Die Frau des Wanderpredigers - Linus Lang - E-Book

Die Frau des Wanderpredigers E-Book

Linus Lang

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Beschreibung

Alem, in Äthiopien ärmlich aufgewachsen und mit einem Mann verheiratet, der sich zum Wanderpriester ausbilden ließ. Diese Wanderpriesterschaft bestimmte sein Schicksal und beendete sein Leben. Zurück blieb Alem mit 7 Kindern. Es galt, sich allein durchzuschlagen, als Priesterwitwe war für sie eine Wiederverheiratung ausgeschlossen. Tapfer kämpft Alem für das Durchkommen ihrer Familie und schafft es, alle aus eigenem Anbau zu ernähren. Es verbessert sich die Lebenssituation und es wächst die Zuversicht, dass ihre Kinder ein besseres Leben haben dürfen. Gestärkt durch einen unerschütterlichen Glauben an Gott und durch harte Arbeit schafft sie den Ausstieg aus tiefster Armut. Als vieles sich zum Guten wendet, bricht der Krieg aus, der in seiner Unbarmherzigkeit auch Alems Schicksal besiegelt.

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Seitenzahl: 184

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2023 novum publishing

ISBN Printausgabe:978-3-99130-268-1

ISBN e-book: 978-3-99130-269-8

Lektorat:Mag. Eva Reisinger

Umschlagfoto:Linus Lang; Hecke01 | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen:Linus Lang

www.novumverlag.com

Gedicht

Frauen

sagen nichts

fragen nicht

klagen nicht

Frauen

tragen viel

wagen viel

bereiten viel

leiden viel

Frauen

tragende Säulen der Gesellschaft

nicht verzagen – Frauen fragen

Wann

erhalten die Frauen die Rechte und Menschenrechte, die sie verdienen?

erwacht unsere westlich geprägte Gesellschaft und setzt sich für echte Bedürfnisse von Frauen ein?

Die Frau des Wanderpredigers

Dies ist die Geschichte von Alem, einer äthiopischen Frau und Mutter. Im Norden Äthiopiens in armen Verhältnissen aufgewachsen und dann mit einem Mann aus der Nachbarschaft verheiratet, der sich nebst seiner Arbeit als Bauer zum Wanderpriester ausbilden ließ. Diese „Wanderpriesterschaft“ bestimmte sein Schicksal und beendete sein Leben. Zurück blieb Alem mit vier eigenen und drei angenommenen Kindern. Als Alleinstehende galt es, sich durchzuschlagen, und als Priesterwitwe war für sie eine Wiederverheiratung ausgeschlossen.

Tapfer, mit unermüdlichem Einsatz und unter Inkaufnahme widriger Umstände kämpft Alem für das Durchkommen ihrer Familie und schafft es, alle aus eigenem Anbau zu ernähren und den Kindern Schulbildung zu bieten. Schritt für Schritt verbessert sich die Lebenssituation und es wächst die Zuversicht, dass ihre Kinder einst ein besseres Leben haben dürfen. Diese Hoffnung erlischt aber beinahe, als nach dem Tode ihres Mannes auch noch einer ihrer Söhne stirbt. Dies bringt sie an den Rand der Verzweiflung. Doch sie fasst neuen Lebensmut.

Gestärkt durch einen unerbittlichen Glauben an Gott und durch harte Arbeit kämpft Alem weiter und wird zunehmend als Leitfigur im Dorf und in der Region erkannt und bewundert. Sie schafft den Ausstieg aus tiefster Armut. Doch sie bleibt auf der Suche danach, weshalb sie das Schicksal derart geprüft hat, und ringt um die Frage nach Schuld und Sühne. Als vieles sich zum Guten wendete, brach der Krieg zwischen der Region und der Zentralregierung aus, der in seiner Unbarmherzigkeit auch Alems Schicksal besiegelte.

Vorbemerkung des Autors

Dieses Buch ist ein fiktives Werk auf Grundlage tatsächlicher Begebenheiten. Alle darin erwähnten Personen leben, oder lebten, zu Beginn 21. Jahrhunderts in Äthiopien. Zum Schutz der Protagonisten sind sämtliche Namen geändert. Die Dialoge und Schilderungen der Details sind frei erfunden, basieren aber auf Jahrzehntelanger Erfahrung des Autors in Kontakten mit den Menschen dieser Geschichte und in der Region, wo diese sich ereignet hat.

Der Autor, November 2022

Fußpfade

„Wenn du mir nachher etwas von deinem Feuerholz gibst, trage ich dir die Schulsachen“, rief etwas neckisch der leichtfüßig über den Stolperweg nebenher tänzelnde Sisay seiner Schulkollegin Alem zu, als diese gemeinsam den langen Weg von der Schule nach Hause gingen. Wie immer hatte Alem auch heute wieder jedes Holzästchen, das sie auf dem Nachhauseweg erblickte, aufgelesen und klemmte es unter ihren linken Arm, unter dem rechten Arm die Schulhefte in losem Bündel. Schon seit 10 Jahren hatten sie den gemeinsamen Schulweg, teilweise mit Kindern der Nachbarschaft, nur den letzten Teil ihres Weges gingen sie beide allein. Alem und Sisay genossen diese vertraute Wegstrecke. Nie verlegen um Konversation erzählten sie sich ihre zwar ohnehin schon bekannten Familien- und Erlebnisgeschichten immer wieder, einfach das, was in ihrer kleinen Welt passierte. Sisay, eines der Kinder aus dem benachbarten Kral, war mit seinen 15 Jahren ein aufgeweckter, durch strenggläubige Erziehung anständiger Bursche. Sein zartgliedriger Körper war von der vielen Arbeit und den langen Märschen zur Schule und das Viehhüten athletisch und ein krauses, schwarzes Haar verlieh ihm ein stattliches Ansehen.

„Du kannst mir die Sachen auch so tragen, ich habe dir schon viel geholfen und Wasser geben wir euch auch immer wieder, weil du zu faul bist, selbst welches zu holen“, entgegnete ihm Alem recht selbstbewusst und bestimmt. Gleichaltrig wie Sisay war Alem nicht mehr das kleine Mädchen, das nur gehorchte und sich duckte. Nein, sie war gereift und an der Schwelle vom Kind zur jungen Frau und da galt es, sich abzugrenzen und – bei allem Respekt vor der männlichen Dominanz – die eigene Meinung zu sagen.

Schulweg

„Nun, so gib mir deine Sachen“, lenkte Sisay ein und nach wenigen Minuten erreichten sie den Kral von Alem, wo sie sich blick- und formlos voneinander verabschiedeten und Sisay noch weitere 15 Minuten allein nach Hause ging.

Die in den gemeinsamen Schuljahren gewachsene Vertrautheit zwischen Alem und Sisay glich anfänglich derjenigen guter Kollegen, ja fast Geschwister. Doch mit den Jahren erwuchs eine innere Verbindung, die sich zu einer vertrauten Zuneigung entwickelte und in beiden das Verlangen nach dem andern nährte. Doch darüber wurde nie gesprochen und jede Annäherung hätte einem Bruch mit der so hochgehaltenen Tradition entsprochen. Das hätte sich nicht gehört! Es verband die beiden die familiäre Nachbarschaft, die tiefe Armut beider Bauernfamilien, das Aufeinander-angewiesen-Sein, das sich Aufeinander-verlassen-Können, das gemeinsame Feiern der religiösen Feiertage, das Teilen von Ochsen zum Pflügen, das Teilen von Wasser, das sich in Not gegenseitige Helfen und auch das miteinander Trauern, wenn wieder einmal ein Kind oder ein Großelternteil starb.

Wasser tragen

Für Alem endete mit dem 10. Schuljahr ihre Ausbildung. Ihr Los war die Hausarbeit aus dem immer gleichen Ritual von kochen, Brot (Injera, das äthiopische Fladenbrot) backen, Wasser tragen, Holz sammeln, waschen unten am Fluss, auf Geschwister aufpassen, Kuh-Dung sammeln und trocknen, Mithilfe beim Getreide schneiden und Körner mörsern, den Brüdern mit dem Vieh behilflich sein und dem morgendlichen langen Marsch mit der Mutter zum Gebet in der Kirche.

Normalerweise besuchten sie die einfache Bergkirche, die nach etwa 30 Minuten Fußmarsch zu erreichen war. Nur an speziellen kirchlichen Feiertagen, vor allem aber an Timkat, dem höchsten Kirchenfest (Tauffest) der äthiopisch christlich-orthodoxen Kirche, hieß es, den langen Weg zur Provinzhauptstadt unter die Füße zu nehmen und dort in der schönen Kathedrale diesen Tag in Gemeinschaft mit Tausenden zu feiern. Seit Kindheit war dies für Alem das schönste der Feste und sie fieberte jeweils schon lange vorher darauf hin, wieder Teil dieser Christengemeinschaft zu sein. Alle Frauen in ihren frisch gewaschenen Festtagsgewändern, mit denen sie sich von Kopf bis Fuß in Weiß bedeckten, auch die Männer mit ihren weißen Umhängen, das Umschlagtuch meist zu kunstvollen Turbanen gewickelt, die den Männern ein so würdiges Aussehen verleihen. Und dann die Priester mit ihren brokatgeschmückten farbigen Umhängen, mit ihren Kronen und Kreuzen, die sie trugen, teilweise dabei die Trommeln schlugen und immer wieder Choralgesänge zur Ehrung Gottes sangen. All dies war zauberhaft für Alem und tief beeindruckend. In der Kirche lagen Teppiche am Boden und die Wände waren mit Malereien verziert. Diese alt-biblischen Darstellungen gruben sich tief in Alems Bewusstsein ein: etwa die Engel, die dem gütigen Gottvater-Gesicht entgegen schwebten. Engel zu sehen? Das konnte man zu Hause nicht, da gab es nur die Vögel, die fliegen konnten. Dann aber auch grausame Darstellungen von der Verdammnis, der Hölle. Auch einmal in eine solche Situation zu geraten, war für Alem unvorstellbar und bei jedem Anblick schwor sie sich, gewiss ein gutes Leben führen zu wollen, um niemals in solchem Verderben schmachten zu müssen. Bei diesen Kirchenbesuchen festigte sich in Alem die Gewissheit, dass alles Leben von Gott gelenkt wird. Dass Er den Lebensweg bestimmt und dass Er es in Händen hat, die Zukunft zu lenken. Ja, schon im kindlichen Alter festigte sich in Alem die Überzeugung, dass es im Leben das Gute und aber auch das Böse gibt. Nichts weiter, nichts dazwischen. Dieses christliche Weltbild prägt seither Alems Denken, Fühlen und Tun.

Malerei in christlich-orthodoxer Kirche

Sisay hatte die Chance, zwei weitere Jahre zur Schule gehen zu dürfen, bis er 12. Graduate war. Zwar hatte der lange Schulweg auf dem Pfad, auf dem schon die Ahnen den Weg ins Dorf gingen, viel an Freude verloren, seit er ohne Alems Begleitung war. Doch er war stolz, zu den wenigen zu gehören, die weiter zur Schule gehen durften. Die Zeit vor und nach der Schule galt der Erledigung seiner Pflichten, der Sorge um die wenigen Tiere. Ziege melken, Kuh und Kalb zur Wasserstelle führen. Dabei galt es stets zu schauen, dass es irgendwo ein Büschel Gras oder Zweige von Sträuchern und Bäumen als Nahrung für die Kuh gibt. Nach dem frühen Einbruch der Nacht galt es dann noch, den Kral abzuschreiten und sicher zu stellen, dass nicht irgendwo ein Loch im Dornenzaun einem Wüstenfuchs oder gar einer Hyäne nachts Durchgang böte, um sich zum Lehmhäuschen der Hühner zu schleichen. Auch Sisays Familie war streng gläubig und so galten gelegentliche Kirchenbesuche auch den männlichen Familienmitgliedern. Was Sisay dabei besonders in den Bann zog, waren die Priester. Diese äußerst einfach lebenden, eine große Würde, Ruhe, Sicherheit und Festigkeit ausstrahlenden Männer waren ihm Vorbild und verliehen ihm eine innere Kraft. Hingebungsvoll und ehrerbietig küsste er mit Inbrunst deren Kreuz, in der Gewissheit, dass ihm dadurch alle Verfehlungen vergolten und der Zukunftssegen sicher sei. Diese Innigkeit blieb auch den Priestern nicht verborgen, sie ermunterten ihn immer wieder, doch noch mehr für die Kirche zu tun. Das sollte sich später ergeben.

Zartes Glück der Liebe

„Food for Work“ (Lebensmittelhilfe gegen Arbeitsleistung) nennt sich jenes staatliche Programm, das Bauern verpflichtet, Freiwilligenarbeit zu leisten, wenn sie in den Genuss von ausländischer Nahrungsmittelhilfe kommen wollen. In Gemeinschaftsarbeit werden so Wege gebaut, Hügel und Berghänge terrassiert, um das Überschwemmen der Felder während der Regenzeit zu verhindern, oder das Ausgraben von großen Teichen, um während der Regenzeit Wasser aufzufangen.

Auch die Eltern von Sisay und Alem beteiligten sich an dieser Arbeit, um die Ernährung ihrer Familien mit dem als Kompensation erhaltenen Getreide und Öl überhaupt zu ermöglichen. Während einer Verschnaufpause setzten sich die beiden Elternpaare von Sisay und Alem zusammen an einen Busch, teilten sich Wasser, einige Bohnenkerne und setzten Gespräche fort, die sie schon öfters ansatzweise, doch noch nie zum Ziele führend hatten. „Warum soll die Verheiratung unserer Kinder am traditionellen Brautpreis scheitern?“, begehrte Alems Mutter, Tigist, auf! „Was bringt es, wenn wir unser Schaf gegen eure Ziege tauschen? Wie lange sollen die Kinder noch warten? Wir sind nun mal arm und wir haben nichts, das wir uns gegenseitig geben könnten. Wir wissen aber, dass die beiden eine tiefe Liebe zueinander empfinden und gewiss ein gutes Paar abgeben werden. Und gemeinsam werden wir auch genügend Esswaren zusammenbringen, um die Hochzeit mit einem kleinen Familienfest zu begehen. Das einzige Problem sind neue Kleider, welche das Hochzeitspaar benötigt. Doch wenn wir die Hochzeit auf Januar verlegen, dann können wir etwas vom Getreide verkaufen und beim Schneider etwas Stoff kaufen. Und für das Schneidern werden wir ihm nach der Ernte etwas Korn geben.“ Alle Beteiligten waren froh, so bestimmt vorgebrachte Vorschläge diskutieren zu können. Es schien sich also eine Lösung abzuzeichnen. Doch dann brachte Sisays Vater, Gebrewahid, das Gespräch auf die für das Brautpaar zu bauende Hütte. „Hinten im Wadi, gleich neben dem großen Felsen und etwas oberhalb des kleinen Bächleins, wäre ein schöner Platz, wo wir den beiden eine Hütte erstellen könnten. Das wäre nicht allzu weit von uns entfernt, sie könnten dort die halben Hektare Land nutzen, welches uns vom Dorfältesten schon vor Längerem für unsere Kinder zugesprochen wurde. Die Steine für den Hüttenbau können wir aus dem Fels rausschlagen und für das Dach müssen wir halt jetzt schon beginnen, einige dickere Äste des harten Kossobaums zu sammeln. Und wenn wir uns bald einig werden, können wir schon in der kommenden Regenzeit etwas Zweige vom Kontir-Dornbusch um den Kral einpflanzen, damit dort ein Zaun wächst und das Haus geschützt ist.“ „Wir müssen wieder!“, forderte Tigist auf – und beendete damit die Diskussion. Es war aber allen klar, dass man nun wusste, wie es weitergehen sollte. Wie üblich in der kleinen Erlebniswelt im abgelegenen Tigray wurde die anstehende Hochzeit noch oft diskutiert, besprochen, geschwätzig abgewogen, ja es gab eine Fülle von Gesprächsstoff, der in den folgenden Wochen das Leben dieser beiden Familien auf schöne Art belebte. Bald auch schon begann man, gemeinsam Steine zu sammeln, sie zurecht zu schlagen und als die Ernte fertig und das Getreide gedroschen war, begannen die beiden Väter der Brautleute, das künftige Haus zu bauen. Ein Steinhaus mit weniger Quadratmetern Fläche, eine Öffnung als Türeingang, den Boden mit lehmigem Sand glattgestrichen und das Dach nach traditioneller Bauart mit Holz und Steinen bedeckt und darüber etwas Humus gestreut, damit dort mit der Zeit Pflanzen Wurzeln schlagen und mit ihrem Wurzelwerk die Sonneneinstrahlung dämmen.

Das Haus im Wadi

Als Schlaf- und Sitzgelegenheit im Raum wurden an drei Wänden Lehmblocks gebaut, zwei, auf denen sich, geschützt durch Felle oder getrocknete Häute, sitzen und schlafen ließ, ein Block diente als Lager für Wasserkrug, Getreide, Samen und die wenigen Gerätschaften, die man für den Anbau benötigte. Wenige Meter neben der Hütte wurde eine offene Kochstelle aus Steinen und Lehm gebaut und gebrannt, wo das Brautpaar künftig Feuer machen und kochen konnte. Schränke und Gestelle gab es nicht, die wenigen Habseligkeiten wurden in Stoffbündeln aufbewahrt.

Gleich neben dem Steinhaus bauten sie aus Lehm und Holz eine Hütte, in welcher künftig Hühner oder Ziegen gehalten werden sollten und allerlei Material aufbewahrt werden konnte.

Hochzeit

Hochzeiten finden in Äthiopien bevorzugt im Mai oder dann am Ende der großen Regenzeit, im September, gleichfalls zu Beginn des neuen Jahres nach Julianischem Kalender statt. Dies ist die Zeit der Blüte, die Zeit des Grün, die Zeit der Hoffnung. Das vor der Regenzeit ausgesäte Getreide, durch das Nass während der Regenzeit begünstigt, keimt und sprießt überall. Felder, die während der mehrmonatigen Trockenzeit gelb-braun, bis auf die Wurzeln abgedorrt der sengenden Sonne ausgesetzt sind, beginnen zu grünen, es blüht die Meskel-Blume, die Nationalblume Äthiopiens. Eine schöne gelbe Blume, die während einiger Wochen Wiesen, Wegränder, Berghänge und Hügel in ein leuchtendes Gelb verwandelt.

Auch die Hochzeit von Sisay und Alem wurde auf einen Sonntag nach der Regenzeit festgelegt. Doch vorher noch musste der Tradition entsprechend Alem einen Monat im Haushalt des Bräutigams arbeiten und wurde dort von Sisays Mutter, Lete, in ihre künftigen Pflichten als Frau und Mutter eingeführt. Da man sich als Nachbarn gut kannte und vertraut war, stellte diese Zeit für Alem keine besondere Herausforderung dar. Im Gegenteil, die tägliche Nähe zu Sisay machte sie glücklich und ihr sonniges Wesen gewann einen neuen Ausdruck tiefer, reifer Liebe. Gewiss gab es für Sisay und Alem den Drang nach gegenseitiger Nähe und auch hie und da von Dritten unbeobachtete Momente. In solchen stieg das Verlangen nach körperlicher Berührung und Zärtlichkeit so stark, dass es nicht immer leicht war, sich der gegenseitigen Hingabe zu verschließen. Doch das über alles hochgehaltene und von beiden respektierte Keuschheitsgelübde beschränkte die körperlichen Kontakte auf Streicheleien, sich aneinanderdrücken und zögerliches Küssen.

Da Alem die Aufgaben einer Hausfrau schon von zu Hause her zur Genüge kannte, fiel es ihr auch leicht, ihrer künftigen Schwiegermutter bei allen Hausarbeiten zu dienen. Sie durfte viel Lob ernten, und spürte, wie sie von Lete wie eine eigene Tochter angenommen und behandelt wurde. Am liebsten begleitete Alem ihre Schwiegermutter auf den Markt. Sie trug ihr das zum Verkauf bestimmte Holz und hatte immer in der mitgetragenen Kalebasse etwas Wasser bei sich für beide. Vom Erlös aus Holz, Eiern und hie und da etwas Bohnen wurde Salz und Zucker, vereinzelt auch etwas Stoff für Kleider der Kinder gekauft. „Hier, schau, Alem, es reicht noch für diesen Kochtopf, den wirst du in deinem Haushalt gebrauchen können“, sagte Lete, nachdem sie eine Auswahl gründlich begutachtet und mit dem Verkäufer über den Preis gefeilscht hatte. So häuften sich im Verlauf dieser Marktbesuche einige Haushaltungsgegenstände an, die nun Alem gehören durften. Wie sie Sorge dazu trug!

Die Bergkirche

Die standesamtliche Vermählung beschränkte sich auf das Abholen der zwei neuen Identitätskarten auf der Administration des Bezirkshauptortes und den Eintrag der Unterschriften in ein Zivilbuch-Register. Anders die kirchliche Hochzeit! Diese fand in der kleinen Bergkirche statt. Diese auf einem kleinen Hügel, umgeben von kühlen Bäumen, Sträuchern und Gebüsch, majestätisch über das Tal sich präsentierende Kirche mit ihrem weit sichtbaren grünen Kupferdach war seit jeher Hort des Friedens, Stätte der Einkehr, Bitt- und Betstelle und ein, wie Alem überzeugt war, geheiligter Ort. Bei dieser Kirche fand sich die kleine Hochzeitsgesellschaft ein, um den priesterlichen Segen der Vermählung und die Sakramente zu empfangen.

Für Alem war es ein überwältigender Tag. Alle ihre Familienmitglieder in ihren weißen Umhängen, die Frauen und Mädchen in liebevoller Pflege die Haare frisch gekämmt und mit etwas Butterfett glänzend gestrichen, die Mütter mit vergoldeten Ohrringen und mit Henna ihre Kreuze auf der Stirn neu bemalt, am Hals ein schwarzes Leinenband mit silbernem Kreuz daran hängend. Die Männer mit ihren weißen Umhängen, jeder seinen Stock oder seinen alten Karabiner oder aus kürzlichen Kriegszeiten die Kalaschnikow als Symbol der Männlichkeit über die Schultern gehängt, die Kinder mit leichten, bunt bemalten Sommerkleidchen und allerlei farbigem Firlefanz verziert. Was für ein Tag!

„Kommt, die Priester warten“, rief Gebre, Alems Vater, in die fröhliche, laut diskutierende, gestikulierende und aufgeregte Menge! „Und die Sonne steht schon hoch, wir müssen dies hinter uns bringen und uns nachher auf den langen Rückweg machen, also, kommt schon!“ Dem Aufruf dieser Respektsperson folgend hatte etwa die Hälfte der Anwesenden in der kleinen Kirche Platz, die andern versammelten sich davor. Mit Choralsprüchen, kurzen Gesängen und begleitet vom dumpfen Schlag einer Trommel begann die Zeremonie der kirchlichen Trauung.

Hochzeitszeremonie

Alem, die noch nie im Mittelpunkt gestanden hatte, nahm all das Geschehen um sich wie halb in Trance wahr. Sie konnte die Gedanken nicht auf das konzentrieren, was die zwei mit langen Stolas und den farbigen Brokatschirmen geschmückten Priester sagten, nur bruchstückhaft nahm sie es auf. Zu verwirrt war sie, zu abgelenkt vom Außerordentlichen, das ihr hier geschah. Nein, auch weinen, wie es ihr einige Kolleginnen vorausgesagt hatten, konnte sie nicht. Einige der Sätze der Priester jedoch prägten sich tief in ihr ein. „… bis dass der Tod euch scheidet“, oder „… in Anfechtungen nur Gott anrufen, er wird euch den Weg zeigen“. Später nachdenken wollte sie über den Satz „Gebt Gott, was Gott gehört, und den Menschen, was den Menschen gehört“. Was sollte sie, die ja nichts hat, dann geben? Das verstand sie nicht. „So küss das Kreuz Gottes und gelobe, ein Leben in Zucht und Gottesfurcht zu leben“, forderte sie der Hauptpriester auf und hielt ihr das große silberne Axum-Kreuz hin. Sie berührte es mit den Händen, küsste es innig und lang und schwor sich, so zu leben, wir ihr jetzt geheißen. Fast erleichtert löste sie sich vom Kreuz und wusste, jetzt war sie gesegnet.

Priester mit dem silbernen Kreuz

Für Sisay war das Faszinierende bei der Hochzeitszeremonie das Wirken der Priester. Diesen für ihn fast als Halbgötter verehrten Männern so nahe zu sein, von ihnen direkt angesprochen zu werden, ihr würdevolles Handeln zu begleiten, in ihre zerfurchten, vom Leben geprägten Gesichter mit ihren klaren, tiefschwarzen Augen zu blicken, war für ihn ein ganz tiefes Erlebnis. Was für Kräfte gingen doch von diesen Priestern aus! Welche Macht hatten sie, Schlechtes abzuwenden und Gutes zu bewirken! Wie viel Weisheit, Wissen, Erfahrung strahlten diese Männer doch aus! Aus dem Sinnieren und Staunen erwachend, nahm er des Priesters Worte wahr: „So sei Alem dir als Frau zugetan, du wirst sie führen, schützen und begleiten und sie wird dir Kinder schenken, die dein Geschlecht in die Ewigkeit tragen werden. Sei ihr ein guter, strenger Mann und lebt zusammen mit euren Kindern den Weg des Glauben.“ Das war es also: Jetzt war er aufgerufen, eine neue Rolle zu übernehmen. Ja, nur zu gerne hörte er diese Worte und war auch ganz überzeugt, dass er genau so leben würde.

Zum Abschluss der Hochzeitszeremonie überreichten die Priester Alem und Sisay eine Kurzfassung des Alten Testamentes sowie eine langgezogene, gelbe Wachskerze als Zeichen des Lichtes. Noch einige Zeit dauerte es, bis die Priester alle Anwesende einzeln gesegnet und die Gesellschaft verabschiedet hatten.

In der Hitze des frühen Nachmittags begab sich die Hochzeitsgesellschaft auf den Rückweg nach Hause, zu ihrem streusiedlungsartig gelegenen Kral. Doch zuerst galt es, das jetzige Zuhause von Sisay und Alem aufzusuchen und dort bei einer ausdehnten Kaffee-Zeremonie zu feiern. Die Mütter der Brautleute hatten diese vorbereitet, den Kaffee, Zucker, Mais und Weihrauch schon den ganzen Tag in einem Bündel mitgetragen und schon am Tage vor der Hochzeit dort genügend Holz für das Feuer bereitgelegt und auch einen Kanister Wasser deponiert.

Die Coffee-Zeremonie

Im angenehmeren Schatten der großen äthiopischen Schirmakazie setzten sich die Erwachsenen, während die Kinder überall herumtollten und spielten. Die beiden Mütter kauerten je auf einem Stein, vor sich den Kaffee auf dem Feuer und immer beschäftigt. Der siedende Kaffee, zusammen mit dem auf den Holzkohleresten zerschmelzenden Weihrauchsplittern verbreitete einen herrlichen Geruch über den ganzen Kral und genüsslich trank jeder seine obligaten drei Tassen Kaffee.

„So, nun ist es aber Zeit, zu gehen, wir müssen zu Hause noch die Ziegen tränken und wir wollen das neu vermählte Paar nun allein lassen“, rief Tigist zum langsamen Aufbruch. „Den verbleibenden Kaffee und Zucker lassen wir hier, wir kommen morgen nochmals mit anderen Verwandten. Das werden wir morgen mit diesen trinken und ich werde dann auch etwas Brot mitnehmen.“ So endete die bescheidene, herzliche Hochzeitsfeier. Mit den Segenswünschen der Mütter und dem einen oder andern Hinweis der Väter an Sisay über die ihm nun – in jeder Beziehung – obliegenden Pflichten verabschiedete sich die Gesellschaft formlos.

Zueinander gefunden: Alem und Sisay

Zurück blieben Alem und Sisay. Beide sehr müde, beide sehr, sehr glücklich, nun ein Paar zu sein und gemeinsam die Zukunft anzugehen. Noch lange verweilten sie unter der kühlen Akazie, vereinigten sich in innerer Liebe und erst spät abends legten sie sich in ihrer Hütte müde und erschöpft auf ihre Lehmliegen.

Glück im Wadi