Die Geheimwissenschaft im Umriss - Rudolf Steiner - E-Book

Die Geheimwissenschaft im Umriss E-Book

Rudolf Steiner

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

"Die Geheimwissenschaft im Umriss" von Rudolf Steiner, Begründer der Anthroposophie und der Waldorfpädagogik, umreisst die Anthroposophie als Ganzes und entwirft eine Theorie einer höheren Welt und des Zugangs zu dieser. Behandelt werden Wesen des Menschen, Schlaf und Tod, Weltentwicklung, Erkenntnis der höheren Welt, Gegenwart und Zukunft der Weltentwicklung und des Menschen.

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Seitenzahl: 509

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LUNATA

Die Geheimwissenschaft im Umriss

Rudolf Steiner

Die Geheimwissenschaft im Umriss

© 1910 by Rudolf Steiner

Umschlagbild: Drittes apokalyptisches Siegel,

Rudolf Steiner

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

I. Charakter der Geheimwissenschaft

II. Wesen der Menschheit

III. Schlaf und Tod

IV. Die Weltentwicklung und der Mensch

V. Die Erkenntnis der höheren Welten (von der Einweihung oder Initiation)

VI. Gegenwart und Zukunft der Welt- und Menschheitsentwicklung

VII. Einzelheiten aus dem Gebiet der Geisteswissenschaft

Anmerkungen

Über den Autor

I. Charakter der Geheimwissenschaft

Ein altes Wort: »Geheimwissenschaft« wird für den Inhalt dieses Buches angewendet. Das Wort kann Veranlassung werden, daß sogleich bei den verschiedenen Menschen der Gegenwart die entgegengesetztesten Empfindungen wachgerufen werden. Für viele hat es etwas Abstoßendes; es ruft Spott, mitleidiges Lächeln, vielleicht Verachtung hervor. Sie stellen sich vor, daß eine Vorstellungsart, die sich so bezeichnet, nur auf einer müßigen Träumerei, auf Phantasterei beruhen könne, daß sich hinter solcher »vermeintlichen« Wissenschaft nur der Drang verbergen könne, allerlei Aberglauben zu erneuern, den mit Recht meidet, wer »wahre Wissenschaftlichkeit« und »echtes Erkenntnisstreben« kennengelernt hat. Auf andere wirkt das Wort so, als ob ihnen das damit Gemeinte etwas bringen müsse, was auf keinem anderen Wege zu erlangen ist und zu dem sie, je nach ihrer Veranlagung, tief innerliche Erkenntnissehnsucht oder seelisch verfeinerte Neugierde hinzieht. Zwischen diesen schroff einander gegenüberstehenden Meinungen gibt es alle möglichen Zwischenstufen der bedingten Ablehnung oder Annahme dessen, was sich der eine oder der andere vorstellt, wenn er das Wort »Geheimwissenschaft« vernimmt.

Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß für manchen das Wort »Geheimwissenschaft« deshalb einen zauberhaften Klang hat, weil es seine verhängnisvolle Sucht zu befriedigen scheint nach einem auf naturgemäßem Wege nicht zu erlangenden Wissen von einem »Unbekannten«, Geheimnisvollen, ja Unklaren. Denn viele Menschen wollen die tiefsten Sehnsuchten ihrer Seele nicht durch das befriedigen, was klar erkannt werden kann. Ihre Überzeugung geht dahin, daß es außer demjenigen, was man in der Welt erkennen könne, noch etwas geben müsse, das sich der Erkenntnis entzieht. Mit einem sonderbaren Widersinn, den sie nicht bemerken, lehnen sie für die tiefsten Erkenntnissehnsuchten alles ab, was »bekannt ist«, und wollen dafür nur etwas gelten lassen, wovon man nicht sagen könne, daß es durch naturgemäßes Forschen bekannt werde. Wer von »Geheimwissenschaft« redet, wird gut daran tun, sich vor Augen zu halten, daß ihm Missverständnisse entgegenstehen, die von solchen Verteidigern einer derartigen Wissenschaft verursacht werden; von Verteidigern, die eigentlich nicht ein Wissen, sondern das Gegenteil davon anstreben.

Diese Ausführungen richten sich an Leser, welche sich ihre Unbefangenheit nicht dadurch nehmen lassen, daß ein Wort durch verschiedene Umstände Vorurteile hervorruft. Von einem Wissen, das in irgendeiner Beziehung als ein »geheimes«, nur durch besondere Schicksalsgunst für manchen zugängliches, gelten soll, wird hier nicht die Rede sein. Man wird dem hier gemeinten Wortgebrauch gerecht werden, wenn man an dasjenige denkt, was Goethe im Sinne hat, wenn er von den »offenbaren Geheimnissen« in den Welterscheinungen spricht. Was in diesen Erscheinungen »geheim«, unoffenbar bleibt, wenn man sie nur durch die Sinne und den an die Sinne sich bindenden Verstand erfaßt, das wird als der Inhalt einer übersinnlichen Erkenntnisart angesehen.1

Wer als »Wissenschaft« nur gelten läßt, was durch die Sinne und den ihnen dienenden Verstand offenbar wird, für den kann selbstverständlich das hier als »Geheimwissenschaft« Gemeinte keine Wissenschaft sein. Ein solcher müßte aber, wenn er sich selbst verstehen wollte, zugeben, daß er nicht aus einer begründeten Einsicht heraus, sondern durch einen seinem rein persönlichen Empfinden entstammenden Machtspruch eine »Geheimwissenschaft« ablehnt. Um das einzusehen, hat man nur nötig, Überlegungen darüber anzustellen, wie Wissenschaft entsteht und welche Bedeutung sie im menschlichen Leben hat. Das Entstehen der Wissenschaft dem Wesen nach erkennt man nicht an dem Gegenstande, den die Wissenschaft ergreift man erkennt es an der im wissenschaftlichen Streben auftretenden Betätigungsart der menschlichen Seele. Wie sich die Seele verhält, indem sie Wissenschaft sich erarbeitet, darauf hat man zu sehen. Eignet man sich die Gewohnheit an, diese Betätigungsart nur dann ins Werk zu setzen, wenn die Offenbarungen der Sinne in Betracht kommen, dann gerät man leicht auf die Meinung, diese Sinnesoffenbarung sei das Wesentliche. Und man lenkt dann den Blick nicht darauf, daß ein gewisses Verhalten der menschlichen Seele eben nur auf die Sinnesoffenbarung angewendet worden ist. Aber man kann über diese willkürliche Selbstbeschränkung hinauskommen und, abgesehen von dem besonderen Falle der Anwendung, den Charakter der wissenschaftlichen Betätigung ins Auge fassen. Dies liegt zugrunde, wenn hier für die Erkenntnis nichtsinnlicher Weltinhalte als von einer »wissenschaftlichen« gesprochen wird. An diesen Weltinhalten will sich die menschliche Vorstellungsart so betätigen, wie sie sich im andern Falle an den naturwissenschaftlichen Weltinhalten betätigt. Geheimwissenschaft will die naturwissenschaftliche Forschungsart und Forschungsgesinnung, die auf ihrem Gebiete sich an den Zusammenhang und Verlauf der sinnlichen Tatsachen hält, von dieser besonderen Anwendung loslösen, aber sie in ihrer denkerischen und sonstigen Eigenart festhalten. Sie will über Nichtsinnliches in derselben Art sprechen, wie die Naturwissenschaft über Sinnliches spricht. Während die Naturwissenschaft im Sinnlichen mit dieser Forschungsart und Denkweise stehenbleibt, will Geheimwissenschaft die seelische Arbeit an der Natur als eine Art Selbsterziehung der Seele betrachten und das Anerzogene auf das nichtsinnliche Gebiet anwenden. Sie will so verfahren, daß sie zwar nicht über die sinnlichen Erscheinungen als solche spricht, aber über die nichtsinnlichen Weltinhalte so, wie der Naturforscher über die sinnenfälligen. Sie hält von dem naturwissenschaftlichen Verfahren die seelische Verfassung innerhalb dieses Verfahrens fest, also gerade das, durch welches Naturerkenntnis Wissenschaft erst wird. Sie darf sich deshalb als Wissenschaft bezeichnen.

Wer über die Bedeutung der Naturwissenschaft im menschlichen Leben Überlegungen anstellt, der wird finden, daß diese Bedeutung nicht erschöpft sein kann mit der Aneignung von Naturerkenntnissen. Denn diese Erkenntnisse können nie und nimmer zu etwas anderem führen als zu einem Erleben desjenigen, was die Menschenseele selbst nicht ist. Nicht in dem lebt das Seelische, was der Mensch an der Natur erkennt, sondern in dem Vorgang des Erkennens. In ihrer Betätigung an der Natur erlebt sich die Seele. Was sie in dieser Betätigung lebensvoll sich erarbeitet, das ist noch etwas anderes als das Wissen über die Natur selbst. Das ist an der Naturerkenntnis erfahrene Selbstentwicklung. Den Gewinn dieser Selbstentwicklung will die Geheimwissenschaft bestätigen auf Gebieten, die über die bloße Natur hinausliegen. Der Geheimwissenschafter will den Wert der Naturwissenschaft nicht verkennen, sondern ihn noch besser anerkennen als der Naturwissenschafter selbst. Er weiß daß er ohne die Strenge der Vorstellungsart, die in der Naturwissenschaft waltet, keine Wissenschaft begründen kann. Er weiß aber auch, daß, wenn diese Strenge durch ein echtes Eindringen in den Geist des naturwissenschaftlichen Denkens erworben ist, sie festgehalten werden kann durch die Kraft der Seele für andere Gebiete.

Etwas, was bedenklich machen kann, tritt dabei allerdings auf. In der Betrachtung der Natur wird die Seele durch den betrachteten Gegenstand in einem viel stärkeren Maße geleitet als in derjenigen nichtsinnlicher Weltinhalte. In dieser muß sie in einem höheren Maße aus rein inneren Impulsen heraus die Fähigkeit haben, das Wesen der wissenschaftlichen Vorstellungsart festzuhalten. Weil sehr viele Menschen – unbewußt – glauben, daß nur an dem Leitfaden der Naturerscheinungen dieses Wesen festgehalten werden kann, sind sie geneigt, durch einen Machtspruch sich dahin zu entscheiden; sobald dieser Leitfaden verlassen wird, tappt die Seele mit ihrem wissenschaftlichen Verfahren im Leeren. Solche Menschen haben sich die Eigenart dieses Verfahrens nicht zum Bewusstsein gebracht; sie bilden sich ihr Urteil zumeist aus den Verirrungen, die entstehen müssen, wenn die wissenschaftliche Gesinnung an den Naturerscheinungen nicht gefestigt genug ist und trotzdem die Seele sich an die Betrachtung des nichtsinnlichen Weltgebietes begeben will. Da entsteht selbstverständlich viel unwissenschaftliches Reden über nichtsinnliche Weltinhalte. Aber nicht deswegen, weil solches Reden seinem Wesen nach nicht wissenschaftlich sein kann, sondern weil es, im besonderen Falle, an der wissenschaftlichen Selbsterziehung durch die Naturbeobachtung hat fehlen lassen.

Wer von Geheimwissenschaft reden will, muß allerdings mit Rücksicht auf das eben Gesagte einen wachsamen Sinn haben für alles Irrlichtelierende, das entsteht, wenn über die offenbaren Geheimnisse der Welt etwas ausgemacht wird ohne wissenschaftliche Gesinnung. Dennoch führte es zu etwas Ersprießlichem nicht, wenn hier, gleich im Anfange geheimwissenschaftlicher Ausführungen, über alle möglichen Verirrungen gesprochen würde, die in der Seele vorurteilsvoller Personen jedes Forschen in dieser Richtung in Missachtung bringen, weil solche Personen aus dem Vorhandensein wahrlich recht zahlreicher Verirrungen auf das Unberechtigte des ganzen Strebens schließen. Da aber zumeist bei Wissenschaftern oder wissenschaftlich gesinnten Beurteilern die Ablehnung der Geheimwissenschaft doch nur auf dem oben gekennzeichneten Machtspruch beruht und die Berufung auf die Verirrungen nur – oft unbewußter – Vorwand ist, so wird eine Auseinandersetzung mit solchen Gegnern zunächst wenig fruchtbar sein. Nichts hindert sie ja, den gewiß durchaus berechtigten Einwand zu machen, daß von vornherein durch nichts festgestellt werden kann, ob denn bei demjenigen, der andere in Verirrung befangen glaubt, der oben gekennzeichnete feste Grund wirklich vorhanden ist. Daher kann der nach einer Geheimwissenschaft Strebende nur einfach vorführen, was er glaubt sagen zu dürfen. Das Urteil über seine Berechtigung können nur andere, aber auch nur solche Personen sich bilden, welche unter Vermeidung aller Machtsprüche sich einzulassen vermögen auf die Art seiner Mitteilungen über die offenbaren Geheimnisse des Weltgeschehens. Obliegen wird ihm allerdings, zu zeigen, wie sich das von ihm Vorgebrachte zu anderen Errungenschaften des Wissens und des Lebens verhält, welche Gegnerschaften möglich sind und inwiefern die unmittelbare äußere sinnenfällige Lebenswirklichkeit Bestätigungen bringt für seine Beobachtungen. Aber er sollte niemals darnach streben, seine Darstellung so zu halten, daß diese statt durch ihren Inhalt durch seine Überredungskunst wirke.

Man kann gegenüber geheimwissenschaftlichen Ausführungen oftmals den Einwand hören: diese beweisen nicht, was sie vorbringen; sie stellen nur das eine oder das andere hin und sagen: die Geheimwissenschaft stelle dieses fest. Die folgenden Ausführungen verkennt man, wenn man glaubt, irgend etwas in ihnen sei in diesem Sinne vorgebracht. Was hier angestrebt wird, ist, das in der Seele am Naturwissen Entfaltete sich so weiter entwickeln zu lassen, wie es sich seiner eigenen Wesenheit nach entwickeln kann, und dann darauf aufmerksam zu machen, daß bei solcher Entwicklung die Seele auf übersinnliche Tatsachen stößt. Es wird dabei vorausgesetzt, daß jeder Leser, der auf das Ausgeführte einzugehen vermag, ganz notwendig auf diese Tatsachen stößt. Ein Unterschied gegenüber der rein naturwissenschaftlichen Betrachtung liegt allerdings in dem Augenblicke vor, in dem man das geisteswissenschaftliche Gebiet betritt. In der Naturwissenschaft liegen die Tatsachen im Felde der Sinneswelt vor; der wissenschaftliche Darsteller betrachtet die Seelenbetätigung als etwas, das gegenüber dem Zusammenhang und Verlauf der Sinnes-Tatsachen zurücktritt. Der geisteswissenschaftliche Darsteller muß diese Seelenbetätigung in den Vordergrund stellen; denn der Leser gelangt nur zu den Tatsachen, wenn er diese Seelenbetätigung in rechtmäßiger Weise zu seiner eigenen macht. Diese Tatsachen sind nicht wie in der Naturwissenschaft – allerdings unbegriffen – auch ohne die Seelenbetätigung vor der menschlichen Wahrnehmung; sie treten vielmehr in diese nur durch die Seelenbetätigung. Der geisteswissenschaftliche Darsteller setzt also voraus, daß der Leser mit ihm gemeinsam die Tatsachen sucht. Seine Darstellung wird in der Art gehalten sein, daß er von dem Auffinden dieser Tatsachen erzählt und daß in der Art, wie er erzählt, nicht persönliche Willkür, sondern der an der Naturwissenschaft heranerzogene wissenschaftliche Sinn herrscht. Er wird daher auch genötigt sein, von den Mitteln zu sprechen, durch die man zu einer Betrachtung des Nichtsinnlichen – des Übersinnlichen – gelangt.

Wer sich in eine geheimwissenschaftliche Darstellung einläßt, der wird bald einsehen, daß durch sie Vorstellungen und Ideen erworben werden, die man vorher nicht gehabt hat. So kommt man zu neuen Gedanken auch über das, was man vorher über das Wesen des »Beweisens« gemeint hat. Man lernt erkennen, daß für die naturwissenschaftliche Darstellung das »Beweisen« etwas ist, was an diese gewissermaßen von außen herangebracht wird. Im geisteswissenschaftlichen Denken liegt aber die Betätigung, welche die Seele beim naturwissenschaftlichen Denken auf den Beweis wendet, schon in dem Suchen nach den Tatsachen. Man kann diese nicht finden, wenn nicht der Weg zu ihnen schon ein beweisender ist. Wer diesen Weg wirklich durchschreitet, hat auch schon das Beweisende erlebt; es kann nichts durch einen von außen hinzugefügten Beweis geleistet werden. Daß man dieses im Charakter der Geheimwissenschaft verkennt, ruft viele Missverständnisse hervor.

Alle Geheimwissenschaft muß aus zwei Gedanken hervorkeimen, die in jedem Menschen Wurzel fassen können. Für den Geheimwissenschafter, wie er hier gemeint ist, drücken diese beiden Gedanken Tatsachen aus, die man erleben kann, wenn man sich der rechten Mittel dazu bedient. Für viele Menschen bedeuten schon diese Gedanken höchst anfechtbare Behauptungen, über die sich viel streiten läßt, wenn nicht gar etwas, dessen Unmöglichkeit man »beweisen« kann.

Diese beiden Gedanken sind, daß es hinter der sichtbaren Welt eine unsichtbare, eine zunächst für die Sinne und das an diese Sinne gefesselte Denken verborgene Welt gibt, und daß es dem Menschen durch Entwicklung von Fähigkeiten, die in ihm schlummern, möglich ist, in diese verborgene Welt einzudringen.

Solch eine verborgene Welt gibt es nicht, sagt der eine. Die Welt, welche der Mensch durch seine Sinne wahrnimmt, sei die einzige. Man könne ihre Rätsel aus ihr selbst lösen. Wenn auch der Mensch gegenwärtig noch weit davon entfernt sei, alle Fragen des Daseins beantworten zu können, es werde schon die Zeit kommen, wo die Sinneserfahrung und die auf sie gestützte Wissenschaft die Antworten werden geben können.

Man könne nicht behaupten, daß es nicht eine verborgene Welt hinter der sichtbaren gebe, sagen andere; aber die menschlichen Erkenntniskräfte können nicht in diese Welt eindringen. Sie haben Grenzen, die sie nicht überschreiten können. Mag das Bedürfnis des »Glaubens« zu einer solchen Welt seine Zuflucht nehmen: eine wahre Wissenschaft, die sich auf gesicherte Tatsachen stützt, könne sich mit einer solchen Welt nicht beschäftigen.

Eine dritte Partei ist die, welche es für eine Art Vermessenheit ansieht, wenn der Mensch durch seine Erkenntnisarbeit in ein Gebiet eindringen will, in Bezug auf welches man auf »Wissen« verzichten und sich mit dem »Glauben« bescheiden soll. Wie ein Unrecht empfinden es die Bekenner dieser Meinung, wenn der schwache Mensch vordringen will in eine Welt, die einzig dem religiösen Leben angehören könne.

Auch das wird vorgebracht, daß allen Menschen eine gemeinsame Erkenntnis der Tatsachen der Sinneswelt möglich sei, daß aber in Bezug auf die übersinnlichen Dinge einzig die persönliche Meinung des einzelnen in Frage kommen könne und daß von einer allgemein geltenden Gewissheit in diesen Dingen nicht gesprochen werden sollte.

Andere behaupten vieles andere.

Man kann sich klar darüber werden, daß die Betrachtung der sichtbaren Welt dem Menschen Rätsel vorlegt, die niemals aus den Tatsachen dieser Welt selbst gelöst werden können. Sie werden auch dann auf diese Art nicht gelöst werden, wenn die Wissenschaft dieser Tatsachen so weit wie nur irgend möglich fortgeschritten sein wird. Denn die sichtbaren Tatsachen weisen deutlich durch ihre eigene innere Wesenheit auf eine verborgene Welt hin. Wer solches nicht einsieht, der verschließt sich den Rätseln, die überall deutlich aus den Tatsachen der Sinneswelt hervorspringen. Er will gewisse Fragen und Rätsel gar nicht sehen; deshalb glaubt er, daß alle Fragen durch die sinnenfälligen Tatsachen beantwortet werden können. Diejenigen Fragen, welche er stellen will, sind wirklich auch alle durch die Tatsachen zu beantworten, von denen er sich verspricht, daß man sie im Laufe der Zukunft entdecken werde. Das kann man ohne weiteres zugeben. Aber warum sollte der auch auf Antworten in gewissen Dingen warten, der gar keine Fragen stellt? Wer nach Geheimwissenschaft strebt, sagt nichts anderes, als daß für ihn solche Fragen selbstverständlich seien und daß man sie als einen vollberechtigten Ausdruck der menschlichen Seele anerkennen müsse. Die Wissenschaft kann doch nicht dadurch in Grenzen eingezwängt werden, daß man dem Menschen das unbefangene Fragen verbietet.

Zu der Meinung, der Mensch habe Grenzen seiner Erkenntnis, die er nicht überschreiten könne und die ihn zwingen, vor einer unsichtbaren Welt haltzumachen, muß doch gesagt werden: es kann gar kein Zweifel obwalten, daß man durch diejenige Erkenntnisart, welche da gemeint ist, nicht in eine unsichtbare Welt eindringen könne. Wer diese Erkenntnisart für die einzig mögliche hält, der kann gar nicht zu einer andern Ansicht als zu der kommen, daß es dem Menschen versagt sei, in eine etwa vorhandene höhere Welt einzudringen. Aber man kann doch auch das Folgende sagen: wenn es möglich ist, eine andere Erkenntnisart zu entwickeln, so kann doch diese in die übersinnliche Welt führen. Hält man eine solche Erkenntnisart für unmöglich, dann kommt man zu einem Gesichtspunkte, von dem aus gesehen alles Reden über eine übersinnliche Welt als der reine Unsinn erscheint. Gegenüber einem unbefangenen Urteil kann es aber für eine solche Meinung keinen andern Grund geben als den, daß dem Bekenner derselben jene andere Erkenntnisart unbekannt ist. Wie kann man aber über dasjenige überhaupt urteilen, von dem man behauptet, daß man es nicht kenne? Unbefangenes Denken muß sich zu dem Satz bekennen, daß man nur von demjenigen spreche, was man kennt, und daß man über dasjenige nichts feststelle, was man nicht kennt. Solches Denken kann nur von dem Rechte sprechen, daß jemand eine Sache mitteile, die er erfahren hat, nicht aber von einem Rechte, daß jemand für unmöglich erkläre, was er nicht weiß oder nicht wissen will. Man kann niemand das Recht bestreiten, sich um das Übersinnliche nicht zu kümmern; aber niemals kann sich ein echter Grund dafür ergeben, daß jemand nicht nur für das sich maßgebend erklärte, was er wissen kann, sondern auch für alles das, was »ein Mensch« nicht wissen kann.

Denen gegenüber, welche es als Vermessenheit erklären, in das übersinnliche Gebiet einzudringen, muß eine geheimwissenschaftliche Betrachtung zu bedenken geben, daß man dies könne und daß es eine Versündigung sei gegen die dem Menschen gegebenen Fähigkeiten, wenn er sie veröden läßt, statt sie zu entwickeln und sich ihrer zu bedienen.

Wer aber glaubt, die Ansichten über die übersinnliche Welt müssen ganz dem persönlichen Meinen und Empfinden angehören, der verleugnet das Gemeinsame in allen menschlichen Wesen. Es ist gewiß richtig, daß die Einsicht in diese Dinge ein jeder durch sich selbst finden müsse, es ist auch eine Tatsache, daß alle diejenigen Menschen, welche nur weit genug gehen, über diese Dinge nicht zu verschiedenen, sondern zu der gleichen Einsicht kommen. Die Verschiedenheit ist nur solange vorhanden, als sich die Menschen nicht auf einem wissenschaftlich gesicherten Wege, sondern auf dem der persönlichen Willkür den höchsten Wahrheiten nähern wollen. Das allerdings muß ohne weiteres wieder zugestanden werden, daß nur derjenige die Richtigkeit des geheimwissenschaftlichen Weges anerkennen könne, der sich in dessen Eigenart einleben will.

Den Weg zur Geheimwissenschaft kann jeder Mensch in dem für ihn geeigneten Zeitpunkte finden, der das Vorhandensein eines Verborgenen aus dem Offenbaren heraus erkennt oder auch nur vermutet oder ahnt, und welcher aus dem Bewusstsein heraus, daß die Erkenntniskräfte entwicklungsfähig seien, zu dem Gefühl getrieben wird, daß das Verborgene sich ihm enthüllen könne. Einem Menschen, der durch diese Seelenerlebnisse zur Geheimwissenschaft geführt wird, dem eröffnet sich durch diese nicht nur die Aussicht, daß er für gewisse Fragen seines Erkenntnisdranges die Antwort finden werde, sondern auch noch die ganz andere, daß er zum Überwinder alles dessen wird, was das Leben hemmt und schwach macht. Und es bedeutet in einem gewissen höheren Sinne eine Schwächung des Lebens, ja einen seelischen Tod, wenn der Mensch sich gezwungen sieht, sich von dem Übersinnlichen abzuwenden oder es zu leugnen. Ja, es führt unter gewissen Voraussetzungen zur Verzweiflung, wenn ein Mensch die Hoffnung verliert, daß ihm das Verborgene offenbar werde. Dieser Tod und diese Verzweiflung in ihren mannigfaltigen Formen sind zugleich innere, seelische Gegner geheimwissenschaftlicher Bestrebung. Sie treten ein, wenn des Menschen innere Kraft dahinschwindet. Dann muß ihm alle Kraft des Lebens von außen zugeführt werden, wenn überhaupt eine solche in seinen Besitz kommen soll. Er nimmt dann die Dinge, die Wesenheiten und Vorgänge wahr, welche an seine Sinne herantreten; er zergliedert diese mit seinem Verstande. Sie bereiten ihm Freude und Schmerz; sie treiben ihn zu den Handlungen, deren er fähig ist. Er mag es eine Weile so weiter treiben: er muß aber doch einmal an einen Punkt gelangen, an dem er innerlich abstirbt. Denn was so aus der Welt für den Menschen herausgezogen werden kann, erschöpft sich. Dies ist nicht eine Behauptung, welche aus der persönlichen Erfahrung eines einzelnen stammt, sondern etwas, was sich aus einer unbefangenen Betrachtung alles Menschenlebens ergibt. Was vor dieser Erschöpfung bewahrt, ist das Verborgene, das in der Tiefe der Dinge ruht. Erstirbt in dem Menschen die Kraft, in diese Tiefen hinunterzusteigen, um immer neue Lebenskraft heraufzuholen, so erweist sich zuletzt auch das Äußere der Dinge nicht mehr lebenfördernd.

Die Sache verhält sich keineswegs so, daß sie nur den einzelnen Menschen, nur dessen persönliches Wohl und Wehe anginge. Gerade durch wahre geheimwissenschaftliche Betrachtungen wird es dem Menschen zur Gewissheit, daß von einem höheren Gesichtspunkte aus das Wohl und Wehe des einzelnen innig zusammenhängt mit dem Heile oder Unheil der ganzen Welt. Es gibt da einen Weg, auf dem der Mensch zu der Einsicht gelangt, daß er der ganzen Welt und allen Wesen in ihr einen Schaden zufügt, wenn er seine Kräfte nicht in der rechten Art zur Entfaltung bringt. Verödet der Mensch sein Leben dadurch, daß er den Zusammenhang mit dem Übersinnlichen verliert, so zerstört er nicht nur in seinem Innern etwas, dessen Absterben ihn zur Verzweiflung zuletzt führen kann, sondern er bildet durch seine Schwäche ein Hemmnis für die Entwicklung der ganzen Welt, in der er lebt.

Nun kann sich der Mensch täuschen. Er kann sich dem Glauben hingeben, daß es ein Verborgenes nicht gäbe, daß in demjenigen, was an seine Sinne und an seinen Verstand herantritt, schon alles enthalten sei, was überhaupt vorhanden sein kann. Aber diese Täuschung ist nur für die Oberfläche des Bewusstseins möglich, nicht für dessen Tiefe. Das Gefühl und der Wunsch fügen sich diesem täuschenden Glauben nicht. Sie werden immer wieder in irgendeiner Art nach einem Verborgenen verlangen. Und wenn ihnen dieses entzogen ist, drängen sie den Menschen in Zweifel, in Lebensunsicherheit, ja eben in die Verzweiflung hinein. Ein Erkennen, welches das Verborgene offenbar macht, ist geeignet, alle Hoffnungslosigkeit, alle Lebensunsicherheit, alle Verzweiflung, kurz alles dasjenige zu überwinden, was das Leben schwächt und es unfähig zu dem ihm notwendigen Dienste im Weltganzen macht.

Das ist die schöne Frucht geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse, daß sie dem Leben Stärke und Festigkeit und nicht allein der Wissbegierde Befriedigung geben. Der Quell, aus dem solche Erkenntnisse Kraft zur Arbeit, Zuversicht für das Leben schöpfen, ist ein unversieglicher. Keiner, der einmal an diesen Quell wahrhaft herangekommen ist, wird bei wiederholter Zuflucht, die er zu demselben nimmt, ungestärkt hinweggehen.

Es gibt Menschen, die aus dem Grunde von solchen Erkenntnissen nichts wissen wollen, weil sie in dem eben Gesagten schon etwas Ungesundes sehen. Für die Oberfläche und das Äußere des Lebens haben solche Menschen durchaus recht. Sie wollen das nicht verkümmert wissen, was das Leben in der sogenannten Wirklichkeit darbietet. Sie sehen eine Schwäche darin, wenn sich der Mensch von der Wirklichkeit abwendet und sein Heil in einer verborgenen Welt sucht, die für sie ja einer phantastischen, erträumten gleichkommt. Will man bei solchem geisteswissenschaftlichen Suchen nicht in krankhafte Träumerei und Schwäche verfallen, so muß man das teilweise Berechtigte solcher Einwände anerkennen. Denn sie beruhen auf einem gesunden Urteile, welches nur dadurch nicht zu einer ganzen, sondern zu einer halben Wahrheit führt, daß es nicht in die Tiefen der Dinge dringt, sondern an deren Oberfläche stehenbleibt.

Wäre ein übersinnliches Erkenntnisstreben dazu angetan, das Leben zu schwächen und den Menschen zur Abkehr zu bringen von der wahren Wirklichkeit, dann wären sicher solche Einwände stark genug, dieser Geistesrichtung den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Aber auch diesen Meinungen gegenüber würden geheimwissenschaftliche Bestrebungen nicht den rechten Weg gehen, wenn sie sich im gewöhnlichen Sinne des Wortes »verteidigen« wollten. Auch da können sie nur durch ihren für jeden Unbefangenen erkennbaren Wert sprechen, wenn sie fühlbar machen, wie sie Lebenskraft und Lebensstärke dem erhöhen, der sich im rechten Sinne in sie einlebt. Diese Bestrebungen können nicht zum weltfremden Menschen, nicht zum Träumer machen; sie erkraften den Menschen aus denjenigen Lebensquellen, aus denen er, seinem geistig-seelischen Teil nach, stammt.

Andere Hindernisse des Verständnisses noch legen sich manchem Menschen in den Weg, wenn er an geheimwissenschaftliche Bestrebungen herantritt. Es ist nämlich grundsätzlich zwar richtig, daß der Leser in der geheimwissenschaftlichen Darstellung eine Schilderung findet von Seelenerlebnissen, durch deren Verfolgung er sich zu den übersinnlichen Weltinhalten hinbewegen kann. Allein in der Praxis muß sich dieses doch als eine Art Ideal ausleben. Der Leser muß zunächst eine größere Summe von übersinnlichen Erfahrungen, die er noch nicht selbst erlebt, mitteilungsgemäß aufnehmen. Das kann nicht anders sein und wird auch mit diesem Buche so sein. Es wird geschildert werden, was der Verfasser zu wissen vermeint über das Wesen des Menschen, über dessen Verhalten in Geburt und Tod und im leibfreien Zustand in der geistigen Welt; es wird ferner dargestellt werden die Entwicklung der Erde und der Menschheit. So könnte es scheinen, als ob doch die Voraussetzung gemacht würde, daß eine Anzahl vermeintlicher Erkenntnisse wie Dogmen vorgetragen würden, für die Glauben auf Autorität hin verlangt würde. Es ist dies aber doch nicht der Fall. Was nämlich von übersinnlichen Weltinhalten gewußt werden kann, das lebt in dem Darsteller als lebendiger Seeleninhalt; und lebt man sich in diesen Seeleninhalt ein, so entzündet dieses Einleben in der eigenen Seele die Impulse, welche nach den entsprechenden übersinnlichen Tatsachen hinführen. Man lebt im Lesen von geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen auf andere Art, als in demjenigen der Mitteilungen sinnenfälliger Tatsachen. Liest man Mitteilungen aus der sinnenfälligen Welt, so liest man eben über sie. Liest man aber Mitteilungen über übersinnliche Tatsachen im rechten Sinne, so lebt man sich ein in den Strom geistigen Daseins. Im Aufnehmen der Ergebnisse nimmt man zugleich den eigenen Innenweg dazu auf. Es ist richtig, daß dies hier Gemeinte von dem Leser zunächst oft gar nicht bemerkt wird. Man stellt sich den Eintritt in die geistige Welt viel zu ähnlich einem sinnenfälligen Erlebnis vor, und so findet man, daß, was man beim Lesen von dieser Welt erlebt, viel zu gedankenmäßig ist. Aber in dem wahren gedankenmäßigen Aufnehmen steht man in dieser Welt schon drinnen und hat sich nur noch klar darüber zu werden, daß man schon unvermerkt erlebt hat, was man vermeinte, bloß als Gedankenmitteilung erhalten zu haben.

Man wird über die echte Natur dieses Erlebten dann volle Klarheit erhalten, wenn man praktisch durchführt, was im zweiten (letzten) Teile dieses Buches als »Weg« zu den übersinnlichen Erkenntnissen geschildert wird. Man könnte leicht glauben, das Umgekehrte sei richtig: dieser Weg müsse zuerst geschildert werden. Das ist aber nicht der Fall. Wer, ohne auf bestimmte Tatsachen der übersinnlichen Welt den Seelenblick zu richten, nur »Übungen« macht, um in die übersinnliche Welt einzutreten, für den bleibt diese Weit ein unbestimmtes, sich verwirrendes Chaos. Man lernt sich einleben in diese Welt gewissermaßen naiv, indem man sich über bestimmte Tatsachen derselben unterrichtet, und dann gibt man sich Rechenschaft, wie man – die Naivität verlassend – vollbewusst selbst zu den Erlebnissen gelangt, von denen man Mitteilung erlangt hat. Man wird sich, wenn man in geheimwissenschaftliche Darstellungen eindringt, überzeugen, daß ein sicherer Weg zu übersinnlicher Erkenntnis doch nur dieser sein kann. Man wird auch erkennen, daß alle Meinung, es könnten die übersinnlichen Erkenntnisse zuerst als Dogmen gewissermaßen durch suggestive Macht wirken, unbegründet ist. Denn der Inhalt dieser Erkenntnisse wird in einem solchen Seelenleben erworben, das ihm jede bloß suggestive Gewalt benimmt und ihm nur die Möglichkeit gibt, auf demselben Wege zum andern zu sprechen, auf dem alle Wahrheiten zu ihm sprechen, die sich an sein besonnenes Urteil richten. Daß der andere zunächst nicht bemerkt, wie er in der geistigen Welt lebt, dazu liegt nicht der Grund in einem unbesonnenen suggestiven Aufnehmen, sondern in der Feinheit und dem Ungewohnten des im Lesen Erlebten.

So wird man durch das erste Aufnehmen der Mitteilungen, wie sie im ersten Teile dieses Buches gegeben sind, zunächst Mit-Erkenner der übersinnlichen Welt; durch die praktische Ausführung der im zweiten Teile angegebenen Seelenverrichtungen wird man selbständiger Erkenner in dieser Welt.

Dem Geiste und dem wahren Sinne nach wird auch kein echter Wissenschafter einen Widerspruch finden können zwischen seiner auf den Tatsachen der Sinnenwelt erbauten Wissenschaft und der Art, wie die übersinnliche Welt erforscht wird. Jener Wissenschafter bedient sich gewisser Werkzeuge und Methoden. Die Werkzeuge stellt er sich durch Verarbeitung dessen her, was ihm die »Natur« gibt. Die übersinnliche Erkenntnisart bedient sich auch eines Werkzeugs. Nur ist dieses Werkzeug der Mensch selbst. Und auch dieses Werkzeug muß für die höhere Forschung erst zugerichtet werden. Es müssen in ihm die zunächst ohne des Menschen Zutun ihm von der »Natur« gegebenen Fähigkeiten und Kräfte in höhere umgewandelt werden. Dadurch kann sich der Mensch selbst zum Instrument machen für die Erforschung der übersinnlichen Welten.

II. Wesen der Menschheit

Bei der Betrachtung des Menschen vom Gesichtspunkte einer übersinnlichen Erkenntnisart tritt sogleich in Kraft, was von dieser Erkenntnisart im allgemeinen gilt. Diese Betrachtung beruht auf der Anerkennung des »offenbaren Geheimnisses« in der eigenen menschlichen Wesenheit. Den Sinnen und dem auf sie gestützten Verstande ist nur ein Teil von dem zugänglich, was in übersinnlicher Erkenntnis als menschliche Wesenheit erfaßt wird, nämlich der physische Leib. Um den Begriff von diesem physischen Leib zu beleuchten, muß zunächst die Aufmerksamkeit auf die Erscheinung gelenkt werden, die wie das große Rätsel über alle Beobachtung des Lebens ausgebreitet liegt: auf den Tod und, im Zusammenhang damit, auf die sogenannte leblose Natur, auf das Reich des Mineralischen, das stets den Tod in sich trägt. Es ist damit auf Tatsachen hingewiesen, deren volle Aufklärung nur durch übersinnliche Erkenntnis möglich ist und denen ein wichtiger Teil dieser Schrift gewidmet werden muß. Hier aber sollen vorerst nur einige Vorstellungen zur Orientierung angeregt werden.

Innerhalb der offenbaren Welt ist der physische Menschenleib dasjenige, worinnen der Mensch der mineralischen Welt gleich ist. Dagegen kann nicht als physischer Leib das gelten, was den Menschen vom Mineral unterscheidet. Für eine unbefangene Betrachtung ist vor allem die Tatsache wichtig, daß der Tod dasjenige von der menschlichen Wesenheit bloßlegt, was, wenn der Tod eingetreten ist, mit der mineralischen Welt gleicher Art ist. Man kann auf den Leichnam als auf das vom Menschen hinweisen, was nach dem Tode Vorgängen unterworfen ist, die sich im Reiche der mineralischen Welt finden. Man kann die Tatsache betonen, daß in diesem Glied der Menschenwesenheit, dem Leichnam, dieselben Stoffe und Kräfte wirksam sind wie im mineralischen Gebiet; aber nötig ist, nicht minder stark zu betonen, daß mit dem Tode für diesen physischen Leib der Zerfall eintritt. Berechtigt ist aber auch, zu sagen: gewiß, es sind im physischen Menschenleibe dieselben Stoffe und Kräfte wirksam wie im Mineral; aber ihre Wirksamkeit ist während des Lebens in einen höheren Dienst gestellt. Sie wirken erst der mineralischen Welt gleich, wenn der Tod eingetreten ist. Da treten sie auf, wie sie ihrer eigenen Wesenheit gemäß auftreten müssen, nämlich als Auflöser der physischen Leibesgestaltung.

So ist im Menschen scharf zu scheiden das Offenbare von dem Verborgenen. Denn während des Lebens muß ein Verborgenes einen fortwährenden Kampf führen gegen die Stoffe und Kräfte des Mineralischen im physischen Leibe. Hört dieser Kampf auf, so tritt die mineralische Wirksamkeit auf.

Damit ist auf den Punkt hingewiesen, an dem die Wissenschaft vom Übersinnlichen einsetzen muß. Sie hat dasjenige zu suchen, was den angedeuteten Kampf führt. Und dies eben ist für die Beobachtung der Sinne verborgen. Es ist erst der übersinnlichen Beobachtung zugänglich. Wie der Mensch dazu gelangt, daß ihm dieses »Verborgene« so offenbar werde, wie es den gewöhnlichen Augen die sinnlichen Erscheinungen sind, davon wird in einem späteren Teile dieser Schrift gesprochen werden. Hier aber soll beschrieben werden, was sich der übersinnlichen Beobachtung ergibt.

Es ist schon gesagt worden: nur dann können die Mitteilungen über den Weg, auf dem man zum höheren Schauen gelangt, dem Menschen von Wert sein, wenn er sich zuerst durch die bloße Erzählung bekanntgemacht hat mit dem, was die übersinnliche Forschung enthüllt. Denn begreifen kann man eben auch das auf diesem Gebiete, was man noch nicht beobachtet. Ja es ist der gute Weg zum Schauen derjenige, welcher vom Begreifen ausgeht.

Wenn nun auch jenes Verborgene, das in dem physischen Leibe den Kampf gegen den Zerfall führt, nur für das höhere Schauen zu beobachten ist: in seinen Wirkungen liegt es für die auf das Offenbare sich beschränkende Urteilskraft klar zutage. Und diese Wirkungen drücken sich in der Form oder Gestalt aus, in welcher während des Lebens die mineralischen Stoffe und Kräfte des physischen Leibes zusammengefügt sind. Diese Form entschwindet nach und nach, und der physische Leib wird ein Teil der übrigen mineralischen Welt, wenn der Tod eingetreten ist. Die übersinnliche Anschauung aber kann dasjenige als selbständiges Glied der menschlichen Wesenheit beobachten, was die physischen Stoffe und Kräfte während des Lebens hindert, ihre eigenen Wege zu gehen, welche zur Auflösung des physischen Leibes führen. Es sei dieses selbständige Glied der »Ätherleib« oder »Lebensleib« genannt.

Wenn sich nicht sogleich, von Anfang an, Missverständnisse einschleichen sollen, so muß gegenüber diesen Bezeichnungen eines zweiten Gliedes der menschlichen Wesenheit zweierlei berücksichtigt werden. Das Wort »Äther« wird hier in einem andern Sinne gebraucht, als dies von der gegenwärtigen Physik geschieht. Diese bezeichnet zum Beispiel den Träger des Lichtes als Äther. Hier soll aber das Wort in dem Sinne begrenzt werden, der oben angegeben worden ist. Es soll angewendet werden für dasjenige, was dem höheren Schauen zugänglich ist und was sich für die Sinnesbeobachtung nur in seinen Wirkungen zu erkennen gibt, nämlich dadurch, daß es den im physischen Leibe vorhandenen mineralischen Stoffen und Kräften eine bestimmte Form oder Gestalt zu geben vermag. Und auch das Wort »Leib« soll nicht mißverstanden werden. Man muß zur Bezeichnung der höheren Dinge des Daseins eben doch die Worte der gewöhnlichen Sprache gebrauchen. Und diese drücken ja für die Sinnesbeobachtung nur das Sinnliche aus. Im sinnlichen Sinne ist natürlich der »Ätherleib« durchaus nichts Leibliches, wie fein man sich ein solches auch vorstellen mag.1

Indem man in der Darstellung des Übersinnlichen bis zur Erwähnung dieses »Ätherleibes« oder »Lebensleibes« gelangt, ist schon der Punkt erreicht, an dem solcher Darstellung der Widerspruch mancher gegenwärtigen Ansicht begegnen muß. Die Entwicklung des Menschengeistes hat dahin geführt, daß in unserer Zeit das Sprechen von einem solchen Glied der menschlichen Wesenheit als etwas Unwissenschaftliches angesehen werden muß. Die materialistische Vorstellungsart ist dazu gelangt, in dem lebendigen Leibe nichts anderes zu sehen als eine Zusammenfügung von physischen Stoffen und Kräften, wie sie sich in dem sogenannten leblosen Körper, in dem Mineral, auch findet. Nur sei die Zusammenfügung in dem Lebendigen komplizierter als in dem Leblosen. Man hat auch in der gewöhnlichen Wissenschaft vor nicht allzu langer Zeit noch andere Ansichten gehabt. Wer die Schriften manchen ernsten Wissenschafters aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts verfolgt, dem wird klar, wie da auch »echte Naturforscher« sich bewußt waren, daß in dem lebendigen Leibe noch etwas anderes vorhanden ist als in dem leblosen Mineral. Man sprach von einer »Lebenskraft«. Zwar wird diese »Lebenskraft« nicht als das vorgestellt, was oben als »Lebensleib« gekennzeichnet ist; aber der betreffenden Vorstellung liegt doch eine Ahnung davon zugrunde, daß es dergleichen gibt. Man stellte sich diese »Lebenskraft« etwa so vor, wie wenn sie in dem lebendigen Leibe zu den physischen Stoffen und Kräften hinzukäme auf ähnliche Art, wie die magnetische Kraft zu dem bloßen Eisen in dem Magneten. Dann kam die Zeit, in welcher diese »Lebenskraft« aus dem Bestand der Wissenschaft entfernt wurde. Man wollte für alles mit den bloßen physischen und chemischen Ursachen ausreichen. Gegenwärtig ist in dieser Beziehung bei manchem naturwissenschaftlichen Denker wieder ein Rückschlag eingetreten. Es wird von mancher Seite zugegeben, daß die Annahme von etwas der »Lebenskraft« Ähnlichem doch kein völliger Unsinn sei. Doch wird auch derjenige »Wissenschafter«, der sich zu solchem herbeiläßt, mit der hier dargestellten Anschauung in Bezug auf den »Lebensleib« nicht gemeinsame Sache machen wollen. Es wird in der Regel zu keinem Ziele führen, wenn man sich vom Gesichtspunkte übersinnlicher Erkenntnis mit solchen Ansichten in eine Diskussion einläßt. Es sollte vielmehr die Sache dieser Erkenntnis sein, anzuerkennen, daß die materialistische Vorstellungsart eine notwendige Begleiterscheinung des großen naturwissenschaftlichen Fortschrittes in unserer Zeit ist. Dieser Fortschritt beruht auf einer gewaltigen Verfeinerung der Mittel zur Sinnesbeobachtung. Und es liegt einmal im Wesen des Menschen, daß er innerhalb der Entwicklung jeweilig einzelne Fähigkeiten auf Kosten anderer zu einem gewissen Vollkommenheitsgrade bringt. Die genaue Sinnesbeobachtung, die sich in einem so bedeutungsvollen Maße durch die Naturwissenschaft entwickelt hat, mußte die Pflege derjenigen menschlichen Fähigkeiten in den Hintergrund treten lassen, welche in die »verborgenen Welten« führen. Aber eine Zeit ist wieder da, in welcher diese Pflege notwendig ist. Und das Verborgene wird nicht dadurch anerkannt, daß man die Urteile bekämpft, welche aus dem Ableugnen dieses Verborgenen ja doch mit logischer Folgerichtigkeit sich ergeben, sondern dadurch, daß man dieses Verborgene selbst in das rechte Licht setzt. Anerkennen werden es dann diejenigen, für welche die »Zeit gekommen ist«.

Es mußte dies hier nur gesagt werden, damit man nicht Unbekanntschaft mit den Gesichtspunkten der Naturwissenschaft voraussetzt, wenn von einem »Ätherleib« gesprochen wird, der doch in manchen Kreisen für etwas völlig Phantastisches gelten muß.

Dieser Ätherleib ist also ein zweites Glied der menschlichen Wesenheit. Ihm kommt für das übersinnliche Erkennen ein höherer Grad von Wirklichkeit zu als dem physischen Leibe. Eine Beschreibung, wie ihn das übersinnliche Erkennen sieht, kann erst in den folgenden Teilen dieser Schrift gegeben werden, wenn hervortreten wird, in welchem Sinne solche Beschreibungen zu nehmen sind. Vorläufig mag es genügen, wenn gesagt wird, daß der Ätherleib den physischen Körper überall durchsetzt und daß er wie eine Art Architekt des letzteren anzusehen ist. Alle Organe werden in ihrer Form und Gestalt durch die Strömungen und Bewegungen des Ätherleibes gehalten. Dem physischen Herzen liegt ein »Ätherherz« zugrunde, dem physischen Gehirn ein »Äthergehirn« usw. Es ist eben der Ätherleib in sich gegliedert wie der physische, nur komplizierter, und es ist in ihm alles in lebendigem Durcheinanderfließen, wo im physischen Leibe abgesonderte Teile vorhanden sind.

Diesen Ätherleib hat nun der Mensch so mit dem Pflanzlichen gemein, wie er den physischen Leib mit dem Mineralischen gemein hat. Alles Lebendige hat seinen Ätherleib.

Von dem Ätherleib steigt die übersinnliche Betrachtung auf zu einem weiteren Glied der menschlichen Wesenheit. Sie deutet zur Bildung einer Vorstellung von diesem Glied auf die Erscheinung des Schlafes hin, wie sie beim Ätherleib auf den Tod hingewiesen hat.

Alles menschliche Schaffen beruht auf der Tätigkeit im Wachen, so weit das Offenbare in Betracht kommt. Diese Tätigkeit ist aber nur möglich, wenn der Mensch die Erstarkung seiner erschöpften Kräfte sich immer wieder aus dem Schlafe holt. Handeln und Denken schwinden dahin im Schlafe, aller Schmerz, alle Lust versinken für das bewußte Leben. Wie aus verborgenen, geheimnisvollen Brunnen steigen beim Erwachen des Menschen bewußte Kräfte aus der Bewusstlosigkeit des Schlafes auf. Es ist dasselbe Bewusstsein, das beim Einschlafen hinuntersinkt in die dunklen Tiefen und das beim Aufwachen wieder heraufsteigt. Dasjenige, was das Leben immer wieder aus dem Zustand der Bewusstlosigkeit erweckt, ist im Sinne übersinnlicher Erkenntnis das dritte Glied der menschlichen Wesenheit. Man kann es den Astralleib nennen. Wie der physische Leib nicht durch die in ihm befindlichen mineralischen Stoffe und Kräfte seine Form erhalten kann, sondern wie er, um dieser Erhaltung willen, von dem Ätherleib durchsetzt sein muß, so können die Kräfte des Ätherleibes sich nicht durch sich selbst mit dem Lichte des Bewusstseins durchleuchten. Ein Ätherleib, der bloß sich selbst überlassen wäre, müßte sich fortdauernd in dem Zustand des Schlafes befinden. Man kann auch sagen:

er könnte in dem physischen Leibe nur ein Pflanzensein unterhalten. Ein wachender Ätherleib ist von einem Astralleib durchleuchtet. Für die Sinnesbeobachtung verschwindet die Wirkung dieses Astralleibes, wenn der Mensch in Schlaf versinkt. Für die übersinnliche Beobachtung bleibt er noch vorhanden; nur erscheint er von dem Ätherleib getrennt oder aus ihm herausgehoben. Die Sinnesbeobachtung hat es eben nicht mit dem Astralleib selbst zu tun, sondern nur mit seinen Wirkungen in dem Offenbaren. Und solche sind während des Schlafes nicht unmittelbar vorhanden. In demselben Sinne, wie der Mensch seinen physischen Leib mit den Mineralien, seinen Ätherleib mit den Pflanzen gemein hat, ist er in Bezug auf seinen Astralleib gleicher Art mit den Tieren. Die Pflanzen sind in einem fortdauernden Schlafzustand. Wer in diesen Dingen nicht genau urteilt, der kann leicht in den Irrtum verfallen, auch den Pflanzen eine Art von Bewusstsein zuzuschreiben, wie es die Tiere und Menschen im Wachzustand haben. Das kann aber nur dann geschehen, wenn man sich von dem Bewusstsein eine ungenaue Vorstellung macht. Man sagt dann, wenn auf die Pflanze ein äußerer Reiz ausgeübt wird, dann vollziehe sie gewisse Bewegungen wie das Tier auch. Man spricht von der Empfindlichkeit mancher Pflanzen, welche zum Beispiel ihre Blätter zusammenziehen, wenn gewisse äußere Dinge auf sie einwirken. Doch ist es nicht das Bezeichnende des Bewusstseins, daß ein Wesen auf eine Wirkung eine gewisse Gegenwirkung zeigt, sondern daß das Wesen in seinem Innern etwas erlebt, was zu der bloßen Gegenwirkung als ein Neues hinzukommt. Sonst könnte man auch von Bewusstsein sprechen, wenn sich ein Stück Eisen unter dem Einfluss von Wärme ausdehnt. Bewusstsein ist erst vorhanden, wenn das Wesen durch die Wirkung der Wärme zum Beispiel innerlich Schmerz erlebt.

Das vierte Glied seiner Wesenheit, welches die übersinnliche Erkenntnis dem Menschen zuschreiben muß, hat er nun nicht mehr gemein mit der ihn umgebenden Welt des Offenbaren. Es ist sein Unterscheidendes gegenüber seinen Mitwesen, dasjenige, wodurch er die Krone der zunächst zu ihm gehörigen Schöpfung ist. Die übersinnliche Erkenntnis bildet eine Vorstellung von diesem weiteren Glied der menschlichen Wesenheit, indem sie darauf hinweist, daß auch innerhalb der wachen Erlebnisse noch ein wesentlicher Unterschied besteht. Dieser Unterschied tritt sofort hervor, wenn der Mensch seine Aufmerksamkeit darauf lenkt, daß er im wachen Zustand einerseits fortwährend in der Mitte von Erlebnissen steht, die kommen und gehen müssen, und daß er andererseits auch Erlebnisse hat, bei denen dies nicht der Fall ist. Es tritt das besonders scharf hervor, wenn man die Erlebnisse des Menschen mit denen des Tieres vergleicht. Das Tier erlebt mit großer Regelmäßigkeit die Einflüsse der äußeren Welt und wird sich unter dem Einfluss der Wärme und Kälte, des Schmerzes und der Lust, unter gewissen regelmäßig ablaufenden Vorgängen seines Leibes des Hungers und Durstes bewußt. Des Menschen Leben ist mit solchen Erlebnissen nicht erschöpft. Er kann Begierden, Wünsche entwickeln, die über das alles hinausgehen. Beim Tier würde man immer nachweisen können, wenn man weit genug zu gehen vermöchte, wo außer dem Leibe oder in dem Leibe die Veranlassung zu einer Handlung, zu einer Empfindung ist. Beim Menschen ist das keineswegs der Fall. Er kann Wünsche und Begierden erzeugen, zu deren Entstehung die Veranlassung weder innerhalb noch außerhalb seines Leibes hinreichend ist. Allem, was in dieses Gebiet fällt, muß man eine besondere Quelle geben. Und diese Quelle kann man im Sinne der übersinnlichen Wissenschaft im »Ich« des Menschen sehen. Das »Ich« kann daher als das vierte Glied der menschlichen Wesenheit angesprochen werden.

Wäre der Astralleib sich selbst überlassen, es würden sich Lust und Schmerz, Hunger- und Durstgefühle in ihm abspielen; was aber dann nicht zustandekäme, ist die Empfindung: es sei ein Bleibendes in alle dem. Nicht das Bleibende als solches wird hier als »Ich« bezeichnet, sondern dasjenige, welches dieses Bleibende erlebt. Man muß auf diesem Gebiete die Begriffe ganz scharf fassen, wenn nicht Missverständnisse entstehen sollen. Mit dem Gewahrwerden eines Dauernden, Bleibenden im Wechsel der inneren Erlebnisse beginnt das Aufdämmern des »Ichgefühles«. Nicht daß ein Wesen zum Beispiel Hunger empfindet, kann ihm ein Ichgefühl geben. Der Hunger stellt sich ein, wenn die erneuerten Veranlassungen zu ihm sich bei dem betreffenden Wesen geltend machen. Es fällt dann über seine Nahrung her, weil eben diese erneuerten Veranlassungen da sind. Das Ichgefühl tritt erst ein, wenn nicht nur diese erneuerten Veranlassungen zu der Nahrung hintreiben, sondern wenn bei einer vorhergehenden Sättigung eine Lust entstanden ist und das Bewusstsein dieser Lust geblieben ist, so daß nicht nur das gegenwärtige Erlebnis des Hungers, sondern das vergangene der Lust zu dem Nahrungsmittel treibt.

Wie der physische Leib zerfällt, wenn ihn nicht der Ätherleib zusammenhält; wie der Ätherleib in die Bewusstlosigkeit versinkt, wenn ihn nicht der Astralleib durchleuchtet, so müßte der Astralleib das Vergangene immer wieder in die Vergessenheit sinken lassen, wenn dieses nicht vom »Ich« in die Gegenwart herübergerettet würde. Was für den physischen Leib der Tod, für den Ätherleib der Schlaf, das ist für den Astralleib das Vergangene immer wieder in die Vergessenheit sinken lassen, wenn dieses nicht vom »Ich« in die Gegenwart herübertreten würde. Was für den physischen Leib der Tod, für den Ätherleib der Schlaf, das ist für den Astralleib das Vergessen. Man kann auch sagen: dem Ätherleib sei das Leben eigen, dem Astralleib das Bewusstsein und dem Ich die Erinnerung.

Noch leichter als in den Irrtum, der Pflanze Bewusstsein zuzuschreiben, kann man in denjenigen verfallen, bei dem Tiere von Erinnerung zu sprechen. Es liegt so nahe, an Erinnerung zu denken, wenn der Hund seinen Herrn wiedererkennt, den er vielleicht ziemlich lange nicht gesehen hat. Doch in Wahrheit beruht solches Wiedererkennen gar nicht auf Erinnerung, sondern auf etwas völlig anderem. Der Hund empfindet eine gewisse Anziehung zu seinem Herrn. Diese geht aus von der Wesenheit des letzteren. Diese Wesenheit bereitet dem Hunde Lust, wenn der Herr für ihn gegenwärtig ist. Und jedesmal, wenn diese Gegenwart des Herrn eintritt, ist sie die Veranlassung zu einer Erneuerung der Lust. Erinnerung ist aber nur dann vorhanden, wenn ein Wesen nicht bloß mit seinen Erlebnissen in der Gegenwart empfindet, sondern wenn es diejenigen der Vergangenheit bewahrt. Man könnte sogar dieses zugeben und dennoch in den Irrtum verfallen, der Hund habe Erinnerung. Man könnte nämlich sagen: er trauert, wenn sein Herr ihn verläßt, also bleibt ihm die Erinnerung an denselben. Auch das ist ein unrichtiges Urteil. Durch das Zusammenleben mit dem Herrn wird für den Hund dessen Gegenwart Bedürfnis, und er empfindet dadurch die Abwesenheit in ähnlicher Art, wie er den Hunger empfinde. Wer solche Unterscheidungen nicht macht, wird nicht zur Klarheit über die wahren Verhältnisse des Lebens kommen.

Aus gewissen Vorurteilen heraus wird man gegen diese Darstellung einwenden, daß man doch nicht wissen könne, ob beim Tiere etwas der menschlichen Erinnerung Ähnliches vorhanden sei oder nicht. Solcher Einwand beruht aber auf einer ungeschulten Beobachtung. Wer wirklich sinngemäß beobachten kann, wie sich das Tier im Zusammenhang seiner Erlebnisse verhält, der bemerkt den Unterschied dieses Verhaltens von dem des Menschen. Und er wird sich klar, daß das Tier sich so verhält, wie es dem Nichtvorhandensein der Erinnerung entspricht. Für die übersinnliche Beobachtung ist das ohne weiteres klar. Doch, was dieser übersinnlichen Beobachtung unmittelbar zum Bewusstsein kommt, das kann an seinen Wirkungen auf diesem Gebiete auch von der sinnlichen Wahrnehmung und deren denkender Durchdringung erkannt werden. Wenn man sagt, der Mensch wisse von seiner Erinnerung durch innere Seelenbeobachtung, die er doch beim Tiere nicht anstellen könne, so liegt einer solchen Behauptung ein verhängnisvoller Irrtum zugrunde. Was sich der Mensch über seine Erinnerungsfähigkeit zu sagen hat, das kann er nämlich gar nicht einer inneren Seelenbeobachtung entnehmen, sondern allein dem, was er mit sich in dem Verhalten zu den Dingen und Vorgängen der Außenwelt erlebt. Diese Erlebnisse macht er mit sich und mit einem andern Menschen und auch mit den Tieren auf die ganz gleiche Weise. Es ist nur ein Schein, der den Menschen blendet, wenn er glaubt, er beurteile das Vorhandensein der Erinnerung nur an der inneren Beobachtung. Was der Erinnerung als Kraft zugrunde liegt, mag innerlich genannt werden; das Urteil über diese Kraft wird auch für die eigene Person durch den Blick auf den Zusammenhang des Lebens an der Außenwelt erworben. Und diesen Zusammenhang kann man wie bei sich auch bei dem Tiere beurteilen. in Bezug auf solche Dinge leidet unsere gebräuchliche Psychologie an ihren ganz ungeschulten, ungenauen, im hohen Maße durch Beobachtungsfehler täuschenden Vorstellungen.

Für das »Ich« bedeuten Erinnerung und Vergessen etwas durchaus Ähnliches wie für den Astralleib Wachen und Schlaf. Wie der Schlaf die Sorgen und Bekümmernisse des Tages in ein Nichts verschwinden läßt, so breitet Vergessen einen Schleier über die schlimmen Erfahrungen des Lebens und löscht dadurch einen Teil der Vergangenheit aus. Und wie der. Schlaf notwendig ist, damit die erschöpften Lebenskräfte neu gestärkt werden, so muß der Mensch gewisse Teile seiner Vergangenheit aus der Erinnerung vertilgen, wenn er neuen Erlebnissen frei und unbefangen gegenüberstehen soll. Aber gerade aus dem Vergessen erwächst ihm Stärkung für die Wahrnehmung des Neuen. Man denke an Tatsachen wie das Lernen des Schreibens. Alle Einzelheiten, welche das Kind zu durchleben hat, um schreiben zu lernen, werden vergessen. Was bleibt, ist die Fähigkeit des Schreibens. Wie würde der Mensch schreiben, wenn beim jedesmaligen Ansetzen der Feder alle die Erlebnisse in der Seele als Erinnerung aufstiegen, welche beim Schreibenlernen durchgemacht werden mußten.

Nun tritt die Erinnerung in verschiedenen Stufen auf. Schon das ist die einfachste Form der Erinnerung, wenn der Mensch einen Gegenstand wahrnimmt und er dann nach dem Abwenden von dem Gegenstande die Vorstellung von ihm wieder erwecken kann. Diese Vorstellung hat der Mensch sich gebildet, während er den Gegenstand wahrgenommen hat. Es hat sich da ein Vorgang abgespielt zwischen seinem astralischen Leibe und seinem Ich. Der Astralleib hat den äußeren Eindruck von dem Gegenstande bewußt gemacht. Doch würde das Wissen von dem Gegenstande nur so lange dauern, als dieser gegenwärtig ist, wenn das Ich nicht das Wissen in sich aufnehmen und zu seinem Besitztum machen würde. Hier an diesem Punkte scheidet die übersinnliche Anschauung das Leibliche von dem Seelischen. Man spricht vom Astralleib, solange man die Entstehung des Wissens von einem gegenwärtigen Gegenstande im Auge hat. Dasjenige aber, was dem Wissen Dauer gibt, bezeichnet man als Seele. Man sieht aber zugleich aus dem Gesagten, wie eng verbunden im Menschen der Astralleib mit dem Teile der Seele ist, welcher dem Wissen Dauer verleiht. Beide sind gewissermaßen zu einem Glied der menschlichen Wesenheit vereinigt. Deshalb kann man auch diese Vereinigung als Astralleib bezeichnen. Auch kann man, wenn man eine genaue Bezeichnung will, von dem Astralleib des Menschen als dem Seelenleib sprechen, und von der Seele, insofern sie mit diesem vereinigt ist, als der Empfindungsseele.

Das Ich steigt zu einer höheren Stufe seiner Wesenheit, wenn es seine Tätigkeit auf das richtet, was es aus dem Wissen der Gegenstände zu seinem Besitztum gemacht hat. Dies ist die Tätigkeit, durch welche sich das Ich von den Gegenständen der Wahrnehmung immer mehr loslöst, um in seinem eigenen Besitze zu arbeiten. Den Teil der Seele, dem dieses zukommt, kann man als Verstandes- oder Gemütsseele bezeichnen.

Sowohl der Empfindungsseele wie der Verstandesseele ist es eigen, daß sie mit dem arbeiten, was sie durch die Eindrücke der von den Sinnen wahrgenommenen Gegenstände erhalten und davon in der Erinnerung bewahren. Die Seele ist da ganz hingegeben an das, was für sie ein Äußeres ist. Auch dies hat sie ja von außen empfangen, was sie durch die Erinnerung zu ihrem eigenen Besitz macht. Sie kann aber über all das hinausgehen. Sie ist nicht allein Empfindungs- und Verstandesseele. Die übersinnliche Anschauung vermag am leichtesten eine Vorstellung von diesem Hinausgehen zu bilden, wenn sie auf eine einfache Tatsache hinweist, die nur in ihrer umfassenden Bedeutung gewürdigt werden muß. Es ist diejenige, daß es im ganzen Umfange der Sprache einen einzigen Namen gibt, der seiner Wesenheit nach sich von allen andern Namen unterscheidet. Dies ist eben der Name »Ich«. Jeden andern Namen kann dem Dinge oder Wesen, denen er zukommt, jeder Mensch geben. Das »Ich« als Bezeichnung für ein Wesen hat nur dann einen Sinn, wenn dieses Wesen sich diese Bezeichnung selbst beilegt. Niemals kann von außen an eines Menschen Ohr der Name »Ich« als seine Bezeichnung dringen; nur das Wesen selbst kann ihn auf sich anwenden. »Ich bin ein Ich nur für mich; für jeden andern bin ich ein Du; und jeder andere ist für mich ein Du.« Diese Tatsache ist der äußere Ausdruck einer tief bedeutsamen Wahrheit. Das eigentliche Wesen des »Ich« ist von allem Äußeren unabhängig; deshalb kann ihm sein Name auch von keinem Äußeren zugerufen werden. Jene religiösen Bekenntnisse, welche mit Bewusstsein ihren Zusammenhang mit der übersinnlichen Anschauung aufrechterhalten haben, nennen daher die Bezeichnung »Ich« den »unaussprechlichen Namen Gottes«. Denn gerade auf das Angedeutete wird gewiesen, wenn dieser Ausdruck gebraucht wird. Kein Äußeres hat Zugang zu jenem Teile der menschlichen Seele, der hiermit ins Auge gefaßt ist. Hier ist das »verborgene Heiligtum« der Seele. Nur ein Wesen kann da Einlass gewinnen, mit dem die Seele gleicher Art ist. »Der Gott, der im Menschen wohnt, spricht, wenn die Seele sich als Ich erkennt.« Wie die Empfindungsseele und die Verstandesseele in der äußeren Welt leben, so taucht ein drittes Glied der Seele in das Göttliche ein, wenn diese zur Wahrnehmung ihrer eigenen Wesenheit gelangt.

Leicht kann demgegenüber das Missverständnis entstehen, als ob solche Anschauungen das Ich mit Gott für Eins erklärten. Aber sie sagen durchaus nicht, daß das Ich Gott sei, sondern nur, daß es mit dem Göttlichen von einerlei Art und Wesenheit ist. Behauptet denn jemand, der Tropfen Wasser, der dem Meere entnommen ist, sei das Meer, wenn er sagt: der Tropfen sei derselben Wesenheit oder Substanz wie das Meer? Will man durchaus einen Vergleich gebrauchen, so kann man sagen: wie der Tropfen sich zu dem Meere verhält, so verhält sich das »Ich« zum Göttlichen. Der Mensch kann in sich ein Göttliches finden, weil sein ureigenstes Wesen dem Göttlichen entnommen ist. So also erlangt der Mensch durch dieses sein drittes Seelenglied, ein inneres Wissen von sich selbst, wie er durch den Astralleib ein Wissen von der Außenwelt erhält. Deshalb kann die Geheimwissenschaft dieses dritte Seelenglied auch die Bewusstseinsseele nennen. Und in ihrem Sinne besteht das Seelische aus drei Gliedern: der Empfindungsseele, Verstandesseele und Bewusstseinsseele, wie das Leibliche aus drei Gliedern besteht, dem physischen Leib, dem Ätherleib und dem Astralleib.

Psychologische Beobachtungsfehler, ähnlich denjenigen, die schon für die Beurteilung der Erinnerungsfähigkeit besprochen worden sind, machen auch die rechte Einsicht in die Wesenheit des »Ich« schwierig. Man kann manches, das man glaubt einzusehen, für eine Widerlegung des oben in dieser Beziehung Ausgeführten halten, während es in Wahrheit eine Bestätigung darstellt. Solches ist der Fall, zum Beispiel, mit den Bemerkungen, die Eduard von Hartmann auf Seite 55 f. seines »Grundrisses der Psychologie«2 über das »Ich« angibt: »Zunächst ist das Selbstbewusstsein älter als das Wort Ich. Die persönlichen Fürwörter sind ein ziemlich spätes Produkt der Sprachentwicklung und haben für die Sprache nur den Wert von Abkürzungen. Das Wort Ich ist ein kürzerer Ersatz für den Eigennamen des Redenden, aber ein Ersatz, den jeder Redende als solcher von sich braucht, gleichviel mit welchem Eigennamen die anderen ihn benennen. Das SelbstBewusstsein kann sich bei Tieren und bei ununterrichteten taubstummen Menschen sehr hoch entwickeln, selbst ohne an einen Eigennamen anzuknüpfen. Das Bewusstsein des Eigennamens kann vollständig den fehlenden Gebrauch des Ich ersetzen. Mit dieser Einsicht ist der magische Nimbus beseitigt, mit dem für viele das Wörtchen Ich umkleidet ist; es kann dem Begriff des Selbstbewusstseins nicht das mindeste hinzusetzen, sondern empfängt seinen ganzen Inhalt lediglich von diesem.« Man kann mit solchen Ansichten ganz einverstanden sein; auch damit, daß dem Wörtchen Ich kein magischer Nimbus verliehen werde, der die besonnene Anschauung über die Sache nur trübt. Aber für das Wesen einer Sache entscheidet nicht, wie allmählich die Wortbezeichnung für diese Sache herbeigeführt wird. Eben darauf kommt es an, daß die wirkliche Wesenheit des Ich im Selbstbewusstsein »älter ist als das Wort Ich«. Und daß der Mensch genötigt ist, dieses mit seinen nur ihm zukommenden Eigenheiten behaftete Wörtchen für das zu gebrauchen, was er im Wechselverhältnis zur Außenwelt anders erlebt, als es das Tier erleben kann. So wenig irgend etwas über die Wesenheit des Dreiecks erkannt werden kann dadurch, daß man zeigt, wie das »Wort« Dreieck sich gebildet hat, so wenig entscheidet über die Wesenheit des Ich, was man wissen kann darüber, wie aus anderem Wortgebrauch der des Ich in der Sprachentwicklung sich gestaltet hat.

In der Bewusstseinsseele enthüllt sich erst die wirkliche Natur des »Ich«. Denn während sich die Seele in Empfindung und Verstand an anderes verliert, ergreift sie als Bewusstseinsseele ihre eigene Wesenheit. Daher kann dieses »Ich« durch die Bewusstseinsseele auch nicht anders als durch eine gewisse innere Tätigkeit wahrgenommen werden. Die Vorstellungen von äußeren Gegenständen werden gebildet, so wie diese Gegenstände kommen und gehen; und diese Vorstellungen arbeiten im Verstande weiter durch ihre eigene Kraft. Soll aber das »Ich« sich selbst wahrnehmen, so kann es nicht bloß sich hingeben; es muß durch innere Tätigkeit seine Wesenheit aus den eigenen Tiefen erst heraufholen, um ein Bewusstsein davon zu haben. Mit der Wahrnehmung des »Ich« – mit der Selbstbesinnung – beginnt eine innere Tätigkeit des »Ich«. Durch diese Tätigkeit hat die Wahrnehmung des Ich in der Bewusstseinsseele für den Menschen eine ganz andere Bedeutung als die Beobachtung alles dessen, was durch die drei Leibesglieder und durch die beiden andern Glieder der Seele an ihn herandringt. Die Kraft, welche in der Bewusstseinsseele das Ich offenbar macht, ist ja dieselbe wie diejenige, welche sich in aller übrigen Welt kundgibt. Nur tritt sie in dem Leibe und in den niederen Seelengliedern nicht unmittelbar hervor, sondern offenbart sich stufenweise in ihren Wirkungen. Die unterste Offenbarung ist diejenige durch den physischen Leib; dann geht es stufenweise hinauf bis zu dem, was die Verstandesseele erfüllt. Man könnte sagen, mit dem Hinansteigen über jede Stufe fällt einer der Schleier, mit denen das Verborgene umhüllt ist. In dem, was die Bewusstseinsseele erfüllt, tritt dieses Verborgene hüllenlos in den innersten Seelentempel. Doch zeigt es sich da eben nur wie ein Tropfen aus dem Meere der alles durchdringenden Geistigkeit. Aber der Mensch muß diese Geistigkeit hier zunächst ergreifen. Er muß sie in sich selbst erkennen; dann kann er sie auch in ihren Offenbarungen finden.

Was da wie ein Tropfen hereindringt in die Bewusstseinsseele, das nennt die Geheimwissenschaft den Geist. So ist die Bewusstseinsseele mit dem Geiste verbunden, der das Verborgene in allem Offenbaren ist. Wenn der Mensch nun den Geist in aller Offenbarung ergreifen will, so muß er dies auf dieselbe Art tun, wie er das Ich in der Bewusstseinsseele ergreift. Er muß die Tätigkeit, welche ihn zum Wahrnehmen dieses Ich geführt hat, auf die offenbare Welt hinwenden. Dadurch aber entwickelt er sich zu höheren Stufen seiner Wesenheit. Er setzt den Leibes- und Seelengliedern Neues an. Das nächste ist, daß er dasjenige auch noch selbst erobert, was in den niederen Gliedern seiner Seele verborgen liegt. Und dies geschieht durch seine vom Ich ausgehende Arbeit an seiner Seele. Wie der Mensch in dieser Arbeit begriffen ist, das wird anschaulich, wenn man einen Menschen, der noch ganz niederem Begehren und sogenannter sinnlicher Lust hingegeben ist, vergleicht mit einem edlen Idealisten. Der letztere wird aus dem ersteren, wenn jener sich von gewissen niederen Neigungen abzieht und höheren zuwendet. Er hat dadurch vom Ich aus veredelnd, vergeistigend auf seine Seele gewirkt. Das Ich ist Herr geworden innerhalb des Seelenlebens. Das kann so weit gehen, daß in der Seele keine Begierde, keine Lust Platz greift, ohne daß das Ich die Gewalt ist, welche den Einlass ermöglicht. Auf diese Art wird dann die ganze Seele eine Offenbarung des Ich, wie es vorher nur die Bewusstseinsseele war. Im Grunde besteht alles Kulturleben und alles geistige Streben der Menschen aus einer Arbeit, welche diese Herrschaft des Ich zum Ziele hat. Jeder gegenwärtig lebende Mensch ist in dieser Arbeit begriffen: er mag wollen oder nicht, er mag von dieser Tatsache ein Bewusstsein haben oder nicht.

Durch diese Arbeit aber geht es zu höheren Stufen der Menschenwesenheit hinan. Der Mensch entwickelt durch sie neue Glieder seiner Wesenheit. Diese liegen als Verborgenes hinter dem für ihn Offenbaren. Es kann sich der Mensch aber nicht nur durch die Arbeit an seiner Seele vom Ich aus zum Herrscher über diese Seele machen, so daß diese aus dem Offenbaren das Verborgene hervortreibt, sondern er kann diese Arbeit auch erweitern. Er kann übergreifen auf den Astralleib. Dadurch bemächtigt sich das Ich dieses Astralleibes, indem es sich mit dessen verborgener Wesenheit vereinigt. Dieser durch das Ich eroberte, von ihm umgewandelte Astralleib kann das Geistselbst genannt werden. (Es ist dies dasselbe, was man in Anlehnung an die morgenländische Weisheit »Manas« nennt.) In dem Geistselbst ist ein höheres Glied der Menschenwesenheit gegeben, ein solches, das in ihr gleichsam keimhaft vorhanden ist und das im Laufe ihrer Arbeit an sich selbst immer mehr herauskommt.