Die Geschichtenwandler − Gefährliche Wünsche - Kristen Perrin - E-Book

Die Geschichtenwandler − Gefährliche Wünsche E-Book

Kristen Perrin

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Beschreibung

Wer einen Wunsch erfüllt, erfüllt eine alte Prophezeiung Neue magische Geheimgesellschaften sprießen in London wie Pilze aus dem Boden. Wunscherfüller, Tierflüsterer, Geisterbeschwörer, sogar ein Junge, der mit der Themse kommunizieren kann ... Enna ist begeistert! Doch dann läuft die Magie immer öfter aus dem Ruder. Kann Enna all ihren neuen und alten Freunden wirklich trauen? Und was hat es mit dem gruseligen grünen Ring auf sich, den die Themse eines Tages anschwemmt? Während Enna gleich mehrere magische Rätsel auf einmal zu lösen versucht, hängt auch noch der Haussegen in der Buchhandlung schief – denn Ennas Mutter plant einen Umzug aufs Land ... Mystisch, rasant und magisch aufgeladen bis in die Haarspitzen – das große Finale, in dem alles auf dem Spiel steht! - Ein spannendes Abenteuer mit Magie für Kinder ab 11 Jahren - Enna und ihre Freunde sind Mitglieder in magischen Geheimgesellschaften - Phantastisch illustriert von Helge Vogt - Mit einer Karte von London mit den wichtigsten Schauplätzen - Für die extra Lesemotivation: Serie mit Lesequiz bei Antolin gelistet

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Seitenzahl: 302

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Ähnliche


Kristen Perrin

Die Geschichtenwandler

Gefährliche Wünsche

Band 3

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Fabienne Pfeiffer

 

Über dieses Buch

 

 

Das fulminante Finale der spannenden Tintenmagie-Trilogie

 

Enna und ihre Geschichtenwandler-Freunde von der Emerald Ink Society haben in London viele magische Geheimbünde aus ihrem jahrhundertelangen Schlaf geweckt: die Geister-Koalition, die mit allen in London begrabenen Personen sprechen kann, den Wünscheerfüller-Bund, der alle in Londons Brunnen geworfene Münzen verwenden kann, und natürlich die Schatz-Gilde, die der Themse uralte Gegenstände entlockt. Doch Enna ahnt nicht, dass sie sich damit in allergrößte Gefahr begeben. Denn es gibt jemanden, der die Kontrolle über all diese wiederhergestellte Magie erringen will, die London so lange Zeit verloren hatte. Enna muss all ihre grüne Tintenmagie einsetzen, um das zu verhindern …

• Atmosphärischer Schauplatz London und mysteriöse Geheimbundmagie

• Serie bei Antolin gelistet

 

Alle Bände der Trilogie Die Geschichtenwandler:

Band 1: Magische Tinte

Band 2: Steinere Drachen

Band 3: Gefährliche Wünsche

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

Kristen Perrin stammt ursprünglich aus Seattle, USA, wo sie viele Jahre als Kinderbuchhändlerin tätig war. Sie interessiert sich leidenschaftlich für Kinderliteratur und arbeitet gleichzeitig an Projekten für verschiedene Altersgruppen, von Bilderbüchern bis hin zu Jugendbüchern – alles, was lustig, magisch oder mysteriös sein könnte. Sie lebt mit ihrer Familie in Surrey im Süden Englands, wo sie gerne in Antiquariaten stöbert, mit ihren beiden Kindern im Schlamm herumstapft und zu viele Pflanzen sammelt. Die Geschichtenwandler ist ihr Kinderbuchseriendebüt.

Inhalt

Widmung

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

Danksagung

Liste der neun Musen nach Hesiod:

Für Hannah, die die Tintenmagie seit der ersten Stunde anfeuert

KAPITEL 1

Mitten auf dem Trafalgar Square hockte ein Drache und gab sich alle Mühe, mich im Auge zu behalten. Für gewöhnliche Menschen war dieser Drache zum Glück unsichtbar, wobei er jederzeit entscheiden konnte, für diejenigen, die ihn sehen sollten, Gestalt anzunehmen. In Anbetracht der Tatsache, dass er etwa die Maße eines großen Pferds hatte und extrem wild ausschaute, war seine grundsätzliche Unsichtbarkeit allerdings wohl keine schlechte Sache. Temple – so nannten wir ihn, weil er normalerweise als Statue auf einer Säule in Temple Bar in der Nähe der Königlichen Gerichtshöfe wacht – besteht aus schwarzem Metall und hat ein furchtbar hässliches Gesicht und extrem spitze Zähne. An diesem Tag hatte er sich allerdings auf dem Rücken einer der Löwenstatuen, die den Platz schmücken, zusammengerollt und wirkte eher wie eine zu groß geratene Hauskatze mit Stacheln.

Die tiefstehende Dezembersonne tat ihr Bestes, um die Bronze der Löwenstatue zu erwärmen. Dennoch fühlte sie sich an wie ein riesiger löwenförmiger Eiszapfen, als ich mich dagegenlehnte. Eigentlich soll man nicht auf den Löwen herumklettern, aber an besonders geschäftigen Tagen nehmen die Leute es mit dieser Regel nicht so genau. Auf dem Rücken der zweiten Statue uns gegenüber machte eine Touristengruppe Fotos, und niemand regte sich darüber auf. Somit fügte sich unsere kleine Truppe glücklicherweise einfach in die Menge ein. Das war gut, denn hätte irgendjemand ganz genau hingesehen, wäre in der Luft direkt über dem Rücken des Löwen ein Wabern zu erkennen gewesen, und warme Luft umstrudelte uns wie eine tropische Brise.

Meine beste Freundin Delia verschränkte die Arme und stützte sich neben mir ab. »Kannst du uns noch ein bisschen mehr einheizen, Temple?«, bat sie den Drachen. Delia ist eine der zwei einzigen Angehörigen der Claw and Spark Alliance, eines magischen Geheimbunds, der jeden beliebigen Drachen in London aufwecken und mit ihm kommunizieren kann. Ganz gleich, ob es sich dabei um eine Statue, einen Wandteppich oder ein Buntglasfenster handelt: Delia und unser gemeinsamer Freund George – der selbst ernannte Präsident der Allianz – sind in der Lage, ihn zum Leben zu erwecken. Temple streckte sich ein wenig und hauchte uns einen Schwall warmen Dampf in den Rücken. Ein wohliges Schaudern überlief mich, als die heiße Luft mir in den Kragen kroch.

Delia und ich hatten beide den Blick ein Stück weit nach vorn gerichtet – dorthin, wo ein kleines Mädchen mit hellbraunen Locken stand. Sie balancierte auf dem Rand eines der Springbrunnen entlang und winkte uns wie verrückt zu. Ein verwegenes Funkeln glomm in ihren Augen, und ich musste mich zusammenreißen, um nicht aufzuseufzen wie eine entnervte Erwachsene. Denn neben diesem winzigen Knallbonbon namens Penny Fisher kamen wir alle uns wie entnervte Erwachsene vor.

Endlich hörte Penny auf zu winken und rannte zu uns herüber. »Na los, Enna, es wird Zeit, den Plan in die Tat umzusetzen!«, rief sie.

Penny war das jüngste Mitglied einer magischen Geheimgesellschaft, das ich bis dato kennengelernt hatte. Mit ihren neun Jahren war sie knapp einen Kopf kleiner als ich. Was sie uns jedoch in Sachen Alter und Körpergröße nachstand, das machte sie mit ihren unbändig tollkühnen Eskapaden mehr als wett. Sie besaß eine kleine Plüschmaus namens Ringo, die sie immer in einer ihrer Taschen mit herumschleppte, liebte es, in unserer Buchhandlung die Captain-Underpants-Bücher anzuschauen, und verhielt sich auch sonst allermeistens einfach wie ein ganz normales Kind.

Unerklärlicherweise war sie allerdings gleichzeitig die Präsidentin der kürzlich wiederbelebten Wish Workers’ Association, eines magischen Geheimbunds, der mit den Wünschen arbeitet, die an in Brunnen geworfenen Geldmünzen haften. Die Wish Workers’ Association war als neueste Organisation hinzugestoßen zu unserer wachsenden Liste magischer Geheimgesellschaften, deren Blütezeit Hunderte Jahre in der Vergangenheit lag und die aus unbekannten Gründen irgendwann ausgestorben waren, sich in jüngster Zeit jedoch wieder regten.

Und jedes Mal, wenn jemand Neues seine Magie entdeckte, machte dieser Jemand mich ausfindig. Niemand hatte eine Ahnung, weshalb die Gesellschaften mit einem Mal wiederauflebten oder wieso sämtliche gegenwärtigen Mitglieder Kinder waren, doch es hatte sich in London herumgesprochen: Wer sich plötzlich ungekannter magischer Kräfte bewusst wurde und ratlos war, was er damit anfangen sollte, der wandte sich am besten an Enna Silver.

Penny tänzelte sorglos am Rand der Stufen in unserer Nähe entlang, als liefe sie über ein Hochseil. Weihnachtsmarktbuden säumten den Platz, und die Luft war getränkt vom Duft heißer Schokolade und Donuts. Einige Polizisten schlenderten vorbei, und unwillkürlich erinnerten mich ihre gewölbten schwarzen Kappen und die leuchtend gelben Westen, mit denen sie aus der Menge hervorstachen, an Bienen in einem frischen Blumenstrauß.

»Ich habe noch nicht alle entdeckt«, sagte ich, während Penny an der Statue emporturnte. »Ich hätte gern sämtliche anderen Gesellschaften hier versammelt, als Verstärkung und Rückendeckung. Und außerdem«, fügte ich hinzu und konnte mir dabei ein Grinsen nicht verkneifen, »sind alle schon ganz scharf darauf, dich in Aktion zu erleben. Man sieht schließlich nicht jeden Tag jemanden inmitten einer der meistbesuchten Touristenattraktionen Londons in einen eiskalten Springbrunnen hüpfen.«

Mein Kompliment ließ Penny völlig ungerührt; sie rollte lediglich mit den Augen. »Ich hätte einfach ganz allein wunschtauchen gehen sollen«, murmelte sie. »Normalerweise springe ich bloß in ein paar der kleineren Brunnen, wenn ich meine Wunschsammlung auffüllen muss, bis ich irgendwann genügend Münzen habe.«

»Ja, aber hast du nicht erzählt, die Wünsche in diesem Brunnen seien irgendwie besser?«, fragte ich. »Also, nicht nur, dass hier viel mehr Münzen im Wasser liegen als in jedem anderen Springbrunnen Londons, sondern auch, dass es vermutlich die größte Bandbreite an Wünschen gibt?«

»Jaaa.« Penny schrappte mit der Fußspitze gegen den steinernen Sockel der Löwenstatue. »Aber ganz ehrlich: Ich brauche nicht alle anderen hier zur Unterstützung. Temple reicht vollkommen aus – er kann mich aufwärmen, sobald ich aus dem Wasser steige, und mich beim Eintauchen in seine Unsichtbarkeit einhüllen. Simpel. Ich bin im Nu wieder draußen – mit gefüllten Taschen.«

»Penny, falls etwas schiefgeht, kann ich nicht alle hier ganz allein ablenken!« Mit einer ausgreifenden Armbewegung erfasste ich die Hunderte von Menschen, die auf dem Trafalgar Square unterwegs waren. Auf dem Platz ist an den meisten Tagen viel los, aber solange dort der Weihnachtsmarkt stattfindet, treten sich die Leute praktisch gegenseitig auf die Füße. »Das Letzte, was du willst, ist, beim Klauen von Münzen aus dem Brunnen erwischt zu werden! Und wir haben all diese neue Magie zur Verfügung, nun, da die neuen Gesellschaften uns unterstützen wollen. Wieso sollten wir uns das nicht zunutze machen?«

Penny kreuzte die Arme vor der Brust. »Caspians Magie nutzt uns gar nichts«, sagte sie trotzig. »Er kann sie ja gar nicht einsetzen, wenn er nicht in der Nähe der Themse ist.«

»Wer redet von mir?« Caspian Atwater tauchte hinter Penny auf, so dass sie zusammenzuckte und ihn finster anblitzte. Da stand er und wirkte cool wie eh und je, mit seinem hinter die Ohren geschobenen schulterlangen Haar und im smarten Wollmantel. Caspian ist der einzige Angehörige der Silt and Treasure Guild, eines magischen Geheimbunds, der die Fähigkeit besitzt, mit der Themse, die durch London fließt, zu kommunizieren.

»Wir brauchen Caspian sehr wohl«, widersprach ich Penny, »schon allein, weil er hervorragend Leute beschwatzen kann. Sollte irgendjemand dich in diesem Springbrunnen sehen, wirst du froh darüber sein, ihn hier zu haben, damit er dir überzeugende Ausflüchte liefert. Vor allem gegenüber der Polizei.« Ich nickte unauffällig in Richtung der beiden Beamten, die noch immer über den Platz spazierten.

»Ich habe eine Frage«, warf Caspian ein. »Penny, befindet sich unter diesem Springbrunnen nicht dein Hauptquartier? Wie kommst du denn dort hinein, wenn niemand mitbekommen darf, wie du einfach in den Brunnen springst? Und falls du wirklich regelmäßig das Hauptquartier besuchst, wieso schnappst du dir dann nicht einfach auf dem Weg nach unten ein paar Münzen?«

Zusammen mit der Auferstehung von Londons magischen Geheimgesellschaften waren auch deren uralte Hauptquartiere von den neuen Mitgliedern wiederentdeckt worden. Ihre Magie hatte die jeweiligen Anführer sämtlicher Bünde dorthin geführt, und stets befanden sich die Örtlichkeiten gerade da, wo es für die zugehörige Gruppe am günstigsten war. Georges Hauptquartier zum Beispiel ist in einem unterirdischen Höhlensystem im Stadtteil Bloomsbury verborgen. Das Herz der London Ghost Coalition – einer Koalition, die mit den Geistern aller in London Verstorbenen reden kann – schlägt auf einem Friedhof, genauer in einem Steinklavier des Highgate Cemetery.

Pennys Zentrale dagegen liegt in einer gläsernen Kuppel unter dem Brunnen, in dem sie nun auf Tauchgang gehen wollte, und ich war bisher niemals dort gewesen. Ich brannte regelrecht darauf, sie mir anzuschauen, denn was ich davon gehört hatte, klang schräg und wundervoll zugleich. Und da die Kombination dieser beiden Attribute das war, was in der letzten Zeit mein ganzes Dasein ausmachte, fühlte es sich an, als hätte ich schon allein deswegen eine Einladung geradezu verdient.

Penny hatte mir den Ort beschrieben, und nach ihrem Bericht erinnerte er mich an die Unterwassertunnel in großen Aquarien – nur dass man anstelle von Haien, die über einem ihre Bahnen zogen, Münzen auf sich herabregnen sah. Münzen, die mit Wünschen beladen waren, für die nur Penny eine Verwendung hatte.

Penny pustete auf ihre bloßen Finger, um sie zu wärmen. »Es ist immer ein bisschen knifflig, in mein Hauptquartier zu gelangen«, sagte sie. »Ich muss den richtigen Moment abpassen, und momentan ist hier wegen des Weihnachtsmarkts meist zu viel los. Ich habe das Geheimversteck ja erst im Oktober entdeckt, und schon da war das Wasser auf dem Weg hinein eiskalt. Seit einigen Tagen ist es so eisig, dass ich mich nicht mehr zu tauchen traue. Aber jetzt, da ein Drache bereitsteht, um mich aufzuwärmen«, meinte sie mit vielsagendem Blick zu Temple, »schaffe ich es vielleicht, wieder häufiger einen Abstecher nach unten zu machen.« Sie trug Latzhosen aus Jeansstoff mit mehr Taschen, als ich je für möglich gehalten hätte, und hatte sich dazu noch eine Bauchtasche um die Taille geschnallt. Ihr Winterparka lag zusammengeballt zu Delias Füßen, nachdem wir sie überzeugt hatten, dass es besser war, wenn er trocken blieb. Temple sollte als gigantischer Föhn fungieren und Penny ordentlich einheizen, sobald sie wieder aus dem Wasser stieg, doch selbst er streikte, wenn es darum ging, überflüssigerweise auch noch einen tropfnassen Anorak trocken zu pusten.

»Ich halte das nach wie vor für eine furchtbare Idee«, meldete sich Delia. »Unterkühlung ist eine sehr ernst zu nehmende Gefahr und wirklich kein Vergnügen. Ich könnte Temple bitten, in den Brunnen zu springen und dir diese Münzen zu besorgen, wäre das nicht –«

Penny hob ihre kleine Hand, um Delia zu unterbrechen. »Das hatten wir schon«, sagte sie in erschreckend herrischem Tonfall. »Ich muss diejenige sein, die die Münzen einsammelt, wenn ich die Wünsche nutzen will. Temple besitzt schließlich keine Wunschmagie, oder?«

Delia schüttelte den Kopf und beäugte Penny dabei misstrauisch.

»Das dachte ich mir. Niemand besitzt Wunschmagie. Niemand außer mir. Und ich brauche frischen Nachschub an modernen Wünschen – die ganzen Wünsche in der Münzbibliothek in meinem Hauptquartier sind zu altmodisch. Dass ich nicht viel mit einem Wunsch anfangen kann, der darin besteht, dass jemand sich die Heilung von Tuberkulose ersehnt, ist ja wohl klar, nicht wahr?«

»Ist das ein häufiger Wunsch?«, fragte Delia.

»Im Viktorianischen Zeitalter war Tuberkulose weitverbreitet«, meinte Penny schulterzuckend. »Wie auch immer: Ich suche nach einem ganz bestimmten Wunsch, und dieser Brunnen ist der einzige, den ich noch nicht durchforstet habe. Und was deine andere Frage anbelangt« – sie funkelte Caspian aus zusammengekniffenen Augen an, doch er schenkte ihr bloß ein Lächeln –, »ich kann keine Münzen auf dem Weg ins Hauptquartier einsammeln, weil ich noch immer all meine Magie aufbieten muss, um die Tür zu öffnen.«

Delia und ich wechselten skeptische Blicke. Ich hatte den Eindruck, dass Pennys Bedürfnis nach seltenen Wünschen eher aus dem Verlangen erwuchs, sie zu horten, als aus der Absicht, sie tatsächlich zu nutzen. Allerdings gab ich mir alle Mühe, anderen Leuten nicht vorzuschreiben, was sie mit ihrer Magie anfangen sollten. Dass die Emerald Ink Society – die Geschichtenwandler – als einziger der magischen Geheimbünde Londons vor zweihundert Jahren nicht schlagartig verschwunden war, bedeutete schließlich nicht, dass ich allwissend war.

»Wir warten jetzt lediglich noch auf die London Ghost Coalition und die Urban Animal Squad« sagte ich und rieb meine Handschuhe aneinander. Meine Finger froren selbst durch die dicke Wolle hindurch.

»Was um alles in der Welt wollen die Geisterversteher denn beitragen?«, fragte Caspian.

»Ich wette, du hast nicht gewusst, dass dieser Brunnen seinen ganz persönlichen Geist hat«, antwortete eine monotone Stimme. Ich wandte mich um: Hinter mir stand Daphne, die Anführerin der London Ghost Coalition, mit verschränkten Armen und spähte an mir vorbei zu Penny. Daphne hatte kinnlanges schwarzes Haar, einen porzellanfarbenen Teint und eine recht niederdrückende Persönlichkeit. Aber ich schätze, wenn die eigene Magie darin besteht, dass man mit Toten reden kann, fühlt es sich wohl einfach normal und richtig an, immerzu Schwarz zu tragen und ernst durchs Leben zu gehen.

»In diesem Brunnen ist jemand gestorben?«, fragte Caspian baff.

»Ja«, erwiderte Daphne emotionslos. »Eine Frau. Ihre Knochen sind natürlich nicht mehr hier – das war im Jahr 1890 –, aber ihr Geist ist an die Statue der Meerjungfrau dort hinten gebunden.« Daphne deutete zu einer grünlich angelaufenen Bronzefigur, die Wasser in den Brunnen spuckte. »Die Meerjungfrau ist ihr Anker.« Als Caspian fragend eine Augenbraue hochzog, ergänzte sie: »Der Gegenstand, der ihren Geist in unserer Welt hält. Ein Anker kann alles Mögliche sein, das in irgendeiner Weise mit dem Tod des jeweiligen Menschen in Verbindung steht. Knochen, eine Mordwaffe, sogar der Ort, wo jemand gestorben ist. Allein deshalb sind die meisten Geister noch immer unter uns.«

»Kann sie … Penny weh tun?«, erkundigte Delia sich vorsichtig.

»Sie kann niemanden von uns berühren und körperlich verletzen«, antwortete Daphne. »Ein solcher Geist ist sicher nicht feindlich gesinnt. Und sie zeigt sich nur, wenn jemand in ihren Brunnen steigt, aber es schadet nie, wachsam zu sein und darauf zu achten, dass sie ruhig bleibt.«

»Kann ich jetzt endlich einfach loslegen? Die UAS sehe ich nirgends«, sagte Penny.

»Ich …« Mein Blick wanderte über die Menge auf der Suche nach irgendwelchen Mitgliedern der Urban Animal Squad, doch auch ich entdeckte niemanden von ihnen. »Jaaa, ich schätze, wir können nicht den ganzen Tag hier herumstehen. Okay, auf mein Zeichen stellt sich Temple über Penny und hüllt sie in seine Unsichtbarkeit ein, damit sie die Chance hat, unbemerkt in den Brunnen zu steigen. Caspian, du hast ein achtsames Auge auf die Menge – und falls irgendjemand mitbekommt, was wir vorhaben, gibst du mir Bescheid, und ich starte mit Plan B. Delia« – ich wandte mich an sie und Temple –, »du und Temple, ihr seid anschließend dafür zuständig, Penny wieder aufzuwärmen.«

»Fein«, sagte Penny und rieb sich gierig die Hände. »Ich springe in den Brunnen, danach pustet Temple mich trocken, und zum Abschluss kauft mir irgendjemand einen Schokoladen-Crêpe.«

»Einen Schokoladen-Crêpe kannst du dir selbst kaufen«, gab Delia zurück.

Penny war ein paar Meter entfernt auf den Rand des Brunnens geklettert und balancierte darauf entlang, und als wir zu ihr aufschlossen, spürte ich praktisch, wie mir das eisige Wasser vom bloßen Anschauen die Ärmel hinaufkroch und sie durchnässte.

»Ich habe kein Geld«, stellte Penny nüchtern klar.

»Du hast beim Auftauchen beide Taschen voller Münzen«, konterte Delia.

Penny wirkte entsetzt. »Ich kann die Wünsche anderer Leute nicht ausgeben! Nicht als Geld!«

»Wieso nicht?«, fragte ich. »Ich meine, es sind Münzen.« Ich war tatsächlich neugierig, denn schließlich lernte ich noch immer in einem fort dazu über all die verschiedenen Formen von Magie, die sich in jüngster Zeit zeigten.

Eine Sekunde lang schien Penny peinlich berührt, setzte jedoch prompt wieder ihre ganz eigene, unverwechselbare Selbstsicherheit auf. »Na schön: Ich habe es versucht. Ein Mal. So habe ich ja überhaupt erst herausgefunden, dass ich Wunschmagie besitze!« Sie präsentierte ihren Handrücken, so dass das goldene Münzzeichen zu sehen war, das dort schillernd und glühend pulsierte. »Ich wollte unbedingt ein Eis, und Mrs. Campbell – meine Pflegemutter –«, betonte Penny mit bedeutsamem Blick zu Delia, »hat mir keins gekauft, weil ich genau genommen gerade erst eins gegessen hatte. Jedenfalls habe ich da ein paar Münzen, die direkt am Rand lagen, aus einem Brunnen gefischt, um mir damit selbst ein Eis zu holen.« Penny hielt in ihrer Erzählung inne und erschauderte. »Nicht nur, dass die Münzen schwarz geworden und in genau dem Moment zu Staub zerfallen sind, als der Eisverkäufer sie von mir entgegengenommen hat: Ich hatte auch dieses schreckliche Gefühl in meinem Kopf, als würde etwas zerbrechen. Als hätte ich die Hoffnungen eines anderen Menschen aus der Welt gerissen.« Sie schüttelte sich, wie um die Empfindung ein für alle Mal loszuwerden.

»Aber inwiefern ist das etwas anderes, als den Wunsch zu benutzen?«, fragte ich. »Den Wunsch, für den die Münze in den Brunnen geworfen wurde.«

Penny schaute erleichtert drein. »Das sind zwei grundverschiedene Dinge. Ich erkläre es euch bei Gelegenheit. Jetzt habe ich etwas zu erledigen.« Wie auf Kommando stand Temple auf und streckte seine Glieder. Wir alle verfolgten, wie er anmutig von seinem Aussichtsplatz auf der Löwenstatue herabsprang, zu Penny hinüberschlenderte und sich direkt hinter sie stellte. Er entfaltete seine schwarzen Metallflügel und schloss Penny darin ein wie in einen Kokon. Kurz bevor sie gänzlich in seiner Umarmung verschwand, zwinkerte sie uns zu, und dann machten beide einen Schritt und traten von der Einfassung geradewegs hinein in den Springbrunnen.

Mehrere Dinge gingen gleichzeitig schief: Der Geist des Brunnens erschien genau da, wo Penny und Temple waren, und er war nicht freundlich gesinnt. Gespenstisch weiße Ringellöckchen umstanden den Kopf der Frau, ihr Gesicht war wutverzerrt, und sie wies sofort mit einer durchscheinenden Hand auf das Wasser, das Temples Beine umgab, und ließ es zu Eis erstarren.

Ganz kurz flackerte Temples Unsichtbarkeit, doch es gelang ihm rasch, sie wieder zu festigen, während er darum kämpfte, seine Beine aus dem Eis zu ziehen. Penny jedoch konnte er nicht länger verborgen halten; sie hatte sich aus seinem Einflussbereich entfernt und versuchte, in Windeseile ihre Münzensammelaktion über die Bühne zu bringen.

Prompt wandten sich mehrere besorgte Erwachsene um und schnappten bei ihrem Anblick entsetzt nach Luft, und jemand rief den just vorüberpatrouillierenden Polizisten zu: »Ein Kind ist gerade in den Brunnen gefallen!«

Der Brunnen ist nicht sonderlich tief, aber sehr groß – er hat ungefähr die Maße eines kleinen Schwimmbeckens. Und Penny benahm sich, als wäre er genau das: Sie paddelte flink außer Reichweite der vielen Arme, die sich anschickten, sie herauszuziehen. Immerhin schaffte sie es, das Ganze zufällig und unbeabsichtigt wirken zu lassen, ganz so, als würde sie lediglich in Panik umherstrampeln und dabei – hoppla – immer näher zur Brunnenmitte driften.

Caspian hatte sofort die Initiative ergriffen und redete auf die besorgten Erwachsenen ein; ich bekam mit, wie er rundheraus log und behauptete, sie wäre seine kleine Schwester und man bräuchte sich keine Sorgen zu machen, weil sie hervorragend schwimmen könnte und gleich wieder herauskäme.

»Keine Angst, Herzchen«, rief einer der Weihnachtsmarktverkäufer. »Hier, halt dich daran fest!« Er reckte Penny die lange Zange entgegen, mit der er seine Würstchen gewendet hatte, als würde das helfen.

Doch Penny war viel zu weit weg, und Delia und ich machten uns nun gleichermaßen daran, um die Brunneneinfassung zu hasten und den Leuten zu versichern, dass sie getrost die Hände stillhalten durften.

»Aber sie holt sich ja den Tod!«, rief eine Dame – und damit hatte sie nicht ganz unrecht. Mir fiel auf, dass Pennys Lippen ein wenig blau aussahen, wie sie da so herumplanschte, und ich bemerkte, dass ihre Bewegungen immer langsamer wurden. Die geisterhafte Brunnenbewohnerin folgte ihr mit ausgestreckten Armen. Ganze Blöcke des Wassers gefroren links und rechts, wo sie nach Penny grapschte und dabei ins Nass schlug. Penny hüpfte jedes Mal rechtzeitig davon, kühlte jedoch sichtlich mehr und mehr aus und wurde zunehmend linkischer.

Auf der anderen Brunnenseite erspähte ich Daphne, die wild gestikulierte. »Ich komme nicht dicht genug an den Geist heran, um ihn zu beruhigen!«, rief sie mir zu, unverhohlen gleichgültig, ob noch andere Leute ihre Worte mitbekamen. Im Umkreis des Brunnens waren ohnehin alle zu sehr auf Penny konzentriert, um sich Gedanken darüber zu machen, weshalb ein Mädchen in einer solchen Situation irgendwelchen Unsinn über Geister von sich gab.

»Penny, komm hier herüber!«, brüllte ich, doch obwohl sie in meine Richtung schaute, war ich mir nicht sicher, ob sie mich über all den Trubel hinweg überhaupt hören konnte. Ich musste einfach darauf hoffen, dass Daphne rechtzeitig zu dem Geist vordrang und es schaffte, ihn zu besänftigen, so dass es uns gelang, Penny noch rechtzeitig aus dem Wasser zu holen. Wieso war die Frau, die einst in dem Brunnen gestorben war, mit einem Mal so feindselig? Ich konnte mich nicht erinnern, dass Daphne jemals von Geistern erzählt hätte, die derart auf Menschen losgingen.

Temple hatte seine Beine aus dem Eis befreit, doch die Anstrengung hatte seine Unsichtbarkeit noch mehrfach kurz zum Flimmern gebracht. Als er sich nun zu Penny kämpfte, um sie zu retten, wurde er gänzlich sichtbar und musste blitzschnell als Teil des Brunnens posieren. Das war besorgniserregend, da es Temple meines Wissens nie zuvor so große Schwierigkeiten bereitet hatte, sich zu verbergen. Er ist enorm alt und mächtig.

»Oh, das muss neu sein«, hörte ich jemanden sagen. »Ein Drache ist mir in diesem Brunnen bisher nie aufgefallen.«

»Sei nicht albern, Liebes«, erwiderte ein Mann. »Er steht schon immer da, du hast bloß nie auf ihn geachtet.«

Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte ich gelacht: Unglaublich, welche Anstrengungen manche Leute unternehmen, nur um an ihrer Überzeugung festhalten zu können, dass Magie nur in ihrer Phantasie existiert! Aber ich schätze, uns kommt es nur gelegen, dass sie das Offensichtliche nicht wahrhaben wollen.

In diesem Augenblick tauchte ein Eichhörnchen auf, flitzte am Hosenbein des Verkäufers hinauf und auf seine Servierzange, wo es das Würstchenfett vom Ende leckte. »Bah!«, schrie er, mit einem Mal abgelenkt. »Weg mit dir!«

Ich grinste. Die Urban Animal Squad war da.

»Entschuldige, wir sind spät dran!« Ein Mädchen mit polnischem Akzent lächelte mich abgehetzt an.

»Schon in Ordnung, Agata«, sagte ich. »Ich bin froh, dass ihr jetzt da seid.« Ich nickte den anderen vier Mädchen zu, die abwartend hinter ihr zurückgeblieben waren. Jede von ihnen trug verborgen ein Tier bei sich. In Agatas Mantelkapuze schlummerte ein weiteres Eichhörnchen. Zwei der anderen Mädchen trugen je einen Fuchswelpen unter dem Arm wie Stofftiere. Die Nächste hatte eine Ratte in ihrem Schal versteckt, und auf der Schulter des letzten Mädchens hockte eine Taube, als wäre ihre Menschenfreundin eine Art Stadtpiratin. Zusammen bildeten die fünf die Urban Animal Squad, abgekürzt UAS: eine Gruppe, die mit jedem Wildtier sprechen konnte, das sich in den Straßen Londons herumtrieb, und die über das beste Spionagenetzwerk der gesamten Stadt verfügte.

»Die Polizei ist auf uns aufmerksam geworden«, stellte ich plötzlich fest, als ein gellender Pfiff ertönte und die Menge sich teilte. Die beiden Beamten hatten den Brunnen beinahe erreicht, da raunten die zwei Fuchsmädchen ihren Tieren etwas zu, und die Welpen huschten davon zu einem nahen Stand, an dem Weihnachtsbäume verkauft wurden. Sekunden später krachten Bäume zu Boden und laute Rufe – »Schert euch zum Teufel!« und »Die Füchse zerlegen die Weihnachtsbäume!« – schallten über den Platz. Eine Barriere aus umgestürzten Weihnachtsbäumen versperrte den Polizisten vorerst den Weg und verschaffte mir gerade genug Zeit, um Penny zu signalisieren, dass ihre Zeit um war. Und das keine Sekunde zu früh: Auf der anderen Seite des Brunnens wurde die Eisschicht immer dicker – der Geist hatte Penny beinahe erreicht.

Temple erschauderte einige Male, schaffte es endlich jedoch, wieder unsichtbar zu werden – wobei er so für uns, die wir über Magie verfügen, nur ein wenig durchscheinender als ein Geist aussieht und irgendwie strahlender. Wie ein Drache aus feuchtem Glas. Er folgte Penny, sparte sich allerdings die Mühe, sie in seine Unsichtbarkeit einzuschließen, da die Menge sie genau im Blick hatte.

Pennys Zähne klapperten, und sie taumelte langsam durch das Wasser auf uns zu. Ich erkannte, dass ihre vielen Taschen beinahe zum Bersten mit Münzen gefüllt waren, doch bei ihrem tropfnassen Anblick fiel es schwer, die Mission als Erfolg zu betrachten. Einer der Polizisten hatte sich um die Weihnachtsbaumbarriere der Füchse herumgekämpft und stand nun auf der gegenüberliegenden Brunnenseite. Er hatte die Stiefel bereits ausgezogen und machte sich offenbar bereit, ins eisige Wasser zu waten. Hastig eilte ich zu ihm hinüber, um es ihm auszureden.

»Sir«, sagte ich. »Verzeihung, Sir?« Ich musste an seinem Ärmel zupfen, damit er auf mich aufmerksam wurde, und kaum hatte er sich mir endlich zugewandt, wirkte er höchst verärgert. »Sie kommt gerade heraus, und wir haben schon ein Taxi organisiert, das sie direkt nach Hause bringt«, log ich. In Wirklichkeit hatten wir einen Drachen, der im Begriff war, Penny eine ganz persönliche Sauna zu erschaffen, in der sie sich aufwärmen konnte.

Temple stakste noch immer unsichtbar hinter Penny her, stieß sie sachte mit seiner Schnauze an und pustete warme Dampfwolken über ihren Körper. Ein wenig Farbe kroch bereits wieder in ihre Wangen, und sie grinste.

Der Polizist schnalzte missbilligend mit der Zunge, denn für ihn musste es wohl mehr und mehr wirken, als wäre Penny absichtlich in den Brunnen gesprungen – deshalb sprintete ich zu ihr und half ihr über den Rand. Sie war fast schon trocken. »Oh, Gott sei Dank!«, rief ich und trug dabei mit meiner Schauspieleinlage vermutlich ein wenig zu dick auf. Ich umarmte Penny so heftig, als wäre sie um ein Haar gestorben, obwohl sie sich mittlerweile muckelig warm anfühlte.

»Du übertreibst ein bisschen, Enna«, meinte Penny durch zusammengebissene Zähne, während ich sie umklammert hielt.

»Tja, jedenfalls funktioniert es«, zischte ich ihr ins Ohr. »Alle verlieren das Interesse an uns.«

Penny klimperte beim Laufen mit ihren sicher verstauten Münzen, und George und ich führten sie hinter eine Reihe hölzerner Buden, die Weihnachtsschmuck anboten, so dass Temple sich um sie schlingen und sie endgültig durchtrocknen konnte. Er schloss sie in seine Flügel ein, und von einer Sekunde auf die andere war sie verschwunden. Getarnt in Temples Unsichtbarkeit hörten wir Penny kichern, während er warmen Dampf auf sie herabatmete. Innerhalb von Minuten stand sie vollkommen trocken vor uns.

»Also, das«, verkündete sie triumphierend, »war der beste Wunschtauchgang, den ich je erlebt habe.«

»Freut mich ja sehr, dass du Spaß hattest«, gab Daphne gedehnt zurück, ohne einen Zweifel daran zu lassen, dass das genaue Gegenteil der Fall war. »Aber dürfte ich vorschlagen, dass wir uns in einem anderen Hauptquartier treffen als dem da?« Daphne stierte zu dem Springbrunnen hinüber, als hätte er sie persönlich beleidigt. »Um ein paar Dinge zu besprechen. Ich habe mich gerade kurz mit der Geisterfrau im Brunnen unterhalten, um herauszufinden, weshalb sie mit einem Mal so mörderisch feindselig war, und, ähm … sie hat da ein kleines Problem.«

»Die Tiere sind in letzter Zeit auch viel nervöser als gewöhnlich«, merkte Agata an. »Ich denke, ein Treffen wäre gut.«

»Und solange ich ihn kenne, hatte Temple noch nie solche Schwierigkeiten, sich unsichtbar zu machen«, ergänzte Delia.

Ich holte lang und tief Luft und bemühte mich, einen klaren Kopf zu bewahren angesichts der Tatsache, dass so viele Leute auf einmal merkwürdige – und offen gestanden ganz wunderbare – neue Magie besaßen.

»Okay«, sagte ich. »Dann lasst uns ein Hauptquartier wählen, wo wir zusammen ausspannen und über diese ganzen Probleme sprechen können.«

Ich gebe zu, es war aufregend, auf einen Schlag derart viele Freunde zu haben – und ziemlich unglaublich, was plötzlich mit Magie in London möglich war. Aber das ist ja die Krux mit der Aufregung: Sie ist elektrisierend und verspricht Spaß, birgt jedoch immer auch einen Hauch Gefahr in sich. Andernfalls wäre da nur ein leises, warmes Flauschgefühl.

Den Spaß, den all die neuen Magieformen, die sich uns offenbarten, boten, verstand ich – doch mir schwante, dass die Lektion, welche Gefahren mit der ganzen Sache einhergingen, unmittelbar bevorstand.

KAPITEL 2

Stimmen hallten durcheinander, manche schrill und lachend, andere streitend. In der unterirdischen Höhle, die als Hauptquartier der Claw and Spark Alliance – des von George angeführten Drachenbunds, dessen einziges weiteres Mitglied Delia war – diente, hatten sich alle von uns versammelt, die zuvor am Trafalgar Square gewesen waren. Hinzugestoßen waren lediglich noch die beiden anderen Angehörigen von Daphnes Geisterkoalition, Fabrizio und Sam, sowie zwei weitere Emerald-Ink-Mitglieder: Jessica Jane und Jake. Ich hockte auf einem Steinblock ein wenig abseits und versuchte, dem Buntglasdrachen, der mir meinen Platz streitig machen wollte, nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken.

Als der Drache – der aus rotem, schwarzem und goldenem Glas bestand und etwa die Maße eines kleinen Hundes hatte – mit seiner zweidimensionalen gläsernen Kralle hinter mir die andere Seite des Felsens packte und Anstalten machte, daraufzuspringen, zuckte ich zusammen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie gefährlich Buntglasdrachen sind, wenn man nicht auf derselben Seite steht wie sie. Im Oktober hatten Delia, George und ich gegen eine ganze Armee Verlorener Drachen gekämpft, die von einem abtrünnigen Mitglied der Emerald Ink Society zum Leben erweckt worden waren. Während Steindrachen in der Lage sind, Feuer, Dampf und Rauch zu speien, können die gläsernen Drachen nadelspitze und rasiermesserscharfe Glasscherben spucken.

»Muss das sein?«, fragte ich den Drachen behutsam. Nicht alle Drachen können reden – und einige weigern sich, obwohl sie es könnten –, aber ich behandele sie immer so, als könnten sie es. Ich denke, das ist eine gute Grundhaltung: Behandele auch jedes Geschöpf ohne Stimme so, als könnte es dich verstehen.

Zum Glück stehen inzwischen alle Drachen, die durch London streifen, unter Georges und Delias Kommando und sind freundlich … mehr oder weniger. Ich betrachtete den Drachen neben mir, und seine Glasstücke klimperten wie die Plättchen eines Windspiels: schwer zu ignorieren. Alles an ihm war scharfkantig, und er erinnerte mich an ein Origamikunstwerk, nur eben aus Glas. Endlich schoben sich die einzelnen Buntglasscheiben, aus denen der Körper des Drachen bestand, zusammen, und er sank auf die Hacken. Wie ein Satz gläserner Spielkarten, von denen man die Hälfte zu kleinen Stapeln auftürmt. Ich blinzelte ihn an. Mir war nie in den Sinn gekommen, dass Glas beleidigt dreinschauen könnte, doch dieser Drache versuchte es eindeutig.

»Aufgepasst, alle miteinander!« Georges Stimme dröhnte über unsere Köpfe hinweg, und das Geplapper wurde leiser und erstarb schließlich. George mag erst zwölf sein – fast dreizehn, genau wie ich –, aber auf ihn hört man, weil er auf diese unbekümmerte Art und Weise cool ist. Er hat dunkles Haar, das ein Eigenleben führt, einen olivfarbenen Teint und die draufgängerische Einstellung, die ich mir wünsche, von der ich aber weit entfernt bin. An diesem Tag trug er einen schwarzen Pullover, dessen einen Ärmel eine goldene Drachenstickerei zierte.

»Wenn ihr alle euch zu den anderen Mitgliedern eurer jeweiligen Gesellschaft setzen könntet, nur für den Moment, dann wäre das hilfreich«, meinte Delia. Delia ist fast einen Kopf größer als George und trägt ihr blondes Haar meist zum hohen Pferdeschwanz zusammengefasst. Ihr Modegeschmack ist tadellos, und obwohl sie und ich nicht unbedingt dieselben Interessen haben (sie begeistert sich für Klamotten und mag Liebesromane, ich dagegen finde Geschichtsbücher und Magie viel spannender), ergänzen wir einander gut.

»Wieso müssen wir uns hier unten treffen?«, fragte Penny. »Hier ist es so trist und düster.« Sie hockte auf dem Höhlenboden auf einem Haufen orientalischer Teppiche und hatte rings um sich herum kleine Münztürmchen aufgeschichtet. Zwar wirkte sie, als zählte sie das Geld, doch ich wusste, dass sie in Wirklichkeit die Wünsche zählte. Jeder Stapel stand für eine eigene Wunschkategorie, die nur Penny kannte. Üblicherweise hält sie sich eine Münze ans Ohr und lauscht, um festzustellen, welche Art von Wunsch daran haftet, doch in diesem Moment tat sie nichts dergleichen. Sie schien die Geldstücke einfach nur nach Lust und Laune zu stapeln, mit ihnen zu spielen und herumzuklimpern. Immer wieder musste Delia Drachen von Pennys Münzarsenal fortscheuchen. Ich denke, wenn Penny gewollt hätte, hätte sie die kleineren Drachen wie Hütehunde einsetzen können, so scharf, wie sie darauf waren, Glitzerkram zu horten. Aber da Münzen in der Regel nicht von allein Reißaus zu nehmen versuchen wie Schafe, wäre das wohl unsinnig gewesen.

»Dieser Unterschlupf ist als einziger groß genug – und geheim genug – für uns alle«, erklärte George. »Und es kränkt mich, dass du mein Hauptquartier trist und düster findest. Wir haben wirklich schwer geschuftet, um es gemütlich einzurichten.« Wie zur Antwort zuckte die goldene Stickerei auf Georges Ärmel und fing dann an, sich als langer goldener Faden davon abzulösen. Sowie das Garn knapp über Georges Arm in der Luft schwebte, verwandelte es sich in Rauch. »Nett, dass du dich auch endlich zu uns gesellst, Twist«, brummte George.

Twist nahm als Rauchdrache Gestalt an und driftete hinauf zu Georges Schulter. Er ist etwa so groß wie eine Katze und verhält sich oft auch so. Oder eher: Er würde sich so verhalten, wären Katzen in der Lage, sich als Stickerei zu tarnen, dann zu Rauch zu werden und so nach Belieben Menschen auszuspionieren.

»Die batteriebetriebenen Kerzen und Laternen sind ein hübsches Detail«, merkte eins der Mädchen der Urban Animal Squad an. Die Taube auf ihrer Schulter klackerte mit dem Schnabel und gurrte ihr ins Ohr. »Sigmund sieht das genauso, allerdings weist er darauf hin, dass die Farbpalette komplett falsch ist, falls ihr auf schick aus wart.«

George knurrte. »Das sagt ausgerechnet eine Gesellschaft, deren Motto lautet: Ungeziefer ist unser Freund, Geheimnisse sind unser Futter – was auch immer das bedeuten soll«, gab er in verärgertem Tonfall zurück. »Und was die Ausstattung angeht: Wir waren aus auf Das kostet nichts und Wir nehmen, was wir kriegen können. Sigmund darf also seine Meinung gern für sich behalten, sofern es ihm nichts ausmacht.«

»Keiner von uns findet es trist und düster«, sagte Daphne. Die beiden anderen Angehörigen ihrer Gruppe saßen rechts und links von ihr und trugen genau wie sie von Kopf bis Fuß Schwarz. Sam Chen hatte sein schwarzes Haar raspelkurz rasiert; er war einer der Jüngsten in der Höhle. Ich schätze ihn auf etwa zehn. Der andere Junge, Fabrizio Gallo, war ebenfalls schwarzhaarig, doch seine Haare waren lang und fielen ihm auf die Schultern. Fabrizio gehörte zu den Ältesten: fünfzehn, würde ich annehmen.

»Natürlich findet ihr es nicht trist und düster«, murrte Penny. »Ihr könnt ja auch mit Geistern reden. Hey, da fällt mir wieder ein: Meine Betreuerin vermisst ihre Mum ganz furchtbar. Sie ist zu Hause in Jamaika gestorben. Es wäre so lieb, wenn ihr eine Nachricht …«

»Nein«, schnitt Daphne ihr das Wort ab. Eine gewisse Schärfe lag in ihrer monotonen Stimme. »Es muss der Geist eines Menschen sein, der in London gestorben ist, so funktioniert unsere Gabe. So funktionieren all unsere Gaben, oder nicht? Sie sind an London gebunden. Ganz gleich, welche Form von Magie wir besitzen, sie wirkt nur hier.«