Die Gudrun Sage - Claudia Strachan - E-Book

Die Gudrun Sage E-Book

Claudia Strachan

0,0

Beschreibung

Eine der spannendsten Epen deutscher Heldendichtung neu erzählt. Gudrun, wunderschöne Tochter der eigenwilligen Hilde, ist von Freiern umringt, doch niemand ist ihrem Vater gut genug. Als Herwig von Seeland mit Krieg droht, um ihre Hand zu gewinnen, willigt sie ein, seine Frau zu werden. Damit stößt sie jedoch ihre anderen Freier vor den Kopf. Das Blutvergießen, das sie vermeiden wollte, findet nun doch statt. Die Gudrun-Sage wird neben dem Nibelungenlied als eines unserer größten deutschen Heldenepen betrachtet. Von der schönen Königstochter bis zu den tapferen Rittern hat die Geschichte alle Bestandteile einer historisch wertvollen Legende, doch wird hier zum ersten Mal dem mittelalterlichen Racheprinzip das Konzept der Versöhnung entgegengehalten. Die Neuerzählung macht die Geschichte nachvollziehbar und leicht lesbar - ein Lesevergnügen für alle, die sich für die Grundfesten unserer Kultur interessieren. Die Autorin lebt seit 1993 in England. 2009 veröffentlichte sie ihr erstes Buch, "Mrs Mahoney's Secret War", das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 358

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Claudia Strachan

Die Gudrun Sage

Neu erzählt

Claudia Strachan

Die Gudrun Sage

Neu erzählt

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-954185-76-4

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Per­so­nen­ver­zeich­nis

1. Ha­gen

2. He­tel

3. Horant

4. Hil­de

5. Her­wig

6. Hart­mut

7. Ger­lint

8. Hild­burg

9. Ort­win

10. Wate

11. Gu­drun

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

die Neu­er­schei­nun­gen aus dem Pro­gramm

Neu­ig­kei­ten über un­se­re Au­to­ren

Vi­deos, Lese- und Hör­pro­ben

at­trak­ti­ve Ge­winn­spie­le, Ak­tio­nen und vie­les mehr

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Ei­ne der span­nends­ten Epen deut­scher Hel­den­dich­tung neu er­zählt.

Gu­drun, wun­der­schö­ne Toch­ter der ei­gen­wil­li­gen Hil­de, ist von Frei­ern um­ringt, doch nie­mand ist ih­rem Va­ter gut ge­nug. Als Her­wig von See­land mit Krieg droht, um ihre Hand zu ge­win­nen, wil­ligt sie ein, sei­ne Frau zu wer­den. Da­mit stößt sie je­doch ihre an­de­ren Frei­er vor den Kopf. Das Blut­ver­gie­ßen, das sie ver­mei­den woll­te, fin­det nun doch statt.

Die Gu­drun-Sage wird ne­ben dem Ni­be­lun­gen­lied als ei­nes un­se­rer größ­ten deut­schen Hel­dene­pen be­trach­tet. Von der schö­nen Kö­nigs­toch­ter bis zu den tap­fe­ren Rit­tern hat die Ge­schich­te alle Be­stand­tei­le ei­ner his­to­risch wert­vol­len Le­gen­de, doch wird hier zum ers­ten Mal dem mit­tel­al­ter­li­chen Ra­che­prin­zip das Kon­zept der Ver­söh­nung ent­ge­gen­ge­hal­ten.

Die Neu­er­zäh­lung macht die Ge­schich­te nach­voll­zieh­bar und leicht les­bar -- ein Le­se­ver­gnü­gen für alle, die sich für die Grund­fes­ten un­se­rer Kul­tur in­ter­es­sie­ren.

Au­to­rin

Die Au­to­rin Clau­dia Stra­chan lebt seit 1993 in Eng­land. Sie ist Leh­re­rin für Deutsch und Fran­zö­sisch an ei­ner Ge­samt­schu­le in Sus­sex und be­müht sich nach Kräf­ten, ih­ren Schü­lerIn­nen die Lie­be zur deut­schen Spra­che zu ver­mit­teln.

2009 ver­öf­fent­lich­te sie ihr ers­tes Buch: »A Dif­fe­rent Kind of Cou­ra­ge« (Ti­tel der 2. Auf­la­ge: »Mrs Ma­ho­ney’s Se­cret War«), das in meh­re­re Spra­chen über­setzt wur­de. Es geht um die Erin­ne­run­gen ih­rer Freun­din Gre­tel Ma­ho­ney, die zu den »Stil­len Hel­den« ge­hört, von de­nen wir wis­sen soll­ten.

*

www.claudiastrachan.net

*

Personenverzeichnis

Ger­lint: Hart­muts Mut­ter, lebt in Or­ma­nie. Kann Gu­drun nicht lei­den, weil sie sie als hoch­mü­tig emp­fin­det.

Gu­drun: Toch­ter von Hil­de und He­tel, noch schö­ner als ihre Mut­ter. Kann es nicht er­tra­gen, dass ih­ret­we­gen Blut ver­gos­sen wird.

Ha­gen: Kö­nig von Ir­land, wohn­haft auf der Burg Bal­jan. Als Kind von ei­nem Grei­fen ent­führt wor­den und fast un­be­sieg­bar.

Hart­mut: Ge­kränk­ter Frei­er Gu­druns. Lebt in Or­ma­nie.

Her­wig: Ei­ner der zahl­lo­sen Frei­er Gu­druns. Kommt aus See­land.

He­tel: Gu­druns Va­ter. Lebt auf der Burg Ma­te­la­ne in He­ge­lin­gen. Holt Hil­de mit List zu sich.

Hild­bur­g: Ge­treue Die­ne­rin und Freun­din Gu­druns.

Hil­de: Toch­ter von Ha­gen, durch ihre Schön­heit be­rühmt, Mut­ter von Gu­drun. Ver­fällt dem zau­ber­haf­ten Ge­sang Horants und läuft den El­tern da­von, um He­tels Frau zu wer­den.

Horant: Ein un­glaub­lich be­gab­ter Min­ne­sän­ger, der treu un­ter He­tels Lehns­herr­schaft steht.

Lud­wig: Hart­muts Va­ter, Kö­nig von Or­ma­nie.

Or­trun: Hart­muts Schwes­ter. Die Ein­zi­ge, die Gu­drun wirk­lich ver­steht.

Ort­win: Gu­druns Bru­der, Sohn von Hil­de und He­tel.

Wa­te: Treu­er Ge­folgs­mann He­tels, den er der­einst auf­ge­zo­gen hat­te. Stark, kampf­lus­tig und grund­sätz­lich der Mei­nung, dass man je­des Pro­blem mit Ge­walt lö­sen kann.

1. Hagen

Als sie hör­te, dass ihr Va­ter er­neut einen ih­rer Frei­er ge­tö­tet hat­te, brach Hil­de in Trä­nen aus, raff­te ihr Ge­wand und stürm­te die Trep­pen hoch in ihre Ke­me­na­te. Hild­burg stob ihr nach, kaum in der Lage mit ihr Schritt zu hal­ten.

»Nun be­ru­hi­ge Dich doch, Hil­de! Ein Mäd­chen Dei­nes Stan­des rennt nicht! Hil­de!« Atem­los er­reich­te sie die Ke­me­na­te, in der sich Hil­de schluch­zend auf ihre Bett­statt warf. »Ich wer­de nie hei­ra­ten, nie, nie! Ich wer­de für im­mer und ewig in die­ser Burg sit­zen und spin­nen und sti­cken und auf die Gunst mei­nes Va­ters hof­fen, bei ei­nem Fest­ge­la­ge da­bei zu sein. Das war das drit­te Mal, dass ein Fürst um mei­ne Hand ge­kämpft hat, und was tut mein Va­ter? Er­schlägt sie alle, einen nach dem an­de­ren!«

Hil­de trom­mel­te mit den Fäus­ten auf die Kis­sen, un­fä­hig ih­ren Zorn zu zü­geln. Hild­burg setz­te sich ne­ben sie und hielt ihr die Arme fest. »Nun hör mal zu, mein Kind! Dein Va­ter will doch nur, dass Du den bes­ten und tap­fers­ten al­ler Krie­ger be­kommst, einen, der Dei­ner wert ist!« Hil­de grub ihr Ge­sicht in ein Kis­sen und mur­mel­te: »Das wird nie ge­sche­hen. Du siehst doch, dass nie­mand eine Chan­ce ge­gen ihn hat. Wie­so ist er über­haupt so un­be­sieg­bar? Es ist fast, als gin­ge es nicht mit rech­ten Din­gen zu!«

Hild­burg seufz­te. »Es wird Zeit, dass Du von sei­ner Ge­schich­te er­fährst. Dei­ne El­tern woll­ten Dich nicht ängs­ti­gen, da­her hat man es Dir bis­her nicht er­zählt.« Hil­de dreh­te sich mit ei­nem fra­gen­den Aus­druck auf dem Ge­sicht um. Hild­burg wisch­te ihr die Trä­nen in ei­ner müt­ter­li­chen Ges­te mit dem Zip­fel ih­res Un­ter­kit­tels ab. »Als Dein Va­ter noch klein war, etwa sie­ben Jah­re alt, ist er von ei­nem Greif ent­führt wor­den.« Hil­de setz­te sich auf, ih­ren Kum­mer ver­ges­send. »Was ist ein Greif?«, frag­te sie zwei­felnd.

»Ein Greif ist ein großer Raub­vo­gel. Manch­mal, wenn sie in Fut­ter­not sind, kom­men sie und ho­len sich un­se­re Kin­der. Das ge­sch­ah auch mit Dei­nem Va­ter. Es ge­sch­ah aus­ge­rech­net, als Dein Groß­va­ter Si­ge­bant das größ­te Fest fei­er­te, das man bis­her er­lebt hat­te. Ute, Dei­ne Groß­mut­ter, hat­te ihn dazu über­re­det, denn sie woll­te den Ruhm ih­res Man­nes als gu­ten, groß­zü­gi­gen Herr­scher fes­ti­gen. Sechs­un­dacht­zig­tau­send Gäs­te ka­men aus al­len Län­dern. Ute be­schenk­te die Frau­en und Mäd­chen mit Klei­dern und Bän­dern und Si­ge­bant ließ spek­ta­ku­lä­re Kämp­fe aus­fech­ten und ver­schenk­te sei­ne bes­ten Pfer­de. Das Fest war ein großer Er­folg. Es dau­er­te be­reits neun Tage, mit Un­ter­hal­tung von den bes­ten Spiel­män­nern des Lan­des, die alle er­denk­li­chen In­stru­men­te spiel­ten. Die be­kann­tes­ten Bar­den san­gen die Neu­ig­kei­ten von fern und nah. Auch Dein Va­ter woll­te na­tür­lich da­bei sein.

Er über­quer­te ge­ra­de den Bur­g­hof, an der Hand ei­ner Magd, um nach ei­nem Tur­nier zum Fest zu ge­hen. Als die Magd den Vo­gel her­ab­stür­zen sah, schrie sie und floh. Man hat sie spä­ter da­für aus­ge­peitscht, dass sie die Hand des Kin­des da­bei los­ge­las­sen hat. Wenn Du mich fragst, hat­te sie Glück, dass man ihr nicht den Kopf ab­ge­schla­gen hat. Ein Kind im Stich zu las­sen! Un­ver­zeih­lich! Na­tür­lich hat man das Fest so­fort ab­ge­bro­chen. Alle fuh­ren nach Hau­se zu­rück, ent­setzt über den schreck­li­chen Aus­gang ei­nes so herr­li­chen Fes­tes.« Hild­burg schüt­tel­te grim­mig den Kopf.

»Was ist pas­siert?«, frag­te Hil­de. »Of­fen­bar hat ihn der Greif nicht ge­fres­sen.« Hild­burg sah sie einen Au­gen­blick sin­nend an. »Er hat­te großes Glück. Der Greif flog mei­len­weit mit ihm übers Meer bis zu ei­ner klei­nen, ein­sa­men In­sel. Als er Dei­nen Va­ter sei­nen Jun­gen als Fut­ter ins Nest warf, strit­ten sie sich um ihn. Ei­ner von ih­nen flog mit ihm auf einen an­de­ren Baum, doch der Ast, auf dem er sich nie­der­ließ, brach. Der Vo­gel flog da­von, Dein Va­ter lan­de­te glück­li­cher­wei­se ohne Kno­chen­brü­che und dann lief er, was das Zeug hielt. Er hielt sich un­ter dem Schutz der Bäu­me und rann­te, bis er vor Er­schöp­fung nur noch stol­per­te. So fan­den wir ihn.«

»Wir?!« Hil­de trau­te ih­ren Ohren nicht. »Du hast ihn ge­fun­den?« Hild­burg nick­te. »Der Greif hat­te es sich zur Ge­wohn­heit ge­macht, Kin­der zu steh­len. Ei­ni­ge Jah­re zu­vor hat­te er auch mich und mei­ne Lei­dens­ge­fähr­tin­nen ge­holt und Gott weiß, wie vie­le un­glück­li­che an­de­re Kin­der. Man­che von ih­nen konn­ten ent­kom­men, so wie wir und Dein Va­ter. Wie es mir und mei­nen Ge­fähr­tin­nen ge­lun­gen ist, weiß ich nicht, denn ich war noch sehr klein. Al­les, wor­an ich mich er­in­nern kann, ist eine Höh­le, in der wir haus­ten. Wir er­nähr­ten uns von Wald­früch­ten, Wur­zeln, Pil­zen, Kräu­tern. Ich kann Dir heu­te noch sa­gen, wel­che wil­den Pflan­zen ess­bar sind und vor wel­chen Du Dich hü­ten musst.«

Hil­de saß in­zwi­schen auf­recht und starr­te Hild­burg un­gläu­big an, ih­ren Kum­mer ver­ges­send. Wa­rum hat­te man ihr nichts von all­dem er­zählt? Hild­burg log nicht, so viel war ihr klar -- Hild­burg log nie. Hät­te sie sich als Kind we­ni­ger un­be­fan­gen drau­ßen auf­ge­hal­ten, wenn sie von der Ge­schich­te ih­res Va­ters ge­wusst hät­te? Sie dach­te an die un­zäh­li­gen Male, an de­nen sie im Bur­g­hof und vor den To­ren her­um­ge­lau­fen war, Blu­men ge­pflückt, Pfer­de be­wun­dert, Tur­nier­kämp­fen zu­ge­se­hen und den Wä­sche­rin­nen beim Blei­chen zu­ge­schaut hat­te. Wie oft hat­te sie ver­sucht, sich den all­ge­gen­wär­ti­gen Mäg­den und Hild­burg zu ent­zie­hen, und wie oft hat­te sie be­klagt, dass sie nicht einen Au­gen­blick al­lein sein durf­te. Es schi­en plötz­lich Sinn zu ma­chen, dass sie ihre ge­sam­te Kind­heit über mit Ar­gus­au­gen be­ob­ach­tet wor­den war. »Und wie seid Ihr dann nach Bal­jan zu­rück­ge­kom­men?«

Hild­burg ant­wor­te­te nicht so­fort. Sie ließ ih­ren Blick ge­dan­ken­ver­lo­ren über die Wand­be­hän­ge schwei­fen. Hil­des Ke­me­na­te war wun­der­schön de­ko­riert, die Wand­tep­pi­che hat­ten die feins­ten Sti­cke­rei­en und mach­ten, dass es warm und ge­müt­lich aus­sah, selbst jetzt, als kein Feu­er im Ka­min brann­te. Ihre Au­gen blie­ben an dem rund­bo­gi­gen klei­nen Fens­ter hän­gen. Der Holz­la­den war zu­rück­ge­klappt und die dün­ne Schweins­bla­se, die zwar Licht her­ein­ließ, aber den Aus­blick blo­ckier­te, war auf­grund des wär­mer wer­den­den Wet­ters ab­ge­nom­men wor­den.

Hild­burgs schritt zum Fens­ter und schau­te auf die be­wal­de­ten Hü­gel, hin­ter de­nen ge­ra­de die Son­ne un­ter­ging. Die bei­na­he voll be­laub­ten Bäu­me er­strahl­ten in war­men Gold­tö­nen. Noch wa­ren die Näch­te kalt, doch tags­über war es schon warm ge­nug, um spa­zie­ren zu ge­hen. Als nun die Abend­däm­merung ein­setz­te, frös­tel­te Hild­burg und zog sich ih­ren Um­hang en­ger um die Schul­tern. Sie warf einen letz­ten Blick auf die Hü­gel und be­fes­tig­te die Schweins­bla­se so, dass der Wind nicht mehr hin­ein­blies.

»Wir hoff­ten, dass uns ein Schiff fand. Es kam aber keins. Un­ser Ei­land muss weit­ab der üb­li­chen Was­ser­we­ge ge­we­sen sein, denn wie oft wir uns auch auf zum Strand mach­ten, der Ho­ri­zont blieb leer. Ei­nes Ta­ges sa­hen wir dann doch Schif­fe, Kreuz­fah­rer­schif­fe, aber sie wa­ren in See­not. Es muss wohl ein See­be­ben ge­we­sen sein oder so et­was. Die Schif­fe zer­bars­ten an den Fel­sen und die See spül­te ei­ni­ge der To­ten an den Strand. Wir konn­ten es nicht fas­sen. Wir wa­ren so nah dar­an ge­we­sen, zu ent­kom­men, und nun la­gen dort nur Tote am Strand und die Schif­fe wa­ren zer­stört. Dein Va­ter rann­te so­fort los und sucht nach Vor­rä­ten, die viel­leicht an Land ge­spült wur­den. Wäh­rend er den Strand durch­kämm­te, kam plötz­lich ei­ner der Grei­fen wie aus dem Nichts. Er stürz­te her­ab und hol­te sich einen To­ten. Als er zu­rück­kam, hat­te er noch mehr Grei­fen mit­ge­bracht -- sei­ne Jun­gen, die in­zwi­schen her­an­ge­wach­sen wa­ren. Sie hol­ten einen To­ten nach dem an­de­ren. Wir Mäd­chen hiel­ten uns im Schat­ten der Bäu­me ver­bor­gen und be­ob­ach­te­ten al­les vol­ler Ent­set­zen. Als die Grei­fen mit den Lei­chen ab­ho­ben, schri­en wir Dei­nem Va­ter zu, er soll­te schnell zu­rück­kom­men, aber er gab nicht auf, ob­wohl er gar kei­ne Vor­rä­te fin­den konn­te. Schließ­lich kam er zur Ver­nunft.

Be­vor er al­ler­dings zu­rück­kehr­te, zö­ger­te er bei dem letz­ten der to­ten Kreuz­fah­rer. Die­ser hat­te eine Rüs­tung an, mit Ket­ten­hemd, Brust­schild, ei­nem Schwert und Pfeil und Bo­gen. Na­tür­lich hat­te Ha­gen sich als Jun­ge auf der Burg im Kampf ge­übt, da­her er­kann­te er schnell, dass er mit Rüs­tung und Waf­fen bes­se­re Über­le­benschan­cen ha­ben wür­de. Er zog dem Rit­ter die Rüs­tung aus und leg­te sie sich an. Er hat­te ge­ra­de das Ket­ten­hemd über­ge­streift, als ei­ner der Grei­fen zu­rück­kam. Schnell leg­te er das Brust­schild an und nahm Pfeil und Bo­gen, um sich zu ver­tei­di­gen. Er schoss gut, wenn man be­denkt, dass er seit Jah­ren schon kei­ne Übung mehr hat­te. Sei­ne Pfei­le prall­ten je­doch ein­fach an dem Grei­fen ab, es war un­glaub­lich. Wir Mäd­chen schri­en wie am Spieß; wir wa­ren uns si­cher, dass wir Ha­gen nicht le­bend wie­der se­hen wür­den.

Als Dein Va­ter merk­te, dass er mit Pfeil und Bo­gen nichts aus­rich­ten konn­te, sah er sich nach dem Schutz der Bäu­me um. Sie wa­ren aber zu weit ent­fernt und der Greif, in­zwi­schen au­ßer sich vor Wut, kam in Win­desei­le nä­her. Da zück­te Ha­gen das Schwert und hieb auf den sich her­ab­stür­zen­den Vo­gel ein. Er er­wi­sch­te ihn am Flü­gel und an ei­nem Bein, was ihn be­we­gungs­un­fä­hig mach­te. So konn­te er ihm den To­dess­toß ver­set­zen. Ich wer­de in mei­nem gan­zen Le­ben nicht das Bild ver­ges­sen, das sich uns bot.«

Hild­burg schüt­tel­te sich. »Wie durch ein Wun­der ge­lang es ihm, die bei­den an­de­ren Grei­fen eben­falls zu tö­ten, als sie dazu ka­men. Von dem Tag an hat­ten wir die Grei­fen nicht mehr zu be­fürch­ten. Was für ein Un­ter­schied! Wir hat­ten ja in stän­di­ger Furcht ge­lebt. Statt­des­sen hat­ten wir von nun an Fleisch und Fisch zu es­sen. Ha­gen hat­te die Pfei­le aus den Grei­fen ge­zo­gen und schnitz­te noch mehr. Er fisch­te und jag­te und brach­te al­les zu­rück zur Fel­sen­höh­le, wo wir Mäd­chen es zu­be­rei­te­ten so gut wir konn­ten.«

Hil­de hat­te wie ge­bannt Hild­burgs Ge­schich­te ge­lauscht. »Das er­klärt aber nicht, warum Va­ter im Kampf un­be­sieg­bar zu sein scheint und ich für im­mer und ewig als Jung­frau auf Bal­jan ver­sau­ern muss.«

Hild­burg lach­te. »Du wirst be­stimmt nicht als Jung­frau auf Bal­jan ver­sau­ern. Du bist die Toch­ter des Kö­nigs von Ir­land und noch dazu das schöns­te Mäd­chen, von dem die Bar­den bis in wei­te Fer­ne sin­gen. Was meinst Du, warum so vie­le Frei­er um Dei­ne Hand kämp­fen? Frei­er aus Län­dern, von de­nen wir noch nicht ein­mal ge­hört ha­ben? Weil die zie­hen­den Sän­ger nicht auf­hö­ren kön­nen, von Dei­ner Schön­heit zu sin­gen.«

»Du schmei­chelst mir, Hild­burg. Ich möch­te wis­sen, warum mein Va­ter so stark im Kampf ist, dass kei­ner ge­gen ihn an­kommt. Ist es, weil er sich vom Ja­gen er­näh­ren muss­te und da­durch flink und ziel­si­cher wur­de, dass ihm nie­mand das Was­ser rei­chen kann?«

An­stel­le ei­ner Ant­wort er­zähl­te Hild­burg ein­fach wei­ter. »Ei­nes Ta­ges er­leg­te Dein Va­ter ein Tier, das ihn an­griff. Nie­mand von uns hat­te je ein sol­ches Un­ge­tüm ge­se­hen. Vie­le sa­gen noch heu­te, es kann nur ein Dra­chen ge­we­sen sein. Wie Ha­gen es ge­schafft hat, ihn zu tö­ten, kann ich Dir nicht sa­gen. Gott selbst muss ihm da­bei ge­hol­fen ha­ben. Er hat­te da­bei je­den­falls eine lan­ge Zeit im Wald ver­bracht und hat­te einen sol­chen Durst nach die­ser Jagd, dass er aus Was­ser­man­gel nicht lan­ge über­leg­te und das Blut des Un­tiers trank. Das muss ir­gen­det­was in ihm aus­ge­löst ha­ben. Wenn Du mich fragst, war es tat­säch­lich ein Dra­chen, und Dein Va­ter hat da­durch sei­ne un­be­sieg­ba­re Kraft er­hal­ten.«

»Das sind doch Kin­der­mär­chen!«, sag­te Hil­de kopf­schüt­telnd. »Er hat sich be­stimmt un­schlag­bar ge­fühlt, weil er zu­erst von dem Tier an­ge­grif­fen wur­de und es dann ge­tö­tet hat. Das muss ihm so viel Selbst­ver­trau­en ge­ge­ben ha­ben, dass er von da an glaub­te, un­be­sieg­bar zu sein.«

Hild­burg sah sie einen Au­gen­blick sin­nend an und räum­te dann ein, dass sie recht ha­ben könn­te. »Dei­ne Schön­heit steht Dei­nem kla­ren Kopf nicht im Wege«, mein­te sie und strich Hil­de lie­be­voll übers Haar. In die­sem Mo­ment öff­ne­te sich die Tür zu Hil­des Ke­me­na­te und ihre Mut­ter trat ein, ge­folgt von ei­ner Magd. »Was höre ich, mein Kind? Wa­rum hast Du Dich zu­rück­ge­zo­gen? Wirst Du nicht den Sieg Dei­nes Va­ters mit uns fei­ern?«

Hil­de sah Hild­burg an und senk­te den Kopf. Hild­burg stand vom Bett auf und ging auf Hil­des Mut­ter zu. »Sie fürch­tet, dass sie nie einen Ge­mahl be­kom­men wird, da Ha­gen alle Frei­er im Kampf be­siegt und tö­tet. Als sie mich frag­te, warum er so un­be­sieg­bar sei, fühl­te ich mich ge­zwun­gen, ihr Ha­gens Ge­schich­te zu er­zäh­len.«

Hil­des Mut­ter nick­te. Es war durch­aus an der Zeit, dass ihre Toch­ter da­von er­fuhr. Sie hat­te eine un­be­schwer­te Kind­heit er­lebt, ohne die ge­rings­te Ah­nung, wel­che Ge­fah­ren ihr auch au­ßer­halb der Krie­ge und Raub­zü­ge droh­ten. Sie be­trach­te­te Hil­de mit Stolz. Sie war schön, ihre Toch­ter. Sie hat­te die eben­mä­ßi­gen Ge­sichts­zü­ge, die ho­hen Wan­gen­kno­chen mit den man­del­för­mi­gen Au­gen und das so un­ge­wöhn­li­che, fast blauschwar­ze Haar ih­rer Mut­ter ge­erbt. Kein Wun­der, dass Ha­gen kei­ner ih­rer Frei­er gut ge­nug er­schi­en, sie zur Braut zu neh­men. Lang­sam nä­her­te sie sich und setz­te sich auf Hil­des Bett, wo ge­ra­de zu­vor Hild­burg ge­ses­sen hat­te.

»Glaubst Du, dass Va­ters Kraft von dem Dra­chen­blut kommt?«, frag­te Hil­de. Ihre Mut­ter lä­chel­te. »Ich glau­be, ja. Als er wie­der­kam, war er völ­lig ver­än­dert. Er brach­te uns Fleisch von dem Tier mit, aber wir ekel­ten uns da­vor, es roh zu es­sen. Da sprang er auf und sag­te, dass er ver­su­chen wür­de, ein Feu­er zu ma­chen. Er such­te sich ver­schie­de­ne Stei­ne und schlug sie ge­gen den Fel­sen der Höh­le, bis er einen fand, der Fun­ken sprüh­te. Als er das sah, such­te er schnell tro­ckenes Gras und ein paar Zwei­ge, schlug den Stein er­neut an den Fel­sen und im Nu hat­ten wir ein Feu­er. Wir brie­ten das Fleisch und hat­ten von dem Tag an war­mes Es­sen, was wir seit Jah­ren ver­miss­ten.«

»Mo­ment, Mo­ment«, rief Hil­de. »Wir? Du warst doch nicht etwa auch da­bei?« Ihre Mut­ter schau­te auf Hild­burg, die die Ach­seln zuck­te und sag­te: »Ich war ja noch nicht fer­tig mit dem Er­zäh­len.« Sie nahm Hild­burgs Hand und zog sie ne­ben sich aufs Bett. »Wir sind zwei der drei Mäd­chen in der Höh­le. Ich den­ke, in dem Mo­ment, als Ha­gen den Dra­chen er­schlug, ist er zum Mann ge­wor­den, und als sol­chen habe ich ihn von da an ge­se­hen. Er sah gut aus, er war groß und kräf­tig und selbst­si­cher, jag­te und fisch­te, und wä­ren wir nicht so al­lei­ne auf der In­sel ge­we­sen, wä­ren wir sehr glück­lich ge­we­sen.«

Hil­de schwieg be­ein­druckt. Die Ge­schich­te ih­rer El­tern hör­te sich un­glaub­lich ro­man­tisch an. »Wie seid Ihr denn zu­rück nach Bal­jan ge­kom­men?« Hil­des Mut­ter ant­wor­te­te nicht gleich, statt­des­sen schlug sie ihr einen Han­del vor: »Wenn Du wie­der her­un­ter an die Ta­fel kommst, wer­den wir Dir er­zäh­len, wie wir ent­kom­men sind. Komm her, lass mich Dei­ne Haa­re käm­men und Dein Ge­wand her­rich­ten. Du siehst aus, als seist Du selbst im Kampf ge­we­sen.«

Be­reit­wil­lig ließ Hil­de sich zu­recht­ma­chen. Hild­burg nahm einen schön ver­zier­ten Hirsch­horn­kamm und fuhr da­mit durch Hil­des lan­ge schwar­ze Haa­re, bis sie glänz­ten. Sie flocht die vor­de­ren Sträh­nen mit ro­ten Bän­dern zu Zöp­fen und setz­te einen Stirn­reif auf Hil­des Kopf. Da­nach such­te sie einen hüb­schen Arm­rei­fen aus Hil­des Schmuck­käst­chen aus. Sie zupf­te noch den per­len­be­stick­ten Ober­kit­tel zu­recht, be­vor sie zu­frie­den nick­te. »So ge­ziemt es sich für die Toch­ter des Kö­nigs von Ir­land. Nun lass uns ge­hen.«

Hil­de folg­te ih­rer Mut­ter und Hild­burg die enge Trep­pe hin­un­ter zur Hal­le. Dort sa­ßen die Män­ner an der Wand­sei­te ei­nes lan­gen Ti­sches, der mit ei­ner bo­den­lan­gen Tisch­de­cke fest­lich ge­schmückt war. Man konn­te Ha­gen so­fort an sei­ner er­heb­lich hö­he­ren Stuhl­leh­ne er­ken­nen. Zu­dem hat­te er einen edel­stein­be­setz­ten gol­de­nen Reif auf dem Kopf und sei­ne Klei­dung war we­sent­lich far­ben­fro­her als die sei­ner Fürs­ten und Rit­ter. Hil­de spür­te eine Mi­schung von Re­spekt und Zu­nei­gung, als sie ih­ren Va­ter da­bei be­ob­ach­te­te, wie er ge­ra­de sei­nem Ehren­gast zu­trank.

Die At­mo­sphä­re war laut und fröh­lich. Ein Me­ne­strel strich ge­ra­de eine mun­te­re Wei­se auf sei­ner Fie­del, wäh­rend ein Vor­tän­zer zu sei­ner Mu­sik durch die Hal­le tanz­te. Als er die Kö­ni­gin, Hild­burg und Hil­de ein­tre­ten sah, ver­beug­te er sich ohne sei­nen Tanz zu un­ter­bre­chen und wies sie ga­lant an den Tisch. Wäh­rend die Frau­en Platz nah­men, kam eine un­auf­hör­li­che Ket­te Be­diens­te­ter zum Tisch, um den Gäs­ten die leckers­ten Ge­rich­te an­zu­bie­ten.

Der ers­te Gang war be­reits vor­über, denn ge­ra­de ka­men zwei Mäg­de mit sil­ber­nen Be­cken und ei­ner Kan­ne Was­ser, so­dass sich die Gäs­te die Hän­de wa­schen konn­ten. Ein Rit­ter, der ne­ben Hil­de saß, trock­ne­te sich die Hän­de am Tisch­tuch ab, wisch­te sich da­mit über den Mund und lä­chel­te sie freund­lich an. »Welch eine Ehre, Euch als Tischnach­ba­rin be­grü­ßen zu dür­fen.«

Hil­de senk­te sitt­sam den Kopf. »Die Ehre ge­bührt mir. Habt Ihr dem Kampf zu­ge­se­hen?« Der Rit­ter nick­te und hob sei­nen Be­cher, wo­bei er auf Ha­gen sah. »Der Stär­ke­re hat ge­won­nen, und so soll es auch sein.« Hil­de seufz­te, nahm den Be­cher, der vor ihr stand, und deu­te­te ei­nem Die­ner an, ihn zu fül­len. Er kam so­fort zu ihr her­über und bot ihr aus zwei Rin­der­hör­nern Obst­wein und Met an. Hil­de ent­schied sich für den Obst­wein, hob ih­ren Be­cher dem Rit­ter zu und trank ihn bei­na­he leer. Ein sanf­ter Stoß von Hild­burgs El­len­bo­gen brach­te sie dazu, den Be­cher ab­zu­set­zen. Der Rit­ter fing ih­ren em­pör­ten Blick auf und lach­te.

Die Mu­sik hör­te auf, als eine lan­ge Rei­he Be­diens­te­ter mit wei­te­ren Spei­sen zur Ta­fel trat. Man konn­te zwi­schen Hecht­sup­pe, Würs­ten, Pö­kel­fleisch und Ko­te­letts wäh­len. Hil­de nahm et­was Pö­kel­fleisch und leg­te es auf ihre Brot­schei­be. Sie war froh, mit Hild­burg ihre Por­ti­on zu tei­len und nicht mit dem Rit­ter, der sich für die Sup­pe ent­schie­den hat­te und sie laut schlür­fend löf­fel­te. Sie neig­te ih­ren Kopf Hild­burg zu und raun­te: »Wie ging es wei­ter? Er­zähl mir, wie Ihr von der In­sel ent­kom­men seid!«

Hild­burg tunk­te ihr Fleisch in eine Schüs­sel mit Soße, steck­te es genüss­lich in den Mund und ließ Hil­de erst ein­mal war­ten. »Du soll­test Dei­ne Mut­ter fra­gen«, sag­te sie schließ­lich. Hil­de schüt­tel­te trot­zig den Kopf. »Sie hat ge­sagt, dass ich die Ge­schich­te wei­ter hö­ren darf, wenn ich zum Ban­kett gehe, und das habe ich.« Hild­burg nahm sich noch et­was Fleisch und gab nach.

»Wir gin­gen wie­der an den Strand, um nach Schif­fen Aus­schau zu hal­ten. Es war ein lan­ger Weg, doch da wir die Grei­fen nicht mehr zu be­fürch­ten hat­ten und Ha­gen so­gar einen Dra­chen be­siegt hat­te ...«

»Wenn es denn wirk­lich ein Dra­chen war«, warf Hil­de ein, wor­auf sie einen ta­deln­den Blick von Hild­burg er­hielt. Un­ge­rührt fuhr sie fort: »... und Ha­gen so­gar einen Dra­chen be­siegt hat­te, fühl­ten wir uns we­sent­lich si­che­rer und trau­ten uns, am of­fe­nen Strand das Meer ab­zu­su­chen. Mit ei­nem Mal sa­hen wir tat­säch­lich ein Schiff -- Du kannst Dir nicht vor­stel­len, wie wir ge­ju­belt und ge­ru­fen ha­ben, die Arme ge­schwenkt, gehüpft und ge­sprun­gen sind wir!«

»Und dann ha­ben sie Euch an Bord ge­nom­men und nach Bal­jan ge­bracht«, sag­te Hil­de zu­frie­den. Hild­burg schüt­tel­te je­doch den Kopf. »So ein­fach war es nicht. Du darfst nicht ver­ges­sen, dass wir vie­le Som­mer wie Wil­de ge­lebt ha­ben. Wir hat­ten ja nicht ein­mal Klei­der.« Hil­de schnapp­te nach Luft. »Du willst doch nicht etwa sa­gen, dass Ihr ... Ich mei­ne, Ihr wart doch nicht nackt?«

»Wir hat­ten uns aus Gras, Rin­den­strei­fen und Moos so gut wie es ging Klei­der zu­sam­men ge­floch­ten. Es war bes­ser als gar nichts, muss aber der­ma­ßen merk­wür­dig aus­ge­se­hen ha­ben, als das frem­de Schiff uns dort am Strand sah, dass sie dach­ten, wir wä­ren Ni­xen.« Hild­burg warf Hil­de einen ver­schwö­re­ri­schen Blick zu und sie muss­ten bei­de la­chen. »Ha­gen fleh­te sie an, uns mit­zu­neh­men, und we­del­te ih­nen sein gol­de­nes Kreuz ent­ge­gen, das er seit sei­ner Ge­burt an ei­ner Ket­te um den Hals trug. Das hat sie dann wohl über­zeugt, dass wir gute Chris­ten­menschen wa­ren. Sie spran­gen zu zwölft in ein Boot, ru­der­ten an den Strand und lu­den uns auf ihr Schiff. Das ers­te, was sie ta­ten, war, uns rich­ti­ge Klei­der zu ge­ben, al­ler­dings wa­ren es Män­ner­klei­der.«

»Und wer wa­ren die See­leu­te?« »Es war der Graf von Ga­ra­die. Er kam ge­ra­de von ei­ner Pil­ger­fahrt zu­rück und zu­erst mach­te er auch einen gu­ten Ein­druck auf uns. Er gab uns zu es­sen und ließ uns auf dem Schiff über­nach­ten. Als er je­doch un­se­re Ge­schich­te hör­te, setz­te er sich in den Kopf, Ha­gen als Gei­sel zu be­hal­ten. Es stell­te sich her­aus, dass Si­ge­bant ge­gen den Gra­fen ge­kämpft und ge­won­nen hat­te. Ga­ra­die hat­te große Ver­lus­te er­lit­ten und sah nun sei­ne Chan­ce, sich an Si­ge­bant zu rä­chen. Er wies sei­ne Män­ner an, Ha­gen zu ent­waff­nen und ihn fest­zu­hal­ten. Mich und mei­ne Ge­fähr­tin­nen woll­te er an sei­nen Hof als Ge­sin­de ho­len, wor­auf­hin Ha­gen un­glaub­lich zor­nig wur­de. Er schrie den Gra­fen an, nie­mand neh­me ihn je wie­der ge­fan­gen. Schließ­lich sei es ja nicht sei­ne Schuld, dass die Krie­ger des Gra­fen ge­tö­tet wur­den, er habe ge­nug er­lit­ten, er wol­le nur nach Hau­se auf die Burg Bal­jan. Wenn der Graf ihn dort­hin bräch­te, wür­de er ihn reich­hal­tig be­loh­nen.

Graf von Ga­ra­die hör­te aber gar nicht zu. ›Er­greift ihn!‹, schrie er sei­nen Leu­ten zu, aber die hat­ten nicht mit Ha­gens Kraft und Ge­schick­lich­keit ge­rech­net. An­statt von ih­nen ge­fan­gen ge­nom­men zu wer­den, brüll­te er los und warf sie einen nach dem an­de­ren über Bord. Die See­leu­te hat­ten in ih­rem gan­zen Le­ben nie­man­den so kämp­fen se­hen. Die ver­blie­be­nen Män­ner wi­chen zu­rück und Ha­gen woll­te sich ge­ra­de auf den Gra­fen sel­ber stür­zen, als wir Mäd­chen ihn zu­rück­hiel­ten und ihm be­greif­lich mach­ten, dass er ge­won­nen hat­te. Er sah sich um, merk­te, dass nie­mand mehr ge­gen ihn stand und rief: ›Auf nach Bal­jan!‹ Die Män­ner gin­gen so­fort an ihre Plät­ze und nah­men Kurs auf Ir­land.«

Hil­de lausch­te wie ge­bannt. Sie sah zu ih­rem Va­ter hin­über, der sich ge­ra­de la­chend auf die Schen­kel klopf­te und gut ge­launt den Hun­den einen Kno­chen mit reich­hal­ti­gen Fleischres­ten zu­warf. Sie ver­such­te, sich vor­zu­stel­len, wie Ha­gen als jun­ger Mann aus­ge­se­hen ha­ben moch­te. Geis­tes­ab­we­send schau­te sie zu, wie ei­ner der Die­ner die Ker­zen auf dem großen höl­zer­nen Rad, das von der ge­wölb­ten De­cke her­ab­hing, an­steck­te. Der Me­ne­strel be­gann, wie­der zu spie­len, dies­mal sang er dazu. Hil­de hör­te nor­ma­ler­wei­se gern zu, denn die Lie­der han­del­ten zu­meist von dem, was sich an­dern­orts al­les zu­ge­tra­gen hat­te. So war man stets mit Neu­ig­kei­ten aus dem ei­ge­nen Land und auch aus fer­nen Ge­gen­den ver­sorgt und hat­te wo­chen­lang Ge­sprächss­toff beim Spin­nen. Hild­burg lausch­te vol­ler In­ter­es­se, doch Hil­de sann im­mer noch dar­über nach, was ih­ren El­tern zu­ge­sto­ßen war.

Die Mäg­de ka­men wie­der mit Wasch­schüs­seln, und schließ­lich war das Lied des Me­ne­strels zu Ende. Ha­gen klatsch­te Bei­fall und alle fie­len ein. Der Me­ne­strel ver­beug­te sich und trat zu­rück, als das Ge­sin­de den nächs­ten Gang auf­trug. Hil­de, die ge­dul­dig auf die­sen Mo­ment ge­war­tet hat­te, wand­te sich Hild­burg zu. »Wie ging es wei­ter?«

Hild­burg lud sich und Hil­de ei­ni­ge von den an­ge­bo­te­nen Pas­tinak­wur­zeln und eine groß­zü­gi­ge Por­ti­on Reb­huhn auf ihr Brot, be­vor sie ant­wor­te­te. »Die Fahrt nach Ir­land dau­er­te sieb­zehn Tage, be­vor wir an der Küs­te die ver­trau­ten Tür­me ei­ner Burg se­hen konn­ten. Bei die­sem An­blick raff­te die Be­sat­zung das Rah­se­gel und hol­te die Ru­der ein. ›Wei­ter kön­nen wir nicht. Si­ge­bant wird uns er­schla­gen, so­bald er uns aus­fin­dig macht‹, sag­ten sie. Ha­gen ver­stand so­fort und über­leg­te, wie er nun nach Bal­jan kom­men wür­de. Nach ei­nem Mo­ment des Nach­den­kens hat­te er eine Idee. Er bot den See­leu­ten an, sie reich­lich zu be­loh­nen, wenn sie an Land ru­der­ten und Si­ge­bant, sei­nem Va­ter, eine Nach­richt über­bräch­ten. Sein Sohn, den ein Greif vor lan­ger Zeit ent­führt hat­te, sei zu­rück­ge­kehrt mit dem Schiff, das er am Ho­ri­zont er­bli­cken kön­ne. Da Ha­gen wuss­te, dass sein Va­ter sehr miss­trau­isch sein wür­de, füg­te er hin­zu, er sol­le sei­ne Ge­mah­lin fra­gen, ob sie ih­ren Sohn an dem gol­de­nen Kreuz er­ken­nen wür­de, das sie ihm als In­fant um den Hals ge­legt hat­te.

Ge­sagt, ge­tan. Zwölf mu­ti­ge Män­ner ru­der­ten an Land, um dem Kö­nig die Nach­richt zu über­brin­gen. Si­ge­bant rea­gier­te zu­nächst mit glü­hen­dem Zorn, als die Pil­ger am Burg­tor um Ein­lass ba­ten. Wie sie es wa­gen könn­ten, sein Land er­neut zu be­tre­ten, ob sie ihr Le­ben nicht schätz­ten. Die Män­ner ant­wor­te­ten mit der ih­nen auf­ge­tra­ge­nen Nach­richt. Si­ge­bant glaub­te na­tür­lich kein Wort. ›Ihr lügt! Mein Sohn ist lan­ge tot. Habe ich nicht ge­nug Kum­mer da­durch? Muss ich auch noch von ei­nem Frem­den zum Nar­ren ge­macht wer­den?‹ Da­rauf­hin ga­ben Ga­ra­dies Män­ner die zwei­te Bot­schaft wei­ter, ob sich sei­ne Ge­mah­lin Ute an ein gol­de­nes Kreuz er­in­ne­re, das sie ih­rem Kind um­ge­legt habe. Si­ge­bant brumm­te et­was in sei­nen Bart, ließ aber nach sei­ner Frau ru­fen, denn wel­cher Va­ter hät­te nicht auch jede Ge­le­gen­heit ge­nutzt, sein tot ge­glaub­tes Kind wie­der zu se­hen?«

»Und?«, frag­te Hil­de. Sie hat­te kei­nen Bis­sen von dem Es­sen an­ge­rührt. »Was hat Groß­mut­ter Ute ge­sagt?« Hild­burg kau­te genüss­lich an ei­nem Stück Reb­huhn und leck­te sich ein­zeln die Fin­ger ab. »Ute wur­de bleich, als sie hör­te, dass Ha­gen noch am Le­ben sein könn­te. Na­tür­lich kön­ne sie sich an das gol­de­ne Kreuz er­in­nern. Sie wür­de es zwi­schen Hun­der­ten er­ken­nen. ›Lass die Pfer­de ho­len, wir rei­ten so­fort zum Stran­d‹, bat sie auf­ge­regt. Wäh­rend die Pfer­de ge­holt wur­den, nahm ei­ner der Pil­ger sie bei­sei­te. ›Ver­zeiht mir, edle Frau, wenn ich eine Bit­te an­schlie­ße. Euer Sohn hat mit drei Mai­den ge­lebt, die kei­ne Klei­dung ha­ben. Er wird Euch al­les er­zäh­len kön­nen. Bis da­hin wäre es ziem­lich, wenn Ihr so freund­lich sein könn­tet und den Drei­en et­was zum An­zie­hen mit­brin­gen könn­tet.‹ Ute muss sich wohl sehr ge­wun­dert ha­ben, aber sie tat, worum der Pil­ger sie ge­be­ten hat­te. Sie wies ihre Magd an, schnell drei Frau­en­kit­tel und Klap­pen­rö­cke aus ih­rer ei­ge­nen Tru­he zu ho­len und im Nu rit­ten der Kö­nig, die Kö­ni­gin und ihr Ge­fol­ge zum Meer.

Als sie dort an­ka­men, stand Ha­gen be­reits mit Ga­ra­dies rest­li­chen Män­nern am Strand und war­te­te. Das Kö­nigs­ge­fol­ge war na­tür­lich so ge­spannt, ob es wirk­lich der ver­schwun­de­ne Jun­ge sein soll­te, dass ein großes Ge­drän­ge ent­stand. ›Seid Ihr der Held, der be­haup­tet mein Sohn zu sein?‹, rief Si­ge­bant Ha­gen ent­ge­gen. Der ver­neig­te sich tief. Be­vor er et­was sa­gen konn­te, wies Ute in ih­rer ru­hi­gen, be­stimm­ten Art das Ge­fol­ge an, ihr Platz zu ma­chen. Alle wi­chen aus­ein­an­der, so­dass eine Gas­se ent­stand. Ute schritt auf­recht und wür­de­voll auf Ha­gen zu, der sich auch vor ihr tief ver­neig­te. Sie schau­te ihn prü­fend an und war­te­te, bis er sich auf­rich­te­te. Dann streck­te sie ihre Hand aus, um das gol­de­ne Kreuz um sei­nen Hals zu un­ter­su­chen. Al­les Ge­fol­ge hielt den Atem an, so­gar Kö­nig Si­ge­bant. Da roll­ten plötz­lich Trä­nen über Utes Ge­sicht. Sie sag­te nur ›Mein Sohn!‹ und schloss Ha­gen in die Arme. Den Ju­bel, der dar­auf­hin aus­brach, konn­te man bis an die Gren­zen des Rei­ches hö­ren. Es war das ein­zi­ge Mal, dass man Si­ge­bant hat wei­nen se­hen, als auch er Ha­gen um­arm­te.

Man ließ das Boot zu­rück zum Schiff ru­dern und rich­te­te den Pil­gern aus, dass sie nä­her kom­men und vor An­ker ge­hen konn­ten. Da­bei gab man uns auch die Klei­der der Kö­ni­gin. Wir konn­ten uns gar nicht wie­der be­ru­hi­gen, als wir die schö­nen, ed­len Stof­fe sa­hen. Wir klei­de­ten uns an und mach­ten uns zu­recht und wur­den dann eben­falls an Land ge­ru­dert, um mit dem gan­zen Ge­fol­ge zur Burg Bal­jan zu rei­ten.

Dort wur­de ein rie­si­ges Fest vor­be­rei­tet. Ha­gen sprach sich in­zwi­schen bei Si­ge­bant für die Pil­ger des Gra­fen Ga­ra­die aus und Si­ge­bant ließ sie so groß­zü­gig be­loh­nen, dass sie mehr da­von tru­gen, als sie ur­sprüng­lich im Krieg ver­lo­ren hat­ten. Da­nach ha­ben sie nie wie­der Krieg ge­gen­ein­an­der ge­führt. Aber Du isst ja gar nichts, Kind!«

Hil­de schüt­tel­te un­wil­lig den Kopf. Sie woll­te wei­ter zu­hö­ren, doch in die­sem Mo­ment trat ein fah­ren­der Gauk­ler ein, um die Gäs­te zu un­ter­hal­ten. Ent­nervt schau­te sie zu, wie er sich vor­stell­te und so­gleich an­fing, in ei­ner bi­zar­ren Be­we­gungs­fol­ge durch die Hal­le zu zie­hen. Sei­ne Arm- und Bein­be­we­gun­gen wa­ren so un­ge­wöhn­lich, dass man den Ein­druck ge­wann, er habe kei­ne Kno­chen im Leib. Die Ge­sprä­che rings­um ver­stumm­ten, man konn­te le­dig­lich das ein oder an­de­re »Oh!« ver­neh­men oder das zi­schen­de Geräusch, wenn je­mand die Luft an­hielt, als der Gauk­ler rück­wärts auf sei­ne Hän­de sprang und von da aus wie­der auf die Füße; Hän­de, Füße, Hän­de, in im­mer schnel­ler­er Ab­fol­ge. Als er sich mehr­mals über­schlug und da­bei je­des Mal wie­der auf den Bei­nen lan­de­te, rie­fen die Ta­fel­gäs­te wohl­wol­len­de Be­mer­kun­gen und klatsch­ten vor Be­wun­de­rung. Selbst Hil­de war für den Mo­ment ab­ge­lenkt, doch so­bald die akro­ba­ti­schen Kunst­stücke fer­tig wa­ren und der Gauk­ler an­kün­dig­te, dass er be­reit sei, für eine Mün­ze auch Träu­me zu deu­ten, wand­te sie sich wie­der an Hild­burg.

»Du lässt mir ja kaum Zeit, das Fest­mahl zu ge­nie­ßen«, be­schwer­te sich Hild­burg. »War­te bis mor­gen, dann er­zäh­le ich Dir beim Spin­nen oder beim Sti­cken wei­ter. Un­ter­hal­te Dich doch mit dem Rit­ter ne­ben Dir -- er sieht schon ganz ent­täuscht aus, dass Du kein Wort mit ihm sprichst, da­bei hat er sich be­stimmt über die Ehre ge­freut, ne­ben Dir sit­zen zu dür­fen.«

Hil­de warf einen kur­z­en Sei­ten­blick auf den Rit­ter, der sie hoff­nungs­voll an­lä­chel­te. Sie lä­chel­te freund­lich zu­rück, nick­te ihm zu und wand­te sich so­fort wie­der mit for­dern­dem Blick an Hild­burg, die al­ler­dings den Kopf schüt­tel­te. »Du wirst noch für hoch­mü­tig ge­hal­ten, wenn Du die Gäs­te nicht be­ach­test«, ta­del­te sie und wusch sich die Hän­de in der ihr dar­ge­reich­ten Schüs­sel. »Den Rest der Ge­schich­te er­zäh­le ich Dir mor­gen. Sprich mit dem Rit­ter und zei­ge Dich den an­de­ren Gäs­ten nicht so un­zu­gäng­lich! Dei­ne Mut­ter wird mir zür­nen, wenn wir wäh­rend des ge­sam­ten Fest­mahls die Köp­fe zu­sam­men­ste­cken.«

Hil­de muss­te sich fü­gen, wenn auch un­wil­lig. Das Mahl nahm sei­nen Fort­gang mit Ku­chen, Pas­te­ten, Dörr­obst und Milch­spei­sen, von de­nen nun auch Hil­de sich be­dien­te. »Und? Lasst Ihr Eure Träu­me von dem Gauk­ler deu­ten?« sprach sie ih­ren Tischnach­barn an, der sie glück­lich an­strahl­te und so­fort dar­auf ein­ging. Sie fing einen zu­stim­men­den Blick von ih­rer Mut­ter auf und er­gab sich ih­rer Pf­licht als Kö­nigs­toch­ter.

Erst spät am Abend, als sie in ih­rer Ke­me­na­te un­ter die De­cke schlüpf­te und sich an Hild­burg ku­schel­te, ver­such­te sie es noch ein­mal. »Hild­burg ... schläfst Du schon?« Hild­burg brumm­te un­wil­lig, hat­te dann je­doch nicht das Herz, sich schla­fend zu stel­len. »Du willst wis­sen, wie es wei­ter ging, nicht wahr?« Hil­de setz­te sich auf. »Bit­te!«

»Nun gut«, seufz­te Hild­burg er­ge­ben und lehn­te sich auf ih­ren El­len­bo­gen. »Wir wa­ren also auf Bal­jan auf­ge­nom­men wor­den. Ha­gen ge­wöhn­te sich schnell an das Le­ben auf der Burg. Er ent­wi­ckel­te sich zum bes­ten Kämp­fer in Tur­nier­spie­len und stell­te alle in den Schat­ten, wenn es ums Ja­gen ging. Auch uns Mäd­chen ge­fiel es sehr, wie­der ba­den zu kön­nen, im­mer zu es­sen zu ha­ben und die Ge­sell­schaft des Ho­fes zu ge­nie­ßen. Wir lern­ten, zu spin­nen und zu sti­cken wie alle an­de­ren Frau­en, Dei­ne Mut­ter über­flü­gel­te da­bei selbst die­je­ni­gen, die es ihr bei­brach­ten. Da wir nicht wuss­ten, wo­her wir ka­men, wur­de über uns die eine oder an­de­re Ge­schich­te er­zählt. Ich soll von dem Grei­fen den gan­zen Weg aus Por­tu­gal ver­schleppt wor­den sein und von Dei­ner Mut­ter, we­gen ih­rer schwar­zen Haa­re und der wun­der­schö­nen brau­nen Au­gen, sag­te man, sie kom­me aus In­di­en. Vi­el­leicht ka­men ihre El­tern ja aus In­di­en, aber ob sie ... Egal. Man nann­te sie Hil­de und mich Hild­burg. Dei­ne Mut­ter wur­de mit je­dem Tag schö­ner, was auch Ha­gen nicht ent­ging. Als man ihm na­he­leg­te, sich eine Frau zu su­chen, war sei­ne Ent­schei­dung be­reits ge­fal­len. Es gebe nur eine Frau für ihn, sag­te er, und sie sei die schöns­te, die er je ge­se­hen habe. Zu­dem habe sie die schwers­te Zeit mit ihm ge­teilt, die er in sei­nem gan­zen Le­ben durch­ge­macht habe. Sie ge­hö­re ein­fach zu ihm.«

Hil­de nick­te zu­frie­den. »Eine rich­ti­ge Lie­bes­ge­schich­te! Kein Wun­der, dass sie sich so gut ver­ste­hen. Mir wird es wohl nie so ge­hen. Stell Dir vor, ich ver­lie­be mich und mein Va­ter schlägt mei­nem Au­ser­wähl­ten den Kopf ab. Das kann ich mir ...« Hild­burg schnitt ihr das Wort ab. »Red nicht so einen Un­sinn, Hil­de. Der schöns­te und bes­te Kämp­fer von fern und nah wird kom­men, um Dei­ne Hand zu ge­win­nen. Du wirst Dich Hals über Kopf in ihn ver­lie­ben und al­les wird ein glück­li­ches Ende neh­men.« Im Dun­keln konn­te Hil­de nicht se­hen, wie Hild­burg un­merk­lich auf das Holz der Bett­stel­le klopf­te, um ih­rer Vi­si­on Ge­lin­gen zu wün­schen. Für den Au­gen­blick schi­en es Hil­de al­ler­dings zu be­ru­hi­gen. »War es ein großes Fest?«

»Das Größ­te, das man je ge­se­hen hat­te. Zu­erst wur­de Ha­gen mit hun­dert an­de­ren Re­cken zum Rit­ter ge­schla­gen. Si­ge­bant ließ in al­len Län­dern ver­kün­den, dass in ei­nem Jahr und drei Ta­gen der Braut­lauf statt­fin­den soll­te.« Hil­de kam das wie eine un­mög­lich lan­ge Zeit vor. »Wa­rum denn erst ein Jahr spä­ter?«

Hild­burg schmun­zel­te. »Ein so großes Fest muss rich­tig vor­be­rei­tet wer­den. Al­lein schon die Bo­ten in die Fer­ne aus­zu­schi­cken, dau­ert sei­ne Zeit, so wie auch die ei­gent­li­che An­rei­se der Gäs­te. Aber es geht nicht nur dar­um, Gäs­te, Mu­sik und Es­sen zu pla­nen und her­zu­rich­ten. Du weißt doch, dass ein Braut­lauf im­mer eine Ge­le­gen­heit für Tur­nier­kämp­fe ist, und die Re­cken müs­sen sich ja für den Wett­be­werb vor­be­rei­ten. Da wird tüch­tig ge­übt, bis ein Mann im Bu­hurt mit­ma­chen kann oder gar in ei­ner Tjost. Zu­dem muss al­les aufs Feins­te de­ko­riert und ver­ziert wer­den, vom Zaum­zeug der Pfer­de bis hin zu den Ge­wän­dern. Das geht nicht über Nacht.«

Hil­de hat­te nicht an eine sol­che Pa­let­te von Vor­be­rei­tun­gen ge­dacht, de­ren Er­wäh­nung sie zum Grü­beln brach­te. »Aber wie hat Va­ter sei­ne El­tern über­zeu­gen kön­nen, dass Mut­ter vom glei­chen Stand ist?«

»Man ging da­von aus, dass Hil­de eine in­di­sche Kö­nigs­toch­ter war, da­mit war sie vom glei­chen Stand. Nie­mand, der sie sah, zwei­fel­te dar­an -- man muss sie ja nur an­se­hen, um es zu glau­ben. Ihre Hal­tung, wie sie sich be­wegt, wie sie spricht -- wenn das nicht kö­nig­li­che Her­kunft be­zeugt, dann wüss­te ich nicht, was sonst. Wäh­rend sich also die Gäs­te auf das große Fest vor­be­rei­te­ten, ließ man auf der großen Wie­se un­ter­halb der Burg Un­ter­künf­te er­rich­ten, die in ih­rer Grö­ße und Be­quem­lich­keit so noch nie ge­se­hen wur­den.« Hil­burg gähn­te herz­haft. »Wenn Du jetzt Ruhe gibst und mich schla­fen lässt, zei­ge ich Dir mor­gen das Ge­wand, das Dei­ne Mut­ter beim Braut­lauf trug.«

Nach dem Es­sen am nächs­ten Mor­gen be­ga­ben sich die Frau­en in die Licht­stu­be. Hil­de hol­te sich einen Arm­voll fein ge­kämm­ter Wol­le und nahm ih­ren Lieb­lings­platz in Fens­ter­nä­he ein, er­griff die Spin­del und be­gann, die Wol­le zu Fä­den zu zie­hen. Wäh­rend sie mit ge­üb­ten Fin­gern die Spin­del dreh­te, wan­der­ten ihre Au­gen stän­dig zu Hild­burg, die sich der­sel­ben Auf­ga­be wid­me­te, ohne da­bei auf­zu­se­hen. »Hild­burg«, be­gann Hil­de, über­zeugt ihre Un­ge­duld nun aus­rei­chend ge­zü­gelt zu ha­ben. »Hat­test Du mir nicht ver­spro­chen, mir Mut­ters Braut­ge­wand zu zei­gen?«

In die­sem Mo­ment öff­ne­te sich die schwe­re Holz­tür zur Licht­stu­be und Hil­des Mut­ter trat ein. Die an­de­ren Frau­en schau­ten von ih­rer Ar­beit auf, grüß­ten sie und rück­ten zu­sam­men, um ihr Platz zu ma­chen, doch an­statt sich zu ih­nen zu set­zen, ging sie auf ihre Toch­ter zu. »Du möch­test mein Braut­ge­wand se­hen? Komm, ich zeig’ es Dir.«

Hil­de sprang vol­ler Be­geis­te­rung auf. Sie folg­te ih­rer Mut­ter in de­ren Ke­me­na­te und schau­te zu, wie sie eine be­son­ders schön ver­zier­te Tru­he öff­ne­te und ein wun­der­schö­nes Kleid aus weißem Samt her­aus­hol­te. Mit an­ge­hal­te­nem Atem be­rühr­te Hil­de den kost­ba­ren Stoff und fuhr ehr­furchts­voll mit den Fin­gern über die fei­ne Sti­cke­rei aus Gold- und Sil­ber­fä­den. Ihre Mut­ter freu­te sich über Hil­des Be­geis­te­rung.

»Schön, nicht wahr? Ich hat­te vie­le Mon­de da­mit zu­ge­bracht, es zu be­sti­cken. Hat Hild­burg Dir das Fest be­schrie­ben? Nein? Si­ge­bant hat an nichts ge­spart. Er hat mehr als sechs­hun­dert Rit­ter für die Schwert­lei­he aus­ge­stat­tet, nicht nur Ha­gen, und das mit al­lem, was da­zu­ge­hört -- mit Pfer­den, Ge­wän­dern und Gold­stücken. Tau­sen­de von Gäs­ten ka­men aus den ferns­ten Län­dern, und nie­man­dem soll­te es an et­was feh­len.

Ich war so auf­ge­regt und so glück­lich, dass Si­ge­bant ihm kei­ne an­de­re Frau aus­ge­wählt hat­te. Ohne mei­ne Ge­spie­lin­nen wäre ich wohl vor Auf­re­gung ge­stor­ben, bis Ha­gen kam. Si­ge­bant hat mich ihm über­ge­ben, denn ich be­fand mich ja in sei­ner Ob­hut. Ha­gen nahm mei­ne Hän­de, trat mir auf den Fuß und ...« Hil­de un­ter­brach sie, em­pört. »Er hat Dir auf den Fuß ge­tre­ten?«

Ihre Mut­ter lach­te. »Das ist doch der Brauch, Kind! Dann führ­te er mich mit sei­nen Ge­treu­en um die Burg her­um, denn ich wohn­te ja be­reits auf Bal­jan, und der Braut­lauf muss­te na­tür­lich in ir­gend­ei­ner Form statt­fin­den.« An die­sem Punkt er­rö­te­te Hil­de, un­si­cher, wie sie ih­rer Mut­ter ihre nächs­te Fra­ge stel­len soll­te. »Sind dann alle mit ge­kom­men, als Ihr ... als ..., also bei der ...« Hil­de biss sich auf die Lip­pe.

»Du meinst, als wir zum Ehe­bett schrit­ten? Sie ha­ben uns be­glei­tet, ja, aber dann wur­de die Tür doch ge­schlos­sen.« Wei­ter wag­te sich Hil­de nicht vor. Sie hat­te durch­aus ei­ni­ges ge­se­hen -- in ei­ner Burg war es bei­na­he un­mög­lich nicht mit­zu­be­kom­men, was zwi­schen Män­nern und Frau­en al­les vor­ging. »Und was hast Du von Va­ter als Mor­gen­ga­be be­kom­men?«

Hil­des Mut­ter reich­te mit ei­ner Hand hin­ter die Tru­he. Der Wand­tep­pich be­weg­te sich leicht, be­vor sie ih­ren Arm zu­rück­zog und ih­rer Toch­ter einen Ge­gen­stand in die Hand drück­te. Es war eine schwe­re gol­de­ne Fi­bel, mit un­end­lich mü­he­vol­len fi­li­gra­nen Ver­zie­run­gen über­sät, die wie Fe­dern aus­sa­hen. Sie war mit feins­ten Edel­stei­nen be­setzt, doch das Er­staun­lichs­te an ihr war die Form. An­statt rund oder eckig zu sein, war es ein Raub­vo­gel, der sich im Flug krümm­te und die Kral­len vor­schob, als ob er sich ge­ra­de auf sei­ne Beu­te stürz­te. Hil­de schnapp­te nach Luft. »Aber das ist ja ...«

»... ein Greif, ja. Schließ­lich wä­ren wir ein­an­der ohne die Grei­fen nie­mals be­geg­net.« Die bei­den be­trach­te­ten die un­ge­wöhn­li­che Fi­bel, jede in ihre Ge­dan­ken ver­sun­ken. »Wa­rum trägst Du sie nicht?«

»Sie ist ein Teil mei­ner Le­bens­ver­si­che­rung, soll­te Dei­nem Va­ter et­was zu­sto­ßen. Au­ßer­dem ist sie sehr schwer und et­was prot­zig. Bei be­son­de­ren Ge­le­gen­hei­ten be­fes­ti­ge ich mei­nen Um­hang da­mit, das letz­te Mal auf Dei­ner Tau­fe.« Hil­de wuss­te, wel­che Ge­le­gen­heit die nächs­te sein soll­te, was sie wie­der an ih­ren Groll ge­gen ih­ren Va­ter er­in­ner­te. »Wahr­schein­lich wür­dest Du sie auch zu mei­nem Braut­lauf tra­gen, doch lei­der scheint es dazu nie­mals zu kom­men«, sag­te sie bit­ter.

Ihre Mut­ter schüt­tel­te den Kopf und zog sie an sich. »Es hat schon al­les sei­ne Rich­tig­keit. Du bist jung und au­ßer­ge­wöhn­lich schön. Dein Va­ter wird Dich selbst­ver­ständ­lich nicht an den erst­bes­ten Re­cken ge­ben, der ge­ra­de mal ein Schwert hal­ten kann. Es muss ein Fürst oder ein Kö­nig sein, der Dei­ner wür­dig ist, und der dazu im Kampf so ge­übt ist, dass er Dir eine Zu­kunft si­chert.«

Hil­de hät­te am liebs­ten wi­der­spro­chen, doch sie woll­te nicht den Mo­ment rui­nie­ren. Es kam zu sel­ten vor, dass sie ihre Mut­ter ganz für sich al­lein hat­te und sie war dank­bar, dass sie end­lich die Ge­schich­te ih­res Va­ters bis zu den letz­ten Ein­zel­hei­ten er­fuhr. Wie konn­te es bloß sein, dass sie bis­her nichts da­von ge­wusst hat­te? Be­stimmt hat­ten die Me­ne­strels da­von ge­sun­gen, also hat­te sie ein­fach nicht zu­ge­hört oder war sie noch zu klein ge­we­sen, um es mit­zu­be­kom­men? »Kannst Du mir das Fest be­schrei­ben?«

»Na­tür­lich, gern. Es war das größ­te Er­eig­nis seit ei­ner lan­gen, lan­gen Zeit. Schließ­lich wur­de nicht al­lein der Braut­lauf ge­fei­ert, son­dern Si­ge­bant gab bei der Ge­le­gen­heit die Kro­ne an Ha­gen ab. Das hieß, dass Si­ge­bant kei­ne Kos­ten scheu­te, um zu ver­kün­den, dass sein Sohn der bes­te, groß­zü­gigs­te und ge­rech­tes­te Kö­nig sein wür­de. Er or­ga­ni­sier­te al­les, was man bei solch ei­nem großen Er­eig­nis er­war­ten konn­te. Beim Braut­bad durf­ten Si­ge­bants und Utes engs­te Freun­de und die höchs­ten Gäs­te alle einen Ba­de­zu­ber mit den edels­ten Kräu­tern be­nut­zen, be­vor die Kampf­spie­le an­ge­sagt wur­den.

Nach der Braut­mes­se wur­den wir dann in der Ka­pel­le ge­krönt und ge­seg­net, be­vor Ha­gen und ich al­len vor­an zum Tur­nier­platz rit­ten, Si­ge­bant und Ute di­rekt hin­ter uns. Die Rit­ter­spie­le wa­ren au­ßer­ge­wöhn­lich span­nend, im­mer­hin war da­für ja ein gan­zes Jahr ge­übt wor­den. Das Fes­tes­sen da­nach zu be­schrei­ben, er­spa­re ich Dir. Du kannst Dir si­cher vor­stel­len, wel­che Men­gen ver­zehrt wur­den. Es gab kein Ge­richt, von dem Du ge­hört ha­ben könn­test, das nicht auf­ge­tra­gen wur­de. Al­les gab es in sol­chen Men­gen, dass die Ar­men da­nach noch wo­chen­lang da­von le­ben konn­ten.

Als ich so zum ers­ten Mal ne­ben Ha­gen saß, war ich zu­erst et­was un­si­cher. Was, wenn mich sein Ge­fol­ge nicht ak­zep­tier­te? Ich schau­te mich vor­sich­tig um, doch über­all, wo mir ein Blick be­geg­ne­te, konn­te ich Zu­stim­mung se­hen. Von dem Au­gen­blick an wuss­te ich, dass mein Platz wirk­lich an Ha­gens Sei­te war. Ich fühl­te mich mit ei­nem Mal so glück­lich wie noch nie zu­vor.

Dann ritt Ha­gen mit sei­nen Man­nen den Bu­hurt. Ich hat­te große Angst um ihn, wie Du weißt, sind die­se Spie­le be­son­ders rau und ge­fähr­lich. Nach au­ßen hin muss­te ich al­ler­dings so tun, als ob ich mich dar­über freu­te und na­tür­lich war ich stolz auf ihn. Ich hät­te mir über­haupt kei­ne Sor­gen ma­chen müs­sen, er schlug auch im Bu­hurt wie­der alle in den Schat­ten. Als die Spie­le fer­tig wa­ren, konn­te man die Män­ner kaum er­ken­nen, so staub­be­deckt wa­ren sie. Das Wet­ter war ganz heiß und son­nig, es hat­te seit län­ge­rer Zeit nicht ge­reg­net und bei all dem Lärm und Ge­drän­ge wir­bel­te der Staub über­all hin. Si­ge­bant ließ die Män­ner zu uns Frau­en ru­fen, da­mit sie sich er­fri­schen und un­ter­hal­ten konn­ten.