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Sherlock Holmes ist eine vom britischen Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle geschaffene Kunstfigur, die in seinen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert spielenden Romanen als Detektiv tätig ist. Besondere Bedeutung für die Kriminalliteratur erlangte Holmes durch seine neuartige forensische Arbeitsmethode, die ausschließlich auf detailgenauer Beobachtung und nüchterner Schlussfolgerung beruht. Er gilt bis heute weithin als Symbol des erfolgreichen, analytisch-rationalen Denkers und als Stereotyp des Privatdetektivs. Der Kanon um den Detektiv umfasst 56 Kurzgeschichten und vier Romane.
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Seitenzahl: 43
»Holmes,« sagte ich eines Morgens, während ich am Erkerfenster stand und auf die Straße hinabschaute, »da kommt ein Verrückter des Weges. Ich finde es sehr unrecht, daß seine Angehörigen ihn so allein umherlaufen lassen.« Mein Freund erhob sich träge aus dem Armstuhl und trat, die Hände in den Taschen seines Schlafrocks, hinter mich, um mir über die Schulter zu sehen. Es war ein klarer, frischer Februarmorgen, der tags zuvor gefallene, tiefe Schnee bedeckte den Boden und glitzerte hell in der Wintersonne. In der Mitte der Straße war er durch den Verkehr bereits in eine braune Masse verwandelt; zu beiden Seiten dagegen und auf den erhöhten Rändern der Fußsteige lag er noch so weiß, wie er gefallen war. Das graue Pflaster dazwischen war, obwohl gekehrt und abgekratzt, noch gefährlich glatt, und vielleicht deshalb weniger belebt als sonst. In der That war der Herr, dessen sonderbares Benehmen meine Aufmerksamkeit erregt hatte, der einzige Fußgänger, der aus der Richtung herkam, wo der Metropolitan-Bahnhof lag. Es war ein Mann in den fünfziger Jahren, groß und stattlich, eine vornehme Erscheinung mit breitem, scharfgeschnittenem Gesicht und von achtunggebietender Gestalt. Er trug dunkle, aber feine Kleidung; schwarzen Rock, glänzenden Seidenhut, elegante braune Gamaschen und perlgraue Beinkleider von tadellosem Schnitt. Zu dem würdigen Eindruck seines ganzen Äußern stand jedoch sein Benehmen in auffallendem Gegensatz; er lief nämlich in großer Hast und machte dabei von Zeit zu Zeit einen kleinen Sprung, wie es bei eintretender Ermüdung Leute zu thun pflegen, die nicht gewohnt sind ihren Beinen viel zuzumuten. Dabei fuhr er mit den Händen in der Luft umher, wackelte mit dem Kopfe und verzerrte sein Gesicht aufs sonderbarste.
»Was in aller Welt mag nur mit ihm los sein?« fragte ich. »Er schaut an den Häusern hinauf nach den Nummern.«
»Ich glaube, er kommt zu uns,« versetzte Holmes und rieb sich die Hände.
»Zu uns?«
»Jawohl; ich vermute stark, er beabsichtigt mich zu Rate zu ziehen. Es hat ganz den Anschein danach. Ha, habe ich es nicht gesagt?«
Der Mann war pustend und schnaubend auf unsere Hausthüre losgestürzt und riß an der Klingel, daß das ganze Haus davon widerhallte.
Wenige Augenblicke darauf stand er im Zimmer, noch immer keuchend und mit den Händen umherfahrend, aber mit einem so kummervollen und verzweifelten Ausdruck in dem starren Blick, daß unsere unwillkürliche Heiterkeit sich mit einem Schlage in Schrecken und Mitleid verwandelte. Eine Zeit lang vermochte er kein Wort hervorzubringen; er wiegte sich nur hin und her und zerrte an seinen Haaren, als wäre er nahe daran den Verstand zu verlieren. Holmes drückte ihn in den Armstuhl, setzte sich neben ihn, streichelte ihm die Hand und sprach ihm in der heiteren beruhigenden Art zu, auf die er sich so gut verstand.
»Sie haben mich aufgesucht, um mir Ihre Geschichte zu erzählen, nicht wahr?« begann er. »Das rasche Gehen hat Sie müde gemacht. Bitte, warten Sie nur, bis Sie sich erholt haben, dann wird es mir ein großes Vergnügen sein, Kenntnis von dem Fall zu nehmen, den Sie mir unterbreiten wollen.«
Eine oder zwei Minuten saß der Mann mit schwer arbeitender Brust da, gegen seine Erregung kämpfend. Dann fuhr er sich mit dem Taschentuch über die Augen, preßte die Lippen zusammen und wandte uns sein Gesicht zu.
»Sie halten mich sicherlich für verrückt?« begann er.
»So viel ich sehe, hat Sie irgend ein schwerer Kummer getroffen,« antwortete Holmes.
»Gott weiß es, ja! – Ein Kummer, so plötzlich und so furchtbar, daß ich den Verstand darüber verlieren möchte. Die Schande vor der Öffentlichkeit würde ich zu ertragen gewußt haben, obwohl an meinem Namen bisher noch nie ein Flecken gehaftet hat; Kummer im Privatleben bleibt auch keinem Menschen erspart; aber daß beides zusammen und in so schrecklicher Gestalt über mich hereinbricht, das hat mich im Innersten erschüttert. Außerdem betrifft die Sache nicht mich allein. Einer der Höchststehenden im Lande kann dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn sich nicht ein rettender Ausweg aus dieser schauderhaften Geschichte findet.«
»Bitte, beruhigen Sie sich,« erwiderte Holmes, »und sagen Sie mir klar und deutlich, wer Sie sind und was Ihnen begegnet ist.«
»Meinen Namen,« fuhr der andere fort, »haben Sie vermutlich schon oft nennen hören. Ich bin Alexander Holder-Teilhaber der Bankfirma Holder & Stevenson in der Threadneedle-Straße.«
Der Name war uns in der That wohlbekannt als der des älteren Teilhabers im zweitgrößten Privatbankinstitut der City. Was konnte nur vorgekommen sein, um einen der angesehensten Bürger Londons in diese wahrhaft klägliche Verfassung zu bringen? In höchster Spannung harrten wir, bis er sich mit einer erneuten Kraftanstrengung dazu aufraffte, seine Geschichte zu erzählen.
»Ich fühle,« begann er, »daß die Zeit kostbar ist. Deshalb habe ich mich augenblicklich hierher auf den Weg gemacht, nachdem mir der Polizeiinspektor nahe gelegt hatte, mich Ihrer Mitwirkung zu versichern. Ich fuhr mit der unterirdischen Bahn und bin dann bis nach der Bakerstraße vollends zu Fuße gelaufen, denn die Wagen fahren so langsam bei diesem Schnee. Deshalb war ich so außer Atem, ich mache mir nämlich sonst nur sehr wenig Bewegung. Jetzt ist mir wieder besser, und ich will Ihnen die Thatsachen möglichst kurz und klar vortragen.
»Sie werden wohl wissen, daß es für den schwunghaften Betrieb eines Bankgeschäftes ebensoviel auf lohnende Anlagen