Die Gesetze der menschlichen Natur - The Laws of Human Nature - Robert Greene - E-Book
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Die Gesetze der menschlichen Natur - The Laws of Human Nature E-Book

Robert Greene

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Beschreibung

Robert Greene versteht es auf meisterhafte Weise, Weisheit und Philosophie der alten Denker für Millionen von Lesern auf der Suche nach Wissen, Macht und Selbstvervollkommnung zugänglich zu machen. In seinem neuen Buch ist er dem wichtigsten Thema überhaupt auf der Spur: Der Entschlüsselung menschlicher Antriebe und Motivationen, auch derer, die uns selbst nicht bewusst sind. Der Mensch ist ein Gesellschaftstier. Sein Leben hängt von der Beziehung zu Seinesgleichen ab. Zu wissen, warum wir tun, was wir tun, gibt uns ein weit wirksameres Werkzeug an die Hand als all unsere Talente es könnten. Ausgehend von den Ideen und Beispielen von Perikles, Queen Elizabeth I, Martin Luther King Jr und vielen anderen zeigt Greene, wie wir einerseits von unseren eigenen Emotionen unabhängig werden und Selbstbeherrschung lernen und andererseits Empathie anderen gegenüber entwickeln können, um hinter ihre Masken zu blicken. Die Gesetze der menschlichen Natur bietet dem Leser nicht zuletzt einzigartige Strategien, um im professionellen und privaten Bereich eigene Ziele zu erreichen und zu verteidigen.

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Seitenzahl: 1356

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio­grafie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de/ abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

10. Auflage 2024

© 2019 by FinanzBuch Verlag

ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Copyright der Originalausgabe © 2018 by Robert Greene. All rights reserved.

Die englische Originalausgabe erschien 2018 bei VIKING, an imprint of Penguin Random House LLC unter dem Titel The Laws of Human Nature.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Dr. Kimiko Leibnitz

Redaktion: Desirée Šimeg

Korrektorat: Anja Hilgarth

Umschlaggestaltung: Maria Wittek, in Anlehnung an die Originalausgabe

Satz und E-Book: Daniel Förster

ISBN Print 978-3-95972-230-8

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-432-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-433-3

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Meiner Mutter

Inhalt

Einleitung

1 Beherrschen Sie Ihr emotionales Selbst Das Gesetz der Irrationalität

Die innere Athene

Schlüssel zur menschlichen Natur

2 Verwandeln Sie Selbstliebe in Empathie Das Gesetz des Narzissmus

Das narzisstische Spektrum

Vier Typen von Narzissten

3 Durchschauen Sie die Masken der Menschen Das Gesetz des Rollenspiels

Die zweite Sprache

Schlüssel zur menschlichen Natur

Beobachtungsgabe

Dekodierungsschlüssel

Die Kunst des Impression-Managements

4 Bestimmen Sie die Charakterstärke der Menschen Das Gesetz des Zwangsverhaltens

Das Muster

Schlüssel zur menschlichen Natur

Charaktersignale

Toxische Typen

Der überlegene Charakter

5 Werden Sie ein schwer fassbares Objekt der Begierde Das Gesetz der Begehrlichkeit

Das Objekt der Begierde

Schlüssel zur menschlichen Natur

Strategien für die Stimulation von Begierde

Das höchste Verlangen

6 Nehmen Sie die Vogelperspektive einDas Gesetz der Kurzsichtigkeit

Augenblicke des Wahnsinns

Schlüssel zur menschlichen Natur

Vier Zeichen der Kurzsichtigkeit und Strategien, wie man sie überwindet

Der Mensch mit Weitblick

7 Weichen Sie den Widerstand der Menschen auf, indem Sie ihre Selbstmeinung bestätigenDas Gesetz der Abwehrhaltung

Das Spiel mit der Einflussnahme

Schlüssel zur menschlichen Natur

Fünf Strategien, um ein Meister der Überzeugung zu werden

Der flexible Geist – Selbststrategien

8 Verändern Sie Ihre Umstände, indem Sie Ihre Einstellung verändern Das Gesetz der Selbstsabotage

Die ultimative Freiheit

Schlüssel zur menschlichen Natur

Die einengende (negative) Einstellung

Die expansive (positive) Einstellung

9 Konfrontieren Sie Ihre dunkle Seite Das Gesetz der Repression

Die dunkle Seite

Schlüssel zur menschlichen Natur

Die Entschlüsselung des Schattens: widersprüchliches Verhalten

Der integrierte Mensch

10 Hüten Sie sich vor dem zerbrechlichen Ego Das Gesetz des Neids

Fatale Freunde

Schlüssel zur menschlichen Natur

Anzeichen für Neid

Typen von Neidern

Auslöser für Neid

Jenseits des Neids

11 Loten Sie Ihre Grenzen aus Das Gesetz der Grandiosität

Die Erfolgstäuschung

Schlüssel zur menschlichen Natur

Der grandiose Anführer

Pragmatische Grandiosität

12 Stellen Sie die Verbindung zur Männlichkeit oder Weiblichkeit in Ihnen wieder her Das Gesetz der Geschlechterrollenrigidität

Das authentische Rollenbild

Schlüssel zur menschlichen Natur

Typen von Geschlechterprojektionen

Der ursprüngliche Mann/die ursprüngliche Frau

13 Schreiten Sie zielorientiert voran Das Gesetz der Ziellosigkeit

Die Stimme

Schlüssel zur menschlichen Natur

Strategien für die Entwicklung eines höheren Lebenszwecks

Die Versuchung der falschen Ziele

14 Widersetzen Sie sich dem Abwärtssog der GruppeDas Gesetz der Konformität

Ein Experiment in menschlicher Natur

Schlüssel zur menschlichen Natur

Der Hof und seine Höflinge

Die Realitätsgruppe

15 Bringen Sie andere dazu, Ihnen folgen zu wollen Das Gesetz der Unbeständigkeit

Der Fluch des Anspruchsdenkens

Schlüssel zur menschlichen Natur

Strategien für die Erzeugung von Autorität

Die innere Autorität

16 Erkennen Sie die Feindseligkeit hinter der freundlichen Fassade Das Gesetz der Aggression

Der kultivierte Aggressor

Schlüssel zur menschlichen Natur

Die Quelle menschlicher Aggression

Passive Aggression – ihre Strategien und wie man ihnen begegnet

Kontrollierte Aggression

17 Reiten Sie auf der Welle des Zeitgeists Das Gesetz der generationsbedingten Kurzsichtigkeit

Die steigende Flut

Schlüssel zur menschlichen Natur

Das generationelle Phänomen

Generationenmuster

Strategien für die Ausschöpfung des Zeitgeists

Der Mensch jenseits von Zeit und Tod

18 Denken Sie über Sterblichkeit nach Das Gesetz der Todesverleugnung

Wie eine Kugel im Bauch

Schlüssel zur menschlichen Natur

Eine Philosophie des Lebens durch den Tod

Danksagung

Ausgewählte Bibliografie

Einleitung

Dabei aber darf kein Zug von besonderer Niederträchtigkeit oder Dummheit, der uns im Leben oder in der Literatur aufstößt, uns je ein Stoff zum Verdruß und Ärger, sondern bloß zur Erkenntnis werden, indem wir in ihm einen neuen Beitrag zur Charakteristik des Menschengeschlechts sehn und demnach ihn uns merken. Alsdann werden wir ihn ungefähr so betrachten, wie der Mineralog ein ihm aufgestoßenes, sehr charakteristisches Spezimen eines Minerals.

Arthur Schopenhauer

Im Laufe unseres Lebens werden wir es früher oder später mit einer Vielzahl von Personen zu tun bekommen, die Unruhe stiften und unser Leben unangenehm und beschwerlich machen. Manche dieser Zeitgenossen sind unsere Vorgesetzten oder andere Führungskräfte, manche sind Kollegen oder Freunde. Sie können aggressiv oder passiv-aggressiv sein, aber sie alle zeichnen sich dadurch aus, dass sie Meister darin sind, auf der Klaviatur unserer Emotionen zu spielen. Oftmals wirken sie charmant und erfrischend selbstbewusst, sie sprühen vor Ideen und Begeisterung, weshalb wir uns in ihren Bann ziehen lassen. Erst wenn es bereits zu spät ist, erkennen wir, dass ihr Selbstbewusstsein keineswegs gerechtfertigt und ihre Ideen nicht durchdacht sind. Wenn es sich um Kollegen handelt, könnten es diejenigen sein, die unsere Arbeit oder Karriere sabotieren, weil sie uns insgeheim beneiden und gerne zu Fall bringen wollen. Es könnten aber auch Mitarbeiter oder Angestellte sein, die sich zu unserem größten Missfallen als Egoisten erweisen und uns nur als Trittbrett benutzen, um ihre eigene Karriere voranzubringen.

Solche Situationen treffen uns in der Regel aus heiterem Himmel, weil wir überhaupt nicht mit diesem Verhalten rechnen. Oft tischen uns diese Zeitgenossen aufwendige Geschichten auf, mit denen sie ihr Tun rechtfertigen, oder sie schieben einer anderen Person die Schuld in die Schuhe. Sie wissen, wie sie uns aus dem Konzept bringen und uns in ein Drama verwickeln, das sie im Hintergrund kontrollieren. Vielleicht protestieren wir oder werden wütend, aber letztlich fühlen wir uns ziemlich hilflos und der Schaden ist angerichtet. Früher oder später tritt eine andere Person vom gleichen Schlag in unser Leben – und die Geschichte wiederholt sich.

Wenn es um uns und unser eigenes Verhalten geht, stellen wir oft eine ähnliche Verwirrung und Hilflosigkeit fest. Wir sagen zum Beispiel etwas, das unsere Vorgesetzten, Kollegen oder Freunde vor den Kopf stößt. Wir wissen nicht genau, was uns zu dieser Äußerung bewogen hat, aber wir stellen frustriert fest, dass ein Teil der inneren Anspannung und Wut sich ihren Weg auf eine Art und Weise nach außen gebahnt hat, die wir bereuen. Oder wir stürzen uns mit Feuereifer in ein Projekt oder auf einen Plan, nur um nach einer Weile festzustellen, dass das keine gute Idee, sondern eine furchtbare Zeitverschwendung war. Oder wir verlieben uns in eine Person, die nicht gut für uns ist, und wir wissen es auch, scheinen unseren Gefühlen aber hilflos ausgeliefert zu sein. Und dann fragen wir uns, was nur über uns gekommen ist.

In diesen Situationen ertappen wir uns dabei, wie wir in selbstzerstörerische Verhaltensmuster fallen, die wir anscheinend nicht kontrollieren können. Es ist beinahe so, als würde ein Fremder in uns stecken, ein kleiner Dämon, den wir nicht willentlich steuern können und der uns dazu verleitet, die falschen Dinge zu tun. Und dieser Fremde in uns ist ziemlich sonderbar, oder zumindest sonderbarer als das Bild, das wir von uns selbst haben.

Was wir über diese beiden Dinge sagen können – die hässlichen Taten unserer Mitmenschen und unser eigenes, gelegentlich überraschendes Verhalten – ist, dass wir in der Regel keine Vorstellung davon haben, wodurch es verursacht wird. Dann klammern wir uns häufig an einfache Erklärungen: »Der Kerl ist krank, ein echter Soziopath« oder »Ich weiß nicht, was mit mir los war, aber irgendetwas überkam mich«. Doch solche banalen Beschreibungen sind weder erhellend noch verhindern sie, dass sich die Muster wiederholen. Die Wahrheit ist, dass wir Menschen an der Oberfläche leben und emotional auf das reagieren, was andere Leute sagen und tun. Wir bilden uns eine Meinung über andere und uns selbst, die ziemlich vereinfacht ist. Wir geben uns mit der simpelsten und plausibelsten Geschichte zufrieden, die wir uns selbst einreden.

Was wäre aber, wenn wir unter die Oberfläche tauchen und tief hinabschauen würden, um die eigentlichen Wurzeln zu ergründen, die das menschliche Verhalten steuern? Was wäre, wenn wir verstehen könnten, warum manche Leute uns beneiden und unsere Arbeit zu sabotieren versuchen, oder warum ihr unangebrachtes Selbstbewusstsein sie dazu veranlasst, sich selbst für gottgleiche, unfehlbare Wesen zu halten? Was wäre, wenn wir begreifen könnten, warum sich manche Menschen plötzlich irrational verhalten und eine wesentlich dunklere Seite ihres Charakters offenbaren, warum sie nie um eine logische Begründung für ihr unlogisches Verhalten verlegen sind oder warum wir uns geradezu magisch zu Anführern hingezogen fühlen, die die schlechtesten Seiten in uns ansprechen? Was wäre, wenn wir tiefer blicken und den Charakter unserer Mitmenschen beurteilen könnten, um beruflich wie privat den Umgang mit Personen zu vermeiden, die uns großen emotionalen Schaden zufügen können?

Wenn wir die Wurzeln menschlichen Verhaltens wirklich verstünden, kämen destruktivere Individuen wesentlich schwerer mit ihrem Tun davon. Wir ließen uns nicht so leicht um den Finger wickeln und in die Irre führen. Wir wären außerdem in der Lage, ihre intriganten und manipulativen Manöver im Vorfeld zu erkennen und ihre vordergründigen Geschichten zu durchschauen. Wir würden uns nicht in ihre Dramen verwickeln lassen und im Voraus wissen, dass sie von unserer Aufmerksamkeit zehren und auf sie angewiesen sind, um Kontrolle über uns auszuüben. Wenn wir in die Abgründe ihres Charakters blicken könnten, hätten sie keine Macht mehr über uns.

In ähnlicher Weise stellt sich die Frage: Was wäre, wenn wir in uns selbst hineinsehen und den Ursprung unserer problematischeren Emotionen erkennen könnten, und wüssten, warum sie unser Verhalten, oft gegen unseren Willen, steuern? Was wäre, wenn wir verstünden, warum wir den Drang haben, das zu begehren, was andere besitzen, oder uns so stark mit einer Gruppe zu identifizieren, dass wir alle anderen verachten, die nicht zu diesem Kreis zählen? Was wäre, wenn wir herausfinden könnten, was uns gelegentlich dazu veranlasst, uns im Gespräch durch Lügen aufzuwerten oder unsere Mitmenschen durch eine unbedachte Äußerung vor den Kopf zu stoßen?

Wenn wir in der Lage wären, den Fremden in uns besser zu verstehen, würden wir vielleicht erkennen, dass dieser vermeintliche Fremde ein Teil von uns ist und dass wir viel undurchschaubarer, vielschichtiger und interessanter sind, als wir glauben. Und mit diesem Verständnis könnten wir negative Muster in unserem Leben durchbrechen und aufhören, Ausreden für unser Verhalten vorzubringen, um mehr Kontrolle über das zu erlangen, was wir tun und was uns widerfährt.

So viel Klarheit über uns und andere könnte unser Leben und dessen Verlauf nachhaltig prägen, aber zuerst müssen wir mit einem gängigen Denkfehler aufräumen: Wir neigen dazu zu glauben, dass unser Verhalten überwiegend bewusst und willentlich ist. Die Vorstellung, dass wir nicht immer alles unter Kontrolle haben, ist zwar beängstigend, entspricht aber der Realität. Wir unterliegen Kräften, die tief in uns brodeln, unser Verhalten steuern und im Unterbewusstsein wirken. Wir sehen die Resultate – unsere Gedanken, Stimmungen und Handlungen –, haben aber wenig bewussten Zugriff auf das, was unsere Emotionen wirklich steuert und uns dazu veranlasst, uns auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten.

Betrachten wir zum Beispiel unsere Wut. Normalerweise identifizieren wir eine Person oder eine Gruppe als Auslöser für diese Emotion. Wenn wir aber ehrlich sind und ein wenig genauer hinsehen, erkennen wir, dass das, was unsere Wut oder Frustration auslöst, wesentlich tiefere Wurzeln hat. Es könnte ein Kindheitserlebnis oder eine Kombination verschiedener Umstände sein. Wenn wir genau hinsehen, können wir bestimmte Muster erkennen: Wenn dieses oder jenes passiert, reagieren wir mit Wut. Aber in dem Augenblick, in dem wir wütend sind, können wir nicht reflektieren oder logisch denken. Wir lassen uns von der Emotion völlig einnehmen und zeigen mit dem Finger auf den vermeintlichen Täter. Gleiches gilt für alle anderen Emotionen, die wir wahrnehmen. Bestimmte Ereignisse bewirken, dass wir plötzlich selbstbewusst, unsicher oder unruhig werden, uns zu einer Person hingezogen fühlen oder den Drang entwickeln, beachtet werden zu wollen.

Nennen wir die Summe dieser Kräfte, die tief im Innersten an uns ziehen und nagen, die menschliche Natur. Die menschliche Natur ist auf die individuelle Vernetzung unseres Gehirns zurückzuführen, auf die Konfiguration unseres Nervensystems und die Art und Weise, wie wir Emotionen verarbeiten – alles Dinge, die sich in den letzten rund fünf Millionen Jahren Evolution unserer Spezies entwickelt und ausgeprägt haben. Wir können viele Aspekte unserer Natur der konkreten Art zuschreiben, wie wir uns als soziale Wesen entwickelt haben, um zu überleben: die Kooperation mit anderen, die auf hohem Niveau erfolgende Koordination unserer Handlungen mit der Gruppe, die Erschaffung neuer Kommunikationsformen und Strategien zur Aufrechterhaltung der Gruppendisziplin. Diese frühe Entwicklung lebt in uns weiter und bestimmt nach wie vor unser Verhalten, selbst in unserer modernen, hochtechnisierten Welt.

Als weiteres Beispiel sollten wir einen Blick auf die Evolution menschlicher Emotionen werfen. Das Überleben unserer frühesten Vorfahren hing schon lange vor der Erfindung der Sprache von ihrer Kommunikationsfähigkeit ab. Sie entwickelten neue und komplexe Emotionen wie Freude, Scham, Dankbarkeit, Eifersucht, Verbitterung und so weiter. Die Zeichen für diese Emotionen ließen sich sofort an ihren Gesichtern ablesen, wodurch sie ihre Stimmungen schnell und effektiv mitteilen konnten. Unsere Vorfahren wurden für die Emotionen anderer extrem empfänglich, um die Gruppe enger zusammenzuschweißen, um als Einheit Freude oder Trauer zu empfinden oder um eine Gefahr gemeinsam zu bewältigen.

Bis heute reagieren wir sehr empfänglich auf die Stimmungen und Gefühle unserer Mitmenschen, was uns zu allen möglichen Verhaltensweisen zwingt, wie etwa unbewusst andere nachzuahmen, sie um ihr Hab und Gut zu beneiden, oder wir lassen uns von kollektiven Gefühlen der Wut oder Empörung ergreifen. Wir glauben, dass unser freier Willen uns leitet, sind uns aber nicht bewusst, wie stark uns unsere Empfänglichkeit für die Emotionen anderer Gruppenmitglieder in unserem Tun und Reagieren beeinflusst.

Es gibt noch viele andere Kräfte, die aus dieser archaischen Zeit stammen und unser tägliches Verhalten auf ähnliche Weise prägen. Unser Drang, uns ständig mit anderen zu messen und unseren Status in der Gruppe als Maßstab für unseren Selbstwert zu verwenden, ist zum Beispiel in allen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften und selbst bei Schimpansen erkennbar, ebenso wie unsere alten Stammesinstinkte, die uns dazu veranlassen, andere Menschen danach zu unterscheiden, ob sie unserer Gruppe angehören oder nicht. Wir können zu diesen primitiven Qualitäten auch unser Bedürfnis zählen, eine Maske aufzusetzen, um jedes Verhalten zu verschleiern, das von unserem Stamm nicht gebilligt wird und zur Bildung einer Schattenpersönlichkeit führt, die sich aus allen dunklen Trieben zusammensetzt, die wir unterdrücken müssen, um den sozialen Frieden zu wahren. Unsere Vorfahren verstanden diesen Schatten und seine Brisanz und führten ihn auf Geister und Dämonen zurück, die ausgetrieben werden mussten. Wir verlassen uns auf einen anderen Mythos: »Ich war nicht ich selbst, irgendetwas ist über mich gekommen.« Sobald diese elementare Energie oder Urkraft in unser Bewusstsein dringt, müssen wir darauf reagieren, und das tun wir abhängig von unserer individuellen Neigung und den äußeren Umständen; in der Regel tun wir sie oberflächlich ab, ohne sie wirklich zu verstehen. Es gibt evolutionsbedingt eine begrenzte Anzahl dieser Kräfte der menschlichen Natur und sie führen zu den bereits genannten Verhaltensweisen: Neid, Selbstüberschätzung, Irrationalität, kurzsichtiges Denken, Konformität, Aggression und passive Aggression, um nur einige zu nennen. Sie führen aber auch zu Empathie und anderen positiven Formen menschlichen Verhaltens.

Wenn es darum geht, uns selbst und unser Verhalten zu verstehen, tappen wir seit Jahrtausenden im Dunkeln. Wir haben die fantastischsten Theorien über das menschliche Tier aufgestellt und uns unter anderem vorgestellt, wir seien magisch einer göttlichen Quelle entsprungen, als wären wir Abkömmlinge von Engeln und nicht von Primaten. Wir empfanden jedes Anzeichen für unsere primitive Natur und unsere animalischen Wurzeln als sehr belastend, als etwas, das man am besten leugnet und unterdrückt. Wir haben unsere dunkleren Impulse mit allen möglichen Ausreden und logischen Erklärungen zu kaschieren versucht, wodurch es einigen Leuten leichter gefallen ist, mit den schlimmsten Verhaltensweisen davonzukommen. Doch nicht zuletzt sind wir durch das viele Wissen, das wir über die menschliche Natur erworben haben, an einem Punkt angelangt, an dem wir unseren Widerstand gegen die Wahrheit über uns selbst überwinden können.

Wir können die große Fülle an psychologischer Literatur nutzen, die wir in den letzten einhundert Jahren gesammelt haben, darunter ausführliche Studien über die Kindheit und die Auswirkung unserer frühen Entwicklung (Melanie Klein, John Bowlby, Donald Winnicott), Arbeiten über die Ursprünge des Narzissmus (Heinz Kohut), die Schattenseiten unserer Persönlichkeit (C. G. Jung), die Wurzeln unserer Empathie (Simon Baron-Cohen) und die Konfiguration unserer Emotionen (Paul Ekman). Wir können die vielen wissenschaftlichen Fortschritte nutzen, um uns selbst besser zu verstehen – Studien über das menschliche Gehirn (António Damásio, Joseph E. LeDoux), unsere einzigartige biologische Beschaffenheit (Edward O. Wilson), die Beziehung zwischen Körper und Geist (V. S. Ramachandran), Primaten (Frans de Waal) sowie Jäger und Sammler, unser ökonomisches Verhalten (Daniel Kahneman) und wie wir in Gruppen funktionieren (Wilfred Bion, Elliot Aronson). Wir können hierzu auch die Arbeiten zahlreicher Philosophen zählen (Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche, José Ortega y Gasset), die zahlreiche Aspekte der menschlichen Natur beleuchtet haben, sowie die Einblicke vieler Schriftsteller (George Eliot, Henry James, Ralph Ellison), die oft einen besonders feinen Sinn für die verborgenen Aspekte des menschlichen Verhaltens besitzen. Und schließlich können wir die stetig wachsende Anzahl verfügbarer Biografien dazuzählen, die eingehend und lebhaft Einblicke in die menschliche Natur gewähren.

Dieses Buch ist ein Versuch, diese unglaubliche Fülle an Wissen und Ideen aus den verschiedenen Fachdisziplinen zu bündeln (siehe hierzu die Bibliografie für die Hauptquellen) und einen präzisen und lehrreichen Leitfaden für die menschliche Natur vorzulegen, der auf Beweisen beruht und nicht auf subjektiven Ansichten oder moralischen Urteilen. Es ist eine schonungslos realistische Beurteilung unserer Spezies, die sich intensiv mit der Frage auseinandersetzt, wer wir sind, damit wir bewusster handeln können.

Betrachten Sie Die Gesetze der menschlichen Natur als eine Art Codebuch zur Entschlüsselung menschlichen Verhaltens, das gewöhnlich, merkwürdig, destruktiv und noch vieles mehr sein kann. Jedes Kapitel befasst sich mit einem Aspekt oder Gesetz der menschlichen Natur. Wir können sie insofern »Gesetze« nennen, als wir Menschen unter dem Einfluss dieser elementaren Kräfte dazu neigen, relativ berechenbar zu reagieren. Jedes Kapitel erzählt die Geschichte einer berühmten Persönlichkeit oder berühmter Persönlichkeiten, die das Gesetz (positiv oder negativ) veranschaulicht, ebenso die Ideen und Strategien, wie man unter Berücksichtigung dieses Gesetzes mit sich und anderen umgeht. Jedes Kapitel schließt mit einem Abschnitt darüber, wie wir diese grundlegende menschliche Kraft in etwas Positiveres und Produktiveres verwandeln können, damit wir der menschlichen Natur nicht mehr schutzlos ausgeliefert sind, sondern sie aktiv mitgestalten. Sie denken vielleicht, dass dieses Wissen ein wenig altmodisch ist. Sie könnten argumentieren, dass wir mittlerweile so hochentwickelt und technisch fortgeschritten, so progressiv und aufgeklärt sind, dass wir unsere primitiven Wurzeln längst überwunden haben und gerade dabei sind, unsere Natur neu zu definieren. Jedoch ist vielmehr das genaue Gegenteil der Fall: Wir waren nie stärker im Bann der menschlichen Natur und ihres zerstörerischen Potenzials als heute. Wenn wir diese Tatsache ignorieren, spielen wir mit dem Feuer.

Schauen Sie sich nur einmal an, wie die Durchlässigkeit unserer Emotionen durch die sozialen Medien gesteigert wurde, wo virale Effekte ständig auf uns einwirken und manipulativ versierte Meinungsmacher in der Lage sind, uns auszunutzen und zu kontrollieren. Oder wie viel Aggression in der virtuellen Welt zum Ausdruck gebracht wird, wo es ungleich einfacher ist, seine Schattenseiten hemmungslos auszuleben. Die technischen Möglichkeiten, blitzschnell mit vielen Leuten in Kontakt treten zu können, hat außerdem unsere Neigung verstärkt, uns mit anderen zu vergleichen, Neid zu empfinden und durch Aufmerksamkeit einen höheren Status zu erlangen. Und schließlich sollten Sie einen Blick auf unsere Tendenz werfen, in archaisches Stammesdenken zu verfallen, das jetzt ein perfektes Medium gefunden hat, um sich ungehindert auszuleben: Wir können Gruppen beitreten, mit denen wir uns identifizieren, unsere stammesspezifischen Meinungen in einer virtuellen Echokammer verstärken und alle Außenstehenden verteufeln, die vom Kollektiv verunglimpft und gedemütigt werden. Das Potenzial für Chaos, das der primitiven Seite unseres Wesens innewohnt, ist nur gewachsen.

Es ist ganz einfach: Die menschliche Natur ist stärker als jedes Individuum, jede Institution und jede technische Erfindung. Sie formt das, was wir erschaffen, um sich selbst und ihre primitiven Wurzeln widerzuspiegeln. Sie lenkt uns wie Schachfiguren.

Ignorieren Sie die Gesetze auf eigene Gefahr. Wenn Sie sich weigern, Ihre menschliche Natur zu akzeptieren, führt das unweigerlich dazu, dass Sie Mustern erliegen, die jenseits Ihrer Kontrolle sind und die Gefühle der Verwirrung und Hilflosigkeit auslösen.

Die Gesetze der menschlichen Naturist darauf ausgelegt, Sie mit allen Aspekten des menschlichen Verhaltens vertraut zu machen und ein Schlaglicht auf seine Wurzeln zu werfen. Wenn Sie sich darauf einlassen, wird es radikal verändern, wie Sie Ihre Mitmenschen wahrnehmen und mit ihnen umgehen. Es wird auch radikal verändern, wie Sie sich selbst sehen. Dieser Perspektivenwechsel erfolgt auf folgende Weise:

Erstens werden die Gesetze Sie zu einem gelasseneren und strategischeren Beobachter des menschlichen Verhaltens machen und Ihnen helfen, sich von dem emotionalen Ballast zu befreien, der Sie unnötig erschöpft.

Wenn wir von anderen Menschen umgeben sind, verspüren wir allzu oft eine gewisse Unsicherheit oder innere Unruhe darüber, wie sie uns wahrnehmen. Sobald sich solche Emotionen regen, ist unser Blick auf unsere Mitmenschen getrübt, weil wir uns in den Sog unserer Gefühle ziehen lassen und das, was die anderen sagen und tun, in Bezug zu uns selbst setzen: »Mögen sie mich oder mögen sie mich nicht?«

Die Gesetze werden Ihnen helfen, nicht in diese Falle zu tappen, indem sie offenbaren, dass Menschen grundsätzlich mit Emotionen und Problemen kämpfen, die tiefe Wurzeln haben. Sie blicken auf Wünsche und Enttäuschungen zurück, die vielleicht schon seit Jahren oder Jahrzehnten bestehen und nichts mit Ihnen zu tun haben. Sie begegnen der betreffenden Person in einem bestimmten Augenblick und werden das zufällige Opfer ihrer Wut oder Unzufriedenheit. Sie projiziert bestimmte Qualitäten auf Sie, die sie sehen will. In den meisten Fällen werden Sie gar nicht als Individuum mit einer eigenen Vergangenheit wahrgenommen.

Diese Erkenntnis sollte Sie nicht aufwühlen, sondern eine befreiende Wirkung haben. Das Buch wird Ihnen zeigen, wie Sie provozierende Bemerkungen, Ablehnung oder Angriffe nicht mehr persönlich nehmen. Je eher Sie das begreifen, umso leichter wird es Ihnen fallen, nicht mehr emotional zu reagieren, sondern vielmehr herausfinden zu wollen, worauf das Verhalten Ihres Gegenübers tatsächlich zurückzuführen ist. Sie werden dadurch viel gelassener werden. Sobald Sie dieses analytische Vorgehen verinnerlicht haben, werden Sie viel seltener ein moralisches Urteil über andere fällen; stattdessen werden Sie sie und ihre Fehler als Teil der menschlichen Natur akzeptieren. Ihre Mitmenschen werden Ihre tolerante Einstellung registrieren und Sie sympathischer finden.

Zweitens werden die Gesetze Sie zu einem hervorragenden Dolmetscher der Signale machen, die andere Menschen ständig aussenden, und Ihre Fähigkeit, den Charakter anderer Menschen zu beurteilen, deutlich verbessern.

Wenn wir auf das Verhalten unserer Mitmenschen achten, neigen wir dazu, ihre Handlungen zu kategorisieren und voreilige Schlüsse zu ziehen, weshalb wir uns mit der Beurteilung zufriedengeben, die sich mit unseren eigenen Vorstellungen deckt. Oder wir nehmen ihre Erklärungen für bare Münze, ohne sie zu hinterfragen.

Die Gesetze werden Sie von dieser Gewohnheit befreien, indem sie aufzeigen, wie einfach es ist, Menschen falsch zu lesen, und wie trügerisch der erste Eindruck sein kann. Sie werden einen Schritt zurücktreten, Ihr ursprüngliches Urteil hinterfragen und sich stattdessen darin üben zu analysieren, was Sie sehen.

Sie werden dabei mit Gegensatzpaaren arbeiten: Wenn jemand eine bestimmte Eigenschaft demonstrativ zur Schau stellt, beispielsweise Selbstbewusstsein oder Hypermaskulinität, will er damit oft das genaue Gegenteil verschleiern. Sie werden erkennen, dass die Menschen ständig mit der Öffentlichkeit spielen und so tun, als seien sie progressiv und moralisch tadellos, nur um ihren Schatten zu verbergen. Sie werden sehen, wie sich dieser Schatten seinen Weg an die Oberfläche bahnt. Wenn jemand etwas tut, das für ihn atypisch ist, werden Sie hellhörig: Was als Verhalten erscheint, das seinem Naturell ganz und gar nicht entspricht, spiegelt allzu oft seinen wahren Charakter wider. Wenn jemand in Wirklichkeit faul oder einfältig ist, wird sich das in den feinsten Nuancen bemerkbar machen, die Sie wahrnehmen können, bevor sein Verhalten Schaden anrichtet.

Den wahren Charakter eines Menschen, seine Loyalität und Gewissenhaftigkeit beurteilen zu können, ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die Sie besitzen können. Sie bewahrt Sie vor schlechten Mitarbeitern, Partnern und Beziehungen, die Ihnen das Leben zur Hölle machen können.

Drittens werden Ihnen die Gesetze Strategien aufzeigen, wie Sie es mit toxischen Personen aufnehmen, die früher oder später Ihren Weg kreuzen werden und tendenziell langfristigen emotionalen Schaden anrichten, und wie Sie sie überflügeln.

Aggressive, missgünstige und manipulative Personen stellen sich üblicherweise nicht als solche vor. Sie haben gelernt, einen guten ersten Eindruck zu machen, uns zu schmeicheln und andere Tricks anzuwenden, um uns für sich zu gewinnen. Wenn sie uns dann mit ihrem hässlichen Verhalten überraschen, fühlen wir uns hintergangen, wütend und hilflos. Sie erzeugen ständig Druck und wissen, dass sie uns mit ihrer Anwesenheit geistig beschäftigen, wodurch es uns doppelt schwerfällt, logisch oder strategisch zu denken.

Die Gesetze werden Ihnen beibringen, diese Typen im Voraus zu identifizieren, und dieses Wissen ist Ihre beste Verteidigung gegen sie. Entweder können Sie daraufhin einen großen Bogen um sie machen oder ihre manipulativen Handlungen rechtzeitig durchschauen, sodass Sie nicht überrascht werden und besser in der Lage sind, Ihr emotionales Gleichgewicht zu wahren. Sie werden lernen, sie richtig einzuschätzen und die eklatanten Schwächen und Unsicherheiten hinter ihrem vordergründigen Tun zu erkennen. Sie werden nicht mehr auf ihr lautes, aggressives Auftreten hereinfallen und so den Einschüchterungseffekt neutralisieren, auf den diese Typen sich verlassen und von dem sie abhängig sind. Sie werden ihre Lügengeschichten und Ausreden für ihr egoistisches Verhalten nicht mehr ernst nehmen. Ihre Gelassenheit wird sie rasend machen und oft dazu führen, dass sie die Fassung verlieren oder Fehler begehen.

Statt sich von all diesen Begegnungen herunterziehen zu lassen, werden Sie sie womöglich als Gelegenheit begreifen, Ihre Selbstbeherrschung zu perfektionieren und sich mental abzuhärten. Wenn Sie es schaffen, auch nur einen dieser Typen zu durchschauen, wird das Ihr Selbstbewusstsein stärken, weil Sie wissen, dass Sie selbst dem Schlimmsten beikommen können, das die menschliche Natur zu bieten hat.

Viertens werden Ihnen die Gesetze die wahren Mechanismen aufzeigen, mit denen sich Menschen motivieren und beeinflussen lassen, wodurch sich Ihr Lebensweg viel leichter gestalten wird.

Wenn wir mit unseren Ideen oder Plänen auf Widerstand stoßen, führt das normalerweise dazu, dass wir unser Gegenüber umzustimmen versuchen, indem wir Argumente oder Erklärungen vorbringen oder unseren Charme spielen lassen, wodurch der Widerstand allerdings nur zunimmt.

Die Gesetze werden Ihnen beibringen, dass Menschen von Natur aus stur sind und sich äußeren Einflüssen in der Regel widersetzen. Daher müssen Sie jedweden Versuch damit beginnen, den Widerstand Ihres Gegenübers aufzuweichen, und dürfen den anderen niemals in die Enge treiben. Sie werden lernen, seine Unsicherheit zu erkennen, statt sie versehentlich sogar noch zu schüren. Sie werden dabei bedenken, welche Eigeninteressen der andere hat und welches Selbstbild er bestätigt wissen will.

Sobald Sie die Durchlässigkeit von Emotionen verstehen, werden Sie erkennen, dass Sie den größten Einfluss auf andere ausüben können, indem Sie Ihre eigene Stimmung und Einstellung verändern. Ihre Mitmenschen reagieren viel stärker auf Ihre Energie und Ihr Auftreten als auf Ihre Worte. Sie werden aufhören, sich anderen gegenüber zu rechtfertigen. Ihre Gelassenheit und Ihr aufrichtiges Interesse an der anderen Person werden einen positiven und geradezu hypnotischen Effekt haben. Sie werden lernen, dass Sie als Anführer Leute am besten in Ihre Richtung bewegen, indem Sie durch Ihre Einstellung, Empathie und Arbeitsmoral die richtige Atmosphäre schaffen.

Fünftens werden Sie mithilfe der Gesetze erkennen, wie tief die Kräfte der menschlichen Natur in Ihnen wirken, und somit die Macht erlangen, Ihre eigenen negativen Muster zu verändern.

Wenn wir etwas über die dunkleren menschlichen Eigenschaften hören oder lesen, neigen wir dazu, uns selbst davon auszunehmen. Es sind immer die anderen, die narzisstisch, irrational, neidisch, überheblich, aggressiv oder passiv-aggressiv sind. Wir denken fast immer, dass wir nur mit den besten Absichten handeln. Sollten wir einmal davon abweichen, sind es immer die äußeren Umstände oder die anderen, die uns zu negativen Reaktionen zwingen.

Die Gesetze werden ein für alle Mal dafür sorgen, dass Sie dieser Selbsttäuschung nicht mehr unterliegen. Wir alle sind aus demselben Holz geschnitzt und wir alle haben dieselben Neigungen. Je früher Sie dies erkennen, desto leichter wird es Ihnen fallen, die potenziell negativen Eigenschaften zu überwinden, die in Ihnen stecken. Sie werden Ihre eigenen Motive hinterfragen, Ihren eigenen Schatten erblicken und sich Ihre eigenen passiv-aggressiven Neigungen bewusst machen. Sie werden auch bescheidener werden und erkennen, dass Sie anderen gegenüber nicht so überlegen sind, wie Sie vielleicht denken. Sie werden dadurch keine Schuldgefühle bekommen oder durch Ihre Eigenwahrnehmung beeinträchtigt sein – im Gegenteil. Sie werden sich selbst als vollständige Person akzeptieren, sowohl das Gute als auch das Schlechte in Ihnen annehmen und Ihr falsches, idealisiertes Selbstbild fallen lassen. Sie werden jede Form der Heuchelei ablegen können und die Freiheit genießen, mehr Sie selbst zu sein. Diese Eigenschaft wird eine große Anziehung auf andere ausüben.

Sechstens werden Sie durch die Gesetze zu einer empathischeren Person, wodurch Sie tiefere und bedeutungsvollere Beziehungen zu Ihren Mitmenschen eingehen können.

Wir Menschen sind mit einem gewaltigen Potenzial geboren, Leute auf einer Ebene zu verstehen, die das rein Intellektuelle weit übersteigt. Es ist eine Stärke, die bereits unsere frühsten Vorfahren entwickelten, als sie lernten, die Stimmungen und Gefühle anderer zu interpretieren, indem sie sich in ihre Lage hineinversetzten.

Die Gesetze werden Ihnen zeigen, wie Sie diese latente Macht in höchstmöglichem Maß nutzen können. Sie werden lernen, die ständigen inneren Monologe langsam zu unterbinden und genauer hinzuhören. Sie werden sich beibringen, sich in die Lage des anderen hineinzuversetzen. Sie werden Ihre Vorstellungskraft und Erfahrungen einsetzen, um einen Eindruck zu gewinnen, wie sich der andere vermutlich fühlt. Wenn Ihr Gegenüber etwas Schmerzhaftes beschreibt, werden Sie sich Ihre eigenen schmerzhaften Erlebnisse in Erinnerung rufen. Sie werden nicht einfach nur intuitiv reagieren, sondern die Informationen aktiv verarbeiten, die Sie auf diese empathische Weise sammeln, und dadurch weitere Erkenntnisse gewinnen. Sie werden ständig zwischen Empathie und Analyse hin und her schalten und ständig aktualisieren, was Sie beobachten, und dadurch Ihre Fähigkeit verbessern, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen. Durch diese Praxis werden Sie auch auf körperlicher Ebene ein Gefühl der zwischenmenschlichen Verbundenheit registrieren.

Dafür ist jedoch ein gewisses Maß an Demut nötig. Sie können nie sicher wissen, was der andere denkt, und sich daher leicht irren. Deshalb dürfen Sie kein voreiliges Urteil treffen, sondern müssen aufgeschlossen bleiben, um mehr zu erfahren. Menschen sind komplexer, als Sie denken. Ihr Ziel ist es, deren Perspektive besser zu verstehen. Wenn Sie diesen Prozess immer wieder durchlaufen, werden Sie Ihr Urteilsvermögen wie einen Muskel kräftigen, der durch regelmäßiges Üben stärker wird.

Die Kultivierung von Empathie bringt zahlreiche Vorteile mit sich. Wir alle sind sehr mit uns selbst beschäftigt und in unserer eigenen Welt gefangen. Es ist eine geradezu therapeutische und befreiende Erfahrung, aus unserer Welt heraus- und in die Welt einer anderen Person hineingeführt zu werden. Das ist es, was uns an Filmen und anderen fiktiven Geschichten fasziniert: Wir lernen die Weltsicht und Perspektive von Leuten kennen, die sich völlig von uns unterscheiden. Hierdurch wird sich Ihre gesamte Denkweise verändern. Sie üben sich darin, sich von Vorurteilen zu lösen, im Augenblick präsent zu sein und Ihre Annahmen über Ihre Mitmenschen ständig zu hinterfragen und zu revidieren. Sie werden merken, dass sich Ihre geistige Flexibilität auch darauf auswirken wird, wie Sie generell mit Problemen umgehen, und feststellen, dass Sie andere Möglichkeiten in Betracht ziehen und alternative Perspektiven einnehmen können. Das ist der Kern des kreativen Denkens.

Schließlich werden die Gesetze verändern, wie Sie Ihr eigenes Potenzial sehen, wodurch Sie ein besseres Bewusstsein für das höhere ideale Selbst entwickeln, das in Ihnen steckt und das Sie zum Vorschein bringen wollen.

Man kann sagen, dass Menschen zwei gegensätzliche Seiten in sich haben: ein niederes und ein höheres Selbst. Das niedere Selbst ist meist stärker ausgeprägt. Seine Impulse verleiten uns zu emotionalen Reaktionen und Rechtfertigungen, wodurch wir uns anderen gegenüber überlegen fühlen wollen und selbstgerecht agieren. Es geht immer den Weg des geringsten Widerstands und bringt uns dazu, nach sofortigen Belohnungen und Ablenkungen zu streben. Es verleitet uns dazu, die Meinungen anderer zu übernehmen und uns in der Gruppe zu verlieren.

Wir fühlen die Impulse des höheren Selbst, wenn wir Veranlassung haben, von uns selbst Abstand zu nehmen, wenn wir mit anderen eine tiefere Verbindung eingehen wollen, uns gedanklich mit unserer Arbeit auseinandersetzen, denken statt reagieren, unserem eigenen Lebensweg folgen und entdecken, was uns einzigartig macht. Das niederere Selbst ist die animalische, reaktive Seite unserer Natur, auf die wir oft zurückfallen. Das höhere Selbst ist die menschlichere Seite unserer Natur – die Seite, die uns rücksichtsvoll und reflexiv macht. Weil der höhere Impuls schwächer ist, bedarf es der Anstrengung und Erkenntnis, sich mit ihm zu verbinden.

Wir sollten danach streben, das ideale Selbst in uns zum Vorschein zu bringen, denn nur wenn wir diese Seite entwickeln, fühlen wir uns als Menschen wahrhaft erfüllt. Das vorliegende Buch wird Ihnen helfen, dies zu erreichen, indem es Sie für die potenziell positiven und aktiven Elemente sensibilisiert, die in jedem Gesetz enthalten sind.

Indem Sie sich Ihre Neigung zur Irrationalität bewusst machen, werden Sie lernen, sich vor Augen zu führen, wie Ihre Emotionen Ihre Denkweise prägen (Kapitel 1), wodurch Sie die Fähigkeit erwerben, sich nicht von ihnen leiten zu lassen, und wahrhaftig rational werden. Wenn Sie wissen, wie Ihre Lebenseinstellung die Dinge beeinflusst, die Ihnen widerfahren, und dass Ihr Geist von Natur aus dazu neigt, bei Angst abzuschalten (Kapitel 8), können Sie lernen, eine Einstellung zu entwickeln, die expansiv und furchtlos ist. Wenn Sie wissen, dass Sie anfällig dafür sind, sich mit anderen zu vergleichen (Kapitel 19), können Sie dies als Ansporn nutzen, um durch Ihre überragenden Leistungen zu glänzen, jene zu bewundern, die großartige Dinge erreicht haben, und sich von ihrem Beispiel inspirieren lassen. Sie können bei allen elementaren Eigenschaften auf diese Weise vorgehen und Ihr großes Wissen über die menschliche Natur nutzen, um sich dem starken Sog Ihres niederen Wesens zu widersetzen.

Betrachten Sie dieses Buch folgendermaßen: Sie stehen kurz davor, ein Schüler der menschlichen Natur zu werden. Sie werden eine Reihe von Fähigkeiten entwickeln – etwa wie Sie den Charakter Ihrer Mitmenschen beobachten und bewerten und in Ihre eigenen seelischen Abgründe blicken. Sie werden daran arbeiten, Ihr höheres Selbst zum Vorschein zu bringen. Und durch regelmäßige Übung werden Sie diese Kunst perfektionieren, das Schlimmste abwenden, das andere Ihnen entgegenschleudern, und sich in eine rationalere, selbstreflexivere und produktivere Person verwandeln.

Der Mensch wird sich bessern, wenn man ihm vor Augen führt, wie er heute ist.

Anton Tschechow

1 Beherrschen Sie Ihr emotionales Selbst Das Gesetz der Irrationalität

Sie denken vielleicht, dass Sie Ihr Schicksal selbst in der Hand haben und den Verlauf Ihres Lebens nach besten Kräften bewusst gestalten. Aber Sie sind sich nicht im Klaren darüber, wie sehr Sie tatsächlich von Ihren Emotionen beherrscht werden: Sie bringen Sie dazu, sich Ideen zuzuwenden, die Ihr Ego beruhigen. Sie bringen Sie dazu, nach Beweisen für das zu suchen, was Sie ohnehin glauben wollen. Sie bringen Sie dazu, abhängig von Ihrer Stimmung das zu sehen, was Sie sehen wollen – und diese Entkopplung von der Realität ist die Quelle für die schlechten Entscheidungen und negativen Muster, die Ihr Leben heimsuchen. Rationalität ist die Fähigkeit, diesen emotionalen Wirkungen entgegenzusteuern, zu denken, statt zu reagieren, den Geist für das zu öffnen, was wirklich geschieht, statt sich von Gefühlen leiten zu lassen. Das kommt nicht von selbst, sondern es ist eine Kraft, die wir kultivieren müssen, aber dadurch entfalten wir unser größtes Potenzial.

Die innere Athene

Eines Tages gegen Ende des Jahres 432 v. Chr. erhielten die Bürger Athens sehr verstörende Nachrichten: Gesandte des Stadtstaats Sparta waren eingetroffen, um dem athenischen Gemeinderat neue Friedensbedingungen zu unterbreiten. Wenn Athen diesen Bedingungen nicht zustimme, würde Sparta den Krieg erklären. Sparta war der Erzfeind Athens und in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil. Während Athen einen Verbund demokratischer Staaten in der Region anführte, stand Sparta einem Bündnissystem aus Oligarchien vor, dem sogenannten Peloponnesischen Bund. Athen verließ sich auf seine Marine und seinen Wohlstand – es war die vorherrschende Handelsmacht im Mittelmeerraum. Sparta verließ sich hingegen auf seine Armee, es war ein totalitärer Militärstaat.

Bis zu jenem Zeitpunkt hatten beide Mächte einen direkten Krieg weitestgehend vermieden, weil die Konsequenzen vernichtend gewesen wären. Der Unterlegene würde nicht nur riskieren, seinen Einfluss in der Region zu verlieren, sondern seine gesamte Lebensweise wäre bedroht – das galt zumindest für das demokratische, wohlhabende Athen. Nun aber schien ein Krieg unvermeidbar und eine Atmosphäre des bevorstehenden Untergangs brach über die Stadt herein.

Einige Tage später fand sich die Athener Volksversammlung auf der Pnyx ein – einem Hügel, von dem man auf die Akropolis blicken konnte –, um über das Ultimatum der Spartaner zu beraten und das weitere Vorgehen zu beschließen. Die Versammlung stand allen männlichen Bürgern offen, und an jenem Tag trafen sich fast zehntausend Männer auf dem Hügel, um an der Debatte teilzunehmen. Die Falken unter ihnen waren sehr aufgebracht; Athen sollte ihrer Meinung nach die Initiative ergreifen und Sparta zuerst angreifen. Andere Stimmen mahnten, dass die spartanische Armee zu Land nahezu unschlagbar sei. Sparta auf diese Weise anzugreifen würde ihr geradewegs in die Hände spielen. Die Tauben sprachen sich dafür aus, die Friedensbedingungen anzunehmen, aber viele wiesen darauf hin, dass ein solches Nachgeben als Zeichen der Furcht gedeutet werden könnte und die Spartaner stärken würde. Dies würde ihnen mehr Zeit verschaffen, um ihre Armee zu vergrößern. Die Debatte ging hin und her, die Gemüter erhitzten sich, die Mitglieder wurden laut und es war keine zufriedenstellende Lösung in Sicht.

Am Ende des Nachmittags verstummte die Menge plötzlich, als eine vertraute Gestalt hervortrat, um zur Versammlung zu sprechen. Es war Perikles, der führende Staatsmann Athens, der mittlerweile über sechzig Jahre alt war. Perikles stand in hohem Ansehen und seine Meinung zählte mehr als die jedes anderen Bürgers. Doch obwohl die Athener ihn respektierten, hielten sie ihn für einen sonderbaren Anführer – er war mehr Philosoph als Politiker. All jene, die alt genug waren, um sich an die Anfänge seiner Laufbahn zu erinnern, fanden es erstaunlich, wie einflussreich und erfolgreich er geworden war. Er tat nichts auf die übliche Weise. In den Anfangsjahren ihrer Demokratie, bevor Perikles in Erscheinung getreten war, hatten die Athener einen speziellen Anführertyp bevorzugt: Männer, die inspirierende, überzeugende Reden halten konnten und einen Hang zur Theatralik hatten. Auf dem Schlachtfeld waren diese Männer risikofreudig; sie drängten oft zu Feldzügen, die sie anführen konnten und die ihnen die Möglichkeit gaben, zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Sie brachten ihre Karriere voran, indem sie eine Interessensgruppe der Versammlung repräsentierten – Landbesitzer, Soldaten, Adlige – und alles daransetzten, deren Interessen durchzusetzen. Dies führte zu einer sehr einseitigen, spaltenden Politik. Anführer kamen und gingen nach einigen Jahren, aber den Athenern war das nur recht; sie misstrauten jedem, der lange im Amt blieb.

Doch dann betrat Perikles um 463 v. Chr. die öffentliche Bühne, und die Politik Athens sollte nie wieder dieselbe sein. Seine erste Amtshandlung war die ungewöhnlichste. Obwohl er aus einer angesehenen aristokratischen Familie stammte, verbündete er sich mit der wachsenden Unter- und Mittelschicht der Stadt, also den Bauern, Ruderern der Marine, den Handwerkern, die der Stolz Athens waren. Er arbeitete daran, ihrer Stimme in der Versammlung mehr Gewicht zu verleihen und ihnen in der Demokratie mehr Einfluss zu geben. Er führte damit keine kleine Fraktion mehr an, sondern die Mehrheit der Athener Bürger. Es schien unmöglich zu sein, eine so große, undisziplinierte Menschenmenge unter Kontrolle zu behalten, aber er war fest entschlossen, ihren Einfluss zu vergrößern, sodass er langsam ihr Vertrauen und ihre Unterstützung gewann.

Als sein Einfluss zunahm, fing Perikles an, sich in der Volksversammlung durchzusetzen und die Politik zu verändern. Er sprach sich dagegen aus, das demokratische Reich Athens zu vergrößern. Er befürchtete, dass die Athener es zu weit treiben und die Kontrolle verlieren würden. Er zog es vor, das bestehende Reich zu festigen und seine Allianzen zu stärken. Als es darum ging, Krieg zu führen und als General zu dienen, strebte er danach, die Feldzüge zu begrenzen und durch geschickte Strategien mit einem minimalen Verlust an Menschenleben den Sieg davonzutragen. Vielen erschien dies als wenig heldenhaft, aber als diese Politik Wirkung zeigte, erlebte die Stadt einen nie da gewesenen Aufschwung. Es gab keine unnötigen Kriege mehr, die die Staatskassen leerten, und das Reich funktionierte reibungsloser als je zuvor.

Perikles nutzte den wachsenden finanziellen Überschuss auf eine Art und Weise, die die Bürgerschaft in Staunen versetzte: Statt mit dem Geld politische Gefälligkeiten zu kaufen, begann er ein gewaltiges öffentliches Bauprojekt in Athen. Er gab den Bau von Tempeln, Theatern und Konzerthäusern in Auftrag und brachte damit alle athenischen Handwerker in Lohn und Brot. Wohin man auch sah, die Stadt wuchs und wurde immer ansehnlicher. Er bevorzugte eine Art der Architektur, die sein persönliches ästhetisches Empfinden widerspiegelte: geordnet, sehr geometrisch, monumental, aber optisch ansprechend. Sein größter Auftrag war das Parthenon mit seiner gewaltigen, zwölf Meter hohen Statue der Athene. Athene war die Schutzgöttin der Stadt, die Göttin der Weisheit und praktischen Intelligenz. Sie verkörperte alle Werte, die Perikles fördern wollte. Perikles veränderte im Alleingang das Erscheinungsbild und die Mentalität der Stadt, die in den Künsten und Wissenschaften eine Blütezeit erleben sollte.

Perikles’ vermutlich seltsamste Eigenschaft war seine Redeweise – sie war zurückhaltend und gewählt. Er verzichtete auf die üblichen rhetorischen Kunststücke. Stattdessen bemühte er sich darum, sein Publikum durch stichfeste Argumente zu überzeugen. Das veranlasste die Menschen dazu, ihm aufmerksam zuzuhören und seinem Gedankenverlauf zu folgen. Sein Stil war überzeugend und beruhigend zugleich.

Im Gegensatz zu den anderen Anführern blieb Perikles Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt an der Macht, und er prägte die Stadt auf seine ruhige, dezente Weise. Er hatte auch Feinde, das war unvermeidlich. Er blieb so lange an der Macht, dass viele ihm vorwarfen, in Wirklichkeit ein Diktator zu sein. Man unterstellte ihm, ein Atheist zu sein, ein Mann, der sich nicht um Traditionen scherte. Das würde erklären, warum er so sonderbar war. Aber niemand konnte etwas gegen die Ergebnisse seiner Führungsweise sagen.

Und so hob er nun an jenem Nachmittag an, zur Versammlung zu sprechen. Seine Meinung über den Krieg gegen Sparta würde von größter Bedeutung sein, und die Menge verstummte, als sie gespannt auf seine Ansprache wartete. »Athener«, fing er an. »Meine Ansichten haben sich nicht geändert: Ich bin dagegen, den Peloponnesiern Zugeständnisse zu machen, obwohl ich mir durchaus darüber im Klaren bin, dass die Euphorie, mit der das Volk zum Beginn des Krieges überredet wird, nicht zurückgehalten wird, wenn es darum geht, zur Tat zu schreiten, und dass die Einstellung der Menschen durch den Verlauf der Geschehnisse beeinflusst wird.« Differenzen zwischen Athen und Sparta sollten durch neutrale Vermittler beigelegt werden, erinnerte er sie. Man würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, wenn man den Forderungen Spartas nachgab. Wohin würde das führen? Er räumte ein, dass eine offene Schlacht zu Land gegen Sparta Selbstmord wäre. Er forderte stattdessen eine völlig neue Form der Kriegsführung, die eingeschränkt war und ausschließlich Verteidigungszwecken diente.

Er wollte alle in den Außenbezirken lebenden Athener in die Stadt bringen, die von Mauern umgeben war. »Sollen die Spartaner nur kommen und uns zum Kampf verleiten«, sagte er. »Sollen sie unser Land nur verwüsten. Wir werden auf den Köder nicht hereinfallen; wir werden uns auf keinen Landkrieg einlassen. Mit unserem Zugang zum Meer werden wir unsere Stadt gut versorgen können. Wir werden unsere Marine benutzen, um ihre Küstenstädte anzugreifen. Wir werden sie hinhalten und mit der Zeit zermürben. Weil sie ihre stehende Armee ernähren und instand halten müssen, wird ihnen früher oder später das Geld ausgehen. Ihre Verbündeten werden sich zerstreiten. Die Kriegstreiber werden in Sparta in Ungnade fallen, und sie werden einem echten, dauerhaften Frieden zustimmen, der auf unserer Seite mit einem minimalen Verlust von Menschenleben und Kosten verbunden ist.«

»Ich könnte euch noch viele andere Gründe nennen«, schloss er, »weshalb ihr siegesgewiss sein solltet, wenn ihr euch nur dagegen entschließt, während des Krieges das Reich weiter zu vergrößern und euch neuen Gefahren auszusetzen. Ich fürchte nicht die Strategie des Feindes, sondern unsere eigenen Fehler.« Die Neuartigkeit seines Vorschlags führte zu einer großen Diskussion. Weder die Falken noch die Tauben waren mit seinem Plan einverstanden, aber letztlich siegte sein Ruf, ein weiser Mann zu sein, und man stimmte seiner Strategie zu. Mehrere Monate später begann der schicksalhafte Peloponnesische Krieg.

Doch dieses Mal verlief nichts so, wie Perikles prognostiziert hatte. Die Spartaner und ihre Verbündeten wurden durch den schleppenden Kriegsverlauf nicht zermürbt, sondern nur entschlossener. Die Athener waren diejenigen, die den Mut verloren und zusehen mussten, wie ihr Land ohne Gegenwehr zerstört wurde. Doch Perikles glaubte, dass sein Plan nicht scheitern konnte, solange die Athener nur geduldig blieben.

Im zweiten Kriegsjahr ereilte die Athener eine unerwartete Katastrophe: Eine tödliche Seuche befiel die Stadt. Mit so vielen Bewohnern, die auf engstem Raum lebten, breitete sie sich schnell aus, raffte über ein Drittel der Bevölkerung dahin und dezimierte die Armee. Perikles selbst wurde krank, und als er im Sterben lag, erlebte er den ultimativen Albtraum: Alles, was er im Laufe der letzten Jahrzehnte für Athen getan hatte, schien mit einem Schlag umsonst gewesen zu sein. Die Menschen verfielen in Apathie, bis schließlich jeder nur noch für sich selbst kämpfte. Wenn Perikles überlebt hätte, hätte er mit großer Wahrscheinlichkeit einen Weg gefunden, die Athener zu beruhigen und einen annehmbaren Frieden mit Sparta zu vereinbaren oder seine Verteidigungsstrategie zu verändern, aber jetzt war es zu spät.

Seltsamerweise trauerten die Athener ihrem Anführer nicht nach. Sie machten ihn für die Seuche verantwortlich und kritisierten die Wirkungslosigkeit seiner Strategie. Sie waren nicht mehr bereit, sich in Geduld oder Zurückhaltung zu üben. Er war das Relikt einer vergangenen Epoche und seine Vorstellungen wurden jetzt nur noch als müde Träumereien eines alten Mannes betrachtet. Ihre Liebe zu Perikles hatte sich in Hass verwandelt. Nach seinem Tod kehrten die alten Fraktionen wieder zurück. Die Kriegsbefürworter gewannen an Popularität. Sie zehrten von der wachsenden Verbitterung der Menschen gegenüber den Spartanern, die die Seuche genutzt hatten, um sich in eine günstige Position zu bringen. Die Falken versprachen, dass sie die Oberhand gewinnen und die Spartaner mit einer offensiven Strategie vernichten würden. Für viele Athener waren solche Worte eine enorme Erleichterung, eine Entfesselung angestauter Emotionen.

Während sich die Stadt langsam von der Seuche erholte, schafften es die Athener tatsächlich, die Oberhand zu gewinnen, und die Spartaner unterbreiteten ihnen ein Friedensangebot. Weil die Athener ihren Feind aber vollständig vernichten wollten, wollten sie nachsetzen, stellten jedoch fest, dass sich Sparta in der Zwischenzeit ebenfalls erholt hatte und das Blatt sich wieder wendete. So ging es hin und her – Jahr für Jahr. Gewalt und Verbitterung wuchsen auf beiden Seiten. Als die Athener die Insel Melos angriffen, die mit Sparta verbündet war, ergaben sich die Melianer, doch die Athener stimmten dafür, alle männlichen Einwohner zu töten und ihre Frauen und Kinder als Sklaven zu verkaufen. Unter Perikles wäre nicht einmal ansatzweise etwas Derartiges geschehen.

Nach vielen Jahren Krieg, der kein Ende zu nehmen schien, hatten 415 v. Chr. mehrere athenische Anführer eine Idee, wie sie zum tödlichen Schlag gegen Sparta ausholen konnten. Der Stadtstaat Syrakus auf Sizilien war eine aufstrebende Macht und ein wichtiger Verbündeter der Spartaner, der sie mit dringend benötigten Ressourcen versorgte. Wenn die Athener mit ihrer großen Marine eine Expedition starten und Syrakus unter ihre Gewalt bringen könnten, würden sie zwei Vorteile erringen: Sie würden ihr Reich expandieren und Sparta die Ressourcen nehmen, die für die Fortsetzung des Kriegs notwendig waren. Die Versammlung stimmte dafür, sechzig Schiffe mit einer ausreichend großen Streitmacht zu entsenden, um dieses Ziel zu erreichen.

Nicias, einer der Kommandeure, die für diese Expedition bestimmt wurden, stellte jedoch den Sinn dieses Plans infrage. Er befürchtete, dass die Athener Syrakus unterschätzten. Er skizzierte alle möglichen negativen Szenarien; die Streitmacht müsste deutlich größer sein, um den Sieg sicherzustellen. Er sprach sich gegen den Plan aus, erzielte mit seinen Einwänden jedoch das genaue Gegenteil. Wenn eine größere Streitmacht nötig wäre, dann würde man diese bereitstellen – einhundert Schiffe und doppelt so viele Soldaten wie ursprünglich geplant. Die Athener witterten mit dieser Strategie den Sieg, und sie ließen sich durch nichts umstimmen.

In den folgenden Tagen konnte man sehen, wie Athener jeden Alters in der Stadt Karten von Sizilien zeichneten und davon träumten, dass große Reichtümer nach Athen fließen und die Spartaner ein für alle Mal gedemütigt werden würden. Als die Schiffe aufbrachen, gab es ein großes Freudenfest und das größte Spektakel, das Athen jemals gesehen hatte: Eine gewaltige Armada füllte die Bucht, so weit das Auge reichte, die Schiffe waren prächtig geschmückt und die Soldaten säumten mit ihren polierten Rüstungen die Decks. Es war eine beeindruckende Zurschaustellung des Reichtums und der Macht Athens.

Als die Monate verstrichen, waren die Athener begierig zu wissen, wie es der Expedition erging. Durch die enorme Größe der Streitmacht schien Athen an einem gewissen Punkt sogar im Vorteil zu sein, und ihre Schiffe belagerten Syrakus. Doch im letzten Augenblick traf Verstärkung aus Sparta ein und nun waren es die Athener, die sich verteidigen mussten. Nicias sandte der Volksversammlung einen Brief, in dem er diesen negativen Kriegsverlauf beschrieb. Er riet zur Aufgabe und Rückkehr nach Athen oder zur unverzüglichen Entsendung von Verstärkung. Weil die Athener sich weigerten, eine mögliche Niederlage einzugestehen, stimmten sie für die Verstärkung – eine zweite Armada, die beinahe so groß war wie die erste. In den folgenden Monaten erreichte die Angst der Athener einen neuen Höhepunkt; mittlerweile hatte sich ihr Einsatz verdoppelt und sie konnten sich eine Niederlage einfach nicht mehr leisten.

Eines Tages erfuhr ein Barbier in der athenischen Hafenstadt Piräus von einem Kunden, dass die Streitmacht der Athener, jedes Schiff und nahezu jeder Mann, in der Schlacht untergegangen sei. Das Gerücht breitete sich wie ein Lauffeuer bis ins Zentrum Athens aus. Es war schwer zu glauben, aber langsam setzte Panik ein. Eine Woche später wurde das Gerücht bestätigt und Athen schien ohne Geld, Schiffe und Soldaten dem Untergang geweiht.

Wie durch ein Wunder schafften es die Athener jedoch, sich über Wasser zu halten. Doch im Laufe der folgenden Jahre erlitt Athen, durch die Verluste in Sizilien stark geschwächt, eine Niederlage nach der anderen, bis die Stadt 405 v. Chr. schließlich ihre letzte Schlacht verlor und gezwungen war, in die harten Friedensbedingungen Spartas einzuwilligen. Die glorreichen Jahre, ihr großes demokratisches Reich, das goldene Zeitalter des Perikles gehörten jetzt endgültig der Vergangenheit an. Der Mann, der ihre gefährlichsten Emotionen in Schach gehalten hatte – ihre Aggressivität, Gier, Hybris und Selbstsucht –, war schon zu lange verschwunden, seine Weisheit längst vergessen.

Interpretation: Als Perikles zu Beginn seiner Karriere die politische Landschaft beobachtete, fiel ihm folgendes Phänomen auf: Jeder Politiker in Athen glaubte, rational zu denken, realistische Ziele zu verfolgen und konkrete Pläne zu haben, um selbige zu erreichen. Sie alle legten sich für ihre Fraktionen ins Zeug und versuchten, ihren Machtbereich zu erweitern. Sie führten die Armeen Athens in die Schlacht und zogen oft einen Vorteil daraus. Sie strebten danach, das Reich zu vergrößern und mehr Reichtum anzuhäufen. Und wenn ihre politischen Strategien plötzlich scheiterten oder die Kriege schlecht verliefen, hatten sie gute Erklärungen dafür, warum dies geschehen war. Sie konnten immer die Opposition dafür verantwortlich machen oder – falls nötig – die Götter.

Doch wenn all diese Männer so rational waren, warum führte ihre Politik zu so viel Chaos und Selbstzerstörung? Warum war Athen so durcheinander und die Demokratie so zerbrechlich? Warum herrschten so viel Korruption und Unruhe? Die Antwort war einfach: Perikles’ Mitbürger waren überhaupt nicht rational, sondern selbstsüchtig und durchtrieben. Sie ließen sich von ihren Basis­emotionen leiten: dem Streben nach Macht, Aufmerksamkeit und Geld. Und für diese Zwecke konnten sie sehr taktisch und klug agieren, doch keines ihrer Manöver hatte eine nachhaltige Wirkung oder diente den übergeordneten Interessen der Demokratie.

Perikles als Denker und öffentliche Figur wollte wissen, wie man dieser Falle entgehen konnte, also wie man in einer von Gefühlen beherrschten Arena wahrhaft rational agieren konnte. Die Lösung, auf die er stieß, ist in der Geschichte einzigartig und führte zu überzeugenden Ergebnissen. Auch wir sollten sie uns zum Vorbild nehmen. Seiner Vorstellung zufolge muss der menschliche Geist etwas verehren oder seine Aufmerksamkeit auf etwas richten, das er über alles andere stellt. Für die meisten Menschen ist es ihr Ego, für andere ist es ihre Familie, ihr Clan, ihr Gott oder ihr Land. Für Perikles war es das Nous – das altgriechische Wort bedeutet »Geist« oder »Vernunft«. Nous ist eine Kraft, die das Universum durchdringt und Sinn und Ordnung schafft. Der menschliche Geist fühlt sich von Natur aus zu dieser Ordnung hingezogen, sie ist die Quelle seiner Intelligenz. Für Perikles wurde das Nous, das er so verehrte, in der Gestalt der Göttin Athene verkörpert.

Athene wurde der Sage nach aus dem Kopf des Göttervaters Zeus geboren, und ihr Name spiegelt diese Herkunft wider – eine Kombination aus »Gott« (theos) und »Geist« (nous). Aber Athene stellte auch eine sehr bestimmte Form des Nous dar, nämlich den praktischen, weiblichen und naturverbundenen Aspekt. Sie ist die Stimme, die die Helden in Zeiten der Not hören und die sie zu innerer Ruhe führt, sie in die richtige geistige Verfassung versetzt, um eine perfekte Vorstellung für den Sieg und Erfolg zu entwickeln, und ihnen die Energie verleiht, diese zu realisieren. Ein Besuch der Athene war das größte Geschenk, das einem Sterblichen zuteilwerden konnte, und es war ihr Geist, der die großen Generäle und besten Künstler, Erfinder und Handwerker leitete. Unter ihrem Einfluss konnte ein Mensch die Welt mit vollkommener Klarheit sehen und im richtigen Augenblick zur Tat schreiten. Die Göttin wurde angerufen, um Athen zur Einheit zu verhelfen und die Stadt zu Wohlstand und Produktivität zu führen. Athene stand somit für Rationalität – das größte Geschenk der Götter an die Sterblichen, weil nur durch sie der Mensch mit göttlicher Weisheit handeln konnte.

Um seine »innere Athene« zu kultivieren, musste Perikles zuerst einen Weg finden, seine Emotionen zu beherrschen. Emotionen sorgen dafür, dass wir uns nach innen wenden, weg vom Nous, weg von der Realität. Wir schmoren in unserer Wut und Verunsicherung. Wenn wir unseren Blick dann nach außen richten und versuchen, Probleme zu lösen, betrachten wir die Dinge durch die Linse dieser Emotionen; sie trüben unseren Blick. Perikles übte sich darin, niemals impulsiv zu reagieren, niemals eine Entscheidung zu treffen, wenn er von starken Emotionen ergriffen war. Stattdessen analysierte er seine Gefühle. Wenn er sich seine Verunsicherung oder seine Wut genauer ansah, stellte er in der Regel fest, dass sie nicht wirklich gerechtfertigt waren, und sie verloren unter seinem scharfen Blick an Bedeutung. Manchmal musste er sich physisch von der aufgeheizten Atmosphäre der Versammlung entfernen und sich in sein Haus zurückziehen, in dem er sich mehrere Tage alleine aufhielt und zur Ruhe kam. Dann konnte er allmählich wieder die Stimme der Athene hören.

Er beschloss, all seine politischen Entscheidungen auf eine Sache zu stützen – nämlich was dem übergeordneten Gemeinwohl Athens diente. Sein Ziel war es, die Bürgerschaft durch wahre Liebe zur Demokratie und durch den Glauben an die Überlegenheit der athenischen Lebensweise zu vereinen. Diese Norm half ihm dabei, nicht in die Egofalle zu tappen. Sie trieb ihn dazu, die Beteiligung und den Einfluss der Unter- und Mittelschicht zu vergrößern, obwohl eine solche Strategie sich leicht gegen ihn hätte wenden können. Sie inspirierte ihn, möglichst keine Kriege zu führen, obwohl dies gleichzeitig weniger persönlichen Ruhm für ihn bedeutete. Und schließlich führte dies zu seiner wichtigsten Entscheidung: dem großen Bauprojekt, das Athen verwandelte.

Um sich selbst bei diesem Denkprozess zu helfen, zog er möglichst viele Ideen und Optionen in Betracht – selbst die seiner Kritiker. Er stellte sich alle erdenklichen Konsequenzen einer Strategie vor, bevor er sich für eine entschied. Mithilfe eines ruhigen und aufgeschlossenen Geistes erarbeitete er die Maßnahmen, die eine der größten Blütezeiten der Menschheitsgeschichte hervorbrachten. Ein Mann schaffte es, mit seinem rationalen Verstand eine ganze Stadt anzustecken. Was mit Athen geschah, nachdem Perikles von der Bildfläche verschwunden war, spricht für sich. Die Sizilienexpedition stellte alles dar, wogegen er sich stets gerichtet hatte: eine Entscheidung, die insgeheim von dem Wunsch motiviert war, ungeachtet der potenziellen Konsequenzen mehr Land zu erobern.

Ihnen muss Folgendes klar sein: Wie alle Menschen denken auch Sie, dass Sie rational sind – aber Sie sind es nicht. Rationalität ist keine Gabe, die Ihnen in die Wiege gelegt wurde; Sie erwerben Sie durch Training und Übung. Die Stimme der Athene steht schlichtweg für eine höhere Macht, die in diesem Augenblick in Ihnen existiert, ein Potenzial, das Sie vielleicht in Augenblicken der Ruhe und Konzentration bereits gespürt haben, die perfekte Idee, die Ihnen nach reiflicher Überlegung plötzlich einfällt. Sie können in der Gegenwart nicht auf diese höhere Macht zugreifen, weil Ihnen Ihre Emotionen im Weg stehen.

Wie Perikles in der Volksversammlung lassen Sie sich in das Drama verwickeln, das andere aufwirbeln; Sie reagieren ständig auf das, was Ihnen Ihre Mitmenschen zuwerfen, erleben Wellen der Aufregung, Verunsicherung und Angst, die es Ihnen schwermachen, sich zu konzentrieren. Ihre Aufmerksamkeit wird mal hierhin, mal dorthin gezogen, und ohne die Norm der Rationalität, an der Sie Ihre Entscheidungen ausrichten, werden Sie niemals die Ziele erreichen, die Sie sich gesetzt haben. Sie können dies jedoch jederzeit ändern, indem Sie beschließen, Ihre innere Athene zu kultivieren. Sie werden daraufhin die Rationalität als höchsten Maßstab für Ihr Handeln schätzen lernen und sie zu Ihrem Leitfaden machen.

Ihre erste Aufgabe ist es, die Emotionen zu untersuchen, die ständig Ihre Gedanken und Entscheidungen untergraben. Sie müssen lernen, sich selbst die folgende Frage zu stellen: »Warum empfinde ich Wut oder Groll? Woher kommt mein Geltungsdrang?« Indem Sie diese Fragen für sich beantworten, verlieren Ihre Emotionen die Macht über Sie. Sie beginnen, sich eigene Gedanken zu machen, statt nur auf das zu reagieren, womit andere Sie konfrontieren.

Emotionen neigen dazu, unseren Blick einzuengen und uns dazu zu zwingen, uns auf nur ein oder zwei Ideen zu konzentrieren, die unseren unmittelbaren Wunsch nach Macht oder Aufmerksamkeit befriedigen; Ideen, die normalerweise nach hinten losgehen. Mit klarem Verstand können Sie ein großes Spektrum an Optionen und Lösungen erkennen. Sie überlegen länger, bevor Sie handeln und Ihre Strategien neu beurteilen. Sie hören die Stimme immer deutlicher. Wenn Ihre Mitmenschen Sie mit ihren endlosen Dramen und Problemen belästigen, werden Sie diese Ablenkung von sich weisen und Ihre Rationalität einsetzen, um über dieses Rauschen hinweg zu denken. Wie ein Sportler, der durch Krafttraining immer stärker wird, wird Ihr Geist immer flexibler und widerstandsfähiger. Mit ruhigem und klarem Verstand können Sie Antworten und kreative Lösungen finden, die sich sonst niemand vorstellen kann.

Wirklich, ich spalte mich geistig in zwei Teile und fürchte mich davor entsetzlich. Es ist, als ob ein Doppelgänger neben einem stünde; man ist selbst klug und verständig, aber der andere will durchaus neben einem irgendeinen sinnlosen Streich begehen, manchmal auch etwas sehr Lustiges, und auf einmal bemerkt man, dass man selbst derjenige ist, der diesen lustigen Streich begehen will, und weiß Gott, warum man es will, das heißt, man will es gewissermaßen ungern, man will es, obwohl man sich dagegen mit aller Kraft sträubt.

Fjodor Dostojewski, Der Jüngling

Schlüssel zur menschlichen Natur

Immer wenn etwas in unserem Leben schiefläuft, suchen wir automatisch nach einer Erklärung. Es wäre höchst verstörend und würde unseren Schmerz vergrößern, wenn wir keinen Grund dafür fänden, warum unsere Pläne scheitern oder warum unsere Ideen plötzlich auf Widerstand stoßen. Während wir nach einer Ursache suchen, neigt unser Geist jedoch dazu, immer auf dieselben Erklärungen zurückzugreifen: »Eine Person oder Gruppe hat mich sabotiert, weil sie mich nicht leiden kann«, »Übergeordnete Instanzen wie die Regierung oder soziale Normen haben mich daran gehindert«, »Ich habe einen schlechten Rat erhalten, oder mir wurden Informationen vorenthalten«. Und letzten Endes – wenn es hart auf hart kommt – war es eben Pech oder eine Verkettung unglücklicher Umstände.

Diese Erklärungen heben in der Regel unsere Hilflosigkeit hervor. »Was hätte ich anderes tun können? Wie hätte ich die intriganten Machenschaften von X vorhersehen können?« Sie sind außerdem sehr vage. Normalerweise können wir keine konkreten böswilligen Handlungen anderer Personen feststellen. Wir können sie höchstens vermuten oder uns vorstellen. Diese Erklärungen neigen dazu, Emotionen zu verstärken, in denen wir uns selbstmitleidig suhlen können, wie etwa Wut, Enttäuschung oder Trauer. In jedem Fall besteht unsere erste Reaktion darin, nach einem äußeren Grund zu suchen. Ja, wir sind vielleicht für das, was passiert ist, teilweise mitverantwortlich, aber es lag doch größtenteils an anderen Menschen und Gegenkräften, die unser Scheitern herbeigeführt haben. Diese Reaktion ist tief im menschlichen Tier verwurzelt. In der Antike waren es vielleicht Götter oder böse Geister, die wir für unser Scheitern verantwortlich machten. Heute geben wir ihnen andere Namen.