Die Finca-Falle - André Gebel - E-Book
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Die Finca-Falle E-Book

André Gebel

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Beschreibung

Witziger Cosy Crime in malerischer Urlaubsatmosphäre und eine Finca als Schauplatz eines dreisten Immobilienschwindels. Für Fans von Lilly Alonso und Ellen Berg Martin, Toto und Rüde hadern mit dem Älterwerden. Während Martin vom Leben nichts Aufregendes mehr erwartet, muss Rüde jeden Cent umdrehen und sich was hinzu verdienen. Auch Toto ist chronisch knapp bei Kasse und stellt mit seiner Promenadenmischung reichen Witwen hinterher, bis ihm die Idee von der WG im Süden kommt. Er überredet seine Freunde zum Hauskauf auf Mallorca und man kratzt alle Ersparnisse zusammen. Das angebliche Schnäppchen der dubiosen Firma Goldstaub Immobilien entpuppt sich jedoch als baufällige Finca mit einem düsteren Geheimnis, und treibt die Freunde in den Bankrott. Mit einem halsbrecherischen Coup versuchen sie sich an der windigen Immobilienmaklerin zu rächen, um ihren Traum zu retten.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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© Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: © Alexa Kim »A&K Buchcover«

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von depositphotos.com (konevaelvira.gmail.com, vaeenma, Dudlajzov, golfmhee)

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Zitat

Teil 1

Ein unverhofftesWiedersehen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Teil 2

Irgendwo im Nirgendwo

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Teil 3

Der Coup

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Carsten, Mohammadi und für Zecco

Teil 1

Ein unverhofftesWiedersehen

Kapitel 1

Martin hatte es eilig. Es war der zwölfte September und er wollte den Hochzeitstag in gewohnter Manier mit einem Frühstück im Café Lieselotte beginnen. Er musste um neun Uhr dort sein, nicht früher, aber auf keinen Fall später, denn es war nicht seine Art, zu spät zu kommen. Jedes Mal hatte er seine Frau ermahnen müssen, die gern trödelte, um ihn ein wenig aus der Fassung zu bringen. Zweiundvierzigmal hatte er sich vorgenommen, nicht zu meckern, zweiundvierzigmal war es schiefgegangen und auch diesmal war er gereizt und fühlte sich bereits verspätet. Am liebsten hätte er die Reservierung abgesagt, doch Tradition verpflichtet und er wollte sich keine Nachlässigkeit erlauben. Er hatte sich ordentlich in Schale geworfen und sogar eine Krawatte umgebunden. Sie liebte ihn in diesem dunkelblauen Sommersakko, zu dem er stets den gelb und blau gestreiften Schlips trug, den sie ihm vor 17 Jahren zur Silberhochzeit geschenkt hatte. Seine Haare glänzten, trotz der 69 Jahre, wie ein junger Silberfisch, was ihn für reife Frauen durchaus attraktiv machte. Behauptete jedenfalls Liliane, die bis dato die einzige Frau in seinem Liebesleben gewesen war.

Martin schnappte den Rucksack und eilte das Treppenhaus hinunter, wie er es schon als Jugendlicher gern getan hatte. Aufzüge waren Fahrgeschäfte für Senioren und er zählte sich längst noch nicht zum alten Eisen.

Sein Weg führte ihn geradewegs durch den Englischen Garten, der um diese frühe Uhrzeit schwach besucht war. Eine Gruppe Frauen in den Vierzigern lief Schritttempo mit Wanderstöcken und hin und wieder schoss ein Radfahrer an ihm vorbei. Meist Studenten, die zwischen den Universitätsgebäuden hin und her pendelten und sich einen Spaß daraus zu machen schienen, möglichst knapp an ihm vorbeizurauschen. Am liebsten hätte er ihnen einen Ast zwischen die Speichen geworfen, doch dafür fehlten ihm der Mut und heute auch die Zeit. Nicht dass sein Tisch vergeben war, nur weil er zu spät kam.

Die Sorge war jedoch wie immer unbegründet und er war mal wieder viel zu früh dran, also musste er zehn Minuten warten, bis die junge Bedienung ihn an seinen angestammten Platz direkt am Fenster führte. Gut, dass Martin reserviert hatte, denn obwohl es Dienstagmorgen war, platzte das Café Lieselotte aus allen Nähten. Junge Mütter in schlabberigen Sweatshirts blockierten mit ihren Kinderwägen jeden Durchgang und schnatterten in kleinen Gruppen um die Wette. Wenn ihnen hin und wieder der Gesprächsstoff ausging, sprang garantiert ein Spross in diese Lücke, um fulminant zu schreien. Eigentlich war Martin dem Ambiente längst entwachsen, doch Tradition war Tradition, denn schließlich hatte er Liliane zum allerersten Kaffeekränzchen ins Lieselotte ausgeführt.

»Entschuldigung, erwarten Sie noch jemanden oder kann ich den Stuhl haben?« Eine Südländerin mit geflochtenem Haar und einem Ohrring in der Oberlippe grinste ihn frech an und hatte bereits die grün lackierten Krallen auf der Lehne.

»Ich erwarte noch jemanden«, antwortete Martin und schüttelte energisch mit dem Kopf, als wäre allein die Frage eine Riesenunverschämtheit.

Die Flechtfrisur gab sich geschlagen und wurde durch die freudlose Bedienung ersetzt, die ihn an seinen Tisch geführt hatte.

»Möchten Sie etwas bestellen oder kommt noch jemand? Der Tisch wurde für zwei Personen reserviert.«

»Ja, in der Tat erwarte ich noch jemanden. Aber, wenn Sie mir vielleicht schon einen Cappuccino mit viel Schaum und eines ihrer wunderbaren Nuss-Croissants servieren könnten«, antwortete Martin, ohne der Karte Beachtung geschenkt zu haben. Wozu auch, schließlich bestellte er im Lieselotte jedes Jahr das Gleiche. Nur Liliane war hin und wieder von ihrer Routine abgewichen und hatte etwas Neues ausprobiert. Eine Latte oder einen dieser Cupcakes.

»Wir haben keine Nuss-Croissants. Nur die Normalen. Vielleicht möchten Sie stattdessen eine Semmel oder Brezn?« Die Bedienung schielte bereits zum Nebentisch, wo ein frisch verliebtes Pärchen saß und zahlen wollte.

»Nein, ich möchte ein Nuss-Croissant. Das esse ich seit über vierzig Jahren an exakt dem gleichen Platz.«

»Schön, aber wir haben nun mal keine. Ich bin seit vier Monaten hier beschäftigt und in der Zeit ist mir auch keins begegnet.« Die Bedienung fingerte hektisch an der Kreditkartenpistole herum.

»Meine Frau und ich kommen seit vielen Jahren in ihr Café und ich bestelle stets das Gleiche. Heute ist unser Hochzeitstag. Verstehen Sie?«

»Akustisch bin ich voll bei ihnen, doch rein operativ kann ich nicht weiterhelfen. Also wollen Sie etwas anderes bestellen oder nicht?«

»Ich habe keinen Appetit.« Martin blickte demonstrativ in die entgegengesetzte Richtung.

»Fein, dann also einen Cappuccino«, knurrte die Bedienung und war bereits am Nachbartisch zum Abkassieren. Die Welt ist austauschbar und flüchtig geworden, fand Martin, der Mühe hatte, sich im Zaum zu halten.

»Es tut mir leid«, flüsterte er beschwichtigend gegen die Caféhausscheibe und sah nach draußen, wo eine Gruppe von Studenten ihre Fahrräder abstellten. Er war patzig und unbeherrscht gewesen und Liliane hasste diese gelegentlichen Ausbrüche. »Jetzt bist du wie dein Vater«, hatte sie dann stets gesagt, ohne zu erläutern, ob das gut oder eher schlecht war. Nun ja, dann war er halt wie sein Vater, doch schließlich hatten sie ihm gerade einen Teil der Geschichte geraubt und er wusste damit noch nicht umzugehen.

»Entschuldigung. Ist der Stuhl frei?«, fragte ihn ein Milchgesicht, das gerade noch sein Fahrrad angekettet hatte.

»Sieht dieser Stuhl frei für dich aus?« Martin kämpfte gegen das saure Aufstoßen an. Das musste an dem Adrenalin liegen, das ihn ungeplant in Wallung gebracht hatte.

»Wieso denn? Es sitzt niemand drauf oder daten Sie einen Geist?«

»Frechheit. Als ich in deinem Alter war, hätte ich mir so etwas nicht erlaubt.« Martin war froh, dass die Bedienung mit dem Cappuccino an den Tisch kam.

»Hier ist ihr Kaffee. Möchtest du auch etwas trinken?«, fragte sie den jungen Mann, als würde er zu Martin gehören.

»Ich bin mit meinen Buddys hier und wollte nur höflich nach dem Stuhl fragen«, echauffierte sich das Milchgesicht, als wäre er der Juniorchef.

»Hören Sie guter Mann. Wir sind voll besetzt und wenn Sie schon nichts frühstücken wollen, dann geben Sie wenigstens den Stuhl frei«, schlug sich die Bedienung auf die Seite des Studierenden.

»Aber, heute ist mein … ich meine … heute ist unser Hochzeitstag.« Martin fühlte sich erschöpft aufgrund der Diskussion und nippte am Cappuccino.

»Natürlich.« Die Bedienung setzte ein mitleidiges Lächeln auf. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie geben den Stuhl frei und sobald ihre Begleitung kommt, organisiere ich Ihnen einen neuen. Was halten Sie davon?«

»Und ein Nusshörnchen?«, sah sich Martin nun in einer besseren Verhandlungsposition.

»Ich schau mal, was sich machen lässt.«

Martin nickte erleichtert, denn er fühlte sich nicht in der Stimmung, um zu streiten und den Tag zu ruinieren.

Nach dem Besuch im Café Lieselotte spazierte er am Seehaus vorbei und verließ schließlich den Englischen Garten in Richtung Westen. Seine Schritte wurden schwerer, als wären die Knochen von jetzt auf gleich gealtert, um behände über den Asphalt zu kriechen. Ein flaues Gefühl breitete sich in seinem Magen aus und das Atmen fiel ihm schwer. Aus Grünflächen wurden Bürgersteige. Aus Straßen, Ampeln und Verkehr wurde ein Schachbrettmuster aus Kreuzen, Kerzen und gravierten Steinen.

Der Weg zum Friedhof war wie in einem Navigationsgerät abgespeichert und sein Geist folgte den Füßen, die Schritt für Schritt dem Unvermeidbaren entgegenliefen. »Neunte Reihe, viertes Grab von links. Kann man sich gut merken, oder?«, scherzte vor einem halben Jahr der Bestattungsunternehmer Weber, doch Martin war für keinen Scherz zu haben gewesen. Damals nicht und auch nicht heute, als er traurig vor der blank polierten Schieferplatte stand.

Liliane Wendlinger, geborene Assenbach, geboren am 6.10.1953, gestorben am 18.03.2023 und Martin Wendlinger, geboren am 7.1.1954, gestorben am …

Wie gern hätte er ein Datum dort hineingemeißelt. Doch was würde ihm das bringen? Er stand oberhalb der Grasnarbe und Liliane lag drei Meter tiefer oder war bereits im Himmel. Wer wusste das schon so genau?

»Alles Gute zum Hochzeitstag, meine Liebe. Ich vermisse dich so sehr und kann an nichts anderes mehr denken als dir endlich hinterherzufolgen. Ich war im Café Lieselotte, an unserem angestammten Platz, wo wir uns das erste Mal verabredet hatten. Weißt du, sie haben diese Nuss-Croissants nicht mehr. Kannst du dir das vorstellen? Als wären sie mit dir verschwunden. Einfach so«, murmelte Martin, im Glauben, dass niemand ihn belauschen würde.

Eine ältere Dame stand plötzlich hinter ihm und schaute auf die Platte, als würde sie Liliane kennen. Sie hatte ihre silbernen Haare zu einem Dutt verknotet und ordentlich Make-up aufgetragen. Ihre Augen sahen düster aus, wie bei einer dieser Gruftis. Die Kleidung war elegant, wenn auch etwas unpassend auf einem Friedhof.

»Ist mir neulich auch passiert. Plötzlich war der lieb gewonnene Kahlkopf einfach nicht mehr da. Sind Sie der Witwer?«

Martin nickte und hoffte, dass die Frau sich aus dem Staub machen würde.

»Es fühlt sich anfangs seltsam an, doch man lernt, damit zu leben. Wie ist es bei Ihnen? Sind Sie schon drüber hinweg und offen für was Neues?«

»Ähm … nein«, stotterte er verlegen.

»Das wird schon wieder, glauben Sie mir. Sie sind eine gute Partie, denn die meisten Männer ihres Alters tragen Glatze und sehen wie der Tod auf Stelzen aus.« Die burschikose Besucherin nahm Martin ins Visier und ließ den Blick vom Scheitel bis zur Sohle gleiten.

»Ich bin nicht mehr an so was interessiert«, versuchte er, dem Kompliment den Schwung zu nehmen.

»Sagen Sie das nicht. Das Leben ist noch lang genug, um etwas Neues zu beginnen.«

»Nicht für mich. Meins ist vor einem halben Jahr abrupt beendet worden. Sehen Sie selbst.« Martin deutete mit dem Zeigefinger auf die Gravur am Schieferstein.

»Ich sehe kein Datum hinter dem Namen. Von daher bleibt Ihnen genügend Zeit, ein neues Glück zu finden. Denken Sie darüber nach.«

Martin war verärgert, hatte ihn diese aufgetakelte Fregatte doch in seiner Trauer unterbrochen. Und das an seinem Hochzeitstag. Dennoch wollte er nicht so wie sein Vater sein, also nickte er zustimmend und bedankte sich für den Rat.

»Falls Sie ihre Meinung ändern sollten, dann lassen Sie es mich wissen. Ich bin die Anneliese und täglich auf dem Friedhof unterwegs. Das ist der Datingmarkt für Senioren, falls sie verstehen, was ich meine.« Sie lachte kurz humorlos auf und verschwand in Richtung Ausgang.

Beim Blick auf den Grabstein plagte ihn plötzlich das Gewissen. Es fühlte sich so an, als hätte er Liliane hintergangen und mit einer flüchtigen Bekanntschaft angeregt geflirtet. Und das auch noch am Hochzeitstag. So etwas durfte nicht geschehen. Er würde nie wieder einen Menschen so sehr lieben wie Liliane, mit der er jeden Tag das Leben intensiv genossen hatte. Martin hauchte einen Kuss in Richtung der aufgewühlten Erde und machte sich auf den Nachhauseweg. Seine Zeit würde bald kommen und er freute sich darauf, denn im Himmel gab es sicherlich die besten Nuss-Croissants mit einer Tasse Cappuccino.

Kapitel 2

»Der ist aber … putzig. Darf man den anfassen?«

»Nur zu. Der beißt nur böse Mädchen.«

»Aua!«

»Sag ich doch. Kann ich das vielleicht mit einem Glas Prosecco wieder gutmachen?«

»Was erlauben Sie sich? Sperren Sie ihre Töle besser ein. Der braucht eindeutig einen Maulkorb!«

Genau wie du, dachte sich Toto, der eigentlich Thomas Tormann hieß und auf ein Schäferstündchen aus war. Er sah der stämmigen Brünetten noch ein wenig hinterher und beglückwünschte sich und seiner Promenadenmischung, dass dieser Kelch an ihm vorbeigelaufen war. Eigentlich stand er nicht auf Gemüse jenseits der 55, obwohl er selbst 68 Jahre zählte und nicht gerade das war, was Frauen als erstklassige Partie bezeichnen würden.

Er saß an einem der Außentische im angestammten Jagdrevier an der berühmten Kö in Düsseldorf und sah dem Geld beim Laufen zu. An einem Dienstagmorgen waren nur Damen unterwegs, die zwei Merkmale besaßen, auf die es Toto abgesehen hatte. Geld und Langeweile. Schließlich konnte er von seiner mageren Rente gerade mal den Lebensunterhalt begleichen, um zum Beispiel Franz Ferdinand zu finanzieren, jenen schlecht dressierten Beißer, den er vor einem Jahr erworben hatte, um bei den Damen schneller ins Gespräch zu kommen. Dabei hatte ihn der windige Verkäufer gehörig übers Ohr gehauen, denn aus dem eigentlich versprochenen Mops wurde im Lauf seines Hundelebens ein aufgebockter Dackel, mit dem Aufbiss eines Terriers. Toto hatte nicht genügend Geld, um das Model zu wechseln und zu viel Schiss, um den Verkäufer anzuzeigen, sodass er sich dazu entschied, es mit Franz Ferdinand zu probieren.

Am Anfang war es ein Fiasko, da die Proportionen in der exklusiven Gegend nicht einmal auf Mitleid stießen. Zudem war der Hund kaum zu kontrollieren, weswegen Toto ihn daheim in einem Zwinger hielt. Erst als er ihm den rosa Body Suit über das struppige Fell gezogen hatte, fand der Mischling etwas Anerkennung bei den Damen. Den ersten Anzug aus Viskose hatte er nach zehn Minuten aufgefressen, doch das Ding aus Latex saß wie eine Eins und war der Blickfang im Café Hansemann, wo Toto oft verkehrte. Seitdem hatte sich die Anzahl von Totos One-Night-Stands auf durchschnittlich 0,73 pro Monat erhöht, nachdem er zwölf Wochen nicht mal ins Gespräch gekommen war. Außer dem gelegentlichen Spaß war bisher nichts Ernsthaftes daraus geworden, denn die Damen merkten schnell, dass hinter der Fassade Toto nur ein grenzenloser Abgrund steckte, in den man besser nicht hineinstolperte.

Er lebte nach wie vor auf 67 Quadratmetern Altbaufläche, die er von seinen Eltern übernommen hatte, als sie vor zwanzig Jahren ins Souterrain des Ohler Friedhofs eingezogen waren. Kein passendes Domizil für seine gut betuchte Zielgruppe, und so war er auf die Damen angewiesen, die verlassen, verwitwet und verzweifelt waren. So verzweifelt, dass sie mit Toto ins Hotel, die geerbte Villa oder die Luxuswohnung aus der Scheidungsmasse gingen, um sich vom Charmeur der alten Schule durchnudeln zu lassen.

Einige der Damen kannte er noch aus der Zeit, als er als Schnüffler unterwegs war, um für ein paar Hundert Euro kleine Überwachungsjobs zu machen. Ein paar indiskrete Fotos hier, eine versteckte Drohung dort, und als Happy End ein heißer Flirt mit der Auftraggeberin.

Er vermisste die Zeiten, auch wenn sie ihn mehr schlecht als recht über Wasser gehalten hatten. Zumindest war er problemlos ins Gespräch gekommen und konnte als Seelentröster Liebesdienste abschöpfen. Irgendwann waren die Aufträge ausgeblieben und Toto hatte nicht die finanziellen Mittel, um in teure Ausrüstung oder Werbung zu investieren, und so war er schließlich fließend in den Ruhestand geschlittert. Ein Zustand, der ihm nicht besonders schmeckte, denn der Mensch ist nun mal ein Gesellschaftstier, und Gesellschaft war es, die ihm fehlte.

Auch heute lief es nicht besonders gut, was vielleicht am miesen Wetter lag. Am frühen Morgen hatte es geregnet und der Kellner hatte noch die Tische abgewischt, als Toto seinen Platz eingenommen hatte. Es kratzte an seinem Ego, dass er in diesem Monat noch nichts klargemacht hatte, weshalb er aufs Erfolgsrezept des frühen Vogels setzte. Zwei Stunden saß er bereits, vollgepumpt mit zwei Viagrakapseln, an einem Kännchen Kaffee und zögerte, den letzten, kalten Schluck zu nehmen. Dann würde der Kellner mit dem schiefen Auge aufkreuzen und ihn um eine Nachbestellung bitten, die sein Budget um weitere 5 Euro 20 belasten würde. Aber vielleicht wendete sich das Blatt ja doch noch zum Guten, hoffte Toto, als eine hochgewachsene Blondine im besten Alter auf ihn zusteuerte.

Sie mochte vielleicht fünfundvierzig sein und war mit Schmuck schier überladen, während eine übergroße Sonnenbrille den Großteil des Gesichts kaschierte. Allein am selbstbewussten Gang bemerkte Toto, dass es sich um ein Großkaliber handeln musste. So etwas beißt ungern in einen sparsamen Wurm, der bei einem Restschluck Bohnenkaffee hockt, also ließ Toto aus der Laune heraus das Wort Champagner fallen. Der schiefäugige Kellner glaubte zunächst an einen Scherz, doch Toto nickte selbstbewusst und grinste die Blondine an.

»Wenn einem solch ein Sonnenschein entgegenstrahlt, dann muss man darauf anstoßen.« Wie in Zeitlupe strich er über den grauen Dreitage-Bart und leckte seine Kronen ab.

Die Blondine stoppte und starrte durch die dunklen Gläser auf den angefixten Toto. »Haben Sie mit mir gesprochen?«

»Ich habe mir, aufgrund ihrer äußeren Strahlkraft, ein Glas Champagner bestellt. Möchten Sie vielleicht auch eins?« Toto lehnte sich weit aus seinem kleinen Fenster, doch wer nicht investiert, kann nichts gewinnen und die Dame mit der grauen Designertasche wäre eindeutig ein guter Fang.

»Champagner? So früh am Morgen?«, echote die Dame und verzog dabei die aufgespritzten Lippen.

»Es ist nie zu früh für einen prickelnden Start in einen wundervollen Tag.«

»Also gut. Zu Champagner sage ich nicht nein.« Sie setzte sich auf einen freien Stuhl und bemerkte zum ersten Mal Franz Ferdinand, der augenblicklich anfing zu grollen.

»Um Gottes willen, was ist das denn für ein Monster? Und was soll dieses Latexhöschen? Sind Sie ein Perverser oder so was?«

»Oh, das ist Franz Ferdinand. Ich habe ihn aus den Fängen einer kroatischen Hundeschänderbande befreit und bei mir aufgenommen. Die Hose muss er leider tragen, damit er nicht an seinen Wunden leckt.«

»Das ist ja furchtbar!« Die Blondine schaute sich unter den Gästen um, als hätte sie Angst, von jemandem erkannt zu werden.

»Was ist jetzt mit dem Champagner?«, fragte sie resolut nach dem angebotenen Getränk.

Toto winkte den Kellner an den Tisch und erhöhte die Bestellung auf ein zweites Glas. Er war gerade dabei, sein Freizeitbudget für einen ganzen Monat durchzubringen, doch die Dame machte einen bereitwilligen Eindruck und zwei Gläser Schampus waren günstiger als eine Nacht im Saunaclub.

»Sie sehen aus wie eine Schauspielerin. Habe ich Sie vielleicht schon mal im TV gesehen?« Toto setzte auf die Hollywood-Eröffnung, wie er seine eigene Erfolgsmasche gern nannte.

»Und Sie sehen aus wie ein schmieriger Trickbetrüger. Habe ich Sie vielleicht schon mal auf einem Fahndungsfoto gesehen?«, kam es schonungslos von der Blondine, die in ihrer Handtasche nach einer Schachtel Zigaretten kramte. »Hören Sie. Ich trinke mit Ihnen jetzt ein Glas Champagner, weil man Champagner niemals ablehnt. Und dann bin ich weg. Hier läuft nichts zwischen uns, falls Sie das im Sinn hatten.« Die Blondine steckte sich eine Marlboro zwischen ihre roten Lippen und machte gierig einen Zug.

»Also, wo denken Sie hin …«, holte Toto aus und wurde gleich schon wieder unterbrochen.

»Ich kenne so Vorstadtganoven wie Sie nur zur Genüge. Keine Kohle auf dem Konto und auf der Suche nach einem warmen Nest zum Reinlegen. Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse, Freundchen.« Sie redete sich in einen Rausch, während der Kellner zwei Gläser mit Champagner brachte, die nicht mal halb gefüllt waren. »Ich bin Immobilienmaklerin und kann echtes Geld schon aus der Ferne riechen. Und bei Ihnen stinkt es nur nach diesem Köter.«

»Ja, das ist leider ein Problem. Es muss an seiner Vergangenheit bei diesen Hundeschändern liegen. Trotzdem Prost«, stotterte Toto.

»Ja, Prost!« Die Blondine leerte das Glas in einem Zug und bestellte sogleich Nachschub.

»Glauben Sie mir. Die letzten zwei Kerle, die mich vor den Traualtar gezerrt haben, habe ich ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Der eine hat sich kurz danach erhängt, der andere kriegt bis heute keinen Fuß mehr auf den Boden«, kokettierte die Blondine mit Trophäen, während Toto eingeschüchtert an dem Schampus nippte, um ja nicht zu viel aufzunehmen.

»Das klingt nach einem bewegten Leben …«

»Bewegt ist untertrieben. In meinen jungen Jahren bin ich auf Typen wie Sie reihenweise reingefallen und mit jedem halbwegs talentierten Liebhaber ins Bett gestiegen. Doch warum sollte ich es diesen Kerlen einfach machen? Hm?«

»Weiß nicht«, stammelte Toto.

»Ja, weiß nicht. Das hat Joachim auch immer gesagt. Weiß nicht mehr ein, weiß nicht mehr aus. Weiß nicht, warum ich dich geheiratet habe. Joachim ist der, der sich …« Die Blondine formte mit der Hand eine Schlinge um ihren Hals und tat so, als würde sie sie nach oben ziehen.

»Ach der …«

»Exakt! Noch besser war Adriano, der natürlich gar nicht Adriano hieß, doch das habe ich erst später spitzgekriegt. Den habe ich im großen Stil auffliegen lassen. Er hatte einen Autosalon nicht unweit von der Kö und immer schön am Staat vorbeigewirtschaftet. Jeden Monat fuhr der Typ ein neues Cabrio, um am Anfang mir und später seiner vierundzwanzigjährigen Sekretärin zu imponieren. Ich habe seine Fehlzeiten daheim genutzt, um fleißig Belege abzuknipsen und Schwups, war ich um eine halbe Million Euro reicher und Adriano nur deshalb nicht im Knast, weil ich das Herz am rechten Fleck habe. Ich habe ihm sogar noch eine Einzimmerwohnung in Oberbilk vermittelt.«

»Da hat er aber Glück gehabt«, seufzte Toto, während die Blondine auch das zweite Glas in einem Zug herunterspülte.

»Das können Sie laut sagen. Übrigens, von Champagner bekomme ich immer Kohldampf. Die Karte bitte«, johlte sie in Richtung Kellner, der Toto irritiert auf seinem schiefen Auge ansah, so als wolle er eine Anzahlung verlangen.

Die Blondine flog mit ihrem Zeigefinger stilsicher über die exklusive Karte und entschied sich schließlich für einen Hummercocktail zum stolzen Preis von 24,90 Euro. Dazu noch ein weiteres Glas Champagner, das Toto dankend ablehnte, da seins noch gut gefüllt war.

»Ich bin übrigens die Gabriele, kurz Gabi.«

»Sehr erfreut, Gabi.« Toto nickte gequält, behielt den eigenen Namen jedoch für sich.

Die Blondine schien das nicht zu interessieren, sondern legte gleich schon wieder los. »Erst letzte Woche hat mich so ein Möchtegern-Casanova angesprochen und so getan, als wäre er ein Adeliger, der eine Immobilie auf den Balearen sucht. Das sind mir eindeutig die Liebsten. Gut, habe ich gedacht, wenn du so vermögend bist, dann lassen wir es richtig krachen. Wir waren zum Dinner in diesem schicken Lokal im Medienhafen, wo man auf Sand sitzt wie am Strand von St. Tropez. Danach sind wir in die Bar vom Hyatt Regency und dann noch in den Schickimicki-Club zum Zappeln. Da habe ich ihn gebrochen und er ist weinend über der Rechnung zusammengesunken. Klein mit Hut war er am Ende und gestand mir ein mageres Reihenhaus. Nicht mal an der Ecke, sondern mittendrin, wo die Nachbarn alles mitbekommen. Können Sie sich das vorstellen?« Die Blondine schaute sich hektisch nach dem Kellner und ihrer Bestellung um. Anscheinend ging es ihr nicht schnell genug.

Toto nutzte den Moment, um Franz Ferdinand zu treten, der daraufhin laut wimmerte.

»Was hat denn dieser Köter nur?« Gabi zog genervt die Nase hoch und schob das Bein zur anderen Seite.

»Ist sicher nur ne Wurst, die rausmuss.« Toto zog die Serviette unter dem Champagnerglas hervor und faltete sie auseinander.

»Sie wollen Ihren Hund doch nicht etwa hier an Ort und Stelle …?«

»Sie haben recht. Vielleicht gehe ich kurz um den Block und Sie warten hier auf meine Rückkehr. Bestellen Sie sich einfach noch ein Glas Champagner.« Toto stand auf und beeilte sich, um nicht vom Kellner überrascht zu werden. Er winkte Gabi förmlich zu, als würde es nur zwei Minuten dauern und verschwand hinter der Ecke, wo sein altgedientes Z3 Cabrio geparkt war.

Er würde das Revier nach diesem Vorfall wechseln müssen, doch in Anbetracht des ausnehmenden Wesens und der zu erwartenden Rechnung, war alles besser als die Fortführung der Unterhaltung. Er war auf einen übermächtigen Gegner gestoßen und Toto musste eingestehen, dass die Kö allmählich außerhalb seines Budgetrahmens lag. Er würde zukünftig in die kleinen Dörfer fahren müssen, wo der Kaffee 1,50 € kostet und die Damen noch auf Unterhaltung aus sind. Toto drehte am Zündschlüssel des BMW und drückte auf das Gaspedal, um möglichst schnell hier wegzukommen.

Es miefte in der Wohnung, was am Döner lag, den er sich gestern Abend mit Pommes frites gegönnt hatte. Toto riss die Fenster auf und starrte auf die gegenüberliegende Häuserzeile, deren Fassade genauso tiefe Furchen aufwies, wie sein ganzes Äußeres. Er war alt geworden und fühlte sich verarscht vom Leben. Seine Frau Rosa hatte sich vor zwanzig Jahren von ihm scheiden lassen und die Kinder Peter und Kerstin ließen sich schon lange nicht mehr bei ihm blicken. Sie hatten ihn aus ihrem Leben ausgeklammert und riefen nur sporadisch an, wahrscheinlich um zu testen, ob er überhaupt noch lebte. Dass es nichts zu erben gab, wussten sie spätestens, nachdem ihre Mutter mit dem bisschen Hab und Gut die Reißleine gezogen hatte. Die Gabi würde das sicherlich verstehen können, musste Toto an seine flüchtige Bekanntschaft denken, die jetzt vor seiner Rechnung saß und höchstwahrscheinlich fluchen würde.

Toto ging die drei Umschläge durch, die er aus dem Briefkasten gefischt hatte und blieb bei einem schwarzumrandeten Kuvert hängen, auf dem sein Name schwungvoll draufgeschrieben stand. Wie kaum anders zu erwarten, war es eine Einladung zu einer Trauerfeier und damit schon die dritte im letzten halben Jahr. Die Schlinge um den Hals zog sich wieder mal ein Stückchen fester zu, ganz als hätte sich ein Fluch auf seine Bekanntschaften gelegt. Wir werden langsam alle abgeholt, befürchtete Toto, und der Gedanke jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Er war eindeutig zu jung, um unter einem Grabstein zu verrotten, und er fühlte sich vom Schicksal ungerecht behandelt. Was war mit all den Träumen, die er als junger Mann gehabt hatte? Nach Amerika wollte er gehen, erfolgreich wollte er sein, eine hübsche Frau und zwei gebildete Kinder wollte er haben. Stattdessen lebte er wieder in der Wohnung seiner verstorbenen Eltern, hatte notorisch keine Kohle, war geschieden und die Kinder wollten nichts mehr von ihm wissen. Und das Schlimmste war, dass er es ihnen nicht einmal verübeln konnte. Treue war nicht gerade seine Stärke und mit Kindern konnte er nicht wirklich etwas anfangen. Alles Jammern hilft nichts, grummelte Toto zu sich selbst und öffnete das Kuvert.

Stefan Pelzer, geboren am 24. April 1953, verstorben am 8. September 2023.

Ein alter Schulfreund, den er lange nicht gesehen hatte und nun auch nie mehr wiedersehen würde. Trotzdem musste Toto schlucken, mehr wegen seiner eigenen Sterblichkeit als wegen dieses Großkotzes Stefan Pelzer, der schon als Kind verhätschelt worden war und die Firma seines Vaters übernehmen durfte. Eigentlich hatte Toto keine Lust auf ein deprimierendes Begräbnis, doch vielleicht war es die Gelegenheit, ein paar alte Freundinnen zu sehen. Schließlich gab es im Anschluss an die Trauerfeier ein Kaffeekränzchen im Café Rosenheim am Bunten Garten, was kein schlechter Ort für ein Revier war, nachdem die Kö auf absehbare Zeit tabu sein würde. Toto zückte das Handy und suchte nach einer Nummer, die er lange nicht gewählt hatte.

Kapitel 3

»Stefan Pelzer? Was habe ich mit dem zu tun?« Martin ärgerte sich darüber, dass er ans Telefon gegangen war. Thomas Tormann, den sie damals Toto nannten, hatte ihn angerufen und auf dem falschen Fuß erwischt. Heute war sein Hochzeitstag und er wollte in Erinnerungen schwelgen und nicht den nächsten Todesfall serviert bekommen.

»Na ja. Er ging in unsere Schulklasse«, versuchte Toto, eine Brücke zu bauen, die Martin nicht begehen wollte.

»Und wenn schon! Keine drei Sätze habe ich mit dem gesprochen.«

»Aber wir zwei haben doch den ganzen Tag gequatscht und so einiges erlebt.«

»Aber du bist doch nicht tot, Toto.«

»Wir könnten uns mal wiedersehen und auf die alten Zeiten anstoßen. Du kannst deine Frau mitbringen. Wie hieß sie gleich noch mal?«

»Liliane.«

»Ja, genau. Kommt doch mal wieder an den Niederrhein, und wenn ihr keine Lust auf die Beerdigung habt, dann gehen wir direkt zum Kaffeekränzchen.«

»Liliane ist tot!«

»Oh, das tut mir leid. Doch sieh es positiv, so können wir den alten Flammen hinterherschauen. Vielleicht kommt Frederike, in die du damals ganz verschossen warst.«

»Nein, ich komme nicht. Und ich will weder eine alte noch eine neue Flamme treffen. Toto, ich werde bald sterben und dann war es das für mich.«

»Oh, mein Gott, Martin. Bist du krank? Hast du Krebs?«

»Nein, aber Liliane ist vor einem halben Jahr gestorben und es gibt nichts, was mich noch auf Erden hält. Mein Name steht schon auf dem Grabstein.«

»Du warst schon damals so ein Spießer. Lass das Grab noch ein Weilchen zu und genieße das Leben.«

»Das Grab ist zu!«

»Umso besser. Und jetzt setz dich in den Zug und komm nach Mönchengladbach, wo ich dich vom Bahnhof abholen werde. Das wird ein Riesenspaß.«

»Was wird ein Spaß? Die Beerdigung?« Martin schüttelte innerlich den Kopf. »Toto, ich lege jetzt auf und wünsche dir ein schönes Leben.«

»Wenn du auflegst, sage ich es deiner Eliane.«

»Hast du nicht zugehört? Sie ist tot und sie hieß Liliane, nicht Eliane.«

»Vielleicht ist sie das. Aber sie hätte sicher nicht gewollt, dass du in deiner Wohnung vor dich hinvegetierst. Sie hätte so jemanden wie den guten alten Toto angerufen, um dich aus deinem Schneckenhaus zu holen.«

»Ich denke nicht, dass sie das getan hätte. Zumindest hätte sie nicht deine Nummer eingetippt. Ich lege jetzt auf, Toto, und bitte lass mich ab sofort in Ruhe.«

Martin drückte auf das rote Telefonsymbol und schaltete das Handy auf stumm. Was erlaubte sich dieser Toto eigentlich? Über fünfzehn Jahre hatten sie sich weder gesehen noch gehört und jetzt sollte er zur Beerdigung eines unbekannten Schulkollegen fahren? Liliane hatte Toto damals durchschaut, als sie ihn zufällig bei einem Besuch in Mönchengladbach getroffen hatten. Als windigen Vogel hatte sie ihn bezeichnet und er, Martin, solle froh sein, dass der Kontakt seit vielen Jahren abgebrochen war. So ein Typ nimmt dich aus und lebt auf anderer Leute Kosten, war ihre Meinung und Martin konnte ihr kaum widersprechen. Toto hatte schon als Jugendlicher eine große Klappe gehabt, die ihm oftmals eine Tracht Prügel oder Ärger mit dem Lehrer und der Polizei beschert hatten. Seine Mutter war Putzfrau, der Vater lebte von Gelegenheitsjobs auf den Feldern, sodass Toto immer etwas am Laufen hatte, um sein Taschengeld selbst zu verdienen. Meist waren es kleine Diebstähle, die zu Zeiten nach dem Krieg nicht wirklich ungewöhnlich waren. Sie hatten alle hin und wieder etwas mitgehen lassen, doch Toto hatte daraus ein Geschäftsmodell gemacht, das ihm ein monatliches Einkommen von bis zu 50 D-Mark gesichert hatte. Dabei verkaufte er Klamotten, die ihm nicht gehörten und verscherbelte Süßigkeiten und Gemüse, das er kurz zuvor im Supermarkt gestohlen hatte. Nach ein paar Verweisen und einem zweiwöchigen Besuch im Jugendheim ließ er schließlich davon ab, doch ihre Freundschaft hatte dadurch Risse bekommen.

Nach der Schule hatten sie sich aus den Augen verloren und als Martin seine Liliane ehelichte, führte der Umzug nach München dazu, dass er kaum noch in die alte Heimat fuhr. Einmal im Jahr ließ er sich blicken, um die Eltern zu besuchen und später in einer Grabeskirche zu bestatten. Das Rheinland ist nicht meins, hatte Liliane stets betont, die in Miesbach aufgewachsen war und für nichts und niemanden ihre bayerische Heimat aufgegeben hätte. Martin war es recht gewesen, denn er liebte München und er liebte die Nähe zu den Bergen und zum Gardasee, wo er mit Liliane regelmäßig übers Wochenende hingefahren war.

Doch das letzte Mal war lange her, denn Liliane hatte fünf Jahre gegen den Krebs gekämpft, um am Ende kraftlos und erschöpft zu kapitulieren. Seitdem lebte er allein in der großzügig geschnittenen Wohnung im Stadtteil Schwabing und vegetierte in der Tat ein bisschen vor sich hin. Kein Tag verging, ohne dass er nicht den Weg zum Friedhof gegangen wäre und kein Tag verging, ohne dass er sich nicht den eigenen Tod herbeigewünscht hätte. Und jetzt kam dieser Hallodri Toto aus der Vergangenheit daher und wollte ihn aus seinem Rhythmus bringen. Martin pflegte einen minutiös geplanten Tagesablauf, der keinen Anflug von Spontanität erlaubte. Außerdem, wie sollte er so kurzfristig an ein Zugticket gelangen? Wer würde das Grab pflegen, während er auf Reisen war? Da sie keine Kinder hatten, war niemand da, der sich um seine Pflichten kümmern würde. Martin war allein und das war gut so. Er würde nicht nach Mönchengladbach fahren und zur Beerdigung von diesem Stefan Pelzer fahren, genauso wenig wie er mit Toto etwas trinken gehen würde. Er hatte damit abgeschlossen. Basta!

Das Handydisplay leuchtete auf und zeigte an, dass eine WhatsApp eingetroffen war. Sicherlich die Wandergruppe der Pfarrgemeinde, in der Liliane jahrelang aktiv gewesen ist, bevor sie nicht mehr gehen konnte. Alle Nase lang schickten sie ihm Nachrichten über anstehende Wanderungen, die er regelmäßig ignorierte. Martin hatte keine Lust, mit alten Schachteln um den Tegernsee zu kriechen, um anschließend mit der miefigen Oberlandbahn zurückzufahren. Doch die Nachricht war nicht vom Wanderverein »Die Silberdohlen«, sondern von Toto, der eine wahre Abhandlung verfasst hatte.

»Ich weiß, dass du dir das Hirn zermarterst, ob du kommen oder bleiben sollst. Das hast du früher schon getan. Also setz dich in den Zug und komm vorbei. Denk an deine Lili. Die hätte es so gewollt. Bussi Toto.«

Lili? Damit hatte Toto endgültig den Bogen überspannt und Martin würde nicht mal mehr ein Wort mit diesem Schwätzer reden. Niemand hat jemals Lili zu seiner Liliane gesagt, selbst Martin hätte sich das nicht getraut. Zudem war seine Entscheidung längst gefallen. Wo sollte er auch übernachten? Außer einem Cousin, zu dem er keinen Kontakt mehr pflegte, lebte keine Verwandtschaft mehr in seiner alten Heimat, und die Hotels waren eine Katastrophe. Schon wieder leuchtete das Display auf:

»Ich kann dich förmlich sehen, wie du auf und abläufst. Gib dir einen Ruck! Roswitha und Frederike kommen auch. Vielleicht sogar der Rüde. Wir könnten die alten Zeiten aufleben lassen …«

Die alten Zeiten? Mit denen hatte er längst abgeschlossen, grummelte Martin vor sich hin und öffnete den Vorratsschrank im Korridor. Er starrte auf die Reisekoffer, die Liliane mit Plastikfolie fest versiegelt hatte, damit sie vor den Motten sicher waren. Er vermisste ihren Elan und das positive Gemüt, mit der sie bis zu ihrem Ende Reisepläne geschmiedet hatte. Es würde Stunden dauern, den Koffer von all dem Plastik zu befreien und überhaupt, was sollte er einpacken? Liliane hatte sich immer um alles gekümmert und er brauchte am Ende nur den Reißverschluss herumziehen und das Zahlenschloss verdrehen. Martin spürte, wie ihn die Erinnerungen einholten, und er wollte die Schranktür gerade schließen, als das Smartphone wieder brummte. »Ist ja gut, du Quälgeist«, rief er in die leere Wohnung hinein und griff nach einem Koffer.

Kapitel 4

Toto blickte auf seine goldene Rolex, die er vor drei Jahren auf dem großen Basar in Istanbul einem Straßenhändler abgekauft hatte. Fünfzig Euro hatte ihn das gute Stück gekostet, samt einer Zusatzbatterie, die immer noch verpackt in einer Küchenschublade auf den Einsatz wartete. Ein wenig von dem imitierten Gold war bereits abgeplatzt, doch in Anbetracht der Strahlkraft, hatte sich der Kauf gelohnt.

Jetzt tigerte er auf dem Bahnsteig unruhig auf und ab und starrte abwechselnd von der Anzeigetafel auf die Armbanduhr. Der Zug hatte zehn Minuten Verspätung, was bei einer Reisezeit von gut sechs Stunden sicherlich nicht ungewöhnlich war. Toto hatte sich in eine Slim-Fit-Jeans gezwängt und die verbliebenen Haare mit Pomade kräftig eingefettet. Er liebte diesen Look, der ihn ein wenig wie einen Lebemann aussehen ließ, auch wenn seine Ex-Frau stets betonte, dass sie die Kombination aus hoher Stirn und grauen Locken an einen Zuhälter erinnerte. Mit einem ohrenbetäubenden Quietschen kam die Regionalbahn aus Düsseldorf zum Stehen und spuckte ein paar Passagiere aus, die eilig Richtung Ausgang liefen. Nicht viele um die späte Mittagszeit, doch ganz am Ende entdeckte Toto seinen Gast, der ein wenig hilflos nach ihm Ausschau hielt. Er eilte ihm entgegen, um auf den letzten Metern abzubremsen.

»Martin?«

»Toto …« Die Begrüßung klang nüchtern und genervt.

»Du siehst gut aus, Martin. Anders, aber gut. Wie ein Politiker.«

»Und du siehst immer noch so aus wie früher«, grummelte Martin.

»Das fasse ich mal als Kompliment auf.« Toto öffnete die Arme, um Martin fest zu drücken, doch der schüttelte den Kopf und bewegte sich in Richtung Ausgang.

»Bringen wir es hinter uns«, kam es trocken und Martin wechselte den Koffer von der rechten in die linke Hand.

»Der hat Rollen«, bemerkte Toto.

»Nicht für mich. Ich habe unsere Koffer immer mit der Hand getragen.«

»Dann wird es Zeit für etwas Neues. Außerdem ist die Beerdigung erst Morgen, von daher haben wir den Rest des Tages ganz für uns allein.«

»Ich muss ins Hotel.«

»Papperlapapp. Du schläfst bei mir. Ich habe extra die Couch für dich hergerichtet.« Toto dirigierte Martin zu dem kleinen Parkplatz, wo er unerlaubterweise einen Taxiplatz blockierte. Für den Fall der Fälle hatte er seinen Ausweis als Privatdetektiv aufs Armaturenbrett gelegt, den er vor zehn Jahren auf einem Fernlehrgang zum Selbstausdruck bekommen hatte.

»Der Koffer passt leider nicht in den kleinen Kofferraum. Aber ich öffne das Verdeck, damit du atmen kannst, während dir dein Gepäckstück auf die Eier drückt.«

»Du fährst immer noch die Friseusenschleuder?« Martin rollte verächtlich mit den Augen.

»Puppenfänger«, korrigierte Toto, »Ich bevorzuge den Ausdruck Puppenfänger, auch wenn Mottenfresser zurzeit besser passt.«

Martin schmunzelte humorlos und fluchte anschließend über den Fahrtwind, der ihm durch die sorgfältig gekämmten Haare wehte.

 

»Hier lebst du?« Martin ging vorsichtig vom Korridor ins Wohnzimmer, als ständen die Räumlichkeiten unter Denkmalschutz. »Das ist doch die alte Wohnung deiner Eltern.«

»Ich fand es praktisch, sie zu übernehmen, zumal sich die Miete in all den Jahren kaum erhöht hat. So was findest du nicht mehr.«

»Hier bleibe ich auf keinen Fall. Einen Kaffee und dann fahre ich ins Hotel.«

»Warte erst einmal ab. Ich habe uns Bier kaltgestellt oder willst du lieber einen Killepitsch?« Toto wollte sich die Wiedersehensfreude nicht verderben lassen und öffnete den Kühlschrank, der bis obenhin mit Bierflaschen gefüllt war.

»Kaffee wäre gut.«

»Kaffee versaut uns nur den Schnitt. Also Bier oder Schnaps mein Freund?«

»Dann ein Bier. Und wir sind keine Freunde. Ich leiste hier nur meine Pflicht und nehme Abschied von jemandem, den ich nicht einmal gekannt habe. Da hast du mich in etwas reingeplaudert …«, stöhnte Martin sorgenvoll, als hätte er etwas Wichtiges dafür sausen lassen.

»Na ja, auf jeden Fall schön, dass du da bist.« Toto öffnete eine Flasche Export und reichte sie Martin, der sie ungelenk entgegennahm.

 

Sie waren bei der jeweils dritten Flasche angekommen, als Martin den Mantel ablegte und die Schnürsenkel der Schuhe öffnete.

»Du kannst Vaters alte Slipper tragen.« Toto holte zwei abgewetzte Sandalen aus dem Schuhschrank und legte sie Martin vor die Füße.

»Nein, danke. Ich will nur etwas lockern, bevor ich mir ein Taxi rufe.«

»Schon klar. Vorher müssen wir noch einmal anstoßen und die nächsten Tage planen. Was hältst du davon, wenn wir nach dem Beerdigungskaffee zum Alten Markt gehen und die alten Kneipen aufsuchen. Ein paar davon gibt es nämlich noch. Selbst das Bienenkörbchen hat es überlebt.«