Die Frau, die nicht lieben wollte - Stephen Grosz - E-Book

Die Frau, die nicht lieben wollte E-Book

Stephen Grosz

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Beschreibung

Der weltbekannte Psychoanalytiker Stephen Grosz offenbart in seinen literarisch verdichteten Fallgeschichten »Die Frau, die nicht lieben wollte. Und andere wahre Geschichten über das Unbewusste« die unbewussten Beweggründe unseres alltäglichen Handelns. Wie Iris Berben sagt, »da geht es um Liebe und Lügen, Veränderungen und Anfänge, also das ganze Spektrum des Lebens. Das ist anrührend und merkwürdig zugleich.« Grosz hat über 50 000 Stunden Therapiegespräche geführt und nun die Essenz gezogen: Er erzählt von Angst, Liebe, Leidenschaft und Trauer und wie wir Menschen uns verlieren und verfehlen können. Doch die Kraft der Worte helfen uns auch, uns wiederzufinden. Jedes Mal wenn Amanda nach Hause kommt, glaubt sie, dass ihre Wohnung in die Luft fliegt. Graham langweilt wirklich jeden in kürzester Zeit. Daniel verliert seinen Geldbeutel und will es nicht wahrhaben: In den Merkwürdigkeiten unseres Verhaltens zeigt sich das Unbewusste. Dort liegen unsere Probleme verborgen. »Diese brillante Mischung aus beharrlicher Detektivarbeit, bemerkenswertem Mitgefühl und reinster, unendlicher Neugier für die Eigenheiten des menschlichen Herzens macht diese Geschichten so vollkommen fesselnd.« Sunday Times

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Seitenzahl: 250

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Stephen Grosz

Die Frau, die nicht lieben wollte

Und andere wahre Geschichten über das Unbewusste

Aus dem Englischen von Bernhard Robben

Fischer e-books

Inhalt

[Widmung][Motto]VorwortAnfängeWie wir von einer Geschichte besessen sein können, die nicht erzählt werden kannÜber das LachenWie man durch Lob Vertrauen verliertSchmerz als GeschenkEin sicheres VersteckLügenÜber GeheimnisseDarüber, in keiner Partnerschaft zu lebenÜbers Nicht-wissen-wollenÜber IntimitätJe seriöser die Fassade, desto mehr ist zu verbergenLiebenDaheimWie Paranoia Leid lindern und eine Katastrophe verhindern kannVom Wiederfinden verlorener GefühleWarum Eltern ihre Kinder beneidenDas Unmögliche wollenÜber HassWie uns Liebeskrankheit an der Liebe hindertVeränderungWie die Angst vor Verlust dazu führt, dass wir alles verlierenDie Frau, die nicht lieben wollteWenn man seine Brieftasche verliertEine Veränderung in der FamilieWarum wir von Krise zu Krise stolpernÜber LangweilerUm die Zukunft trauernWie uns Wut vor Trauer schütztWas es heißt, Patient zu seinZurückgehenDen Tod ertragenGehen/ VerlassenDurch StilleÜber das EndeAufwachen aus einem TraumQuellen und AnmerkungenVorwortAnfängeLiebenVeränderungGehen/VerlassenDanksagung

Für Nicola, Clara und Samuel

Wir gewinnen, wir verlieren, und wir müssen uns um Dankbarkeit bemühen, aber auch darum, von ganzem Herzen anzunehmen, was nach dem Verlust noch bleibt vom Leben.

Andre Dubus II, Broken Vessels

Vorwort

Seit fünfundzwanzig Jahren arbeite ich als Psychoanalytiker. Ich habe Patienten in psychiatrischen Krankenhäusern behandelt, in Kliniken für Psychotherapie und forensische Psychotherapie, auf Kinderstationen und Stationen für Jugendliche sowie in meiner privaten Praxis. Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind zur Konsultation zu mir gekommen, zur wöchentlichen Therapiestunde oder weil sie an mich überwiesen wurden. Vorwiegend aber befasse ich mich mit der Psychoanalyse von Erwachsenen, treffe mich also mit einem Menschen über eine Reihe von Jahren vier-, fünfmal in der Woche für fünfzig Minuten. Mehr als fünfzigtausend solcher Stunden mit Patienten habe ich absolviert. Die Substanz dieser Arbeit ist die Substanz dieses Buches.

Im Folgenden werden Episoden geschildert, die aus der täglichen Praxis stammen. Aus Gründen der Diskretion wurden alle verräterischen Details geändert, doch blieben die Tatsachen unangetastet: Diese Geschichten sind wahr.

Die meisten von uns haben sich dann und wann schon einmal vom eigenen Denken und Tun blockiert gefühlt, behindert von eigenen Impulsen oder dummen Entscheidungen, gelähmt von Angst oder Traurigkeit, gefangen in der eigenen Geschichte. Wir fühlten uns unfähig, einen Schritt voranzugehen, und glaubten doch, dass es einen Weg geben muss. »Ich will mich ändern, aber nicht, wenn das Veränderung bedeutet«, hat ein Patient einmal ganz naiv erklärt. Da meine Arbeit darin besteht, Menschen zu helfen, die sich verändern wollen, handelt dieses Buch von Veränderung. Und da Veränderung und Verlust eng zusammenhängen – ohne Verlust kann es keine Veränderung geben – durchzieht Verlust dieses Buch.

Die Philosophin Simone Weil beschreibt, wie zwei Gefangene in benachbarten Zellen über einen langen Zeitraum hinweg lernen, miteinander zu reden, indem sie an die Wand klopfen. »Die Wand trennt sie und ist doch auch ihr Kommunikationsmittel«, schrieb Simone Weil. »Jede Trennung ist eine Verbindung.«

Dieses Buch handelt von dieser Mauer. Es geht um unseren Wunsch zu reden, zu verstehen und verstanden zu werden. Es geht aber auch ums Zuhören, nicht nur darum, den Worten zu lauschen, sondern auch um die Stille, die Lücken dazwischen. Allerdings ist das, was ich hier beschreibe, kein magisches Geschehen. Es ist Teil unseres alltäglichen Lebens – wir klopfen, wir lauschen.

Anfänge

Wie wir von einer Geschichte besessen sein können, die nicht erzählt werden kann

Ich möchte Ihnen eine Geschichte von einem Patienten erzählen, der mich schockiert hat.

Zu Beginn meiner Tätigkeit als Psychoanalytiker mietete ich mir in Hampstead ein kleines Praxiszimmer an einer breiten, baumbestandenen Straße namens Fitzjohns Avenue. Einige bekannte psychoanalytische Kliniken liegen im näheren Umkreis, und bis zum Freud-Museum sind es nur wenige Minuten Fußweg. Am Südende der Fitzjohns Avenue steht eine große Bronzestatue von Freud.

Meine Praxis war ein ruhiger, spärlich eingerichteter Raum mit einem Tisch gerade groß genug, sich Notizen zu machen und die monatlichen Rechnungen zu schreiben. Bücherregale und Akten fehlten – das Zimmer war weder zum Lesen noch zum Studieren gedacht. Und wie in den meisten Praxen war die Couch keine Couch, sondern ein Einzelbett mit harter, dunkel bezogener Matratze. Am Kopfende lag ein Daunenkissen und darauf ein weißes Leintuch, das nach jedem Patienten gewechselt wurde. Die Psychoanalytikerin, die mir das Zimmer vermietete, hatte vor vielen Jahren ein Werk afrikanischer Stammeskunst an die Wand gehängt. Sie benutzte das Zimmer morgens, ich am Nachmittag, deshalb war es so unpersönlich, fast asketisch eingerichtet.

Beim ambulanten Dienst der forensischen Psychiatrie an der Portman Clinic hatte ich einen Teilzeitjob. Patienten, die ans Portman überwiesen werden, haben meist das Gesetz gebrochen und gewalttätige oder sexuelle Verbrechen begangen. Meine Patienten gehörten zu allen Altersgruppen, und ich schrieb so manche Gerichtsvorlage. Zeitgleich baute ich meine private Praxis auf. Der Plan lautete, die Vormittage der klinischen Arbeit zu widmen, während ich hoffte, am Nachmittag meine eigenen Patienten sehen zu können, die nicht ganz so extreme und drängende Probleme hatten.

Wie sich dann herausstellte, erwiesen sich auch meine ersten privaten Patienten als eine ziemliche Herausforderung. Im Rückblick kann ich viele Gründe dafür nennen, warum diese ersten Fälle so schwierig waren. Teils lag dies sicher an meiner eigenen Unerfahrenheit. Ich glaube, es braucht Zeit – jedenfalls habe ich Zeit gebraucht –, um zu erkennen, wie verschieden die Menschen sind. Und vermutlich hat es auch nicht geholfen, dass einige Patienten von etablierten Psychiatern und Psychoanalytikern überwiesen wurden, die mir helfen wollten, Fuß zu fassen. Oft überweisen Ärzte nämlich jene Patienten an jüngere Analysten, die sie selbst nicht behandeln oder anderswo unterbringen können. Und so plagte ich mich ab mit:

Miss A., einer zwanzigjährigen Studentin. Obwohl der überweisende Analytiker bei Miss A. diagnostiziert hatte, sie leide »unter unkontrollierbaren Weinkrämpfen, Depressionen und anhaltenden Gefühlen der Unzulänglichkeit«, trat sie mir gegenüber als eine fröhliche, junge Frau auf, die felsenfest davon überzeugt war, keine Behandlung zu brauchen. Mit der Zeit erfuhr ich jedoch, dass sie unter Bulimie litt und sich zwanghaft regelmäßig schnitt. Da sie nur sporadisch zu ihren Sitzungen gekommen war, hatten bereits zwei Therapeuten die Behandlung aufgegeben.

Professor B., einem vierzigjährigen Wissenschaftler, verheiratet, zwei Kinder. Ihm war kürzlich vorgeworfen worden, das Werk eines Rivalen plagiiert zu haben. Der Vizekanzler der Universität hatte die Angelegenheit an den Disziplinarausschuss weitergeleitet. Sollte sich der Vorwurf als berechtigt erweisen – und Professor B. gestand, dass dies durchaus der Fall sein könne –, sollte er vermutlich die Gelegenheit erhalten, ohne Aufsehen den Rücktritt einreichen zu dürfen. Sein Arzt hatte ihm Antidepressiva verschrieben und mich gebeten, mit ihm eine Analyse zu beginnen. Professor B.s Zustand wechselte abrupt zwischen hektischen Triumphgefühlen – so mokierte er sich etwa über seine Kollegen im Disziplinarausschuss – und völliger Niedergeschlagenheit.

Mrs C.; ihr gehörte ein kleines Restaurant, das sie zusammen mit ihrem Mann führte; zudem war sie Mutter von drei Kindern. Sie suchte Hilfe, da sie sich ständig Sorgen machte und unter Panikattacken litt. Bei unserem ersten Treffen erzählte sie, dass es ihr schwerfiel, »ehrlich zu sein«, doch erst nach mehreren Monaten Therapie vertraute sie mir an, dass sie eine Affäre mit dem Kindermädchen hatte, mit jener Frau also, die seit sieben Jahren für die Familie arbeitete und kurz nach der Geburt des ersten Kindes eingestellt worden war. Entgegen einer Übereinkunft mit ihrem Gatten versuchte Mrs C. nun insgeheim, wieder schwanger zu werden, da sie den Gedanken, ihr Kindermädchen zu verlieren, nicht ertragen konnte.

Ein weiterer Patient aus dieser Anfangszeit war ein junger Mann namens Peter, der in einem nahe gelegenen großen Psychiatriehospital behandelt wurde. Drei Monate, ehe wir uns kennenlernten, versteckte sich Peter in einem Schrank der Bezirkskirche und versuchte sich umzubringen, indem er eine Überdosis diverser Medikamente nahm und sich dann die Pulsadern aufschnitt. Außerdem stach er sich mit einem kleinen Messer in den Hals, in Brust und Arme. Die Putzfrau entdeckte ihn. Trotz ihrer Angst hielt sie ihn im Arm, bis der Krankenwagen kam. »Wer hat das getan?«, fragte sie ihn. »Sagen Sie mir, wer hat das getan?«

Die Fachpsychiaterin im Krankenhaus wollte wissen, ob ich mich fünfmal die Woche mit Peter treffen könne. Sie meinte, eine Therapiestunde täglich sowie wöchentlich eine Sitzung mit ihr böten Peter die beste Chance, gesund zu werden und zu seiner Verlobten und seiner Arbeit zurückzukehren.

Peter war siebenundzwanzig und arbeitete als Statiker. Ehe man ihn ins Krankenhaus einwies, hatte er sich mit seiner Verlobten eine kleine Wohnung außerhalb Londons gekauft. Bei der Arbeit gab es manche Schwierigkeiten, und er machte sich große Sorgen ums Geld, doch nichts davon schien seinen gewalttätigen Angriff auf sich selbst erklären zu können. Teil meiner Arbeit würde es also sein, gemeinsam mit Peter die Ursachen für seinen Selbstmordversuch herauszufinden, denn solange wir die Kräfte nicht verstanden, die ihn zu diesem Angriff auf sich selbst verleitet hatten, bestand Grund zu der Annahme, dass es erneut dazu kommen würde.

Peter war groß und schlaksig, ließ aber, wie so manche Depressive, die Schultern hängen und hielt den Kopf gesenkt. Er benahm sich zudem entsprechend, redete stockend und mied häufigen Blickkontakt. Lag er erst einmal auf der Couch, bewegte er sich kaum mehr.

Peter erschien zu all seinen Sitzungen und kam auch fast nie zu spät. Nach mehreren Monaten wurde er aus dem Krankenhaus entlassen und konnte in sein Leben zurückkehren. Nur spürte ich bei unseren Sitzungen immer häufiger, dass er an einen Ort verschwand, den ich nicht aufspüren und schon gar nicht verstehen konnte. »Sie sind lange still gewesen – können Sie mir sagen, woran Sie gedacht haben?«, fragte ich ihn während einer Sitzung.

»An Ferien in Devon – damals war ich noch ein Kind«, antwortete er.

Es folgte eine lange Pause. Könne er mir nicht mehr erzählen? Er erwiderte, er denke an nichts Bestimmtes, nur ans Alleinsein.

Mir kam der Gedanke, dass er sich von mir fort wünschte, dass er Ferien von der Analyse haben wollte, und das sagte ich ihm auch. »Könnte sein«, erwiderte er.

Es war, als versuchte Peter sich vor meiner Zudringlichkeit zu schützen, indem er einerseits die Konventionen einer Psychoanalyse einhielt – so etwa kam er pünktlich und beantwortete meine Fragen –, dies andererseits aber auf eine Weise tat, als versuchte er zu verhindern, dass sich irgendeine bedeutsame Verbindung zwischen uns entwickelte. Er schien nur wenig Hoffnung in unsere Gespräche zu setzen.

Dann erfuhr ich, dass es für Peter typisch war, Freunde zu gewinnen, um sich später gegen sie zu wenden. Im Berufsleben ging er ebenfalls still seiner Arbeit nach, bis er mit dem Vorgesetzten plötzlich einen Streit vom Zaun brach und kündigte. Das war bereits mehrere Male geschehen. Ich versuchte Peter mit diesen Informationen zu zeigen, dass ihm offensichtlich zwei psychologische Positionen zur Wahl standen – Mitmachen oder der radikale Bruch. Er schien mir beizupflichten, doch hatte ich nie den Eindruck, dass ihm diese Einsicht etwas bedeutete. Und bald trat das gleiche Schema auch in der Analyse zutage. Statt mitzumachen, begann Peter, sich über mich lustig zu machen. Nach einer Woche, in der es besonders heftig zuging, hörte Peter auf, zu den Sitzungen zu kommen. Ich schrieb und schlug ihm vor, mit mir darüber zu reden, warum er die Behandlung abbreche, erhielt aber keine Antwort.

Ich kontaktierte die Psychiaterin, die mir erzählte, Peter habe auch aufgehört, zu ihr zu kommen.

Zwei Monate später traf ein Brief von Peters Verlobter ein, die mir mitteilte, dass Peter sich das Leben genommen hatte. Sie schrieb, Peter sei im Monat vor seinem Tod zunehmend verstört und in sich gekehrt gewesen. Die Beerdigung im Krematorium in West-London hatte bereits vor einer Woche stattgefunden. Sie schrieb auch, dass sie dankbar für meine Bemühungen um ihn sei. Ich schickte ihr einen Kondolenzbrief und informierte Peters Psychiaterin.

Ich hatte gewusst, dass Peter ein Risikopatient war. Als ich ihn annahm, zog ich einen Supervisor hinzu, einen erfahrenen Psychoanalytiker, der ein Buch über Selbstmord verfasst hatte. Wiederholt wies er mich auf die vielerlei Arten hin, in denen Peter den Tod zu idealisieren schien. Nun ging ich erneut zu ihm, da ich mich fragte, ob ich etwas übersehen hatte. Mein Supervisor versuchte, mich zu beruhigen. »Wer weiß?«, sagte er. »Vielleicht hat ihn deine Analyse im letzten Jahr vom Selbstmord abgehalten.« Trotzdem machte mir Peters Tod ziemlich zu schaffen. Natürlich wusste ich, dass wir alle die Fähigkeit besitzen, selbstzerstörerisch zu handeln, nur hatte ich geglaubt, der Wunsch, leben zu wollen, sei stärker. Stattdessen spürte ich nun, wie fragil er war. Peters Selbstmord machte mir klar, dass der Kampf zwischen den Kräften des Lebens und des Todes viel ausgewogener verlief, als ich vermutet hatte.

Sechs Monate später fand ich eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter vor. Ich hörte die unverkennbaren Geräusche einer öffentlichen Telefonzelle – Tuten, Münzklicken – und dann Peters Stimme: »Ich bin’s. Ich bin nicht tot. Wäre es Ihnen recht, wenn ich zu Ihnen komme und wir miteinander reden? Ich bin unter meiner alten Nummer zu erreichen.«

In dem Augenblick, in dem ich Peters Stimme hörte, fühlte ich mich verwirrt und meinte fast, in Ohnmacht zu fallen. Einen Moment lang redete ich mir ein, der Anrufbeantworter funktioniere nicht, weshalb ich eine uralte Nachricht von Peter hörte, die nie gelöscht worden war. Dann aber musste ich lachen – vor Wut, vor Erleichterung. Und weil ich so verblüfft war.

Als ich an jenem Abend der Psychiaterin schrieb, um ihr mitzuteilen, dass Peter doch nicht tot war, tat ich, was viele Menschen tun, wenn sie wütend sind. Ich riss einen Witz. »Falls es keine Telefonzellen in der Hölle gibt«, schrieb ich, »ist Peter noch am Leben. Er hinterließ heute eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter und bat um einen Gesprächstermin.«

Peter kam in der folgenden Woche. In sachlichem Ton erzählte er, dass er mich über seinen Tod informiert hatte, nicht seine Verlobte. Er hatte auch meinen Kondolenzbrief abgefangen. »Ich fand ihn sehr rührend«, sagte er.

»Ach, wie interessant«, meinte mein Supervisor. »Eigentlich unglaublich, dass so etwas nicht öfter passiert. Wenn man an all die Jugendlichen denkt, die sagen ›Das wird dir noch leidtun, wenn ich mich umgebracht habe‹, sollte man doch annehmen, dass ein Selbstmord viel öfter vorgetäuscht wird.« Wir stimmten darin überein, dass ich Peter nur dann wieder aufnehmen sollte, wenn ich den Eindruck hatte, dass er sich in Zukunft wirklich ernsthaft bemühen wollte.

Nach mehreren Gesprächen einigten wir uns darauf, die Analyse fortzusetzen. Letztlich erwiesen sich Peters Verschwinden und seine Rückkehr sogar als hilfreich, da es etwas klärte, was wir zuvor nicht begriffen hatten: Sein Drang zu schockieren.

In den folgenden Sitzungen schälte sich langsam heraus, dass es Peter gefiel, an den Kummer zu denken, den er verursachte, wenn er plötzlich kündigte oder eine Freundschaft beendete. Zweimal schon hatte er eine Analyse unvermittelt abgebrochen – das erste Mal, indem er einfach aufhörte, das zweite Mal, indem er seinen Selbstmord vortäuschte. In der ersten Phase seiner Analyse hatte ich nicht begriffen, wie wichtig es Peter war, andere Menschen brutal vor den Kopf zu stoßen. Nur warum?

Als Peter zwei Jahre alt war, wurden seine Eltern geschieden; seine Mutter hatte bald darauf wieder geheiratet. Während dieser zweiten Phase seiner Analyse suchte Peter seinen biologischen Vater auf und sprach mit ihm offen über seine Mutter. Er fand heraus, dass seine Mutter eine Affäre mit dem Mann gehabt hatte, der sein Stiefvater werden sollte, und dass beide, Vater wie Mutter, schwere Trinker gewesen waren. Außerdem wurde ihm klar, dass seine ersten beiden Lebensjahre ganz anders verlaufen waren, als man es ihm bislang erzählt hatte. Beide, Vater wie Mutter, gaben zu, dass sie mit ihm als Baby überfordert gewesen und gewalttätig gegen ihn geworden waren.

Peter erzählte mir, dass sich sein Vater an vieles nicht erinnerte, nur daran, dass es eine schreckliche, unglückliche Zeit gewesen sei, eine unglückliche Ehe. »Meine Mutter weinte und erklärte immer wieder, dass es ihr leidtäte«, sagte Peter. »Bei meiner Geburt war sie erst zwanzig und hatte niemanden, der ihr half. Sie sagte, manchmal habe sie geglaubt, einfach verrückt zu werden.«

Peters Verhalten machte deutlich, dass er es sich nicht erlauben konnte, schwach zu sein. Für ihn war Abhängigkeit gefährlich. Seine Geschichte ließe sich folgendermaßen zusammenfassen: »Ich bin der Angreifer, der traumatisiert, nie das Baby, das verletzt wird.« Allerdings fühlte sich Peter auch immer wieder gezwungen, gegen sich selbst vorzugehen. Als er sich in der Kirche angriff, inszenierte er ebendiese Geschichte. »Ich dachte«, erzählte er, »du widerliches kleines Heulbaby. Ich kann dir das antun, und du wirst mich nicht davon abhalten.«

Ich denke, wir versuchen alle, dem Leben durch das Erzählen unserer Geschichte einen Sinn zu verleihen, nur war Peter von einer Geschichte besessen, die er nicht erzählen konnte. Da ihm die Worte fehlten, drückte er sich auf andere Weise aus. Erst mit der Zeit begriff ich, dass Peters Verhalten die Sprache war, die er benutzte, um mit mir zu reden. Peter erzählte seine Geschichte, indem er mich fühlen ließ, was es hieß, er selbst zu sein, indem er mir die Wut, die Verwirrung und den Schock vermittelte, die er als Kind gespürt haben musste.

Die Autorin Karen Blixen schrieb einmal: »Alles Leid lässt sich ertragen, wenn man es in eine Geschichte verpackt oder eine Geschichte darüber erzählt.« Was aber, wenn ein Mensch keine Geschichte über sein Leid erzählen kann? Was, wenn die Geschichte ihn erzählt?

Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass unsere Kindheit derartige Geschichten in uns hinterlässt – Geschichten, denen wir keine Stimme verleihen konnten, weil uns niemand half, die nötigen Worte dafür zu finden. Wenn wir aber keine Möglichkeit haben, unsere Geschichte zu erzählen, erzählt die Geschichte uns – wir träumen diese Geschichten, wir entwickeln Symptome, oder wir merken, dass wir uns auf eine Weise benehmen, die wir nicht verstehen.

Zwei Jahre, nachdem Peter seine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, einigten wir uns darauf, die Analyse zu beenden. Ich fand, dass es noch mehr zu tun gab, aber Peter meinte, es sei an der Zeit.

All dies ist vor vielen Jahren geschehen. Seither hat Peter um keinen neuen Termin mehr gebeten, aber ich bin ihm kürzlich begegnet, vor dem Kino. Wir erkannten uns über den Eingangsbereich hinweg. Peter sagte etwas zu seiner Begleitung, und sie kamen beide herüber. Er gab mir die Hand und stellte mich dann seiner Frau vor.

Über das Lachen

Montag, der erste Tag nach den Osterferien – es war warm und strahlend hell. Ich öffnete die Fenster in meinem Wartezimmer einen Spaltbreit und ging vor die Tür, um die letzte Patientin des Morgens hereinzubitten. Lily stand auf, sobald sie mich kommen hörte. »Wie schön, wieder hier zu sein«, sagte sie. »Ich hatte zu Hause eine verrückte Zeit.«

Lily war gerade von einer Kurzreise nach New York zurückgekehrt, wo sie mit der neun Monate alten Tochter Alice ihre Eltern besucht hatte. Der Flug von London war schrecklich gewesen. Und nachdem sie es mit Alice und all dem Gepäck endlich durch den New Yorker Flughafen geschafft hatte, traf sie ihre Mutter draußen auf dem Bürgersteig. »Sie hat mich umarmt, wie sie mich immer umarmt«, sagte Lily. »Sie schließt die Augen und klopft mir auf den Rücken – als ob ich Flöhe hätte.«

Ihre Mutter öffnete die Wagentür, und Monty, der schlabbernde, fünfzig Pfund schwere Golden Retriever sprang nach draußen. »Er schob mir die Nase in den Schritt meiner Jeans, was ich ziemlich peinlich fand. Und dann habe ich mich gefragt, wieso sie den Hund mit zum Flughafen nimmt – schließlich fährt sie keinen Kombi. Mom meinte: ›Ich dachte, so kann ich euch am besten miteinander bekannt machen.‹ Also saß Alice hinten im Kindersitz, ich neben ihr, und Monty hockte vorn auf dem Beifahrersitz.«

Während ihres gesamten Besuches zeigten sich Lilys Eltern kaum an ihrem Leben interessiert. Die beiden Fernseher blieben den ganzen Tag voll aufgedreht, und sie aßen eng zusammengedrängt am Küchentresen. Der Vater stellte meist seinen Laptop neben den Teller.

»Am letzten Abend sagte ich meinen Eltern nach drei Gläsern Wein, dass ich ihnen tausend Fotos von Alice schicken würde, sobald ich wieder in London sei. Sie müssen nämlich wissen, dass es in ihrem Haus Fotos in jedem Zimmer gibt. Allein auf dem Flügel steht eine ganze Sammlung, aber nirgendwo ist auch nur ein einziges Foto ihres ersten Enkelkindes zu sehen.

Und meine Mom sagte: ›Ach du meine Güte, hast du es denn nicht gesehen? Das ist mein absolutes Lieblingsbild!‹ Und sie ging ins Schlafzimmer, durchwühlte die Schublade ihrer Kommode und fischte eine Aufnahme von Alice heraus. Sie lächelte und erklärte: ›Oh ja, ich liebe dieses Bild‹; daraufhin mein Dad: ›Oh ja, ich liebe dieses Bild.‹ Und ich sagte: ›Oh ja, ich liebe es auch.‹ Aber insgeheim dachte ich: Was soll der Scheiß? Glaubt sie, ich hätte den Röntgenblick?«

Ich musste ein Lächeln unterdrücken.

Lily schwieg einen Moment. »In dieser letzten Nacht hatte ich einen seltsamen Traum, einen Albtraum. Was geschah, war eigentlich sehr schlimm, nur fand ich es nicht schlimm.«

Im Traum stand Lily in einer Gruppe an einem See. Sie sah einem kleinen Mädchen zu, das hinaus zu einem Holzfloß schwamm – das Mädchen gab sich Mühe, schaffte es und zog sich hoch. Ein Blitz zuckte über den Himmel; es donnerte. Das Mädchen war in Gefahr, nur schien das niemanden zu kümmern – wo war die Mutter des kleinen Mädchens, wo der Vater? Lily bat ihre Eltern, auf Alice aufzupassen, und schwamm zu dem kleinen Mädchen. Der See war schwarz und aufgewühlt; Lily hatte Mühe, den Kopf des Mädchens über Wasser zu halten. Als sie an Land kamen, trug sie die Kleine aus dem Wasser und merkte dann, dass ihre Eltern allein waren – Alice war nirgendwo zu sehen.

Lily nahm an, dass sich der letzte Teil – Alice war nirgendwo zu sehen – auf das in der Schublade vergrabene Foto bezog. Was aber war mit dem Rest des Traums?

»Erinnert er Sie an irgendwas?«, fragte ich.

Er erinnerte sie an den See unweit von ihrem alten Internat. Jeden Herbst wurden ein, zwei neue Schüler von den älteren Schülern in den See geworfen. Meist suchten sie sich die frechsten Jungs und die schönsten Mädchen aus. In diesen ersten Wochen im Internat – als sie noch Heimweh hatte – gefiel es ihr, dass sie ausgewählt wurde.

In den folgenden Wochen hatten es einige der älteren Mädchen in ihrem Schlafsaal auf sie abgesehen. Sie stichelten, machten sexuelle Anspielungen und versuchten sie zu überreden, zu einem der älteren Jungen ins Zimmer zu gehen. Lily war vierzehn und hatte noch nie einen Jungen geküsst.

Eines Abends nahm eines der älteren Mädchen Lily mit auf die Toilette und brachte ihr bei, wie man sich übergibt, indem man sich einen Finger in den Hals steckt. »Ist wie beim Blasen, mach einfach den Mund auf und schieb ihn rein«, sagte das Mädchen.

Die Zeit im Internat wurde immer unerträglicher. Lily tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie klug war und sich schon durchsetzen würde, dass sie in ein, zwei Jahren einen Freund kennenlernen und sich verlieben, dass sich schon alles finden würde. Aber so war es nicht. Lily aß und schlief schlecht. Sie versäumte zwar nie den Unterricht, wurde aber immer panischer. »Ich war nicht deprimiert, nur lief alles irgendwie ständig schneller ab. Die Welt ging aus den Fugen – ich konnte den Kopf nicht über Wasser halten.«

»Also sind Sie das Mädchen im Traum«, sagte ich.

»Aber wenn ich das bin, wie kann ich mich da um Alice kümmern?«

»Vielleicht geht es in diesem Traum genau darum.«

Lily gab zu, dass es ihr bei den Eltern tatsächlich schwergefallen war, auf Alice aufzupassen. Während ihrer Zeit dort wurde sie wieder zum Kind, fühlte sich weniger erwachsen, immer weniger wie die Mutter, die sie war. »Wissen Sie, ich habe mich wie eine jener Entführten gefühlt, die anfangen, die Welt draußen zu vergessen und wie ihre Entführer zu denken. Das Stockholm-Syndrom.«

Mir fiel auf, dass Lily den Besuch bei den Eltern in eine Art Comicserie verwandelte. Bei jeder Wendung ihrer Geschichte, bei der ich damit rechnete, sie würde gleich sagen, wie verletzt sie sich fühlte, wie wütend sie war, kam sie mit einer punchline, einer Pointe – als ob ich Flöhe hätte; glaubt sie, ich hätte den Röntgenblick?

Durchs offene Fenster hörte man auf dem Bürgersteig Kinder lärmen, die auf dem Weg zum nahen Spielplatz lauthals kreischten und lachten. Während Lily und ich darauf warteten, dass die Kinder vorübergingen, ertappte ich mich dabei, wie ich über das Wort punchline nachdachte, das doch eigentlich Schlagzeile bedeutet – die Gewalt darin ist so unüberhörbar. Stammte punchline vom Kasperltheater Punch und Judy? Einige Monate zuvor, kurz vor Weihnachten, hatte eines der großen Geschäfte in der Nähe ein Kasperletheater gemietet, eine Punch and Judy Show. Mit meinen Kindern stand ich da und sah zu: Judy ging aus dem Haus und überließ es Mr Punch, sich um das Baby zu kümmern. Wie immer vergaß der chaotische Mr Punch das Baby, setzte sich drauf, biss es schließlich sogar. Als Judy zurückkam, wurde der Stock vorgeholt, und der Klamauk begann. Ich fror und wollte nach Hause; meine Kinder aber waren völlig gebannt. Wir blieben bis zum Schluss.

»Eines der Probleme bei Ihren Scherzen besteht darin, dass wir glauben können, wir hätten über das geredet, was Ihnen zu schaffen macht – etwa Ihre Ankunft am Flughafen oder Alices Foto in der Schublade –, und wir haben ja auch darüber geredet, nur haben wir uns eigentlich nicht damit auseinandergesetzt.«

»Wenn ich darüber nicht lachen könnte, wäre ich die meiste Zeit bloß noch wütend.«

»Ihre Scherze sind aggressiv, Sie bekommen Ihre Rache, und Sie fühlen sich ein bisschen besser. Der Humor scheint zu wirken: Hinterher tut es nicht mehr so weh. Nur scheinen Sie auch jeden Antrieb verloren zu haben, Ihre Lage besser verstehen zu wollen.«

»Die Scherze entschärfen meine Wut, sie entschärfen sie allerdings so weit, dass ich mich mit dem Verhalten meiner Eltern abfinde. Ich höre auf, darüber nachzudenken.«

»Ganz genau«, erwiderte ich.

Lily schwieg einen Moment und sagte dann, sie wäre sich nicht so sicher. Sie dächte durchaus über die Situation mit ihren Eltern nach – das sei ein Albtraum, nur könne sie nichts daran ändern.

Das Wort »Albtraum« erinnerte mich an ihren Traum. Ich sagte, ich müsse an die Worte denken, mit denen sie die Erzählung ihres Traums eingeleitet hatte: ›Was geschah, war eigentlich sehr schlimm, nur fand ich es nicht schlimm.‹

Ich sagte: »Zweck Ihres Traumes könnte es gewesen sein, Ihnen die Gewissheit zu vermitteln, dass Sie einen Albtraum durchleben können, ohne etwas dabei zu empfinden. Dass Sie nicht nur den Kopf über Wasser halten, sondern sich auch gegen das mangelnde Interesse Ihrer Eltern abschotten können.«

»Haben Sie eine Vorstellung davon, was passiert, falls ich mich nicht abschotte?«, fragte sie. »Wenn meine Eltern herausfänden, was ich wirklich denke, wäre dies das Ende von dem bisschen Beziehung, das uns noch geblieben ist. Ich kann mit ihnen einfach nicht über das reden, was mich beschäftigt. Das ginge schief. Und meine Mom würde leugnen, irgendwas aggressiv zu meinen – sie würde sagen: ›Aber es ist doch nur ein Foto, Honey.‹« Lily verstummte. »Das funktioniert, Mr Grosz – es funktioniert.«

Am Anfang der Analyse war mir aufgefallen, dass Lily die Stimme zum Satzende auch dann hob, wenn sie keine Frage stellte. Mit dieser Tonveränderung verstärkte sie den Druck auf mich, möglichst bald zu antworten. Damals fanden wir heraus, dass sie mein Schweigen unangenehm fand und wollte, dass ich rasch weiterredete, damit sie an meiner Stimme merkte, ob ich mit ihr übereinstimmte oder nicht.

Ich sagte Lily, meiner Vermutung nach wolle sie mich aus ähnlichen Gründen zum Lachen bringen. Mein Lachen hieß, dass wir einer Meinung waren – dass wir die Guten und ihre Eltern die Bösen waren. Mein Lachen sprach sie von aller Schuld frei – sie brauchte dann kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie sich über ihre Eltern lustig machte.

Sie erwiderte, es sei tatsächlich eine Erleichterung, wenn ich lachte; darauf verstummte sie. Eine Zeitlang redeten wir beide kein Wort. Ich nahm an, dass Lily auf ihre Armbanduhr geschaut und beschlossen hatte, für heute Schluss zu machen, da uns sowieso nur noch wenige Minuten blieben. Es war, als hätte sie das Zimmer bereits verlassen.

Und dann sagte sie: »Ich musste an meinen Nervenzusammenbruch im Internat denken, daran, wie ich zu Hause angerufen hatte, von einem Münztelefon hinterm Schlafsaal, mitten in der Nacht; Motten umschwirrten die Neonröhre. Ich habe wie ein Schlosshund geheult und gesagt: ›Bitte, darf ich nach Hause kommen, bitte, darf ich?‹, woraufhin die Antwort kam: ›Nein, darfst du nicht.‹ Und obwohl es im Internat immer schlimmer wurde, zwang ich mich zu bleiben. Irgendwas aber war für mich anders geworden. Mein Zusammenbruch hatte wie ein Schmelzofen funktioniert und jeden Glauben an meine Gefühle in mir weggebrannt.«

Während ich ihrer Erinnerung zuhörte, kam mir der Traum wieder in den Sinn: Das Mädchen war in Gefahr, doch schien es niemanden zu kümmern – wo war die Mutter des kleinen Mädchens, wo der Vater?

Sie fuhr fort: »Selbst heute fällt es mir schwer, meinen Gefühlen zu vertrauen. Wenn Sie aber lachen, heißt das, Sie glauben meinen Gefühlen, glauben meiner Realität. Wenn Sie lachen, weiß ich, dass Sie die Dinge genauso sehen wie ich – dass Sie nicht ›Nein‹ gesagt hätten; Sie hätten mich nach Hause kommen lassen.«

Wie man durch Lob Vertrauen verliert

Als ich um die Ecke ins Kindergartenzimmer bog, um meine Tochter abzuholen, hörte ich, wie die Kindergärtnerin sagte: »Du hast aber einen wunderschönen Baum gemalt. Gut gemacht.« Einige Tage später zeigte sie erneut auf ein Bild meiner Tochter und meinte: »Klasse, du bist wirklich eine große Künstlerin!«

Bei beiden Gelegenheiten wurde mir schwer ums Herz. Wie konnte ich der Kindergärtnerin erklären, dass es mir lieber wäre, wenn sie meine Tochter nicht lobte?