Die Eroberung des Brotes - Pjotr A. Kropotkin - E-Book

Die Eroberung des Brotes E-Book

Pjotr A. Kropotkin

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Beschreibung

Pjotr Kropotkin war ein russischer Anarchist, Sozialist, Revolutionär, Historiker, Wissenschaftler, Philosoph und Aktivist, der den Anarcho-Kommunismus vertrat. Erwar ein Befürworter einer dezentralisierten kommunistischen Gesellschaft, die frei von einer Zentralregierung war und auf freiwilligen Zusammenschlüssen von selbstverwalteten Gemeinschaften und von Arbeitern geführten Unternehmen basierte. Er verfasste zahlreiche Bücher, Pamphlete und Artikel, von denen zu den bekanntesten "Die Eroberung des Brotes" gehört. In diesem Werk zeigt Kropotkin auf, was seiner Meinung nach die Mängel der Wirtschaftssysteme des Feudalismus und des Kapitalismus sind und warum er glaubt, dass sie Armut und Knappheit fördern. Er schlägt ein stärker dezentralisiertes Wirtschaftssystem vor, das auf gegenseitiger Hilfe und freiwilliger Zusammenarbeit beruht, und behauptet, dass die Tendenzen für diese Art der Organisation sowohl in der Evolution als auch in der menschlichen Gesellschaft bereits vorhanden sind. Das Buch ist zu einem Klassiker der politisch anarchistischen Literatur geworden und hatte großen Einfluss sowohl auf den Spanischen Bürgerkrieg als auch auf die Occupy-Bewegung.

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Die Eroberung des Brotes

 

PJOTR A. KROPOTKIN

 

 

 

 

 

 

 

Die Eroberung des Brotes, Pjotr A. Kropotkin

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849662790

 

Quelle: https://de.wikisource.org/wiki/Die_Eroberung_des_Brotes

 

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

VORREDE ZUM FRANZÖSISCHEN ORIGINAL.1

UNSERE REICHTÜMER.6

DER WOHLSTAND FÜR ALLE.16

DER ANARCHISTISCHE KOMMUNISMUS. 25

DIE EXPROPRIATION.35

DIE LEBENSMITTEL.47

DIE WOHNUNG.69

DIE BEKLEIDUNG.78

ZWECK UND LEISTUNGSFÄHIGKEIT DER PRODUKTION.81

DIE LUXUSBEDÜRFNISSE.88

DIE ANGENEHME ARBEIT.101

DIE FREIE VEREINBARUNG.109

EINWÜRFE.122

DAS KOLLEKTIVISTISCHE LOHNSYSTEM.139

KONSUMTION UND PRODUKTION.153

DIE ARBEITSTEILUNG.160

DIE DEZENTRALISATION DER INDUSTRIEN.. 163

DER ACKERBAU.172

 

 

VORREDE ZUM FRANZÖSISCHEN ORIGINAL.

 

Peter Kropotkin hat mich gebeten, seinen Ausführungen einige Worte voranzuschicken. Ich muß gestehen, daß ich mich nur mit einem gewissen Widerwillen seinem Wunsche füge. Da ich zu dem Strauß der Argumente, welche er in seinem Werke beibringt, nichts hinzufügen kann, so laufe ich Gefahr, die Macht seiner Worte abzuschwächen. Doch die Freundschaft wird mich entschuldigen. In einer Zeit, wo es das höchste Ideal der französischen „Republikaner“ ist, sich vor die Füße des Zaren zu werfen, tut es mir wohl, mich den freien Männern zu nähern, welche er mit Ruten peitschen, in die Verließe einer Zitadelle einschließen oder in einem abgelegenen Hofe hängen ließ. In der Gemeinschaft dieser Freunde vergesse ich für einen Augenblick meinen Abscheu vor jenen Renegaten, welche sich in ihrer Jugend mit dem Rufe: „Freiheit, Freiheit“ heiser schrieen und sich heute bemühen, die beiden Weisen „La Marseillaise“ und „Boje Tsara Khrani“ zu vermählen.

Das letzte Werk Kropotkins „Les Paroles d’un Révolté“widmete sich vornehmlich einer scharfen Kritik der ebenso grausamen wie korrumpierten bürgerlichen Gesellschaft und appellierte zum Kampfe gegen den Staat und das kapitalistische System an energische Revolutionäre. Das vorliegende Werk, eine Fortsetzung der „Paroles“, ist friedlicher Natur. Es wendet sich an alle wohlmeinenden Menschen, welche aufrichtig wünschen, an einer Umgestaltung der Gesellschaft mitzuwirken und entwirft ihnen in großen Zügen die Phasen der kommenden Geschichte, wo es uns erlaubt sein wird, auf den Ruinen der Banken und Staaten die menschliche Familie zu begründen.

Der Titel des Buches: „La Conquête du Pain“ muß in weiterem Sinne verstanden werden, denn „der Mensch lebt nicht von Brot allein“. Zu einer Zeit, wo die Edelsten und Wackersten ihr Ideal sozialer Gerechtigkeit zu lebender Wirklichkeit zu machen suchen, kann sich unser Ehrgeiz nicht auf die Eroberung des Brotes, selbst wenn es vom Wein und Salz begleitet ist, beschränken. Es gilt, alles zu erobern, was notwendig oder nützlich für den Komfort des Lebens ist, es gilt allen die volle Befriedigung ihrer materiellen wie ideellen Bedürfnisse zu sichern. Solange wir nicht jene erste „Eroberung“ gemacht haben, solange es „noch Arme unter uns gibt“, ist es nichts als bitterer Hohn, jenem Haufen menschlicher Wesen, welche sich hassen und sich gegenseitig gleich wilden in einer Arena eingeschlossenen Tieren zerfleischen, den Namen „Gesellschaft“ beizulegen.

In dem ersten Kapitel seines Werkes zählt der Verfasser die ungeheuren Reichtümer auf, welche die Menschheit schon besitzt, und führt uns den wunderbaren Werkzeugs- und Maschinenapparat vor Augen, den sie sich mittels kollektiver Arbeit erworben hat. Die heute schon erzielten Produkte genügten vollkommen, um Allen während des Jahres das Brot zu sichern, und wenn das enorme Kapital der Städte und Häuser, der bebaubaren Felder, der Werkstätten, der Transportmittel und Schulen anstatt Privateigentums Gemeineigentum würde, so wäre es ein Leichtes, den Wohlstand zu erobern: die Kräfte, welche zu unserer Verfügung stehen, würden dann nicht mehr für unnütze und widersinnige Arbeiten angewendet werden, sondern auf die Produktion dessen gerichtet werden, was der Mensch in Gestalt von Nahrung, Wohnung, Kleidung, Komfort, wissenschaftlichem Studium und Kunstpflege bedarf.

In jedem Fall: die Wiedereroberung des Besitztums der Menschheit, die Expropriation in einem Wort, kann einzig auf dem Wege des anarchistischen Kommunismus vollbracht werden; es gilt die Regierung zu zerstören, die Gesetzestafeln zu zertrümmern, ihre Moral an den Pranger zu stellen, ihre Diener zu ignorieren und sich an das Werk des Aufbaus zu machen, in dem man sicher seiner eigenen Initiative folgt und sich, entsprechend seinem Sich-Eignen, seinen Interessen, seinem Ideal und der Natur der unternommenen Arbeiten, zu Gruppen vereinigt. Diese Frage der Expropriation, die wichtigste des Buches, hat der Verfasser ausführlicher als alle anderen, mit großer Vorsicht, ohne Wortschwall und mit einer Ruhe und Klarheit der Vision behandelt, wie es eben das Studium einer kommenden, überdies unvermeidlichen Revolution erfordert. Erst nach dem Sturz des Staates werden sich die Gruppen der befreiten Arbeiter – nicht mehr im Frondienste von Ausbeutern und Parasiten stehend – den Reizen einer frei gewählten Arbeit widmen und mit Hülfe der Wissenschaft an die Kultur des Bodens und die industrielle Produktion schreiten und eine Abwechslung und Erholung im Studium oder Vergnügen suchen können. Die Seiten des Buches, welche von den landwirtschaftlichen Arbeiten handeln, bieten ein spezielles Interesse, denn sie berichten Fakta, welche die Praxis schon bestätigt hat und deren Verallgemeinerung auf großer Stufenleiter dem Nutzen aller, nicht allein der Bereicherung einiger weniger dienen könnte und keineswegs unüberwindliche Schwierigkeiten bietet.

Spaßmacher sprechen uns vom „fin de siècle“ und scherzen über die Laster und Verschrobenheiten der eleganten Jugend; doch es handelt sich heute um viel mehr als das Ende eines Jahrhunderts, wir stehen vor dem Ende einer geschichtlichen Epoche, vor dem Ende einer sozialen Aera; wir stehen vor dem Todeskampf der antiken Zivilisation. Das Recht der Gewalt und die Laune der Autorität, die harte jüdische Tradition und die grausame römische Jurisprudenz verlieren unsere Ehrfurcht, wir bekennen uns zu einem neuen Glauben, und mit dem Momente, wo dieser Glaube, der zugleich Wissenschaft ist, derjenige aller, welche die Wahrheit suchen, geworden ist, wird er auch in der Welt der Wirklichkeit Gestalt annehmen, – denn das erste aller historischen Gesetze ist, daß die Gesellschaft sich nach ihrem Ideal bildet. Ja, die Verteidiger der veralteten Weltordnung bemühen sich vergeblich, diese aufrecht zu erhalten! Sie haben den Glauben an ihre Sache verloren und, weder Führer noch Fahne habend, unternehmen sie einen Kampf ins Ungewisse. Gegen die Neuerer haben sie Gesetze, und Gewehre, knüppeltragende Polizisten und Artillerieparks, aber alles dies wiegt nicht einen Gedanken auf, und das ganze alte Regime der Willkür und des Zwanges wird man bald zu den prähistorischen Erscheinungen rechnen.

Sicherlich die bevorstehende Revolution, so wichtig sie auch in der Entwicklung der Menschheit sein möge, wird sich keineswegs von früheren Revolutionen darin unterscheiden, daß sie einen plötzlichen Sprung vollbringt – die Natur macht deren nicht. Aber es handelt sich auch um gar keinen Sprung, wir können heute schon Tausende Phänomene, Tausende einschneidende Veränderungen verzeichnen, welche das lang vorbereitete, ständige und starke Wachstum der anarchistischen Gesellschaft andeuten. Sie zeigt sich überall, wo der freie Gedanke sich vom Buchstaben des Dogmas frei macht, überall, wo das Genie des Forschers die alten Formeln ignoriert, wo der menschliche Wille sich in unabhängigen Handlungen dokumentiert, überall, wo aufrichtige Männer, Rebellen gegenüber jeder aufgezwungenen Disziplin, sich in freiem Entschlusse und nach ihrem Gefallen vereinigen, um sich gegenseitig zu unterrichten und um vereint und ohne Führer ihren Anteil am Leben und der vollständigen Befriedigung ihrer Bedürfnisse wiederzuerobern. Alles dies ist Anarchismus, selbst wenn er sich dessen nicht bewußt ist, und mehr und mehr gelangt er auch zum Bewußtsein. Und wie sollte er nicht triumphieren, da er sein Ideal und die Kühnheit des Wollens hat, während die Masse seiner Gegner – ohne Glauben – sich dem Geschicke überläßt mit dem Rufe „Fin de siècle!“

Die Revolution, welche sich ankündigt, wird also zur Tat werden, und unser Freund Kropotkin handelt in seinem Recht als Historiker, indem er sich für den Zweck, seine Ideen über die Wiedereroberung des Allen zukommenden Kollektiveigentums auseinanderzusetzen, auf den Tag der Revolution versetzt und an die Zaghaften appelliert, welche sich wohl Rechenschaft über die herrschenden Ungerechtigkeiten geben, aber nicht den Mut haben, sich in offene Revolte zu einer Gesellschaft zu setzen, von der sie mit tausend Banden des Interesses und der Tradition abhängen. Sie wissen, daß das Gesetz ungerecht und lügnerisch ist, daß die Beamten die Schleppenträger der Starken und die Unterdrücker der Schwachen sind, daß ein geordnetes Leben und die Ehrlichkeit, welche von ihrer Hände Arbeit leben will, keineswegs immer mit der Sicherheit des täglichen Brotes gelohnt wird, und daß die zynische Schamlosigkeit des Börsenmannes, die rücksichtslose Grausamkeit des Wucherers für die „Eroberung des Brotes“ und des Wohlstands bessere Waffen sind als alle Tugenden. Doch anstatt ihr Denken und Wünschen, ihre Vorsätze, ihr Handeln mit den klaren Weisungen der Gerechtigkeit in Einklang zu bringen, flüchtet sich die Mehrzahl in eine Seitengasse, um so den Gefahren einer offenen Haltung zu entgehen. Zu jener Klasse gehören die Neu-Religiösen. Diese können sich wohl nicht mehr zu einem „absurden Glauben“ bekennen, aber sie geben sich dafür irgend einem Mysterienkultus hin, welcher vielleicht ein wenig origineller erscheint, keine präzisen Dogmen kennt und sich in einem Nebel konfuser Empfindungen verliert: sie nennen sich Spiritisten, Anbeter des „rose-croix“, Buddhisten oder Thaumaturgen. Angeblich Schüler von Cakyamouni, doch ohne sich die Mühe zu geben, die Doktrin ihres Meisters zu studieren, suchen jene melancholischen Herren und duftigen Damen ihren Seelenfrieden in dem Aufgehen im Nirwana.

Aber da sie unaufhörlich vom Ideal sprechen, so mögen diese „schönen Seelen“ darin ihre Stärkung finden. Materielle Wesen, wie wir es einmal sind, haben wir, wir müssen es zugestehen, die Schwäche an die Nahrung zu denken, denn sie hat uns oft gefehlt; doch jenseits des Brotes, jenseits des Wohlstandes und allen kollektiven Reichtums, welchen uns eine Bewirtschaftung unserer Felder beschaffen könnte, sehen wir in der Ferne eine neue Welt vor uns erstehen. In ihr werden wir uns aus vollem Herzen lieben und jener edlen Leidenschaft nach dem ideal genügen können, welche die Verächter des materiellen Lebens, jene ätherischen Anbeter des Schönen, des unlöschlichen Durst ihrer Seele nennen! Wenn es weder Reich noch Arm mehr gibt, wenn der Hungerleider nicht mehr neidischen Blickes den Gesättigten zu betrachten hat, wenn die natürliche Freundschaft unter den Menschen wiedererstanden ist, wenn die Religion der Solidarität, bis zum heutigen Tage unterdrückt, die Stelle jener vagen Religion eingenommen hat, welche flüchtige Bilder auf die eilenden Wolken des Himmels zeichnet, dann werden auch für uns die Zeiten ideeller Genüsse gekommen sein.

Die Revolution wird mehr als ihre Versprechungen halten. Sie wird die Quellen des Lebens erneuern, indem sie uns von dem ansteckenden Kontakt aller Polizei befreit und uns endlich jener niedrigen Beschäftigung mit dem Gelde, die unsere Lebensexistenz vergiftet, enthebt. Dann wird ein Jeder frei seinem Wege folgen können: der Arbeiter wird das ihm zusagende Werk vollbringen, der Forscher wird ohne Neben- und Hintergedanken studieren, der Künstler wird nicht mehr sein Schönheitsideal für seinen Broterwerb prostituieren, und als Freunde und in voller Harmonie werden wir alle das verwirklichen können, was der Seherblick des Poeten erschaut hat.

Dann ohne Zweifel wird man sich auch der Namen jener Männer und Frauen erinnern, welche durch ihre aufopfernde, mit Verbannung oder Gefängnis belohnte Propaganda die neue Gesellschaft vorbereitet haben. An sie denken wir, wenn wir „La Conquête du Pain“ herausgeben. Sie werden sich ein wenig gestärkt fühlen, indem sie dieses Zeugnis des Gemeingeistes durch das Gitter ihres Gefängnisses oder auf fremder Erde empfangen. Der Verfasser wird mir sicherlich zustimmen, wenn ich sein Buch allen jenen widme, welche für die Sache leiden, und besonders einem geliebten Freunde, dessen ganzes Leben ein Kampf für die Gerechtigkeit war. Ich mag hier nicht seinen Namen nennen, doch wenn er diese Worte eines Bruders liest, wird er am Schlagen seines Herzens wissen, daß er gemeint ist.

Elisée Reclus

 

UNSERE REICHTÜMER.

I.

Die Menschheit hat einen weiten Weg seit jenen verflossenen Zeitaltern zurückgelegt, in welchen der Mensch noch aus Kieselsteinen seine kümmerlichen Werkzeuge formte, wo er noch von den Zufälligkeiten der Jagd lebte und als gesamte Erbschaft seinen Kindern einen Schlupfwinkel unter Felsen, ein paar armselige Steinwerkzeuge hinterließ, und im übrigen sie der Natur preisgab, der gewaltigen, furchtbaren Natur, mit der sie den Kampf aufnehmen mußten, um ihre elende Existenz zu fristen.

Indeß, während dieser wirren Epoche, welche tausend und aber tausend Jahre gewährt hat, hat das Menschengeschlecht unerhörte Schätze gesammelt. Es hat den Boden urbar gemacht, die Sümpfe getrocknet, die Wälder ausgerodet, Straßen angelegt, gebaut, erfunden, beobachtet, gedacht; es hat einen komplizierten Werkzeugsapparat geschaffen, der Natur ihre Geheimnisse entrissen, den Dampf gebändigt; kurz, man hat es dahin gebracht, daß das Kind des zivilisierten Menschen heute bei seiner Geburt ein unermeßliches, von seinen Vorfahren aufgehäuftes Kapital vorfindet. Und dieses Kapital erlaubt heute jedem, falls er nur seine Arbeit mit der anderer kombiniert, Reichtümer zu gewinnen, welche die Träume der Orientalen in ihren Erzählungen von „Tausend und eine Nacht“ weit übertreffen.

*

Der Boden, soweit er kultiviert ist, und wenn man ihn nur zweckmäßig bestellt und für die Saat ausgewählte Körner verwendet, ist bereit, sich mit üppigen Ernten zu schmücken, reicheren Ernten, als es die Befriedigung aller menschlichen Bedürfnisse erforderte. Und die Mittel, deren sich die Landwirtschaft dazu bedient, sind bekannt.

Auf dem jungfräulichen Boden der Prairien Amerikas produzieren hundert Menschen mit Hilfe gewaltiger Maschinen in einigen Monaten soviel Getreide, als zur Erhaltung von 10 000 Menschen während eines ganzen Jahres notwendig ist. Da, wo der Mensch seinen Ertrag verdoppeln, verdreifachen, verhundertfachen will, fabriziert er sich den geeigneten Boden, wendet er jeder Pflanze die Sorge zu, deren sie bedarf, und er erzielt geradezu fabelhafte Ernten. Und während der Jäger sich ehemals hundert Quadratkilometer bemächtigen mußte, um die Nahrung für seine Familie zu finden, läßt der zivilisierteMensch heute mit unendlich geringerer Mühe und weit größerer Sicherheit auf einem Zehntausendstel dieses Raumes alles hervorsprießen, was die Erhaltung der Seinigen erheischt.

Das Klima ist kein Hindernis mehr. Wenn die Sonne nicht scheint, so ersetzt sie der Mensch durch künstliche Wärme, und es steht zu erwarten, daß er zur Beschleunigung des Wachstums auch das Licht bald künstlich herstellen wird. Mit Hilfe von Glasdächern und Wasserheizung erntet er auf einem gegebenen Raum das Zehnfache von dem, was man früher auf ihm erzielte.

*

Die in der Industrie vollbrachten Wunder sind noch viel erstaunlicher. Mit Hilfe jener mit Intelligenz begabten Wesen, – der modernen Maschinen (die Frucht dreier oder vier Generationen meist unbekannter Erfinder) fabrizieren heute hundert Menschen das, wovon 10 000 Menschen während zweier Jahre sich kleiden können. In den gut organisierten Kohlenbergwerken fördern in jedem Jahre hundert Menschen soviel Heizmaterial, als zur Erwärmung der Wohnungen von 10 000 Familien im kältesten Klima ausreicht. Man kann eine ganze Stadt voller wunderbarer Schönheit in wenigen Monaten entstehen sehen, ohne daß dabei auch nur die geringste Unterbrechung in den gewöhnlichen Arbeiten eingetreten ist.

Und wenn auch heute in der Industrie und im Ackerbau, wie in der Gesamtheit unserer sozialen Organisation die Arbeit unserer Vorfahren nur einer kleinen Minderzahl zugute kommt – so ist es doch nicht weniger sicher, daß sich heute schon die Menschheit eine Existenz in Reichtum und Luxus würde schaffen können, – unter einziger Hilfe jener Diener aus Eisen und Stahl, welche sie besitzt.

*

Ja, wir sind reich, unendlich viel reicher, als wir gemeiniglich denken: reich durch das, was wir schon besitzen, reicher noch durch das, was wir mit Hilfe des gegenwärtigen Werkzeugmechanismus produzieren können und unermeßlich viel reicher durch das, was wir aus unserem Boden, aus unseren Manufakturen, mit Hilfe der Wissenschaft und unserem technischen Wissen werden erzielen können, wenn diese erst dazu dienen würden, um allen den Wohlstand zu schaffen.

II.

Wir sind reich in unseren zivilisierten Gesellschaften.

Woher also das Elend, das um uns herum herrscht? Warum da die harte, die Massen abstumpfende Arbeit? Warum diese Unsicherheit, wie es einem morgen ergehen wird, die selbst den bestbezahlten Arbeiter nicht verschont? Warum alles dies inmitten der von der Vergangenheit ererbten Reichtümer und trotz der gewaltigen Produktionsmittel, welche bei einer täglichen Arbeit von nur wenigen Stunden allen den Wohlstand schaffen könnten?

Die Sozialisten haben es ausgesprochen und es bis zum Ueberdruß wiederholt; sie wiederholen es jeden Tag und belegen es durch Beweise, die den gesamten Wissenschaften entlehnt sind: Weil alles, was zur Produktion nötig ist, der Boden, die Bergwerke, die Maschinen, die Verkehrswege, die Nahrungsmittel, die Wohnungen, die Erziehung, das Wissen, weil alles dieses der ausschließliche Besitz einiger Weniger geworden ist – im Verlauf einer langen Geschichtsperiode voller Raub, Auswanderungen, Kriege, Unwissenheit und Unterdrückung, welche die Menschheit durchlebte, ehe sie die Naturkräfte zu bändigen gelernt hatte.

Weil diese Wenigen sogenannte Rechte, welche sie in der Vergangenheit erworben haben wollen, vorschützen und auf Grund dessen sich heute zwei Drittel des Ertrages der menschlichen Arbeit, mit der sie die unsinnigste und empörendste Verschwendung treiben, aneignen; weil sie die Massen dahin gebracht haben, daß diese nie mehr für einen Monat, kaum einmal für acht Tage genug zu leben haben, weil sie infolgedessen die Macht haben (welche sie auch ausnutzen), Niemanden arbeiten zu lassen, der ihnen nicht stillschweigend den Löwenanteil am Gewinn überläßt; weil sie die Produktion dessen erzwingen, was dem Ausbeuter den größten Gewinn verheißt.

Das ist das Wesen des Kapitalismus!

*

Wie sieht ein zivilisiertes Land heute aus? Die Wälder, welche es ehemals bedeckten, sind gelichtet, die Sümpfe sind getrocknet, das Klima ist ein gesundes, kurz, das Land ist bewohnbar geworden. Der Boden, welcher ehemals nur Gras und Kräuter trug, liefert heute reichliche Getreide-Ernten. Die Felsen, welche seiner Zeit die Täler des Südens überhingen, sind in Terrassen umgewandelt, an denen der Weinstock mit seiner goldigen Frucht emporklettert. Die wilden Kräuter und Sträucher, welche früher nur herbe Früchte und ungenießbare Wurzeln lieferten, sind auf dem Wege schrittweiser Veredlung in nahrhafte Gemüse, in Bäume, die ausgesuchte Früchte tragen, verwandelt worden.

Tausende von Straßen, mit Steinen und Eisen gepflastert, durchschneiden das Land, durchbohren die Berge; die Lokomotive pfeift in den wilden Schluchten der Alpen, des Kaukasus, des Himalaya. Die Flüsse sind schiffbar gemacht worden. Die Küsten, ausgelotet und sorglich vermessen, gestatten ein leichtes Landen; künstliche Häfen, unter unsäglichen Mühen ausgegraben und gegen das Wüten des Ozeans geschützt, gewähren Schiffern sichere Zuflucht. Tiefe Schachte durchstechen die Felsen; ganze Labyrinthe unterirdischer Gänge breiten sich überall dort aus, wo es Kohle zu fördern oder Erze zu graben gibt. An allen Punkten, wo Straßen sich kreuzen, sind Städte emporgewachsen, zu Großstädten geworden, und in ihren Mauern finden sich alle Schätze der Industrie, der Kunst und der Wissenschaft.

*

Ganze Generationen, geboren und gestorben im Elend, unterdrückt, entkräftet durch Ueberarbeit und mißhandelt von ihren Herren, haben diese ungeheuere Erbschaft dem neunzehnten Jahrhundert vermacht.

Während Tausenden von Jahren haben Millionen von Menschen daran gearbeitet, die Wälder zu lichten, die Sümpfe auszutrocknen, die Straßen zu bahnen, die Flüsse einzudeichen. Jeder Hektar Erde, welchen wir in Europa bebauen, ist gedüngt mit dem Schweiße mehrerer Rassen; jede Straße hat eine ganze Geschichte von Frondiensten, von übermenschlicher Arbeit, von Leiden des Volkes. Jede Meile Eisenbahn, jeder Meter eines Tunnels haben Menschenblut erfordert.

Die Gänge der Bergwerke tragen noch ganz frische Spuren von den Hieben, die der Bergmann gegen den Felsen geführt hat, und schon könnte jeder Pfeiler der unterirdischen Galerien gekennzeichnet sein durch das Grab eines Bergmanns, der in der Blüte der Jahre vom schlagenden Wetter, durch einen Einsturz oder eine Ueberschwemmung hinweggerafft wurde; und man weiß, was für Tränen, Entbehrungen und namenloses Elend jedes dieser Gräber der Familie gekostet hat, welche von dem mageren Lohn des im Schutte verscharrten Mannes gelebt hat.

*

Die Städte, untereinander durch Eisenbahngürtel und Schiffahrtslinien verbunden, sind Organismen von einem Jahrhunderte langen Leben. Durchgrabet ihren Untergrund, und ihr werdet die Schichten finden, welche davon Zeugnis ablegen, welche aber jetzt durch Straßen, Häuser, Theater, Spielplätze und öffentliche Bauten verdeckt sind. Vertieft Euch in die Geschichte, und Ihr werdet sehen, wie die Zivilisation der Städte, ihre Industrie, ihr Geist ganz allmählig herangewachsen und herangereift sind durch die vereinigten Bemühungen aller ihrer Bewohner; so allein konnten sie das werden, was sie heute sind.

Und weiter – der Wert eines jeden Hauses, einer jeden Fabrik, eines jeden Bergwerkes, eines jeden Magazins ist wieder nur das Resultat der aufgehäuften Arbeit von Millionen begrabener Arbeiter, und sie bewahren ihn einzig nur durch die Anstrengungen ganzer Legionen von Menschen, welche über den ganzen Erdball hin wohnen. Jedes Atömchen dessen, was wir Nationalreichtum nennen, erwirbt seinen Wert erst durch die Tatsache, daß es ein Teil dieses unermeßlichen Ganzen ist. Was würde ein Dock in London, ein großes Magazin in Paris sein, wenn es nicht in diesen großen Zentren des internationalen Handels gelegen wäre? Was wären unsere Bergwerke, unsere Fabriken, unsere Bauplätze, unsere Eisenbahnen ohne die Masse der täglich zu Wasser und zu Lande transportierten Waren?

Millionen menschlicher Wesen haben daran gearbeitet, diese Zivilisation, deren wir uns heute rühmen, zu schaffen. Andere Millionen, verstreut über alle Teile des Erdballs, arbeiten daran, sie zu erhalten. Ohne sie würden nach Verlauf von 50 Jahren nur noch Schutthaufen von vergangener Herrlichkeit zeugen.

Es gibt nichts, und sei es ein Gedanke oder eine Erfindung, was nicht Kollektivarbeit wäre, was nicht in der Vergangenheit und der Gegenwart zugleich seinen Ursprung hätte. Tausende von Erfindern, bekannt oder unbekannt, gestorben im Elend, haben die Erfindungen dieser Maschinen, in denen der Mensch von heute sein Genie bewundert, vorbereitet. Tausende von Schriftstellern, Dichtern und Gelehrten haben an dem Aufbau unseres Wissens, an der Beseitigung der Irrtümer, an der Schaffung jener wissenschaftlichen Atmosphäre, ohne welche keines der Wunder unseres Jahrhunderts hätte in Erscheinung treten können, gearbeitet. Aber diese Tausende von Philosophen, Gelehrten, Erfinder sind selbst wieder nur durch die Arbeit vergangener Jahrhunderte angeregt worden. Sind sie nicht während ihres Lebens ernährt und erhalten worden (in körperlicher wie geistiger Beziehung) durch Legionen von Arbeitern und Handwerkern aller Art? Haben sie nicht ihre treibende Kraft aus ihrer ganzen Umgebung geschöpft?

Das Genie einesSéguin, eines Mayer und eines Grove haben sicherlich mehr dazu getan, die Industrie auf neue Bahnen zu lenken, als alle Kapitalisten der Welt. Aber diese Genies sind selbst wieder nur die Kinder der Industrie, nicht weniger als die der Wissenschaft. Denn es war notwendig, daß Tausende von Dampfmaschinen von Jahr zu Jahr unter Aller Augen die Wärme in dynamische Kraft und diese wieder in Schall und Licht und in Elektrizität umsetzten, bevor diese genialen Geister den mechanischen Ursprung und die Einheit der physischen Kräfte proklamieren konnten. Und wenn wir, die Kinder des 20. Jahrhunderts, endlich diese Idee begriffen haben, wenn wir verstanden haben, sie praktisch zu verwenden, so rührt dies wieder nur daher, weil wir durch die Masse der Erfahrungen aller früheren Tage fast darauf gestoßen wurden. Die Denker des verflossenen Jahrhunderts hatten sie gleichfalls erfaßt und ausgesprochen: aber sie war unbegriffen geblieben, weil das 18. Jahrhundert nicht wie wir mit der Dampfmaschine aufgewachsen war.

Man denke nur, wie lange Jahre noch in Unkenntnis jenes Gesetzes, welches uns erlaubte, die ganze moderne Industrie zu revolutionieren, verflossen wären, wenn nicht Watt in Soho Arbeiter gefunden hätte, die geschickt genug waren, seine theoretischen Anschläge in Metallkonstruktionen und in vollendeter Form aller Teile auszuführen, und so den Dampf, eingeschlossen in einem vollständigen Mechanismus, gelehriger wie das Pferd, fügsamer wie das Wasser, zur Seele der modernen Industrie gemacht hätten.

Jede Maschine hat die gleiche Geschichte: eine lange Geschichte erfolglos durchwachter Nächte, von Enttäuschungen und Freuden, von partiellen Verbesserungen, ausfindig gemacht durch mehrere Generationen unbekannter Arbeiter, welche der primitiven Erfindung jene kleinen Unbedeutenheiten hinzufügen sollten, ohne welche die fruchtbare Idee unfruchtbar geblieben wäre. Ueberhaupt jede neue Erfindung ist eine Verbindung – ein Resultat von tausend vorangegangenen Erfindungen auf dem unermeßlichen Gebiete der Mechanik und Industrie.

*

Wissenschaft und Industrie, das Wissen und seine Anwendung, Erfindung und ihre Verwirklichung, die wieder zu neuen Erfindungen führt, Gehirnarbeit und Handarbeit – Gedanke und Muskelanstrengung – alles steht in inniger Verbindung. Jede Entdeckung, jeder Fortschritt, jede Vermehrung des Reichtums der Menschheit hat seinen Ursprung in der Gesamtheit von Hand- und Hirnarbeit der Vergangenheit und Gegenwart.

 Also mit welchem Recht darf sich irgend jemand auch nur des geringsten Teiles dieses unermeßlichen Ganzen bemächtigen und sagen: „Das gehört mir und nicht euch“?

III.

Aber in der Reihe der von der Menschheit durchlebten Zeitalter ist es dahin gekommen, daß alles, was dem Menschen zur Produktion notwendig ist, und was zur Vergrößerung seiner Produktionskraft dient, von einigen Wenigen an sich gerissen worden ist. Wir werden seiner Zeit vielleicht näher darauf eingehen und erzählen, wie dieses vor sich gegangen ist. Für den Augenblick genügt es uns, diese Tatsache zu konstatieren und die Konsequenzen aus ihr zu ziehen.

Heute, wo der Grund und Boden gerade durch die Bedürfnisse einer immer wachsenden Bevölkerung seinen Wert erhält, gehört er einer kleinen Minderzahl, welche das Volk verhindern kann – und es auch tut –, ihn überhaupt zu kultivieren, oder es doch verwehrt, ihn entsprechend den modernen Bedürfnissen zu bebauen. Die Bergwerke, welche die Arbeit mehrerer Generationen repräsentieren und ihren Wert erst wohl durch die Bedürfnisse der Industrie und die Dichtigkeit der Bevölkerung erhalten, gehören wieder nur einigen wenigen Personen, und diese wenigen Personen beschränken die Ausbeute der Gruben oder verhindern sie völlig, wenn sie eine günstige Anlage für ihre Kapitalien finden. Auch die Maschine ist das Eigentum Einzelner, und selbst, wenn eine solche unbestreitbar den Stempel der Vervollkommnungen seitens dreier Arbeitergenerationen an sich trägt, sie gehört nichtsdestoweniger einigen Kapitalisten; und wenn die Enkel desselben Erfinders, welcher vor hundert Jahren die erste Spitzenwebmaschine konstruiert hat, heute in einer Manufaktur von Basel oder Nottingham aufträten und ihr Recht geltend machten, so würde man ihnen antworten: „Macht, daß Ihr fortkommt, diese Maschine ist nicht Euer Eigentum“, und man würde sie füsilieren, wenn sie ernsthaft von ihr Besitz ergreifen wollten.

Die Eisenbahnen, welche ohne die dichte Bevölkerung Europas, ohne seine Industrie, ohne seinen Handel und Wandel nur altes Eisen sein würden, gehören einigen Aktionären, die vielleicht nicht einmal wissen, wo die Strecken liegen, welche ihnen Revenuen, weit größer, als die eines mittelalterlichen Königs, eintragen. Und wenn die Kinder Derer, die zu Tausenden bei Durchstichen und Tunnelbauten umkamen, sich eines Tages versammelten und, eine zerlumpte und ausgehungerte Masse, von den Aktionären Brot fordern wollten, so würden sie Bajonetten und Kanonen begegnen, die sie auseinandertreiben und die „wohlerworbenen Rechte“, schützen würden.

*

In Folge dieser ungeheuerlichen Organisation der Gesellschaft findet der Sohn des Arbeiters, wenn er in das Leben tritt, weder ein Feld, das er bebauen, noch eine Maschine, die er bedienen, noch ein Bergwerk, in dem er graben könnte – wenn er nicht einen großen Teil seines Arbeitsproduktes an den Herrn dieser Produktionsmittel abführt. Er muß seine Arbeitskraft für einen kärglichen Bissen Brot, der ihm jeden Augenblick auch noch ganz verloren gehen kann, verkaufen. Sein Vater und sein Großvater haben sich gemüht, dieses Feld trocken zu legen, jenes Hüttenwerk zu erbauen, jene Maschinen zu vervollkommnen; sie hatten gearbeitet nach voller Maßgabe ihrer Kräfte – und wer kann mehr als dies tun? –, und er, er kommt ärmer als der letzte der Wilden auf die Welt. Wenn er die Erlaubnis erhält, ein Feld zu bebauen, so geschieht dies nur unter der Bedingung, daß er ein Viertel der Regierung abtreten muß. Und diese Steuer, welche von ihm im Voraus vom Staate, vom Kapitalisten, vom Gutsherrn, vom Vermittler erhoben wird, vergrößert sich täglich und läßt ihm in den seltensten Fällen die Möglichkeit, eine Verbesserung des Bodens vorzunehmen. Ist er in der Industrie tätig, so erlaubt man ihm gleichfalls nur zu arbeiten – und dies übrigens nicht einmal immer – unter der Bedingung, daß er sich mit der Hälfte oder gar einem Drittel des von ihm Erzeugten begnügt; der Rest fällt dem zu, welchen das Gesetz als Eigentümer der Maschine anerkennt.

Wir zetern gegen den Feudal-Baron, welcher dem Bauer nicht gestattet, das Land zu berühren, wenn er ihm nicht ein Viertel seiner Ernte überließ. Wir nennen jene Zeit eine barbarische. Indeß nur die Form der Ausbeutung hat gewechselt, der Grad derselben ist der gleiche geblieben. Der Arbeiter nimmt heute unter dem Namen des freien Kontraktes Feudallasten auf sich; denn nirgends würde er bessere Bedingungen finden. Wo einmal alles das Eigentum eines Herren geworden, muß er sich fügen oder Hungers sterben.

*

Bei dieser Lage der Dinge ist es nur natürlich, daß unsere gesamte Produktion eine widersinnige Richtung angenommen hat. Die kapitalistische Unternehmung entspringt nicht den wirklichen Bedürfnissen der Gesellschaft: ihr einziges Ziel ist, die Einkünfte des Unternehmens zu steigern. Daher das fortwährende Fluktuieren in der Industrie, daher die chronischen Krisen, von denen eine jede die Arbeiter zu Hunderttausenden auf das Straßenpflaster wirft.

Da die Arbeiter mit ihrem geringen Lohn die Reichtümer, welche sie produziert haben, nicht kaufen können, so sucht die Industrie ihre Waren im Ausland unter den Ausbeutern anderer Nationen abzusetzen. Im Orient, in Afrika, ganz gleich wo, Aegypten, Tonkin oder Kongo, muß der Europäer unter diesen Umständen die Zahl seiner Hörigen vermehren. Aber überall findet er Konkurrenten, denn alle Nationen entwickeln sich im gleichen Sinne. Und damit sind die Kriege – der Krieg in Permanenz – gegeben; sie müssen ausbrechen, weil jeder der Herr der Märkte sein will. Kriege für die Besitzungen im Orient, Kriege für die Herrschaft der Meere, Kriege, um Einfuhrzölle aufzuzwingen und seinen Nachbarn Bedingungen vorzuschreiben; Kriege gegen Diejenigen, welche sich dagegen auflehnen. Der Donner der Kanonen verstummt nicht mehr in Europa, ganze Generationen sind hingeschlachtet worden, die europäischen Staaten verwenden ein Drittel ihres Budgets auf Rüstungen; – und man weiß, was die Steuern sind und was sie dem Armen kosten.

Die Erziehung bleibt das Privilegium einer verschwindenden Minorität. Denn kann man von Erziehung sprechen, wenn das Kind des Arbeiters gezwungen ist, mit 10 Jahren, oft schon früher, in der Industrie tätig zu sein, oder dem Vater bei schwerer landwirtschaftlicher Arbeit zu helfen? Darf man dem Arbeiter, der abends mit zerschlagenen Gliedern von einer langen, aufgezwungenen und stets abstumpfenden Arbeit heimkehrt, von Studien sprechen?! Die Gesellschaft spaltet sich in zwei feindliche Lager, und unter diesen Umständen ist die Freiheit ein bloßes Wort. Fordert der Radikale auch zuweilen eine größere Ausdehnung der politischen Freiheiten, so wird er sich indessen gewöhnlich bald bewußt, daß der Hauch der Freiheit leicht zu einer Erhebung des Proletariats führen kann; und dann macht er Kehrt, ändert seine Meinung und nimmt zu Ausnahmegesetzen und zur Regierung mittels des Säbels seine Zuflucht.

Ein großer Apparat von Gerichtshöfen, Richtern, Henkersknechten, Gendarmen und Kerkermeistern ist zur Stütze der Privilegien notwendig; und dieser Apparat wird selbst wieder der Ursprung für ein ganzes System von Angebereien, Täuschungen, Drohungen und Korruptionen.

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Außerdem wirkt dieses System der Entwicklung gesellschaftlicher Empfindungen entgegen. Ein Jeder sieht ein, daß ohne Redlichkeit, ohne Selbstachtung, ohne Mitgefühl, ohne gegenseitige Unterstützung die Gattung verkommen muß, ebenso wie die Tiergattungen, die nur vom Raube und der Knechtung leben, verkommen. Aber dies ist keine Warnung für die herrschenden Klassen, sie erfinden eine ganze, absolut falsche „Wissenschaft“, um das Gegenteil zu beweisen.

Man redet wohl allerlei Schönes über die Notwendigkeit, den Besitz mit denen zu teilen, welche nichts besitzen. Aber wer es sich einfallen lassen sollte, dieses Prinzip in Wirklichkeit umzusetzen, der wird sogleich belehrt, daß alle solche hohen Empfindungen wohl in die Dichtung gehören – aber keineswegs in das Leben. „Lügen“, denken wir, „das heißt sich erniedrigen, sich demütigen“ – gleichwohl wird aber das ganze zivilisierte Leben mehr und mehr zu einer immensen Lüge. Wir gewöhnen uns, gewöhnen unsere Kinder daran, mit einer doppelgesichtigen Moral, als Heuchler zu leben. Und widersetzt sich dem unser Gehirn, so gewöhnen wir es an den Sophismus. Heuchelei und Sophisterei werden die zweite Natur des zivilisierten Menschen.

Aber eine Gesellschaft kann nicht so leben; sie muß zur Wahrheit zurückkehren oder verschwinden.

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So erstreckt die einfache Tatsache der Kapitalkonzentration ihre verhängnisvollen Konsequenzen über das gesamte soziale Leben. Unter der Gefahr des Untergangs sind die menschlichen Gesellschaften gezwungen, auf folgende Fundamentalprinzipien zurückzukommen: die Produktionsmittel müssen als Kollektivprodukt der Menschheit wieder in Kollektivbesitz der Menschheit gelangen; der individuelle Besitz ist weder gerecht noch nutzbringend; Alles soll Allen gehören, da Alle dessen bedürfen, da Alle nach Maßgabe ihrer Kräfte den Reichtum haben schaffen helfen, und da es faktisch unmöglich ist, den Anteil zu bestimmen, welcher in der gegenwärtigen Produktion einem Jeden zufallen könnte.

Alles soll Allen gehören! Sehet jenen ungeheuren Werkzeugmechanismus, welchen das 19. Jahrhundert geschaffen hat, jene Millionen Eisensklaven, Maschinen genannt, die hobeln, sägen, spinnen, weben, die die Rohstoffe zerlegen und neue bilden, und welche die Wunder unserer Zeitepoche ausmachen. Niemand hat das Recht, sich einer einzigen dieser Maschinen zu bemächtigen und zu sagen: „Dieselbe gehört mir; wenn Ihr Euch ihrer bedienen wollt, so müßt Ihr mir auf jedes Eurer Erzeugnisse einen Tribut bezahlen“; ebenso wenig wie der Lehnsherr des Mittelalters das Recht hatte, zum Bauer zu sagen: „Dieser Hügel, diese Wiese gehören mir, und Ihr müßt mir einen Tribut auf jede Garbe Getreide, die Ihr erntet, für jeden Schober Heu, den Ihr aufschichtet, entrichten.“

Alles soll Allen gehören! Vorausgesetzt, daß Mann und Weib die ihnen mögliche Arbeit liefern, haben sie ein Recht auf den ihren Bedürfnissen entsprechenden Teil des Gesamtprodukts. Dieser Anteil wird genügen, um ihnen den Wohlstand zu sichern.

Fort also mit jenen zweideutigen Forderungen, wie „das Recht auf Arbeit“ oder „Jedem der vollständige Ertrag seiner Arbeit“. Was wir proklamieren, das ist das Recht auf Wohlstand, den Wohlstand für Alle.

DER WOHLSTAND FÜR ALLE.

I.

Der Wohlstand für Alle ist nicht ein Traum. Er ist möglich, realisierbar nach alledem, was unsere Vorfahren getan haben, um unsere Arbeitskraft zu befruchten. Wir wissen, daß die eigentlichen Produzenten, welche kaum ein Drittel der Einwohner in den zivilisierten Ländern bilden, schon heute genügend produzieren, um dem Herde einer jeden Familie einen gewissen Wohlstand bescheren zu können. Wir wissen außerdem, daß, wenn alle Diejenigen, welche heute die Früchte fremder Arbeit vergeuden, gezwungen wären, ihre Mußezeit mit nützlichen Arbeiten auszufüllen, unser Reichtum in vielfachem Verhältnis zur Zahl der produzierenden Arme wachsen würde. Wir wissen endlich, daß im Gegensatz zur Theorie des Priesters der bürgerlichen Wissenschaft – Malthus – die Produktivkraft des Menschen viel schneller wächst, als seine Fortpflanzung von statten geht. Je mehr Menschen sich auf ein Territorium zusammendrängen, um so größer ist das Wachstum ihrer Produktivkräfte.

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Während die Bevölkerung Englands vom Jahre 1844 ab nur um 62 Prozent wuchs, hat sich seine Produktivkraft in der gleichen Zeit, schlecht gerechnet, verdoppelt – um 130 Prozent vermehrt. In Frankreich, wo sich die Bevölkerung weniger stark vermehrt hat, ist ihre Steigerung gleichwohl eine äußerst rapide gewesen. Trotz der Krise, welche auf der Landwirtschaft lastet, trotz der schwankenden Leitung des Staates, trotz der Blutsteuer, trotz der ungünstigen Lage des Bankwesens, der Finanzen und der Industrie hat sich während der letzten 80 Jahre die Weizenproduktion daselbst vervierfacht und die industrielle Produktion verzehnfacht. In den Vereinigten Staaten ist das Wachstum ein noch erstaunlicheres gewesen: trotz der Einwanderung oder vielmehr gerade wegen dieses auf Amerika sich abwälzenden „Ueberschusses“ an europäischen Arbeitern haben die Vereinigten Staaten ihre Produktion in kurzer Zeit verzehnfachen können.

Aber diese Zahlen geben uns nur eine schwache Vorstellung von dem, was unsere Produktion unter günstigeren Bedingungen leisten könnte. Wenn sich heute die Produktionsfähigkeit steigert, so wächst zu gleicher Zeit die Zahl der Müßiggänger und Schmarotzerexistenzen in erschreckendem Maße. Im Gegensatz zu dem, was früher die Sozialisten annahmen, nämlich, daß sich das Kapital bald innerhalb einer so geringen Anzahl Hände konzentriert haben würde, so daß man, um in den Besitz der gemeinsamen Reichtümer zu gelangen, nur einige Millionäre zu expropriieren hätte, wird gerade die Zahl derer, welche auf Kosten fremder Arbeit leben, immer beträchtlicher.

In Frankreich kommen auf 30 Einwohner kaum 10 direkte Produzenten. Der ganze jährlich erzeugte landwirtschaftliche Reichtum Englands ist das Werk von kaum 7 Millionen Menschen, und in den beiden großen Industrien – dem Bergwerkswesen und der Weberei – zählt man kaum 2½ Millionen Arbeiter. – Wie hoch beziffern sich dagegen die Ausbeuter der Arbeit? In England (ohne Schottland und Irland) fabrizieren 1 030 000 Arbeiter (Männer, Frauen und Kinder) die gesamten Webestoffe; etwas über eine und eine halbe Million beutet die Bergwerke aus, kaum eine und eine halbe Million arbeitet in der Landwirtschaft, und die Statistiker müssen noch die Zahlen übertreiben, um bei einer Einwohnerschaft von 26 Millionen Menschen zu einem Maximum von 8 Millionen Produzenten zu kommen. In Wirklichkeit sind höchstens 6–7 Millionen Arbeiter die Schöpfer der Reichtümer, welche aus England nach allen Windrichtungen der Welt verschickt werden. Und wie hoch beläuft sich dagegen die Zahl der Renteneinnehmer und der Schmarotzer, welche, abgesehen von allgemeinen Steuern, sich vom Konsumenten 5 oder 20 mal soviel für jede Ware zahlen lassen, als sie dem produzierenden Arbeiter gezahlt haben.

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Doch dies ist nicht alles. Diejenigen, welche sich im Besitze des Kapitals befinden, reduzieren ständig die Produktion dadurch, daß sie sie vielfach überhaupt verhindern. Sprechen wir nicht von jenen Tonnen Austern, die man ins Meer warf, um zu verhindern, daß die Auster ein Nahrungsmittel des Volkes würde und aufhörte, eine Delikatesse für die bemittelte Welt zu sein; sprechen wir nicht von jenen tausend und aber tausend Luxusobjekten – Stoffe, Nahrungsmitteln usw. usw. –, mit denen man in gleicher Weise verfuhr, wie mit den Austern. Rufen wir uns nur ins Gedächtnis zurück, in welcher Weise man die Produktion der für Jedermann notwendigen Gegenstände eingeschränkt. Ganze Armeen von Bergmännern verlangen nichts Sehnlicheres, als täglich Kohle zu fördern und an diejenigen zu versenden, welche vor Kälte vergehen. Aber sehr häufig sind ein Drittel oder gar zwei Drittel dieser Armeen verhindert, mehr als 3 Tage in der Woche zu arbeiten – es könnten ja sonst die hohen Kohlenpreise ins Sinken geraten. Tausende von Webern können nicht ihrem Berufe nachgehen, zu einer Zeit, wo ihre Frauen und ihre Kinder sich nur mit Lumpen bekleiden können und Dreiviertel der Europäer eine Kleidung tragen, die diesen Namen kaum rechtfertigt.

Hunderte von Hochöfen, Tausende von Manufakturen bleiben ständig untätig, andere arbeiten nur halbe Tage; es gibt Millionen Individuen, welche nach nichts weiter als Arbeit verlangen, die man ihnen jedoch verweigert.

 Millionen von Menschen würden glücklich sein, wenn sie die vielen noch unbebauten oder schlecht kultivierten Länderstrecken in Gefilde mit reichen Ernten umwandeln könnten. Ein Jahr zweckmäßiger, intelligenter Arbeit würde genügen, um den Ertrag des Bodens, welcher heute in Frankreich im Durchschnitt nur 8 Hktlt. Getreide pro Hektar liefert, zu verfünffachen. Aber diese bereitwilligen Pioniere müssen feiern, weil Diejenigen, welche den Grund und Boden, die Bergwerke, die Manufakturen besitzen, es vorziehen, ihre Kapitalien – die der Allgemeinheit gestohlenen Kapitalien – in türkische und ägyptische Anleihen zu stecken oder in Gewinnanteilen der Goldminen Patagoniens anzulegen, wo dann die ägyptischen Fellahs, die aus ihrem Geburtslande vertriebenen Italiener oder die chinesischen Kulis für sie arbeiten.

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Dies ist die bewußte und direkte Einschränkung der Produktion; aber außer dieser gibt es noch eine indirekte und unbewußte Einschränkung, welche darin besteht, die menschliche Arbeit auf die Produktion von absolut unnützen Gegenständen oder von Dingen zu verschwenden, die einzig zur Befriedigung der törichten Eitelkeit der Reichen dienen.

Man könnte es nicht einmal annähernd in Ziffern wiedergeben, bis zu welchem Maße die Produktivität in indirekter Form herabgesetzt wird – durch die Verschwendung der Kräfte, welche wahrhaft produktiv tätig sein könnten und namentlich den für die nützliche Produktion so notwendigen Werkzeugapparat schaffen sollten. Es genügt, der Milliarden zu erwähnen, die in Europa für Rüstungen verausgabt werden, ohne einen anderen Zweck als Märkte zu erobern, als den Nachbarn nachteilige Handelsverträge aufzuzwingen und die Ausbeutung des eigenen Landes zu erleichtern; die Millionen, welche jährlich jenen Menschen gezahlt werden, deren Mission es ist, das Recht der Minoritäten auf die Leitung des ökonomischen Lebens einer Nation zu erhalten; der Millionen, welche für Richter, Gefängnisse, Gendarmen und das ganze Rüstzeug, welches man Rechtswesen nennt, verschleudert werden, während – man weiß es sehr wohl – eine Linderung (und sei sie noch so unbedeutend) des Elends der Großstädte genügte, um die Verbrechensziffer in bedeutenden Proportionen zu vermindern; der Millionen endlich, die verbraucht werden, um durch das Mittel der Presse schädliche Ideen, falsche Neuheiten im Interesse dieser Partei, der und der politischen Persönlichkeiten oder jener Kompagnie von Ausbeutern zu verbreiten.

Aber auch das ist noch nicht alles. Denn es wird noch viel mehr total überflüssige Arbeit verausgabt: hier, um den Reitstall, den Hundepark, das Gesinde des Reichen zu erhalten, dort, um die Launen der Demimonde und den entarteten Luxus der hohen faulenzenden Damen zu befriedigen; ferner, um den Konsumenten zu zwingen, das zu kaufen, dessen er gar nicht bedarf oder um ihm durch Reklame einen Artikel von schlechter Qualität aufzuzwingen; endlich noch, um absolut schädliche Lebensmittel zu produzieren, die allerdings dem Unternehmer einen schönen Gewinn abwerfen. Was auf diesem Wege an Produktionskräften verschwendet wird, würde genügen, um die nützliche Produktion zu verdoppeln, oder um die Manufakturen und die Fabriken mit besseren Werkzeugmaschinen auszustatten, welche dann in kurzer Zeit die Magazine mit allem, was zur Notdurft des Menschen gehört, dessen indes heute zwei Drittel der Nation ermangeln, überschwemmen würden.

Daraus resultiert, daß selbst diejenigen, welche in jeder Nation produktiven Arbeiten obliegen, zu einem Viertel regelmäßig während dreier oder vier Monate im Jahre feiern müssen, und daß die Arbeit eines zweiten Viertels, wenn nicht der Hälfte, keinen andern Zweck hat als das Amüsement der Reichen oder die Ausbeutung des Volkes.

Wenn man also in Betracht zieht, mit welcher Schnelligkeit auf der einen Seite die zivilisierten Nationen ihre Produktivkraft steigern, welche Beschränkungen auf der andern Seite der Produktion, sei es direkt oder indirekt, durch die gegenwärtigen Verhältnisse auferlegt werden, so muß man zu dem Schlusse kommen, daß eine einigermaßen vernünftige Organisation den zivilisierten Nationen es möglich machen würde, innerhalb weniger Jahre so viele nützliche Produkte anzuhäufen, daß man sich sagen müßte: „Vollauf genug Kohle, genug Brot, genug Kleidung; ruhen wir einmal, sammeln wir uns, um unsere Kräfte besser zu verwenden, um unsere Muße besser zu verwerten!“

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Der Wohlstand für Alle ist kein Traum mehr. Er konnte schon damals herrschen, wo es dem Menschen nur unter unsäglichen Mühen gelang, 8 oder 10 Hektoliter Getreide vom Hektar zu ernten, oder wo er noch mit eigener Hand die Werkzeuge, deren er für die Industrie oder die Landwirtschaft bedurfte, verfertigen mußte. Er ist um so weniger ein Traum, seitdem der Mensch den Motor erfunden hat, welcher ihm vermittels eines wenig Eisens und einiger Kilo Kohle die Kraft eines gelehrigen und fügsamen Pferdes gibt, ihm die Möglichkeit gewährt, die komplizierteste Maschine in Bewegung zu setzen.

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Aber damit der Wohlstand zur Wirklichkeit werde, ist es notwendig, daß dieses ungeheure Kapital – Städte, Häuser, kultivierte Ländereien, Fabriken, Verkehrswege, Bildung usw. – nicht mehr als ein Privateigentum bewertet wird, worüber der Kapitalist nach Belieben verfügen kann.

Es ist notwendig, daß dieser unendlich reiche Werkzeugapparat, unter unsäglichen Mühen durch unsere Vorfahren erworben, erbaut, gefertigt und erfunden, Gemeindeeigentum werde, damit der Kollektivgeist zu Gunsten Aller den größtmöglichen Vorteil daraus ziehe.

Dies bedingt die Expropriation. Der Wohlstand für Alle ist das Ziel, die Expropriation das Mittel.

II.

Die Expropriation, das ist also das Problem, welches uns, den Menschen des Anfangs des 20. Jahrhunderts, die Geschichte gestellt hat: Rückkehr zum Gemeineigentum an allem, was der Menschheit dazu dienen könnte, sich den Wohlstand zu schaffen.

 Doch dieses Problem wird nicht auf dem Wege der Gesetzgebung gelöst werden können. Dies bildet sich auch niemand ein. Der Arme, wie der Reiche begreift, daß weder die gegenwärtigen Regierungen, noch diejenigen, welche aus einer politischen Revolution als Regierende hervorgehen könnten, im Stande sein würden, die Lösung zu finden. Man fühlt die Notwendigkeit der sozialen Revolution, und Reiche, wie Arme verheimlichen es sich nicht, daß diese Revolution nahe ist, daß sie jeden Tag ausbrechen kann.

Von wo wird die Revolution kommen? Wir wird sie sich ankündigen? Niemand kann diese Fragen beantworten. Dies liegt alles im Dunkel. Aber diejenigen, welche beobachten und denken, gehen nicht in dieser ihrer Empfindung fehl: Arbeiter und Ausbeuter, Revolutionäre und Reaktionäre, Geistes- und Handarbeiter, alle fühlen, daß sie vor den Toren ist.

Und was werden wir tun, wenn die Revolution ausgebrochen ist?

Wir haben im allgemeinen die dramatische Seite der Revolutionen studiert, aber ihr wahrhaft revolutionäres Werk liegt nicht in der Inszenierung, in dem Kampf der ersten Tage, im Barrikadenbau usw., denn dieser Kampf, dieses erste Scharmützel ist bald entschieden. Erst nach der Niederlage der alten Regierungen beginnt das eigentliche Werk der Revolution.

Unfähig und ohnmächtig, von allen Seiten angegriffen, werden die Regierungen schnell vom Hauche der Revolution weggefegt sein. Nach Verlauf weniger Tage gab es im Jahre 1848 keine bürgerliche Monarchie mehr, und als ein Fiaker Louis-Philipp über die Grenze führte, dachte Paris nicht mehr an den Ex-König. Am 18. März 1871 war Paris innerhalb weniger Stunden von der Regierung Thiers befreit und damit eigener Herr seiner Geschicke. Und trotzdem waren die Erhebungen von 1848 und 1871 nur politischer Natur. Vor der Volksrevolution werden die Regierenden mit überraschender Schnelligkeit verschwinden. Ihr erstes wird die Flucht sein, unter dem Vorbehalt allerdings, noch anderswo zu konspirieren und sich so die Rückkehr zu ermöglichen.