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Sonne, Meer und Strandzauber - drei Roman in einem Bundle für alle Ostsee-Liebhaberinnen Dünengeflüster Ein Haus am Meer – das klingt wie ein Traum. Doch für Anne ist das Erbe ihrer Tante zunächst eine Belastung, muss sie doch eine Entscheidung treffen: verkaufen oder behalten? Frisch getrennt und mit einer Kündigung vom Arbeitgeber in der Tasche reist sie nach Prerow an die Ostsee. Dort angekommen fühlt sie sich sofort wieder heimisch in dem Fischerhaus, in dem sie als Kind so viele Sommer verbracht hat. Als sie dann den sympathischen Ralf kennenlernt und sich Hals über Kopf in ihn verliebt, scheint das Glück perfekt. Die ältesten Freunde ihrer Tante warnen sie jedoch, und Annes Jugendfreund Thomas zeigt offen seine Abneigung gegenüber Ralf. Außerdem begegnet Anne immer wieder seltsamen Gestalten. Kann sie ihrer neuen Liebe trauen oder steckt doch mehr dahinter, als sie glaubt? Dünenzauber Klara fällt aus allen Wolken, als ihre Freundin Jessi ihr eröffnet, dass sie heiraten möchte und zwar schon in drei Wochen. Doch beste Freundinnen sind füreinander da, also packt Klara kurzerhand ihre Sachen und fährt zusammen mit Jessi nach Prerow an die Ostsee, wo die Hochzeit stattfinden soll. Die Hochzeitsplanung gestaltet sich jedoch mehr als schwierig, vor allem als Jessi Klara ein Geheimnis anvertraut, was deren Welt ins Wanken bringt. Und dann ist da auch noch ein mysteriöser Fremder, der Klara immer wieder über den Weg läuft und ihr Herz höherschlagen lässt. Wird die Hochzeit trotz aller Widrigkeiten stattfinden? Und wer ist der Mann, zu dem sich Klara auf unerklärliche Weise hingezogen fühlt? Dünenrauschen Tina ist Mitte vierzig und führt gemeinsam mit ihrem Mann eine Ferienwohnungsvermietung in Prerow an der Ostsee. Eigentlich war das schon immer ihr Traum, doch irgendwie sehnt sie sich nach einer Veränderung. Zum Glück kann sie sich auf ihre Freundin Marion verlassen, die im Nachbarort Zingst ein Schmuckgeschäft für Bernsteinarbeiten betreibt. Obwohl die zwanzig Jahre älter ist, bringt sie immer wieder Schwung in Tinas Leben. Als Marion plötzlich verstirbt und ihr den Bernsteinladen überlässt, ist Tina untröstlich. Sie denkt darüber nach, den Laden zu übernehmen, obwohl ihr Mann strikt dagegen ist. Aber da ist auch noch Daniel, den sie bei einem Fahrradunfall kennengelernt hat und der ihr seither Mut macht. Doch ist Tina schon bereit, für einen Neuanfang über ihren eigenen Schatten zu springen?
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Seitenzahl: 1480
Die Dünen-Reihe
Evelyn Kühne wurde 1970 in Radebeul geboren. Schon immer galt ihre ganze Leidenschaft den Büchern. Beruflich ging sie jedoch erst einmal andere Wege und arbeitete unter anderem als Verkäuferin. Viele Jahre später, nachdem sie eine Krebserkrankung überstanden hatte, traute sie sich erstmals mit ihren eigenen Geschichten an die Öffentlichkeit. Für sie war das Schreiben auch ein Stück Krankheitsbewältigung. Seitdem veröffentlichte sie mehrere Romane sowie das Kinderbuch "Die kühne Marie", welches sie zugunsten krebskranker Kinder schrieb. Sie lebt heute mit Mann und Tieren in der Nähe von Meißen und schreibt am liebsten Krimis und Liebesromane über starke Frauen.
Sonne, Meer und Strandzauber - drei Roman für alle Ostsee-Liebhaberinnen
DünengeflüsterEin Haus am Meer – das klingt wie ein Traum. Doch für Anne ist das Erbe ihrer Tante zunächst eine Belastung, muss sie doch eine Entscheidung treffen: verkaufen oder behalten? Frisch getrennt und mit einer Kündigung vom Arbeitgeber in der Tasche reist sie nach Prerow an die Ostsee. Dort angekommen fühlt sie sich sofort wieder heimisch in dem Fischerhaus, in dem sie als Kind so viele Sommer verbracht hat. Als sie dann den sympathischen Ralf kennenlernt und sich Hals über Kopf in ihn verliebt, scheint das Glück perfekt. Die ältesten Freunde ihrer Tante warnen sie jedoch, und Annes Jugendfreund Thomas zeigt offen seine Abneigung gegenüber Ralf. Außerdem begegnet Anne immer wieder seltsamen Gestalten. Kann sie ihrer neuen Liebe trauen oder steckt doch mehr dahinter, als sie glaubt?
DünenzauberKlara fällt aus allen Wolken, als ihre Freundin Jessi ihr eröffnet, dass sie heiraten möchte und zwar schon in drei Wochen. Doch beste Freundinnen sind füreinander da, also packt Klara kurzerhand ihre Sachen und fährt zusammen mit Jessi nach Prerow an die Ostsee, wo die Hochzeit stattfinden soll. Die Hochzeitsplanung gestaltet sich jedoch mehr als schwierig, vor allem als Jessi Klara ein Geheimnis anvertraut, was deren Welt ins Wanken bringt. Und dann ist da auch noch ein mysteriöser Fremder, der Klara immer wieder über den Weg läuft und ihr Herz höherschlagen lässt. Wird die Hochzeit trotz aller Widrigkeiten stattfinden? Und wer ist der Mann, zu dem sich Klara auf unerklärliche Weise hingezogen fühlt?
DünenrauschenTina ist Mitte vierzig und führt gemeinsam mit ihrem Mann eine Ferienwohnungsvermietung in Prerow an der Ostsee. Eigentlich war das schon immer ihr Traum, doch irgendwie sehnt sie sich nach einer Veränderung. Zum Glück kann sie sich auf ihre Freundin Marion verlassen, die im Nachbarort Zingst ein Schmuckgeschäft für Bernsteinarbeiten betreibt. Obwohl die zwanzig Jahre älter ist, bringt sie immer wieder Schwung in Tinas Leben. Als Marion plötzlich verstirbt und ihr den Bernsteinladen überlässt, ist Tina untröstlich. Sie denkt darüber nach, den Laden zu übernehmen, obwohl ihr Mann strikt dagegen ist. Aber da ist auch noch Daniel, den sie bei einem Fahrradunfall kennengelernt hat und der ihr seither Mut macht. Doch ist Tina schon bereit, für einen Neuanfang über ihren eigenen Schatten zu springen?
Von Evelyn Kühne sind bei Forever by Ullstein erschienen:Neuanfang auf ItalienischDünengeflüster - Ein OstseeromanDünenzauber - Ein OstseeromanDünenrauschen - Ein OstseeromanInselküsse - Ein Ostseeroman
Evelyn Kühne
3 Ostseeromane in einem Bundle
Forever by Ullsteinforever.ullstein.de
Sonderausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuli 2020 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privat
ISBN 978-3-95818-570-8
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Titelei
Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
Dünengeflüster
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
Dünenzauber
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
Drei Jahre später
Danksagung
Dünenrauschen
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
Epilog
Nachwort
Anhang
Leseprobe: Inselküsse
Empfehlungen
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Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Dünengeflüster
Manchmal gab es so Zeiten, in denen alles im Leben schiefzugehen schien. Anne hätte am liebsten kurzerhand ins Lenkrad gebissen. Eigentlich war sie nur schnell auf diesen kleinen Parkplatz mitten im Wald gefahren, weil ihre Dackeldame Emma ein Geschäft verrichten musste. Eigentlich, denn zumindest war das der Plan gewesen. Und nun saß Emma erleichtert neben ihr, und das Auto sprang nicht mehr an. Was hatte ihr Kumpel Paul vor kurzem gesagt, war da nicht irgendwas mit der Batterie gewesen? Der Motor stotterte mit letzter Kraft, bis sich kurz darauf gar nichts mehr tat. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Irgendwie lief bei ihr momentan alles falsch – und zwar so richtig.
Es hatte damit begonnen, dass Manuel sich von ihr trennte – oder sie sich von ihm? –, egal, sie waren kein Paar mehr. Sie war vor kurzem vierzig geworden und sah für ihre Begriffe immer noch gut aus. Sie war normal gebaut und trotzdem furchtbar unsportlich. Sie hatte dunkle Haare, die in leichten Wellen bis auf ihre Schultern fielen. In ihrem Gesicht konnte man außer einigen vereinzelten Lachfältchen noch keine Spuren des Alters entdecken. Am schönsten waren ihre Augen, sie strahlten in einem warmen Braunton und zogen viele in den Bann, zumindest sagte man ihr dies immer wieder. Sie lachte gern, herzhaft, laut und steckte andere damit an. Überhaupt war sie ein unglaublich positiver Mensch, der zwar viel Pech im Leben gehabt hatte, aber nie zurücksteckte oder sich aufgab. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass die Männer sich nach ihr umdrehten, es konnte aber auch sein, dass sie sich das aus lauter Verzweiflung nur einbildete. Ihr Äußeres ähnelte dem ihrer Mutter, welche nach eigenem Bekunden früher ein ziemlich heißer Feger gewesen war. Unzählige Männer hatte sie verschlissen, bis sie dann endlich von Annes Vater mehr oder weniger gezähmt worden war. Dies hatte Anne in ihrer Kindheit natürlich auch ständig unter die Nase gerieben bekommen.
Nun ja, als Feger empfand sie sich selbst nicht, aber auch nicht als dessen Gegenteil. Sie hielt sich für ziemlich normal, mit einem Hang zu schwierigen Typen.
An ihrem diesjährigen Geburtstag war ihr klargeworden, dass es so nicht weitergehen konnte, aber vermutlich würde. Wenn sie nichts unternahm, blieb alles, wie es war – eine grausige Vorstellung. Abends hatte sie in ihrem Bett gelegen und sich die Zukunft ausgemalt. Normalerweise malte man ja in den rosigsten Farben – nun, dies war ihr schwergefallen. In ihrer Vorstellung wurde sie älter und älter, während Manuel immer verrückter wurde und einfach sein Leben so weiterlebte, wie er es immer getan hatte.
Kennen gelernt hatten sie sich bei einer Vernissage, das hätte ihr eigentlich schon zu denken geben müssen. Eine Freundin hatte sie mitgeschleppt, und Anne fühlte sich von der ersten Sekunde an unwohl. Es hatten haufenweise intellektuelle Leute herumgestanden, deren Unterhaltungen sie nur mit Müh und Not folgen konnte. Die Gespräche hatten sich um Kunst, Geld und irgendwelche Häuser in der Toskana gedreht, von denen die meisten vermutlich nur in der Fantasie existierten. Manuel hatte mit einem Glas Rotwein in der Ecke gestanden und Anne schweigend betrachtet, die langsam an den ausgestellten Bildern entlanggeschlendert war und sich bei einem Blick auf die ausgeschriebenen Preise gefragt hatte, ob der Künstler noch bei Trost oder schon vollkommen übergeschnappt war. Immerhin hatte es freie Getränke und Häppchen gegeben, und sie hatte sich mit dem reichlich vorhandenen Spirituosenangebot getröstet. Den schweigsamen Mann in der Ecke hatte sie erst bei ihrer zweiten Runde durch den Raum bemerkt. Ihre Freundin hatte sich verkrümelt, und so hatte sie ziemlich verlassen zwischen den anderen Kunstliebhabern herumgestanden. Plötzlich hatte sie eine sonore Stimme von hinten angesprochen, und Anne hatte sich überrascht umgedreht. »Hallo, ich beobachte dich schon ein Weilchen, und ich frage mich die ganze Zeit, woher wir beiden uns eigentlich kennen.«
Gut, dieser Anmachspruch war uralt und funktionierte normalerweise überhaupt nicht bei ihr. Aber was war bei dieser Veranstaltung schon normal gewesen? Sie waren ins Gespräch gekommen, ihr gefiel seine lässige verrückte Art, er war charmant und konnte gut erzählen. Außerdem war da etwas in seinen dunklen Augen gewesen, was sie fasziniert hatte. Die Kombination aus dunklem Haar und dunklen Augen war schon immer gefährlich für sie gewesen.
Zu späterer Stunde hatte er sie heimgebracht, da ihre Freundin verschollen blieb und sich vermutlich von einem anderen Künstler hatte abschleppen lassen. Anne hatte ihn eingeladen, auf dieses obligatorische Glas Rotwein, was man sich nach einer Feier eben so genehmigte. Emma hatte ihn kurz beschnuppert und sich dann wieder in ihr Schlafkörbchen gelegt. Kurze Zeit später war Anne mit ihm in ihrem Bett gelandet.
Das war der Beginn einer seltsamen Beziehung gewesen. Denn Manuel ließ sich einfach in kein Schema pressen, er lebte sein Leben so weiter wie ohne sie. Er kam, wann er wollte, und ging, wann er wollte. Sie fuhren in den Urlaub und verlebten herrliche Tage, doch wenn sie wieder daheim waren, zog er sich zurück und widmete sich wieder seiner Arbeit. Manuel war Tontechniker, hatte mit vielen Künstlern und Bands zu tun und war deswegen sowieso mehr unterwegs als zuhause. Hatte er dann einmal Zeit, musste sie zu seiner Verfügung stehen, binnen Minuten landeten sie im Bett. Und er war so gut im Bett, er wusste, welche Knöpfe er drücken musste. Um Anne war es geschehen gewesen.
Doch irgendwann war ihr klargeworden, dass sie den Rest ihres Lebens nicht mit ihm im Bett verbringen konnte, dass das Leben noch aus anderen Dingen als Sex bestand, wobei er dies sicher ganz anders sah.
Beim Nachhausekommen hatte sie deshalb ein Glas Rotwein hinuntergekippt, um sich Mut anzutrinken. Sie hatte Klartext reden wollen, sie brauchte Stabilität oder was auch immer, ihn jedenfalls brauchte sie nicht mehr. Ein zweites Glas hatte sie dann in diese besondere Stimmung versetzt, die für ein solches Gespräch benötigt wurde. Auf dem Nachhauseweg hatte sie in der U-Bahn nach entsprechenden Formulierungen gesucht, direkt oder eher indirekt, gut verpackt oder ziemlich schonungslos – da gab es verschiedene Möglichkeiten. Die Menschen um sie herum hatten vermutlich gedacht, sie hätte ein kleines psychisches Problem, murmelte sie doch unablässig Sätze vor sich her. Keiner davon hatte ihr so richtig gefallen, also hatte sie sich entschlossen, einfach alles auf sich zukommen zu lassen.
Zu ihrem Erstaunen hatte Manuel die ganze Sache genauso gesehen wie sie, verständnisvoll genickt und irgendwie … ja schon irgendwie erleichtert gewirkt. Noch am Abend ihres Gespräches hatte er seine Siebensachen gepackt und die Wohnung verlassen. Wohlgemerkt ihre Wohnung, seine hatte sie in den ganzen Monaten nicht einmal zu Gesicht bekommen gehabt. Manchmal hatte sie schon gedacht, er hätte gar keine und würde unter der Brücke schlafen. Allerdings ging er nicht, ohne vorher noch einen kleinen Annäherungsversuch zu starten, der von ihr aber geradezu standhaft abgewehrt wurde. Obwohl sie sich am liebsten die Kleider vom Leib gerissen hätte und mit ihm im Bett verschwunden wäre. Erst an diesem Punkt war Anne aufgefallen, dass er mit gerade mal einer Reisetasche bei ihr eingezogen war – also sozusagen Zahnbürste, Deo und herb-männliches Duschbad. Das deutete nicht unbedingt auf eine weit in die Zukunft ausgerichtete Beziehung hin, musste sie sich eingestehen. Sie hatte Manuels ständiges Kommen und Gehen am Anfang noch interessant gefunden, später hatte es sie eher gestört. Am Ende hatte sie sich fast verzweifelt eingeredet, dass Männer eben nun mal so waren. Aber waren sie wirklich so – alle?
Wenn irgendwo eine Familienfeier angestanden hatte, war Manuel stets beruflich unendlich eingespannt gewesen, ihre Familie nannte ihn deswegen schon das Phantom. Einmal hatte ihr Onkel sie sogar gefragt, ob sie den Typen mühsam per Photoshop neben sich ins Foto gebastelt hätte, und mit der Lupe die Aufnahmen von ihrem letzten Wochenendausflug kritisch beäugt. So hatte sie bei all diesen Veranstaltungen allein an der Kaffeetafel gehockt und die immer gleichen Sprüche geduldig über sich ergehen lassen. »Mädchen, na, wann kommen denn nun mal die Enkelkinder? Wolltest du nicht immer schon ein großes Haus mit Garten haben? Neulich hab ich ja deine ehemalige Klassenkameradin gesehen, die Luise, die hat gerade das vierte Kind bekommen und baut sich nebenbei noch eine Tierarztpraxis auf! Und du, immer noch in diesem seltsamen Laden, du könntest doch studieren! Irgendwie fehlt dir so jeglicher Ehrgeiz.«
Luise, die hatte ihr gerade noch gefehlt gehabt, Klassenbeste, Streberin und aus Annes Sicht ständig schwanger. Tierärztin war für die der perfekte Beruf, so konnte sie den ganzen Tag wehrlose Geschöpfe mit ihrem Gelaber beglücken.
Annes Mutter besaß die unvergleichliche Gabe, den Finger immer ganz genau in die tiefste Wunde ihres einzigen Kindes zu legen. Mit enormer Treffsicherheit bohrte sie in den Problemen anderer, so dass ihre eigenen Baustellen nicht zum Gesprächsthema wurden. Und Anne, sie hatte ihre Ohren, so gut es eben ging, verschlossen und fühlte sich wieder wie fünf, als ihre Eltern sie beim Früchte-aus-dem-Rumtopf-Naschen erwischt hatten. Die anschließende Standpauke hatte mit der heutigen Situation eine geradezu frappierende Ähnlichkeit.
Es war ja nicht so, dass Anne mit ihrer Situation unendlich zufrieden war, im Gegenteil. Wenn sie ehrlich war, wünschte sie sich auch, dieses geradezu klischeehafte Familienglück mit Heim, Haus und Hund, was andere zur Schau stellten. Und doch schmiss das Schicksal, das Leben oder was auch immer, ihr jedes Mal, wenn sie etwas ändern wollte, einen Knüppel zwischen die Beine. So ließ sie dann meist alles, wie es war, und fühlte sich sicher in ihrer kleinen heilen Welt.
Überhaupt Männer – das war ein heikles Thema. Egal, was sie tat, sie geriet stets an die gleichen Typen, sie zog sie sozusagen magisch an, wie der Honigtopf die Biene. Die Typen waren meist ziemlich verwegen und irgendwie verpeilt, zumindest anfangs. Normale Männer – nee, das ging gar nicht. Der Mann an ihrer Seite musste etwas Besonderes sein, wurde es für sie dann meistens auch und verabschiedete sich am Ende auf die gleiche Art wie der so besondere Typ vor ihm.
Emma stupste sie mit ihrer kleinen Nase an und holte Anne aus ihren düstersten Gedanken hervor. Okay, nun stand sie also hier, mitten in der Pampa, und guter Rat war teuer. Hinter ihr lag ein kleines Wäldchen und wiederum dahinter die Bahnstrecke. Vor ihr lag die Straße. Seitlich neben der Straße war eine Tafel mit verschiedenen Wanderrouten angebracht, aber nach körperlicher Betätigung stand ihr der Sinn momentan so gar nicht. Von hier bis Prerow zu wandern, war schon mal keine Option. Ein Blick auf das Handydisplay ließ ihre Stimmung endgültig auf den Nullpunkt sinken. Kein einziger Balken – Funkloch. Na, bei ihrem Glück war es nicht anders zu erwarten gewesen.
Seufzend verließ sie das Auto und irrte auf der Suche nach Empfang über den schlammigen Untergrund des Platzes, immer darauf bedacht, in keine der Pfützen vom letzten Regen zu latschen. Resigniert stand Anne schließlich am Straßenrand. Es half nichts. Sie, die starke Frau, die alles perfekt im Griff und sogar allein ihre kompletten Möbel aufgebaut hatte, musste sich eingestehen, dass sie eben doch nur eine schwache Frau war und von Autos so gar keine Ahnung hatte. Sie brauchte Hilfe und musste jemanden anhalten.
Die ersten zehn Autos fuhren ohne die geringste Reaktion an ihr vorbei. Na ja, vielleicht sollte sie an ihrer Art, um Hilfe zu bitten, arbeiten, an der Haltung oder dem Gesichtsausdruck – kurz, am Gesamtpaket »hilfsbedürftige Anne«. Bei einem weiteren Fahrer musste sie sich dann sogar durch einen reaktionsschnellen Sprung in den Graben vorm sicheren Überfahrenwerden retten, so nah war der Kerl hupend an ihr vorbeigebraust. Als Anne schon aufgeben wollte, näherte sich ein ziemlich klappriger alter VW-Bus. Der Fahrer hielt an, beugte sich über den Sitz und leierte seine Scheibe nach unten. Er sah aus, als wäre er gerade der Fischstäbchen-Werbung aus dem Fernsehen entstiegen, mit weißen Haaren, einem ebensolchen Bart, sehr gesunder Gesichtsfarbe und den blauesten Augen, die sie jemals gesehen hatte.
»Probleme? Kann ich helfen?«
War jetzt die Zeit gekommen, um endgültig depressiv zu werden, da sich auf ihren Hilferuf am Straßenrand nur noch ein älterer Herr meldete und die jungen, attraktiven Fahrer das Weite suchten? Sie beschloss, sich trotz allem zu freuen, immerhin war einer besser als gar keiner.
»Er will nicht mehr«, sagte sie und zeigte auf ihr Auto. »Ich hab nur kurz gehalten, der Hund musste mal, vielleicht ist es die Batterie, keine Ahnung.«
»Moment.« Der Mann legte seinen Rückwärtsgang ein, setzte ein Stück zurück und stellte sich dann genau neben ihren kleinen Opel Corsa. Emma erhob sich sogleich von ihrem Sitz und beäugte ihn neugierig. Anscheinend drohte von ihm keine Gefahr, denn Sekunden später kuschelte sie sich wieder in ihr weiches Körbchen. »Machen Sie mal die Motorhaube auf, und starten Sie dann!«
Sie folgte seinen Anweisungen. Ein leises »Plopp« ertönte, und das war`s.
Sein Gesicht tauchte an ihrem Seitenfenster auf und winkte sie mit einem Finger nach draußen. »Batterie ist runter, ich würde ja fast denken, Sie haben ein Problem mit der Lichtmaschine.«
Ja – Lichtmaschine, davon hatte Paul auch etwas gesagt, aber Anne war der Meinung gewesen, dass ihr Auto sie noch nie im Stich gelassen hatte und sicher auch diesmal durchhalten würde.
Unsicher sah sie ihn an. »Und nun, was machen wir jetzt?« Es war immer gut, den anderen einfach wie selbstverständlich in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen.
»Tja, das Auto muss abgeschleppt werden, mit Starthilfe oder so ist da nix. Müssen Sie noch weit?« Er warf einen kurzen Blick auf ihr Berliner Kennzeichen.
Abschleppen, das hatte gerade noch gefehlt. Lange undurchsichtige Zahlenreihen aus Reparaturkostenvoranschlägen tauchten vor ihrem inneren Auge auf. »Bis Prerow muss ich.« Deprimiert betrachtete sie ihr Auto.
»Na, bis Prerow kann ich Sie mitnehmen. Ich kann Ihnen auch eine gute Werkstatt empfehlen, da ist es nicht ganz so teuer. Also natürlich nur, wenn Sie wollen. Die schleppen dann Ihr Auto bis dahin und schauen sich das mal an. Na, was meinen Sie?«
Von allen Möglichkeiten war dies auf jeden Fall die vernünftigste. Und so holte sie Emma und das allernötigste Gepäck aus dem Wagen, was immer noch genug war, und setzte sich zu dem Fremden ins Auto. Einen Moment kam ihr der Gedanke, dass ihre Mutter bei der Vorstellung, sie würde sich per Anhalter von einem Unbekannten mitnehmen lassen, vermutlich einen Herzinfarkt erlitten hätte, aber es gab schlicht und ergreifend keine Alternative. Und ihre Mutter war außerdem ziemlich weit weg. Emma beschnüffelte den Fahrer, schien mit dem Ergebnis zufrieden zu sein und kuschelte sich entspannt auf ihren Schoß.
»Sie wollen wohl länger bleiben? Ich meine wegen der ganzen Sachen, sieht nicht aus wie eine Woche Ostsee?«, sagte ihr Fahrer mit einem prüfenden Blick auf die vollkommen zugepackte Rückbank.
Wie immer hatte sie vermutlich viel zu viel eingepackt, aber Anne wollte einfach für alle Wetterverhältnisse oder sonstigen Eventualitäten gut gerüstet sein.
Sie lächelte zaghaft. »Ich weiß noch nicht genau, wie lange ich bleibe, muss etwas Familiäres regeln.« Alles musste sie dem Mann ja nun nicht gleich auf die Nase binden.
Er nickte und schien diese knappe Antwort zu akzeptieren. Schweigend fuhren sie die langgezogene Bäderstraße entlang. Norddeutsche Menschen waren so angenehm, sie redeten nicht am laufenden Band und fragten einem keine Löcher in den Bauch. Wenn jemand nichts sagen wollte, so ließ er es eben einfach bleiben, und gut war`s.
Wie lange sie nicht mehr hier gewesen war, bestimmt hatte sich im Ort alles enorm verändert. Über fünfundzwanzig Jahre war es jetzt her, sie war gerade vierzehn geworden, als ihre Mutter ihr urplötzlich eröffnet hatte, dass ihre Tante sie nicht mehr sehen wollte und sie nicht mehr zu ihr fahren könne. Seit Anne sich erinnern konnte, war sie in jeden Sommerferien mindestens vier Wochen an der Ostsee gewesen, hatte unbeschwerte Tage verlebt und sich unendlich wohl gefühlt. Mit einem Schlag war jedoch alles vorbei gewesen – warum, wusste sie nicht. Ihre Mutter hatte sich immer gewunden, etwas dazu zu sagen, sosehr Anne auch nachbohrte. Sie hatte heimlich mehrere Briefe an Tante Sabine geschrieben, sie aber nie abgeschickt. Auch bei ihrem Vater hatte sie auf Granit gebissen. Wie immer hatte Anne die Schuld zunächst bei sich selbst gesucht. Hatte sie irgendetwas falschgemacht, ihre Tante verärgert? Ihr war zumindest nichts bewusst. Dann, im Laufe der Jahre, verblassten die Erinnerungen langsam, wurden schwächer und schwächer, nur noch ganz selten schwappten sie nach oben. Besonders in den Sommermonaten dachte sie oft schmerzlich an die schöne Zeit am Meer zurück. Es war ja nicht so, dass sie nie mehr ans Meer fuhren. Ein paar Mal waren sie auf der Insel Rügen gewesen, doch sobald die Sprache auf das Gebiet des Darßes kam, hatte eisiges Schweigen geherrscht.
Bis sie vor zwei Wochen ein Brief erreicht hatte, mit dem sehr beeindruckenden Stempel eines Rostocker Notars als Absender. Er war auf schwerem geprägtem Papier geschrieben gewesen, und schon von außen hatte alles unglaublich amtlich gewirkt. Mit einem komischen Gefühl hatte sie den Umschlag gleich hier neben den Briefkästen geöffnet. Man teilte ihr in Amtsdeutsch mit, dass ihre Tante Sabine vor kurzem verstorben war und ihrer einzigen Nichte – das war sie – das kleine Haus auf dem Darß samt Inventar vererbt hatte. Eigene Kinder hatte ihre Tante nie besessen, und ihre Schwester sollte das Elternhaus anscheinend nicht bekommen. Man bat Anne um eine Kontaktaufnahme, damit man besprechen konnte, wie man nun weiter verfahren sollte.
Anne hatte sich erst einmal setzen müssen. Nun war Tante Sabine also tot, die Chance, noch einmal mit ihr zu sprechen, war vertan. Aus ihrer Familie schien bisher sonst niemand davon erfahren zu haben, denn beim besten Willen konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihre Mutter ihr diese Nachricht vorenthalten hätte. Dass ihre Tante ausgerechnet ihr das Haus vermacht hatte, freute Anne und stimmte sie zugleich nachdenklich. Vermachte man jemandem, den man nie mehr hatte sehen wollte, sein Eigentum?
Nachdem Anne ihr alles erzählt hatte, war ihre Mutter entsetzt gewesen, zunächst sicher über den Tod ihrer Schwester, aber dann vor allem über die Last, die man Anne aufgehalst hatte. Gleich am Abend des Tages, an dem Anne die Nachricht erhalten hatte, hatte sie sich auf den Weg zu ihrer Mutter gemacht und sie tatsächlich auch einmal angetroffen. Dies war keine Selbstverständlichkeit, denn ihre Mutter war viel unterwegs, da zur Kosmetik, dort zum Yoga und freitags immer zum Zumba. Alles, nur nicht einfach so auf der Couch sitzen. Fassungslos hatte sie ihre Tochter angeschaut und sich sogleich maßlos in Rage geredet.
»Ich dachte, sie hat die Bude schon längst verkauft und sich ein schönes Leben von dem ganzen Geld gemacht. Und nun überträgt sie das Haus dir, als ob du nicht schon genug eigene Baustellen hättest. Ausgerechnet dir. Ein Haus an der Ostsee, na herzlichen Glückwunsch, das hat dir zu deinem Glück gerade noch gefehlt. Keinen Kerl aber ein Haus.« Eine endlose Reihe von Befürchtungen, Weissagungen und sonstigen Problemen folgte. Ihre Mutter hatte ihr die Zukunft in den schwärzesten Farben gemalt, so als hätte sie nicht gerade eine Erbschaft, sondern ihr Todesurteil erhalten.
Komischerweise hatten diese Vorhaltungen sie erst richtig bestärkt. Das war schon immer so gewesen. Oft entschied Anne sich aus Trotz für das genaue Gegenteil von dem, was ihre Mutter vorschlug. Es war eine reine Protesthaltung. So auch diesmal. Je länger ihre Mutter ohne Punkt und Komma auf sie eingeredet hatte, umso fester stand ihr Entschluss, sich persönlich um die Abwicklung des Erbes kümmern zu wollen. Gleich am nächsten Tag hatte sie darum ein längeres Telefonat mit dem Notar geführt und ihr baldiges Kommen angekündigt. Dieser schwafelte zunächst ausführlich darüber, dass er ihr am Telefon nichts sagen könne, aber ihr ansonsten sehr gern hilfreich zur Seite stehen würde.
Und als ihr Chef, der zugegeben ein älterer Herr war, ihr zwei Tage später in einem vertraulichen Gespräch, in dem es eigentlich um ein paar Urlaubstage ihrerseits gehen sollte, eröffnete, nun doch keinen Nachfolger für seinen Stoffladen zu suchen und diesen stattdessen einfach schließen zu wollen, kam ihr der Brief aus dem hohen Norden plötzlich wie ein Fingerzeig vor. Schon lange hatte sie sich gefragt, wer ein solches Geschäft denn kaufen sollte, in Zeiten, wo man alles billiger im Internet bekam. Sie hatten zwar ihre Stammkunden, die Knöpfe, Reißverschlüsse und Wolle kauften, und seitdem Anne begonnen hatte, etwas modernere Handarbeitskurse zu geben, kamen auch wieder mehr junge Leute in den Laden. Doch die meisten Menschen fuhren einfach nicht auf Selbstgemachtes ab. Eine Zeitlang hatte sie sogar selbst mit dem Gedanken gespielt, den Laden zu übernehmen. Damals war Manuel noch an ihrer Seite gewesen und hatte ihr davon energisch abgeraten. Im Endeffekt war dies das einzige Mal gewesen, dass er ihr wirklich hilfreich zur Seite gestanden hatte. Vermutlich aus Furcht, dass ihre Energie dann mehr ins Geschäft als in ihn fließen würde.
Und nun – Mann weg, Arbeit auch bald, Wohnung na ja – also vielleicht war dies eine vom Schicksal gesandte Möglichkeit, wie sagte man immer so schön, die Weichen noch einmal neu zu stellen. Also hatte sie ihren gesamten Resturlaub genommen, den ihr Chef auch ohne mit der Wimper zu zucken genehmigte, ihre Sachen aus dem Laden geräumt und sich verabschiedet. Annes Kontostand war zwar alles andere als rosig, aber sie würde ja an der Ostsee im eigenen Haus wohnen und somit nicht viel Geld brauchen. Das hatte sie sich eingeredet, als sie ihren Wohnungsschlüssel am Abend zu ihrer Nachbarin gebracht hatte. Die konnte sich in der Zwischenzeit um ihre Pflanzen kümmern und den Briefkasten leeren. Es war eine ältere Dame, die das gerne tat, vermutlich auch ein bisschen in den Schränken stöberte, aber Anne war das egal.
Und nun rollte sie im Auto eines stockfremden Mannes auf Prerow zu und spähte neugierig in die aufziehende Dunkelheit. Hier schien immer noch alles wie früher zu sein, außer dass die Straßen in einem wesentlich besseren Zustand waren.
»Ich bin übrigens Wilhelm Peters, weil wir beide hier schon so vertraut durch die Gegend fahren«, sagte ihr Retter, hielt Anne seine rechte Hand hin und holte sie so aus den Grübeleien über die Vergangenheit.
»Anne Berger, danke übrigens, dass Sie mich mitnehmen.« Peters, Peters – da stieg eine hauchzarte Erinnerung in ihr empor, diesen Namen hatte sie ganz sicher schon mal gehört. Unauffällig musterte sie den Fahrer, doch in der Dunkelheit war von seinem Gesicht nicht mehr allzu viel zu erkennen. »Ohne Sie hätte ich gar nicht gewusst, was ich tun soll, mit Autos und der ganzen Technik kenne ich mich so gar nicht aus.«
Mit einer kleinen Handbewegung winkte er ab. »Schon gut.«
Draußen tauchte das Ortseingangsschild von Wieck auf, also waren sie bald da. »Wo müssen Sie denn genau hin in Prerow?«
Anne nannte ihm die Adresse. Ein prüfender Blick von der Seite streifte sie. »Du bist wohl die Nichte von Sabine und wegen des Hauses da?«, fragte er und wechselte dabei ins vertrauliche Du. »Die kleine Anne, kamst mir, wenn ich ehrlich sein soll, gleich irgendwie bekannt vor. An mich wirst du dich wohl nicht mehr erinnern, ist ja auch schon paar Jährchen her. Fischer Peters, ich hab dich paar Mal frühmorgens mit dem Kahn mit rausgenommen.«
Bilder erschienen vor ihrem inneren Auge, der kleine Hafen von Prerow in der Morgendämmerung, sie selbst, wartend, bis der bärtige Mann mit seinem Fahrrad endlich kam. Dieser einzigartige Geruch nach Fisch und Seetang, ein altes tuckerndes Fischerboot, mit dem sie auf den Bodden gefahren waren. Raus zu den Reusen und Netzen – voller Spannung, was sich wohl heute alles darin befand. Ein paar Fische hatte er ihr hinterher immer in Zeitungspapier eingepackt, Anne hatte sie auf den Gepäckträger ihres Fahrrads geklemmt und war heimgeradelt, wo ihre Tante die Fische gebührend bewunderte. Abends waren dann verführerische Düfte durchs ganze Haus gezogen, wenn Sabine den morgendlichen Fang in der Bratpfanne zubereitet hatte. Dazu gab es frisches Brot oder den leckersten Kartoffelbrei ihres ganzen Lebens. Auch an Peters Frau erinnerte sie sich – Rita, war die allerbeste Freundin ihrer Tante gewesen, und das schon seit Schulzeiten. Und dann war da doch immer noch so ein Junge gewesen, älter als sie, braungebrannt und rotzfrech. Oft war er mit ihnen auf den Bodden gefahren. Der hatte Anne anfangs geärgert, an den Haaren gezogen, von der Schaukel geschubst und war dann doch jeden Tag wieder zum Spielen angekommen. Es war stets gleich abgelaufen, sie hatte Stein und Bein geschworen, mit ihm nie mehr zu spielen, und tat es dann doch immer wieder.
Lächelnd sah sie ihn an. »Na klar erinnere ich mich noch. Aber da war noch ein Junge, der auch immer mitfuhr.«
»Ein Junge …« Mit gerunzelter Stirn schaute er nach draußen. »Ach du meinst sicher Thomas, den Sohn von der Nachbarin. Stimmt, den haben wir beide ein paar Mal mitgenommen. Tja, Thomas erkennt man heute fast nicht mehr wieder. Ist jetzt Makler, verkauft Häuser und so Luxusimmobilien, auch hier in der Gegend. Scheint sehr erfolgreich zu sein, nicht bei allen beliebt, aber ich komm mit ihm klar. Und du, was machst du so?«
»Och, nichts Besonderes, wohne in Berlin, arbeite in einem kleinen Laden, ähm, ich meine, hab dort gearbeitet.« Noch immer konnte sie sich nicht an den Gedanken gewöhnen, dass es nun mit ihrer Arbeit vorbei war. Selbst den Ausverkauf machte ihr Chef ohne sie.
»Arbeitslos geworden?« Er schaute weiter geradeaus.
Sie schüttelte den Kopf. »Mein Chef hört aus Altersgründen auf. Na ja, Berlin ist groß, ich werde schon was Neues finden, sogar ganz sicher.«
Schon von ferne sah sie den Schriftzug »Prerow« in großen Buchstaben auf einem Schild am Straßenrand stehen. Wilhelm bog links in den Ort ab und rollte die breite Hauptstraße entlang. Staunend schaute Anne aus dem Fenster, so viel hatte sich verändert.
»Na, erkennste noch etwas wieder, Mädel? Es hat sich viel getan in den letzten Jahren, glaub mir, du wirst staunen.«
Anne entdeckte einen Supermarkt und gleich darauf noch einen, unzählige Restaurants lagen am Straßenrand, kleine Boutiquen und andere Geschäfte. Die meisten der Häuser sahen edel aus, waren in einem Topzustand oder hatten damals noch gar nicht dort gestanden.
Irgendwann bogen sie in einen kleinen Weg ein, und zu ihrer Erleichterung stellte Anne fest, dass hier immer noch alles so zu sein schien, wie sie es in ihren Erinnerungen vor sich gesehen hatte. Da waren die vielen Schlaglöcher, die sich bei Regen mit Wasser füllten, da war der Sand, der in der Sommerhitze dafür sorgte, dass die Autos stets eine Staubfahne hinter sich herzogen. Sicher gab es auch hier neue Gebäude, doch die meisten hatten damals schon hier gestanden. Und dann lag es vor ihr – das Haus ihrer Tante, ihre zweite Heimat während so vieler glücklicher Sommertage. Von außen sah es noch immer so aus, als wäre sie erst vorige Woche hier gewesen. Es kam ihr nur viel kleiner als damals vor, mit seinem reetgedeckten Dach, welches über und über mit Moos bewachsen war. Ganz oben drauf thronte der schiefe Schornstein, der bei Sturm stets singende Geräusche von sich gab. Über der Eingangstür erblickte sie das Fenster, das wie ein Auge aussah, da hatte früher immer Kater Nepomuk gethront. Jetzt war es verständlicherweise leer. Die Wände waren noch immer hell gekalkt und mit dunklen Balken durchzogen. Selbst die selbstgehäkelten Gardinen hingen in den kleinen Fenstern. Da waren der Holzzaun, der das Grundstück umgab, und das Tor, das wie immer ein wenig schief in den Angeln hing. Nur der Vorgarten sah ziemlich verwildert aus. Früher hatte Sabine sich fast jeden Tag auf die Suche nach Unkraut oder verwelkten Blüten gemacht. Ein Vorgarten war das Aushängeschild eines jeden Hauses, waren ihre Worte gewesen, wegen der Leute. Und der musste picobello aussehen, ganz anders als die Fläche hinter dem Haus, die ging keinen etwas an.
Wilhelm räusperte sich neben ihr, und erst jetzt bemerkte sie, dass sie mit der Klinke in der Hand noch immer neben ihm saß und schweigend das Haus betrachtete.
Wilhelm half Anne beim Ausräumen des Autos und schaffte das Gepäck mit ihr zusammen vor die Haustür. Wie immer klemmte das Gartentor, man musste es auf einer Seite ein wenig anheben, damit es sich leichter öffnen ließ.
»Ich schick jemanden von der Werkstatt vorbei, wenn es dir recht ist?« Fragend schaute er sie an. Ihr war alles recht, auch wenn ihr vor den Kosten graute. »Ach und Anne, wir würden uns freuen, wenn du bei uns beiden Alten mal zum Kaffee vorbeikommst. Bist immer von Herzen willkommen.« Mit einem Winken verabschiedete er sich, fuhr davon, und sie war allein.
In ihrer Tasche kramte sie nach dem Hausschlüssel und schaltete letztendlich ihre Handylampe an, da sie in den unergründlichen Tiefen mal wieder nichts fand. Vorhin war sie noch bei dem Notar in Rostock gewesen und hatte sich den Schlüssel abgeholt. Eine ziemlich hochnäsige Sekretärin hatte ihn ihr ausgehändigt, natürlich nicht ohne vorher ihren Ausweis aufs Genaueste zu prüfen. Vorsichtig drehte sie den Schlüssel im Schloss und öffnete langsam die Tür.
Tief sog sie den Geruch des Hauses ein, er war so unglaublich vertraut, dass es ihr fast die Tränen in die Augen trieb. Hier hatte es schon immer ganz anders gerochen als in Berlin – nach Meer und Sommer und schönen Stunden. Nach alten Möbeln und knarrenden Dielen, nach frischgebackenem Brot oder leckerem Essen – einfach nach einem gemütlichen Zuhause. Und dennoch war da noch ein anderer Geruch, einer, den sie irgendwie nicht richtig greifen konnte.
Sie stellte die Taschen in den Flur, befreite Emma von ihrer Leine und begab sich auf Entdeckungstour. Sofort stürzte ihr Hund schnüffelnd los, um das neue Heim zu inspizieren. Gegenüber der Eingangstür stand der alte wurmstichige Regulator, als Kind hatte sie Ewigkeiten damit zugebracht, sein hin und her schwingendes Pendel zu beobachten. Heute stand er still, vermutlich hatte ihn einfach niemand mehr aufgezogen. Wobei - hielt man in einem Haus nicht die Uhren an, wenn darin jemand verstorben war?
Zu ihrer Linken lag die Küche, der Raum des Hauses, in dem sie früher die meiste Zeit verbracht hatten. Da war der große alte Tisch vor der gemütlichen mit farbenfrohen Kissen geschmückten Eckbank, der Küchenschrank mit den beiden großen Klappfächern, in denen Tante Sabine immer Brot und Brötchen aufbewahrt hatte. Alle Fächer waren mit buntem Papier ausgelegt gewesen, und so war es auch heute noch, wie sie mit einem Blick feststellte. Akkurat waren Teller und Tassen angeordnet, die gleichen wie in ihrer Kindheit. Nur der Kühlschrank und der Herd waren erneuert worden, jemand hatte sie gegen modernere Geräte ausgetauscht. Die alte Spüle aus Emaille hing an der Wand mit den dunkel schimmernden abgeplatzten Ecken und dem Boiler für das warme Wasser oben drüber. Hier drehte man nicht einfach nur den Hahn auf, hier musste man vorher etwas machen, damit warmes Wasser kam. Über dem großen rustikalen Herd hingen wie immer Kräuter zum Trocknen, aus denen Sabine im Winter wohlschmeckende Tees gekocht hatte. Buntkarierte Geschirrtücher baumelten daneben. Bei Sabine war also immer noch von Hand abgewaschen worden. Anne kannte in ihrem Umfeld niemanden, der das noch tat. Irgendjemand hatte die verderblichen Lebensmittel entfernt und auch die vielen Pflanzen auf der Fensterbank gegossen, sie tippte auf Wilhelms Frau Rita.
Gegenüber der Küche lag die kleine Stube – ein Sofa, zwei Sessel mit einem kleinen Tischchen, der Fernsehschrank und die beiden Wohnzimmeranrichten, das war´s schon. Seltsam, hier drinnen waren sie kaum gewesen. Fast zaghaft trat sie deswegen ein. Ihre Tante hatte diesen Raum immer die gute Stube genannt, nur zu ganz bestimmten Anlässen oder manchmal zum Fernsehen hatte Anne früher hineingedurft. Eine der Anrichten war mit vielen Bildern vollgestellt. Zu ihrem Erstaunen fand Anne mehrere von sich selbst und war sofort unglaublich gerührt, aber auch verblüfft. Denn neben alten Schwarzweißfotos aus ihrer Kindheit standen relativ aktuelle Aufnahmen von ihr. Das eine Foto war zum Beispiel vor zwei Jahren bei einem Griechenlandurlaub aufgenommen worden. Strahlend posierte sie mit ihrem Sonnenhut vor der Akropolis, natürlich mal wieder ohne Manuel, das Phantom. Und da, das war ihr achtzehnter Geburtstag, Vater hatte ihr einen uralten, aber immer noch fahrtüchtigen Trabi geschenkt. Strahlend hielt sie den Schlüssel in die Kamera, endlich hatte sie ihr Traumauto. Sie war damit bis nach Ungarn gefahren. Seltsam – sie hatte immer angenommen, dass ihre Tante keinerlei Kontakt mehr zur Familie gehabt hätte. Beim besten Willen konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihre Mutter die Fotografien geschickt hatte. Aber wer sollte es sonst getan haben? Auf dem Sofa lagen eine Decke und ein Kissen, es sah fast so aus, als hätte Sabine sich vor kurzem noch zu einem Mittagsschläfchen niedergelegt und würde jeden Moment zur Tür hereinkommen.
Im hinteren Bereich des Hauses lag das einfache Badezimmer, darin befanden sich eine große Wanne mit einem altmodischen Boiler, daneben ein Waschbecken und die Waschmaschine. Auf der Ablage standen eine Flasche Kölnisch Wasser und ein Napf Creme. Sie dachte an die vielen Schönheitsartikel ihrer Mutter, die Parfüms, Cremes und Sprays – alles kostete ein Heidengeld, war aber trotzdem kein Garant für ewige Schönheit, wie sie immer wieder feststellte. Erst vor kurzem hatte ihre Mutter sich eine sündhaft teure Creme aus Frankreich gekauft, sie wollte ihren Falten endgültig den Kampf ansagen. Die Wirkung auf Falten und Fältchen konnte sie dann leider nicht mehr beurteilen, da sie am nächsten Morgen mit lauter Pusteln im Gesicht erwacht war. Jeder, dem sie auf der Straße begegnet war, hatte sie darauf angesprochen. Die Leute hatten gemutmaßt, ob nun Röteln oder Windpocken dafür verantwortlich wären. Anne hatte die Lacher auf ihrer Seite gehabt, und ihre Mutter verließ eine Woche ihre Wohnung nicht mehr.
Langsam stieg sie die steile knarrende Treppe hinauf. Auch in der oberen Etage war alles unverändert. Auf einer Seite des Hauses lag das große Schlafzimmer und auf der anderen die beiden kleinen Gästezimmer. In einem hatte sie immer geschlafen, es war ihr ganz persönliches Ferienreich gewesen. Das andere Zimmer war früher das Kinderzimmer von ihrer Mutter und Sabine gewesen, diente heute als Abstellraum und war mit vielen alten Dingen vollgestopft. Quietschend öffnete sie die Tür zu ihrem damaligen Ferienrefugium. Da waren das Bett mit dem Nachttisch und der Kleiderschrank. Sie bückte sich. Der Blick durch das kleine Fenster fiel nach hinten raus in den mittlerweile dunklen Garten. Auf dem Regalbrett über dem Bett standen sogar noch ein paar Jugendbücher, und ausgeblichene Plakate von Popbands hingen an den Wänden. Beim besten Willen konnte sie sich nicht mehr erinnern, einmal dafür geschwärmt zu haben, anscheinend war es aber so gewesen, sonst würden sie ja hier nicht hängen. Anne öffnete eine der Schranktüren, und die früher so vertraute blauweißkarierte Bettwäsche lag ordentlich auf einem Stapel vor ihr. Sie schien sogar noch ganz leicht wie damals zu riechen. Sabine hatte tatsächlich alles so belassen und nichts hier drinnen verändert, als ob die kleine Anne bald wieder auf Sommerurlaub käme. Draußen im Flur lehnte die Leiter an der Wand, mit der man ganz nach oben auf den Boden klettern konnte. Ihr war es streng verboten gewesen, dort hinaufzusteigen. Umso verführerischer hatten die unbekannten Schätze gelockt. Unter dem Reetdach mit seinem Geruch nach Natur und dem knackenden Gebälk hatte sie sich immer unglaublich geborgen gefühlt. Sie hatte ganze Tage mit dem Stöbern in uralten Sachen zugebracht.
Leise öffnete Anne die hintere Tür. Genau vor ihr stand das breite Ehebett, obwohl Sabine nie einen Mann gehabt hatte, zumindest hatte Anne nie einen gesehen und auch nie von einem gehört. Sabine hatte schlicht und ergreifend einfach die Möbel ihrer Eltern übernommen, so wie man es früher machte. Die Schränke waren immer noch mit ihrer Kleidung gefüllt. Logisch, wer hätte sie auch ausräumen sollen, Anne war schließlich die Erbin und würde das übernehmen müssen. Sogar eine Tasse stand auf dem Nachttisch, mit dem Rest einer eingetrockneten Flüssigkeit auf dem Boden. Ein dickes Buch wartete darauf, zu Ende gelesen zu werden – ein Liebesroman mit einem schmachtenden Pärchen auf der Vorderseite, vielleicht konnte sie sich dort für ihr eigenes verkorkstes Liebesleben einige Anregungen holen. Selbst das Nachthemd lag akkurat gefaltet unter der dünnen Zudecke.
Anne stieg wieder nach unten und machte sich auf die Suche nach Hund Emma. Die lag im Wohnzimmer auf dem Sofa, hatte sich auf einem der Kissen zufrieden zusammengeringelt und hielt ein erneutes Nickerchen. Sie schien sich hier schon wie zuhause zu fühlen, was aber auch nicht immer ein sicheres Zeichen war, bei Manuel hatte Emma damals schon mal komplett danebengelegen, denn ihn hatte sie gleich bei ihrer ersten Begegnung akzeptiert und ihm auf diese Weise ihre Hundeliebe gezeigt.
Unentschlossen schaute sie sich um, nun war sie also da, angekommen, und momentan fehlten ihr die Ideen, was jetzt vielleicht zu tun wäre. Also steckte Anne erstmal den Kühlschrank ein und begann relativ lustlos ein klein wenig auszupacken, nur ein paar der wichtigsten Sachen, morgen war schließlich auch noch ein Tag. Ihre Vorräte waren äußerst dürftig, sie würde sicherlich nicht verhungern, musste aber morgen unbedingt einkaufen. Und überhaupt, sprachen nicht immer alle vom Fasten, also setzte sie sich mit einem Apfel zu ihrem Hund auf die Couch und legte die Beine auf den Tisch.
Das Klingeln des Telefons ließ Anne erschrocken zusammenzucken. Dieses war natürlich neu, denn früher musste man zum Anrufen an die öffentliche Telefonzelle in der Ortsmitte laufen. Ein Telefon war eine absolute Rarität gewesen, und wer eines besaß, hatte entweder Beziehungen, die richtige Stellung, oder bei demjenigen ging es nicht mit rechten Dingen zu.
Anne meldete sich lieber erstmal mit einem vorsichtigen »Hallo«.
»Hallo, hier ist der Hannes von der Werkstatt, also der Autowerkstatt, es gibt ja noch andere Werkstätten«, meldete sich eine relativ junge männliche Stimme. »Wilhelm meinte gerade, dass Sie wohl ein Problem mit Ihrem Auto haben, ich würde mir das gleich morgen mal anschauen und wollte fragen, ob ich mal kurz vorbeikommen könnte, wegen dem Schlüssel, also nur auf einen Sprung. Ich hab gleich am Morgen ne Fuhre nach Wustrow, da könnt ich Ihr Auto auf dem Rückweg gleich aufladen, da wird es etwas billiger.« Ihr war alles recht, Hauptsache, sie war bald wieder mobil, und billig klang geradezu wie Balsam in ihren Ohren.
Schon Minuten später klopfte es, und Anne war nicht sicher, ob der junge Mann schon während des Telefonats vor dem Haus gewartet hatte. Hannes entpuppte sich als ein etwa zwanzigjähriger schlaksiger Bursche, der sie ziemlich unverhohlen von oben bis unten musterte und eine verlegen rote Gesichtsfarbe hatte. Seine rotblonden Haare standen lustig in alle Richtungen ab, verstohlen klapperte er mit irgendwelchen Metallteilchen in der Hosentasche seines Blaumannes und schien zu überlegen, was man nun wohl am besten als Nächstes sagen könnte.
Abrupt hielt er ihr schließlich seine Hand hin und trat dann gebückt in den Hausflur. »Ich bin der Hannes, Wilhelm hat mir schon alles gesagt, also wo das Auto steht und so. Ich kümmere mich und gebe Ihnen Bescheid, und nun brauche ich den Schlüssel.«
Immer noch starrte er sie unvermindert an, nicht unangenehm, aber doch ziemlich hartnäckig und unverblümt. Anne warf ihm einen ihrer berühmten scharfen Blicke zu, bei dem jedes Gegenüber, egal ob Mann, Frau oder Kind, sofort ertappt den Blick senkte, bei ihm schien dies aber nicht zu funktionieren. Mit geradezu nordischer Gelassenheit starrte er sie weiterhin an.
»Wilhelm sagte mir, es könnte wohl die Lichtmaschine sein.« Anne versuchte das Thema von sich weg auf das eigentlich Entscheidende zu lenken. »Wie lange wird denn sowas dauern, ich brauche ja das Auto?«
Hannes blies die Backen auf und blickte konzentriert an die Decke. »Na ja, das ist schwer zu sagen.« Er blieb eher unbestimmt.
»Es ist ja nur, weil ich schon ein Auto bräuchte, ich hab ja einiges an Wegen zu erledigen«, bohrte sie nach.
»Hm, da müsste ich mal mit dem Chef reden, also morgen könnte ich das. Jetzt isses schon bisschen spät, der Chef hat Feierabend.« Konzentriert sah er sie dann, plötzlich schien ihm die Erleuchtung zu kommen, denn er begann breit zu grinsen. »Oder … oder Sie nehmen einfach das Auto von der Sabine, das müsste doch noch in der Garage stehen. Falls da die Batterie runter ist, das ist schnell gemacht, einfach durchrufen, da lade ich das Ding auf. Kann ich mir aber nicht vorstellen, ist ja noch ziemlich neu. Ich glaub auch nicht, dass die Sabine was dagegen hat, weil sie ist ja …, ähm, na ja, ich meine …« Vermutlich wurde ihm sein Fauxpas bewusst, und so sprach er lieber nicht mehr weiter und schwieg schon wieder sichtlich verlegen.
Kurze Zeit später betrat Anne mit dem Autoschlüssel, der gleich neben der Tür gehangen hatte, die Garage. Verwirrt hatte sie Hannes angesehen, ihre Tante und ein Auto, die hatte doch nie einen Führerschein besessen, zumindest nur einen fürs Moped, mit dem sie immer auf Arbeit gefahren war. Früher standen dort im flachen Anbau die Fahrräder drin und Tante Sabines alte Schwalbe, ansonsten diente der Raum hauptsächlich der Aufbewahrung diverser Gartengeräte. Jetzt glänzte Autolack, es roch nach Öl und Benzin, sie tastete nach dem Lichtschalter, und vor ihr stand ein knallroter Fiat – aus dem Anbau war eine Garage geworden. Anne musste verblüfft erstmal eine Runde drehen, um sich zu vergewissern, dass sie keine Fata Morgana sah, doch der kleine rote Flitzer blieb ein kleiner roter Flitzer. Vorsichtig strich sie über den glänzenden Lack. Sie setzte sich hinein, drehte den Schlüssel, und der Motor schnurrte los, als hätte er nur auf sie gewartet. Der Kilometerstand war verschwindend gering, Sabine war vermutlich nicht sehr viel damit gefahren oder nur sehr kurze Wege.
Anne wurde langsam bewusst, wie viele Jahre eigentlich vergangen waren. Sie konnte nicht erwarten, dass Sabine bis zuletzt genauso wie in den Erinnerungen ihrer Kindheit gelebt hatte. Dass sie immer noch mit ihrer Schwalbe fuhr, Brot selber backte und alles komplett beim Alten war. Wie vieles hatte sich in ihrem eigenen Leben verändert, von dem ihrer Eltern ganz zu schweigen.
Da hockte sie nun nachdenklich in der dunklen Garage und starrte das geschlossene Tor an. Plötzlich spürte Anne, wie todmüde sie auf einmal war, ihre Augen brannten, und der Rücken schmerzte, ein untrügliches Zeichen, dass das Limit fast erreicht war. Die letzten Tage waren vielleicht doch etwas viel gewesen. Obwohl sie immer so taff tat, besonders ihrer Mutter gegenüber, hatte ihr alles mehr zugesetzt als sie zugegeben hatte.
Also schnappte sie sich die Leine und ließ Emma nur eine kleine Pullerrunde durch den Garten drehen, die damit auch durchaus zufrieden war. »Morgen, Emmalein, gehen wir runter ans große Wasser, ganz fest versprochen, aber heute will ich nur noch schlafen.« Ihr Hund protestierte nicht, und so bezog sie in ihrem alten Feriendomizil das Bett. Im Schlafzimmer ihrer Tante zu übernachten, dazu konnte sie sich beim besten Willen nicht aufraffen. Draußen strich der Wind über das Dach, und die alten Balken ächzten ganz leise – ein ziemlich vertrautes Geräusch. Schon kurze Zeit später war sie tief und fest eingeschlafen und kam sich vor, als wäre sie wieder ein kleines Mädchen und in den Sommerferien zu Besuch an der Ostsee.
Ein seltsames Knacken drang in ihre Träume vor, ganz dezent und doch hartnäckig. Mit einem Ruck richtete Anne sich auf und lauschte, da war es wieder, dieses komische Geräusch, momentan undefinierbar, vor allem, aus welcher Richtung es überhaupt kam. Jetzt klang es wie ein Schlurfen, und langsam hatte sie den Eindruck, als ob unten jemand durchs Erdgeschoss schlich. Sie lauschte und hielt dabei den Atem an, so lange, bis sie das Gefühl bekam, langsam blau anzulaufen. Es war kurz nach Mitternacht, Emma lag am Fußende und rührte sich nicht. Kleine Schnarcher zeigten, dass ihr Hund in den tiefsten Träumen versunken war und alle Welt um sich herum vergessen hatte. Als Wachhund war Emma somit vollkommen ungeeignet, denn sie hätte jeden Einbrecher verschlafen oder ihn im Tausch gegen ein Stück Wurst freiwillig ins Haus gelassen.
Mittlerweile herrschte wieder Stille, nichts mehr war zu vernehmen, außer dem sanften Streichen des Windes auf dem Schilf über ihr. Dennoch schlüpfte sie in ihre Hausschuhe und schlich möglichst lautlos in den Flur. Überlaut knarrten die Dielen unter ihren Füßen und hätten jeden mutmaßlichen Einbrecher spätestens jetzt in die Flucht geschlagen. Fahler Mondschein fiel aus dem Schlafzimmer ihrer Tante, schemenhaft erkannte sie Möbel, die Treppe, die nach unten führte, und sonst nichts. Vorsichtig tastete sie sich in der Dunkelheit die Stufen hinab. Unten angekommen, schaute sie in alle Räume, da war nichts. Sie rüttelte an der Vordertür, doch diese war fest verschlossen.
Okay, sie war ein sehr rationaler Mensch, dennoch hatte sie schon einmal gehört, dass manche Verstorbene noch eine
Zeitlang in ihrem ehemaligen Zuhause umherschlichen. In irgendeiner Zeitschrift bei ihrem Friseur glaubte sie, dies mal gelesen zu haben. Aber eigentlich konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Geist ihrer Tante durchs Haus schlich. Vermutlich hatten unter ihr schlicht und ergreifend ein paar alte Dielen geknackt, oder sie vermisste einfach die Geräusche ihrer Berliner Wohnung, in der ja immer irgendetwas los war. Zuhause hätte sie sich jetzt eine große Packung Eis aus ihrem Gefrierschrank geholt, was immer noch die beste Methode war, die angespannten Nerven zu beruhigen. Mangels Eis und sonstigen Naschereien ging Anne einfach wieder ins Bett, schnappte sich ihren Hund vom Fußende und redete sich verzweifelt ein, dass das Ganze einfach nur auf einer Einbildung ihrerseits beruhte.
Irgendwann schien sie dann doch eingeschlafen zu sein, denn sie träumte gerade, dass Manuel sie leidenschaftlich küsste, feucht strich sein Mund über ihr Gesicht. Sein Atem roch heute ausgesprochen seltsam, und obwohl sie sich zur Seite drehte, ließ er nicht ab von ihr und verfolgte sie mit seinen Zärtlichkeiten geradezu hartnäckig. Gerade als sie energisch werden wollte, fiel ihr siedend heiß ein, dass sie ja mit Manuel gar nicht mehr zusammen war, und sie riss mit einem Ruck ihre Augen auf. Anne erblickte eine kleine rosa Zunge und ihren Hund Emma, der sichtlich begeistert auf ihrem Brustkorb hockte. Augenblicklich machte sich Erleichterung in ihr breit. Im Zimmer war es taghell, gleißender Sonnenschein malte Kringel auf den Boden, und der Blick auf Annes Handy verriet, dass es bereits 10 Uhr war. Einen Moment brauchte sie; diese Ruhe konnte sie kaum einordnen, keine S-Bahn mehr, die gefühlt fast mitten durch ihr Schlafzimmer donnerte, sondern nur das ausgesprochen zurückhaltende Zwitschern der Vögel. Natürlich – nicht nur, dass sie nicht Manuel auf sich liegen hatte, sie war auch gar nicht in Berlin, sondern an ihrer geliebten Ostsee. Die Ereignisse der letzten Nacht tauchten plötzlich in ihrem Gedächtnis auf, doch angesichts des hellen Sonnenscheins auf ihrer Bettdecke kamen sie ihr gerade noch unwirklicher und ihrer Fantasie entsprungen vor.
Ächzend quälte sie sich aus dem Bett, ließ Emma kurz im Garten pullern, was anscheinend dringend notwendig gewesen war, und sprang dann unter die heiße Dusche. So zumindest war der Plan, denn außer einem asthmatischen Stöhnen gab der altersschwache Boiler erstmal gar nichts von sich. Aus der Leitung kam nur kaltes Wasser, dagegen war Anne immer schon absolut allergisch gewesen, von Abhärtung und Wassertreten hielt sie so gar nichts. Todesmutig wollte sie sich gerade unter den kalten Strahl stürzen, als die Technik doch noch ein Einsehen mit ihr hatte und endlich zumindest lauwarmes Wasser von sich gab.
Derart erfrischt, checkte sie ihre Essensvorräte und war sofort wieder am Rande der Depression, denn ihre Nahrungsmittel hatten sich über Nacht nicht auf wundersame Weise vermehrt, immer noch stand somit ein Einkauf ganz oben auf der Liste der dringendst zu erledigenden Sachen. Immerhin gab es einen Rest Kaffee in der Büchse oben im Küchenschrank und eine halbe Schnitte, die von ihrem Reiseproviant übriggeblieben war. Sie stärkte sich daher eher halbherzig und beschloss trotzdem tapfer, als Erstes den seit gestern überfälligen ausführlichen Spaziergang mit ihrem Hund in Angriff zu nehmen.
Anne schnappte sich die Leine sowie ihren Hund, wandte sich nach rechts und folgte dem holprigen Fahrweg bis zum Deich. Die wenigen Häuser, an denen sie vorbeikam, lagen verlassen, kein Mensch war zu sehen. Auch hier waren einige neu gebaute dazugekommen, dort, wo früher nur Gras wuchs, hatte man schicke Ferienobjekte errichtet und pries den Komfort auf mit vielen Fotos gespickten Schildern an. Sie kletterte den kleinen Hügel empor, lief ein Stück auf der Deichkrone entlang und kletterte auf der anderen Seite wieder hinab. Ein schmaler Weg führte durch den Wald. Über eine hölzerne Brücke passierte sie mit klappernden Schritten den mit schlafenden Enten besetzten Prerowstrom und folgte dem Weg durch den rauschenden Darßwald bis ganz nach vorn zu den Dünen, altes Laub raschelte zu ihren Füßen. Es schien eine bei anderen Hundebesitzern durchaus beliebte Strecke zu sein, denn Emma kam aus dem Schnüffeln und Markieren gar nicht mehr heraus. Gefühlt alle zwei Meter hielt sie an, um eine erneute Markierung an den Wegesrand zu setzen.
Bis hierher hörte sie die Ostsee schon tosen, während sich über ihr die Kiefern im Wind hin und her wiegten. Anne stapfte durch den losen Sand, kniff die Augen fest zusammen und tastete sich langsam Schritt für Schritt auf dem Weg den Dünenhügel empor. Emma zerrte an der Leine und ließ sie nicht vom Kurs abkommen. Als sie das Gefühl hatte, nun endlich das Meer in voller Schönheit zu sehen, riss sie mit einem Ruck die Augen auf, und dann lag sie vor ihr – die unendliche Weite der Ostsee. Schon früher war das stets ihr Ritual an jedem ersten Ferientag gewesen. Als Kind war es ihr zumindest immer so vorgekommen, als gäbe es kein Ende, als würde diese unendliche Weite immerfort weitergehen. Heute als Erwachsene sah man alles rationaler, dennoch spürte Anne, wie ein unbeschreibliches Gefühl in ihr nach oben stieg. Der Strand war im Vergleich zum Sommer menschenleer, was sicherlich an der Jahreszeit lag, die nicht allzu viele Menschen hierherlockte, denn am heutigen Wetter konnte es nicht liegen. Die Sonne schien von einem blauen Himmel, und das Wasser strahlte in einem geradezu verlockenden Farbton. Doch noch war es März, schon in ein paar Wochen würde es hier ganz anders aussehen und erste Badelustige sich schon am Morgen in die Fluten stürzen. Dann würden auch die Strandkörbe aufgestellt werden, und die Weite des Strandes wurde etwas kleiner.
Anne wandte sich spontan nach rechts, stapfte durch den losen Sand bis ganz nach unten, wo die Wellen fast ihre Füße umspülten. Mit einem prüfenden Blick zu den anderen Strandwanderern befreite sie ihren Hund von der Leine und schlenderte dann entspannt am Meer entlang, genau an der Wasserlinie, dort, wo der Sand schön feucht war, es sich besser laufen ließ und man Spuren hinterließ, die erst das Wasser oder der Wind löschen würden. Sie stapfte mitten durch Seetang und Muschelkolonien. Tief sog sie die salzige Luft in ihre Lungen und vertrieb damit die alles andere als frische Berliner Luft. Emma kam aus dem Schnüffeln gar nicht mehr heraus und stürzte hierhin und dahin. So viele fremdartige noch nie vorher gerochene Düfte – das musste man erstmal verarbeiten. Sie kam sich ein wenig vor, als wäre sie im Hundehimmel angelangt.
Hier war es Anne schon immer gutgegangen, am Meer kam sie zur Ruhe, konnte abschalten, und die unermüdlichen Gedanken hörten endlich auf zu kreisen. Sie war Weltmeisterin im hin-und-her-Überlegen, im Durchdenken und Ausmalen der schlechtestmöglichen Varianten, die dann prompt auch stets eintrafen. Aber hier zerrte der Wind an ihren Haaren und wehte alles Problematische, alle Sorgen einfach fort, wenn es doch immer so einfach wäre. Über ihr kreischten die Möwen und stießen spitze Schreie aus. Das stete Auf und Ab der Wellen war genauso wohltuend wie die klare Luft, die so unglaublich erholsam und bereits jetzt auf ihren Lippen zu schmecken war. Am liebsten hätte sie die Arme weit ausgebreitet und laut gejuchzt – angesichts der anderen Strandwanderer ließ sie das aber lieber bleiben.
Ein Stück vor ihr lag die neue Seebrücke, wobei, mittlerweile war sie gar nicht mehr so neu, sondern schon ein paar Jährchen alt, nur zu ihrer Zeit hatte es sie in dieser Form noch nicht gegeben. Weit reckte sie sich nach draußen ins Meer und fügte sich dennoch harmonisch in die Landschaft ein. Das war das Ziel ihres heutigen Spaziergangs, bis dorthin wollte sie laufen. Ab und zu schwappten die Wellen fast über ihre Schuhe, und ein paar Mal rettete sie nur ein reaktionsschneller Sprung vor der Überflutung.
Emma schien in der Zwischenzeit irgendetwas ziemlich Interessantes entdeckt zu haben, denn entgegen ihrem sonst so ruhigen Naturell gab sie plötzlich Gas und wurde von Sekunde zu Sekunde kleiner. Sie stürmte quer über den Strand immer pfeilgeradeaus in Richtung der Dünen. Da halfen kein Rufen und kein Pfeifen, wobei ihr Pfeifen eher ziemlich kläglich klang und die Ohren ihres Hundes vermutlich sowieso nicht erreicht hätte. Unbeirrt fegte Emma voran. Anne schaute erst gelassen hinterher, wurde dann schon ein wenig unruhiger und beschloss angesichts des immer kleiner werdenden Hundes, einen Zahn zuzulegen. Ihr Bestreben war, Emma bestmöglich auf dem Fuß zu folgen, was im losen Sand leichter gesagt als getan war. Teilweise erschien es ihr, als würde sie keinen Meter von der Stelle kommen.
Da entdeckte sie in der Ferne eine Gestalt, die eben durch die Dünen den Strand betrat, ebenfalls mit Hund, und diese beiden waren anscheinend genau Emmas Ziel. Im Näherkommen sah sie, dass es sich um einen ziemlich großen Hund handelte, der aber relativ friedfertig dastand, während Emma wie eine Wahnsinnige um ihn herumtobte und kläffte, als würde es kein Morgen geben. Das andere Herrchen betrachtete das sich abspielende Schauspiel mit Gelassenheit und schaute ihr ziemlich erwartungsvoll entgegen. Keuchend gelangte sie nach einer gefühlten Ewigkeit bei den dreien an. Sie musste dringend an ihrer Fitness arbeiten, denn Anne rang heftig nach Luft und hatte vermutlich einen knallroten Kopf. Geradeso, als wäre sie nicht 500 Meter, sondern einen Marathon gerannt.
»Entschuldigung.« Das rang sie sich mit letzter Kraft ab. »Meine Emma ist so viel Freiraum nicht gewöhnt.«
»Schon gut, es ist ja nichts passiert, mein Benno ist ein ziemlich friedfertiger Zeitgenosse und lässt sich eigentlich von nichts erschüttern, schon gar nicht von einer so temperamentvollen Hundedame.« Und als hätte Benno sein Herrchen verstanden, ließ er sich mit einem Seufzer zu Boden fallen und klopfte, ganz formvollendeter Kavalier, mit dem Schwanz auf den Sand. Nur seine Augen verrieten, dass er sehr wohl beobachtete, was Emma gerade tat.
Bennos Herrchen beugte sich zu Emma hinab und kraulte sie an der genau richtigen Stelle zwischen den Ohren. Anscheinend machte er das auch noch mit perfekter Intensität, denn genießerisch klappte ihre Hundedame die Ohren nach hinten und ließ sich verwöhnen. Aus den Augenwinkeln musterte Anne den Mann, er war ziemlich groß, trug eine moderne Strickmütze, ausgewaschene Jeans, eine Wetterjacke und derbe Schuhe. Blonde Haare lugten am Pony und im Nacken hervor, graugrüne Augen mit vielen kleinen Lachfältchen an den Schläfen sahen sie lächelnd an. Seine gesunde Hautfarbe zeugte davon, dass er sich anscheinend sehr viel an der frischen Luft aufhielt. Er wirkte wie ein richtiger Naturbursche auf sie. Anne überlegte, ob er wohl ein Einheimischer oder Tourist war, das ließ sich auf den ersten Blick nicht erkennen. Kurz gesagt, fand sie ihn sehr interessant, sogar überaus interessant, da war so ein Gesichtsausdruck, der sie vollkommen verwirrte. Wenn Männer sie so ansahen, wurde es gefährlich. Moment mal, sagte da sogleich eine mahnende Stimme in ihr, was hast du dir vor der Abfahrt geschworen?Du willst erstmal Manuel und seine Nachwirkungen verdauen. Na ja, ein wenig flirten könnte doch eventuell schon drin sein, immerhin wollte sie ja nicht ins Kloster,