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»Ein isländischer Schriftsteller kann nicht leben, ohne beständig über die alten Bücher nachzudenken.« Halldór Laxness Der Stellenwert, den die Isländersagas im kulturellen Gedächtnis der Isländer einnehmen, ist enorm. Bis heute haben die fesselnden Geschichten rund um die Besiedelung der nordischen Insel nicht an Leuchtkraft verloren: Die Prosatexte aus dem 13. und 14. Jahrhundert sind eine Sternstunde der Geistesgeschichte Europas – und können hier in einer breiten Auswahl bewundert werden. Mit der vorliegenden Neuedition öffnet sich dem Leser ein Tor in eine Welt, die beseelt ist von wütenden Außenseitern, starken Frauen und Rechtskundigen, von Rache, Totschlag und Buße, aber auch von Schadenszauber und Wiedergängern und nicht zuletzt abenteuerlichen Reisen in ferne Länder. Die Isländersagas sind Weltliteratur. Die ›Isländersagas‹ - vorgelegt von den besten literarischen Übersetzern und angereichert mit wissenschaftlichen Zusatzinformationen - räumen einer der bedeutendsten Literaturen den Platz ein, der ihr gebührt. Mit einem Vorwort der Herausgeber Mit Faksimiles der mittelalterlichen Handschriften Mit Karten der Handlungsorte der Sagas Mit einem Glossar
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Seitenzahl: 138
Die Erzählung vom tumben Hreiðar und zwei weitere Erzählungen
Isländersagas
Herausgegeben von Klaus Böldl, Andreas Vollmer und Julia Zernack
Aus dem Altisländischen von Thomas Esser
Fischer e-books
Mit einer Einleitung von Thomas Esser
Mit einem Vorwort der Herausgeber
Mit einer Faksimile der mittelalterlichen Handschrift
Mit einem Glossar
Die Isländersagas (Íslendingasögur) sind umfangreiche Prosaerzählungen in altisländischer Sprache, entstanden im 13. und 14. Jahrhundert. Sie gelten als der wichtigste Beitrag Islands zur Weltliteratur und sind in viele Sprachen übersetzt worden, mehrfach auch ins Deutsche. Die vorliegende Ausgabe präsentiert eine breite Auswahl dieser Sagas in neuen deutschen Übertragungen, ergänzt durch eine Reihe thematisch und stilistisch verwandter Erzählungen (þættir) aus derselben Epoche. In ihrer novellenhaften Kürze und Pointiertheit legen sie zusammen mit den Isländersagas in eindrucksvoller Weise Zeugnis ab von der im Mittelalter einzigartigen Erzählkunst Islands.
Viele Übersetzer haben zum Entstehen der neuen Ausgabe beigetragen. Wenn die Übertragungen dadurch einen je individuellen Ton bekommen haben, dann ist dies durchaus beabsichtigt. Denn die Originaltexte haben bei allen Gemeinsamkeiten doch immer eine deutlich eigene Prägung, die auch in der Übersetzung noch durchscheint. Damit die Sagas als literarische Kunstwerke für sich wirken können, sollten sie von allen erläuternden Zusätzen möglichst frei bleiben. Für das Verständnis unverzichtbare Anmerkungen der Übersetzer sowie Karten zur geographischen Orientierung finden sich in einem Anhang. Den größeren kultur- und literaturgeschichtlichen Zusammenhang erschließt der Begleitband.
April 2011
Die Herausgeber
Hreiðars þáttr heimska
Aus dem Altisländischen und mit einer Einleitung von Thomas Esser
Die erste Seite der Erzählung vom tumbem Hreiðar in einer Handschrift vom Ende des 17. Jahrhunderts. Auch in anderen Handschriften erscheinen in den Binnenfeldern der Initialen zu dieser Zeit gelegentlich Gesichter.
Trotz seiner großen Kraft und Ausdauer hat der Isländer Hreiðar ein kindliches Gemüt. Kaum kann er sein Leben ohne den Beistand seines Bruders, eines Gefolgsmanns des norwegischen Königs, meistern. Diese Charakteristik Hreiðars macht sich die kleine humoristische Erzählung über ihn zunutze: Sie lässt den Isländer in Begleitung seines Bruders an den Königshof gelangen, wo er wegen seiner Art dem Spott und den Anfeindungen der Gefolgsleute ausgesetzt ist. Auch die Gemüter der beiden Könige, die zu jener Zeit über Norwegen herrschen, scheiden sich an seiner Person: Magnús der Gute ist Hreiðar wohlgesinnt und will ihn vor ihm selbst schützen. Dagegen trachtet Harald der Harte Hreiðar nach dem Leben, nachdem der Isländer einen seiner Gefolgsmänner getötet und den König selbst beleidigt hat. So bringt die Anwesenheit des dümmlichen isländischen Bauern die Gegensätze zwischen den Angehörigen des norwegischen Königshofs erst richtig hervor.
Die Erzählung von Þorvald Tasaldi schildert die missionarische Tätigkeit von König Ólaf Tryggvason. Þorvald kommt als Heide nach Norwegen und lässt sich auf Geheiß des Königs taufen. Ein missgünstiger Gefolgsmann verleumdet den Isländer beim König, und Þorvald wird auf eine gefährliche Mission geschickt: Er soll einen mächtigen Bauern dazu bringen, das Christentum anzunehmen. Von den vielen Männern, die der König schon zu dem Bauern geschickt hat, ist kein Einziger je zurückgekehrt …
Bei der Erzählung von Ögmund Dytt handelt es sich eigentlich um zwei Erzählungen, die durch ein gemeinsames Figureninventar zusammengehalten werden. Der Isländer Ögmund kommt nach Norwegen, wo er sich gleich den Unmut eines Gefolgsmannes von Jarl Hákon zuzieht. Der Gefolgsmann rächt sich für den durch Ögmund entstandenen Schaden, indem er Ögmund bewusstlos schlägt. Nach einigem Zögern entschließt sich Ögmund, den Fleck auf der Ehre seiner Familie abzuwaschen. Dafür leiht er sich den auffälligen Mantel Gunnars, den er zufällig getroffen hat. In diesem Mantel führt Ögmund die Rache aus, so dass Gunnar von allen für den Täter gehalten wird. Vor der Rache der Königsleute flieht Gunnar nach Schweden. Dort findet er Unterschlupf bei einer Freyspriesterin, die er bei heidnischen Opfern und Kultumzügen unterstützt. Schließlich halten die Schweden Gunnar selbst für Frey, und Gunnar interpretiert die Rolle auf seine Weise.
Ein Mann hieß Þórð, er war ein Sohn des Þorgrím, dessen Vater jener Hreiðar war, den Glúm erschlug. Þórð war ein kleiner und gutaussehender Mann. Er hatte einen Bruder namens Hreiðar, ein hässlicher Mann, der wegen seines geringen Verstandes kaum dazu in der Lage war, für sich selbst zu sorgen. Er war ein sehr flinker und kräftiger Mann mit einem umgänglichen Wesen und hielt sich immerzu daheim auf. Þórð fuhr zur See und war ein Gefolgsmann des Königs Magnús und stand in dessen Gunst.
Eines Tages, als Þórð sein Schiff im Eyjafjord zum Auslaufen klarmacht, kam sein Bruder Hreiðar dorthin. Als Þórð ihn erblickt, fragt er ihn, warum er hergekommen sei.
Hreiðar antwortet: »Wär ich nicht, wenn ich nicht ein wichtiges Anliegen hätte.«
»Was ist es?«, fragt Þórð.
»Ich will nach Norwegen segeln«, sagt Hreiðar.
Þórð sprach: »Ich fürchte, du eignest dich nicht als Seefahrer. Lieber will ich dir das Erbe unseres Vaters anvertrauen. Das ist ein doppelt so großes Vermögen, wie ich auf meinen Seefahrten erwerbe.«
»Da wäre ich schön blöd«, erwidert er, »wenn ich mich auf so eine ungleiche Teilung einließe. Da würde ich mich doch selbst aufgeben und auf deinen Beistand verzichten. Dann wird jeder Mann mir unser Geld aus dem Kreuz leiern, nur weil ich keine Ahnung habe, wie man es richtig einsetzt. Daran kann dir auch nicht gelegen sein, dass ich die Leute verprügele oder ihnen feindlich gesinnt bin, die auf mein Geld aus sind, und dann würde ich wegen meiner Taten verprügelt oder übel zugerichtet werden. Außerdem ist es sicher, dass du mich nur schwer davon abbringen kannst, wenn ich nun einmal fahren will.«
»Na schön«, entgegnet Þórð, »aber erzähle niemandem von deiner Reise.« Das versprach er.
Und sobald sie auseinandergegangen waren, erzählte Hreiðar jedem, der es hören wollte, dass er vorhabe, mit seinem Bruder zur See zu fahren. Alle machten Þórð Vorhaltungen, weil er einen solchen Trottel mit nach Norwegen nehmen wollte.
Als sie reisefertig sind, stechen sie in See und haben eine gute Überfahrt. Sie kommen nach Bergen, und Þórð erkundigt sich gleich nach dem König. Man erzählte ihm, dass König Magnús in der Stadt war und kurz zuvor angekommen sei, und an ebenjenem Tag wolle er nicht gestört werden, da er meinte, er müsse sich ausruhen, wo er doch gerade erst angekommen sei.
Die Leute bemerkten bald, dass Hreiðar sich von anderen Männern unterschied. Er war groß, hässlich und zeigte sich sehr geschwätzig gegenüber allen, die er kennenlernte.
Früh am Morgen, ehe die Männer erwachten, steht Hreiðar auf und ruft: »Aufwachen, Bruder! Wenig weiß der, der schläft. Ich habe Neuigkeiten: ich habe vorhin ein merkwürdiges Geräusch gehört.«
»Wonach klang es?«, fragt Þórð.
»Nach einem Lebewesen«, erzählt Hreiðar, »und es war laut, aber ich weiß nicht, was für ein Geräusch das war.«
»Tu nicht so verwundert«, erwidert Þórð, »das wird das Hornsignal gewesen sein.«
»Was hat das zu bedeuten?«, erkundigt sich Hreiðar.
Þórð antwortet: »Es wird Signal gegeben, wenn man sich versammeln oder ein Schiff an Land ziehen soll.«
»Wozu ist die Versammlung gut?«, fragt Hreiðar.
»Dort werden immer schwierige Rechtssachen entschieden«, erklärt Þórð, »oder Dinge kundgetan, von denen der König meint, die Allgemeinheit müsse sie erfahren.«
»Ist der König jetzt auch bei der Versammlung?«, fragt Hreiðar.
»Das glaube ich bestimmt«, antwortet Þórð. »Dann muss ich dorthin«, sagt Hreiðar, »weil ich am liebsten dorthin gehe, wo ich die meisten Leute auf einmal sehen kann.«
»Dann wollen wir verschiedene Dinge«, erwidert Þórð.
»Ich halte es für besser, wenn du nirgendwo hingehst, wo viele Menschen sind. Ich werde keinesfalls dorthin gehen.« »Es nützt nichts, so zu reden«, sagt Hreiðar, »wir müssen beide dorthin. Das hältst du doch auch für besser, als wenn ich allein gehe, und du kannst mich davon sowieso nicht abhalten.«
Hreiðar rennt fort. Und Þórð sieht da ein, dass er auch dorthin gehen muss, und setzt ihm nach, aber Hreiðar lief weit voraus, und es war ein großer Abstand zwischen ihnen. Als Hreiðar bemerkt, dass Þórð langsam ging, sagte er: »Es ist doch wahr, dass es schlecht ist, klein zu sein. Dann hat man fast keine Kraft. Man könnte zwar Schnelligkeit haben, aber mir scheint, davon hast du auch nicht viel abbekommen. Es wäre nicht schlecht für dich, wenn du weniger gut aussähest, aber dafür mit anderen Männern Schritt halten könntest.«
Þórð antwortete: »Ich weiß nicht, ob meine Schwäche schlimmer für mich ist als deine Stärke für dich.«
»Lass uns einander an die Hand nehmen, Bruder«, sagte Hreiðar. Sie nehmen sich an der Hand, und so gehen sie eine Weile weiter. Schließlich schläft Þórðs Hand ein, und er lässt los, weil ihm solche Albernheiten, wie sich an den Händen zu halten, zuwider waren. Hreiðar schreitet voran, bis er auf einer Anhöhe stehenbleibt und gebannt hinunterstarrt. Er sieht von dort die Menschenmenge, an der Stelle, wo die Versammlung stattfand.
Als Þórð bei ihm angelangt war, sprach er: »Wir gehen jetzt zusammen dorthin, Bruder.« Und Hreiðar blieb bei ihm.
Als sie auf das Thing kamen, erkannten viele Menschen Þórð und hießen ihn willkommen, und der König erfuhr davon. Sofort tritt Þórð vor den König und begrüßt ihn angemessen. Der König nimmt den Gruß freundlich auf. Die beiden Brüder verloren sich aus den Augen, sobald sie auf das Thing kamen. Hreiðar wird am Rockschoß gezogen und hin und her gestoßen. Er war redselig und lachte viel, und die Leute dachten, es sei unterhaltsam, ihn aufzuziehen. Schließlich wurde es doch etwas beschwerlich für ihn.
Der König erkundigt sich bei Þórð nach Neuigkeiten, und dann fragt er ihn, welche Männer, die mit ihm nach Norwegen gesegelt sind, zusammen mit ihm zum Gefolge gehören sollten.
»Mein Bruder ist mit mir hierhergekommen«, sagt Þórð.
»Er wird ein tüchtiger Mann sein«, spricht der König, »wenn er dir gleicht.«
Þórð erwidert: »Er gleicht mir ganz und gar nicht.«
Der König entgegnet: »Er kann dennoch ein guter Mann sein. Was unterscheidet euch denn am meisten?«
Þórð antwortete: »Er ist ein großer und hässlicher Mann und sieht etwas zweifelhaft aus, er hat viel Kraft und ein sanftes Gemüt.«
Der König sagte: »Dennoch kann er manch andere gute Eigenschaft haben.«
Þórð entgegnet: »Man hielt ihn schon in jungen Jahren nicht gerade für eine Leuchte.«
»Mir kommt es eher darauf an«, spricht der König, »wie er nun ist. Kann er sich um sich selbst kümmern?«
»Ganz und gar nicht«, erwidert Þórð.
Der König fragt: »Warum hast du ihn dann mit hierhergebracht?«
»Herr«, antwortet Þórð, »jeder von uns beiden besitzt eine Hälfte des Vatererbes, er hat aber keinen Nutzen von seinem Vermögen und weiß nicht mit seinem Besitz umzugehen. Er bat nur um eine einzige Sache: mit mir nach Norwegen segeln zu dürfen. Und mir erschien es ungerecht, ihm diese eine Bitte abzuschlagen, wo er mich über so vieles entscheiden lässt. Ich dachte, es wäre nicht unwahrscheinlich, dass etwas von Eurem Königsglück auf ihn abfärbe, wenn er Euch aufsucht.«
»Ich will ihn sehen«, sagt der König.
»Das werdet Ihr«, erwidert Þórð, »aber im Moment ist er fort und wird irgendwo herumgeschubst.«
Der König ließ nach ihm suchen. Als Hreiðar hörte, dass der König ihn treffen wolle, da stolziert er hocherhobenen Hauptes herum und schiebt alles beiseite, was ihm im Weg ist. Er war es nicht gewohnt, dass ein König nach ihm verlangte. Gekleidet war er so, dass er eine Hose trug, die bis zu den Knöcheln reichte, und einen grauen Pelzmantel über sich geworfen hatte. Und als er vor den König tritt, fällt er vor ihm auf die Knie und begrüßt ihn untertänig. Der König antwortete ihm lachend und sprach: »Wenn du mir ein Anliegen vortragen möchtest, dann sprich schnell frei heraus, was du willst. Noch andere müssen mich dringend sprechen.«
Hreiðar sagt: »Ich glaube aber ein sehr wichtiges Anliegen zu haben. Ich möchte dich anschauen, König.«
»Bist du nun zufrieden«, sagt der König, »da du mich siehst?«
»Ja, gewiss«, antwortet Hreiðar, »ich glaube aber, ich habe dich noch nicht genug angeschaut.«
»Was sollen wir denn tun?«, fragt der König. »Willst du, dass ich aufstehe?«
Hreiðar erwidert: »Das will ich.« Der König sprach, nachdem er aufgestanden war: »Nun wirst du mich doch genau sehen können, oder?«
»Noch immer nicht genau genug«, antwortet Hreiðar, »aber es ist nahe daran.«
»Willst du denn«, fragt der König, »dass ich meinen Umhang ausziehe?«
»Genau das will ich«, entgegnet Hreiðar. Der König sprach: »Vorher müssen wir uns ein wenig über diese Angelegenheit klarwerden. Ihr Isländer seid gewitzte Kerle, und ich weiß nicht, ob du mich nicht nur zum Gespött machen willst. Das möchte ich mir doch verbitten.«
Hreiðar erwidert: »Niemand würde es wagen, König, dich zu verspotten oder zu belügen.«
Da legt der König seinen Umhang ab und sagte: »Dann betrachte mich nun so gründlich, wie du willst.«
»Das werde ich«, antwortet Hreiðar.
Er geht rings um den König herum und murmelt mehrmals dasselbe in seinen Bart: »Sehr gut, sehr gut.«
Der König sprach: »Hast du mich nun so gesehen, wie du wolltest?«
»Gewiss«, sagt er.
Der König fragte: »Wie komme ich dir nun vor?«
Hreiðar erwidert: »Mein Bruder Þórð hat nicht übertrieben, als er gut über dich redete.«
Der König sprach: »Hast du denn irgendetwas an mir auszusetzen, das du nun erkennst, und das nicht jedem gleich auffällt?«
»Ich will keinen Mangel erkennen«, erklärt er, »und ich kann auch keinen erkennen. Ein jeder würde wählen, so wie du zu sein, wenn er selbst darüber bestimmen könnte.«
»Du übertreibst«, sagt der König.
Hreiðar erwidert: »Sonst würden es andere nicht riskieren«, sagt er, »dich zu Unrecht zu loben, wenn du nicht so wärst, wie ich dich sehe und es kürzlich erwähnte.«
Der König sprach: »Setz etwas aus an mir, auch wenn es gering ist.« »Dann am ehesten dies, Herr«, entgegnet er, »dass dein eines Auge ein bisschen höher ist als das andere.«
»Das hat bisher nur ein Mensch bemerkt«, entgegnet der König, »nämlich König Harald, mein Onkel. Nun bin ich an der Reihe, wenn es zwischen uns gerecht zugehen soll«, sagt der König. »Jetzt sollst du dich erheben und deinen Mantel ablegen, damit ich dich sehen kann.«
Hreiðar wirft den Mantel von sich und hat schmutzige Pranken. Er ist ein Mann mit großen und hässlichen Händen, da er sie nur selten wäscht. Der König schaut ihn aufmerksam an. Da sagt Hreiðar: »Herr, was hast du nun an mir auszusetzen?«
Der König antwortet: »Ich glaube, nie wuchs ein hässlicherer Mann als du heran.«
»Ja, das sagen die Leute«, sagt Hreiðar.
»Gibt es denn irgendetwas Schönes an mir, das dir aufgefallen ist?«, fragte er weiter.
Der König sprach: »Dein Bruder Þórð erzählte, du hättest ein sanftes Gemüt.«
»Das stimmt auch«, erwidert Hreiðar, »aber mir missfällt es, dass es so ist.«
»Du wirst doch zornig werden können?«, erkundigte sich der König.
»Danke für deine Rede, Herr«, sagt Hreiðar, »aber wie lange wird es bis dahin dauern?« »Das weiß ich nicht bestimmt«, antwortet der König, »aber es wird wohl noch in diesem Winter dazu kommen, vermute ich.«
Hreiðar sprach: »Danke für deine Worte.«
Der König fragte: »Bist du geschickt in irgendetwas?«
Hreiðar antwortet: »Das habe ich nie versucht, daher weiß ich es nicht.«
»Das halte ich bei dir nicht für unwahrscheinlich«, erwidert der König.
»Danke für deine Worte«, sprach Hreiðar, »es wird immer zutreffen, was du sagst. Aber ich glaube, ich brauche eine Unterkunft für den Winter.«
Der König entgegnet: »Mein Wohnsitz steht dir zur Verfügung. Aber mir scheint, für dich ist eher ein Platz geeignet, wo weniger Menschen sind.«
Hreiðar antwortet: »Das stimmt. Aber es gibt nirgendwo so wenige Leute, dass sich nicht herumspräche, was einer so redet, ganz besonders, wenn es etwas ist, das Gelächter hervorruft. Ich plappere oft unüberlegt daher und rede immer sehr viel. Es kann nun passieren, dass sie anderen Leuten erzählen, was ich gesagt habe, und mich verspotten und etwas Abscheuliches aus dem machen, was ich im Scherz getan oder gesagt habe. Daher erscheint es mir klug, mich bei jemandem aufzuhalten, der sich um mich kümmert, wie mein Bruder Þórð, auch wenn hier mehr Menschen sind als anderswo, wo zwar nur wenige Leute sind, aber auch niemand, der auf mich Acht gäbe.«
Der König sprach: »Wie du willst, dann tretet ihr beiden Brüder in mein Gefolge ein, wenn euch das besser gefällt.«
Hreiðar lief umgehend davon, nachdem er die Worte des Königs gehört hatte, und erzählte jedem, der es hören wollte, dass sein Besuch beim König ein großer Erfolg gewesen war. Er erzählt es vor allem seinem Bruder Þórð, dass ihm der König erlaubt habe, Gefolgsmann zu werden.