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Die Calhouns: Leidenschaft, Abenteuer und Romantik.
Fünf Frauen auf der Suche nach Liebe und nach einem mysteriösen Schatz.
Suzanna Calhoun braucht Holt Bradfords Hilfe: Wenn einer den verschwundenen Familienschatz finden kann, dann er. Sie schafft es, den zurückhaltenden Mann zu dem Schloss auf den Klippen zu locken. Dabei ahnt sie nicht, welche Hoffnung Holt mit ihrer Bitte verbindet. Solange er denken kann, ist Suzanna seine Traumfrau. Er will ihr bei der Suche nach den Juwelen helfen – und ihr dabei endlich zeigen, was er für sie empfindet. Schneller als gedacht kommt Holt seinem Ziel näher und hält Suzanna in den Armen. Aber schon ist sein neues Glück in Gefahr: Suzannas Leben steht auf dem Spiel und nur Holt kann es retten.
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Seitenzahl: 271
Nora Roberts
Die Frauen der Calhouns 4
Suzanna
Roman
Aus dem Amerikanischen von M. R. Heinze
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
PROLOG
Bar Harbor, 1965
In dem Moment, als ich sie sah, veränderte sich mein Leben. Mehr als fünfzig Jahre sind seit jenem Moment vergangen, und ich bin nun ein alter Mann mit weißen Haaren, dessen Körper gebrechlich geworden ist. Doch meine Erinnerungen sind noch immer voll Farbe und Kraft.
Seit meinem Herzinfarkt muss ich täglich ruhen. Und ich kehre hierher auf die Insel zurück – ihre Insel –, wo alles für mich begann. Die Insel hat sich verändert, genau wie ich. Das große Feuer 1947 hat viel zerstört. Neue Gebäude, neue Menschen. Autos verstopfen die Straßen und lassen den Charme der klingelnden Kutschen vermissen. Doch ich bin glücklich, die Insel so sehen zu können, wie sie war und wie sie ist.
Mein Sohn ist jetzt ein Mann, ein guter Mann, der seinen Lebensunterhalt auf See verdient. Wir haben uns nie wirklich verstanden, sind aber ganz gut miteinander ausgekommen. Er hat eine stille, zauberhafte Frau und einen Sohn. Der Junge, der kleine Holt, bringt besondere Freude in mein Leben. Vielleicht, weil ich mich selbst in ihm so deutlich erkennen kann. Die Ungeduld, das Feuer, die Leidenschaften, die einst die meinen waren. Vielleicht wird auch er zu viel empfinden, zu viel wollen. Dennoch kann mir nichts leid tun. Könnte ich ihm einen Rat geben, dann den, das Leben zu packen und es sich zu nehmen.
Mein Leben ist erfüllt gewesen, und ich bin dankbar für die Jahre, die ich mit Margaret hatte. Ich war nicht mehr jung, als sie meine Frau wurde. Was wir gemeinsam erlebten, war kein Feuersturm, sondern die behagliche Wärme eines beständigen Feuers. Sie brachte mir Trost, und ich hoffe, ich habe ihr Glück geschenkt. Sie ist vor fast zehn Jahren von mir gegangen, und meine Erinnerungen an sie sind süß.
Doch es ist die Erinnerung an eine andere Frau, die mich verfolgt. Diese Erinnerung ist so schmerzlich klar, so vollständig. Nach so viel Zeit konnte sie nicht abstumpfen. Die Jahre haben das Bild dieser Frau nicht verblassen lassen und konnten meine verzweifelte Liebe zu ihr nicht um einen einzigen Grad abkühlen. Eine Liebe, die ich noch immer empfinde, die ich immer empfinden werde, obwohl ich diese Frau verloren habe.
Vielleicht kann ich mich jetzt, nachdem mich der Tod so nahe gestreift hat, wieder öffnen, kann mir erlauben, mich an die Dinge zu erinnern, die ich nie vergessen konnte. Es gab eine Zeit, als diese Erinnerungen zu schmerzlich waren, und ich verlor diesen Schmerz in der Flasche. Als ich auch darin keinen Trost fand, vergrub ich mein Unglück in meiner Arbeit. Ich malte und reiste wieder. Doch immer, immer wieder wurde ich hierher zurückgezogen, wo ich einst zu leben begonnen hatte. Wo ich eines Tages sterben werde.
Ein Mann liebt nur einmal auf diese Weise, und auch nur, wenn er Glück hat. Für mich war es Bianca. Für mich war es immer Bianca.
Es war Juni 1912, unmittelbar bevor der Erste Weltkrieg großes Leid über viele Völker brachte. Es war der Sommer des Friedens und der Schönheit, der Kunst und der Poesie, als sich das Dorf Bar Harbor für die Reichen öffnete und den Künstlern Zuflucht bot.
Sie kam auf die Klippen, auf denen ich malte, an der Hand ein Kind. Ich wandte mich von meiner Leinwand ab, den Pinsel noch in der Hand, die Stimmung der See und des Gemäldes noch immer in mir. Da war sie, schlank und zauberhaft, das Haar von der Farbe des Sonnenuntergangs hinten hochgebunden. Der Wind zerrte an ihren Locken und an dem hellblauen Rock. Ihre Augen besaßen die Farbe der See, die ich so besessen auf Leinwand wiedererstehen lassen wollte. Sie betrachtete mich neugierig, vorsichtig. Sie hatte die helle, durchscheinende Haut der Iren.
In dem Moment, als ich sie sah, wusste ich, dass ich sie malen musste. Und ich glaube, wie sie so da im Wind stand, keimte in mir meine Liebe zu ihr.
Sie entschuldigte sich für die Unterbrechung meiner Arbeit. Ihre Stimme klang sanft, musikalisch. Das Kind, das sie inzwischen auf den Armen hielt, war ihr Sohn. Sie war Bianca Calhoun, die Frau eines anderen Mannes. Ihr Sommerhaus stand auf dem Hügel oberhalb von uns. The Towers, die kunstvolle Burg, die Fergus Calhoun erbaut hatte. Obwohl ich erst seit kurzer Zeit auf Mount Desert Island war, hatte ich von Calhoun und seinem Haus schon gehört. Ich hatte sogar schon die Türme und Spitzen, die Türmchen und die Wandelgänge und die arroganten, fantasievollen Linien bewundert.
So ein Haus passte zu der Frau, die vor mir stand. Sie war eine zeitlose Schönheit, von ruhiger Gelassenheit und Anmut, die man nicht erlernen kann, und in ihren großen grünen Augen schimmerten unterdrückte Leidenschaften. Ja, ich war bereits verliebt, aber zu jenem Zeitpunkt nur in ihre Schönheit. Als Künstler wollte ich diese Schönheit auf meine Art darstellen, mit Farben oder Stiften. Vielleicht jagte ich ihr Angst ein, weil ich sie so eindringlich betrachtete. Doch der Junge, Ethan, war furchtlos und freundlich. Sie sah so jung, so unberührt aus, dass es schwer zu glauben war, dieses Kind wäre das ihre, und dass sie noch zwei hatte.
Sie blieb an jenem Tag nicht lange, sondern nahm ihren Sohn und ging zu ihrem Mann nach Hause. Ich blickte ihr nach, wie sie durch die Wildrosen schritt, während ihr Haar im Sonnenschein wie Gold schimmerte.
An dem Tag konnte ich das Meer nicht mehr sehen. Ihr Gesicht hatte bereits begonnen mich zu verfolgen.
1. KAPITEL
Suzanna freute sich nicht darauf. Es musste getan werden, natürlich. Suzanna schleppte einen Fünfzig-Pfund-Sack Torf zu ihrem Pick-up und stemmte ihn auf die Ladefläche. Die kleine körperliche Anstrengung war nicht das Problem. Sie freute sich sogar darauf, diese Lieferung bei ihrem zweiten Stopp auf dem Heimweg machen zu können.
Es war der erste Stopp, den sie gern vermeiden würde, doch sie war Suzanna Calhoun Dumont, die keiner Pflicht ausweichen konnte.
Sie hatte ihrer Familie versprochen, mit Holt Bradford zu sprechen, und Suzanna hielt ihre Versprechen. Ich versuche es zumindest, dachte sie und wischte sich mit dem Unterarm über die verschwitzte Stirn.
Aber sie war verdammt müde. Sie hatte einen vollen Tag in Southwest Harbor an dem Garten eines neuen Hauses gearbeitet, und sie hatte auch für den nächsten Tag einen vollen Terminkalender. Dazu kam noch, dass ihre Schwester Amanda in etwas mehr als einer Woche heiratete und The Towers sich in totalem Aufruhr befand wegen der Hochzeitsvorbereitungen und der Renovierung des Westflügels. Dazu kam auch noch, dass sie zu Hause zwei energiegeladene Kinder hatte, die an diesem Abend die Zeit und Aufmerksamkeit ihrer Mutter verlangten und verdienten. Und dass sich der Papierkram auf ihrem Schreibtisch stapelte und einer ihrer Teilzeitangestellten ausgerechnet an diesem Vormittag gekündigt hatte.
Nun, erinnerte Suzanna sich, ich wollte ja ein Geschäft eröffnen. Was sie auch getan hatte. Sie warf einen Blick zurück zu ihrem Laden, verschlossen für die Nacht und mit Sommerblumen im Schaufenster, und zu dem Glashaus hinter dem Hauptgebäude. Das gehört mir – und der Bank, dachte sie mit einem kleinen Lächeln, jedes Stiefmütterchen, jede Petunie, jede Päonie. Sie hatte bewiesen, dass sie nicht die unfähige Versagerin war, als die ihr Exmann sie bezeichnet hatte, immer und immer wieder.
Suzanna hatte zwei wunderschöne Kinder, eine Familie, die sie liebte, und ihre Gärtnerei, die sich selbst trug. Sie nahm nicht einmal im Entferntesten an, dass Baxters Behauptung, sie wäre langweilig, jetzt zutraf. Nicht, wenn sie mitten in einem Abenteuer steckte, das vor achtzig Jahren begonnen hatte.
Ganz sicher war nichts Gewöhnliches an der Suche nach einer unschätzbar wertvollen Smaragdhalskette oder daran, dass internationale Juwelendiebe hinter ihnen allen her waren, Diebe, die vor nichts zurückschreckten, um das Erbe von Suzannas Urgroßmutter Bianca in ihre Finger zu bekommen.
Allerdings bin ich bisher nicht viel mehr als eine abseits stehende Mitspielerin gewesen, fand Suzanna, als sie in den Lastwagen kletterte. Ihre Schwester C. C. hatte alles ins Rollen gebracht, als sie sich in Trenton St. James III verliebte, den Besitzer der St. James-Hotels. Es war seine Idee gewesen, einen Teil des finanziell arg geplagten Familienbesitzes in einen luxuriösen Gästelandsitz zu verwandeln. Im Zuge dieses Unternehmens war die Legende von den Calhoun-Smaragden an die stets begierige Presse durchgesickert und hatte eine Kettenreaktion ausgelöst, die sich von absurd zu gefährlich gewandelt hatte.
Amanda wäre beinahe getötet worden, als der verzweifelte und besessene Dieb, der sich als William Livingston ausgab, einen Teil der Familienpapiere in der Hoffnung stahl, sie würden ihn zu den verschwundenen Smaragden führen. Und ihre Schwester Lilah war bei dem letzten versuchten Raub in Lebensgefahr geraten.
In der Woche, die seit jener Nacht vergangen war, hatte die Polizei keine Spur von Livingston gefunden, dessen letzter bekannter falscher Name Ellis Caufield war.
Seltsam, dachte Suzanna, während sie sich in den Verkehrsstrom einordnete, wie The Towers und die verschwundenen Smaragde sich auf die gesamte Familie ausgewirkt hatten. The Towers hatte C. C. und Trent zusammengebracht. Dann war Sloan O’Riley aufgetaucht, um den Gästelandsitz zu entwerfen, und hatte sich in Amanda verliebt. Der schüchterne Geschichtsprofessor Max Quartermain hatte sein Herz an Suzannas freigeistige Schwester Lilah verloren, und die beiden wären beinahe umgebracht worden. Wiederum wegen der Smaragde.
Es gab Zeiten, in denen Suzanna sich wünschte, jene Halskette vergessen zu können, die ihrer Urgroßmutter gehört hatte. Doch sie wusste genau wie die anderen, dass es vorherbestimmt war, dass die Halskette, die Bianca vor ihrem Tod versteckt hatte, gefunden würde.
Also machten sie weiter, verfolgten jede Spur, erforschten jeden möglichen staubigen Pfad. Nun war Suzanna an der Reihe. Während seiner Forschungstätigkeit hatte Max den Namen des Künstlers aufgespürt, den Bianca geliebt hatte.
Es war eine Geschichte, die Suzanna stets ein wenig wehmütig stimmte, doch es war ihr persönliches Pech, dass die Verbindung mit dem Künstler zu seinem Enkel führte.
Holt Bradford. Sie seufzte ein wenig, als sie durch die verstopften Straßen des Dorfes fuhr. Sie konnte nicht behaupten, ihn gut zu kennen, war auch nicht sicher, ob das irgendjemand vermochte. Sie erinnerte sich an ihn als Jugendlichen – finster, übellaunig und arrogant. Natürlich, die Mädchen waren von seiner Scher-dich-zum-Teufel-Haltung angezogen gewesen. Zweifellos hatte sein düsteres, grüblerisches Aussehen zusammen mit den funkelnden grauen Augen diese Anziehung verstärkt.
Seltsam, dass ich mich an die Farbe seiner Augen erinnere, überlegte Suzanna. Andererseits, das einzige Mal, als diese Augen aus nächster Nähe auf sie gerichtet gewesen waren, hätte Holt sie beinahe mit seinem Blick bei lebendigem Leib verbrannt.
Wahrscheinlich hat er den Zusammenstoß vergessen, versicherte sie sich. Suzanna hoffte es wenigstens. Streitigkeiten brachten sie zum Zittern und Schwitzen, und sie hatte davon in ihrer Ehe genug erlebt, dass es für ein ganzes Leben reichte. Sicher grollte Holt ihr nicht mehr. Es war zwölf Jahre her. Immerhin war er nicht stark verletzt worden, als er kopfüber von seinem Motorrad geflogen war. Und es war seine Schuld gewesen. Suzanna reckte ihr Kinn hoch. Sie hatte die Vorfahrt gehabt.
Jedenfalls hatte sie Lilah versprochen, mit ihm zu reden. Sie mussten jeder Verbindung zu Biancas verschwundenen Smaragden nachgehen. Als Christian Bradfords Enkel mochte Holt irgendwelche Geschichten gehört haben.
Als er vor ein paar Monaten nach Bar Harbor zurückgekehrt war, hatte er sich in demselben Cottage einquartiert, in dem sein Großvater während dessen Romanze mit Bianca gelebt hatte. Suzanna war irisch genug, um an Schicksal zu glauben. Es gab einen Bradford in dem Cottage, und es gab Calhouns in The Towers. Sicher konnten sie gemeinsam die Antworten auf das Geheimnis finden, das beide Familien seit Generationen verfolgte.
Das Cottage stand am Wasser, beschattet von zwei schönen alten Weidenbäumen. Das schlichte Holzgebäude ließ Suzanna an ein Puppenhaus denken, und sie hielt es für eine Schande, dass sich niemand die Mühe gemacht hatte, Blumen zu pflanzen. Das Gras war frisch gemäht, doch ihr professionelles Auge stellte fest, dass an manchen Stellen nachgesät werden musste, und der gesamte Rasen konnte eine ordentliche Dosis Dünger vertragen.
Suzanna ging auf die Tür zu, als das Bellen eines Hundes und die Stimme eines Mannes sie um die Hausecke herumführte.
Ein baufälliger Bootssteg ragte in das ruhige, dunkle Wasser hinaus. Daran festgebunden war ein hübscher kleiner Kabinenkreuzer in schimmerndem Weiß. Der Mann saß im Heck und polierte geduldig das Messing. Er trug kein Hemd. Seine gebräunte Haut spannte sich straff über Knochen und Muskeln und schimmerte vom Schweiß. Seine schwarzen Haare wären lockig über seinen Kragen gefallen, hätte er einen gehabt. Offenbar hielt er es nicht für nötig, mehr als zerrissene, ausgebleichte Shorts zu tragen. Sie schaute auf seine Hände, schlank mit langen Fingern, und fragte sich, ob er sie von seinem Großvater, dem Künstler, geerbt hatte.
Wasser schlug sanft gegen das Boot. Dahinter sah Suzanna einen Fischadler hochsteigen und dann niederstoßen. Er gab einen Triumphschrei von sich, als er sich wieder erhob und ein silbriger Fisch sich in seinen Klauen wand. Der Mann im Boot arbeitete weiter, offensichtlich ungerührt von dem Drama von Leben und Tod in seiner Nähe.
Suzanna zwang ein – wie sie hoffte – höfliches Lächeln um ihren Mund und ging auf den Bootssteg zu. »Entschuldigen Sie!«
Als er seinen Kopf hochreckte, erstarrte Suzanna. Wenn er eine Waffe hätte, würde er auf mich zielen, dachte sie unwillkürlich. Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte er sich von entspannt zu voll angespannt gewandelt, zusätzlich mit einer Bereitschaft zur Gewalttätigkeit in der Haltung seines Körpers. Suzannas Mund wurde trocken.
Während sie darum kämpfte, ihren Herzschlag zu beruhigen, stellte sie fest, dass Holt sich verändert hatte. Der finstere Junge war ein gefährlicher Mann geworden. Ihr fiel kein anderes Wort ein. Sein Gesicht war gereift und scharf gezeichnet. Ein Drei-Tage-Bart unterstrich das raue Aussehen.
Doch es waren erneut seine Augen, die sie auf unheimliche Weise beeindruckten. Ein Mann mit solchen scharfen Augen brauchte keine Waffe.
Holt starrte sie an, stand jedoch nicht auf und sagte auch nichts. Er brauchte einen Moment, um sich zu fangen. Hätte er seine Waffe getragen, hätte er sie schon im Anschlag gehalten. Das war einer der Gründe, weshalb er hier war, wieder ein Zivilist.
Er hätte sich zum Entspannen zwingen können. Er wusste, wie er das machen konnte. Aber er erinnerte sich an ihr Gesicht. Ein Mann vergaß dieses Gesicht nicht. Der Himmel wusste, dass er es nicht vergessen hatte. Es war zeitlos. In seiner jugendlichen Fantasie hatte er Suzanna als Prinzessin in fließender Seide gesehen und sich selbst als ihr Ritter, der hundert Drachen erschlagen hätte, um ihre Hand zu bekommen.
Bei der Erinnerung daran zeigte er eine mürrische Miene.
Sie hat sich kaum verändert, dachte er. Ihre Haut ist noch immer wie irische Rosen und Milch, ihr Mund voll und romantisch weich, und ihre Augen besitzen dieses tiefe, verträumte Blau unter langen Wimpern. Diese Augen betrachteten ihn verblüfft und alarmiert, während er sich die Zeit nahm, Suzanna nur anzusehen.
Sie hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, doch Holt erinnerte sich daran, wie es lang und locker und schimmernd blond um ihre Schulter geflossen war.
Sie war groß – alle Calhoun-Frauen waren es –, doch zu dünn. Seine Miene verdüsterte sich daraufhin noch mehr. Er hatte gehört, dass sie geheiratet hatte und geschieden worden war und es schwierige Erfahrungen gewesen waren. Sie hatte zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Es war schwer zu glauben, dass diese gertenschlanke Frau in schmutziger Jeans und verschwitztem T-Shirt jemals Kinder bekommen hatte.
Es war noch schwerer zu glauben und noch härter zu akzeptieren, dass sie seine Nerven vibrieren lassen konnte, indem sie einfach nur drei Meter von ihm entfernt stand.
Seine Augen unverändert auf sie gerichtet, widmete er sich wieder dem Polieren. »Wollen Sie was?«
Suzanna stieß den Atem aus, den sie unbewusst angehalten hatte. »Tut mir leid, dass ich einfach hier so auftauche. Ich bin Suzanna Dumont, Suzanna Calhoun.«
»Ich weiß, wer Sie sind.«
»Ach ja …« Sie räusperte sich. »Ich sehe, dass Sie beschäftigt sind, aber ich möchte mich ein paar Minuten mit Ihnen unterhalten. Wenn es jetzt nicht passt …«
»Worüber?«
Wenn er so reizend ist, dachte sie verärgert, kann ich gleich zur Sache kommen. »Über Ihren Großvater. Er war Christian Bradford, nicht wahr? Der Künstler.«
»Richtig. Na und?«
»Das ist eine längere Geschichte. Darf ich mich setzen?«
Weil Holt bloß die Schultern zuckte, ging sie zum Bootssteg, der ächzte und unter ihren Füßen schwankte, als sie sich vorsichtig darauf setzte.
»Eigentlich fing es 1912 oder 1913 mit meiner Urgroßmutter Bianca an.«
»Ich habe das Märchen schon gehört.« Er konnte sie nun riechen. Blumen und erhitzte Haut. Sein Magen verspannte sich. »Sie war eine unglückliche Ehefrau mit einem reichen und schwierigen Ehemann. Das glich sie aus, indem sie sich einen Liebhaber nahm. Irgendwann hat sie angeblich ihre Smaragdkette versteckt. Die Rückversicherung, falls sie den Schneid fand zu gehen. Anstatt mit ihrem Geliebten in den Sonnenuntergang hinein zu verschwinden, sprang sie aus dem Turmfenster, und die Smaragde wurden nie gefunden.«
»Es war nicht genau so …«
»Jetzt hat Ihre Familie beschlossen, eine Schatzsuche zu starten«, fuhr er fort, als hätte Suzanna nichts gesagt. »Hat viel Pressewirbel aufgerührt und zu mehr Ärger geführt, als Sie vermutlich erwarteten. Ich habe gehört, dass es bei Ihnen vor Kurzem einen aufregenden Zwischenfall gab.«
»Wenn Sie es aufregend nennen, dass meiner Schwester ein Messer an die Kehle gehalten wurde, ja.« In ihren Augen schien Feuer zu brennen. Sie konnte sich selbst meistens nicht gut verteidigen, aber wenn es um ihre Familie ging, wurde sie zur Löwin. »Der Mann, der mit Livingston, oder wie immer der Bastard sich jetzt nennt, zusammenarbeitete, hätte beinahe Lilah und ihren Verlobten umgebracht.«
»Wenn man unschätzbar wertvolle Smaragde mit einer dazugehörigen Legende hat, nagen sich die Ratten durch die Wände.« Holt wusste über Livingston Bescheid. Holt war zehn Jahre lang Polizist gewesen, und obwohl er die meiste Zeit im Rauschgiftdezernat verbracht hatte, waren ihm Berichte über diesen aalglatten und sehr oft gewalttätigen Juwelendieb untergekommen.
»Die Legende und die Smaragde sind Sache meiner Familie.«
»Warum kommen Sie dann zu mir? Ich habe meine Polizeimarke abgegeben und meinen Abschied genommen.«
»Ich bin nicht wegen professioneller Hilfe zu Ihnen gekommen. Es ist etwas Persönliches.« Suzanna holte tief Luft. »Lilahs Verlobter war Geschichtsprofessor an der Cornell University. Vor zwei Monaten stellte Livingston, der sich als Ellis Caufield ausgab, ihn ein, um die Familienpapiere zu durchforschen, die er uns gestohlen hatte.«
Holt polierte die Verzierungen. »Klingt ganz danach, als hätte Lilah keinen guten Geschmack entwickelt.«
»Max wusste nicht, dass die Papiere gestohlen waren«, fuhr Suzanna mit zusammengebissenen Zähnen fort. »Als er es herausfand, hätte Caufield ihn fast umgebracht. Max kam jedenfalls nach The Towers und trieb seine Nachforschungen für uns weiter. Wir haben die Existenz der Smaragde dokumentiert und sogar eine Hausangestellte befragt, die in The Towers in jenem Jahr arbeitete, in dem Bianca starb.«
Holt wechselte den Platz und putzte das Messing blank. »Sie waren fleißig.«
»Ja. Die Angestellte stützte die Geschichte, dass die Halskette versteckt wurde, Bianca verliebt war und ihren Ehemann verlassen wollte. Der Mann, den sie liebte, war ein Künstler.« Suzanna wartete einen Moment. »Sein Name war Christian Bradford.«
Etwas flackerte in Holts Augen, aber nur ganz kurz. Betont langsam legte er den Wolllappen weg, zog eine Zigarette aus dem Päckchen, schnippte sein Feuerzeug an und blies eine Rauchwolke aus.
»Erwarten Sie wirklich, dass ich diese kleine Fantasie glaube?«
Suzanna hatte Überraschung erhofft, sogar Erstaunen. Stattdessen gab er sich ungerührt. »Es ist wahr. Sie traf sich mit ihm auf den Klippen bei The Towers.«
Er zeigte ihr ein Lächeln, das nahe an ein abfälliges Grinsen herankam. »Sie haben die beiden gesehen, nicht wahr? Oh, ich habe auch von dem Geist gehört.« Er sog den Rauch ein und stieß ihn träge aus. »Der melancholische Geist der Bianca Calhoun, der durch ihr Sommerhaus schwebt. Ihr Calhouns seid einfach voll von – Geschichten.«
In Suzanna kochte es, doch ihre Stimme blieb beherrscht. »Bianca Calhoun und Christian Bradford waren ineinander verliebt. In dem Sommer, als sie starb, trafen sie sich oft auf den Klippen gleich unterhalb von The Towers.«
Das berührte eine Saite in ihm, doch er zuckte bloß die Schultern. »Na und?«
»Das ergibt eine Verbindung. Meine Familie kann es sich nicht leisten, irgendwelche Verbindungen zu übersehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Bianca ihrem Christian erzählt hat, wo sie die Smaragde versteckt hatte.«
»Ich kann nicht erkennen, was ein Flirt, ein bedeutungsloser Flirt, zwischen zwei Leuten vor achtzig Jahren mit den Smaragden zu tun haben soll.«
»Könnten Sie dieses Vorurteil, das Sie gegen meine Familie zu haben scheinen, überwinden, würden wir das vielleicht herausfinden.«
»An keinem von beidem interessiert.« Er klappte den Deckel einer kleinen Kühlbox auf. »Wollen Sie ein Bier?«
»Nein.«
»Tja, der Champagner ist mir gerade ausgegangen.« Während er sie beobachtete, schraubte er den Verschluss ab, warf ihn in einen Plastikeimer und nahm einen tiefen Schluck. »Wissen Sie, wenn Sie ein wenig nachdächten, könnten Sie erkennen, dass es ziemlich schwer zu schlucken ist. Die Lady aus dem Herrenhaus, von guter Abstammung und finanziell bestens gestellt, und der um seine Existenz kämpfende Künstler – das passt nicht, Baby. Sie sollten lieber die ganze Sache fallen lassen und sich darauf konzentrieren, Ihre Blumen zu pflanzen. Das machen Sie doch jetzt?«
Er konnte sie ärgern, aber sie wollte sich nicht von ihrem Ziel abbringen lassen. »Das Leben meiner Schwestern wurde bedroht, in mein Haus wurde eingebrochen, Idioten schleichen in meinen Garten und graben meine Rosenbüsche aus.« Sie stand vor ihm, groß und schlank und wütend. »Ich habe nicht die Absicht, die Sache fallen zu lassen.«
»Das ist Ihre Angelegenheit.« Er schnippte seine Zigarette weg, ehe er auf den Landungssteg sprang, der unter ihm erzitterte und schwankte. Holt war größer, als Suzanna in Erinnerung hatte, und sie musste ihr Kinn anheben, um ihm in die Augen sehen zu können. »Erwarten Sie nur nicht, dass ich mich da hineinziehen lasse.«
»Na schön, dann werde ich eben Ihre und meine Zeit nicht weiter verschwenden.«
Holt wartete, bis Suzanna vom Landungssteg gegangen war. »Suzanna.« Er mochte es, wie der Name aus seinem Mund klang, sanft und feminin und altmodisch. »Haben Sie jemals das Autofahren gelernt?«
Mit funkelnden Augen machte sie wieder einen Schritt auf ihn zu. »Geht das alles darum?«, fragte sie. »Kochen Sie noch immer, weil Sie von diesem albernen Motorrad gefallen sind und sich Ihr aufgeblasenes männliches Ego angekratzt haben?«
»Das war nicht das Einzige, was angekratzt wurde – oder aufgeschürft oder aufgerissen.« Er erinnerte sich daran, wie sie ausgesehen hatte. Himmel, Suzanna konnte damals nicht älter als sechzehn gewesen sein. Sie war aus ihrem Wagen gesprungen, ihr Haar vom Wind zerzaust, ihr Gesicht blass, ihre Augen dunkel und voll Sorge und Angst. Und er hatte neben der Straße gelegen, und der Stolz seiner zwanzig Jahre war so verletzt gewesen wie seine vom Asphalt aufgerissene Haut.
»Das glaube ich einfach nicht«, sagte Suzanna. »Sie haben es noch immer nicht verwunden nach zwölf Jahren. Und Sie haben nicht verwunden, dass es eindeutig Ihre Schuld war.«
»Meine Schuld?« Er deutete mit der Flasche nach ihr. »Sie sind diejenige, die mich gerammt hat.«
»Ich habe weder Sie noch jemals irgendjemand anderen gerammt. Sie sind gestürzt.«
»Hätte ich das Motorrad nicht in den Graben gelenkt, wäre ich von Ihnen gerammt worden. Sie haben nicht aufgepasst, das ist es.«
»Ich hatte die Vorfahrt. Und Sie sind auch viel zu schnell gefahren.«
»Das ist ja Quatsch!« Er bekam Spaß an dem Disput. »Sie haben Ihr hübsches Gesicht im Rückspiegel betrachtet.«
»Das habe ich ganz sicher nicht getan. Ich habe meine Augen keine einzige Sekunde von der Straße abgewandt.«
»Wenn es tatsächlich so gewesen wäre, hätten Sie mich nicht gerammt.«
»Ich habe Sie nicht …« Suzanna murmelte eine Verwünschung. »Ich werde nicht mit Ihnen über etwas streiten, das zwölf Jahre her ist.«
»Sie sind hierher gekommen, um mich in etwas zu verwickeln, das achtzig Jahre her ist.«
»Das war ein offensichtlicher Fehler.« Sie hätte es dabei belassen, wäre nicht ein sehr großer, sehr nasser Hund über den Rasen angelaufen gekommen. Mit fröhlichem Bellen sprang das Tier hoch, drückte seine schmutzigen Vorderpfoten gegen Suzannas T-Shirt und ließ sie rückwärts taumeln.
»Sadie, Platz!« Während Holt den scharfen Befehl rief, fing er Suzanna auf, ehe sie zu Boden fallen konnte. »Dummes Miststück!«
»Wie bitte?«
»Nicht Sie, der Hund.« Sadie saß bereits und klopfte mit ihrem triefend nassen Schwanz. »Alles in Ordnung?« Er hatte noch immer seine Arme um Suzanna gelegt und stützte sie mit seiner Brust.
»Ja, bestens.« Er hat Muskeln wie Stein. Es war unmöglich, das zu ignorieren. Genau wie es unmöglich war, seinen Atem nicht zu bemerken, der ihre Schläfe streifte und sehr maskulin duftete. Es war lange her, dass ein Mann sie in seinen Armen gehalten hatte.
Langsam drehte er sie herum. Einen Moment – einen Moment zu lang – stand sie von Angesicht zu Angesicht mit ihm, in seinen Armen gefangen. Sein Blick zuckte zu ihrem Mund, verharrte dort. Eine Möwe zog über sie hinweg. Holt fühlte Suzannas Herz schlagen.
»Tut mir leid«, sagte er und ließ sie los. »Sadie sieht sich selbst noch immer als niedlichen kleinen Welpen. Sie hat Ihr T-Shirt schmutzig gemacht.«
»Schmutz gehört zu meinem Geschäft.« Suzanna brauchte Zeit, um sich zu erholen, kauerte sich hin und streichelte den Kopf des Hundes. »Hallo, Sadie!«
Holt schob seine Hände in die Hosentaschen, während Suzanna sich mit seinem Hund bekannt machte. Holt wünschte, sie würde nicht so schön aussehen, und ihr Lachen, als der Hund ihr über das Gesicht leckte, würde nicht so perfekt auf seinen Nerven spielen.
In diesem einen Moment, in dem er sie festhielt, hatte sie so in seine Arme gepasst, wie er sich das einst vorgestellt hatte. Seine Hände ballten sich in den Taschen zu Fäusten, weil er Suzanna berühren wollte. Nein, das kam der Wahrheit nicht einmal nahe. Er wollte sie in das Cottage ziehen, auf das Bett werfen und die unglaublichsten Dinge mit ihr anstellen.
»Vielleicht ist ein Mann, der einen so lieben Hund besitzt, nicht ganz schlecht.« Sie warf einen Blick über ihre Schulter, und das leichte Lächeln war wie weggewischt. Wie er sie ansah, seine Augen so dunkel und wild funkelnd, sein markantes Gesicht so verschlossen, ließ ihr den Atem stocken. Gewalttätigkeit strahlte von ihm aus. Suzanna hatte einen Geschmack von Gewalttätigkeit von einem Mann bekommen, und die Erinnerung daran machte ihre Glieder schwach.
Langsam entspannte er seine Schultern, seine Arme, seine Hände. »Vielleicht ist er nicht schlecht«, sagte er lässig. »Aber im Moment ist es mehr so, dass er mich besitzt.«
Suzanna fand es angenehmer, den Hund als den Herrn anzusehen. »Wir haben einen Welpen. Nun ja, er wächst rasend schnell und wird bald so groß wie Sadie sein. Er sieht ihr sogar sehr ähnlich. Hatte sie vor ein paar Monaten Junge?«
»Nein.«
»Hm. Er hat die gleiche Farbe, die gleiche Kopfform. Mein Schwager hat ihn halb verhungert gefunden. Jemand hat ihn vermutlich ausgesetzt, und er ist irgendwie in die Klippen geraten.«
»Nicht einmal ich setze hilflose Welpen aus«, meinte er entrüstet.
»Ich wollte nicht andeuten …« Sie brach ab, weil ihr ein neuer Gedanke gekommen war. Er war nicht verrückter als die Suche nach den verschwundenen Smaragden. »Hatte Ihr Großvater einen Hund?«
»Er hatte immer einen Hund, nahm ihn überallhin mit, wohin er auch ging. Sadie ist eine seiner Nachfahren.«
Langsam stand sie wieder auf. »Hatte er einen Hund namens Fred?«
Holt zog die Augenbrauen ein wenig zusammen. »Warum?«
»Hatte er einen?«
Holt gefiel nicht, wohin dieses Gespräch steuerte. »Sein erster Hund hieß Fred. Das war vor dem Ersten Weltkrieg. Er hat ihn gemalt. Und als Fred mehrere Hundedamen in der Nachbarschaft beglückte, nahm mein Großvater zwei Welpen zu sich.«
Suzanna wischte ihre plötzlich feucht gewordenen Hände an ihrer Jeans ab. Sie musste ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ihre Stimme fest klingen zu lassen. »Am Tag vor Biancas Tod brachte sie ihren Kindern einen schwarzen Welpen nach Hause, den sie Fred nannte.« Sie bemerkte die Veränderung in seiner Miene und wusste, dass sie sein Interesse geweckt hatte. »Sie hatte den Hund in den Klippen gefunden, an denen sie sich mit Christian traf. Mein Urgroßvater erlaubte nicht, dass der Hund im Haus blieb. Sie stritten sich deshalb ernsthaft. Wir haben ein Hausmädchen gefunden, das alles gehört hat. Niemand wusste, was aus diesem Hund wurde – bis jetzt.«
»Selbst wenn das stimmt«, warf Holt ein, »ändert das nichts an der Sache. Ich kann nichts für Sie tun.«
»Sie können darüber nachdenken und sich zu erinnern versuchen, ob er irgendetwas sagte oder hinterließ, das helfen könnte.«
»Ich habe genug, worüber ich nachdenken muss.« Holt ging ein paar Schritte weg. Er wollte in nichts verwickelt werden, das ihn immer wieder mit ihr in Berührung bringen konnte.
Suzanna widersprach nicht. Sie konnte nur auf die lange gezackte Narbe starren, die von seiner Schulter fast bis zur Taille verlief. Er drehte sich um und erkannte, dass sie entsetzt war.
»Tut mir leid. Ich war auf Ihren Besuch nicht vorbereitet, sonst hätte ich etwas angezogen.«
»Was …« Sie musste den Kloß in ihrem Hals schlucken. »Was ist Ihnen zugestoßen?«
»Ich war eine Nacht zu lange Polizist.« Er schaute in ihre Augen. »Ich kann Ihnen nicht helfen, Suzanna.«
Sie schüttelte das Mitleid ab, das er offenbar verabscheute. »Sie wollen nicht.«
»Was auch immer. Wollte ich in anderer Leute Problemen herumgraben, wäre ich noch bei der Polizei.«
»Ich bitte Sie nur darum, ein wenig nachzudenken und uns zu verständigen, falls Sie sich an etwas erinnern, das uns helfen könnte.«
Seine Geduld ging zu Ende. Holt fand, dass er Suzanna bereits mehr gegeben hatte, als ihr für einen Tag zustand. »Ich war noch ein Kind, als er starb. Glauben Sie wirklich, er hätte es mir erzählt, falls er eine Affäre mit einer verheirateten Frau hatte?«
»Sie lassen es schmutzig klingen.«
»Manche Leute finden Ehebruch nicht romantisch.« Er zuckte die Schultern. Ihm war das alles gleichgültig. »Andererseits, wenn einer der Ehepartner sich als Reinfall entpuppt, kann man wohl dem anderen kaum einen Vorwurf machen, wenn er sich anderswo umsieht.«
Bei diesen Worten blickte sie weg und verspürte einen ganz persönlichen Schmerz. »Ich interessiere mich nicht für Ihre Moralansichten, Holt, nur für Ihre Erinnerungen. Und ich habe genug von Ihrer Zeit in Anspruch genommen.«
Er wusste nicht, was er gesagt hatte, um diesen traurigen, verletzten Blick in ihre Augen zu bringen. Doch er konnte sie so nicht gehen lassen. Dieser Blick hätte ihn verfolgt. »Ich glaube, Sie klammern sich an einen Strohhalm, aber wenn mir etwas einfällt, lasse ich es Sie wissen – um Sadies Vorfahren willen.«
»Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.«
»Aber erwarten Sie nichts.«
Mit einem angedeuteten Lächeln wandte sie sich ab und ging zu ihrem Lastwagen. »Glauben Sie mir, ich erwarte nichts.« Es überraschte Suzanna, als er mit ihr den Rasen überquerte.
»Ich habe gehört, dass Sie ein Geschäft eröffnet haben.«
»Das stimmt.« Sie sah sich in seinem Garten um. »Sie könnten meine Dienste brauchen.«
Holts Miene drückte etwas Abfälliges aus. »Ich bin nicht der Typ für Rosenbüsche.«
»Aber das Cottage.« Sie fischte die Schlüssel aus ihrer Tasche. »Es wäre nicht viel nötig, um es zauberhaft zu gestalten.«
»Ich bin nicht für Blumengebinde zu haben, Baby. Ich überlasse das Herumschnippeln in Rosengärten Ihnen.«
Sie dachte an die schmerzenden Muskeln am Abend eines langen Tages, kletterte in den Lastwagen und knallte die Tür zu. »Ja, im Garten herumschnippeln, das können wir Frauen am besten. Übrigens, Holt, Ihr Gras braucht Dünger. Ich bin sicher, Sie produzieren genug davon.«
Sie ließ den Motor aufheulen, rammte den Rückwärtsgang hinein und fuhr los.
2. KAPITEL