Die falsche Zofe - Angela Berger - E-Book

Die falsche Zofe E-Book

Angela Berger

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Beschreibung

Mila und Liam. Sie sind füreinander gemacht - denkt zumindest Mila! Liam sieht das etwas anders. Nicht nur, dass er seine Frau überaus chaotisch findet, er kann sich auch ganz und gar nicht dafür begeistern, endlich eine Familie zu gründen. Als Liam überraschend eine Kreuzfahrt gewinnt, tritt er die Reise nicht mit Mila, sondern mit Sydney, seiner Praktikantin - und Geliebten! - an. Doch Mila wäre nicht Mila, wenn sie nicht die Fäden in die Hand nehmen würde. Sie heuert heimlich als Zimmermädchen auf dem Kreuzfahrtschiff an. Kann doch nicht so schwer sein! Dummerweise läuft alles ein bisschen aus dem Ruder. Und dann verschwindet auch noch Lady Baskin spurlos ...

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Mila und Liam. Sie sind füreinander gemacht – denkt zumindest Mila! Liam sieht das etwas anders. Nicht nur, dass er seine Frau überaus chaotisch findet, er kann sich auch ganz und gar nicht dafür begeistern, endlich eine Familie zu gründen. Als Liam überraschend eine Kreuzfahrt gewinnt, tritt er die Reise nicht mit Mila, sondern mit Sydney, seiner Praktikantin – und Geliebten! – an. Doch Mila wäre nicht Mila, wenn sie nicht die Fäden in die Hand nehmen würde. Sie heuert heimlich als Zimmermädchen auf dem Kreuzfahrtschiff an. Kann doch nicht so schwer sein! Dummerweise läuft alles ein bisschen aus dem Ruder. Und dann verschwindet auch noch Lady Baskin spurlos …

Autorin

Angela Berger ist 1973 in der Nähe von Basel als Angela D’Angelo in eine norddeutsch-süditalienische Familie hineingeboren worden. Was an und für sich schon Stoff für ein Buch gewesen wäre. Als Kind und Jugendliche begnügte sie sich aber noch damit, ihre Erlebnisse in fantasievolle Aufsätze einfließen zu lassen. Erst später, als sie im Zürcher Unterland mit dem Schreiben eigener Bücher begann, wurde ihre Familie miteinbezogen. Nur ein bisschen allerdings, denn das Leben hält genug Alltagsepisoden bereit, die sich als Stoff in einem Buch wiederverwerten lassen. Und wenn mal gar nichts mehr geht, muss auch ihr Mann, mit dem sie seit 1999 glücklich verheiratet ist, als Inspirationsquelle herhalten. Heimlich natürlich. Das Glück sollte man nicht zu sehr herausfordern!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Teil 1: Die Kreuzfahrt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Teil 2: Die Bahamas

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Teil 3: Miami

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Epilog

Prolog

»Fisch oder Hühnchen?«

Die dicke Frau hinter dem Tresen sah mich gelangweilt an. »Fisch!«, sagte ich selbstbewusst und steckte mir eine Strähne meines langen, braunen Haares hinter die Ohren. »Und keine Pommes dazu. Nur Gemüse.« Nach einem Blick auf die ziemlich fettig aussehende Fertig-Gemüse-Mischung schnalzte ich entschieden mit den Fingern.

»Ähm, vielleicht nur Brokkoli.«

Die Angestellte verdrehte die Augen, griff nach einem Teller, klatschte Brokkoli neben einen kümmerlich aussehenden Fisch und überreichte mir das Ganze säuerlich lächelnd. Ich musterte sie verächtlich und überschlug in meinem Kopf ihren BMI.

Ob sie vielleicht jemand darauf hinweisen …

»Fisch mit Brokkoli, bitte!«, tönte es hinter mir.

»Gerne …« Ein Strahlen breitete sich auf dem Gesicht der Wuchtbrumme aus. Sie suchte einen Moment lang nach dem schönsten Fisch und platzierte liebevoll den Brokkoli daneben. Nachdem sie alles schön arrangiert hatte, nahm sie zwei Zitronenschnitze aus einem Gefäß und drapierte sie richtiggehend auf dem Fisch. Mit vor Eifer rotglühendem Gesicht hielt sie den Teller hoch. Wie bitte?! Empört drehte ich mich um und sah, wie ein dunkelhaariger junger Mann der Angestellten ungeniert zuzwinkerte.

»Hey, Schönling!«, fauchte ich aufgebracht.

Dann fiel mir nichts Passendes mehr ein und ich atmete wütend ein und aus. Der Typ grinste nur.

»Was denn …?«, sagte er gedehnt und seine dunklen Augen musterten mich von oben bis unten. Irgendetwas in diesem arroganten Blick kam mir bekannt vor. Dann, auf einmal, sah ich in seinen Augen ein plötzliches Erkennen.

»Mila? Bist du das?« Ungläubig sah er mich an.

»Ja?« Unsicher geworden blinzelte ich.

»Ich glaube es nicht!« Er schob mich vom Tresen weg, damit wir nicht den Weg blockierten. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie sich die Bedienung hinter dem Tresen wütend abwandte und dem Nächsten in der Schlange einfach etwas auf den Teller klatschte.

»Du weißt voll nicht mehr, wer ich bin«, stellte mein Gegenüber amüsiert fest. Dann zeigte er auf einen freien Tisch. »Setzt du dich zu mir?«

Irgendetwas in seinen dunklen Augen rief entfernte Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit wach, aber ich kam einfach nicht darauf, wann wir uns begegnet waren …

»Na los, setz dich!«, forderte mich der Typ jetzt auf. Er nahm mir mein Tablett ab und stellte es auf den Tisch. Zögernd setzte ich mich. Eigentlich hatte ich Gary gerade noch versprochen, nur schnell etwas in der Kantine zu holen und dann gleich wieder an die Arbeit zu gehen.

Wie so oft war die Buchhaltung am Rotieren.

»Halte ich dich auf? Bist du mit jemand verabredet?«

Der hübsche junge Mann lehnte sich lässig im Stuhl zurück und musterte mich versonnen.

»Nein, alles gut!«, sagte ich entschieden und wischte den Gedanken an Gary, meinen Vorgesetzten, beiseite. War es mein Problem, dass gerade heute zwei Kollegen wegen Krankheit fehlten? »Aber sorry«, entschuldigte ich mich achselzuckend, »ich habe wirklich keinen blassen Schimmer, wer du bist.«

Mein Gegenüber fing schallend an zu lachen.

Er zog ein Handy aus der Tasche und wählte dann eine Nummer. »Linda? Hör mal, bei mir wirds heute etwas später. Könntest du mir die Unterlagen für die Forman-Gruppe bereitlegen? Und ich brauche auch die Analyse der letzten Monate. Danke dir!«

Dann legte er auf.

»Liam«, sagte er gedehnt und streckte mir die Hand entgegen. »Liam Carter.«

Liam Carter?

Das war Liam Carter?!

Meine Kinnlade fiel herunter. Vor meinem geistigen Auge erschien der kleine picklige Klugscheißer, der mir auf dem Schulhof den letzten Nerv geraubt hatte. Unsere Mütter hatten es mit uns Streithähnen nicht leicht gehabt.

Wie lange wir uns wohl nicht mehr gesehen hatten?

»Lange ists her«, sagte Liam wie auf Kommando. Er betrachtete mich wohlwollend. »Und was genau ist aus der Kratzbürste von damals geworden?« Lachend fügte er an: »Und wo um alles in der Welt sind die Zöpfe und die hässliche Brille geblieben?« Er schob sich näher an mich heran und sah mir in die Augen.

»Braun. Hm, sehr hübsch.«

In meiner Tasche fing mein Handy an zu klingeln. Ich zog es heraus und schaute auf das Display.

Gary.

»Hey, fühl dich frei!« Liam deutete auf mein Handy.

»Kein Problem, easy.« Ich machte eine dementsprechende Geste und stellte mein Handy auf lautlos. Dann schob ich es zurück in meine Tasche. Unter den Schal.

„Also, Liam …«, begann ich. Und stockte.

Im Eingang zur Cafeteria erschien Carol, meine Kollegin aus der Buchhaltung. Sie sah sich suchend um. Und wirkte dabei ziemlich gestresst. Kein Wunder, nachdem vermutlich sie alle mit ihrer »nur leichten Sommergrippe, kein Grund zu Hause zu bleiben!« angesteckt hatte …

Ich nahm meinen Schal aus der Handtasche. Das Handy klingelte schon wieder. Oder immer noch. Ich ließ den Schal fallen und bückte mich dann umständlich danach.

„Mila, was machst du denn da?«, fragte Liam und bückte sich ebenfalls nach unten.

„Nichts, nichts, alles gut«, antwortete ich und wischte gleich ein paar Krümel vom Boden auf die Seite. Unglaublich, was sich so alles unter einem Tisch tummelte!

„Mila?« Liam, der sich immer noch zu mir hinunterbeugte, sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.

„Pscht«, meinte ich und bedeutete ihm, still zu sein.

Carol stakste an unserem Tisch vorbei. Ich erkannte sie an ihrem Schritt. Und an ihren dämlichen Manolo Blahniks. Ein klassischer Fall von Sex-and-the-City-Opfer … Meine Arbeitskollegin drehte eine Runde in der Cafeteria, dann hastete sie wieder in Richtung Ausgang. Na endlich! Schließlich gab es genug zu tun in unserer Abteilung.

»So«, sagte ich und setzte mich aufrecht hin. Meinen Schal stopfte ich zurück in die Handtasche. Auch Liam setzte sich wieder hin. Und sah mich fragend an.

Ich winkte ab, machte eine belanglose Geste und griff nach dem Salzstreuer. Gleichmäßig verteile ich etwas Salz auf Fisch und Brokkoli. Die viel zu kleine und echt billig aussehende Serviette faltete ich fein säuberlich auf meinem Schoß auf. Zur Sicherheit strich ich auch noch meine Haare glatt.

Dann strahlte ich Liam an.

»Also, was gibt es Neues, Liam Carter?«

Teil 1

Die Kreuzfahrt

1

Sieben Jahre später

Selbstvergessen summte ich vor mich hin. Nahezu jedes Lied auf diesem Sender gefiel mir. Seit ich mit Liam in unser hübsches Häuschen in San Francisco gezogen war, hörte ich fast nichts anderes mehr. Ed Sheeran sang gerade die letzten Töne seines Liedes. »I see fire, oh you know I saw a city burning …«, als der Moderator sich wieder einschaltete.

»Willkommen bei unserem Breakfast Special! Und an alle, die gerade frisch dazugekommen sind, willkommen bei Hot Radio 21! Ich hoffe, ihr habt neben eurem Telefon übernachtet. Denn heute ist kein normaler Donnerstag. Nein, es ist ein Super-Donnerstag! Leute, es gibt eine Kreuzfahrt zu gewinnen! Ich sage nur Karibik für zwei Personen, acht Tage lang …«

Wow, das war ja cool – eine Karibikreise!

Mein Herz schlug automatisch etwas schneller und mit einem Sprung war ich beim Telefon. Fast stolperte ich über das Tischchen. Wo war das Telefon?! Die Station war leer.

Mann, war das ärgerlich! Wer hatte denn …?

Plötzlich fiel es mir wieder ein. Gestern, nachdem ich das Telefonat mit Mom beendet hatte, hatte mich Liam noch ermahnt, das Telefon wieder zurückzustellen. »Mache ich doch immer!«, hatte ich leicht beleidigt erwidert. Ich hastete zu meinem Handy, das gerade in der Küche am Aufladen war, und drückte auf den Start-Button …

Nichts geschah. Das Handy war tot.

Das konnte doch nicht wahr sein!

Wütend knallte ich das Handy einige Male gegen den Küchentresen, doch nichts rührte sich. Aber ich hatte es doch soeben aufgeladen! Ich sah mir das Ladekabel genauer an. Stimmte doch alles. Es war richtig eingesteckt und an meinem Handyanschluss hatte ich auch … Oh!

Der Anschluss war zu klein.

Ich steckte es einige Male ins Handy und wieder raus, aber leider änderte sich nichts an der Tatsache, dass ich offenbar Liams Ladekabel für mein Handy verwendet hatte. Was musste der auch sein Handy immer in der Küche aufladen! Es gab so viele Orte in diesem Haus und er musste ausgerechnet in der Küche …

»Wie ich sehe, haben wir einen Anrufer in der Leitung.«

Entnervt setzte ich mich auf den Küchentresen. Liam mochte das zwar ganz und gar nicht, aber das war mir im Moment egal. Jetzt würde ich mir auch noch anhören müssen, wer an meiner Stelle die Reise gewonnen hatte.

Und das – genaugenommen – nur wegen Liam!

»Kleiner Scherz«, sagte der Moderator gerade lachend, »es ist ein Anrufer plus, na, sagen wir mal, ein paar zerquetschte mehr. So, wen picken wir denn hier heraus? Wen picken wir denn hier heraus … Mal sehen …«

Okay, das reichte. Ich würde das Radio jetzt ausschalten!

Das musste ich mir nicht antun.

»Hallo, wen habe ich denn da in der Leitung?«

Meine Hand hielt über dem Einschaltknopf inne.

»Hey«, tönte es gutgelaunt aus dem Radio, »bin ich echt auf Sendung? Ich glaubs ja nicht!«

Mein Herzschlag setzte kurz aus.

Das war unmöglich …

»Liam, mein Name ist Liam«, beantwortete mein Mann gerade die Frage des Moderators. Ich hüpfte vom Küchentresen und klatschte begeistert in die Hände. Liam hatte auch zugehört und zum Telefon gegriffen! Ich führte einen Freudentanz auf, dann besann ich mich, ruhig zu sein und zuzuhören, was die beiden besprachen.

»Also, Liam. Ich schätze, du bist heute der Glückspilz des Tages. Du musst mir nur eine Frage beantworten. Und die Reise gehört dir!«

»Nur zu«, sagte Liam selbstbewusst.

Gedankenverloren strich ich über Liams Handykabel. Mein Mann war einfach der Beste.

»Welche Seite wird in der Schiffssprache als Backbord bezeichnet?« Ich klatschte erneut in die Hände. Das war einfach! Das wusste jedes Kind! »Rechts, rechts«, schrie ich ins Radio. Was natürlich absolut keinen Sinn ergab. Liam konnte mich nicht hören.

»Also, das weiß ja jedes Kind …«, meinte Liam gedehnt. Hihi, wir passten einfach perfekt zusammen! Ich würde ihm später erzählen, dass ich dasselbe auch zu mir gesagt hatte.

»Rechts, rechts«, wiederholte ich mein Mantra.

»Links, Backbord ist links«, hörte ich Liam sagen.

»Super, Liam! Okay, die Frage war wirklich babyleicht!«

Naja …

»Toll, dann schätze ich, haben wir einen Gewinner. Herzlichen Glückwunsch zu einer achttägigen Karibikreise auf der beliebten Maid of the Caribbean!«

Auch der Moderator schien sich zu freuen.

Vergnügt drehte ich mich im Kreis. Wir hatten eine Karibikreise gewonnen!!! Außer mir vor Freude griff ich zu meinem Handy, um Liam anzurufen. Ich drückte auf den Einschaltknopf, aber das Display blieb dunkel.

Ach so, ja.

Okay, ich würde es zuerst aufladen und dann später Liam anrufen. Oder noch besser, ich würde ihn gar nicht anrufen und ihn dafür mit einem Candle-Light-Dinner überraschen. Ja, das würde ich tun! Ich legte das Handy beiseite und machte mir eine Einkaufsliste.

Gegen siebzehn Uhr war ich ziemlich fertig. Ich hatte im Reformhaus um die Ecke nur die besten Zutaten besorgt, um Liam das Hühnchen mit Reis zu machen, das er beim Thailänder immer bestellte. Jetzt schmorte ein ziemlich verbrannt aussehendes Etwas im Ofen, die Green-Curry-Sauce schien auch nicht ganz das zu sein, was sie sollte und die Pappe, die sich in der Pfanne festgeklebt hatte, war schon fast nicht mehr als Reis erkennbar. Liam behauptete immer, ich könne nicht kochen. Da lag er natürlich falsch. Heute war es allerdings ein ganz klein bisschen schief gelaufen. Ich schüttete die Pappe in den Ausguss und nahm mein Handy zur Hand, um beim Thailänder ein Hühnchen mit Green-Curry zu bestellen. Das Handy war vollkommen dunkel.

Genau.

Ich öffnete jede Schublade und schaute in jede Tasche, aber das Handykabel war nicht auffindbar. Nachdem ich den ganzen oberen Stock erfolglos abgesucht hatte, machte ich mich auf die Suche nach dem Festnetztelefon. Es war wie vom Erdboden verschwunden. Nachdem es fast halb sechs war – Liam würde in einer knappen Stunde nach Hause kommen – kapitulierte ich entnervt und verließ das Haus. Zwei Häuser weiter klingelte ich bei meiner Nachbarin Monica. Seit sie Mutter geworden war, war die übervorsichtige Frau fast immer in ihren eigenen vier Wänden anzutreffen.

Monica öffnete gleich nach dem Klingeln.

»Hey, Mila. Alles klar? Was brauchst du denn heute?«

Was ich heute brauchte? Das klang ja fast so, als würde ich nur bei ihr klingeln, wenn ich etwas von ihr haben wollte. Ich zog etwas beleidigt die Mundwinkel nach unten.

»Dürfte ich kurz dein Telefon benutzen?«

»Mein Telefon?« Monica sah mich verwirrt an. Dann sagte sie aber, ohne weitere Fragen zu stellen: »Okay, komm herein.« Sie deutete auf ein Wandtelefon in der Küche. »Muss ich für dich eine Nummer heraussuchen?«

»Nein, nein, schon gut, danke dir!« Etwas verschämt wählte ich die mir bestens bekannte Nummer. Möglicherweise hatte ich in letzter Zeit öfters beim Thailänder bestellt … Sanya nahm am anderen Ende der Leitung das Telefonat entgegen. »Oh, Mrs. Mila, Sawadee kha!«, sagte sie erfreut, als sie meine Stimme hörte. Ich bestellte das Green-Curry-Hühnchen für zwei und legte dankend auf.

Dann bedankte ich mich auch bei Monica, die diskret ins Wohnzimmer gegangen war, um mein Telefonat nicht zu belauschen. »Danke! Supernett von dir!«, rief ich und reckte meinen Daumen in die Höhe. »Und falls du mal was brauchst. Windeln, was auch immer. Einfach vorbeikommen!«

Monica sah mich komisch an. Ich winkte nochmal und lief dann schnellen Schrittes zurück zu unserem Haus. Jetzt musste ich mich aber etwas beeilen! Liam würde bald nach Hause kommen und ich hatte noch nicht einmal den Tisch gedeckt. Als ich zur Tür hereinkam, quoll mir dicker Rauch aus der Küche entgegen. Ich rannte in die Küche und öffnete das Fenster. Dann schaltete ich den Ofen aus und öffnete ihn mit einem Ruck. Wieso hatte ich vergessen, den Ofen auszuschalten? Ich war mir sicher, dass ich es vorgehabt hatte …

Naja, zu spät, um sich noch darüber Gedanken zu machen! Ich zog mir Topflappen über und nahm das verbrannte Hühnchen aus dem Ofen. Im Hinterhof entsorgte ich es in der Mülltonne. Die Glasform, in der ich das Hühnchen gebraten hatte, sah ziemlich übel aus. Eingebranntes Fett überall. Ich ließ auch die Form in die Tonne gleiten.

So, schnell zurück ins Haus! Die Küche sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Zum Glück hatten wir eine geschlossene Küche und so zog ich einfach die Türe hinter mir zu. Jetzt Tisch decken, Mila!

Ich öffnete die Schublade, in der wir für gewöhnlich die Servietten hatten und durchwühlte sie. Nichts. In der nächsten Schublade fand ich eine angefangene Kinderschokolade und mein Bikinioberteil, das ich schon lange gesucht hatte. Super! Nach zehn Minuten hatte ich meine italienische Armbanduhr, Liams Schwimmbrille (die er mir netterweise vor einem halben Jahr ausgeliehen hatte. Ich wusste doch, dass ich sie nicht verloren hatte!), einen sehr alten, total verschrumpelten Apfel, einen Hundeknochen und eine eingetrocknete Mascara gefunden.

Keine Servietten.

Rasch stellte ich die Teller auf den Tisch, inklusive den wunderschönen Platztellern, die wir von Tante Martha zur Hochzeit bekommen hatten. Dann rannte ich ins Bad hinauf und nahm zwei gerollte Waschlappen unter dem Waschbecken hervor. Mit denen sprintete ich wieder hinunter in den Essbereich. Wie war das noch mal gewesen mit dem Serviettenfalten? In unserem letzten Urlaub hatten wir einen Kurs besucht und uns köstlich amüsiert, da wir uns so doof angestellt hatten. Doof war hier wohl das Stichwort. Ich würde es auch heute nicht auf die Reihe kriegen. Ich rollte die Lappen wieder etwas ein und steckte sie ins Weinglas. Na, ging doch!

Dann sah ich mich im Wohnzimmer um.

Woher kam denn jetzt wieder dieses Chaos?

Ich hatte doch erst vor Kurzem aufgeräumt! Vielleicht war es doch nicht so eine gute Idee gewesen, Liam davon zu überzeugen, dass ich jetzt, wo ich gerade keinen Job hatte, selber putzen wollte. Allerdings, ich war jetzt eine Ehefrau und Hausfrau und schließlich konnten Ehefrauen und Hausfrauen kochen, putzen und backen! Backen … Ich überlegte, ob ich wohl noch Zeit hätte, etwas für Liam zu backen, verwarf es dann aber wieder.

Ich hatte schlicht keine Ahnung, was.

Auf dem Boden lagen einige Kleider herum, die ich gleich zusammensammelte. Seltsamerweise waren es nur meine Kleider. Aber ich war ja auch mehr zuhause als Liam! Kurz hielt ich den Stapel unentschlossen in der Hand, als mir ein Gedanke kam: Hatte ich einen Nachtisch? Ich ging in die Küche, mittlerweile hatte sich der Gestank etwas gelegt, und öffnete den Gefrierschrank. Sehr gut, wir hatten immer noch jede Menge Eis. Liam liebte Eis. Sogar sein Lieblingseis war vorhanden. Dann konnte ich mich also wieder ans Aufräumen machen.

Wo hatte ich denn jetzt die Kleider hingetan?

Ich hatte sie doch gerade noch in der Hand gehabt …

Naja, egal, ich schob ein paar Hefte unter das Sofa, vergewisserte mich, dass kein Krimskrams mehr auf den Kommoden und dem Sofatisch lag (Liam hasste das!) und wischte alle Krümel vom Sofa unter den Schrank. Dann fiel mir ein, dass Liam seit Neuestem seine Liegestütze im Wohnzimmer machte und mich seither schon ein- oder zweimal darauf hingewiesen hatte, dass es unter dem Schrank Schmutz hatte. Ich hastete also nochmal in die Küche, nahm den kleinen Wischer unter der Spüle raus und fegte allen Schmutz unter dem Schrank hervor …

Mein Handykabel!

Na bitte.

Und was war das? Igitt, das schien ein Stück Pizza zu sein. Nicht mehr ganz so frisch. Ich nahm zuerst mein Handykabel aus dem Dreckhaufen, pustete es kurz sauber und schaufelte dann alles auf den Wischer. Inklusive Pizzastück. Es stank schon ziemlich. Ich hielt den Wischer mitsamt Pizza soweit wie möglich von mir weg und lief damit in den Hinterhof. Dann ließ ich den Wischer gleich mit in den Abfalleimer fallen. Ich würde gleich morgen, oder ganz sicher, wenn ich das nächste Mal einkaufen fahren würde, einen neuen besorgen.

Pünktlich klingelte es an der Türe und das thailändische Essen wurde geliefert. Im Esszimmer verteilte ich alles in den bereitgestellten Schüsseln. Liam würde jeden Moment nach Hause kommen und ich wollte, dass alles perfekt war. Ich zündete die Kerzen an und wechselte den Radiosender. Smooth Jazz war jetzt passender!

In diesem Moment öffnete sich die Haustüre.

Mann, war ich gut! Ich hatte alles in der mir zur Verfügung stehenden Zeit hinbekommen. Liam trat in die Diele und ich schlenderte ihm gelassen entgegen.

»Hallo, mein Schatz«, sagte ich und legte ihm beide Arme um den Hals, »wie war dein Tag?«

Erwartungsvoll sah ich ihn an.

Und fühlte mich nur ein ganz kleines bisschen als Heuchlerin. Ich wollte ihm wirklich nicht den Moment wegnehmen. Er sollte es mir erzählen …

»Mila, wir müssen reden.« Liam sah mich ernst an.

Ich konnte gerade noch ein Kichern verhindern.

Er machte es aber auch spannend!

»Klar, Schatzi. Aber willst du nicht zuerst schauen, was ich für dich gekoch … was ich für dich bestellt habe?«

Ich zeigte auf das Esszimmer und schob meinen Mann hinein. Der Moment musste perfekt sein! Liam sollte mir alles bei seinem Lieblingsessen erzählen.

»Thailändisches Hühnchen?« Liam hob einen Deckel hoch und schnupperte daran. Als sein Blick auf die Gläser fiel, entgleiste sein Gesicht. »Sind das unsere Waschlappen?«

„Ach …«, meinte ich cool und zwinkerte ihm zu. Er wirkte auf einmal ganz nervös. Wie süß! Unentschlossen stand Liam herum, dann zog er mich auf einmal mit sich mit ins Wohnzimmer.

Und bedeutete mir, mich aufs Sofa zu setzen.

»Mila, ich«, begann er, stoppte dann aber und blinzelte irritiert. »Hast du etwa aufgeräumt?«

Stolz nickte ich.

»Und was riecht hier so verbrannt?«

Ich zuckte nur mit den Schultern und lächelte.

»Also, Mila …« Liam nahm tief Luft, seufzte und begann dann noch einmal. „Ich muss dir etwas Wichtiges sagen.«

Aus irgendeinem Grund hatte mein Mann Mühe, mir die Überraschung mitzuteilen. So kannte ich ihn gar nicht! Ich würde ihm etwas auf die Sprünge helfen …

»Das Leben ist eine Reise«, begann ich, »eine Fahrt. Sagen wir mal … auf einem großen Schiff!«

Ich machte eine ausladende Geste.

»Voller Abenteuer. Ein richtiges Wellental! Mit Aufs und Abs. Und manchmal, ja manchmal da läuft es ganz anders, als man es geplant hat«, ich holte tief Luft, »als man es sich je erträumt hätte.« Dann sah ich ihn verschwörerisch an und meinte abschließend: »Nicht wahr?«

Liam sah einfach ins Leere. Es dauerte einen Moment, dann sah er mir fest in die Augen. Zuerst schaute er mich ungläubig an. Aber als er merkte, dass ich ihn anlächelte, lächelte auch er. Wehmütig.

O nein, er war traurig, dass ich es bereits gewusst hatte!

»Du weißt es also?« Jetzt nahm Liam meine Hände in seine und hielt sie ganz fest. Ich drückte aufmunternd zu und hörte nicht auf, ihn anzulächeln.

»Ich weiß es, Schatzi. Aber mach dir nichts draus. Ich wollte, dass du es mir sagst.«

Liam sah mich unglaublich erleichtert an.

»Echt jetzt, Baby, du hast es gewusst und einfach darauf gewartet, dass ich etwas sage? Jetzt bin ich aber platt! Ich weiß gar nicht, was ich darauf erwidern soll.«

Ich führte seine Hände nacheinander an meinen Mund und hauchte einen Kuss darauf. »Na, dann sag nichts. Es spricht eh alles für sich.«

Liam nahm meinen Kopf in seine Hände und drückte mir einen festen Kuss auf den Mund. »Mila, du bist die Beste. Ich hoffe, ich werde meine Entscheidung nicht bereuen.«

Verdutzt sah ich ihn an. »Wieso solltest du das bereuen? Da gibt es nichts zu bereuen, Schatzi.«

Dann fiel mir etwas ein.

»Sag mal, hast du die nötigen Papiere schon?«

Über Liams Gesicht zog ein Schatten. Er seufzte.

»Bist du sicher, dass du dafür schon bereit bist?«

»Na, und ob!«, sagte ich tadelnd. „Lass mich mal sehen! Kein Versteckspiel mehr, Schatzi.«

Liam seufzte ein weiteres Mal (also, heute war er ja richtig theatralisch! Wobei, angesichts der Umstände …) und schlurfte zu seiner Aktentasche, die er am Eingang abgestellt hatte. Mit einem Griff zog er einen Umschlag heraus. Mit diesem kam er ins Wohnzimmer zurück und setzte sich wieder neben mich.

»Hier«, er überreichte mir den Umschlag. »Nimm dir alle Zeit, die du brauchst.«

Ich fing an zu kichern. Alle Zeit, die ich brauchte … Mein Mann war heute ja ganz witzig. Ungeduldig nahm ich den Umschlag entgegen, zog die Papiere heraus und suchte nach den Destinationen der Kreuzfahrt.

Die Kopfzeile stammte von einer Anwaltskanzlei, von der ich schon gehört hatte. Komisch, die hatten auf mich immer einen eher beschäftigten Eindruck gemacht. Dass sie sich jetzt auch um Kreuzfahrten kümmerten, fand ich etwas befremdlich. Allerdings handelte es sich hier um einen Gewinn. Da musste wohl alles seine Richtigkeit haben. Ich überflog die drei Seiten, konnte aber weder eine Reiseroute noch ein Reiseprogramm erkennen.

Dann würden sie das wohl noch nachreichen.

Ich schaute kurz zu Liam auf, der mich mit nervösem Blick betrachtete und dabei seine Hände knetete und lächelte ihn noch einmal aufmunternd an.

»Alles gut, Schatzi!«, sagte ich und streichelte ihm über die Wange. Dann wandte ich mich wieder den Unterlagen zu. Wenn sie schon kein Reiseprogramm beigelegt hatten, hatten sie bestimmt andere, wichtige Informationen in diesem Schreiben festgehalten.

Aha, jetzt sah ich es! Hier war Liams Name, seine Adresse und einige persönliche Daten fein säuberlich notiert. Die Kanzlei hatte gründliche Arbeit geleistet! Ich überflog Liams Daten und dann sah ich, dass weiter unten meine Daten eingetragen worden waren. Gute Arbeit, echt! Ich kicherte erneut. Also hier konnte niemand behaupten, dass wir nicht die rechtmäßigen Besitzer dieser Papiere waren.

Mein Blick blieb an einem Wort hängen, das ich ganz und gar nicht verstand. Nicht in diesem Zusammenhang.

Was hatte die Kreuzfahrt mit …? Komisch.

Das kapierte ich jetzt nicht.

Langsam las ich alle drei Seiten sorgfältig durch. Ich las sie einmal, zweimal und dann noch ein drittes Mal durch. Und erst beim dritten Mal, als ich den Brief ungläubig anstarrte, sprang mir der Betreff ins Auge. Gleich unter der Kopfzeile der Anwälte. Ich blinzelte, aber der Betreff rührte sich nicht vom Fleck. In großen, schwarzen, fettgedruckten Lettern stand nur ein Wort:

Scheidungspapiere.

2

Liam und Mila.

Das war ein L, ein I, ein A und ein M. Oder ein M, ein I, ein L und ein A. Liam. Mila. Oder Liam und Mila. Ein Anagramm. Auf ewig miteinander verbunden. Wir gehörten zusammen! Für immer. Das hatten wir uns vor, während und immer wieder nach unserer Hochzeit versprochen.

Liam war mein und ich war sein.

Diese Tatsache schoss mir immer wieder durch den Kopf, während ich Liam zum x-ten Mal sagen hörte: »Und deshalb passen wir einfach nicht zusammen, Baby.«

Er hatte mir in der letzten Stunde eindringlich erklärt, dass ich unordentlich war – während er die Ordnung quasi erfunden hatte. Dass ich nicht kochen konnte. Während er ein absoluter Feinschmecker war. Dass ich ein Chaot war und Dinge immer wieder verlor oder verlegte, während er nie auch nur irgendetwas unbedacht hinstellte. Dass er Ruhe und Ordnung mochte, während ich praktisch ein Tsunami war. Unberechenbar, zerstörend, unaufhaltsam. Dass ich öfters nicht richtig zuhörte, nicht richtig hinsah und mich meistens auch nicht konzentriere. Während er fokussiert und strukturiert an Dinge heranging.

Und dann sagte er, und das war echt ein bisschen verletzend, dass ich in letzter Zeit ein Schnorrer geworden war und nur von seinem Geld lebte. Meine neue Aufgabe als Hausfrau und Ehefrau ließ er dabei nicht gelten. Denn er müsse ehrlich sagen, ich hätte absolut kein Talent dafür.

Das war der Moment, in dem ich auf das aufgeräumte Wohnzimmer zeigte und ihn fragend ansah. Liam seufzte nur und schob einen der Sessel beiseite. Darunter hatte sich komischerweise ein bisschen Schmutz angesammelt. Und einige Kaugummipapiere. Inmitten des Schmutzes entdeckte ich meine Sonnenbrille, die ich seit einiger Zeit vermisst hatte. Dankbar hatte ich die an mich genommen und dann den Sessel wieder an seinen Platz geschoben.

»Siehst du, das meine ich«, hatte Liam resigniert gesagt. Wollte er sich etwa von mir scheiden lassen, weil ich meine Sonnenbrille unter einem Sessel verloren hatte?

»Und du begreifst es nicht einmal, nicht wahr?«

Mit ausdruckslosem Gesicht hatte Liam mich angesehen.

Da hatte er recht! Ich begriff ganz und gar nicht! Alles, was er mir bisher an den Kopf geworfen hatte (okay, nicht gerade geworfen, er sprach ganz ruhig mit mir. Vielleicht hatte ich ein bisschen überreagiert, als ich erst mit einer Vase und dann mit einer Lampe nach ihm geworfen hatte), hatte weder Hand noch Fuß. Ich und unordentlich? Das war ja wohl gelacht! Manchmal waren die Dinge nicht genau da, wo sie sein sollten, aber das war ja dann ganz bestimmt nicht meine Schuld.

Und hatte ich nicht gerade bewiesen, dass ich eine unglaublich talentierte Hausfrau war? Entschlossen wandte ich mich an Liam. »Ich bin keine schlechte Hausfrau! Sieh mal im Esszimmer nach, falls du vergessen hast, was ich heute gekoch … was ich heute bestellt habe!« Dann breitete ich meine Arme aus und zeigte nochmals auf das Wohnzimmer. »Und ist es hier jetzt aufgeräumt oder nicht?«

Liam barg seinen Kopf in den Händen. »Baby, es hat keinen Zweck. Ich mag nicht mehr diskutieren.« Dann sah er mich an und mir fiel auf, dass er ehrlich zerknirscht und irgendwie extrem müde wirkte. Ich strich ihm über den Kopf. Vielleicht müsste er einfach wieder einmal richtig ausschlafen, dann würde er alles mit anderen Augen sehen. Er hatte in letzter Zeit so viel gearbeitet.

Hey, das war die Lösung! Schlaf!

»Bist du müde? Würdest du gerne ein bisschen schlafen?«, fragte ich und streichelte sanft seine Hand.

Liam wirkte etwas verunsichert. Zögernd fragte er: »Wäre das okay für dich? Ich bin echt total müde. Wenn ich mich für ein, zwei Stunden hinlegen könnte …«

»Alles, was du willst, Schatzi«, sagte ich großmütig. Ich strich ihm noch einmal über den Kopf, dann ließ ich die Hand sinken und bedeutete ihm, dass er ruhig gehen dürfe.

Er stand auf und schlurfte schwerfällig in den ersten Stock. Kurz überlegte ich, ob ich ihm folgen sollte, um mich danebenzulegen. Andererseits … Nein, es war im Moment besser, ihn in Ruhe zu lassen! Bald würde der alte Liam wieder auf der Bildfläche erscheinen.

Ausgeschlafen. Und um Entschuldigung bittend.

Ich lächelte. Fast hätte ich angefangen, mir Sorgen zu machen … Eine Scheidung! Dass ich nicht lache! Wie hatte ich auch nur eine Sekunde an seiner Liebe zu mir zweifeln können. Wir gehörten zusammen! Das wusste ich und das wusste er. Allerdings, und da musste ich mich ab jetzt wohl etwas an der Nase nehmen, musste ich besser darauf achten, dass er genügend Schlaf bekam und nicht zu viel arbeitete.

Entschlossen stand ich auf und nahm den Brief zur Hand. Scheidungspapiere … Tsss! Das Schlimmste am Ganzen war, dass er dieser Kanzlei bestimmt einiges an Geld in den Allerwertesten geschoben hatte. Die sollten sich was schämen! Nahmen glückliche Paare aus!

In der Küche holte ich einen Feueranzünder aus der Schublade (na, wer sagte denn, dass ich das meiste nicht griffbereit hatte!) und trat auf die Terrasse. Ich hielt den Brief in die Höhe und zündete ihn an. Dann wartete ich, bis die Flammen meine Hand erreicht hatten und ließ den letzten, noch nicht verkohlten Rest des Briefes auf unsere hübschen Terrakottafliesen fallen.

Er verbrannte innert Sekunden.

Ich pustete die Asche weg und ging wieder ins Haus.

Summend schlenderte ich zum Eingang, wo immer noch Liams Aktentasche stand. Ich öffnete sie. Zwischen einigen Geschäftsunterlagen entdeckte ich die Unterlagen für die Kreuzfahrt. Wahrscheinlich hatte Liam sie selber ausgedruckt. Sie enthielten seinen Namen und einige persönliche Angaben. Dann entdeckte ich etwas, was mich stutzig machte …

Liam hatte bereits eine Buchung vorgenommen!

Er hatte sich für übernächsten Samstag, in neun Tagen also, eine Kabine für zwei Personen bestätigen lassen. Kingsize-Bett, Nichtraucher. Außenkabine auf Deck acht. Wieso kam Liam mit Scheidungspapieren daher, wo er doch die Reise schon gebucht hatte?

Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich an die Wand. Dann starrte ich einen Moment lang ins Leere. Das alles war ein bisschen komisch. Den Papieren konnte ich entnehmen, dass Liam die Reise für uns beide gebucht hatte. Er hatte zwei Personen angemeldet. Hm … War ihm vielleicht von Anfang an klar gewesen, dass das mit der Scheidung keine so gute Idee war und dass uns diese Reise wieder näher bringen würde? Hatte er immer gewusst, dass er mich gar nicht verlassen würde, aber vielleicht trotzdem das Bedürfnis gehabt, ein bisschen Dampf abzulassen?

Wäre möglich.

Andererseits, weshalb hatte er das Bedürfnis, mir wieder näher zu kommen? Hatten wir uns je voneinander entfremdet? Also ich fühlte mich ihm nah. Ich brauchte bestimmt keine Reise, um ihm näher zu kommen!

Plötzlich wurde mir alles klar … Der Schlafmangel! Der Schlafmangel war an allem schuld. Der Schlafmangel hatte ihn zu einem anderen Menschen werden lassen.

Am Dienstag hatten sie bei Ask Dr. Hobbs einen Bericht über eine Frau gebracht, die von einem Tag auf den anderen an Parkinson erkrankt war. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte sie das Gen – oder was auch immer dafür verantwortlich war – schon länger in sich gehabt, aber die Krankheit war trotzdem ohne Vorwarnung ausgebrochen. Sie und ihr Mann hatten sich mit dem neuen Leben arrangieren müssen. Ich erinnerte mich noch genau an den Schluss des Beitrages. Der Ehemann war zu Wort gekommen. Er hatte gesagt: »Wenn Bertha nicht kann, dann übernehme ich. Wir sind ein Team. Und nur gemeinsam sind wir stark.«

Ich schnippte mit dem Finger. Das war es! Liam war im Moment nicht ganz auf der Höhe und nur mit meiner Hilfe würde es ihm gelingen, ohne Rückfälle zu leben. Gemeinsam waren wir stark! Aber für mich bedeutete das, in Zukunft ganz viel Stärke in mir selbst zu finden. Denn das Leben mit einem chronisch Kranken erforderte viel Energie und Hingabe! Das hatten sie auch in der Sendung gesagt. Ich musste unbedingt …

Das Klingeln von Liams Handy ließ mich aufschrecken.

Schnell griff ich danach, um den Anruf entgegenzunehmen. Ich wollte nicht, dass Liam vom Klingeln aufwachte.

»Hallo?«

»Ach hallo, ist hier nicht Liam?«

»Nein, ich bin seine Frau. Wer spricht denn da?«

»Sydney.«

»Sydney?«

»Ja, Sydney aus dem Geschäft.«

Liam hatte mir ein paar Mal von einer sympathischen und witzigen Praktikantin erzählt, die bei ihnen in der Versicherung arbeitete.

Soweit ich mich erinnern konnte, hieß die Sydney.

»Wo ist denn Liam?«, fragte Sydney jetzt.

Irgendwie schien sie leicht irritiert.

»Er schläft«, sagte ich leise, aber energisch. Bei Ask Dr. Hobbs hatten sie auch erklärt, dass man chronisch Kranke vor jeglichen Störungen – und sei es nur ein Telefonanruf! – abschirmen sollte.

»Er schläft?« Jetzt war Sydney unüberhörbar verwundert. »Aber es ist nicht einmal acht Uhr!«

Wissend lächelte ich vor mich hin.

Das neue Leben hatte also begonnen …

»Richtig, Sydney, er schläft«, sagte ich sanft, aber bestimmt. Des Weiteren hatte man in Ask Dr. Hobbs davor gewarnt, dass es Freunde zwar gut meinten, aber natürlich nicht wissen konnten, was für den Kranken das Beste war.

»Kann ich ihm etwas ausrichten? Allerdings kann ich Ihnen nicht garantieren, dass er Sie heute noch zurückrufen wird.«

Am anderen Ende der Leitung war es einige Sekunden lang still. Dann hörte ich Sydney sagen: »Okay, schon gut. Ich werde mich einfach wieder melden.«

Und damit legte sie auf.

Nachdem ich das Handy auf stumm geschaltet hatte, legte ich es zurück in Liams Aktentasche. Natürlich durfte sich diese junge Dame nochmals melden. Aber ich würde sie erst dann wieder mit Liam sprechen lassen, wenn er bereit wäre für das Leben da draußen.

Und das konnte unter Umständen dauern.

»Haben Sie keine Angst, auch mal unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Und fühlen Sie sich nie verpflichtet, Ihre Entscheidungen zu begründen«, hatte Dr. Hobbs gesagt.

Ich nickte bestätigend.

Ob es wohl sinnvoll wäre, während unserer Reise um eine Spezialkost zu bitten? Hm, gute Frage … Allerdings, um welche Spezialkost sollte ich bitten? »Mein Mann leidet an Wahnvorstellungen, wenn er übermüdet ist. Würden Sie da eher Rohkost oder eiweißreich empfehlen?«

Okay.

Ich musste in die neue Situation noch hineinwachsen.

»Vertrauen Sie auf Ihre Intuition und haben Sie auch mal den Mut, eigenmächtig zu handeln!« Dr. Hobbs Worte klangen mir noch immer im Ohr. Unglaublich, wie schnell man selbst zu einer Betroffenen werden konnte! Erst vor zwei Tagen hatte ich noch gelangweilt in die Sendung hineingezappt. Und von einem Moment auf den anderen war alles traurige Realität für mich geworden. Jetzt galt es, nicht zu verbittern. (»Bewahren Sie sich eine positive Haltung!«)

Ich nahm das Reiseprogramm wieder zur Hand. Voller Freude registrierte ich, dass einige Destinationen dabei waren, die ich schon lange im Auge gehabt hatte. Starten würden wir in Miami (und wie ich Liam kannte, hatte er sich bestimmt schon darum gekümmert, wie wir nach Miami kommen würden. Er war so toll! Unglaublich, wie er mit seiner Krankheit umging!). Als Erstes würden wir nach Jamaika fahren, dann zu den Kaimaninseln. Schließlich Cozumel, die größte Insel Mexikos, besuchen und als Letztes die Bahamas ansteuern.

Genial!

Die Zeit, in der Liam am Schlafen war, würde ich noch etwas nutzen – um mir online einige Strandsachen zu bestellen …

»Was machst du denn da?«

Liam stand hinter mir und rieb sich die Augen. Der Computer war die einzige Lichtquelle im Raum. Ich sah auf die Zeit auf dem Bildschirm. Kurz nach zehn!

War es möglich, dass ich seit zwei Stunden am Shoppen war? Ich hatte die Zeit völlig vergessen!

»Ich, äh …, ich habe mir ein paar Dinge bestellt.«

Schnell schloss ich das Programm. Dieser Zweiteiler wäre eh nur noch optional gewesen.

»Und? Wie geht es dir?«, fragte Liam.

Ich sah ihn an. Das war ja süß! Lächelnd sagte ich: »Die Frage ist wohl eher, wie es dir geht!«

Nachdem ich Liams Kreditkarte unter einen Stapel Briefe geschoben hatte – »Und achten Sie bei allem, was Sie tun darauf, dass Sie die Kranken nicht unnötig aufregen!« – zog ich Liam mit mir mit. Als wir am Esszimmer vorbeikamen, fiel mir ein, dass wir ja noch gar nichts gegessen hatten.

»Hast du Hunger?«, fragte ich und zeigte auf den gedeckten Tisch. Die Kerzen waren bereits zur Hälfte heruntergebrannt. Liam schüttelte den Kopf.

»Mann, habe ich einen Brummschädel!«

»Echt?« Das tat mir leid. Aber nachdem er noch nichts gegessen hatte, kein Wunder. Liam ging am Esszimmer vorbei in die Küche. Als er die Türe öffnete, weiteten sich seine Augen etwas.

Richtig, da musste ich ja noch aufräumen. Morgen.

Liam öffnete den Kühlschrank und nahm sich ein Bier.

»Bist du sicher, dass das gut ist? Ich meine mit deinem Kopfweh und so«, rief ich ihm über die Schultern zu.

Liam schaute mich nur an und erwiderte nichts. Mit dem Bier ging er ins Wohnzimmer und setzte sich aufs Sofa.

Und rieb sich den Kopf.

Nachdem er einen großen Schluck Bier getrunken hatte, fragte er: »Also, was machen wir jetzt?«

»Wir?« Ich spürte, wie ich anfing zu lächeln. Dann ging ich zum Eingang, nahm die Papiere für die Kreuzfahrt aus Liams Aktentasche und rief ins Wohnzimmer: »Übrigens, Sydney aus deinem Geschäft hat angerufen!«

Ich hörte, wie Liam sich am Bier verschluckte.

»Sydney?« Nachdem er einige Male gehustet hatte, fragte er: »Hat sie etwas gesagt?«

Grinsend schlenderte ich mitsamt den Papieren ins Wohnzimmer. »Ob sie etwas gesagt hat? Nein, nur dass sie es später noch mal versucht. Ach, und sooo witzig kam sie mir jetzt übrigens auch nicht vor.«

»Witzig?« Wieder fing Liam an zu husten. Diesmal schien er sich an seiner Spucke verschluckt zu haben. »Wieso witzig?«

»Och«, ich setzte mich neben Liam aufs Sofa. In der Hand hielt ich die Papiere.

»Einfach so. Du hast mal gesagt, sie sei witzig.«

»Ich habe was?!«

»Naja, egal. Lass uns über Wichtigeres sprechen.« Die Papiere hin- und herschwenkend sagte ich: »Zum Beispiel über das hier!«

Liam nahm mir die Papiere aus der Hand. »Und, hast du schon unterschrieben?«

»Unterschrieben? Ich wusste gar nicht, dass man da unterschreiben muss …« Seltsam, ein Feld zur Unterschrift war mir nicht aufgefallen.

»Ich glaube, du irrst dich«, sagte ich entschlossen, »hier muss nichts unterschrieben werden.«

»Doch, ganz bestimmt! Sonst ist es nicht rechtskräftig. Allerdings, wenn du noch etwas Zeit brauchst …«

Ich grinste breit. »Ist mir schon aufgefallen, wie schnell du Nägel mit Köpfen machen willst. Aber kein Problem. Umso schneller, desto besser.« Dann nahm ich Liams Hand in meine. »Du kannst es wohl nicht erwarten, was?«

Liam sah mich mit einem komischen Ausdruck an.

»Was ist denn?«, fragte ich und drückte seine Hand.

»Ich … äh … ich weiß nicht … Ich …« Er starrte einen Moment lang einfach ins Leere, dann sagte er langsam: »Du, du bist es! Du bist ganz anders, als ich das erwartet hatte.«

Also das fand ich jetzt schon fast wieder beleidigend!

Ich wollte schon zu einer Erklärung ansetzen, als mir einfiel, dass Liam im Moment ja nicht ganz auf der Höhe war. Ich streichelte sanft seine Hand und sagte dann. »Wie du meinst, Schatzi. Aber alles, was ich dazu sagen kann ist: Ich bin mehr als bereit für alles!« (Einschließlich drei neuer Bikinis, einer luftigen Strandhose, vier Pareos, zwei neuer Sandalen, eines Paars Sneakers, vier Shorts, sieben oder acht T-Shirts, eines Panamahuts, einer kleinen und einer großen Umhängetasche mit je dazu passender Geldbörse, zwei neuer Sonnenbrillen, eines Abendkleides und zwei Strandkleidern. Das Nötigste halt.)

Liam sah mich an und schüttelte den Kopf. »Du bist unglaublich, Mila. Und wie du dich vom ersten Schock erholt hast. Das hätte ich nicht von dir gedacht.«

»Naja, also Schock …«, wiegelte ich ab.

Liam zeigte auf die Überreste der Vase, die zwischen dem Fernseher und unserem Ficus lagen.

Also das war jetzt wohl nicht ganz fair! Schließlich hatte er noch vor einigen Stunden eine Bombe platzen lassen. Krankheit hin oder her! Ich überlegte, ob ich ihm eine gehörige Standpauke halten oder lieber auf den Mund sitzen sollte. Gerade als ich mich für Letzteres entschieden hatte, klingelte es an der Haustüre.

Für einen kleinen Moment erschrak ich. Normalerweise klingelte es bei uns um diese Zeit nicht mehr. Wer konnte das sein? Wir standen gemeinsam vom Sofa auf und gingen Richtung Eingang.

Liam öffnete die Türe.

Davor stand eine etwa zwanzigjährige Blondine, vielleicht auch älter. Wer konnte das heute noch sagen? Bei diesen chronisch überstylten Dingern … Als ich zwanzig gewesen war – und das war erst zehn Jahre her! –, hatte man noch mit den Mitteln gearbeitet, die einem zur Verfügung standen. Hier hingegen war völlig unklar, ob die junge Frau Extensions trug und ob ihre vollen Wimpern echt waren.

Tatsache aber war, dass sie überaus attraktiv war.

Sie war mir auf Anhieb unsympathisch.

»Hey, Sydney«, sagte Liam.

»Hey«, erwiderte die Blondine. »Hast du tatsächlich geschlafen?«

»Ja, ich war so was von kaputt!«

»Alles klar. Und, habt ihr geredet?«

»Ja, das haben wir.« Liam sah mich an. Er wirkte irgendwie peinlich berührt. »Allerdings habe ich ihr noch nicht von dir erzählt.«

Ich sah Liam fragend an. Aber er hatte mir doch von Sydney erzählt. Das einzige, was ich zu bemängeln hatte, war, dass sie weder witzig noch sonderlich sympathisch wirkte. Und was machte sie überhaupt um diese Zeit bei uns?

»Hey, Mila, das ist Sydney«, sagte Liam jetzt. Sehr unnötig, wie ich fand. Ich war ja nicht doof.

»Sydney, Mila.«

Jetzt machte er auch Sydney mit mir bekannt.

Ich hob die Hand zum Gruß. »Hi«, sagte ich. Dann fügte ich (nur ein bisschen streng, sie war ja praktisch noch ein Kind) an: »Ich will ja nicht unhöflich sein, aber hättest du nicht einfach nochmal anrufen können? Ich finde es etwas spät, um jetzt noch einen Besuch zu machen.«

Sydney starrte mich an, als wäre ich von einem anderen Stern. Dann meinte sie: »Kommst du noch zu mir?«

»Ähm, nein, ich denke nicht«, erwiderte ich.

Meinte sie voll, ich würde jetzt noch zu ihr gehen?

»Ja klar, gib mir noch eine Minute«, antwortete Liam. Dann legte er seine Hände auf meine Schultern und fragte: »Meinst du, du kannst die Scheidungspapiere heute noch unterschreiben?«

»Die Scheidungspapiere? Ich verstehe nicht ganz …«

Ich ging zurück ins Wohnzimmer und holte die Unterlagen für die Kreuzfahrt. Als ich wieder vor die Haustüre trat, löste sich Liam gerade von Sydney. Hatte er ihr etwas zugeflüstert? Vielleicht hatte er sie nett gebeten zu gehen.

»Hier«, sagte ich und hielt die Papiere in die Luft. »Sieh selber nach. Hier muss man nirgends unterschreiben.«

Liam nahm die Unterlagen zur Hand und überflog sie.

Dann lächelte er erleichtert.

»Ach so! Jetzt verstehe ich … Nein, natürlich musst du hier nicht unterschreiben. Schließlich bist du nicht eingetragen, also musst du auch keine Verzichtserklärung abgeben.« Er streckte Sydney die Unterlagen entgegen. »Ich kann mir alles nochmal ausdrucken. Behalte du die hier!« Dann kam er zu mir, legte mir einen Arm um die Schultern und sagte feierlich zu Sydney: »Pusteblume, sie ist mit der Scheidung einverstanden! Cool, nicht wahr?«

Liam löste seinen Arm von mir und stellte sich lächelnd hinter Sydney. Mit beiden Armen umfasste er sie und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Dann kitzelte er sie ein wenig. Sydney fing augenblicklich an zu kichern. Nachdem beide kurz vor sich hin gekichert hatten, wandte sich Liam wieder mir zu.

»Baby«, sagte er strahlend, »stell dir vor, Syd und ich werden eine Kreuzfahrt machen!«

3

Unser erstes Treffen war in die Hose gegangen.

Buchstäblich.

Nachdem ich Liams Auto geschrottet hatte, ging er wutentbrannt auf mich los und beschimpfte mich aufs Übelste. Woraufhin ich meine Wasserflasche mit voller Wucht nach ihm warf. Die Flasche war sehr leicht und hatte einen defekten Verschluss. Bis sie bei Liam angekommen war, hatte sie sich fast vollständig entleert und der schwache Aufprall war überaus unbefriedigend für mich. Ein kleiner Rest Wasser landete auf seiner Hose, was ich allerdings in meiner Wut gar nicht bemerkte. Erst als alle Freunde Liams um ihn herumstanden und lachend auf seinen nassen Schritt zeigten, wurde mir bewusst, dass ich doch erfolgreich gewesen war!

Es dauerte Wochen, bis es unseren Müttern gelang, uns auf neutralem Boden wieder zusammenzuführen. Ein Zirkus war in unsere Stadt gekommen und wir wollten beide unbedingt die Kindervorstellung am Samstagnachmittag besuchen. So kam es, dass wir – Liam in Reihe zwei, ich in Reihe vier – leicht schmollend, aber ansonsten friedlich auf unseren Plätzen saßen und mit offenen Mündern dem Programm folgten.

Der Zufall wollte es, dass wir beide auf die Bühne geholt wurden. Als Liams Assistentin sollte ich ihm helfen, in eine Kiste zu steigen und daraufhin vor den Augen der Zuschauer zu verschwinden. Gebannt verfolgte ich Liams Verschwinden und vergaß dabei völlig, dass ich ihn eigentlich ja gar nicht mehr zurückhaben wollte. Als Liam nervös aber strahlend wieder auftauchte, war ich die erste, die ihn mit Fragen bombardierte und wissen wollte, wie das alles hatte funktionieren können. Von diesem Tag an wurde unser Kriegsbeil begraben.

Auch wenn wir nach wie vor nicht zusammen spielten.

Liam behauptete, ich sei eine doofe Sechsjährige, die nur Autos kaputt machen könne. Ich hingegen fand ihn für einen Zehnjährigen ziemlich etepetete. Aber wir duldeten uns und ließen uns leben.

Nachdem wir beide die Schulzeit unbeschadet und ohne weiteren Auto- und Wasserflaschenpannen überlebt hatten, verließen wir den kleinen Vorort San Diegos und studierten schließlich an verschiedenen Unis. Wir verschwendeten auch keine Gedanken mehr aneinander. Bis wir uns in der Cafeteria eines Versicherungsunternehmens in San Diego über den Weg liefen. Ohne das Wissen des jeweils anderen, waren wir zur fast gleichen Zeit angestellt worden. Liam in einer leitenden Funktion, ich als Schreibkraft in der Buchhaltung, da ich keine andere Stelle gefunden hatte.

Aus Liam war ein gutaussehender und charmanter junger Mann geworden. Und ich hatte meine Zahnspange und meine Brille gegen einen moderneren Kleidungsstil eingetauscht und war, dank meiner gesundheitsbewussten Kommilitonin an der Uni, nicht mehr das Pummelchen, das ich einmal gewesen war. Kurz: Wir lernten uns nicht nur neu kennen, wir waren auch zu neuen Menschen geworden.

Liam und ich fingen an, miteinander auszugehen.

Er fand mich zwar immer noch etwas rabiat und leicht chaotisch, aber, im Gegensatz zu früher, regte ihn das nicht mehr auf, sondern veranlasste ihn, sich Hals über Kopf in mich zu verlieben. Ich nannte ihn immer noch etepetete, aber das war nie böse gemeint, sondern eher scherzhaft. Wir waren das Traumpaar. Nie werde ich den Tag vergessen, an dem wir unseren Freunden eröffneten, dass wir heiraten wollten. Alle kamen und umarmten uns und viele sagten, dass sie unseren Mut bewunderten und dass wir wirklich risikofreudig seien.