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In Mr. Prentices Wohnung geschehen rätselhafte Dinge. Lichtblitze spuken bei Nacht. Jemand hat die wertvolle gläserne Skulptur des Karpatenhundes verschwinden lassen, und wer versucht allen Mietern den Aufenthalt im Apartmenthaus unmöglich zu machen? Die wenigen Spuren weisen die drei ??? in verschiedene Richtungen. Ein harte Nuß für unsere Freunde.
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Seitenzahl: 187
und derKarpatenhund
erzählt von M.V. Carey nach einer Idee von Robert Arthur
Aus dem Amerikanischen übertragen von Leonore Puschert
Kosmos
Umschlagillustration von Aiga Rasch
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
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© 2014, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur.
ISBN 978-3-440-14063-5
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Willkommen, Freunde des Mysteriösen!
Wieder einmal stelle ich mit Vergnügen das Trio jugendlicher Detektive, die sich »die drei ???« nennen, hier vor. Ihre Spezialität sind Fälle, die den Rahmen des Üblichen sprengen, verworrene Geschehnisse, Rätsel jeder Art … Und rahmensprengend, verworren und rätselvoll ist ihr neues Abenteuer ohne Zweifel! Sie begegnen darin einem Mann, der sich vom Spuk bedroht fühlt, ferner dem vermeintlichen Geist eines Geistlichen, eines vorgeblichen Mystikers mit der scheinbaren Gabe, durch Wände zu gehen, und schließlich dem Abbild eines Hundedämons – einem Abbild aus massiver Materie, das sich indessen als gänzlich unsichtbar erweist.
Für diejenigen Leser, die mit den drei ??? zum ersten Mal Bekanntschaft schließen, sei wie üblich kurz vermerkt: Justus Jonas, der Erste Detektiv, ist ein stämmiger Bursche mit Scharfsinn und unersättlicher Wissbegierde. Peter Shaw ist flink und als Sportler topfit, und Bob Andrews, der Bücherwurm, führt und verwaltet für die drei ??? die Akten und verfügt über ein ausgesprochenes Talent für schwierige Recherchen. Alle drei wohnen in dem Küstenstädtchen Rocky Beach in Kalifornien, nicht weit von Los Angeles.
Das genüge vorerst als Einführung. Ich wünsche viel Spaß am Lesen – für Spannung ist gesorgt!
Albert Hitfield
Es herrschte Zwielicht – das jäh hereinbrechende Zwielicht Ende Dezember, das frösteln macht –, als Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews erstmals zu der Straße namens Paseo Place kamen. Sie gingen an einem Park entlang, in dem trotz der Kälte noch ein paar späte Rosen blühten. Nach dem Park kam ein stuckverziertes Haus mit einem Schild, aus dem hervorging, dass dies das Pfarramt der Kirchengemeinde St. Jude war. Weiter vorn drangen hinter den Buntglasfenstern einer kleinen Kirche Lichtschein und volltönender, dröhnender Orgelklang hervor. Die Jungen konnten hören, wie hohe Kinderstimmen ein altes Kirchenlied sangen. Sie gingen an der Kirche vorüber und kamen zu einem großen Apartmenthaus. Zu ebener Erde war eine Reihe Garagen. Darüber lagen zwei Wohngeschosse. Jedes einzelne Fenster hatte sorgsam zugezogene Vorhänge, als wollten sich die Mieter gegen die Umwelt abschirmen.
»Hier ist es«, sagte Justus Jonas. »Paseo Place, Hausnummer 402, und jetzt ist es genau halb sechs. Wir sind pünktlich zur Stelle.«
Rechts von den Garagen führten etliche breite, mit Steinplatten belegte Stufen zu einem Eingangstor hinauf. Ein Mann in kamelhaarfarbener Jacke kam gerade herunter. Er schritt an den Jungen vorbei, ohne sie anzusehen.
Justus betrat die Stufen, Peter und Bob folgten dicht hinter ihm. Plötzlich machte Peter einen Satz und schrie erschrocken auf.
Justus blieb stehen. Aus dem Augenwinkel sah er ein kleines, dunkles Geschöpf die Treppe hinunterflitzen.
»War doch nur ’ne Katze«, sagte Bob.
»Und ich wäre fast draufgetreten.« Peter erschauerte und zog seine dunkle Skijacke vorn fester zusammen. »Eine schwarze Katze!«
Bob lachte. »Na, komm schon! Du bist doch nicht abergläubisch?«
Justus griff nach dem Riegel am Tor. Dahinter, inmitten eines fliesenbelegten Hofs, lag ein großes Schwimmbecken, von Sesseln und Tischen umgeben. Als Justus das Tor öffnete, leuchteten im Becken und im Gesträuch, das den Hofraum einrahmte, starke Scheinwerfer auf.
»Hausieren verboten!«, sagte eine näselnde, heisere Stimme ganz nah an Justs Ohr.
Eine Tür gleich neben dem Eingangstor war aufgegangen, und auf der Schwelle stand eine beleibte rothaarige Frau, welche die Jungen aus zusammengekniffenen Augen hinter randlosen Brillengläsern ansah.
»Egal, ob ihr Zeitschriftenwerber seid oder Süßwaren verhökert oder für verwaiste Kanarienvögel sammelt«, sagte die Frau. »Ich verbitte mir jede Belästigung meiner Mieter!«
»Mrs Boggle!«
Die Frau sah auf, an den Jungen vorbei. Ein hagerer Mann mit silberweißem Haar war eine Treppe, die von einem Balkon zum Hof führte, heruntergekommen. »Ich glaube, das sind die jungen Herren, deren Besuch ich erwarte«, sagte der Mann.
»Ich bin Justus Jonas.« Der Erste Detektiv stellte sich vor, in der knappen, formellen, für ihn charakteristischen Art. Dann trat er zur Seite und wandte den Kopf zu seinen Freunden. »Peter Shaw und Bob Andrews. Und Sie sind vermutlich Mr Fenton Prentice.«
»Richtig«, sagte der ältere Herr. Er warf der Frau im Türrahmen einen Blick zu. »Wir brauchen Sie nicht mehr, Mrs Boggle«, fügte er hinzu.
»Schon gut!«, rief die Frau. Sie zog sich zurück und knallte die Tür hinter sich zu.
»Naseweise alte Schachtel«, sagte Fenton Prentice. »Macht euch nichts daraus. Die meisten anderen Leute, die hier im Haus wohnen, sind ganz vernünftige, friedliche Bürger. Bitte kommt mit.« Die Jungen gingen hinter Mr Prentice die Treppe zum Balkon hinauf. Nur wenige Schritte vom oberen Treppenabsatz entfernt war eine Tür, die Fenton Prentice aufschloss. Er führte die Jungen in ein Zimmer mit Holzbalkendecke und einem sehr alt und kostbar wirkenden Kronleuchter. Auf einem Tisch stand ein künstliches Tannenbäumchen, mit ausgesucht schönem Weihnachtsschmuck behängt.
»Bitte setzt euch.« Mr Prentice wies zerstreut auf ein paar Stühle und schloss dann seine Wohnungstür ab.
»Das ist nett von euch, dass ihr so schnell hergekommen seid«, sagte er. »Ich hatte schon Bedenken, ihr könntet vielleicht etwas anderes vorhaben, jetzt in der Woche vor Weihnachten.«
»Zufällig ist uns gerade ein wenig freie Zeit beschieden«, sagte Justus liebenswürdig. »Nächste Woche, ehe dann die Schule wieder beginnt, haben wir einige Verpflichtungen.«
Peter musste mühsam das Lachen unterdrücken. Die drei Jungen hatten für den Rest der Ferien keinerlei Pläne außer dem Vorsatz, Justs Tante Mathilda strikt zu meiden. Die steckte nämlich voller Pläne – und immer wieder wollte sie den Jungen Arbeit zuschanzen!
»Also«, fuhr Justus selbstbewusst fort, »wenn Sie uns nun freundlicherweise berichten wollten, warum Sie um unsere Dienste nachsuchten, werden wir entscheiden, ob wir Ihnen behilflich sein können oder nicht.«
»Was heißt hier ›oder nicht‹?«, rief Mr Prentice. »Ihr müsst mir einfach helfen. Es muss unverzüglich etwas unternommen werden!« Seine Stimme überschlug sich zu heiserem Fisteln. »Ich mache das nicht länger mit, was hier alles passiert!« Er hielt kurz inne, um sich wieder zu fassen, und fuhr dann fort: »Ist das hier wirklich eure Karte?« Er holte eine Geschäftskarte aus der Tasche und zeigte sie den Jungen.
Justus warf einen Blick auf die Karte und nickte zur Bestätigung. »Der Freund, von dem ich diese Karte habe«, sagte Mr Prentice, »meinte, ihr Jungen hättet als Detektive besonderes Interesse für … na ja, für einigermaßen ungewöhnliche Vorfälle.«
»Das stimmt«, sagte Justus. »Die Fragezeichen auf unserer Karte, die das Unbekannte symbolisieren, sind ein Hinweis auf eben dieses Interesse. In der Vergangenheit hatten wir mehrfach Erfolg bei der Aufklärung reichlich verworrener Fälle. Aber ob wir Ihnen tatsächlich helfen können, lässt sich erst beurteilen, wenn Sie uns berichten, was Sie beunruhigt. Wir werden selbstverständlich alles versuchen. Ja, wir haben in Ihrem Fall sogar schon Vorarbeit geleistet. Als wir heute früh Ihren Brief bekamen, zogen wir erst einmal Erkundigungen über Sie ein.«
»Was?«, fuhr Prentice auf. »Eine Unverschämtheit ist das!«
»Meinen Sie nicht, dass wir etwas über Sie selbst wissen müssten, falls Sie unser Auftraggeber werden sollten?«, fragte Justus völlig logisch.
»Ich schätze meine Privatsphäre über alles«, sagte Prentice. »Ich wünsche nicht, dass sich jemand in meine persönlichen Angelegenheiten einmischt.«
»Ganz und gar privat kann keiner leben«, sagte Justus Jonas. »Und Bob ist ein erstklassiger Rechercheur. Bob, bitte berichte Mr Prentice, was du ermittelt hast.«
Bob grinste. Er bewunderte Justs Talent, in nahezu jeder Lage die Oberhand zu gewinnen. Er zog ein kleines Notizbuch aus der Tasche und öffnete es. »Sie wurden in Los Angeles geboren, Mr Prentice«, sagte er. »Sie sind jetzt Anfang siebzig. Ihr Vater, Giles Prentice, hat es als Immobilienmakler zu Wohlstand gebracht. Sie erbten sein großes Vermögen. Sie sind nicht verheiratet. Sie reisen viel, und Sie machen Museen und einzelnen Künstlern großzügige Zuwendungen. Die Zeitungen bezeichnen Sie als Kunstmäzen.«
»Mit der Presse gebe ich mich möglichst wenig ab«, sagte Mr Prentice.
»Aber die sich dafür mit Ihnen«, stellte Justus fest. »Es sieht so aus, als seien Sie wirklich sehr kunstsinnig«, fügte er hinzu, während er sich im Raum umblickte.
Das Wohnzimmer war tatsächlich der üppig ausgestattete Ausstellungsraum eines Kunstsammlers. Gemälde hingen an den Wänden, Porzellanfiguren zierten niedrige Tische, und überall standen Lampen, die einem maurischen Palast hätten entstammen können.
»Sei’s drum«, sagte Prentice. »Es ist ja nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand Interesse an schönen Dingen hat. Aber das hat mit dem, was hier vorgeht, nichts zu tun.«
»Und was geht hier vor?«, fragte Justus.
Prentice blickte sich über die Schulter um, als fürchtete er, im Nebenzimmer könnte jemand lauschen. Beim Sprechen senkte er die Stimme fast zu einem Flüstern. »Bei mir spukt es«, sagte er. Die drei ??? starrten ihn an.
»Ihr glaubt mir nicht«, sagte Prentice. »Ich hatte das schon befürchtet. Es ist aber tatsächlich so. Irgendjemand verschafft sich hier Zutritt, wenn ich weg bin. Ich komme wieder und finde meine Sachen nicht mehr so vor, wie ich sie zurückließ. Einmal war die Schreibtischschublade halb aufgezogen. Jemand hatte in meinen Briefen gelesen.«
»Das hier ist ein großes Apartmenthaus«, stellte Justus fest. »Gibt es einen Hausverwalter? Und könnte dieser Verwalter einen Zentralschlüssel haben?«
Prentice schnaubte verächtlich. »Die Boggle, dieses widerliche Weib, ist die Verwalterin, aber zu dieser Wohnung hat sie keinen Schlüssel. Ich ließ mir ein Spezialschloss einbauen. Und wenn ihr nun nach einer Aufwartefrau fragt – ich habe keine. Und macht mir auch nicht weis, dass jemand durch ein Fenster einsteigen kann. Ich habe kein einziges Fenster zum Balkon hinaus. Die Fenster hier im Raum sind auf der Straßenseite, sechs Meter hoch über dem Bürgersteig. Schlafzimmer und Arbeitszimmer liegen zur Kirche hin und die Fenster sind auch dort hoch über dem Erdboden. Niemand könnte ohne eine lange Leiter durch die Fenster eindringen und das würde mit Sicherheit auffallen.«
»Dann muss es einen Zweitschlüssel geben«, sagte Peter. »Irgendwer benutzt ihn, wenn Sie nicht da sind, und –«
Fenton Prentice hob die Hand. »Nein. Also es kommt jemand her, wenn ich weg bin, aber das ist noch nicht das Schlimmste.« Wieder sah er sich um, wie in Angst, er sei mit den Jungen nicht allein. »Er kommt auch, wenn ich da bin. Ich … ich hab ihn zweimal gesehen.«
»Und wie sieht er aus?«, fragte Justus.
Mr Prentice rieb sich verwirrt die Hände. »So würde ein Detektiv von der Polizei auch fragen«, sagte er. »Aber meine Antwort würde er mir nicht abnehmen. Deshalb will ich auch nicht die Polizei, sondern euch beauftragen. Meistens sehe ich nur ein Aufleuchten, und das immer in meinem Arbeitszimmer – Ich sitze am Schreibtisch und plötzlich bemerke ich im Raum einen Lichtblitz.«
»Kann ich mir das Arbeitszimmer mal ansehen?«, fragte Justus.
»Gewiss.« Prentice trat vom Wohnzimmer in eine kleine quadratische Diele. Justus folgte ihm über diese Diele in einen großen, schwach erhellten Raum mit Bücherregalen, mächtigen Ledersesseln und einem großen, antiken Schreibtisch. Die Fenster lagen hier an der Seitenfront des Gebäudes. Bei zurückgezogenen Vorhängen konnte Justus die Kirche nebenan sehen. Die Orgel dröhnte jetzt nicht mehr und auf der Straße hörte man Kinderstimmen; offenbar war die Singstunde des Chors zu Ende. »Aus diesem Raum gibt es keinen Ausgang«, sagte Prentice, »außer der Tür zur Diele. Und kommt mir nicht mit einem Geheimgang. Ich wohne schon viele Jahre in dieser Wohnung, und ich weiß, dass es keine Geheimgänge gibt.«
»Wann haben Sie diese Lichtblitze zum ersten Mal bemerkt?«, erkundigte sich Justus.
»Vor einigen Monaten«, erwiderte Prentice. »Ich … ich wollte es zuerst gar nicht glauben. Ich dachte schon, ich hätte vor Übermüdung Halluzinationen. Aber mittlerweile ist das zuckende Aufleuchten so oft aufgetreten, dass ich jetzt ganz sicher weiß: meine Fantasie spielt mir keinen Streich.«
Justus merkte, dass es dem Mann wirklich darum ging, ernst genommen zu werden. »Ich könnte mir denken, dass es da mancherlei Erklärungen gibt«, sagte der Erste Detektiv.
Justus ist wie immer vorsichtig mit Äußerungen. Doch genau wie er habt ihr bis zu dieser Stelle wahrscheinlich auch schon mehrere Erklärungen in Betracht gezogen: die Kapitelüberschrift (wobei zu berücksichtigen wäre, dass sie auf einer unbewiesenen Aussage fußt …), der Zweitschlüssel (eine derart naseweise Hausmeisterin könnte recht raffiniert sein) oder doch ein unbekannter Zugang (Mr Prentice ist schließlich kein Sachverständiger für Geheimgänge, sondern ein mögliches Opfer). Mir scheint, dies wird ein schwieriger Fall. Habt ihr im Großhirn noch kein zuckendes Aufleuchten zu verzeichnen?
»Dann werdet ihr meinen Fall übernehmen?«, fragte Prentice. »Ihr werdet Ermittlungen anstellen?«
»Das muss ich mit meinen Freunden besprechen«, sagte Justus. »Können wir Sie morgen früh anrufen?«
Prentice nickte und verließ das Zimmer. Justus, nachdenklich geworden, zögerte noch. Plötzlich flackerte ein heller Lichtschein im Raum auf.
Justus starrte hin. »Peter!«, rief er.
»Ja, was ist?«, antwortete Peter aus dem Wohnzimmer.
»Peter! Bob!«, rief Justus nun laut und hastete zum Lichtschalter hin. In der nächsten Sekunde war der Raum hell erleuchtet und Peter stand im Türrahmen. »Was ist denn los?«, fragte er.
»Da … da hat etwas aufgeleuchtet«, sagte Justus Jonas.
»Na und? Du machst ein Gesicht, als hättest du einen Geist gesehen.«
»Es war genau so, wie es uns Mr Prentice vorhin beschrieben hat.« Er schüttelte sich. »Muss irgendein Reflex gewesen sein«, meinte er. Er ging an Peter vorbei und trat ins Wohnzimmer. »Morgen hören Sie von uns«, versprach er Mr Prentice.
»Sehr gut.« Der Mann, der sich von Spuk heimgesucht wähnte, schloss die Wohnungstür auf und trat zur Seite, um die Jungen hinauszulassen.
Dann hörten alle einen Laut. Es mochte eine Fehlzündung gewesen sein – oder auch ein Schuss.
Peter war mit einem Satz draußen und schaute über das Balkongeländer hinunter. Der Hof unten war leer, aber hinter dem Haus hörte man jemanden rufen. Ein Tor schlug zu, und Schritte hallten auf einem Treppenaufgang, welchen die Jungen nicht sehen konnten. Dann kam vom Verbindungsweg zum Hinterhof her eine schnell laufende Gestalt in Sicht. Ein Mann in einem dunklen Anorak und mit einer schwarzen Skimütze, die nur die Augen frei ließ, rannte am Schwimmbecken vorbei und durch das vordere Tor auf die Straße hinaus.
Peter sprang zur Treppe hin. Er war schon fast unten, als hinten auf dem Hof ein Polizist auftauchte.
»So, Freundchen!«, brüllte der Polizist. »Stehen bleiben und keine Bewegung oder es knallt!«
Ein zweiter Polizist kam im Sturmschritt in den Hof. Peter sah, dass beide Männer ihre Pistolen gezogen hatten. Er erstarrte auf der Treppenstufe, wo er stand, und hob die Hände hoch.
»Mike«, sagte der jüngere der beiden Polizisten, »ich glaube nicht, dass das der Kerl ist.«
»Dunkler Anorak, helle Hose«, sagte der andere. »Die Skimütze hat er wahrscheinlich weggeworfen.«
»Der Mann mit der Skimütze ist hier durchgekommen und durchs Eingangstor gelaufen«, sagte Peter rasch. »Ich hab ihn gesehen.«
Justus und Bob kamen mit Mr Prentice die Treppe herunter. »Dieser junge Mann war die letzte halbe Stunde hier bei mir«, sagte Prentice zu dem Polizisten.
Sirenen heulten, während sich Streifenwagen vor dem Gebäude sammelten.
»Dann los«, sagte der jüngere Beamte. »Aber schnell!«
Die beiden Polizisten liefen zum vorderen Tor hinaus und gerade da ging Mrs Boggles Wohnungstür auf.
»Mr Prentice, was haben die Jungen hier verloren?«, fragte Mrs Boggle barsch.
An der Hauswand rechts vom Hof öffnete sich eine Tür im Erdgeschoss und ein junger Mann stolperte heraus. Er rieb sich die Augen, als sei er eben aufgewacht. Justus sah ihn an und zuckte leicht zusammen.
»Was ist denn?«, flüsterte Bob.
»Nichts«, sagte Justus. »Ich sag’s dir später.«
»Mr Prentice, Sie sind mir noch eine Antwort schuldig!«, fuhr Mrs Boggle auf. »Was haben die Jungen hier verloren?«
»Das lassen Sie mal meine Sorge sein«, sagte Prentice. »Die Polizei sucht jemanden – höchstwahrscheinlich irgendeinen Verbrecher, der vom Durchgang her vorgelaufen kam und dann durchs Vordertor entwischt ist.«
»Einen Einbrecher«, sagte der junge Mann, der aus der Wohnung jenseits des Schwimmbeckens gekommen war. Er trug einen dunklen Pullover und eine beigefarbene Hose, und seine nackten Füße steckten in Turnschuhen. Justus, der auf seine Fähigkeit zur Wahrnehmung von Einzelheiten mächtig stolz war, bemerkte, dass das glatte, dunkle Haar des jungen Mannes schon seit längerer Zeit nicht mehr gewaschen worden war. Er war kaum größer als Peter und auffallend mager.
»Sonny Elmquist, Sie Besserwisser!«, sagte Mrs Boggle. »Wie können Sie behaupten, dass die einen Einbrecher suchen?«
Der junge Mann namens Sonny Elmquist schluckte nervös, und sein Adamsapfel hüpfte über dem Pulloverkragen auf und ab. »Na, wen denn sonst?«, fragte er.
»Ausschwärmen!«, rief jemand draußen auf der Straße. »Dann die Nebenstraßen absuchen – und die Kirche!«
Die drei ??? und Fenton Prentice gingen über den Hof und blieben auf den Eingangsstufen zu der Wohnanlage stehen. Auf der Straße waren vier Polizeiwagen vorgefahren. Lichtstarke Handlampen wurden hin und her geschwenkt, als die Polizisten auf der Suche nach dem Flüchtigen in der schwarzen Skimütze das Buschwerk durchstöberten und Garageneinfahrten entlangspähten. Ein Hubschrauber ratterte über dem Gelände und sein Suchscheinwerfer tastete die Nebenstraßen ab. In anderen Hauseingängen entlang der Straße tauchten immer mehr Gruppen Schaulustiger auf.
»Weit ist der nicht gekommen!«, rief einer der Suchenden. »Er muss hier irgendwo stecken!«
Ein untersetzter Mann mit dichtem, grauem Haar stand am Rand des Gehwegs und redete aufgeregt auf einen Polizeileutnant ein. Die Jungen sahen, wie er sich umdrehte und dann auf die Vortreppe zu der Wohnanlage zulief. »Fenton!«, rief er. »Fenton Prentice!«
Mr Prentice ging die Treppe hinunter und der Mann begann ihm etwas zu erzählen. Prentice hörte gespannt zu. Offensichtlich hatte er die Anwesenheit der Jungen völlig vergessen. Peter stieß Justus in die Seite. »Gehen wir weiter und sehen wir nach, was in der Kirche los ist«, schlug er vor.
Die Kirchenpforte stand offen. Mehrere Leute, darunter auch Mrs Boggle und Sonny Elmquist, hatten sich auf dem Bürgersteig versammelt und schauten neugierig ins Innere der Kirche. Zwei Streifenbeamte suchten den Kirchenraum ab und bückten sich immer wieder, um unter die Bänke zu schauen.
Justus schritt gelassen durchs Gedränge und trat die zwei Stufen zum Kircheneingang hinauf. Er sah vor dem Altar Adventskerzen leuchten. Er sah reglose Gestalten – Statuen auf Sockeln und Statuen auf dem Fußboden, in Ecken und an den Wänden. Er sah auch einen Polizisten, der einem beleibten Mann mit rotem Gesicht gegenüberstand. Letzterer hatte einen Stapel kleiner Bücher in den Händen.
»Ich sage Ihnen doch, hier ist keiner hereingekommen«, wehrte sich der beleibte Mann. »Ich war die ganze Zeit hier. Ich hätte es bemerkt, wenn irgendwer hereingekommen wäre.«
»Ist ja schon gut«, sagte der Beamte. »Und jetzt gehen Sie, bitte. Wir müssen den Raum gründlich absuchen.«
Der Polizist sah sich nach Justus um. »Das gilt auch für dich«, sagte er. »Raus!«
Justus zog sich zurück, zusammen mit dem aufgebrachten Mann, der seine Bücher fest an sich presste. Draußen hatte sich ein schlanker, noch junger Mann in Schwarz mit weißem, rundem Kragen – offenbar ein Geistlicher – zu den Zuschauern gesellt. Und desgleichen eine kleine Frau, deren graues Haar am Hinterkopf zu einem Knoten aufgesteckt war.
»Herr Pfarrer!«, rief der Mann mit den Büchern. »Erklären Sie es ihnen. Ich war die ganze Zeit in der Kirche. Egal, wen die hier suchen, er hätte nicht reinkommen können, ohne dass ich ihn gesehen hätte.«
»Nur ruhig, Earl«, sagte der Pfarrer. »Sie müssen nachforschen, das geht nun einmal nicht anders.«
»Was?« Earl hielt eine Hand ans Ohr.
»Sie müssen nachforschen«, wiederholte der Pfarrer lauter. »Wo waren Sie denn vorhin?«
»Oben auf der Empore, hab die Liederbücher eingesammelt wie immer«, sagte Earl.
»Ha!« Die grauhaarige Frau lachte laut auf. »Da könnte eine Herde Elefanten reintrampeln und Sie würden es nicht hören. Sie sind ja stocktaub und jeden Tag wird es schlimmer mit Ihnen!«
Jemand in der Menge kicherte.
»Aber, aber, Mrs O’Reilly«, sagte der Pfarrer mit sanftem Tadel. »Nun kommen Sie, wir gehen ins Pfarrhaus, und Sie machen uns eine schöne Tasse Tee, und wenn die Polizisten hier fertig sind, kann Earl wieder herkommen und abschließen. Es betrifft uns doch überhaupt nicht.«
Die Menge teilte sich, um Earl, dem Pfarrer und der Frau Platz zu machen. Als sie in dem stuckverzierten Haus nebenan verschwunden waren, grinste einer der Zuschauer die Jungen an.
»Wohnt ihr hier in der Nachbarschaft?«, fragte der Mann mit erhobener Stimme, um sich trotz des kreisenden Hubschraubers verständlich zu machen.
»Nein«, sagte Bob.
»Hier ist doch immer was los.« Der Mann deutete mit dem Kinn aufs Pfarrhaus. »Earl ist der Mesner und er hält sich für das Oberhaupt der Gemeinde. Mrs O’Reilly führt dem Pfarrer den Haushalt und sie hält sich ihrerseits für das Oberhaupt der Gemeinde. Pfarrer McGovern muss dauernd rudern, sonst würde er von den beiden glatt untergebuttert.«
»Für einen Pfarrer ist er wirklich übel dran«, warf seine Frau ein. »Eine alte irische Bauersfrau, die in jeder Ecke Gespenster sieht, und ein starrköpfiger Mesner, der meint, die Kirche würde einstürzen, wenn er sie nicht ununterbrochen eigenhändig stützte.«
Der Anführer der Polizeistreifen und die übrigen Männer kamen aus der Kirche. Der Sergeant ließ den Blick über die Menge auf dem Gehweg schweifen. »Alles klar!«, rief er. »Wo ist denn der Mann, der hierfür zuständig ist?«
»Der trinkt mit dem Pfarrer Tee«, meldete sich der Mann, der mit den drei ??? gesprochen hatte. »Ich hole ihn.«
Der Polizeihubschrauber drehte eine letzte Runde über dem Wohngebiet und zog dann nach Norden ab.
Der Leutnant, der mit Mr Prentices’ Freund gesprochen hatte, kam die Straße entlang.
»In der Kirche war nichts«, meldete der Sergeant.
Der Leutnant seufzte. »Keine Ahnung, wie der so rasch von hier verschwinden konnte«, sagte er. »Der Hubschrauber entdeckt die Burschen sonst immer, außer wenn sie einen Unterschlupf finden. Heute Abend können wir nichts mehr machen.«
Earl, der Mesner, kam hastig aus dem Pfarrhaus, stapfte in die Kirche und schlug die Tür hinter sich zu.
Nach wenigen Minuten waren die Polizeiautos weggefahren. Die Schaulustigen schlenderten zu ihren Häusern zurück.
Justus, Peter und Bob gingen zu der Wohnanlage, wo Fenton Prentice noch mit dem grauhaarigen Mann im Gespräch war.
»Mr Prentice«, sagte Justus. »Es tut mir leid, wenn ich Sie unterbreche, aber –«
»Ist schon gut.« Mr Prentice sah erschöpft aus. »Ich habe soeben von Charles – von Mr Niedland hier – erfahren, was es mit dem ganzen Wirbel auf sich hatte.«
»Im Haus meines Bruders wurde eingebrochen«, sagte Prentices Freund. »Er hatte sein Haus am Lucan Court. Das ist die nächste Parallelstraße.«
»Es tut mir wirklich sehr leid, Charles«, sagte Mr Prentice. »Für dich muss es ein schwerer Schlag sein.«