »Warum ist es am Rhein so schön«, brach aber ab, als er Ayşens Blick bemerkte. »Etwas frische Luft fände ich aber auch gut.«
»Okay«, sagte Ayşen.
Wo sie das wohl nun wieder herhatte, fragte sich Max. »Fein« oder »einverstanden« oder »in Ordnung« hätte es doch auch getan.
»Wo?«
»Südlich der Südbrücke«, sagte Thelen. »Beim Café Rheinlust, da können wir auch etwas trinken.«
»Okay«, sagte Ayşen. »Bis später.«
Fünfundvierzig Minuten später bog Max mit dem Dienstwagen in die Bonner Adolfstraße ein. Der ältere 3er bmw gefiel ihm nicht; auch mochte er eigentlich keine Leute, die bmw fuhren.