Die Geschichtenwandler − Steinerne Drachen - Kristen Perrin - E-Book

Die Geschichtenwandler − Steinerne Drachen E-Book

Kristen Perrin

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Beschreibung

Geheimnisvolle Drachen, grüne Magie und ein altes Zauberbuch Enna beherrscht die Magie der grünen Tinte – und als jüngstes Mitglied der geheimen Gesellschaft der Geschichtenwandler hat sie London schon einmal vor dem Untergang gerettet. Da begegnet ihr plötzlich eine ganz neue Art der Magie: Auf dem Wochenmarkt beobachtet sie, wie aus dem Dampf einer Pfanne ein Drache aufsteigt – und von einem fremden Jungen angelockt wird. Und dies ist nicht der einzige Drache, der zum Leben erweckt wird. Was hat es mit dieser mysteriösen Drachenmagie auf sich? Zusammen mit ihrer Freundin Delia macht Enna eine hochgefährliche Entdeckung! Kommt es zum Kampf mit den Drachen – und können die Geschichtenwandler mit ihrer Magie helfen? - Nach »Magische Tinte« das neue phantastische Abenteuer von Enna und ihren Freunden - Mit magischen Vignetten von Helge Vogt - Geheimnisvoller Schauplatz London und mysteriöse Drachenmagie - Fortsetzung in Vorbereitung!

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Ähnliche


Kristen Perrin

Die Geschichtenwandler

Steinerne Drachen

Band 2

 

Aus dem Englischen von Fabienne Pfeiffer

 

Über dieses Buch

 

 

Geheimnisvolle Drachen, grüne Magie und ein altes Zauberbuch

Enna beherrscht die Magie der grünen Tinte – und als jüngstes Mitglied der geheimen Gesellschaft der Geschichtenwandler hat sie London schon einmal vor dem Untergang gerettet. Da begegnet ihr plötzlich eine ganz neue Art der Magie: Auf dem Wochenmarkt beobachtet sie, wie aus dem Dampf einer Pfanne ein Drache aufsteigt – und von einem fremden Jungen angelockt wird. Und dies ist nicht der einzige Drache, der zum Leben erweckt wird. Was hat es mit dieser mysteriösen Drachenmagie auf sich? Zusammen mit ihrer Freundin Delia macht Enna eine hochgefährliche Entdeckung! Kommt es zum Kampf mit den Drachen – und können die Geschichtenwandler mit ihrer Magie helfen?

Nach Magische Tinte das neue phantastische Abenteuer von Enna und ihren Freunden in einem geheimnisvollen London voller Drachen und Magie

Alle Bände der TrilogieDie Geschichtenwandler:

Band 1: Magische Tinte

Band 2: Steinere Drachen

Band 3: Gefährliche Wünsche (erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2024)

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

Kristen Perrin stammt ursprünglich aus Seattle, USA, wo sie viele Jahre als Kinderbuchhändlerin tätig war. Sie interessiert sich leidenschaftlich für Kinderliteratur und arbeitet gleichzeitig an Projekten für verschiedene Altersgruppen, von Bilderbüchern bis hin zu Jugendbüchern – alles, was lustig, magisch oder mysteriös sein könnte. Sie lebt mit ihrer Familie in Surrey im Süden Englands, wo sie gerne in Antiquariaten stöbert, mit ihren beiden Kindern im Schlamm herumstapft und zu viele Pflanzen sammelt. Die Geschichtenwandler ist ihr Kinderbuchseriendebüt.

Inhalt

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

DANKSAGUNG

Drachenglossar

Liste der neun Musen nach Hesiod:

Hat dir Die [...]

KAPITEL 1

Dass London magisch ist, sagt jeder. Aber nur sehr wenige Menschen wissen, was das tatsächlich bedeutet. Für gewöhnlich meinen die Leute damit, Big Ben schaue so zeitlos und formvollendet aus, dass es schon unwirklich scheint, oder die in einem fort vorbeibrausenden Doppeldeckerbusse bescheren ihnen aus unerfindlichen Gründen gute Laune.

Besonders clevere Zeitgenossen führen die Magie Londons vielleicht auf den Nebel über der Themse an einem klirrend kalten Morgen zurück, der einem das Gefühl gibt, alles sei möglich. Würden aber diese cleveren Nasen einen Moment lang darüber nachsinnen, woher diese Empfindung kommt – würden sie diesem sonderbaren Mysterium mit einzigartigem London-Aroma, das alles überzieht, solange nur das Licht gerade richtig einfällt, eingehender nachspüren –, dann könnte es sein, dass sie auf mehr stoßen als bloß eine hübsche Postkartenansicht.

Die meisten tun es nicht. Ich jedoch hatte es getan.

Meinen Sommer hatte ich damit verbracht, einer Geheimgesellschaft hinterherzujagen, von der ich glaubte, sie verändere auf magische Weise die Geschichte, indem sie Bücher umschrieb. Dabei hatte ich nicht nur prickelnde Bekanntschaft mit einer mächtigen Magie gemacht, die – wie sich herausstellte – mein Erbe war (vielen Dank auch, Grams, dass du ganz vergessen hattest, deine Vergangenheit als unsterbliche Muse zu erwähnen), sondern auch herausgefunden, dass meine einzige Chance, London davor zu bewahren, gänzlich aus seinen magischen Fugen zu geraten, darin bestand, meine neu entdeckte Magie für immer aufzugeben. Ich schätze, das Ganze hätte keine derart große Überraschung für mich sein sollen. In meinen zwölf Jahren als Tochter einer Buchhändlerin habe ich genügend Geschichten gelesen, um zu begreifen, dass die Dinge viel häufiger so enden, als es uns lieb ist.

Doch bloß weil keine Magie mehr in grünen Wellen um mich herumwaberte, musste ich ja nicht zwingend durch mein ganzes restliches Leben spazieren, ohne mich je wieder in magische Geschehnisse zu verstricken.

Genau genommen dauerte es gar nicht lange, bis ich Hals über Kopf in mein nächstes magisches Tohuwabohu strauchelte.

 

Der Oktober hatte ordentlich Fahrt aufgenommen, als Grams und ich zum Borough Market aufbrachen mit der Mission, Vorräte zu besorgen. Vorräte konnte in Grams’ Fall alles bedeuten, und ganz ehrlich: Ich schloss mich ihr einfach deshalb an, weil ich Lust darauf hatte, insgeheim ein kleines Spiel zu spielen und zu erraten, womit sie sich wohl bevorraten wollte. Die übliche und somit wahrscheinlichste Antwort lautete: Bücher. Allerdings wagte ich nicht, Fasane, Stinkekäse, Apfelwein, Honigwaben oder irgendwelche anderen Kuriositäten, die man hier und da auf Londons größtem Lebensmittelmarkt unter freiem Himmel findet, vorschnell auszuschließen.

Im überdachten Teil des Markts drängten sich an diesem Tag die Menschen, da auf die gepflasterten Straßen ringsum der Regen in Strömen niederging. Er trommelte auf das trübe schräge Glasdach hoch über den Verkaufsständen, das uns alle trocken hielt, so heftig, dass die Regentropfen eher wie Murmeln klangen. Alle paar Minuten rumpelte eine Bahn über den Markt Richtung Haltestelle an der London Bridge, und die weit über unseren Köpfen verlaufenen Schienen erinnerten mich an eine Achterbahn im Freizeitpark. Alles roch nach Apfelkompott und nassen Regenmänteln, und ausnahmsweise einmal kam ich mir nicht fehl am Platz vor in meinen zu großen Gummistiefeln aus dem Secondhandladen und einem von Mums alten Pullis. Der Borough Market fühlt sich stets ein wenig schrullig und klamm an, und am herrlichsten ist es dort im Herbst, wenn Menschentrauben um alte Fässer stehen und Kaffee trinken, die Tragetaschen vollgestopft mit frischem Gemüse und Bienenwachskerzen.

Grams drückte einen Finger in einen großen, miefigen Laib Blauschimmelkäse, als der Verkäufer gerade nicht hinsah, und ich lachte schnaubend auf. »Kannst du mir wenigstens verraten, nach welcher Art von Vorräten« – ich setzte mit den Fingern Anführungszeichen um das Wort in die Luft – »wir suchen?« Erwartungsvoll hielt ich die Luft an, doch als sie keine Antwort gab, platzte ich damit heraus: »Nach magischen vielleicht?«

Nun war es an Grams, zu schnauben, allerdings wirkte sie dabei nicht belustigt. Eher war es ein Mach-dir-keine-zu-großen-Hoffnungen-Schnauben. »Ich brauche Zutaten für einen Salat«, sagte sie.

»Ach Grams, nicht ernsthaft, oder?!« Ich mühte mich, die quengelige Note aus meinem Tonfall zu verbannen, und senkte ein wenig die Stimme, während wir uns durch eine Horde von Touristen kämpften, die an einem geführten Stadtrundgang zu berühmten Filmdrehorten in London teilnahmen.

»Auch Tomaten können magisch sein«, gab sie zurück.

»Sekunde – gibt es irgendeine Art von Pflanzenmagie, die ich noch nicht kenne?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Was genau ist magisch an Tomaten?«

»Ihr bezaubernder Geschmack«, antwortete sie.

»Aber du hasst Tomaten«, entgegnete ich und musterte sie aus zusammengekniffenen Augen.

»Exakt. Stell dir nur vor, wie besonders da eine Tomate sein müsste, damit sie mir schmeckt! Das käme wahrlich einem Wunder gleich!«

Meine Schultern sackten nach unten. »Grams, so habe ich das nicht gemeint.«

»Du würdest dich lieber von einer anderen Gemüsesorte inspirieren lassen? Gurken sind auch ganz in Ordnung, schätze ich …«

»Es geht um die verlorene Musenmagie, Grams – ich wünschte, du würdest dich endlich zu ihr bekennen!«, stieß ich schließlich aus. »Mittlerweile ist es schon Wochen her, dass ich den letzten grünen Funken Musenmagie gesehen habe. Und seither: nichts! Du musst doch noch irgendein Ass im Ärmel haben, oder? Etwas, das wir ausprobieren können, um die Magie wieder auf uns aufmerksam zu machen?« Ich kratzte gedankenverloren über die Stelle auf meinem Handrücken, wo ich ein winziges Aufflackern des leuchtenden Tintenfässchens erhascht hatte, das Symbol der Emerald Ink Society – oder kurz Ink – war. Nur dieses eine Mal war es aufgetaucht, unmittelbar nachdem ich die Magie zerstört hatte, die die Ink im Kern zusammenhielt und zugleich London auseinanderriss.

Grams hielt inne und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Enna, du musst dich einfach auf Quillon Fables Weisung verlassen. Er ist derjenige, der die Ink lenkt und leitet, und ich bin mir sicher, er tut das nach bestem Wissen und Gewissen. Ich habe dir alles erzählt, was ich weiß – das hier ist auch für mich jetzt Neuland.« Sie wirkte etwas betrübt, und mein Herz zog sich ein wenig zusammen bei dem Gedanken daran, dass das, was ich getan hatte, zwar ihre Rettung gewesen war, jedoch der Welt auch etwas Wunderbares und Magisches für immer geraubt hatte. Eine Magie, die Grams jahrhundertelang gekannt und genutzt hatte. Und die nun einfach fort war.

Ich blickte auf meine Zehen hinunter und schrappte mit einem Gummistiefel über das nasse Pflaster. »Fable ist in Ordnung, nehme ich an … er gibt sich Mühe.«

»Wie meinst du das?«, fragte Grams geistesabwesend. Wir waren weitergeschlendert zu einem Stand mit Obst und Gemüse, und sie war ganz darauf konzentriert, die Tomaten zu kneifen wie Babybäckchen. »Du hast gesagt, er habe die komplette Emerald Ink Society auf das Problem angesetzt und bilde dazu noch sämtliche neuen Rekruten aus. Was erwartest du denn noch von ihm?«

Ich seufzte, suchte nach den richtigen Worten. Den ganzen Sommer hatte ich mit allen Mitteln versucht, in die Emerald Ink Society aufgenommen zu werden, und nun, da ich Teil dieses faszinierenden Geheimbunds war, fühlte es sich irgendwie nur … bedeutungslos an. Einst war die Ink gegründet worden, um Grams in ihrer Rolle als Muse der Geschichtsschreibung zu unterstützen, und sie hatte den Mitgliedern ein wenig ihrer Musenmagie zuteilwerden lassen. Mit ihren magischen Füllern waren die Angehörigen der Gesellschaft in der Lage gewesen, Bücher wiederherzustellen, mit denen übernatürliches Schindluder getrieben worden war, oder sogar glühende Kraftfelder zu erzeugen, um einander vor Gefahren zu schützen. Jetzt allerdings, da es keine Magie mehr gab, war es, als wäre der Ink das Herz herausgerissen worden.

»Die gesamte Gesellschaft macht inzwischen eigentlich nichts anderes mehr als recherchieren und trainieren«, sagte ich. »Fable und die übrigen Mitglieder eiern bloß herum, stellen Regeln auf und schauen Bücher durch und …« Ich stampfte in eine Pfütze, um meinem Frust ein bisschen Luft zu machen, und Wasser spritzte auf. Abgesehen davon, dass anschließend mein Hosenbein durchnässt war, bewirkte es jedoch wenig. »Er geht die ganze Sache überhaupt nicht kreativ an. Weißt du, was ich meine? Mein Bauchgefühl sagt mir, dass sich diese Magie nicht zurückholen lässt, indem wir einfach das richtige Buch aufschlagen oder Fechten üben.«

»Ihr lernt Schwertfechten?« Ruckartig schenkte Grams mir wieder ihre geballte Aufmerksamkeit, und ein vertrautes Funkeln trat in ihre Augen.

»Na ja, die Schwerter sind total alt und klobig, es ist also nicht so, als ob …«

»Du darfst mit uralten Schwertern kämpfen und langweilst dich dabei?« Grams’ rechter Mundwinkel krümmte sich in die Höhe. Ich knirschte mit den Zähnen, denn genauso erging es mir, wenn ich mit Fable redete. Ich hatte versucht, ihm ebenfalls meine Sicht auf die Dinge zu erklären, doch er hörte nicht zu. Er dachte sich bloß noch mehr Regeln aus und gab mir eine noch längere Liste mit Krempel an die Hand, den ich nachschlagen sollte.

»Ich habe nicht behauptet, dass ich mich langweile, sondern nur gesagt: In Sachen Magie bin ich der Ansicht, wir müssen –«

Grams hielt eine Hand in die Höhe, um mich zum Schweigen zu bringen, doch ihr Gesichtsausdruck war nicht streng. Sie hatte die Miene aufgesetzt, die sie immer hervorkramt, wenn sie einem eine Lebensweisheit zukommen lassen will – allerdings von der Sorte, auf die man eigentlich lieber verzichten würde. »Enna, hast du denn alles vergessen, was du letzten Sommer gelernt hast? Die Ink ist ein Team, auch wenn du für eine kurze Weile ihre Anführerin gewesen bist. Dass du dir eine eigene Meinung zu der Magie bildest, ist gut, und du solltest auch mit Quillon darüber sprechen, aber, Enna … du bist jetzt einfach eines von vielen Mitgliedern der Ink.«

»Wow, Grams, schone mich bloß nicht«, patzte ich und legte eine Extradosis Sarkasmus in meine Stimme. Doch wenn ich ganz ehrlich war, traf mich ihr Ratschlag deshalb so schmerzlich, weil Fable mir exakt das Gleiche gesagt hatte.

»Du wirst es verkraften.« Grams schlug mir auf den Rücken, halb ermutigend, aber doch eine Spur zu fest. Beinahe wäre ich in eine riesige Pfanne mit Paella gestolpert, die einer der Essensverkäufer gerade durchrührte.

»Mir kommt nur immer wieder der Gedanke, dass es falsch von mir war, die gesamte Musenmagie zu befreien, und ich hoffe einfach, dass ein kleiner Rest davon sich noch irgendwo in mir festklammert. Dass ich sie nicht wirklich komplett verloren habe.«

Grams drückte meine Schulter – sanfter diesmal. Doch sie sagte nichts. Sie nickte, und das genügte. Sie wusste, wie ich mich fühlte, das spürte ich deutlich.

Wochen hatte ich damit zugebracht, verstohlen in dunkle Gassen und um Ecken zu linsen auf der Suche nach einem Beweis dafür, dass mein irrwitziges Sommerabenteuer nicht das einzige war, das London zu bieten hatte. Doch jeder Blick in die trübe Themse offenbarte nichts als brackiges Wasser, und wann immer ich in den Schlitz eines roten Briefkastens spähte, sah ich bloß Finsternis und Spinnweben.

Grams taperte zur anderen Seite des Paellastands hinüber; um ihren Hals hingen nun mehrere Schnüre mit getrocknetem Knoblauch, die sie gekauft haben musste, solange ich abgelenkt gewesen war. Durch den Dampf aus der gigantischen Pfanne mit blubberndem gelbem Reis betrachtet wirkte Grams mit ihren Knoblauchketten wie die Erscheinung einer in die Jahre gekommenen Vampirjägerin. Gerade hatte ich den Mund aufgemacht, um sie mit dieser Erkenntnis zu necken, als der Dampf sich schlagartig aufwölbte, dann in sich zusammenfiel und zu etwas völlig anderem wurde. Etwas Dornigem und Merkwürdigem, das ganz eindeutig nicht menschlich war.

Und in diesem Moment bemerkte ich den Jungen. Er war ungefähr in meinem Alter, mit hellbrauner Haut und schwarzem Haar, das der Regen ihm auf die Stirn geklebt hatte. Ich verfolgte, wie er hektisch Richtung Dunst gestikulierte. »Nicht hier«, raunte er ihm durch zusammengebissene Zähne zu. »Ach, komm schon!« Seine Miene erinnerte mich an jemanden, der sich über seinen nervigen kleinen Bruder ärgert, und hatte zugleich auch etwas von einem Schüler, der darauf bedacht ist, sich im Unterricht nicht beim heimlichen Naschen erwischen zu lassen.

»Grams«, zischte ich und schnitt die wildesten Grimassen, um ihren Blick auf die Umrisse im Dampf zu lenken. Schließlich deutete ich einfach ganz unverhohlen darauf und formte das Wort Dampfmonster in ihre Richtung, doch ihre Augen schauten geradewegs durch die Gestalt hindurch, die da zwischen uns in der Luft hing, als schwebten nicht etwa rauchige Fangzähne über unserem potenziellen Mittagessen.

»Was meinst du, Enna? Du möchtest Dampfmuscheln?«, fragte sie, drehte sich dann zu dem Verkäufer und bestellte zwei Portionen Paella mit Meeresfrüchten.

Ich kämpfte den Drang nieder, die Augen zu verdrehen, da ich den Jungen nicht aus dem Blick verlieren wollte. Was auch immer hier gerade geschah: Allem Anschein nach waren er und ich die einzigen Menschen, die etwas davon mitbekamen.

Ich schob mich einige Schritte vorwärts, um bessere Sicht zu haben, denn der Dampf kräuselte sich inzwischen zu Stacheln, und Zähne formten sich im Kiefer einer Kreatur, die ausgesprochen unfreundlich wirkte. Meine Augen wurden schmal, während das Etwas seine endgültige Form annahm.

Was war das? Ein Wolf? Irgendeine fiese Katze? Krallen waren nun eindeutig zu erkennen, und ein nebliges Auge schwebte über dem inzwischen voll ausgebildeten Kiefer. Mein Blick traf auf den des Jungen, und sein Ausdruck wurde panisch; er schlug eine Seite seines Mantels zurück, als wollte er ein Tier darin verbergen und müsste es bloß noch hereinlocken.

Und dann geschah genau das. Wobei ich mit Tier eher formlose Dampfwolke mit großen Zähnen und Klauen meine und verbergen in diesem Fall so viel heißt wie einsaugen in die Mantelfalte mit einem Lichtblitz und … – war das goldenes Garn?

Ich hätte schwören können, dass auf der Innenseite seines normalen, langweiligen Mantels innerhalb von drei Sekunden ein ganzer Gobelin Gestalt annahm. Die Kreatur im Dampf war verschwunden, doch das Muster, das ich in seiner Jacke erhascht hatte, glich ihr bis ins letzte Detail, bloß eben als üppige goldene Stickerei statt als weißer, ungreifbarer Dampf.

Und es bewegte sich. Hier war eindeutig Magie am Werk. Keine grüne, leuchtende Musenmagie, doch ich spürte beinahe, wie die Wirklichkeit sich dehnte und die entstehenden Freiräume von etwas Außergewöhnlichem ausgefüllt wurden. Als der Junge seinen Mantel wieder zuschlug, fuhr das Wesen aus goldenem Garn kurz seine Krallen aus, als wollte es wieder herausspringen. Dann sah der Junge mich geradeheraus an, und ich stand einfach da mit herunterhängender Kinnlade wie ein Kleinkind, das einem Zauberer zuschaut. Zum Glück gewann ich meine Fassung schnell zurück. »Hey!«, rief ich ihm durch den Nebel hindurch zu. Ich drängte mich mit Ellenbogeneinsatz an den umstehenden Leuten vorbei, um zu ihm zu gelangen, und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Ich hegte die Befürchtung, dass die komplette wundersame Szene zusammen mit dem Dampf einfach verpuffen könnte, sowie ich ihn aus dem Blick verlor. Das Letzte, was ich wollte, war, festzustellen, dass ich einem Hirngespinst nachjagte und Magie sah, wo tatsächlich gar keine war.

Der Junge lächelte mir zu – ein träges, überhebliches Lächeln – und lüpfte seinen nicht vorhandenen Hut in meine Richtung, ehe er wieder mit der Menge verschmolz.

»Hey!«, brüllte ich noch einmal, diesmal lauter. Ich rannte ihm nach, ignorierte die Schuldgefühle in meinem Bauch, als ich Grams meinen Namen rufen hörte. Im Stillen schwor ich mir, mich bei meiner Suche zu beeilen, um ihr nicht allzu viele Sorgen zu bereiten. Immer wieder stieß ich mit Menschen zusammen, während ich mich mühte, durch die Lücken zwischen ihren Ellenbogen zu schlüpfen, und musste empörte Kommentare hier und finstere Blicke da einstecken. »Tut mir leid«, nuschelte ich rasch, »ich habe meine Mum verloren.« Mehr brauchte es nicht, um die Leute zum Platzmachen zu bewegen. Ich hasse es zwar, auf diese Weise wahllos wildfremde Menschen anzulügen, weil sie dann immer wirklich nett und hilfsbereit werden … aber ich musste diesen Jungen finden. Irgendwo dort draußen war Magie, und ich hatte nicht vor, zuzulassen, dass sie sich einfach zwischen den Ständen des Borough Markets verflüchtigte, bloß weil sie ganz anders aussah als Musenmagie.

Doch jeder enge Gang mit Imbissbuden, durch den ich mich schlängelte, und jeder Blumenwagen, hinter den ich spähte, enthüllte nur ganz gewöhnliche Menschen, die ihrem ganz gewöhnlichen Alltag nachgingen. Zudem verschwendete ich unsinnig viel Zeit damit, mehrere Dampfwolken zu fixieren für den Fall, dass sie sich noch einmal wie vorhin in Zähne und Klauen verwandelten.

»Enna?« Grams schloss schließlich zu mir auf, und Besorgnis stand ihr groß und breit ins Gesicht geschrieben. »Ist alles in Ordnung? Wieso bist du auf einmal davongerannt?«

»Alles gut«, japste ich. »Aber Grams – da war Magie, direkt vor unserer Nase! Hast du sie nicht gesehen?«

Grams’ Mund wurde zu einem schmalen Strich, doch ich bemerkte, wie ihre Augen über das Marktgeschehen huschten und nach irgendetwas Ungewöhnlichem Ausschau hielten. »Wieder ein einsam umherschwirrender Funke?«, fragte sie nach einem Moment.

Ich schüttelte den Kopf, noch immer außer Puste. Mehrmals musste ich schlucken, ehe ich die richtigen Worte fand. Und selbst dann noch fühlten sie sich ein wenig seltsam an, als sie aus meinem Mund kamen.

»Es … ich denke, es war ein Drache. Zuerst bestand er aus Dampf, und dann ist er in die Innenseite der Jacke eines Jungen getaucht und zu einem Bild aus goldenem Garn geworden. Aber sogar als gestickter Drache hat er sich noch immer bewegt. Ist dir jemals solche Magie begegnet?«

Überraschung blitzte in Grams’ Zügen auf, verflog jedoch schon im nächsten Augenblick wieder. »Begegnet schon, gewiss doch. Aber, Enna: Bist du sicher, dass du genau das gesehen hast?«

»Beinahe zu einhundert Prozent«, sagte ich. Etwas an der Ernsthaftigkeit, mit der sie fragte, ließ dennoch leise Zweifel in mir aufkommen. Konnte es eine optische Täuschung gewesen sein – oder einfach ein Muster, das von Anfang an im Mantel des Jungen geprangt hatte? Ich schüttelte den Gedanken ab, denn nun gewann Begeisterung in mir die Oberhand. Wenn ich im vergangenen Sommer eines gelernt hatte, dann, dass ich in Sachen Magie einen guten Instinkt besaß. Und ich sehnte mich seit Monaten danach, ihn wieder walten zu lassen.

»Tja«, meinte Grams. »Wenn du sagst, du hast einen Drachen gesehen, dann glaube ich dir. Ich frage bloß, weil … na ja, soviel ich weiß, ist Drachenmagie ausgestorben.«

»Es gibt etwas, das sich Drachenmagie nennt? Wieso hast du mir das nie erzählt?«

»Weil Drachenmagie schon so lange nicht mehr existiert, dass sie praktisch ins Reich der Legenden gehört.«

»Was ist damit geschehen?«

»Das kann niemand so genau sagen, und ich war nicht dabei, als sie verschwunden ist«, erklärte sie. Ihre Stirnfalten vertieften sich. »Aber die Vorstellung, dass sie plötzlich zurück sein könnte, ist verwirrend. Interessant, aber verwirrend.«

Ich verspürte eine Mischung aus Erleichterung – darüber, dass Grams mich ernst nahm – und Faszination, weil eine alte Magie offenbar wieder durch die Gegend schwirrte. Womöglich bedeutete das, dass auch für die Musenmagie noch Hoffnung bestand! Obwohl ich tief im Innern wusste, dass ich im vergangenen Sommer die richtige Wahl getroffen hatte damit, die Musenmagie zu befreien, um London zu retten, wünschte ich mir insgeheim doch einige meiner Kräfte zurück. Mit Musenmagie war ich in der Lage gewesen, glühende grüne Kraftfelder zu erzeugen und Gegenstände schweben zu lassen – und sogar, mich und andere von einem Ort zum nächsten zu teleportieren, indem ich eine magische Raumfaltung anwandte. Selbst wenn ich nicht meine ganze Magie zurückbekäme, wäre es schön, zu wissen, dass sie nicht komplett aus der Welt verschwunden war. »Kann ich Fable davon erzählen? Die Ink wird das doch sicherlich näher untersuchen wollen – oder vielleicht hat die Gesellschaft sogar Aufzeichnungen über andere Arten von Magie«, überlegte ich hoffnungsvoll.

»In Ordnung«, sagte Grams. »Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Ich bezweifle, dass die Ink irgendwelche Kenntnisse über Drachenmagie besitzt; unser Fokus liegt seit jeher auf Musenmagie.«

»Na, jedenfalls ist es ein Ausgangspunkt«, erwiderte ich. Ich fasste Grams am Ellenbogen und bugsierte sie praktisch aus dem Markt. Es fühlte sich an, als würde eine Ladung Popcornmais in meinem Bauch aufploppen, denn einer Sache war ich mir sicher: Etwas nahm hier gerade seinen Anfang. Ich hatte wieder Magie in London gesehen. Zwar bisher keine grünen Funken – aber das hieß ja nicht, dass das so bleiben würde.

KAPITEL 2

Grams verabschiedete sich an der Tür zum Hauptquartier der Ink mit einer schnellen Umarmung von mir. »Ich muss den Goldfisch in meiner Handtasche schleunigst in ein richtiges Glas verfrachten«, sagte sie.

»Ich hatte keine Ahnung, dass man auf dem Borough Market lebendige Goldfische kaufen kann«, staunte ich.

»Oh, kann man auch nicht.« Grams strahlte mich an, war jedoch schon in die Gegenrichtung losmarschiert, ehe ich nachhaken konnte. Außerdem gab es Wichtigeres als Goldfische, worum ich mich kümmern musste.

 

Da es der erste Montag der Herbstferien war, hatten sich sämtliche Juniormitglieder zu einem frühen Treffen hier verabredet, um einfach ein wenig Zeit zusammen zu verbringen. Wir besuchten alle unterschiedliche Schulen und hatten bisher auch während der praktischen Übungsstunden der Ink wenig Gelegenheit gehabt, zwanglos zu plaudern und uns näher kennenzulernen. Zwar gerieten wir durch unsere so verschiedenen Persönlichkeiten hin und wieder einmal aneinander; dennoch war es immer eine Erleichterung, die anderen zu sehen – nach Wochen in der Schule unter Freunden, mit denen man nicht über Musenmagie reden konnte.

Für gewöhnlich trainierten wir am Wochenende – mal vormittags, mal nachmittags – und hatten ab und an eine Zusatzstunde am Abend, wann immer irgendetwas besonders vertieft werden sollte. Da wir nun jedoch die ganze Woche frei hatten, wollte Fable so viele Übungseinheiten wie möglich hineinpacken. Der Trainingsplan war sorgsam ausgearbeitet, so dass Eltern, die nicht über den wahren Sinn und Zweck der Emerald Ink Society im Bilde waren, keinen Verdacht schöpften. Viele glaubten tatsächlich, dass wir ein Club von Nachwuchshistorikern seien – und im Grunde war das ja keine richtige Lüge.

Da stand ich nun also auf dem Bürgersteig mitten im wuseligen Camden und umklammerte meine Kette, an der ein kleines metallenes Buch baumelte. Bei dem Buchanhänger handelte es sich in Wirklichkeit um einen Schlüssel – den vormals magischen Schlüssel zum Hauptquartier der Ink. Nun funktionierte seine Magie nicht mehr, er hing aber dennoch schwer an seinem Band, mit den drei metallenen Seiten, die für drei erfolgreich bewältigte Aufgaben im Aufnahmeprocedere der Gesellschaft standen. Betrübt betrachtete ich die verschlissenen Flyer, die in mehreren Schichten an der Tür klebten; Fastfoodwerbung und Reklame für neue Friseursalons schälten sich bereits herunter. Der magische Eingang zum Hauptquartier der Ink war ganz anders als im vergangenen Sommer. Damals hatten unsere Schlüssel bewirkt, dass silberne Metallplatten sich auf unerklärliche Weise verschoben und grüne Funken aus dem Nichts auftauchten – doch seit ich die Magie zerstört hatte, gab es das besondere Schloss, das einst Mittelpunkt der Tür gewesen war, nicht mehr. Ein Teil von mir hielt an der Hoffnung fest, dass es nach wie vor tief im Holz schlummerte und nur auf den passenden grünen Lichtblitz samt zugehörigem Energiestoß wartete, um wieder aufzutauchen, doch mittlerweile waren drei Monate vergangen und – nichts.

Fable hatte die Tür nach Kräften unserem neuen, nicht magischen Leben angepasst und einen Kunsthandwerker engagiert, der sich auf extravagante maßgefertigte Schlösser verstand. So war das Schloss umgestaltet worden, und wir hatten allesamt neue silberne Hauptschlüssel bekommen, die nun neben unseren Büchern an der Kette schlenkerten und in die schicken verchromten Platten passten, die wie Buchseiten rings um das Schlüsselloch angeordnet waren.

Ich drückte die schwere Tür auf, trat über die schummrige Schwelle und ließ das Schloss dann hinter mir wieder einrasten. Stimmen schwebten mir aus dem Aufenthaltsraum am anderen Ende des alten Hauses entgegen, und ich marschierte durch den von schwachem Kerzenlicht erhellten Flur, über das Schachbrettmuster aus tiefgrünem Marmor und leuchtendem Silber, in dem die Bodenfliesen ausgelegt waren. Ein Feuer loderte im eindrucksvollen Kamin des Zimmers, und ich sah die tanzenden Schatten, die die Flammen warfen, noch bevor ich die Tür überhaupt erreicht hatte.

»Zumindest behauptet Enna das«, hallte eine Stimme. Sie gehörte einem der neuen Mitglieder, einem Jungen namens Edward, den ich noch kaum kannte. Ich hielt im Flur inne, vor der Reihe gerahmter Porträts, die sämtliche Angehörige der Emerald Ink Society zeigten. In einer zweiten Reihe darunter hingen in kleineren Silberrahmen Fotos der Juniormitglieder. Fast den ganzen vergangenen Sommer lang war ich so felsenfest davon überzeugt gewesen, Fable sei an all dem magischen Chaos schuld, dass ich viele meiner Altersgenossen in der Ink bisher gar nicht näher kennengelernt hatte. Jessica Jane stach für mich heraus – vor allem, weil sie mir ständig in die Quere kam. Und dann war da noch Jake, der Einzige, der sich um meine Freundschaft bemüht hatte.

Ich betrachtete die Reihe der acht Rahmen mit je einem lächelnden Neumitglied der Ink darin. Normalerweise werden pro Wettbewerbsdurchgang lediglich fünf Kandidaten in die Gesellschaft aufgenommen – und der Wettbewerb findet nur alle zehn Jahre statt. In diesem Sommer hatte Fable eine Ausnahme gemacht und mich zusätzlich zugelassen, weil ich mein Erbe antreten und die nächste Clio werden sollte – die Muse der Geschichtsschreibung, die die Verantwortung für diese ganze Chose trug. Einst war Grams Clio gewesen, doch nachdem sie sich in meinen Großvater verliebt hatte, hatte sie beschlossen, nicht länger unsterblich sein zu wollen – und den Bettel hingeworfen. Das trat eine ganze Wagenladung an magischen Scherereien los, was Grams nicht bewusst gewesen war – aber ich hatte alles wieder in Ordnung gebracht. Die Sache war bloß die: Um die Ordnung wahrhaftig wieder herzustellen, war ich gezwungen gewesen, nicht nur Clios Macht zu brechen, sondern die gesamte Musenmagie zu zerstören – und somit war ich nun eben nicht die unsterbliche Muse, der die Ink unterstand, sondern bloß ein Juniormitglied von vielen. Fable hatte ihre Zahl erweitert, so dass auch die übrigen Kandidaten, die mir mutig zur Seite gestanden hatten, als ich ihre Hilfe am dringendsten gebraucht hatte, Teil der Gesellschaft werden konnten. Am Ende waren neun von uns – Fable selbst eingeschlossen – nötig gewesen, jeder bewaffnet mit einem leuchtenden magischen Füller, um die Talismane sämtlicher Musen auf einmal zu vernichten.

Die neuesten Juniormitglieder der Emerald Ink Society waren eine recht ausgeglichene Mischung aus Jungen und Mädchen. Im ersten Rahmen an der Wand, direkt unterhalb von Fable persönlich, war Geeta Devi zu sehen, ein Mädchen mit schüchternem Lächeln und zwei ordentlichen schwarzen Zöpfen. Neben ihr hing ein Bild von Edward Ellington III – stets so stilvoll und elegant gekleidet, dass es schwerfiel, nicht darüber die Augen zu verdrehen. Jessica Jane legte großen Wert darauf, bei jeder sich bietenden Gelegenheit neben ihm zu sitzen. Edward hatte karamellbraunes Haar, das ihm knapp bis zu den Ohren reichte – gepflegt und modisch geschnitten, versteht sich. An dritter Stelle strahlte mich mein eigenes Gesicht an: Die braunen Haare fielen mir locker auf die Schulter, ein wenig zerzaust, weil das Foto an einem regnerischen Tag aufgenommen worden war. Aber ich wirkte so glücklich, dass ich regelrecht leuchtete, und genau deshalb war es eins meiner Lieblingsbilder.

Als Nächstes kamen Archer und Forrest Sherwood – Zwillinge, die sich jedoch kein bisschen ähnelten, wenn man davon absah, dass sie den gleichen warmen Teint hatten, der an sonnengebleichte Kiefernzapfen erinnerte, und auch identische Haarschnitte. Archer war mindestens fünf Zentimeter größer als Forrest; allerdings besaß Forrest die Fähigkeit, immer irgendwie mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Ob er womöglich darum bloß kleiner erschien? Meine Witzeleien über Robin Hood fanden die beiden überhaupt nicht komisch – aber wenn man mit Nachnamen Sherwood heißt und seine Zwillinge Wald und Bogenschütze nennt, bietet man das anderen als einfachen Gesprächseinstieg doch geradezu an. Ich hatte es immerhin freundlich gemeint. Mein richtiger Name lautet Athena, also bin ich die Falsche, um hier mit Steinen zu werfen.

Drittletzte in der Reihe war Rainbow Simpson; unfassbar, dass sie mir vorher nie aufgefallen war. Rainbow hatte extrem blasse Haut und wirres schwarzes Haar. Jessica Jane Thompsons Rotschopf sprang ins Auge wie ein Leuchtfeuer, doch sie war ärgerlich fotogen und hatte es geschafft, ihre Haare geschickt zu einer Frisur aufzutürmen, die mühelos und glamourös zugleich wirkte. Ich fragte mich, ob Jessica Jane und Edward womöglich jedes Mal, wenn sie nebeneinandersaßen und die Köpfe zusammensteckten, bloß Haarpflegetipps austauschten.

Zuletzt hing ein Foto von Jake Williams, und wie immer musste ich lächeln, als ich ihn sah, in seinem mustergültig gebügelten Hemd und mit dem dünnen Lächeln. Jake ist einen Hauch kleiner als ich, mit sehr dunklem Teint und tadellosem Bürstenschnitt.

Die älteren Mitglieder der Ink kamen und gingen, rauschten von einem Rätsel zur nächsten geheimen Mission, und unsere Wege kreuzten sich nicht allzu oft. So hatten wir bisher erst mit einer Handvoll von ihnen Bekanntschaft gemacht, darunter natürlich Fable und jene Angehörigen, denen er einen Großteil unserer Unterrichtsstunden anvertraute. Alle anderen waren für uns bloß Gesichter an der Wand. Nach einer einjährigen Ausbildung würden wir die Chance erhalten, uns einer Prüfung zu unterziehen und zu vollwertigen Mitgliedern aufzusteigen – auch wenn bekannt war, dass das kaum einem Anwärter beim ersten Versuch gelang. Viele brauchten Jahre, um sich zu qualifizieren. Nun, da die Magie verschwunden war, würden die Prüfungen allerdings wohl anders ablaufen müssen als bislang, nahm ich an.

Unter normalen Umständen hätten die Seniormitglieder diesen Herbst damit zugebracht, uns allen beizubringen, wie wir unsere Musenmagie einsetzen konnten, um Clio zu unterstützen, aber Clio war schließlich nicht mehr die Muse der Geschichtsschreibung. Somit taten wir im Grunde nichts weiter, als uns zu treffen und reichlich zu diskutieren. Wenn wir nicht gerade Schwertfechten übten.

Ich stand noch immer abwartend an der Schwelle, um keinen peinlichen Auftritt hinzulegen, solange die anderen gerade über mich redeten. Im Endeffekt jedoch lief es so darauf hinaus, dass ich schlichtweg lauschte.

»Wenn Enna sagt, sie hat am Ende des Sommers einen Funken gesehen, dann glaube ich ihr«, schwebte Geetas leise Stimme zu mir, gefolgt von einem Prasseln der Glut im Kamin, als wollte das Feuer ihre Worte unterstreichen. Mir wurde warm in der Brust: Geeta hielt mir die Treue, obwohl ich es mir von ihr bisher kaum verdient hatte – derzeit war ich meist damit beschäftigt, mich mit Jessica Jane zu kabbeln oder mit verschiedenen anderen Ink-Mitgliedern über die beste Strategie zu diskutieren, um die verlorene Magie wiederaufzuspüren. Im Stillen schwor ich mir, mich weniger von Jessica Jane aufstacheln zu lassen und Geeta etwas mehr Beachtung zu schenken.

Jessica Janes Stimme schnitt in die Unterhaltung ein wie eine scharfe Schwertklinge. »Tja, ein Funke ist gar nichts, selbst wenn Enna wirklich einen gesehen hat. Was soll ein Funke ausrichten, falls Mel einen Weg findet, zurückzukehren und Rache an uns zu nehmen? Ihr einen winzigen Stromschlag versetzen?«

Bei der Erinnerung an mein Duell mit Melpomene überlief mich ein Schauder. Mel – so nannten wir sie – war die Muse der Tragödie. Sie steckte hinter all dem Trubel der vergangenen Sommermonate, und es war auch ihre Schuld, dass ich beinahe Grams verloren hätte und London zu einem grausamen, tragischen Ort unter Mels Kontrolle geworden wäre. Zum Glück hatte auch sie ihre Fähigkeiten verloren, als ich die Magie befreit hatte – ebenso wie die übrigen Musen, die nun allesamt ganz gewöhnliche Menschen waren. Allerdings steckte Mel noch immer irgendwo dort draußen, und höchstwahrscheinlich war sie stinksauer auf mich.

»Du verstehst nicht, worum es hier geht, Jessica Jane«, sagte Jake. »Dass Enna einen Funken gesehen hat, bedeutet, dass die Magie noch immer irgendwo da draußen existiert. Es könnte mehr davon geben.«

»Oh, und was genau tun wir dann nun? Sollen wir mit kleinen Tintenfässchen durch London bummeln und Funken einfangen?«

»Genug.« Mit nur diesem einem Wort brachte Fable den kompletten Raum zum Verstummen, und seine Stimme klang umso mächtiger, weil seine Lippen sich beim Sprechen kaum bewegten. Mit einem Mal fielen mir all die Gründe wieder ein, aus denen ich überzeugt gewesen war, er sei das finstere Genie, das London im Sommer aufgemischt hatte. Er konnte bisweilen wirklich enorm einschüchternd sein.

Ich tat die letzten beiden Schritte, die mich ins Zimmer trugen. Das Unbehagen der Emerald Ink Society in Bezug auf die Magie war nichts Neues, und ich hatte diese immer gleichen Debatten so satt. Ich federte auf den Fußballen und war so aufgekratzt, dass ich praktisch von innen glühte. Ich brannte darauf, den anderen von dem Drachen aus Dampf zu erzählen und von dem Jungen mit der Jacke, die einen Gobelin verbarg. Das würde hübsch Abwechslung in die schalen Debatten über die verlorene Magie der Ink bringen – und außerdem war ich ziemlich stolz auf mich, dass ich etwas Neues entdeckt hatte. Auf Jessica Janes Miene, sobald sie meine Worte gehört hatte, war ich besonders gespannt.

»Enna, hi!« Jake lächelte mich von dem tiefgrünen Samtsofa aus an, auf dem er saß, und auch die restlichen Mitglieder der Ink begrüßten mich mehr oder weniger freundlich. In Jessica Janes Fall mit einem eisigen Lächeln – doch Geeta und Forrest winkten nett und ungezwungen. Rainbow musterte mich bloß ruhig und spielte dabei an den Anhängern ihres Armbands herum. Fable hatte vor sich auf dem Tisch die Finger aneinandergelegt und nickte mir so ernst und gemessen zu, dass es beinahe einer Verbeugung gleichkam.

»Ich habe Neuigkeiten«, verkündete ich. Mein Lächeln brachte mein ganzes Gesicht zum Strahlen, das spürte ich – wie ein Sonnenaufgang über Berggipfeln. »Magische Neuigkeiten.«

Man hörte, wie alle kurz die Luft einzogen, doch niemand rührte sich. »Geht es um die Musenmagie?« Hoffnung blubberte in Jakes Stimme hoch. Er strich sich über das bereits völlig faltenfreie Hemd. Während der Rest unserer Gruppe lässig mit Jeans und Pullover bekleidet war, zog Jake sich stets an wie ein Mathelehrer auf dem Weg zum Bewerbungsgespräch, doch sobald man ihn näher kennenlernte, ergab das Sinn für ihn. »Hast du mehr davon gefunden?«

»Oder, noch besser: eine Möglichkeit, sie zu nutzen?«, grätschte Jessica Jane ein und legte dabei den Kopf auf die Seite, als wäre ich ein Tier im Zoo, das mit einem Mal unerwartet interessant geworden ist.

Ich verlagerte ein wenig mein Gewicht; meine Secondhandgummistiefel fühlten sich mit einem Mal an wie Zementblöcke, die mich am Boden fixierten. An all das hatte ich im Grunde überhaupt keinen Gedanken verschwendet; ich war einfach hierhergestürmt, sowie mir etwas Merkwürdiges begegnet war. Aber wäre nicht jedes Zeichen von Magie – selbst ein noch so winziges – aufregend? Verlegenheit machte sich in meinem Magen breit, jenes klebrige, heiße Gefühl, das mir verriet: Ich war drauf und dran, wie eine Idiotin dazustehen. Ich schluckte und preschte dennoch voran.

»Nein, das nicht.« Die Stimmung im Raum sank so schlagartig, dass ich hätte schwören können, es wurde sogar um einige Grad kühler. Hastig redete ich weiter, verzweifelt bemüht darum, meine eigene Hoffnung nicht von der allgemeinen Enttäuschung ersticken zu lassen. »Sondern eine andere Art von Magie. Drachenmagie.«

Niemand reagierte; ich starrte lediglich in eine Reihe ausdrucksloser Mienen. Fable saß ein Stück abseits, und über sein Gesicht huschte etwas, das mich nervös machte. Er wirkte beinahe … verärgert.

»Wie meinst du das, Drachenmagie?«, hakte Jessica Jane nach.

Ich erzählte ihnen von dem Jungen mit seinem Rauch und dem Garndrachen. Als daraufhin nur noch mehr Schweigen folgte, schwoll das schreckliche Rumoren in meinem Magen an, und ich spürte, wie Wärme mir über die Schultern und bis in die Wangen kroch. Ich biss die Zähne zusammen und rief mir ins Gedächtnis, dass genau das mich ausmacht: Ich glaube an Dinge, an merkwürdige, unerklärliche Dinge, selbst wenn ich die Einzige bin. »Begreift ihr nicht? Da geht etwas Großartiges und Sonderbares vor sich, und dem sollten wir nachspüren!«

»Nachspüren … wie genau?«, erkundigte sich Edward verhalten. Wenn er einen musterte, fühlte es sich an, als läge man unter dem Mikroskop, was nicht nur nervig war, sondern mich auch jedes Mal aus dem Konzept brachte. Von ihrem Platz neben ihm aus nickte Jessica Jane sachte zu seinen Worten, als wäre sie sein Echo.

»Ich meine … ich …« Ich fischte in meinem Kopf nach den richtigen Worten, doch alles, was ich fand, war Scham, wo zuvor meine Begeisterung gesessen hatte. »Keine Ahnung, wir könnten damit anfangen, über Drachen zu recherchieren? Grams hat gesagt, eigentlich sollte Drachenmagie verschwunden sein, also wäre es interessant, herauszukriegen, weshalb sie wieder da ist, oder?«

Fable legte die Hände auf die Armlehnen seines Stuhls, und im Schein des Feuers wirkten seine langen Finger blasser und bedrohlicher als gewöhnlich. »Niemand recherchiert hier irgendetwas zum Thema Drachen«, sagte er. Seine Stimme war leise, und die dunklen Augen glichen Murmeln, die das grüne Licht im Zimmer zurückwarfen.

»Was? Wieso?« Ich blinzelte verwirrt. Längst erwartete ich nicht mehr, dass die Ink ebenso viel Enthusiasmus aufbrachte wie ich selbst, doch ich hatte gehofft, zumindest ihre Neugier zu wecken. Besonders nach zwei Monaten der Langeweile und Streitigkeiten im Hauptquartier, in denen der Mangel an Magie an unser aller Motivation genagt hatte.

»Nicht unsere Magie, nicht unser Problem«, entgegnete er gleichmütig. Seine Miene war unergründlich, doch ich spürte, wie mir die Kinnlade nach unten sackte, so dass ich wohl theatralisch genug für uns beide dreinschaute.

Allerdings fing ich mich rasch wieder und durchbohrte dann Fable mit einem Blick aus zusammengekniffenen Augen, mit einem Mal misstrauisch. »Was soll das heißen, nicht unsere Magie? Welche anderen Arten von Magie gibt es denn sonst noch?«

Fable spreizte bloß die Finger, eine Geste, die wie die dezent elegantere Version eines Schulterzuckens wirkte.

»Sir«, sagte ich ruhig, »wollen Sie mir sagen, dass sich in London mehr als nur Drachenmagie verbirgt – und dass Ihnen das stets bewusst gewesen ist? Ohne dass Sie uns eingeweiht haben?«

Hinter mir hörte ich, wie kollektiv verblüfft die Luft eingezogen wurde, während den Juniormitgliedern der Ink aufging, was das bedeutete. Meine Verlegenheit darüber, dass ich vorschnelle Schlüsse gezogen hatte, verpuffte komplett.

»Ich war der Ansicht, dass das für euch nicht wissenswert ist«, erwiderte Fable. In seiner Stimme lag eine Kälte, die ich nicht mehr wahrgenommen hatte, seit ich ihn zuletzt enttäuscht hatte – damals, als ich im vergangenen Sommer versucht hatte, mich durch den Wettbewerb zu schummeln. Instinktiv schrumpfte ich ein wenig in mich zusammen.

»Wieso?« Ich musste die Frage beinahe hervorwürgen.

»Die Geschichte der Drachen ist … vertrackt und gefährlich. Nicht jeder, dem Magie in den Schoß fällt, stellt etwas Gutes damit an, und deshalb ist es so wichtig, dass wir uns heraushalten aus magischen Angelegenheiten, die uns nicht betreffen. Unsere Aufgabe besteht darin, Clio zu unterstützen und die Vergangenheit zu bewahren. Und das scheint dir in letzter Zeit ziemlich oft zu entfallen, Enna. Genau genommen …« Fable erhob sich, und ich wich unwillkürlich einen Schritt zurück. »Genau genommen habe ich den Eindruck, dass du Ausschau nach neuen Rätseln hältst, um dem Mysterium unmittelbar vor unser aller Nase auszuweichen.«

Jessica Jane grinste, und dank des flackernden Lichts aus dem Kamin, das unregelmäßig auf ihr rotes Haar traf, wirkte sie dabei wie ein Halloweenkürbis. »Haargenau«, mischte sie sich ein. »Nämlich zum Beispiel, wo Mel ist und was sie vorhat.«

»Das habe ich euch gesagt«, platzte ich heraus. »Sie ist fort. Grams hat mit sämtlichen einstigen Musen gesprochen, und keine hat Mel gesehen oder irgendetwas von ihr gehört. Und deshalb bin ich der Meinung, dass wir die ganze Sache einfach abhaken und vergessen sollten.«

»Nein, darum müssen wir umso wachsamer sein.« Fables Tonfall war nach wie vor gefasst, jedoch mit einer feinen, unterschwelligen Schärfe, als würde er ein Schwert gerade so weit ziehen, dass die Klinge aufblitzte, allerdings noch niemand Gefahr lief, verletzt zu werden.

»Wachsam.« Das Wort plumpste mir aus dem Mund wie ein Stein, den man in einen Teich platschen lässt. »Was bedeutet: Wir sitzen weiter herum und reden über all die Dinge, zu denen wir nicht mehr in der Lage sind? Während wir die Zeit doch nutzen könnten, dieser anderen Magie, die da draußen existiert, ein bisschen auf den Zahn zu fühlen?«

Ich sah reihum die anderen an, und sie rutschten unbehaglich ein wenig auf ihren Stühlen umher. Jake wirkte tief in Gedanken, doch Edward wich meinem Blick aus, und Jessica Jane kaute auf ihrer Unterlippe, als stecke sie in einem Gewissenskonflikt. Schließlich sagte sie: »Drachen aus Rauch nachzujagen wird der Ink nicht helfen, Enna.«

Fable räusperte sich und lächelte Jessica Jane zu, und ich beobachtete, wie sie vor Stolz anschwoll.

»Jessica Jane hat recht«, ergänzte Geeta, und die Worte stolperten ihr so schnell aus dem Mund, dass offenkundig war, wie sehr sie es darauf anlegte, Fable ebenfalls zu beeindrucken. »Ich meine, verlockend ist es schon, irgendwelchen Ablenkungen nachzugehen, vor allem weil ohne die Magie alles kniffliger geworden ist, aber Mr. Fable weiß besser über diese Sache Bescheid als wir. Wir sollten auf seine Führung vertrauen.«

Fable würdigte mich nicht einmal eines Blickes, obwohl ich ihn unverhohlen anstarrte. Beinahe so, als wäre ich zu nichtig, um auch nur eine Enttäuschung zu sein, und das tat weh. Ich schluckte die Übelkeit, die in meinem Hals aufstieg, hinunter, weil ich fest glaubte, dass es den anderen ganz ähnlich ging wie mir – es stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie wollten mehr erfahren über diese anderen Magieformen, die Fable angedeutet hatte. Aber niemand war bereit, ihn zu bedrängen, um Antworten zu bekommen.

Ich tat einen Schritt rückwärts, dann noch einen. Bald lag eine meiner Hände am Türrahmen, und ich spürte den langen, düsteren Flur in meinem Rücken. »Ich versuche nicht, mich seiner Führung zu widersetzen«, sagte ich, und meine Stimme fühlte sich gepresst an, als würde sie durch einen engen Spalt gequetscht, nur um dahinter vollkommen zu verschwinden. »Die Magie ist fort, und das ist allein meine Schuld. Und ich weiß, ihr alle habt immer und immer wieder gesagt, dass ihr das versteht und dass es in Ordnung ist … aber wirklich in Ordnung ist es nicht für euch, stimmt’s?«

Alle blinzelten verblüfft, doch niemand antwortete, was ich als stumme Zustimmung deutete. Jessica Jane konnte als Erste nicht mehr an sich halten. »Tja, darin, sie zurückzuholen, glänzt du bisher ja nicht besonders, oder?«

»Das Thema hatten wir schon!« Die Hitze in meiner Stimme machte dem knisternden Feuer Konkurrenz, denn ich war es so was von leid. »Wir reden hier nicht von einer Küchenspüle, an der man einfach das Wasser abdreht – und wenn man merkt, man braucht doch wieder welches, stellt man es wieder an! Ich habe mit meiner Entscheidung, diese Magie zu befreien, auch eine ganze Gruppe unsterblicher Wesen in die Freiheit entlassen. Ich habe alle magischen Regeln gebrochen!«

»Das denke ich nicht«, meldete sich eine leise Stimme. »Du hast die Regeln nicht gebrochen, sondern sie verändert. Jetzt müssen wir bloß herausfinden, wie wir damit umgehen.« Ich drehte den Kopf und wäre beinahe aus den Schuhen gekippt, als mir klarwurde, dass es Forrest war, der gerade gesprochen hatte.

Für gewöhnlich war es sein Bruder Archer, der Staub aufwirbelte. Bei unserem ersten offiziellen Treffen hatte er Fable gegen sich aufgebracht, weil er sich unerlaubt ein uraltes Schwert geschnappt hatte, das über dem Kamin hing. Zu seiner Verteidigung: Es passierte, während wir alle gerade in den Schwertkampf eingewiesen wurden, aber ich fürchte, Archer war ein wenig übereifrig für Fables Geschmack. Forrest dagegen blieb so gut wie immer still und beobachtete einfach. Wenn er doch einmal redete, war es, als würde er jedes einzelne Wort abwägen und nur diejenigen in die Welt hinauslassen, von denen er sich absolut sicher war, dass sie am bedeutsamsten waren.

»Aber was, wenn all die unterschiedlichen Arten von Magie miteinander verwandt sind?«, warf ich ein.

»Sollte das der Fall sein, was ich leider ernstlich bezweifle …« Fable wandte sich endlich zu mir um und durchbohrte mich mit spitzem Blick. »… dann landen wir früher oder später ohnehin bei der Drachenthematik. Unsere Priorität ist allerdings die Ink. Und Enna, du bist die Einzige von uns, die je einen Funken der befreiten Magie erhascht hat. Es ist deine Pflicht, deine ganze Aufmerksamkeit darauf zu konzentrieren.«

Ich schnaubte kraftvoll durch die Nase aus, und es fühlte