Die elegante Art, Hitzköpfe und andere Streithammel zu beruhigen - Douglas E. Noll - E-Book

Die elegante Art, Hitzköpfe und andere Streithammel zu beruhigen E-Book

Douglas E. Noll

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Beschreibung

Basierend auf der praktischen Erfahrung eines erfolgreichen Mediators und belegt durch die neurowissenschaftliche Forschung löst dieses Buch ein Problem, das wir alle kennen: wie geht man mit aufgebrachten, streitsüchtigen oder cholerischen Mitmenschen um? Douglas E. Noll, früher Rechtsanwalt, heute Friedensstifter, hat eine ebenso einfache wie verblüffend wirksame Kommunikationsweise entwickelt, die den Ärger des Gegenübers buchstäblich in Sekunden in Luft auflöst. Diese De-Eskalations-Strategie ermöglicht, genau das Richtige in genau der richtigen Art im genau richtigen Moment zu sagen und so auch bei Unhöflichkeiten, Provokationen oder Mobbingakttacken ruhig und souverän zu bleiben: Statt auf die Sachebene einzugehen, spiegelt man die Emotionen des Gegenübers wieder. Durch Techniken, die nachweislich die Emotionszentren des Gehirns beruhigen, lassen sich konfliktgeladene Situationen in kürzester Zeit entspannen.

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Douglas E. Noll

Die elegante Art,

HITZKÖPFE

und andere

STREITHAMMEL

zu beruhigen

Wie Sie in 90 SekundenÄrger in Luft auflösen

Aus dem amerikanischen Englischvon Matthias D. Borgmann

Wichtiger HinweisDie Informationen und Ratschläge in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt von Autor und Verlag erarbeitet und geprüft. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für kompetenten medizinischen Rat. Alle Leserinnen und Leser sind daher aufgefordert, selbst zu entscheiden, ob und inwieweit sie die Anregungen in diesem Buch umsetzen wollen. Eine Haftung des Autors und des Verlags für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel De-escalate. How to Calm an Angry Person in 90 Seconds or Less bei Atria Books/BeyondWords.

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eBook-Ausgabe 2018Copyright © 2017 by Douglas E. Noll All rights reserved including the rightof reproduction in whole or in part in any form. This edition published byarrangement with the original publisher, Atria Books/Beyond Words,a Division of Simon & Schuster, Inc., New York.

© der deutschsprachigen Ausgabe 2018Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, MünchenUmschlaggestaltung: Favoritbuero, München, unter Verwendungvon © shutterstock/retrorocket

Layout & Satz: Danai Afrati und Robert Gigler, München

Konvertierung: Bookwire

ePub: 978-3-95803-192-0

ePdf: 978-3-95803-193-7

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Alle Rechte vorbehalten.

www.scorpio-verlag.de

Dieses Buch ist meiner Frau Aleya Dao gewidmet.Ich widme es außerdemden Insassinnen des »Prison of Peace«.Jede von euch war mir eine Inspiration.Ich bin stolz auf euch alle.

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Was Sie erwartet

1Das Geheimnis wird gelüftet

Wir sind emotionale Wesen

Das Geheimnis, wie man Menschen deeskaliert

Drei wesentliche Schritte

Zusammenfassung des Kapitels

2Affect Labeling in der Praxis

Verärgerte Kinder deeskalieren

Wie man ein empathischer Zuhörer wird

Die Gefahren der emotionalen Entwertung

Zusammenfassung des Kapitels

3Was tue ich, nachdem ich jemanden beruhigt habe?

Die Bandbreite an Problemlösungsmöglichkeiten

Ergebnisorientiertes Coaching

Das Formulieren verbindlicher Vereinbarungen

Zusammenfassung des Kapitels

4Minimaler Zwang, maximales Zuhören

Die Deeskalation nicht ansprechbarer Jugendlicher

Mobbing

Die Förderung von Friedenskreisen

Zusammenfassung des Kapitels

5Die Kunst, Kernaussagen zu formulieren

Wie man Kernaussagen effektiv formuliert

Wütende und trauernde Freunde deeskalieren

Wie man Beleidigungen und Respektlosigkeiten zuhört

Zusammenfassung des Kapitels

6Frieden stiften in Beziehungen

Deeskalation in Partnerschaften

Zuhören und Problemlösen in Partnerschaften

Deeskalation nach der Scheidung

Die sechs Bedürfnisse von Opfern

Zusammenfassung des Kapitels

7Wie man eine Affect-Labeling-Führungskraft wird

Deeskalation am Arbeitsplatz

Die Natur der Menschenführung

Zusammenfassung des Kapitels

8Die Kraft der Selbstwahrnehmung

Die Entwicklung emotionaler Intelligenz

Sich selbst deeskalieren

Der transzendente Zustand der Egolosigkeit

Zusammenfassung des Kapitels

9Eine Schlüsselqualifikation für Lehrer

Deeskalation im Klassenzimmer

Schülern und Eltern zuhören

Zusammenfassung des Kapitels

10 Wie bleiben Sie höflich in einer unhöflichen Gesellschaft?

Was sind Überzeugungen?

Wie man Menschen zuhört, die eine gegensätzliche Meinung vertreten

Die Spaltung von Familien

Zusammenfassung des Kapitels

Nachwort

Dank

Anmerkungen

Weiterführende Quellenangaben

Vorwort

Konflikte! In unserer heutigen Welt könnte man das Gefühl bekommen, als würden wir vollkommen von ihnen verzehrt. Es herrscht Streit in Familien, zwischen Freunden und am Arbeitsplatz. Schalten Sie einmal die Fernsehnachrichten an oder lesen Sie die Zeitung, und Sie werden Zeugen gegensätzlicher Kräfte innerhalb von Regierungen, Behörden oder zwischen Einzelpersonen, die um die Macht wetteifern. In der gleichen Nachrichtensendung erfahren Sie von Menschen, die sich gegenseitig umbringen, von häuslicher Gewalt, Mobbing und einer Vielzahl anderer, nicht tolerierbarer Formen von Aggression. Konflikte, in welcher Form auch immer, scheinen unsere Gesellschaft weltweit auf jeder Ebene zu durchdringen – dies führt zu Misstrauen und Angst, die letztlich in einem sinnlosen Ausdruck von Wut eskalieren.

Was bringt uns so weit, dass wir Gewalt als Mittel zur Lösung von Meinungsverschiedenheiten akzeptieren? Worin liegt die Ursache für Konflikte, und wie können wir als Einzelpersonen und als Gruppe deren mutmaßliche Folgen verändern? Können wir jemals eine friedliche Lösung erreichen für etwas, das uns als unüberwindbarer Konflikt erscheint?

Die Antwort auf all diese Fragen finden Sie auf den nachfolgenden Seiten von Die elegante Art, Hitzköpfe und andere Streithammel zu beruhigen. Wie Sie in 90 Sekunden Ärger in Luft auflösen. Dieses Buch liefert uns einen Bauplan, wie wir den kleinsten Familienstreit bis hin zu großen politischen Konflikten erfolgreich meistern können. Die Grundlage dafür bilden emotionale Intelligenz und die Kunst des Zuhörens.

Als Mitbegründer des »Prison of Peace«-Projekts und durch seine Arbeit mit Häftlingen in kalifornischen Hochsicherheitsgefängnissen kommt Rechtsanwalt Douglas E. Noll zu dem Schluss, dass die Lösung des Problems in der emotionalen Intelligenz liegt – statt auf die Worte müssen wir auf die Gefühle der Menschen hören. Die Beherrschung dieser Technik eröffnet uns Möglichkeiten, nach denen sich viele Menschen sehnen, wenngleich wir alle in der einen oder anderen Form Konflikte erleben.

Auf vorzügliche Weise beschreibt Doug die Schritte, mit denen man einem Streit die Schärfe nehmen kann. Er zeigt uns, dass wir – indem wir den mächtigen emotionalen Trigger »Sprache« ignorieren lernen – uns selbst davor schützen, in den Konfliktsog hineingezogen zu werden und zu einem Verständnis der emotionalen Erfahrungen eines anderen Menschen gelangen können. Mit diesem Wissen können wir die Gefühle des anderen zurückspiegeln und anerkennen und einen Weg in Richtung Verständigung einschlagen. Die Anwendung dieser einfachen Hilfsmittel führt zu einer möglichen und faktischen Deeskalation von Spannungen.

Das sind zwar nur die Grundpfeiler des Verfahrens, aber sie sind eine solide Basis für Möglichkeiten und Handlungen, die beiden Konfliktparteien zugutekommen. Die Techniken, die im Buch Die elegante Art, Hitzköpfe und andere Streithammel zu beruhigen vorgestellt werden, sind von unschätzbarem Wert. Sie können in jeder spannungsgeladenen Situation erfolgreich eingesetzt werden. Ihre Anwendung kann Ergebnisse herbeiführen, die früher hoffnungslos und unerreichbar schienen. Außerdem gewährt die Umsetzung von Dougs Techniken jedem von uns die Möglichkeit, mehr über andere und sich selbst zu lernen.

Die elegante Art, Hitzköpfe und andere Streithammel zu beruhigen ist sowohl ein Selbsthilfebuch als auch eines für die Vermittlung zwischen Menschen. Beide Aspekte sind unumgänglich, wenn wir miteinander in vorurteilsfreier Harmonie leben wollen.

Douglas’ Deeskalationsverfahren erfordert von uns, unser geistiges und körperliches Sein dahingehend zu verändern, dass es auf der emotionalen Ebene empfänglicher wird. Wir müssen unser Ego zur Seite schieben sowie unsere spontane Reaktion, auf eine konfliktgeladene Umgebung gleichermaßen mit Groll antworten zu wollen. Am Anfang mag Ihnen dies als Kapitulation erscheinen, aber in Wirklichkeit ist es die Grundlage für eine Haltung einfühlenden Bewusstseins. Mit diesem Verständnis können Sie die eigentlichen Probleme hinter einer Eskalation ergründen und eine Problemlösung herbeiführen.

Stellen Sie sich vor, Sie wären in der Lage, sich mit Ihrem Kind hinzusetzen und ein konstruktives Gespräch zu führen, das Ihnen den eigentlichen Grund seines Ärgers verrät. Oder wie wäre es, auf einen sarkastischen Mitarbeiter in einer Weise einzugehen, die eine konfliktfreie Lösung des Problems ermöglicht? Malen Sie sich einen Prozess aus, der Politiker gegensätzlicher Parteien in eine Lage versetzt, in der sie tatsächlich miteinander ins Gespräch kommen können. Würden Politiker den Weg beschreiten, der in diesem Buch beschrieben wird, könnten wir alle davon profitieren.

Doug hat diese Methode während vieler Jahre als Strafverteidiger, später als Mediator und schließlich als Friedensstifter entwickelt. Die Beständigkeit seines Deeskalationsverfahrens hat sich immer wieder aufs Neue bestätigt. Es ermöglicht jedem, der dieses Buch liest, an einer Methode teilzuhaben, die zu einem umfassenderen Verständnis und einer besseren Kommunikation mit anderen Menschen führt. In der heutigen Zeit kann Die elegante Art, Hitzköpfe und andere Streithammel zu beruhigen zum Leitfaden für jeden von uns werden.

Brit Elders,

Autorin und Geschäftsführerin der Website ShirleyMacLaine.com

Einleitung

Liebe Ms. Kaufer,

Mein Name ist Susan Russo, ich bin Insassin des Gefängnisses »Valley State Prison for Women«. Ich schreibe Ihnen in der Hoffnung, dass Sie vielleicht bereit wären, einen Workshop zu geeigneten Mediationsverfahren für unsere Netzwerk-Gruppe zu veranstalten. Diese Gruppe von Frauen möchte nicht nur ihre eigenen Verhaltensweisen im Umgang miteinander verbessern, sondern auch Menschen in der Bevölkerung dienen. Ich glaube, von einem Workshop über Mediation würden nicht bloß wir Insassinnen, sondern auch das Gefängnispersonal profitieren. Sie würden den Workshop mit den Frauen in unserer Netzwerk-Gruppe machen, und wir würden anschließend das, was wir gelernt haben, der Allgemeinbevölkerung beibringen.

Ich hoffe, Sie überlegen es sich und ich höre bald von Ihnen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Hochachtungsvoll,

Ihre Susan Russo, Valley State Prison for Women

Meine gute Freundin und Kollegin Laurel Kaufer rief mich an, las mir den Brief vor, den sie gerade von Susan bekommen hatte, und fragte: »Was meinst du?«

»Da bin ich dabei!«, antwortete ich, ohne einen Moment zu zögern. Wenn wir Häftlingen beibringen könnten, zu Friedensstiftern zu werden, hätten wir ein für alle Mal den Beweis erbracht, dass jeder von uns zum Friedensstifter werden kann und in der Lage wäre, der Gewalt allerorten ein Ende zu bereiten. Was in einem Hochsicherheitsgefängnis voller Gewalt möglich wäre, wäre überall möglich!

Es war keine leichte Aufgabe, die Genehmigung für den Start des Projekts zu bekommen. Obwohl Laurel und ich erfahrene Rechtsanwälte waren, hatten wir es zum ersten Mal in unserem Leben mit einer Gefängnis-Bürokratie zu tun. Schließlich erhielten wir jedoch grünes Licht, und im April 2010 nahmen wir unsere Arbeit mit der ersten Gruppe von Insassinnen auf.

Zu jener Zeit stand das »Valley State Prison for Women« im Ruf, das größte und brutalste Frauengefängnis der Welt zu sein. Die Zahl der Insassinnen im Gefängnis belief sich auf 3480 – in einer Einrichtung, die ursprünglich einmal für 2400 Frauen vorgesehen war. Die fünfzehn Frauen aus unserer Pilotgruppe verbüßten allesamt langjährige oder lebenslange Haftstrafen. Sie repräsentierten alle möglichen sozialen Schichten, ethnischen Zugehörigkeiten, Bildungsniveaus und sozioökonomischen Hintergründe. Sie waren taffe, verschlossene, zornige und tief verletzte Frauen. Sie waren die vergessenen Unberührbaren der modernen Gesellschaft. Wir hatten keine Ahnung, ob unsere Techniken bei diesen schwierigen Fällen überhaupt funktionieren würden – aber diese Frauen wollten die Konflikte und Streitigkeiten in ihrer Gefängnisgemeinschaft beenden, und dafür brauchten sie die entsprechenden Fertigkeiten.

Nicht einmal im Ansatz lässt sich das Gefühl beschreiben, mit dem ich das Hochsicherheitsgefängnis am ersten Tag betrat. Normalerweise bin ich nicht leicht zu beeindrucken, aber als ich durch die Hauptkontrolle lief und hörte, wie der Schieber der computergesteuerten Sicherheitstür sich dröhnend und mit einem lauten Klicken hinter mir schloss, zog dies meine ganze Aufmerksamkeit auf sich – wir befanden uns im Bauch der Bestie.

Uns war der Besprechungsraum im Büro von Hof D zugeteilt worden. Um zu Hof D zu gelangen, musste man rund vierhundert Meter durch den externen Haupthof des Gefängnisses marschieren. An diesem Morgen herrschte einer jener typischen kühlen und klaren Apriltage in Kaliforniens Central Valley. Laurel und ich liefen schweigend den Weg entlang und ließen die Eindrücke der Gefängnisumgebung auf uns wirken: Die hohen Zäune mit dem messerscharfen Stacheldraht, die Wachtürme, die weiten, kahlen Flächen ohne die geringste Vegetation – es war ein düsterer, bedrückender und hoffnungsloser Ort.

Als wir das Büro von Hof D erreichten, fielen uns umgehend die rechteckigen Kabinen entlang der Wand auf, und uns wurde erklärt, dass diese Kabinen dazu dienten, wütende Insassinnen in Schach zu halten, bis die Gefängniswärter sich um sie kümmern würden. Der Wachmann geleitete uns in den Besprechungsraum. Mit spärlichem Neonlicht beleuchtet, in tristem Grün gestrichen – wie für diese Art von Institutionen typisch – und mit seinem Fußboden aus Beton, war dieser Raum der Inbegriff von Schäbigkeit. Die Hälfte der Stühle war zerbrochen, und an den Wänden stapelten sich ausrangierte Computer. Alles hier wirkte anstaltsmäßig, kalt und unfreundlich. Laurel und ich waren es gewohnt, in den hellen Klassenzimmern von Graduiertenkollegs und den Konferenzräumen von Hotels zu unterrichten. Etwas wie dies hatten wir noch nie zuvor gesehen.

Während der nächsten 15 Minuten trafen unsere Schülerinnen ein. Farbige, Weiße, Hispanics – junge Frauen, Frauen mittleren Alters, ältere. Sie alle waren Langzeithäftlinge oder Häftlinge auf Lebenszeit. Sie trugen die charakteristischen blauen Gefängniskittel, ihre Gesichter waren entweder nur spärlich oder gar nicht geschminkt. Einige von ihnen hatten Sonnenbrillen auf. Was ihre Kopfbedeckungen anging, war von Baseballmützen bis Kopftüchern alles vertreten.

Ein paar wütende und misstrauische Blicke richteten sich auf mich, man musterte mich skeptisch; manche der Frauen wirkten unterwürfig und verängstigt. In den Augen aller erkannte ich eine Frage: »Was will dieser große, alte, weißhäutige Anwalt hier?«

So fing alles an.

In der vierten Trainingswoche bemerkte ich, dass etwas Eindrucksvolles vor sich ging.

Wir waren an diesem Tag bereits früh am Morgen ins Gefängnis gekommen. Ich hatte mich noch immer nicht an das dröhnende Geräusch gewöhnt, mit dem sich die schweren Stahltüren hinter meinem Rücken schlossen. Wieder einmal traten wir die vierhundert Meter Fußmarsch an durch Hof D zum Büro und jenem schäbigen Besprechungsraum, der zu unserem Klassenzimmer geworden war.

Im Raum flimmerte schwaches Neonlicht. Eine der Häftlinge, ihr Name war Sarah, war früher als sonst erschienen. Sie saß auf einem metallenen Klappstuhl in einer der Ecken des Raums und schluchzte leise vor sich hin. Laurel kniete sich neben sie auf den Boden. Ich hielt diskreten Abstand.

»Was ist los, Sarah?«, fragte Laurel mit sanfter Stimme.

Die Frau schwieg einen Moment lang, und dann erzählte sie uns: »Ich bin seit mehreren Jahren im Gefängnis und habe einen Sohn, der bei meiner Mutter lebt. Ich schreibe ihm jede Woche, aber ich habe seit drei Jahren nichts von ihm gehört. Wie es ihm geht, erfahre ich nur durch das, was mir meine Mutter erzählt. Vor zwei Wochen beschloss ich, die Techniken auszuprobieren, die ich von Ihnen beiden gelernt habe. Ich schrieb ihm einen ganz anderen Brief als sonst, wandte diese neuen Fertigkeiten an und beschrieb ihm seine Gefühle, die er über all die Jahre empfunden haben musste. Im Grunde machte ich in meinem Brief Affect Labeling mit ihm, ohne auch nur ein einziges Wort über mich selbst zu verlieren«, erklärte uns Sarah, wobei sie auf eine der zentralen Fertigkeiten des Zuhörens anspielte, die wir der Gruppe ein paar Wochen zuvor beigebracht hatten.

Dann zeigte sie uns ein Blatt Papier und eine Fotografie. »Ich habe heute zum ersten Mal in drei Jahren einen Brief von ihm erhalten. Er ist ziemlich wütend auf mich, aber er sagt, er habe endlich das Gefühl, dass ich ihm zuhöre. Inzwischen hat er eine Freundin und er würde mich gerne einmal besuchen kommen«, berichtete uns Sarah und fing wieder an zu weinen. Aber es waren Tränen der Freude und des Glücks.

Laurel und ich sahen uns an. In diesem Moment wurde uns klar, welche Wirkungskraft in diesen Fertigkeiten steckte und wie sehr sie das Leben dieser Frauen und ihrer Familien verändert hatten. Die Kraft des Zuhörens und der Deeskalation hatten Sarah verändert. Dass sie imstande war, durch einen Brief »zuzuhören«, und nach Jahren des Schweigens von ihrem entfremdeten Sohn eine Antwort erhalten hatte, war bemerkenswert.

Seither sind wir Zeugen Hunderter ähnlicher Geschichten von Häftlingen des »Valley State Prison« und Häftlingen aus anderen Gefängnissen geworden. Die Insassen waren in der Lage, Konflikte mit Eltern, Geschwistern oder Kindern per Telefon oder während eines Besuchs zu schlichten. Ein männlicher Häftling konnte sich nach fünfzehn Jahren mit seiner Exfrau aussöhnen, allein weil er ihr auf eine neue Weise zuhörte. Familien, Freunde und sogar Mithäftlinge bemerkten tief greifende Veränderungen, je besser unsere Friedensstifter die Deeskalationstechniken und das tiefe, mitfühlende Zuhören unseres Programms beherrschten.

Vom »Valley State Prison« dehnten wir unser Programm noch auf zwei weitere Frauengefängnisse und ein Männergefängnis aus. Schließlich bildeten wir einen Kader von Häftlingen in jedem Gefängnis aus, die im Anschluss die Ausbildung anderer Häftlinge übernahmen. 2017 veranstaltete unser »Prison of Peace«-Projekt Workshops und Seminare für jeden Sträfling, der den Wunsch hatte, zu lernen, wie man gewaltvolle Situationen auf schnelle Weise deeskaliert; bis dato haben unsere sechshundert Friedensstifter und Mediatoren über 15 000 Insassinnen und Insassen in Gefängnissen unterrichtet. Mit finanzieller Unterstützung haben wir das Projekt auf insgesamt elf Männer- und Frauengefängnisse ausgedehnt. In einigen dieser Gefängnisse gibt es »Prison of Peace« deshalb, weil unsere Ausbilder in diese Gefängnisse verlegt wurden und unverzüglich damit begannen, in ihren neuen Gefängnisgemeinschaften die Praxis des Friedensstiftens zu unterrichten. Zusätzlich dazu hat ein Kollege von uns eine »Prison of Peace«-Initiative in Athen/Griechenland gegründet. Weitere Projekte in Italien und Frankreich sind in Planung.

Dieser Welleneffekt der Friedensstifter hatte mit dem Brief einer einzigen Frau begonnen – Susan Russo.

Das »Prison of Peace«-Projekt gehört zu den intensivsten Erfahrungen meines Berufslebens. Es hat mich immer wieder zutiefst bewegt, wie Häftlinge tiefes, mitfühlendes Zuhören, Führungsqualitäten und Problemlösungstechniken gelernt und in die Praxis umgesetzt haben, um die Gewalt in ihren Gefängnisgemeinschaften zu verringern. Ihr Engagement, zu lernen, Dinge zu verbessern und ihren Gemeinschaften zu dienen, war für mich Anlass genug, die Prinzipien von »Prison of Peace« so weit wie möglich auszudehnen, damit jeder, der von dem Wunsch beseelt ist, die Methoden des Friedensstiftens zu lernen, die Möglichkeit dazu hat.

Ich möchte Ihnen beibringen, wie Sie jede Situation und jeden Menschen schnell und effizient deeskalieren können. Sie werden lernen, dies zu tun, ohne dabei Ihre Selbstkontrolle oder Beherrschung zu verlieren. Sie werden ganz neue Kompetenzen und ein neues Selbstvertrauen entwickeln im Umgang mit verärgerten Menschen in Ihrer Familie, am Arbeitsplatz und in Ihrer Gemeinde. Sie werden in der Lage sein, auf Beleidigungen, Provokationen und Respektlosigkeiten anderer Menschen zu reagieren, ohne aus der Fassung zu geraten. Sie werden in der Lage sein, den heftigen Emotionen anderer standzuhalten und im richtigen Moment auf angemessene Weise das Richtige zu antworten. Kurzum, Sie werden eine gewaltige Menge an Selbstkontrolle über Ihr Gefühlsleben bekommen. Dies wird Ihnen eine Kraft verleihen, die Sie nie für möglich gehalten hätten.

Während Sie diese Fertigkeiten lernen und zur Meisterschaft bringen, werden Sie fünf gewaltige Verwandlungen erleben:

Zur ersten Verwandlung kommt es, wenn Sie zu der Einsicht gelangen, dass wir keine rationalen, sondern emotionale Wesen sind. Haben Sie sich erst einmal von der Vorstellung befreit, wir Menschen seien rationale Wesen, werden Sie die Handlungen und Haltungen derer um Sie herum besser verstehen. Sie werden wesentlich weniger bewerten und kritisieren und gleichzeitig Mitgefühl und Verständnis entwickeln.

Die zweite Verwandlung tritt ein, wenn Sie erfahren, was emotionale Entwertung bedeutet. Ich nenne sie auch die erste Todsünde. Emotionale Entwertung hat eine tief greifende und traumatisierende Wirkung. Wir haben gelernt, die Emotionen anderer Menschen zu entwerten, um dadurch unsere eigenen Ängste zu kompensieren. Sobald Sie ein Bewusstsein für emotionale Entwertung entwickelt haben, werden Sie in der Lage sein, diese zu beenden.

Die dritte Verwandlung erleben Sie, wenn Sie verstehen, was Affect Labeling ist, und dieses anzuwenden beginnen – es ist die Fertigkeit, den Gefühlen anderer Menschen zuzuhören (den Begriff Affect Labeling hat Douglas E. Noll von dem Neurowissenschaftler Matthew Lieberman von der Universität Los Angeles übernommen und für seine Methode eingeführt). Wenn Sie zum ersten Mal erfolgreich mit einem wütenden Kind oder einem aufgebrachten Partner Affect Labeling gemacht haben, wird sich Ihr Leben für immer verändern. Sie werden die ungeheure Kraft des tiefen, empathischen Zuhörens erfahren.

Zur vierten Verwandlung kommt es, wenn Sie eine Zeit lang mit anderen Menschen Affect Labeling gemacht haben. Irgendwann werden Sie bemerken, dass Sie Affect Labeling mit Ihren eigenen emotionalen Erfahrungen machen. Sie werden merken, dass Sie sich selbst beruhigen können, in Ihr inneres Gleichgewicht kommen und weniger auf Provokationen von außen reagieren – ganz gleich wie groß diese sein mögen.

Die fünfte Verwandlung tritt ein, wenn Sie während Affect Labeling den Zustand der Egolosigkeit erleben. Wenn Sie mit einem anderen Menschen Affect Labeling machen, wird sich Ihr Ego auflösen, und Sie erfahren Ihre wahre Essenz. Dies ist ein zutiefst geerdeter Zustand.

Dieses Buch ist so geschrieben, dass Sie die entsprechenden Fertigkeiten lernen und sofort auf jede Herausforderung in Ihrem Leben anwenden können. Wenn Sie das Vertrauen und die Fähigkeit besitzen, den emotionalen Erfahrungen der Menschen in Ihrem Umfeld zuzuhören und diese widerzuspiegeln, werden Sie die oben genannten fünf Verwandlungen erleben. Ihre Beziehung zu Ihren Kindern, Ihrem Partner, Ihrer Familie und Ihrem Umfeld wird dadurch leichter, tiefer und reichhaltiger werden.

Streitigkeiten werden der Vergangenheit angehören. Sie werden Konflikte nicht mehr scheuen oder zu vermeiden versuchen, und in dem Maße, in dem Sie wachsen und sich verändern, werden es auch die Menschen in Ihrem Umfeld tun. Sie machen den Menschen in Ihrem Leben das wertvolle Geschenk emotionaler Kompetenz – dies macht Sie sowohl zum Mentor als auch zum versierten Friedensstifter in einer entscheidenden Zeit, in der wir dies mehr denn je benötigen.

Höflichkeit ist von höchster Bedeutung in einer Gesellschaft, die von schwülstiger Übertreibung, gegensätzlichen Meinungen (mehr dazu in Kapitel 10) und offener Aggression beherrscht wird. Überall – in der Schlange im Supermarkt, in der Schule, beim Abendessen zu Hause, im Unternehmensbüro oder in der Politik – sind die Fertigkeiten, mit starken Emotionen umzugehen, Probleme zu lösen und wütende Menschen zu deeskalieren, dringend notwendig.

Ich habe erlebt, wie eine Handvoll engagierter Häftlinge die Kultur ihres Gefängnisses von einem Gefängnis der Gewalt in ein Gefängnis des Friedens verwandelte. Sie selbst können einen transformierenden Wandel bei den Menschen in Ihrer Umgebung bewirken. Wenn immer mehr Menschen die Fertigkeiten, die in diesem Buch vorgestellt werden, lernen und anwenden, werden wir eine langsame, aber deutliche Zunahme an Höflichkeit und Frieden beobachten. Wie die Computer-Simulationen des Politikwissenschaftlers und Autors Robert Axelrod in den 1980er-Jahren bewiesen, sind die Tauben in der Lage, die Falken zu verdrängen.

Axelrod schrieb: »Eine Welt ›Böswilliger‹ kann einer Invasion durch jeden widerstehen, der irgendeine andere Strategie verwendet, vorausgesetzt, die Fremden kommen einzeln an. Das Problem besteht natürlich darin, dass ein einzelner Neuling in einer solchen bösen Welt niemanden findet, der seine Kooperation erwidert. Wenn die Neulinge jedoch in kleinen Gruppen ankommen, haben sie durchaus eine Chance, Kooperation in Gang zu setzen.«1 Axelrod kam zu dem Ergebnis, dass Frieden und Kooperation effizientere Möglichkeiten darstellten, mit Konflikten umzugehen, als Aggression und Gewalt. Wurde sie in die feindselige Umgebung von Falken gebracht, war auch eine kleine Gruppe von Tauben in der Lage, die Gewalt zu überwinden.

Diese Wirkung haben wir in den Gefängnissen beobachtet. In dem Maße, in dem Friedensstifter und Mediatoren in kleinen Gruppen in eine Umgebung gebracht wurden, in der Frieden und Kooperation etwas Unbekanntes waren, begannen sich Verwandlungen einzustellen. Gewalt und brutale Verhaltensweisen nahmen ab. Eine kleine Gruppe unserer ausgebildeten Friedensstifter und Mediatoren veränderte die gewaltvolle Atmosphäre ihres Gefängnisses. Warum sollte dasselbe nicht ebenso in Ihrem Leben, Ihrer Familie oder Ihrer Gemeinde geschehen, sofern Sie und einige andere Menschen bereit sind, diese Fertigkeiten zu erlernen und im Alltag zu praktizieren?

Kurzum, die Beherrschung und Anwendung dieser Fertigkeiten zur Deeskalation wird:

»Streit reduzieren

»Verständnis und Empathie erhöhen

»Wichtige Beziehungen transformieren

»Es Menschen erlauben, in intensiver Weise gehört zu werden

»Einen neuen Raum für Höflichkeit schaffen

»Ein Instrument liefern, mit dem sich Menschen mit radikal unterschiedlichen Auffassungen über schwierige Themen verständigen können

Was Sie erwartet

Im Laufe unseres Lebens verändern sich unsere Prioritäten und Aufgaben auf ganz natürliche Weise. Das Buch versucht in seiner Struktur einem typischen biologischen Lebensverlauf zu folgen, mit realen Alltagssituationen, die ich mir ausgedacht habe, damit Sie sie anwenden und erlernen können. Obwohl Sie versucht sein mögen, von einem Kapitel zum anderen zu springen, ist der Lerneffekt am größten, wenn Sie die Kapitel zuerst der Reihe nach lesen.

Jedes der Kapitel bietet nützliche und allgemeingültige Lektionen, Einsichten und Hilfsmittel, die weit über das Lebensthema oder die spezielle Lebenssituation dieses Kapitels hinausgehen und in diesem Moment Ihres Lebens für Sie vielleicht nicht relevant sein mögen. Sind Sie zum Beispiel weder Eltern noch Großeltern, müssen Sie keine wütenden Kinder oder Jugendlichen deeskalieren; dennoch bieten jene beiden konkreten Kapitel wirkungsvolle Übungen, Ratschläge und Fallbeispiele, die sich in Form von Rollenspielen leicht nachspielen lassen. Sie werden schnell feststellen, dass das Erlernen der Fähigkeit, einen verärgerten Jugendlichen zu beruhigen, von Nutzen sein kann, um jeden emotional aufgebrachten Menschen zu beruhigen, unabhängig von dessen Alter oder der jeweiligen Situation. Daher mein Ratschlag: Um die Deeskalationsmethode zu erlernen, lesen Sie zuerst alle Kapitel durch und kehren Sie anschließend zu den Kapiteln zurück, die Ihren aktuellen Lebensabschnitt am besten widerspiegeln.

In Kapitel 1 lernen Sie die grundlegenden Fertigkeiten, auf denen das Deeskalationsverfahren aufbaut, sowie die Erkenntnis, dass wir emotionale Wesen sind – dies wird Ihnen helfen, auf eine neue und wirkungsvolle Weise zuzuhören. In Kapitel 2 setzen wir Affect Labeling in die Praxis um und führen vor, wie man ein empathischer Zuhörer wird. Zu lernen, wie wir mit den Trotzreaktionen, der Wut und der Frustration unserer Kinder umgehen, ohne dabei die Erfahrungen des Kindes emotional zu entwerten, ist einer der nützlichsten und stärksten Punkte dieses Buches – und ein hervorragender Einstieg zur Anwendung des Deeskalationsverfahrens.

Meine Schüler stellen mir immer die Frage: »Na gut, ich habe den anderen beruhigt – was mache ich als Nächstes?« Nun, eine Antwort auf diese Frage liefert Kapitel 3, indem es Ihnen Fertigkeiten zu Problemlösungen anbietet, die sich im »Prison of Peace«-Projekt als ausgesprochen effektiv erwiesen haben, insbesondere, wie man anderen Menschen Verantwortlichkeit und persönliche Verantwortung beibringt. Kapitel 4 wirft einen Blick auf die Gefühlslandschaft Jugendlicher. Diese müssen neue emotionale Bindungen mit Gleichaltrigen eingehen, was häufig bedeutet, dass sie den Bindungen zu Eltern oder Familienangehörigen keine Beachtung schenken oder diese nicht ernst nehmen. Für Eltern kann dies zu einer frustrierenden Zeit werden – und zu wissen, wie man einen Jugendlichen erreicht, ist in der Tat etwas sehr Nützliches. Außerdem zeigt das Kapitel Fallbeispiele, in denen es um Mobbing in der Schule geht, und beschreibt die effiziente Nutzung von Friedenskreisen, die das tiefe Zuhören fördern sollen.

Danach geht es weiter mit Kapitel 5. Dort führe ich die Fertigkeit des Formulierens von Kernaussagen ein und zeige außerdem eine wirkungsvolle Weise, wie man auf Beleidigungen oder Respektlosigkeiten reagieren kann. Kapitel 6 nimmt uns mit in die Lebensphase, in der wir intime und emotionale Bindungen in einer Partnerschaft eingehen und Gefühle von Verpflichtung erproben. Es befasst sich außerdem mit den vielschichtigen Emotionen und den Fertigkeiten des Zuhörens, die nötig sind, um eine gesunde Ehe oder auch eine Beziehung nach der Scheidung zu fördern; hier beschäftige ich mich insbesondere damit, was wir als die »sechs Bedürfnisse von Opfern« bezeichnen. Unser Leben als Erwachsene beinhaltet ebenso das komplexe Gebiet von Karriere und Beziehungen am Arbeitsplatz – ein weiteres Lebensthema, das ich in Kapitel 7 behandle. Kapitel 8 konzentriert sich schließlich auf Hilfsmittel, die Sie benutzen können, um sich selbst zu deeskalieren, indem Sie Selbstwahrnehmung und den transformierenden Zustand der Egolosigkeit kultivieren.

Kapitel 9 und 10 sind beides Sonderkapitel. Kapitel 9 führt uns in die Schule. Ich habe mit großem Erfolg Lehrern an Middle- und Highschools die Fertigkeiten der Deeskalation vermittelt. In diesem Kapitel führe ich vor, wie anders Unterrichtsführung aussehen kann, wenn ein Lehrer mit Entschlusskraft und Mitgefühl auf das Fehlverhalten seiner Schüler reagiert. Das Kapitel ist sowohl für Lehrer aus allen Bereichen als auch für Familien aufschlussreich. Kapitel 10 führt uns hinaus in die Welt – es behandelt die ernsten Probleme, die durch mangelnde Höflichkeit und Polarisierung in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft entstehen. Wie höre ich einem Menschen zu und deeskaliere ihn, wenn dessen Weltanschauung und Überzeugungen sich radikal von meinen eigenen unterscheiden? Insbesondere, wenn es sich um einen Familienangehörigen, Freund oder Kollegen handelt?

Wie ich immer zu meinen Schülern sage – bleiben Sie offen für diese neuen Ideen. Manche davon werden Ihnen nicht eingängig sein und Ihnen ungewöhnlich vorkommen. Doch so neuartig Ihnen die Ideen erscheinen mögen, vergessen Sie nie, sie wurden über eine Zeitspanne von zehn Jahren in recht bedrückenden und hoch emotionalen Situationen entwickelt und verfeinert. Sie werden sehen, hinter den Techniken steckt exakte Wissenschaft. Vertrauen Sie den Verfahren und wenden Sie sie an, und schneller als Sie glauben, werden Sie die Verwandlungen in Ihrem Leben feststellen.

1

Das Geheimnis wird gelüftet

Was ich gelernt habe, ist großartig! Allein die Fertigkeiten des Zuhörens haben mir unheimlich geholfen. Zu wissen, dass es eine angemessene Art und Weise gibt, wie man ein Gespräch miteinander führen kann, verleiht mir Klarheit und Zuversicht. Die Fertigkeiten haben meine Beziehungen zu Freunden, Familienangehörigen und anderen Menschen verbessert. Ich habe gelernt, ruhig zu bleiben, abzuwarten, bis ich an der Reihe bin, und demjenigen, der mit mir spricht, wirklich zuzuhören. Wenn ich die Worte anderer reflektiere, spüren sie, dass ich ihnen tatsächlich zuhöre, und die wahren Themen kommen auf den Tisch. Letzte Woche sagte ein Häftling aus unserer Gruppe zu mir, ich sei ein Idiot, und ich fühlte mich von ihm respektlos behandelt. Statt ihm Kontra zu geben oder handgreiflich zu werden, beobachtete ich meine Gefühle und Emotionen und wartete so lange, bis ich mich beruhigt hatte, um ihm dann mit ruhiger Stimme und entschiedener Geisteshaltung zu antworten. Sobald ich ihm zurückreflektierte, »er sei stinksauer und ich sei ein Idiot«, entschuldigte er sich umgehend bei mir und erklärte, er habe sich von mir nicht ernst genommen gefühlt, als ich ihm nicht zuhörte, was er mir zu erzählen versucht hatte. Ich entschuldigte mich bei ihm dafür (das sei nicht meine Absicht gewesen) und sagte ihm, ich nähme seine Entschuldigung an und fühlte mich, was die ganze Sache anginge, nun viel besser.

Zuhören, widerspiegeln, klären und auf Richtigkeit überprüfen funktioniert!

Bryce Markell, Valley State Prison

Sind Sie schon einmal folgenden Menschen begegnet?

»Einer wütenden, verärgerten Person

»Einem emotional nicht zugänglichen Partner

»Einer Person mit einer anderen Ideologie oder einem anderen Glauben

»Einem Mobber

»Einem überreizten Chef

»Einem frustrierten Mitarbeiter

»Einem ängstlichen, besorgten Freund

»Einem traurigen, leidenden Familienangehörigen

»Einem unzufriedenen Kunden oder Gast

»Einem verschwiegenen, teilnahmslosen Kind oder Jugendlichen

Wie sind Sie mit diesen Menschen zurechtgekommen? Wurde das Problem schlimmer? Verspürten Sie den Wunsch, wegzulaufen, zurückzuschreien oder sich auf der Stelle umzudrehen? Wurden Sie dadurch selbst wütend? Kam es zu einem heftigen Streit oder einer Auseinandersetzung?

Wenn Sie eine von diesen schwierigen Situationen mit Ja beantwortet haben, ist dieses Buch das richtige für Sie. Es wird Ihnen beibringen, wie Sie einen wütenden oder verärgerten Menschen jeden Alters in 90 Sekunden oder weniger beruhigen können und dabei selbst ausgeglichen und gelassen bleiben. Außerdem lernen Sie, wie Sie sich selbst schnell und effizient beruhigen können.

Die Fertigkeiten, die ich Ihnen nun enthüllen möchte, haben wir in einigen kalifornischen Hochsicherheitsgefängnissen an Häftlingen mit lebenslangen Haftstrafen getestet. Mithilfe dieser Fähigkeiten konnten die Häftlinge gewaltsame Auseinandersetzungen, Bandenaufstände, Streitigkeiten und Mobbing beenden. Dutzende von Insassen haben mir erklärt, hätten sie diese Fertigkeiten zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahre früher gelernt, säßen sie heute wahrscheinlich nicht im Gefängnis. Irgendwann wurde mir klar, dass ich über die Gefängnismauern hinausgehen und die Geheimnisse für jedermann zugänglich machen musste. Seither habe ich diese Kenntnisse Lehrern an Middle- und Highschools, Anwälten, Richtern, Mediatoren und Doktoranden vermittelt. Und nun auch Ihnen.

Bevor wir in die Materie einsteigen, möchte ich Ihnen ein paar Hintergrundinformationen darüber geben, auf welcher Grundlage ich die Deeskalationstechniken entwickelt habe. Als ich anfing, im Bereich der Mediation zu arbeiten, beruhten viele der Fertigkeiten, die Mediatoren und Friedensstifter lernten, auf den Erfahrungen früherer Mediatoren; es gab nur sehr wenige wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungen darüber, welche Methoden wirklich funktionierten und weshalb sie funktionierten.

Das Gebiet der Neurowissenschaften war gegen Ende der 1990er-Jahre und zu Anfang des neuen Jahrtausends noch ziemlich spärlich entwickelt. Zum eigentlichen Durchbruch kam es, als Tausende frischgebackener Doktoranden das menschliche Gehirn zu erforschen begannen, in einer Zeit, als auch ich anfing, mich ernsthaft mit den Konflikten zwischen Menschen zu beschäftigen. Mir fiel auf, dass der Schlüssel zu allem im menschlichen Gehirn lag. Also begann ich mich in die Forschungsliteratur einzuarbeiten und konzentrierte mich dabei auf Sozialpsychologie und kognitive Neurowissenschaften, weil ich herausfinden wollte, welche Erkenntnisse über die Funktionen und Prozesse des Gehirns sich für die Friedensarbeit nutzbar machen ließen. Dies gipfelte in der ersten Publikation über die Neuropsychologie von Konflikten, dem Kapitel 6 meines ersten Buches Peacemaking: Practicing at the Intersection of Law and Human Conflict (»Friedensstiften: Arbeiten an der Schnittstelle von Gesetz und menschlichen Konflikten«).2

Einige meiner frühen Einsichten entstammten meiner Lektüre über die Entstehung von Angst im Gehirn und über die Funktion der sogenannten Neurotransmitter, und hier vor allem die entscheidende Rolle, die Endorphine, Dopamin, Serotonin, Oxytocin und Cortisol bei der Regulierung von friedlichem und aggressivem menschlichem Verhalten spielen. Ich lernte, dass wir Menschen vor allem emotionale Wesen sind, mit einer gewissen Fähigkeit zu logischem Denken und Vernunft. Ich lernte, dass ein Großteil unseres Verhaltens automatischen Prozessen unterliegt und wir bei Weitem nicht über so viel freien Willen verfügen, wie wir zu glauben meinen. Ich erfuhr, was »kognitive Verzerrung« bedeutete, lernte die Verzerrung bei Entscheidungsfindungen kennen und die unterschiedlichen Gehirnsysteme, die für unsere Entscheidungsfindungen zuständig sind.

All dies hat meine Herangehensweise an die Mediation verändert, wie ich andere Menschen betrachte und mit diesen in meiner Arbeit umgehe. Ich warf jegliches konventionelle Wissen über Mediation und Friedensstiftung über Bord, das nicht wissenschaftlich gestützt war, und suchte nach Möglichkeiten zur Entwicklung einer Praxis und Lehre, die darauf beruhte, wissenschaftliche Erkenntnisse auf echte Lebenssituationen anzuwenden. Fachkenntnisse sind grundsätzlich eine gute Sache, aber ich war von dem Wunsch beseelt, bessere Mittel und Wege zu finden, um Menschen bei der Lösung von Konflikten und Problemen zu helfen – ich suchte nach Fertigkeiten, mit denen man potenziell gewaltsame Menschen und Situationen so schnell wie möglich deeskalieren konnte.

Mehrere Jahre des Forschens, des Herumexperimentierens und der entschlossenen Suche führten mich, nebst vielen anderen, zu den Arbeiten der sozial-kognitiven Neurowissenschaftler Matthew Lieberman und Marco Iacoboni von der Universität Los Angeles (UCLA). Ihr Interesse daran, wie das menschliche Gehirn soziale Informationen verarbeitet, lieferte mir tiefe Einsichten in die Praxis des Friedensstiftens. Die Deeskalationstechniken in diesem Buch basieren zum Teil auf den Erkenntnissen der beiden und denen anderer Forscher. Sie sind als praktische und effiziente Instrumente gedacht, die jeder von uns nutzen kann, um wütende und emotionale Menschen zu beschwichtigen.

Wir sind emotionale Wesen

In diesem Buch werden Sie eine neue Art des Zuhörens lernen. Im Prinzip erfahren Sie, wie man auf Gefühle hört und diese dem Gesprächspartner reflektiert. Dieses einfache Prinzip ist sowohl radikal als auch innerhalb der Gegenkultur zu verstehen, weshalb es bislang auch noch nicht im größeren Stil vermittelt worden ist.

In der Geschichte der westlichen Philosophie, Religion und Psychologie wurden Gefühle häufig abgelehnt und im Vergleich zum vernunftgesteuerten Denken als unzuverlässig, gefährlich oder gar negativ eingestuft. Den Worten, die Menschen äußern, schenken wir große Aufmerksamkeit, aber ihren emotionalen Erfahrungen schenken wir so gut wie keine. Erlebt ein Mensch einen emotionalen Moment, wird man ihn oder sie womöglich als unvernünftig bezeichnen, oder mit noch schlimmeren Attributen versehen.

Der klassische griechische Philosoph Platon begründete die Vorstellung, dass Gefühle etwas Unvernünftiges seien und dem Verstand und dem logischen Denken gegenüber unseren emotionalen Reaktionen Priorität einzuräumen sei. In seinem Werk Phaidros beschreibt Platon die menschliche Seele als einen Wagenlenker, der ein Gespann aus zwei Pferden lenkt – das eine ist unvernünftig und verrückt, das andere hingegen edelmütig und von guter Abstammung. Die Aufgabe des Wagenlenkers ist es, die Pferde zu kontrollieren, damit sie ihn in Richtung Erleuchtung und Wahrheit ziehen. Die wichtigste Erkenntnis hierbei ist, ganz simpel ausgedrückt: Gefühle sind schlecht und Vernunft ist gut. Dies ist eine Glaubensüberzeugung, die das abendländische Denken während Jahrtausenden geprägt hat – unsere Gefühle stehen unserer Vernunft im Weg.3

Durch die Philosophie des Neoplatonismus der frühen christlichen Kirche wurde die Überzeugung, dass Vernunft besser sei als Gefühle, noch zusätzlich verstärkt. Der heilige Augustinus von Hippo nahm als führender Theologe innerhalb der christlichen Kirche des 5. Jahrhunderts die Gedanken des Neoplatonismus in seine Schriften auf, was dazu führte, dass Christen aufgrund der Vermischung der Bibel mit klassischer griechischer Philosophie fortan mit ihren Gefühlen und ihrem Verstand rangen. In René Descartes, einem der Gründerväter der Philosophie der Aufklärung, fand der Neoplatonismus ebenfalls einen Anhänger. Descartes ist berühmt für seinen Satz »Cogito ergo sum« (»Ich denke, also bin ich«) aus seiner Schrift Discours de la méthode. Genau wie seine Vorgänger lehnte auch Descartes die Bedeutung der Gefühle ab und gab der Vernunft den Vorzug.4

Eine Analogie dieses Konflikts im modernen Sinne wäre das, was ich als »Spock-Syndrom« bezeichne. Wie Sie wahrscheinlich wissen, war Mister Spock der wissenschaftliche Offizier des Raumschiffes Enterprise aus der populären TV-Serie »Star Trek«. Als Sohn eines Vulkaniers und einer irdischen Mutter lag sein Verstand ständig im Streit mit seinen Gefühlen, was in vielen Episoden und einigen Filmen der späteren Spielfilmreihe für große Spannung sorgte. Meistens verfiel Mister Spock in eine emotionale Schwäche, musste seine inneren moralischen und ideologischen Kämpfe ausfechten und verleugnete am Ende seine Gefühle. Als Zuschauer wurden wir zu Zeugen dieses inneren Dramas und fühlten uns erleichtert, als Mister Spock wieder zur Besinnung kam und vernünftig wurde. Die unterschwellige Botschaft war, dass wir uns alle im Kampf mit unserem emotionalen und vernunftgesteuerten Selbst befinden. Nur wenn unser vernunftgesteuertes Selbst obsiegt, indem es das emotionale Selbst verleugnet, fühlen wir uns wirklich sicher.

Gene Roddenberry, der geniale Erfinder von »Star Trek«, war sich des Konflikts zwischen Gefühl und Verstand in unserer westlichen Kultur sehr wohl bewusst und setzte diesen Konflikt dramaturgisch geschickt ein. Mister Spock verkörpert die reine Vernunft im platonischen Sinne. Andere Figuren der Serie, wie Doktor McCoy, standen repräsentativ für Gefühle und Emotionen. Scotty, der Chefingenieur des Raumschiffes, war der Spezialist für die Technologie und zuständig für den Warp-Antrieb (dieser konnte – ähnlich wie unsere Gefühle – in jedem Augenblick explodieren und die gesamte Mannschaft an Bord in die Luft jagen). Natürlich war es die Aufgabe von Captain Kirk, der die Verantwortung für alles trug, dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst so weit kam.

Die Auswirkungen des Konflikts »Gefühl versus Verstand« setzen sich bis in unsere moderne Kultur fort. Bereits als Kinder lernen wir, dass Gefühle und ein klares, logisches und realitätsbezogenes Denken miteinander in Konflikt stehen. Haben wir unsere Gefühle nicht unter Kontrolle, können sie unsere Wahrnehmung und Erinnerung verzerren. Sie können uns in Schwierigkeiten bringen, wenn wir ihnen erlauben, dass sie die Herrschaft über unser Gehirn übernehmen. Gefühle müssen unterdrückt, gemäßigt und unter Kontrolle gebracht werden. Kurzum, im Gegensatz zu unserer Vernunft behandeln wir unsere Gefühle wie gefährliche Erfahrungen, die wir, wann immer dies möglich ist, besser zu vermeiden versuchen.

Die westliche Kultur mit ihrer Überbewertung von Verstand und Vernunft hat uns der Fähigkeit beraubt, unsere Gefühle auf kompetente Weise einzusetzen und unsere eigene emotionale Intelligenz zu entwickeln. Wir setzen voraus, dass wir im Zuge des Erwachsenwerdens emotionale Kompetenz erlernen, aber niemand bringt uns – von einigen grundlegenden sozialen Kenntnissen einmal abgesehen – emotionale Kompetenz bei. Einige von uns lernen, wie man sich emotional intelligent verhält, aber viele von uns lernen es nicht. Die bittere Wahrheit ist, emotionale Kompetenz ist eine Fertigkeit, die einem jemand vermitteln muss und die es zu erlernen gilt.

Der Preis emotionaler Inkompetenz lässt sich in Todes- und Krankheitsfällen beziffern. Führen Sie ein Leben in Ihrer Familie und am Arbeitsplatz, das aus Streit, Auseinandersetzungen und Konflikten besteht, bringen Sie sich selbst um. Dänische Forscher fanden heraus, dass Menschen, die ständig miteinander streiten, zehnmal häufiger an Krebs, Diabetes und Herzkrankheiten leiden und eine zwei- bis dreimal höhere vorzeitige Todeswahrscheinlichkeit aufweisen als andere, bei denen dies nicht der Fall ist. Die Forschungsergebnisse hielten auch dann noch stand, als man chronische Erkrankungen, Depression, Alter, Geschlecht, Familienstand, Hilfe durch soziales Umfeld sowie die gesellschaftliche und finanzielle Situation in die Untersuchung mit einbezog.

Für diese Studie sammelten Rikki Lund und ihre Kollegen von der Universität Kopenhagen Daten von fast 10 000 Männern und Frauen im Alter zwischen 36 und 52 Jahren, die an der dänischen Langzeitstudie über Arbeit, Arbeitslosigkeit und Gesundheit teilnahmen. Man befragte die Teilnehmer zu ihren täglichen sozialen Beziehungen, insbesondere darüber, wer – von ihren Partnern, Kindern, Verwandten, Freunden oder Nachbarn – übermäßige Anforderungen an sie stelle oder eine Quelle für Sorge oder Streit sei, und wie häufig diese Probleme auftauchten. Unter Rückgriff auf die dänische Datenbank für Todesursachen verfolgten die Forscher die Teilnehmer über einen Zeitraum von zwölf Jahren (von 2000 bis Ende 2011).

Sie fanden heraus, dass Stressbelastungen durch übermäßige Anforderungen, Konflikte und Streit einen direkten Zusammenhang aufwiesen zu einem 50 bis 100 Prozent erhöhten Todesrisiko aufgrund verschiedener Ursachen. Unter allen Stressfaktoren erwies sich Streit als der schädlichste. Häufiger Streit mit Partnern, Verwandten, Freunden oder Nachbarn ging mit einer Verdopplung bis Verdreifachung des Todesrisikos aufgrund verschiedener Ursachen einher, verglichen mit jenen Teilnehmern, die angegeben hatten, dass diese Dinge in ihrem Leben kaum eine Rolle spielten.5

In direktem Widerspruch zu Platon, dem Neoplatonismus, der frühen christlichen Kirche und Descartes wissen wir heute, dass die menschliche Gesundheit und Vitalität eindeutig von einer gesunden emotionalen Umgebung abhängt. Wie die dänische Studie gezeigt hat, führen chronischer Streit, Konflikte und Auseinandersetzungen zu einer direkten Verkürzung der Lebenserwartung. Außerdem beweisen jüngere Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften, dass Verstand und Vernunft direkt von unseren Emotionen abhängig sind. In Hans-Rüdiger Pfisters und Gisela Böhms Rahmenkonzept der Funktionen von Emotionen zum Beispiel spielen Emotionen bei rationalen Entscheidungsprozessen vier wichtige Schlüsselrollen:

»Sie liefern uns Informationen, zum Beispiel aufgrund von Freude oder Verdruss.

»Sie ermöglichen schnelle Entscheidungen – zum Beispiel können Hunger, Wut und Angst schnelle Entscheidungen herbeiführen.

»Sie helfen relevante Aspekte zu identifizieren – zum Beispiel können Reue oder Enttäuschung dem Entscheidungsfinder bei seiner Wahl helfen.

»Sie ermöglichen soziale Festlegungen – zum Beispiel helfen moralische Emotionen wie Schuld, Scham und Liebe dem Entscheidungsfinder zu Entscheidungen, die eher auf andere ausgerichtet sind als auf ihn selbst.6

Sie sehen: Ohne Emotionen können wir nicht logisch denken, ohne Emotionen können wir nicht menschlich sein!

Lassen Sie uns ein kleines Experiment versuchen. Schalten Sie irgendein elektronisches Gerät ein, auf dem Sie sich einen Werbespot anhören können. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Radio, ein Smartphone, ein Tablet oder einen Computer handelt. Sie können sich einen Videospot ansehen oder sich einen Audiospot anhören. Handelt es sich um einen Werbespot, versuchen Sie im Rahmen unseres Experiments nicht auf die Bilder zu achten. Hören Sie sich lediglich die Audio-Sequenz an.