Die einzige Weltmacht - Zbigniew Brzeziński - E-Book

Die einzige Weltmacht E-Book

Zbigniew Brzeziński

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Beschreibung

Ende des 20. Jahrhunderts waren die Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die einzige noch verbliebene Supermacht auf der Erde. Und noch nie in der Geschichte der Menschheit hat eine Nation über eine so große politische, militärische und ökonomische Macht verfügt, um ihre Interessen weltweit durchzusetzen. In seiner brillanten provokativen Analyse legt Zbigniew Brzeziński dar, welche Strategie die USA verfolgen sollten, um ihre globale Vormachtstellung zu bewahren. In »Die einzige Weltmacht« präsentiert er seine geostrategische Vision der amerikanischen Vorrangstellung im 21. Jahrhundert. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Entwicklung Europas und die NATO-Erweiterung für die US-amerikanische Führungsrolle auf dem eurasischen Kontinent, der Heimat des größten Teils der Weltbevölkerung, bedeutender Bodenschätze und Wirtschaftstätigkeiten. Eurasien stellt das »große Schachbrett« dar, auf dem die Vorherrschaft der USA entschieden wird. Für Brzeziński ist Europa unverzichtbar als Brückenkopf für amerikanische Macht und als mögliches Sprungbrett für eine Ausdehnung des demokratischen Globalsystems in den eurasischen Kontinent hinein. Deswegen müssten die USA weiterhin tatkräftig und ohne Wenn und Aber für die europäische Einigung eintreten. In dieser aktuellen erweiterten Version des Buches geht Brzeziński auch auf neuere globale Entwicklungen ein wie den Krieg in der Ukraine sowie die Rückkehr Russlands auf der internationalen Bühne und den Aufstieg Chinas. Eingeleitet wird das Buch durch ein Vorwort des ehemaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher. Dieses Buch ist eines der wichtigsten politischen Bücher der letzten Jahrzehnte und unerlässlich zum Verständnis der aktuellen globalen Konflikte, insbesondere auch des Kampfes um die Ukraine.

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Seitenzahl: 369

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Die einzige Weltmacht

Zbigniew Brzeziński

Die einzige Weltmacht

Amerikas Strategie der Vorherrschaft und der Kampf um Eurasien

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

The Grand Chessboard – American Primary and Its Geostrategic Imperatives

Published by Basic Books, an imprint of Perseus Books Group, LLC, a subsidiary of Hachette Book Group, Inc.

Copyright © 1997 by Zbigniew Brzeziński Epilogue copyright © 2016 by Zbigniew Brzeziński

Umschlaggestaltung: datenfluss.de

Layout und Satz: Publikations Atelier, Weiterstadt

Karten: Kenneth Velasquez

© 2024 für die deutschsprachige Ausgabe: Nomen Verlag, Frankfurt am Main

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-939816-98-0

Unser Buchprogramm finden Sie unter:

www.nomen-verlag.de/

Meinen Studenten –

möge das Buch ihnen dabei helfen,

die Welt von morgen zu gestalten.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Verzeichnis der Karten und Tabellen

Vorwort

von Hans-Dietrich Genscher

Einleitung

Supermachtpolitik

Eine Hegemonie neuen Typs

Der kurze Weg zur globalen Vorherrschaft

Die einzige Weltmacht

Das globale Ordnungssystem der USA

Das eurasische Schachbrett

Geopolitik und Geostrategie

Geostrategische Akteure und geopolitische Dreh- und Angelpunkte

Ernste Entscheidungen und mögliche Herausforderungen

Der demokratische Brückenkopf

Grandeur und Erlösung

Amerikas zentrales Ziel

Europas historischer Zeitplan

Das schwarze Loch

Russlands neuer geopolitischer Rahmen

Geostrategische Wunschvorstellungen

Das Dilemma der einzigen Alternative

Der Eurasische Balkan

Der ethnische Hexenkessel

Wettstreit mit vielen Beteiligten

Die USA in Wartestellung

Der fernöstliche Anker

China: regionale, aber keine Weltmacht

Japan: nicht regional, aber international

Amerikas Anpassung an die geopolitische Lage

Schlussfolgerungen

Eine Geostrategie für Eurasien

Ein transeurasisches Sicherheitssystem

Jenseits der letzten Supermacht

Nachwort

Das strategische Szenario im Wandel

Ausblick

Personen- und Sachregister

Orientierungsmarken

Cover

Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Karten und Tabellen

Der chinesisch-sowjetische Block und die drei wichtigsten strategischen Fronten 25

Das Römische Imperium auf dem Höhepunkt seiner Macht 28

Das Mandschu-Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht 31

Ungefähre Ausdehnung der Mongolenherrschaft um 1280 34

Globale Vormachtstellung Europas um 1900 37

Britische Vorherrschaft 1860 bis 1914 39

Globale Vormachtstellung der USA 43

Der geopolitisch zentrale Erdteil und seine kritischen Randzonen 53

Die Kontinente: Fläche 54

Die Kontinente: Bevölkerung 54

Die Kontinente: Bruttosozial­produkt 54

Das eurasische Schachbrett 57

Latente Gefahrenherde im Nahen und Mittleren Osten sowie in Zentralasien 79

Die europäischen Organisationen bis 1995 87

Besondere geopolitische Interessensphären Deutschlands und ­Frankreichs 93

Ist dies wirklich »Europa«? 117

EU-Mitgliedschaft: Beitritts­antrag 118

Jenseits des Jahres 2010: die kritische Zone für die Sicherheit Europas 121

Verlust ideologischer Kontrolle und imperialer Einflusssphären 131

Russische Militärbasen in ehema­ligen Sowjetrepubliken 149

Der Eurasische Balkan 170

Die wichtigsten ethnischen Gruppen in Zentralasien 173

Demographische Daten zum Eurasischen Balkan 175

Der Sprach- und Kulturraum der Turkvölker 186

Die konkurrierenden Interessen Russlands, der Türkei und des Iran 187

Ölpipelines vom Kaspischen Meer zum Mittelmeer 190

Grenzkonflikte und Gebietsstreitigkeiten in Ostasien 208

Asiatische Streitkräfte 209

Möglicher chinesischer Einflussbereich und Kollissionspunkte 224

Überschneidung der Einfluss­sphären Chinas und der einer amerikanisch-japanischen Anti-China-Koalition 243

Vorwort

von Hans-Dietrich Genscher

Jedem, der sich mit internationaler Politik befasst, ist Zbigniew Brzeziński als scharfsinniger Analytiker und als Sicherheitsberater Präsident Carters von 1977 bis 1980 bekannt. Wer ihn in enger Zusammenarbeit als Gesprächspartner schätzen gelernt hat, der weiß, dass er Außenpolitik immer auch als intellektuelle Herausforderung betrachtet. In zahlreichen Büchern und Artikeln hat sich Zbigniew Brzeziński mit anregenden, zuweilen auch provozierenden Thesen zu Wort gemeldet, die regelmäßig ein breites Echo gefunden haben. Das ist auch für sein neues Buch Die einzige Weltmacht zu erwarten.

Nach dem Ende der Bipolarität des Kalten Kriegs stehen wir vor neuen globalen Herausforderungen. Es geht darum, eine stabile Weltordnung im Zeitalter der Globalisierung zu gestalten. Und es geht um die Frage, was wir tun müssen, um dieses Ziel zu verwirklichen. Vieles hängt dabei von Amerika, unserem wichtigsten Verbündeten, ab. Zbigniew Brzeziński gibt mit seinem Buch eine amerikanische Antwort, die zum Nachdenken anregt und Zustimmung, aber auch Widerspruch hervorrufen wird.

Der Autor geht von der Feststellung aus, dass die USA die letzte verbliebene Weltmacht nach dem Ende des Kalten Kriegs sind, und charakterisiert Amerikas Vormachtstellung als »Hegemonie neuen Typs«. In der Tat: Amerikas Weltmachtstellung gründet sich nicht – wie dies bei den Weltmächten früherer Epochen der Fall war – auf die imperiale Unterwerfung kleinerer Staaten oder lediglich auf seine gewaltige Militärmacht. Von ebenso großer Bedeutung wie seine militärische Macht sind die Dynamik seiner Wirtschaft, sein technisches Innovationspotenzial und – das wird oft übersehen – die scheinbar unwiderstehliche Anziehungskraft des »American Way of Life«. Auf dieser Grundlage ist es den USA nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen, ein internationales System zu errichten, das wesentlich durch amerikanische Vorstellungen geprägt ist: die Ideale von Demokratie und die Einhaltung von Menschenrechten, kollektive Sicherheitssysteme wie vor allem die NATO und regionale Kooperation. Nicht das Streben nach globaler Monopolstellung, sondern die Zusammenarbeit mit anderen Staaten und Staatengruppen im Interesse globaler Stabilität entspricht nach Zbigniew Brzeziński dem Selbstverständnis Amerikas als einer demokratischen Macht.

Der Autor macht aus seiner Überzeugung keinen Hehl, dass die weltweite Präsenz der USA nicht nur im amerikanischen, sondern auch im globalen Interesse liegt. Diese Einschätzung mag auch die für das außenpolitische Selbstverständnis Amerikas typische Gemengelage von Idealismus und Interessenpolitik widerspiegeln. Sie ist deshalb aber nicht weniger richtig. Die europäischen Erfahrungen dieses Jahrhunderts haben dies bestätigt – im Guten wie im Schlechten. Angesichts neuer globaler Herausforderungen – Hunger und Not, der Bevölkerungsexplosion, der Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, der Proliferation von Massenvernichtungsmitteln – gilt mehr denn je Präsident Clintons Diktum über Amerika als die »unentbehrliche« Nation. Umgekehrt gilt auch: Amerika allein wird diese Herausforderungen nicht meistern können.

Von zentraler Bedeutung für die künftige amerikanische Außenpolitik ist nach Zbigniew Brzeziński – und hier liegt das Originelle seines Ansatzes – »Eurasien«, der Raum von Lissabon bis Wladiwostok. Will Amerika auch künftig seine Weltmachtstellung behalten, so muss es seine ganze Aufmerksamkeit diesem Gebiet zuwenden. Hier leben 75 Prozent der Weltbevölkerung, hier liegt der größte Teil der natürlichen Weltressourcen einschließlich der Energievorräte, und hier werden etwa 60 Prozent des Weltbruttosozialprodukts erwirtschaftet. Im Raum von Lissabon bis Wladiwostok entscheidet sich deshalb das künftige Schicksal Amerikas. Sein Ziel muss es deshalb sein, die politische und wirtschaftliche Entwicklung Eurasiens in seinem Sinne mitzugestalten und eine antiamerikanische Allianz eurasischer Staaten zu verhindern. Diese Schlussfolgerung Zbigniew Brzezińskis ist ein entschiedenes Plädoyer gegen einen neuen amerikanischen Isolationismus, gegen den Rückzug aus Europa und anderen Gebieten in der Welt. Zugleich macht er jedoch auch klar: Imperiale Machtentfaltung um ihrer selbst willen entspricht nicht dem Selbstverständnis der amerikanischen Demokratie. Ziel einer globalen amerikanischen Strategie muss eine institutionalisierte weltweite Zusammenarbeit sein, die auf echten Partnerschaften Amerikas, vor allem mit einer erweiterten Europäischen Union, mit einem demokratischen Russland, mit China und mit Indien als der größten Demokratie der Welt, beruht. Auch wenn Brzeziński viel von der Vorherrschaft Amerikas spricht: Er weiß um die Grenzen amerikanischer Macht und auch darum, dass die Konzentration hegemonialer Macht in den Händen eines Staates im Zeitalter der Globalisierung immer weniger zeitgemäß ist. Nicht umsonst spricht er deshalb von den USA als der »letzten« Supermacht, was wohl heißen soll: nicht der ewigen.

Für die künftige Außenpolitik Amerikas gilt dem Autor Europa als natürlicher Verbündeter der USA. Ein immer engeres transatlantisches Bündnis, die fortschreitende Einigung Europas und die Erweiterung der Europäischen Union liegen für ihn im vitalen Interesse Amerikas. Das bedeutet auch, dass Amerika Europa als gleichwertigen Partner akzeptiert und bereit sein muss, gemeinsam Verantwortung für gemeinsame Entscheidungen zu tragen. Man kann nur wünschen, dass sich die Einsicht von der Gleichwertigkeit Europas im amerikanischen Denken allgemein durchsetzt. Eine funktionierende transatlantische Partnerschaft erfordert ein politisch und wirtschaftlich geeintes, handlungsfähiges Europa auf der Grundlage der deutsch-französischen Freundschaft. Deshalb plädiert Zbigniew Brzeziński für ein stärkeres Engagement Amerikas bei der Einigung einer größeren, um die Staaten Mittel- und Südosteuropas erweiterten Europäischen Union.

Stabilität auf der eurasischen Landmasse kann nur mit, nicht ohne und schon gar nicht gegen Russland erreicht werden. Deshalb spricht sich Brzeziński für eine umfassende Partnerschaft des Westens mit einem demokratischen Russland aus. Sie muss dem größten Land der Erde die Möglichkeit geben, gleichberechtigt am Aufbau einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung im Raum von Vancouver bis Wladiwostok mitzuwirken, wobei jedoch die anderen Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion nicht vergessen werden dürfen. Im Sinne eines »geopolitischen Pluralismus« ist der Westen deshalb aufgerufen, die politische und wirtschaftliche Entwicklung all dieser Staaten zu Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft zu fördern.

Geopolitischer Pluralismus erfordert für Zbigniew Brzeziński auch einen umfassenden Dialog Amerikas mit China. Das ist ebenso begründet wie eine klare Absage an jeden – letztlich zum Scheitern verurteilten – Versuch, das bevölkerungsreichste Land der Erde eindämmen oder gar isolieren zu wollen. Anders als manche Protagonisten einer Politik der »Eindämmung« Chinas in den USA sieht Brzeziński Amerika und China sogar als natürliche Verbündete. Wie dem auch sei: China ist derzeit zwar noch keine Weltmacht; seine Größe und seine gewaltigen Entwicklungsperspektiven machen es jedoch faktisch schon heute zu einem »Global Player«. Viel spricht deshalb für Zbigniew Brzezińskis Anregung, nach der Aufnahme Russlands in die G7 nun auch eine Aufnahme Chinas in die Gruppe der wichtigsten Industriestaaten in Betracht zu ziehen. Beachtung verdient auch sein in die Zukunft gerichteter Vorschlag zur Schaffung eines Transeurasischen Sicherheitssystems, das die NATO, die OSZE, Russland, Indien, China und Japan umfasst.

Das Buch von Zbigniew Brzeziński ist – wie könnte dies anders sein – eine in mancher Hinsicht sehr amerikanische Antwort auf die Frage nach der künftigen Weltordnung. Sicherlich werden nicht alle seine Thesen Zustimmung finden. Mancher Leser wird sich daran stoßen, dass die Terminologie des Autors in vielem an das macht- und gleichgewichtspolitische Denken des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts erinnert. Auch könnte man einwenden, dass die demonstrative Forderung nach einer dauerhaften amerikanischen Vorherrschaft zu einer Stärkung antiamerikanischer Tendenzen im eurasischen Raum führen könnte. Die Geschichte bietet genügend Beispiele dafür, dass Vorherrschaftsstreben in der Regel Gegenmachtbildung hervorruft. Damit würde genau das Gegenteil von dem erreicht, was Zbigniew Brzeziński für Amerika anstrebt.

Dennoch wäre es eine gefährliche Illusion zu glauben, Stabilität in Europa könne dauerhaft ohne die USA gewährleistet werden. Ebenso wenig ist dieses Ziel jedoch ohne Europa selbst zu verwirklichen. Gewiss wirft manche amerikanische Entscheidung der jüngsten Zeit die Frage auf, ob man Europa als gleichwertigen Partner akzeptiert, aber oft ist ein solches Verhalten auch die Ausfüllung eines von Europa verursachten Vakuums. Die Europäer sollten sich deshalb selbst immer wieder fragen, ob es wirklich »zu viel Amerika« oder nicht vielmehr »zu wenig Europa« gibt. Das Buch von Zbigniew Brzeziński ist auch ein Appell an die Europäer, sich über ihren Beitrag zur künftigen Weltordnung Klarheit zu verschaffen und entschlossen zu handeln. Sein Plädoyer, den Raum von Lissabon bis Wladiwostok als Einheit zu betrachten, sollten all jene bei uns beherzigen, die glauben, auch heute noch Europa in Grenzen denken zu können. Nichts wäre im Zeitalter der Globalisierung anachronistischer als eine Politik neuer Abgrenzung. Nur eine immer intensivere Zusammenarbeit zwischen den Staaten von Vancouver bis Wladiwostok kann auf Dauer Sicherheit, Wohlstand und Stabilität garantieren.

Das Buch von Zbigniew Brzeziński wird ohne Zweifel eine wichtige Rolle spielen bei der Diskussion über die Struktur einer künftigen dauerhaften und gerechten Weltordnung. Diese kann nur das Gebot der Dauerhaftigkeit und Gerechtigkeit erfüllen, wenn sie gegründet ist auf das gleichberechtigte Zusammenleben der Völker und auf die gleichberechtigte und globale Zusammenarbeit der Weltregionen. Beim Bau der neuen Weltordnung dürfen nicht die Fehler wiederholt werden, die in Gestalt nationalen Vormachtstrebens am Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Europa ausgehend die Welt so stark erschüttert haben. Dabei wird die Beachtung der Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen eine wichtige Rolle spielen.

Die Geschichte macht keine Pause, und sie ist auch nicht an ihrem Ende angelangt. Aus dem Buch von Zbigniew Brzeziński sprechen das Bewusstsein um die Größe der Herausforderungen, vor denen wir jetzt stehen, aber auch der Wille, sie geistig und politisch zu bewältigen. Man kann nicht sagen, dass diese Haltung bei uns sehr verbreitet wäre. Umso mehr sind dem anregenden Buch von Zbigniew Brzeziński in Deutschland viele aufmerksame Leser zu wünschen.

Einleitung

Supermachtpolitik

Seit den Anfängen der kontinenteübergreifenden politischen Beziehungen vor etwa 500 Jahren ist Eurasien stets das Machtzentrum der Welt gewesen. Zu verschiedenen Zeiten drangen Völker, die diesen Erdteil bewohnten – meistens die an seiner westlichen, europäischen Peripherie ansässigen – in andere Weltgegenden vor und unterwarfen sie ihrer Herrschaft. Dabei gelangten einzelne eurasische Staaten in den Rang einer Weltmacht und in den Genuss entsprechender Privilegien.

Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hat sich die Weltlage tiefgreifend verändert. Zum ersten Mal in der Geschichte trat ein außereurasischer Staat nicht nur als der Schiedsrichter eurasischer Machtverhältnisse, sondern als die überragende Weltmacht schlechthin hervor. Mit dem Scheitern und dem Zusammenbruch der Sowjetunion stieg ein Land der westlichen Hemisphäre, nämlich die Vereinigten Staaten, zur einzigen und im Grunde ersten wirklichen Weltmacht auf.

Eurasien hat jedoch dadurch seine geopolitische Bedeutung keineswegs verloren. In seiner westlichen Randzone – Europa – ballt sich noch immer ein Großteil der politischen und wirtschaftlichen Macht der Erde zusammen; der Osten des Kontinents – also Asien – ist seit einiger Zeit zu einem wichtigen Zentrum wirtschaftlichen Wachstums geworden und gewinnt zunehmend politischen Einfluss. Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird – und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann.

Folglich muss die amerikanische Außenpolitik den geopolitischen Aspekt der neu entstandenen Lage im Auge behalten und ihren Einfluss in Eurasien so einsetzen, dass ein stabiles kontinentales Gleichgewicht mit den Vereinigten Staaten als politischem Schiedsrichter entsteht.

Eurasien ist somit das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird. Erst 1940 hatten sich zwei Aspiranten auf die Weltmacht, Adolf Hitler und Josef Stalin, ausdrücklich darauf verständigt (während der Geheimverhandlungen im November jenes Jahres), dass Amerika von Eurasien ferngehalten werden sollte. Jedem der beiden war klar, dass seine Weltmachtpläne vereitelt würden, sollte Amerika auf dem eurasischen Kontinent Fuß fassen. Beide waren sich einig in der Auffassung, dass Eurasien der Mittelpunkt der Welt sei und mithin derjenige, der Eurasien beherrsche, die Welt beherrsche. Ein halbes Jahrhundert später stellt sich die Frage neu: Wird Amerikas Dominanz in Eurasien von Dauer sein, und zu welchen Zwecken könnte sie genutzt werden?

Amerikanische Politik sollte letzten Endes von der Vision einer besseren Welt getragen sein: der Vision, im Einklang mit langfristigen Trends und den fundamentalen Interessen der Menschheit, eine auf wirksame Zusammenarbeit beruhende Weltgemeinschaft zu gestalten. Aber bis es so weit ist, lautet das Gebot, keinen eurasischen Herausforderer aufkommen zu lassen, der den eurasischen Kontinent unter seine Herrschaft bringen und damit auch für Amerika eine Bedrohung darstellen könnte. Ziel dieses Buches ist es deshalb, im Hinblick auf Eurasien eine umfassende und in sich geschlossene Geostrategie zu entwerfen.

Zbigniew Brzeziński

Washington, D. C. im April 1997

1

Eine Hegemonie neuen Typs

Hegemonie ist so alt wie die Menschheit. Die gegenwärtige globale Vorherrschaft der USA unterscheidet sich jedoch von allen früheren historischen Beispielen durch ihr plötzliches Zustandekommen, ihr weltweites Ausmaß sowie die Art und Weise, auf die sie ausgeübt wird. Bedingt durch die Dynamik internationaler Prozesse hat sich Amerika im Laufe eines einzigen Jahrhunderts von einem relativ isolierten Land der westlichen Hemisphäre in einen Staat von nie da gewesener Ausdehnung und beispielloser Macht verwandelt.

Der kurze Weg zur globalen Vorherrschaft

Der spanisch-amerikanische Krieg 1898 war der erste Eroberungskrieg, den die USA in Übersee führten. Er hatte einen Vorstoß amerikanischer Macht bis weit über Hawaii und die Philippinen hinaus in den pazifischen Raum zur Folge. Um die Jahrhundertwende entwickelten amerikanische Militärstrategen eifrig Theorien für eine Vorherrschaft auf zwei Weltmeeren, und die amerikanische Kriegsmarine machte sich daran, Britannien seine »die Meere beherrschende« Rolle streitig zu machen. Mit dem Bau des Panamakanals, der eine Vorherrschaft sowohl über den Atlantik als auch den Stillen Ozean erleichterte, bekräftigten die Vereinigten Staaten ihre Ansprüche auf einen Sonderstatus als alleiniger Sicherheitsgarant der westlichen Hemisphäre, den sie bereits Anfang des Jahrhunderts in der Monroe-Doktrin verkündet und in der Folgezeit mit Amerikas angeblich »offenkundigem Schicksal« gerechtfertigt hatten.

Das Fundament für Amerikas zunehmende geopolitische Ambitionen hatte die rasche Industrialisierung der nationalen Wirtschaft gelegt. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs stellte die wachsende amerikanische Wirtschaftskraft bereits etwa ein Drittel des globalen Bruttosozialprodukts und hatte Großbritannien den Rang als führende Industriemacht abgelaufen. Begünstigt wurde diese beachtliche wirtschaftliche Dynamik durch eine experimentierfreudige und innovatorische Kultur. Amerikas politische Institutionen und seine freie Marktwirtschaft eröffneten ehrgeizigen und himmelstürmenden Erfindern beispiellose Möglichkeiten, da keine archaischen Privilegien und starren gesellschaftlichen Hierarchien sie daran hinderten, ihre persönlichen Träume zu verwirklichen. Kurzum, das kulturelle Klima in den USA war dem wirtschaftlichen Wachstum auf einzigartige Weise förderlich; darüber hinaus zog die nationale Kultur die begabtesten Menschen aus Europa an und ermöglichte dank ihrer integrativen Wirkung die Ausdehnung nationaler Macht.

Der Erste Weltkrieg bot erstmals die Gelegenheit für einen massiven Einsatz amerikanischer Militärmacht in Europa. Ein bis dahin ziemlich isolierter Staat beförderte prompt mehrere starke Truppenkontingente über den Atlantik – eine überseeische Militärexpedition, wie es sie in dieser Größenordnung und in diesem Umfang nie zuvor gegeben hatte – und tat damit kund, dass nun ein neuer Hauptakteur die internationale Bühne betrat. Nicht minder bedeutsam war, dass der Krieg die USA auch zu ihrer ersten größeren diplomatischen Bemühung bewog, bei der Suche nach einer Lösung der internationalen Probleme Europas amerikanische Prinzipien ins Spiel zu bringen. Woodrow Wilsons berühmter 14-Punkte-Plan symbolisierte gewissermaßen die Einschleusung amerikanischen idealistischen Gedankenguts in die europäische Geopolitik. (Eineinhalb Jahrzehnte vorher hatten die USA eine führende Rolle bei der Beilegung eines fernöstlichen Konflikts zwischen Russland und Japan gespielt und auch dadurch ihr zunehmend internationales Gewicht geltend gemacht.) Die Verschmelzung von amerikanischem Idealismus mit amerikanischer Macht kam somit auf internationaler Ebene voll zum Tragen.

Genau genommen war jedoch der Erste Weltkrieg ein überwiegend europäischer Konflikt, kein Weltkrieg. Aber sein selbstzerstörerischer Charakter markierte den Anfang vom Ende der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Dominanz Europas gegenüber dem Rest der Welt. Während des Kriegs vermochte sich keine der europäischen Mächte entscheidend durchzusetzen – erst der Eintritt der aufsteigenden außereuropäischen Macht Amerika in den Konflikt hat den Ausgang des Kriegs nachhaltig beeinflusst. Danach sollte Europa zunehmend seine aktive Rolle einbüßen und zum Objekt der Weltpolitik werden.

Diese kurze Anwandlung globaler Führerschaft hatte allerdings kein ständiges Engagement der USA auf der internationalen Bühne zur Folge. Stattdessen zog sich Amerika schnell in einer selbstgenügsamen Mischung aus Isolationismus und Idealismus zurück. Obwohl Mitte der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre totalitäre Regime auf dem europäischen Kontinent an Boden gewannen, behielt Amerika, das inzwischen über eine schlagkräftige, auf zwei Weltmeeren präsente Flotte verfügte, die der britischen Kriegsmarine eindeutig überlegen war, seine unbeteiligte Haltung bei. Die Amerikaner zogen es vor, das Weltgeschehen aus der Zuschauerperspektive zu verfolgen.

Im Einklang mit dem nationalen Sicherheitskonzept, das auf der Auffassung gründete, Amerika sei eine kontinentale Insel, konzentrierte es sich strategisch auf den Küstenschutz. Aufgrund dieses engen nationalen Zuschnitts zeigte die amerikanische Politik wenig Interesse für internationale oder globale Faktoren. Die entscheidenden Akteure auf dem internationalen Parkett waren nach wie vor die europäischen Mächte und in immer stärkerem Maße Japan.

Das europäische Zeitalter der Weltgeschichte ging während des Zweiten Weltkriegs, der erstmals wirklich ein »Weltkrieg« war, definitiv zu Ende. Auf drei Kontinenten und zwei Weltmeeren gleichzeitig ausgefochten, trat sein globales Ausmaß auf geradezu sinnbildliche Weise zutage, als sich britische und japanische Soldaten Tausende Meilen von ihren Heimatländern entfernt an der Grenze zwischen Indien und Birma heftige Gefechte lieferten. Europa und Asien waren zu einem einzigen Schlachtfeld geworden.

Hätte der Krieg mit einem klaren Sieg des nationalsozialistischen Deutschlands geendet, so wäre möglicherweise eine einzige europäische Macht mit weltweitem Übergewicht daraus hervorgegangen. (Japans Sieg im Stillen Ozean hätte Nippon die beherrschende Rolle im Fernen Osten eingetragen, aber aller Wahrscheinlichkeit nach wäre es trotzdem eine nur regionale Hegemonialmacht geblieben.) Stattdessen wurde Deutschlands Niederlage zum größten Teil durch die beiden außereuropäischen Sieger, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, besiegelt. Sie meldeten nun, nachdem Europas Weltmachtstreben gescheitert war, Ansprüche auf die globale Vorherrschaft an.

Die folgenden fünfzig Jahre standen im Zeichen des amerikanisch-sowjetischen Wettstreits um die globale Vormachtstellung. In mancherlei Hinsicht löste der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion die Lieblingstheorien der Geopolitiker ein: Er stellte die führende Seemacht, die sowohl den Atlantik als auch den Pazifik beherrschte, der führenden Landmacht gegenüber, die auf dem eurasischen Kerngebiet die überragende Rolle spielte (der chinesisch-sowjetische Block umfasste einen Raum, der auffallend an die Ausdehnung des Mongolenreiches erinnerte). Die geopolitische Dimension hätte nicht klarer sein können: Nordamerika versus Eurasien, und auf dem Spiel stand die Welt. Der Sieger würde wirklich den Globus beherrschen.

Jeder der beiden Gegner warb weltweit für seine Ideologie, welche die notwendigen Anstrengungen in seinen Augen historisch rechtfertigte und ihn in seiner Überzeugung vom unvermeidlichen Sieg bestärkte. Die beiden Kontrahenten waren in ihrem Einflussbereich unangefochten – anders als die Anwärter auf globale Vorherrschaft im kaiserlichen Europa, von denen es keiner jemals schaffte, auch nur in Europa die eindeutige Vormachtstellung zu erlangen. Um seinen Einfluss auf die jeweiligen Vasallen und Tributpflichtigen zu festigen, setzten beide Kontrahenten ihre Weltanschauung auf eine Art und Weise ein, die an das Zeitalter der Glaubenskriege gemahnte.

Der globale geopolitische Rahmen verlieh im Verein mit dem Absolutheitsanspruch der miteinander konkurrierenden Dogmen dem Machtkampf eine beispiellose Intensität. Eine wirklich einzigartige Qualität erhielt dieser Wettstreit von einem zusätzlichen Faktor von weltpolitischer Tragweite. Das Aufkommen von Atomwaffen hatte zur Folge, dass ein direkter, herkömmlicher Krieg zwischen den beiden Hauptkontrahenten nicht nur deren gegenseitige Vernichtung bedeutet, sondern auch für einen erheblichen Teil der Menschheit tödliche Konsequenzen gehabt hätte. Die Heftigkeit des Konflikts nötigte daher den beiden Gegnern zugleich eine außerordentliche Selbstbeherrschung ab.

Geopolitisch wurde der Konflikt vor allem an den Rändern des eurasischen Kontinents ausgetragen. Der chinesisch-sowjetische Block hatte den größten Teil der eurasischen Landmasse unter Kontrolle, nicht jedoch ihre Randgebiete. Nordamerika gelang es, sich sowohl an den westlichen Küsten als auch an denen des Fernen Ostens festzusetzen. Die Verteidigung dieser kontinentalen Brückenköpfe (die an der westlichen »Front« durch die Berlin-Blockade und an der östlichen durch den Koreakrieg sinnfällig wurden) war somit der erste strategische Test in dem Ringen, das nachfolgend als Kalter Krieg in die Geschichte einging.

In dessen Endphase tauchte auf der eurasischen Landkarte eine dritte – südliche – Verteidigungs-»Front« auf (siehe die folgende Karte). Der sow­jetische Einmarsch in Afghanistan beschwor vonseiten der USA prompt eine zweigleisige Reaktion herauf: direkte Unterstützung des afghanischen Widerstands vor Ort, damit sich die sowjetische Armee festfahre, und eine massive Steigerung amerikanischer Militärpräsenz im Persischen Golf als Abschreckungsmaßnahme gegen jeden weiteren südwärts gerichteten Vorstoß sowjetischer Macht. Entsprechend ihrer Sicherheitsinteressen im Westen und Osten Eurasiens verpflichteten sich die Vereinigten Staaten zur Verteidigung der Golfregion.

Das von amerikanischer Seite erfolgreich betriebene Eindämmen der Bemühungen des eurasischen Blocks, den gesamten Kontinent unter seine Kontrolle zu bekommen – bis zum Schluss scheuten beide Seiten ein militärisches Aufeinandertreffen aus Angst vor einem nuklearen Krieg –, bewirkte, dass der Wettstreit schließlich mit nichtmilitärischen Mitteln entschieden wurde. Politische Energie, ideologische Flexibilität, wirtschaftliche Dynamik und kulturelle Attraktivität gaben letztlich den Ausschlag.

Während die von Amerika angeführte Koalition ihre Geschlossenheit bewahren konnte, brach der chinesisch-sowjetische Block in weniger als zwei Jahrzehnten auseinander. Dies war nicht zuletzt auf die gegenüber dem hierarchischen und dogmatischen – und zugleich brüchigen – Charakter des kommunistischen Lagers größere Flexibilität der demokratischen Koalition zurückzuführen. Auch dieser lagen gemeinsame Werte zugrunde, aber ohne programmatische Festlegung. Das kommunistische Lager indes bestand dogmatisch auf der Bewahrung der reinen Lehre, zu deren Auslegung nur eine einzige Zentrale befugt war. Amerikas wichtigste Vasallen waren außerdem deutlich schwächer als die USA, während die Sowjetunion China nicht auf unbestimmte Zeit als eine ihr untergeordnete Macht behandeln konnte. Maßgeblich für den Ausgang des Kalten Kriegs war ferner die Tatsache, dass sich die amerikanische Seite in ökonomischer und technologischer Hinsicht als wesentlich dynamischer erwies. Die Sowjetunion hingegen stagnierte allmählich und konnte weder mit dem Wirtschaftswachstum noch mit der Militärtechnik der Gegenseite effektiv Schritt halten. Der wirtschaftliche Niedergang wiederum leistete der ideologischen Demoralisierung Vorschub.

Tatsächlich verdeckten die sowjetische Militärmacht – und die Furcht, die sie im Westen auslöste – lange Zeit das eigentliche Ungleichgewicht zwischen den beiden Kontrahenten. Amerika war einfach viel reicher und technisch viel höher entwickelt, auf militärischem Gebiet flexibler und innovativer und von seiner Gesellschaftsform her kreativer und ansprechender. Indessen lähmten ideologische Zwänge das schöpferische Potenzial der Sowjetunion; sie ließen das System zunehmend erstarren, sodass seine Ökonomie immer unwirtschaftlicher und auf technischem Gebiet immer weniger konkurrenzfähig wurde. Solange kein beide Seiten vernichtender Krieg ausbrach, musste der sich hinziehende Wettstreit schließlich zugunsten Amerikas ausgehen.

Der Ausgang war denn auch nicht unwesentlich von kulturellen Faktoren bestimmt. Im Großen und Ganzen machte sich die von Amerika angeführte Koalition viele Wesensmerkmale seiner politischen und sozialen Kultur zu eigen. Die beiden wichtigsten Verbündeten der USA am westlichen beziehungsweise östlichen Rand des eurasischen Kontinents, Deutschland und Japan, erholten sich wirtschaftlich und zollten allem Amerikanischen eine nahezu schrankenlose Bewunderung. Weit und breit sah man in den USA das Symbol und den Garanten für die Zukunft, eine Gesellschaft, die Bewunderung und nachgeahmt zu werden verdient.

Im Gegensatz dazu wurde Russland von den meisten seiner mitteleuropäischen Vasallen und mehr noch von seinem wichtigsten und immer anmaßender auftretenden östlichen Verbündeten China kulturell verachtet. Die Mitteleuropäer fühlten sich unter russischer Vorherrschaft von ihrer philosophischen und kulturellen Heimat, von Westeuropa und seiner christlich-abendländischen Tradition, isoliert. Schlimmer noch, sie sahen sich von einem Volk beherrscht, dem sich die Mitteleuropäer, oft zu Unrecht, kulturell überlegen fühlten.

Die Chinesen, für die der Name »Russland« das »Hungrige Land« bedeutet, hielten mit ihrer Verachtung nicht hinter dem Berg. Obwohl sie die von Moskau geltend gemachte Allgemeinverbindlichkeit des sowjetischen Modells anfänglich nur insgeheim bestritten hatten, stellten sie doch binnen eines Jahrzehnts nach der kommunistischen Revolution Moskaus ideologischen Führungsanspruch ganz entschieden infrage und scheuten sich nicht, ihre traditionelle Geringschätzung für die barbarischen Nachbarn im Norden offen zu äußern.

Am Ende lehnten in der Sowjetunion die 50 Prozent der Bevölkerung, die keine Russen waren, Moskaus Herrschaft ab. Im Zuge des allmählichen politischen Erwachens des nichtrussischen Bevölkerungsteils nahmen Ukrainer, Georgier, Armenier und Aserbaidschaner die Sowjetmacht als eine Form imperialistischer Fremdherrschaft durch ein Volk wahr, dem sie sich kulturell durchaus nicht unterlegen fühlten. In Zentralasien mögen nationale Bestrebungen weniger ausgeprägt gewesen sein, doch nach und nach wuchs bei den dortigen Völkern das Bewusstsein islamischer Identität, das durch das Wissen um die in anderen Weltteilen fortschreitende Entkolonialisierung verstärkt wurde.

Wie so viele Weltreiche vor ihr brach die Sowjetunion schließlich in sich zusammen und zerfiel: weniger als Opfer einer direkten militärischen Niederlage als der durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Spannungen beschleunigten Desintegration. Die zutreffende Beobachtung eines Politologen bestätigt ihr Schicksal:

»Weltreiche sind von Natur aus politisch instabil, weil untergeordnete Einheiten fast immer nach größerer Autonomie streben und Gegeneliten in solchen Einheiten fast jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um größere Autonomie zu erlangen. In diesem Sinn fallen Weltreiche nichtin sich zusammen; sie fallen auseinander, zumeist sehr langsam, aber manchmal auch erstaunlich rasch.«1

Die einzige Weltmacht

Der Zusammenbruch ihres Rivalen versetzte die Vereinigten Staaten in eine außergewöhnliche Lage. Sie wurden gleichzeitig die erste und die einzig wirkliche Weltmacht. Und doch erinnert Amerikas globale Vorherrschaft in mancherlei Weise an frühere Weltreiche, ungeachtet deren begrenzterer Ausdehnung. Diese Imperien gründeten ihre Macht auf eine Hierarchie von Vasallenstaaten, tributpflichtigen Provinzen, Protektoraten und Kolonien; die Völker jenseits der Grenzen betrachteten sie gemeinhin als Barbaren. Bis zu einem gewissen Grad lassen sich diese anachronistischen Begriffe durchaus auf einige Staaten anwenden, die sich gegenwärtig innerhalb des amerikanischen Orbits befinden. Wie in der Vergangenheit beruht auch die »imperiale« Macht Amerikas in hohem Maße auf der überlegenen Organisation und auf der Fähigkeit, riesige wirtschaftliche und technische Ressourcen umgehend für militärische Zwecke einzusetzen, auf dem nicht genauer bestimmbaren, aber erheblichen kulturellen Reiz des »American Way of Life«sowie auf der Dynamik und dem ihr innewohnenden Wettbewerbsgeist der Führungskräfte in Gesellschaft und Politik.

Auch früheren Weltreichen waren diese Merkmale eigen. Dazu fällt einem als Erstes Rom ein. In einem Zeitraum von ungefähr zweieinhalb Jahrhunderten weitete es sukzessive sein Gebiet nach Norden, dann nach Westen und Südosten aus und beherrschte die gesamte Küstenregion des Mittelmeers. Seine größte geographische Ausdehnung erreichte das Imperium um das Jahr 211 nach Christus (siehe die folgende Karte). Das Römische Reich war ein zentralistisches Staatswesen mit einer autarken Wirtschaft. Durch ein hochentwickeltes System politischer und wirtschaftlicher Organisation übte es seine imperiale Macht besonnen und gezielt aus. Ein nach strategischen Gesichtspunkten angelegtes, von der Hauptstadt ausgehendes Netz von Straßen und Schifffahrtsrouten gestattete – im Falle einer größeren Bedrohung – eine rasche Umverlegung und Konzentration der in den verschiedenen Vasallenstaaten und tributpflichtigen Provinzen stationierten römischen Legionen.

Auf dem Höhepunkt seiner Macht zählten die im Ausland eingesetzten römischen Legionen nicht weniger als 300 000 Mann, eine beachtliche Streitkraft, die dank römischer Überlegenheit in Taktik und Bewaffnung wie auch dank der Fähigkeit des Zentrums, seine Truppen relativ schnell umzugruppieren, noch tödlicher wurde. (Dies ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die über wesentlich mehr Einwohner verfügende Supermacht Amerika 1996 die äußeren Bereiche ihrer Einflusssphäre durch 296 000 in Europa stationierte Berufssoldaten schützte.)

Roms imperiale Macht beruhte indessen auch auf einem wichtigen psychologischen Sachverhalt: »Civis Romanus sum« (Ich bin römischer Bürger) war gewissermaßen ein Ehrentitel, Grund, stolz zu sein, und für viele ein hohes Ziel. Schließlich selbst jenen gewährt, die keine gebürtigen Römer waren, war der Status des römischen Bürgers Ausdruck kultureller Überlegenheit, die dem imperialen Sendungsbewusstsein als Rechtfertigung diente. Sie legitimierte nicht nur Roms Herrschaft, sondern nährte auch in den ihr Unterworfenen den Wunsch, in die Reichsstruktur aufgenommen und von ihr assimiliert zu werden. Somit stützte die von den Herrschern als selbstverständlich betrachtete und von den Beherrschten anerkannte kulturelle Überlegenheit die imperiale Macht.

Dieses überragende und im Wesentlichen unangefochtene Imperium hatte etwa 300 Jahre Bestand. Mit Ausnahme der Herausforderung durch das nahe Karthago und, am östlichen Rand, des Partherreichs war die Welt jenseits der römischen Grenzen weitgehend unzivilisiert, schlecht organisiert, zumeist nur zu sporadischen Angriffen fähig und kulturell klar unterlegen. Solange sich das Imperium seine innenpolitische Energie und Geschlossenheit bewahren konnte, erwuchs ihm von außen kein ernst zu nehmender Konkurrent um die Macht.

Der letzten Endes vollkommene Zerfall des Römischen Reichs ist im Wesentlichen auf drei Ursachen zurückzuführen. Erstens wurde das Reich zu groß, um von einem einzigen Zentrum aus regiert zu werden, und die Aufteilung in eine westliche und eine östliche Hälfte zerstörte automatisch die Monopolstellung seiner Macht. Zweitens brachte die längere Phase kaiserlicher Hybris gleichzeitig einen kulturellen Hedonismus hervor, der der politischen Elite nach und nach den Willen zu imperialer Größe nahm. Drittens untergrub auch die anhaltende Inflation die Fähigkeit des Systems, sich ohne soziale Opfer, zu denen die Bürger nicht mehr bereit waren, am Leben zu erhalten. Das Zusammenwirken von kulturellem Niedergang, politischer Teilung und Inflation machte Rom sogar gegenüber den Barbarenvölkern in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wehrlos.

Nach heutigen Maßstäben war Rom keine wirkliche Weltmacht, sondern eine regionale Macht. Doch angesichts der Tatsache, dass damals kein Zusammenhang zwischen den verschiedenen Kontinenten der Erde bestand, war seine regionale Macht unabhängig und in sich geschlossen, ohne unmittelbare oder selbst ferne Gegner. Das Römische Reich war somit eine Welt für sich, und seine hochentwickelte politische Organisation und seine kulturelle Überlegenheit machten es zu einem Vorläufer späterer Herrschaftsgebilde von noch größerer geographischer Ausdehnung.

Trotzdem war das Römische Reich nicht einzigartig in seiner Zeit. Das Römische Reich und das Chinesische Reich entstanden nahezu in derselben Epoche, obwohl keines vom anderen wusste. Im Jahre 221 vor Christus (zur Zeit der Punischen Kriege zwischen Rom und Karthago), nachdem Qin die bestehenden sieben Staaten zum ersten Chinesischen Reich vereinigt hatte, war mit dem Bau der Großen Mauer in Nordchina begonnen worden, um das innere Königreich von der Welt der Barbaren jenseits der Grenze abzuriegeln. Das nachfolgende Han-Reich, das um 140 vor Christus hervorzutreten begann, war in seiner Ausdehnung und Organisation noch eindrucksvoller. Zu Beginn des christlichen Zeitalters waren nicht weniger als 57 Millionen Menschen seiner Herrschaft unterworfen. Diese riesige Bevölkerungszahl zeugte von einer außerordentlich effizienten Zentralgewalt, die von einer straff organisierten Strafbürokratie ausgeübt wurde. Das Einflussgebiet des Imperiums erstreckte sich bis zum heutigen Korea, in die Mongolei hinein, und umfasste einen Großteil des chinesischen Küstenbereichs. Ähnlich wie im Falle Roms zersetzten innere Missstände auch das Han-Reich, und schließlich beschleunigte die Aufteilung des Territoriums in drei unabhängige Königreiche im Jahre 220 nach Christus seinen Untergang.

In Chinas weiterer Geschichte wechselten Perioden der Wiedervereinigung und Ausdehnung mit solchen des Niedergangs und Zerfalls. Mehr als einmal gelang es China, unabhängige, von der Außenwelt abgeschlossene Reiche zu errichten, die mit keinem gut organisierten äußeren Gegner konfrontiert waren. Auf die Dreiteilung des Han-Reichs folgte im Jahre 589 neuerlich ein dem früheren Großreich vergleichbarer einheitlicher Staat. Die Zeit der größten Machtentfaltung erlebte China jedoch erst unter den Mandschus, insbesondere während der frühen Qing-Dynastie. Im 18. Jahrhundert entfaltete sich China noch einmal zu einem regelrechten Imperium, dessen Herrschaftszentrum von Vasallen und tributpflichtigen Staaten einschließlich dem heutigen Korea, Indochina, Thailand, Birma und Nepal umgeben war. Chinas Macht erstreckte sich vom heutigen Fernen Osten Russlands über das gesamte südliche Sibirien bis zum Baikalsee und weiter bis in das derzeitige Kasachstan, von dort nach Süden bis zum Indischen Ozean und wieder ostwärts über Laos und Nordvietnam (siehe vorherige Karte).

Wie Rom verfügte auch dieses Imperium über eine differenzierte Ordnung des Finanz-, Wirtschafts- und Erziehungswesens sowie über ein System der Herrschaftssicherung, mit dessen Hilfe das riesige Territorium und die mehr als 300 Millionen Untertanen regiert wurden. Die Machtausübung lag in den Händen einer politischen Zentralgewalt, die über einen erstaunlich leistungsstarken Kurierdienst verfügte. Das gesamte Imperium war in vier strahlenförmig von Peking ausgehende Zonen eingeteilt, auf denen die Gebiete abgesteckt waren, die ein Kurier in einer Woche, in zwei, drei und vier Wochen erreichen konnte. Eine zentralisierte, professionell geschulte und durch Auswahlverfahren rekrutierte Bürokratie bildete die Hauptstütze der Einheit.

Gestärkt, legitimiert und erhalten wurde diese Einheit – ebenfalls wie im Falle Roms – durch ein tiefempfundenes und fest verankertes Bewusstsein kultureller Überlegenheit, das nicht zuletzt auf dem Konfuzianismus fußte. Die besondere Betonung von Harmonie, Hierarchie und Disziplin empfahl ihn geradezu als staatstragende Philosophie. China – das Himmlische Reich – galt seinen Untertanen als der Mittelpunkt des Universums, an dessen Rändern und jenseits derselben es nur noch Barbaren gab.

Chinese zu sein bedeutete, kultiviert zu sein, und verpflichtete die übrige Welt, China die gebührende Verehrung zu zollen. Dieses besondere Überlegenheitsgefühl kommt in der Antwort zum Ausdruck, die der Kaiser von China – sogar in der Phase des fortschreitenden Niedergangs im späten 18. Jahrhundert – Georg III. von England zukommen ließ, dessen Gesandte mit britischen Industrieprodukten als Zeichen britischer Gunstbezeugung China für Handelsbeziehungen hatten gewinnen wollen:

»Wir, durch die Gnade des Himmels Kaiser, fordern den König von England auf, unsere Anklage zur Kenntnis zu nehmen: Das Himmlische Reich, das alles beherrscht, was zwischen vier Meeren liegt … schätzt keine seltenen und kostbaren Dinge … auch haben wir nicht den geringsten Bedarf an Manufakturen Eures Landes. … Daher haben wir … Euren Tributgesandten befohlen, sicher nach Hause zurückzukehren. Ihr, o König, sollt einfach in Einklang mit unseren Wünschen handeln, indem Ihr Euere Loyalität stärkt und ewigen Gehorsam schwört.«

Auch der Niedergang und Zusammenbruch der verschiedenen chinesischen Reiche ist in erster Linie auf innerstaatliche Faktoren zurückzuführen. Ebenso wie die Mongolen konnten sich später westliche »Barbaren« durchsetzen, weil innere Ermüdung, Sittenverfall, Hedonismus und der Mangel an wirtschaftlichen wie auch militärischen Ideen die Willenskraft der Chinesen schwächten und sie in Selbstgenügsamkeit erstarren ließen. Äußere Mächte nutzten Chinas Siechtum aus, Großbritannien im Opiumkrieg von 1839 bis 1842, Japan ein Jahrhundert später. Aus dieser Erfahrung resultierte das tiefe Gefühl kultureller Demütigung, das die Chinesen das ganze 20. Jahrhundert hindurch motiviert hat. Die Demütigung war für sie deshalb so schmerzlich, weil ihr fest verankertes Bewusstsein kultureller Überlegenheit mit der erniedrigenden politischen Wirklichkeit des nachkaiserlichen Chinas zusammenprallte.

Ähnlich wie das einstige Römische Reich würde man heutzutage das kaiserliche China als eine regionale Macht einstufen. Doch in seiner Blütezeit hatte China weltweit nicht seinesgleichen, da keine andere Macht imstande war, ihm seine Herrschaft streitig zu machen oder sich ihrer weiteren Ausdehnung gegen den Willen der Chinesen zu widersetzen. Das chinesische System war unabhängig und autark, gründete auf einer im Wesentlichen ethnisch homogenen Bevölkerung und zählte relativ wenig fremde Volksstämme in geographischer Randlage zu seinen Tributpflichtigen.

Aufgrund seines großen und beherrschenden ethnischen Kerns gelang China von Zeit zu Zeit immer wieder eine imperiale Restauration. In dieser Hinsicht unterschied es sich von anderen Großreichen, in denen zahlenmäßig kleine, aber vom Willen zur Macht getriebene Völker viel größeren, ethnisch fremden Bevölkerungen eine Zeit lang ihre Herrschaft aufzuzwingen vermochten. War jedoch einmal die Herrschaft solcher Reiche mit kleiner Kernbevölkerung untergraben, kam eine imperiale Restauration nicht mehr infrage.

Um eine etwas genauere Analogie zu unserem heutigen Verständnis zu finden, müssen wir uns dem erstaunlichen Phänomen des Mongolenreichs zuwenden. Es kam unter heftigen Kämpfen mit größeren und gut organisierten Gegnern zustande. Zu den Besiegten gehörten die Königreiche Polen und Ungarn, die Streitkräfte des Heiligen Römischen Reichs, die russischen Fürstentümer, das Abbasiden-Kalifat und später sogar die chinesische Song-Dynastie.

Nach dem Sieg über ihre regionalen Kontrahenten errichteten Dschingis Khan und seine Nachfolger eine zentral gesteuerte Herrschaft über das Gebiet, das spätere Geopolitiker als das Herzstück der Welt oder den Dreh- und Angelpunkt für globale Macht bezeichneten. Ihr euro-asiatisches Kontinentalreich erstreckte sich von den Küsten des Chinesischen Meeres bis nach Anatolien in Kleinasien und bis nach Mitteleuropa (siehe vorherige Karte). Erst in der stalinistischen Blütezeit des chinesisch-sowjetischen Blocks fand das Mongolenreich auf dem eurasischen Kontinent schließlich seine Entsprechung, soweit es die Reichweite der Zentralgewalt über angrenzendes Gebiet betrifft.

Die Großreiche der Römer, Chinesen und Mongolen waren die regionalen Vorläufer späterer Anwärter auf die Weltmacht. Wie bereits festgestellt, waren im Falle Roms und Chinas die imperialen Strukturen sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht hoch entwickelt, während die weit verbreitete Anerkennung der kulturellen Überlegenheit des Zentrums eine wichtige Rolle für den inneren Zusammenhalt spielte. Im Unterschied dazu erhielt das Mongolenreich seine politische Macht dadurch aufrecht, dass es sich unmittelbarer auf die militärische Eroberung verließ, der die Anpassung (ja, sogar Assimilation) an die örtlichen Gegebenheiten folgte.

Die imperiale Macht der Mongolen gründete zum größten Teil auf militärischer Vorherrschaft. Nachdem sie durch den brillanten und rücksichtslosen Einsatz überlegener Militärtaktiken, die eine bemerkenswerte Fähigkeit zu schneller Truppenbewegung und deren rechtzeitiger Konzentration verbanden, die Herrschaft über die eroberten Gebiete erlangt hatten, bildeten die Mongolen weder ein einheitliches Wirtschafts- oder Finanzsystem aus, noch leitete sich ihre Autorität von irgendeinem Überlegenheitsgefühl kultureller Art ab. Die Mongolenherrscher waren zahlenmäßig zu schwach, um eine sich selbst erneuernde Herrscherkaste zu bilden. Da den Mongolen ein klar definiertes Selbstbewusstsein in kultureller oder ethnischer Hinsicht fremd war, fehlte es ihrer Führungselite auch am nötigen Selbstvertrauen.

Folglich erwiesen sich die mongolischen Herrscher als recht anfällig für die allmähliche Assimilation an die oft höher zivilisierten Völker, die sie erobert hatten. So wurde zum Beispiel einer der Enkel Dschingis Khans, der im chinesischen Teil des Khan-Reichs Kaiser geworden war, ein glühender Verfechter des Konfuzianismus; ein anderer bekehrte sich in seiner Eigenschaft als Sultan von Persien zum Islam; und ein Dritter wurde der von der persischen Kultur geprägte Herrscher über den zentralasiatischen Raum.

Die Assimilation der Herrscher an die Beherrschten in Ermangelung einer eigenen politischen Kultur sowie die ungelöste Nachfolge des großen Khans und Reichsgründers führten schließlich zum Untergang des Imperiums. Das Mongolenreich war zu groß geworden, um von einer einzigen Zentrale aus regiert zu werden. Der Versuch, das Reich in mehrere unabhängige Gebiete zu teilen, um seinem Auseinanderfallen zu begegnen, hatte eine noch schnellere Assimilation an die örtlichen Gegebenheiten zur Folge und beschleunigte die Auflösung. Nachdem sie zwei Jahrhunderte, von 1206 bis 1405, bestanden hatte, verschwand die größte Landmacht der Welt spurlos von der historischen Bühne.

Danach wurde Europa sowohl zum Sitz globaler Macht als auch zum Brennpunkt der Kämpfe um globale Macht. Innerhalb von etwa drei Jahrhunderten erlangte das kleine nordwestliche Randgebiet des eurasischen Kontinents – durch den Vorstoß seiner Seemacht – erstmals wirklich globale Vorherrschaft, als europäische Macht sich bis in alle Kontinente der Erde erstreckte und sich dort behauptete. Beachtenswert ist, dass die Hegemonialstaaten Westeuropas, gemessen an den Zahlen der effektiv Unterworfenen, nicht sehr bevölkerungsreich waren. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts standen außerhalb der westlichen Hemisphäre, die zwei Jahrhunderte zuvor ebenfalls unter westeuropäischer Herrschaft gestanden hatte und vorwiegend von europäischen Emigranten und ihren Nachkommen besiedelt war, nur China, Russland, das Osmanische Reich und Äthiopien nicht unter westeuropäischer Oberhoheit (siehe die folgende Karte).

Westeuropäische Vorherrschaft bedeutete jedoch nicht den Aufstieg Westeuropas zur Weltmacht. Die weltweite Verbreitung seiner Zivilisation verhalf Europa zu seiner globalen Vormachtstellung, seine Macht auf dem Kontinent selbst war indes bruchstückhaft. Anders als die Eroberung des eurasischen Herzlandes durch die Mongolen oder das spätere Zarenreich war der europäische Imperialismus in Übersee das Ergebnis unablässiger transozeanischer Erkundung und der Expansion des Seehandels. Dieser Prozess ging zudem mit einem andauernden Ringen der führenden europäischen Staaten einher, und zwar nicht nur um die überseeischen Gebiete, sondern auch um die Hegemonie in Europa selbst. Geopolitisch betrachtet, war die globale Vormachtstellung Europas nicht aus der von einem einzelnen Staat in Europa ausgeübten Hegemonie abgeleitet.

Bis, grob gesagt, Mitte des 17. Jahrhunderts blieb Spanien die herausragende europäische Macht. Ende des 15. Jahrhunderts war es auch als bedeutende Kolonialmacht mit weltweiten Ambitionen hervorgetreten. Die Religion diente als verbindende Lehre und war Antrieb kaiserlichen Missionseifers. Daher bedurfte es eines päpstlichen Schiedsgerichts zwischen Spanien und seinem maritimen Nebenbuhler Portugal, um mit den Verträgen von Tordesillas (1494) und Saragossa (1529) eine offizielle Aufteilung der Welt in eine spanische und eine portugiesische Kolonialsphäre festzuschreiben. Konfrontiert mit Herausforderungen vonseiten der Engländer, Franzosen und Holländer, konnte Spanien weder in Westeuropa selbst noch in Übersee jemals eine echte Vormachtstellung behaupten.

Nach und nach büßte Spanien seine überragende Bedeutung ein, und Frankreich trat an seine Stelle. Bis 1815 war Frankreich die dominierende europäische Macht, obwohl seine europäischen Kontrahenten es auf dem Kontinent wie in Übersee ständig in Schach zu halten versuchten. Unter Napoleon war Frankreich nahe daran, ein echter europäischer Hegemonialstaat zu werden. Wäre es ihm gelungen, so hätte es vielleicht auch den Status einer beherrschenden Weltmacht erlangen können. Indessen stellte die Niederlage, die ihm eine Koalition europäischer Staaten beibrachte, das kontinentale Machtgleichgewicht wieder her.

Das gesamte 19. Jahrhundert hindurch übte Großbritannien weltweit die Seeherrschaft aus. Bis zum Ersten Weltkrieg war London das international wichtigste Finanz- und Handelszentrum, und die britische Marine »beherrschte die Meere«. Trotz seines Status als unbestrittene Kolonialmacht konnte das britische Empire ebenso wenig wie die früheren europäischen Anwärter auf globale Hegemonie Europa im Alleingang beherrschen. Stattdessen vertraute England auf eine komplizierte Diplomatie des Machtgleichgewichts und schließlich auf eine englisch-französische Entente, um eine Vorherrschaft Russlands respektive Deutschlands auf dem Kontinent zu verhindern.

Das britische Kolonialreich erwuchs aus einem Zusammenspiel von Entdeckungsdrang, Handelsinteresse und Eroberungswillen. Aber wie bei seinen römischen und chinesischen Vorläufern oder seinen französischen oder spanischen Kontrahenten beruhte ein Gutteil seines Standvermögens auf dem Bewusstsein kultureller Überlegenheit. Es entsprang nicht allein der subjektiven Wahrnehmung einer arroganten Führungselite, sondern einer Einsicht, die viele nicht-britische Untertanen teilten. Um die Worte des ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas, Nelson Mandela, zu zitieren: »Ich wurde in einer britischen Schule erzogen, und damals war England die Heimat des Besten, was die Welt zu bieten hatte. Ich habe den Einfluss, den England und die englische Geschichte und Kultur auf uns ausübten, nie verleugnet.« Da diese kulturelle Überlegenheit erfolgreich zur Geltung gebracht und stillschweigend anerkannt wurde, bedurfte es keiner großen Militärmacht, um die Autorität der englischen Krone aufrechtzuerhalten. Noch 1914 überwachten nur ein paar tausend britische Soldaten und Verwaltungsbeamte etwa elf Millionen Quadratmeilen und hielten fast 400 Millionen nicht-britische Untertanen im Zaum (siehe Karte auf Seite 39).

Kurzum, Rom übte seine Macht in erster Linie dank einer ausgezeichneten Militärorganisation und des Reizes seiner kulturellen Errungenschaften aus. China stützte sich auf eine leistungsfähige Verwaltung, um ein Reich zu regieren, das auf einer gemeinsamen ethnischen Identität gründete und dessen Herrschaft durch ein hochentwickeltes Bewusstsein kultureller Überlegenheit untermauert wurde. Das Mongolenreich basierte auf einer ausgefeilten, auf Eroberung abgestimmten Militärtaktik und einem Hang zur Assimilation. Die Briten (wie auch die Spanier, Niederländer und Franzosen) erlangten überragende Geltung, als sie in ihren überseeischen Handelsniederlassungen ihre Flagge hissten und ihre Macht durch eine überlegene Militärorganisation und ein anmaßendes Auftreten festigten. Aber keines dieser Reiche beherrschte die Welt. Nicht einmal Großbritannien war eine wirkliche Weltmacht. Es beherrschte Europa nicht, sondern hielt es lediglich im Gleichgewicht. Ein stabiles Europa war für die internationale Führungsrolle Großbritanniens von zentraler Bedeutung, und die Selbstzerstörung der Alten Welt markierte zwangsläufig das Ende der britischen Vormachtstellung.

Im Gegensatz dazu ist der Geltungsbereich der heutigen Weltmacht Amerika einzigartig. Nicht nur beherrschen die Vereinigten Staaten sämtliche Ozeane und Meere, sie verfügen mittlerweile auch über die militärischen Mittel, die Küsten mit Amphibienfahrzeugen unter Kontrolle zu halten, mit denen sie bis ins Innere eines Landes vorstoßen und ihrer Macht politisch Geltung verschaffen können. Amerikanische Armeeverbände stehen in den westlichen und östlichen Randgebieten des eurasischen Kontinents und kontrollieren außerdem den Persischen Golf