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Die Christrose hat bei den wichtigsten Ärzten in der Medizingeschichte des Abendlandes eine grosse Rolle gespielt. Schon Hippokrates, mehr noch Paracelsus und Samuel Hahnemann rühmten ihre Wirkung. Seit jüngster Zeit steht sie plötzlich wieder im Rampenlicht, da sie sich in klinischen Zelluntersuchungen und auch konkret am Krankenbett bei den schweren Erkrankungen des neuen Jahrtausends besonders zu bewähren scheint, unter anderem in der Altersheilkunde, bei Alzheimer, Schlaganfall, aber auch bei schweren Krebsleiden, die nach der anthroposophischen Medizin ebenfalls oft der Christrose bedürfen. Ein zweiter Schwerpunkt der Anwendung liegt auf den Aufmerksamkeitsstörungen bei Kindern wie ADS und ADHS sowie allgemein bei Hirnnachreifungsstörungen. Vor dem Hintergrund der Medizingeschichte dokumentiert das Buch mit zahlreichen Fallbeispielen die bedeutende Rolle der Christrose bei verschiedenen Erkrankungen der Neuzeit.
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Seitenzahl: 183
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Die Heilkraft der
Christrose
••• Johannes Wilkens
AT Verlag
Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art und hat ein Blümlein bracht mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht.
Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß, mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis: Wahr’ Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod.
Dieses Buch widme ich meinem Patienten Ferdinand und meinem Freund und Patienten Richard, denen ich zu helfen, aber eben nicht ausreichend zu helfen vermochte, und meinem Patenkind Emilia, das starb, noch ehe ich mein Patenamt ausüben konnte. Sie haben mich bei der Arbeit an diesem Buch spürbar stetig begleitet.
Die Herausgabe dieses Buches wurde unterstützt durch die Firma Helixor Heilmittel GmbH.
© 2014
AT Verlag, Aarau und München
Lektorat: Karin Breyer, Freiburg i. Br.
Grafische Gestaltung und Satz: Daniela Friedli Dossenbach, Wettingen
Bildaufbereitung: Vogt-Schild Druck, Derendingen
ISBN 978-3-03800-110-2
www.at-verlag.ch
eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de
•••Inhalt
Vorwort
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Einführung
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Von den Wurzeln der Christrose
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Hahnemann und das Wissen der alten Ärzte
Paracelsus und das Mittelalter
Adamus Lonicerus und die Väter der Kräuterheilkunde im Mittelalter
Die Christrose in der Homöopathiegeschichte und aktuelle homöopathische Indikationen
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Hahnemann und seine Arzneimittelprüfungen
Kinderheilkunde einschließlich Epilepsie und ADS/ADHS
Von Schlüsselsubstanzen der Christrose
Psychiatrie und religiöse Manien
Gynäkologie
Gelenkerkrankungen
Geriatrie
Auf der Palliativstation
Die Christrose in der anthroposophischen Medizin
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Die Bedeutung der Familie der Hahnenfußgewächse
Die Christrose als Krebsheilpflanze
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Hoden- und Eierstockkrebs
Hirntumoren
Nebenwirkungen von Chemo- und Strahlentherapie
Lymphomerkrankungen
Bronchialkarzinome
Mistel und Christrose
Die Christrose in der Aids-Erkrankung
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Epilog
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Literaturverzeichnis
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Danksagung
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Der Autor
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Stichwortverzeichnis
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••• Vorwort
Vor fünfzehn Jahren öffnete die geriatrische Rehabilitationsklinik Alexander von Humboldt in Bad Steben ihre Tore. Bereits damals fand sich als Pflanze die Christrose ein. Sie schmückte die ersten Werbeprospekte und fand Anwendung als Arznei, da die Geriatrie – wie wir noch sehen werden – in gewaltiger Weise mit dieser Pflanze verbunden ist. In den Anfängen der Beschäftigung mit dieser Pflanze um die Jahrtausendwende spürte ich eher ein Ahnen, als dass ich schon regelmäßig die Erfahrung hätte machen dürfen, dass diese Pflanze tiefe Geheimnisse und eine großartige Arzneikraft birgt. Damals musste ich mich mit den Schlangengiften und den Misteln in vielfältiger Weise beschäftigen, sodass die Christrose anfänglich zu kurz kam.
Jahre später durfte ich die Freundschaft zu dem Benediktinerpater Dr. Johannes Pausch aufbauen und einen Artikel seines medizinischen Freundes Dr. Hans Ziller aus dem Salzburger Land lesen, der in einer ganz wunderbaren Weise die Christrose zu charakterisieren wusste und mit viel Erfahrung den vielleicht schönsten Artikel geschrieben hat, der bis dahin zur Christrose erschienen war.
Um das Jahr 2007 bat mich Dietrich Schlodder, einen Vortrag zum Thema Christrose in Badenweiler zu halten. Erst da erwachte mein Interesse an dieser wunderbaren Pflanze wirklich und hat mich seitdem nicht mehr verlassen. Überhaupt ist seither eine Art von Aufbruch zu verspüren, der über mein persönliches Interesse hinausgeht. Nicht nur homöopathische und anthroposophische Ärzte interessieren sich nun für die Christrose, sondern durch die fundamentale Arbeit von Patrick Jesse (2009) nunmehr auch die konventionelle Medizin, da Jesse nachweisen konnte, dass ein Christrosenextrakt im Labor Leukämiezellen hemmt. Vermehrt sind mittlerweile Artikel und Vorträge zu den Möglichkeiten einer Christrosentherapie zu finden. Den bisherigen Höhepunkt fand diese Entwicklung 2010 in dem Themen-Sonderheft der Zeitschrift »Der Merkurstab«, das alle bisherigen Erfahrungen zusammenfasste und insbesondere mit Bezug auf die Bedeutung der Christrose in der Krebserkrankung wichtige Impulse gegeben hat.
Wenn ich dennoch ein Buch zu diesem Thema wage, dann um das Wesen und die Heilkraft dieser Pflanze einem größeren Kreis von Kollegen, Therapeuten und Patienten nahezubringen. Die Christrose hat es verdient, in der Öffentlichkeit als die heiligste unter den Heilpflanzen in Erscheinung zu treten, ist sie doch mit den größten Ärzten seit der Zeit der Griechen verbunden: Hippokrates und seinen Nachfolgern, Paracelsus, Hahnemann und eben vor allem mit der von Rudolf Steiner begründeten anthroposophischen Medizin.
Hof, Pfingsten 2014
Johannes Wilkens
••• Einführung
Die Geburt des Jungen hatte sich angedeutet und verlief schnell, zu schnell und fast als Sturzgeburt nach 28 Wochen Schwangerschaft. Auf der Frühgeborenen-Station der Filderklinik bei Stuttgart ging es ruhig zu. Das neue Licht des Jahres 2000 erreichte den Brutkasten, in den der Säugling zurückgelegt wurde. Der Junge atmete selbstständig, benötigte keinen Sauerstoff und wirkte doch so nackt und hilflos. Ich war von seinem Vater, einem guten Freund von mir, gefragt worden, ob es noch weitere Therapiemöglichkeiten gebe, damit die bei Frühgeborenen bekannten Komplikationen nicht eintreten. Der Anblick eines Frühgeborenen ist mir vertraut und dann doch so fremd, wenn es den eigenen Freundes- oder Angehörigenkreis betrifft. Ich will helfen, aber wie, wenn es hier doch vor allem um künstlichen Nachvollzug der mütterlichen Plazenta, also Wärmehüllenbildung, Ernährung und Wachstum geht? Ich erinnerte mich an den Kinderarzt Horst Hauptmann, den ich im Medizinstudium in Erlangen kennengelernt hatte. Er legte in einer Vorlesung seine Erfahrungen mit der homöopathischen Therapie in der Kinderheilkunde dar. Später schrieb er ein Lehrbuch. Darin hatte ich einige Sätze zur homöopathischen Therapie mit der Christrose gefunden, die mir nun wieder einfielen: »Pränatale Dystrophie, Folge von Plazentainsuffizienz, Frühgeburt, Mangelgeburt, ›Small for date‹-Babys, Unreife wären somit Anzeigen für Helleborus«.
Der Junge wuchs und gedieh. Muttermilch und Christrose blieben seine Ernährung für viele Monate. Die gefürchteten Einblutungen im Gehirn und auch andere neurologische Störungen blieben aus. Wer blickt da nicht dankbar zurück und staunt über das Wunder der Christrose?
Eine befreundete Kollegin, die Kinderärztin Sigrid Kruse, hat am Haunerschen Kinderspital in München die Christrose ebenfalls Frühgeborenen gegeben und konnte öfter sehr schöne Verbesserungen nach schweren Hirnverletzungen, vor allem den sogenannten Ventrikeleinbrüchen, dokumentieren. Die Christrose ist also im Bewusstsein von manchen Ärzten angekommen, ihre Fähigkeiten im Einzelfall sind dokumentiert, aber ein tiefgehender Bewusstseinswandel hat noch nicht eingesetzt. Zu skeptisch ist unsere Zeit gegenüber den Möglichkeiten einer Therapie eingestellt, die mit den Kräften einer Pflanze und dann auch noch meistens in homöopathischer Dosierung arbeitet – und nicht mit den bekannten wägbaren Substanzen.
Daran werden auch spektakuläre Heilungen nicht viel ändern können. Es gibt sie und mit der Christrose im Gepäck gar nicht so selten.
•••FallbeispielVor fünf Jahren suchten mich die Eltern eines dreijährigen Buben mit der Diagnose eines atypischen teratoiden Rhabdoidtumors auf (rechtes Seitenventrikel, III. Ventrikel, rechtes Stammganglienlager, rechter Thalamus) nach WHO Grad IV (für einen äußerst bösartigen Tumor). Dieser Tumor ist sehr selten, und bis heute konnte noch keine einzige Heilung dokumentiert werden.
Bei dem kleinen Patienten war ein Hirntumor entdeckt und eine operative Entfernung des Tumors durchgeführt worden. Im Anschluss erfolgten eine Chemotherapie und eine Strahlentherapie. Im weiteren Verlauf verschlechterte sich nach einigen Monaten der Allgemeinzustand zunehmend. Im Kernspintomogramm konnte eine sogenannte Tumorprogredienz, also ein Fortschreiten des Tumors, mit Metastasenbildung im Kopfbereich gefunden werden. Nun entschieden sich die Eltern gegen eine weitere Chemotherapie. Parallel war schon eine homöopathische Therapie, unter anderem mit der Christrose, eingeleitet worden. Wider alle pessimistischen Erwartungen bildeten sich die Metastasen rasch zurück und verschwanden vollständig. Bisher liegt in der medizinischen Weltliteratur zu diesem extrem seltenen Erkrankungsbild noch keine komplette Remission oder gar Heilung nach Metastasierung des Tumors vor, und die Christrose scheint – da sind sich Eltern und Arzt sicher – einen wesentlichen Anteil an der Heilung gehabt zu haben.
Ähnlich schwer ist die Therapie bei einem metastasierten kleinzelligen Bronchialkarzinom, das in der Regel ausnahmslos – mit und ohne Chemotherapie – zu einem raschen Lebensende führt. Der Christrose eingedenk muss das aber nicht oder nicht so schnell sein.
•••FallbeispielVor mir sitzt ein achtundsechzigjähriger Patient, der vor wenigen Wochen erfahren hat, dass er unter einem kleinzelligen Bronchialkarzinom mit einer Metastase im Kopf leidet. Die Metastase im Kopf wurde operiert. Infolgedessen treten Symptome wie von einem Schlaganfall auf Der rechte Arm und das rechte Bein können nur schwer bewegt werden. Natürlich bekommt dieser Patient eine Chemotherapie und auch eine Strahlentherapie. Gleichzeitig erfolgt von Beginn an eine Therapie mit der Christrose, der Ulmenmistel und einem Zinnsilikat – Medikamente, die sich in der anthroposophischen Therapie des Lungenkarzinoms bewährt haben. Ich begleite ihn die folgenden schweren Wochen und Monate. Regelmäßig berichtet er, dass es ihm gerade nach den Injektionen mit dem Christrosenpräparat besonders gut gehen würde. Er könne dann besser atmen und fühle sich einfach sehr viel wohler. Die Laufleistung und der Appetit haben zugenommen. Seine Stimmung ist gut. Erstaunlicherweise lässt sich sein guter Zustand schon über eineinhalb Jahre halten, obgleich sich nun doch Metastasen entwickeln.
Wie kann eine Pflanze solch großartige Heilungen oder doch Linderungen für lange Zeit hervorbringen, und warum wird sie in der Gegenwart immer noch nicht in ihrer epochalen Bedeutung wahrgenommen?
In der Schule haben wir es gelernt und doch immer nur ein wenig unwillig betrieben: zurück zu den (Christrosen-)Wurzeln. Wir können es drehen und wenden wie wir wollen, gerade bei der Christrose kommen wir an einer Beschäftigung mit den großen Klassikern der Medizin nicht vorbei. Nur wer die Wurzeln kennt, kann ein tiefes Verständnis für die Christrose aufbringen: »Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen …«
Was aber »sungen« die Alten? Welches sind im wahrsten Sinne des Wortes die Wurzeln dieser Arznei?
Christrose (Helleborus niger), kolorierter Kupferstich von Elizabeth Blackwell aus: »Herbarium Blackwellianum emendatum et auctum«, Nürnberg 1754–1773
••• Von den Wurzeln der Christrose
Hahnemann und das Wissen der alten Ärzte
Kaum ein Arzt beschäftigt sich mit Medizingeschichte – und falls er es tatsächlich einmal tut, dann schimpft er in der Regel über die »höchst fragwürdige Apotheke« der Alten; nur selten wird gestaunt über das oft sehr präzise Wissen der Alten in der Heilkunde. Wir haben es heute herrlich weit gebracht in der Medizintechnik, aber in der Therapie der chronischen Erkrankungen sieht es – außerhalb des
Christrosenwurzeln
Feldes der großen chirurgischen Taten – nicht so rosig aus. Da ist es durchaus angebracht, sich mit der Heilkunde der Griechen und der Heilkunde des Mittelalters zu beschäftigen. Man muss dazu nicht erst den »Medicus« von Noah Gordon gelesen haben, jedoch kann das Buch für die allgemeine Wertschätzung dieser Medizinepoche gute Dienste erweisen.
Besondere Wertschätzung für das Medizinwissen unserer alten Kulturen besaß Samuel Hahnemann (1755–1843), der Begründer der Homöopathie, der dank ausgezeichneter Sprachkenntnisse in Griechisch, Latein, Arabisch, Englisch und Französisch die Literatur seiner Zeit selbstständig und sorgfältig verarbeitet hat, da er diese Werke häufig erst ins Deutsche übersetzte. 1812 habilitierte er sich in Leipzig zu einem merkwürdigen Thema: über den »Helleborismus bei den Alten«, im Originaltitel »De helleborismo veterum«.
Hahnemanns Beschreibung ist selbst für heutige Maßstäbe eine beeindruckend genaue Darstellung – von der griechischen Antike bis zum Mittelalter – der Schwarzen (Helleborus niger) und der Weißen Nieswurz (Veratrum album), den beiden Pflanzen, mit denen in der Regel die Therapie »mit der Brechstange« durchgeführt worden ist: gezielt wurde mit Medikamenten wie der Nieswurz Erbrechen oder Durchfall hervorgerufen, um derart Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen zu heilen. Unser geflügeltes Wort »es mit der Brechstange zu versuchen« leitet sich davon ab.
»Mein Vorhaben ist es, über den Helleborismus bei den Alten zu sprechen, jene hochberühmte Behandlung, durch die die alten Ärzte einen Großteil der sehr schwierig zu heilenden chronischen Krankheiten durch die Verwendung des Veratrum album (eines stark wirkenden Medikaments) in kunstgerechter Zubereitung nach kühner Überlegung für gewöhnlich heilten und nicht selten gleich einem Wunder völlig auslöschten«, so Hahnemann.
Er geht in dieser Schrift durch präzises Quellenstudium auf den Helleborismus ein und zeigt auf, wann die alten Griechen die Weiße Nieswurz (Veratrum album) und wann sie die Schwarze Nieswurz oder Christrose (Helleborus niger) zur Therapie von chronischen Krankheiten anwendeten. Seinen Forschungen zufolge wird in den meisten hippokratischen Schriften Veratrum album, also die Weiße Nieswurz erwähnt. Es findet sich nach ihm in den Hippokrates (460–377 v. Chr.) selbst zugewiesenen Schriften kein sicherer Hinweis auf den Gebrauch der Schwarzen Nieswurz.
Der berühmteste Arzt der Antike: Hippokrates (460–377 v. Chr.)
Links: Christrose (Helleborus niger), kolorierter Kupferstich aus Johann Wilhelm Weinmanns »Phytanthoza Iconographia«, 4 Bände, Regensburg, 1737-1745
Rechts: Die Weiße Nieswurz (Veratrum album) in der »Materia medica« des Dioskurides (Pedanii Dioscoridis Anazarbei De Medicinali Materia), Frankfurt 1543, S. 356ff.
Hahnemann suchte seine Arzneipflanzen häufig selbst und verfügte über gute botanische Kenntnisse. So konnte er unter dem Aspekt der Pflanzengestaltbeschreibung zeigen, dass die Hippokratiker in der Regel Veratrum album verwendet haben.
Zudem – und das war in jener Zeit durchaus neu – vermochte er die arzneiliche Wirkung der Schwarzen Nieswurz von der Weißen deutlich zu unterscheiden. Hahnemann drückt dies in seiner Habilitation in einer für uns heute ungewohnt religiös geprägten Sprache aus:
»Der Schöpfer der Welt hat nämlich einem jeden Wirkstoff das Gesetz einer konstanten Wirkung eingepflanzt und hineingeboren; eingepflanzt sind einzigartige Kräfte, eigen, spezifisch, bestimmt, konstant und sogar höchst beständig, gleichwohl diese von unseren Ärzten schmerzlicherweise keinesfalls erforscht sind und beinahe bis heute vernachlässigt werden. Es befinden sich die gleichen Kräfte in einem Medikament vor tausend Jahren, die heute die gleichen sind und dies auch ewig sein werden.«
»Helleborus« und »Erbrechen hervorrufen« als typische Wirkungen der Weißen Nieswurz waren für die alten Ärzte Synonyme. Die Bedeutung der Christrose, der Schwarzen Nieswurz also, hingegen scheint erst nach Hippokrates den Ärzten aufgefallen zu sein. Theophrast (371–287 v. Chr.), Schüler des Aristoteles, berichtet in seiner »Historia plantarum«, der ersten Naturgeschichte der Pflanzen, dass die besten Helleborus-Arten in Böotien und Euböa sowie auf dem Oeta, der Brandstätte des Herakles, zu finden sind. Auch der Parnass in Anticyra und der Helikon werden als Verbreitungsorte der Pflanze angegeben. Heutige Forscher gehen aber davon aus, dass Theophrast nicht die Schwarze Nieswurz, sondern deren Verwandte Helleborus orientalis gemeint haben muss. Erst seit dem römischen Arzt Aretaeus (80–138 n. Chr.) wurde die Wirkung der Christrose, Helleborus niger, klar von der Wirkung des weißen Germers, Veratrum album, unterschieden. Aretaeus schreibt differenzierend: »Der schwarze reinigt durch die unteren Wege, der weiße aber durch Erbrechen.«
Die Reinigung von Erkrankungen des oberen Menschen (bis zum Zwerchfell) erfolgt nach den Hinweisen der Alten durch Erbrechen und damit durch Veratrum album, die Reinigung des unteren Menschen durch Helleborus niger (Purgatio, lat. »Abführen, Reinigung«).
Diese Verfahren gerieten in der spätrömischen Zeit zunehmend in Vergessenheit. Auch die arabische Medizin, die auf den Erfahrungen der griechischen Klassiker fußte, hat diese Verfahren kaum noch benutzt.
Erst zum Abschluss seiner Abhandlung geht Hahnemann auf die spezifische arzneiliche Wirksamkeit der Christrose ein. Er beschreibt kurz und knapp die Erkrankungen, welche die alten griechischen und römischen Ärzte mit der Schwarzen Nieswurz heilten. Wir werden später sehen, dass diese Indikationen bis heute aktuell geblieben sind.
Hahnemann schreibt: »Die Alten glauben, dass die Pflanze gelbe und schwarze Galle und auch Schleim ohne Schwierigkeit durch den Bauch reinige und auch bei Wechselfieber anzuwenden sei.
Sie verabreichten das Medikament bei:
Langwierigen und Halbseitenkopfschmerzen,
Rasenden, Melancholikern,
Kranken, die außer an einem Fieber auch an Wassersucht litten,
Epileptikern,
Paralytikern (Gelähmten),
bei eingewurzelter Fußgicht,
bei Gelenkkrankheiten,
bei Leberentzündung, bei lang dauerndem Ikterus,
bei langwierigen Erkrankungen der Luftröhre,
zu Beginn einer Lethargie (Bewusstseinsstörung mit Schläfrigkeit) gab Aretaeus Helleborus niger in Honigessig, um gemäßigt zu reinigen,
die Pflanze wurde äußerlich bei Trübung der Augen angewendet,
bei schlechtem Hören durch Einführen in die Ohren für zwei oder drei Tage,
durch Auflegen bei Kröpfen,
bei Krätze durch Einreibung der entsprechenden Körperteile mit Salbe,
bei Flechte, Reute und Lepra mit Auftragen von Essig,
bei Zahnschmerzen – als Abkochung mit Essig zum Benetzen des Mundes,
bei Kranken mit Wassersucht des Bauches durch Auftragen mit Mehl und Wein,
und schließlich bei Schwielen von Fisteln durch Einführen über zwei oder drei Tage.«
In seiner Habilitation berichtet Hahnemann abschließend: »Helleborus niger, der bei den alten Ärzten viele chronische Krankheiten heilte, haben unsere Ärzte ebenso anzuwenden verlernt, obgleich feststeht, dass er ein hervorragendes und hochgeschätztes Medikament ist, wenn nur ausschließlich eine Krankheit ausgewählt wird, für die er geeignet und entsprechend ist.«
Zusammenfassung der Erfahrungen der alten Ärzte:
Die Christrose ist die bedeutendste Pflanze für die Reinigung des »unteren Menschen«. Von dort ausgehende Störungen können sich in unterschiedlicher Weise als chronische Erkrankung manifestieren.
Das Blumenmärchen
Von ganz anderen Wurzeln der Christrose weiß der italienische Anthropologe, Naturwissenschaftler und Arzt Paolo Mantegazza (1831–1910) zu berichten. Er ist heute kaum noch bekannt, dabei wirkt er wie ein Vorläufer Sigmund Freuds (1856– 1939) und hat sich wie dieser der Erforschung psychotroper Pflanzen und des Sexuallebens zugewandt. Beiden gemeinsam ist die Begeisterung für die therapeutische Wirkung des Kokastrauchs und des Kokains.
In seinem »Blumenmärchen« findet sich eine ungewöhnliche Variante zur Entstehung der Christrose; interessant ist der Bezug der Christrose zu Traumata und Herzerkrankungen:
»Im neolithischen Zeitalter lebte ein starker, tapferer Mann, Tristan mit Namen; sein Weib hieß Eva, sein Freund, dem er das größte Vertrauen schenkte, Tor. Von beiden wurde er verraten. Im ersten Zorn wollte er die Schuldigen töten, dann aber überlegte er, ein plötzlicher Tod sei keine Strafe – mögen sie leben, ihr Gewissen werde sie genug strafen. Die Nachbarn freilich nannten Tristan einen wahnsinnigen Narren, aber er kümmerte sich nicht darum, sondern ging ruhig seines Weges. Sein Herz freilich war von dem schrecklichen Augenblicke an, wo er den doppelten Betrug merkte, tot und kalt wie Eis. Nicht[s] machte dem Ärmsten mehr Freude; kein Kampf, keine Jagd, die er früher so sehr liebte, konnten irgend einen Reiz auf ihn ausüben. Am wohlsten befand er sich mitten in den Bergen, dort konnte er stundenlang sitzen und dem Spiele zwischen Wind und Schnee zusehen. Eines Tages, als er wieder ins Gebirge gegangen war, kehrte er nicht mehr heim. Die Nachbarn suchten ihn, fanden ihn aber nicht. Erst als im Frühjahr Schnee und Eis schmolzen, entdeckte man den Körper des Unglücklichen; er war umwachsen von einer bis dahin unbekannten Pflanze – der Schneerose.«1
Paracelsus und das Mittelalter
Erst im 11. Jahrhundert ist wieder von der Christrose die Rede. Hildegard von Bingen und im späten Mittelalter die berühmten Botaniker und Ärzte nahmen beide Nieswurzarten als »Radix (Rhizoma) Hellebori« in ihren Arzneischatz auf. Am tiefsten verbunden mit der Christrose hat sich jedoch der Arzt, dessen Name noch heute zahlreiche Krankenhäuser ziert: Paracelsus (1493–1541). Aber kaum jemand, vor allem kein Arzt, liest ihn, weil seine Sprache – ähnlich wie bei Hahnemann – zwar äußerst präzise, aber bildhaft und biblisch geprägt ist, sodass sich hier mehr der Theologe als der Mediziner wiederfindet. Bei Paracelsus gibt es sie noch, die Fähigkeit, in der Sprache der Heilpflanzen zu sprechen. Er hat auf die damals fast vergessenen Eigenschaften der Christrose aufmerksam gemacht und durch eigene Erfahrungen weitere Anwendungsmöglichkeiten entdeckt.
Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493-1541), war Arzt, Alchemist, Mystiker, Philosoph, Astrologe und eine der prägenden Persönlichkeiten der abendländischen Medizin.
Die Christrose wird von ihm in seiner Kräuterabhandlung »Herbarius« behandelt. Paracelsus beklagt in dieser Schrift die stete Einfuhr von fremdländischen Heilmitteln, wo doch die besten Heilkräuter in der direkten Umgebung zu finden seien – übrigens eine Erfahrung, die leider noch heute oft gemacht wird. Wer weiß denn schon, dass zahlreiche Kräuter aus der chinesischen Medizin sich in Europa unter manchmal ganz einfachen Namen finden?
Paracelsus würdigt in dieser Abhandlung drei Arzneipflanzen (Engelsdistel, Flohknöterich und Christrose). Ausführlich geht er jedoch nur auf die schwarze Christrose ein. Er verweist im ersten Teil auf die Kraft der Blätter, ehe er sich dann den Kräften der Wurzel zuwendet. Bei Paracelsus wird – und das ist meines Wissens wirklich neu – ein Unterschied in der Wirkung zwischen Blatt und Wurzel deutlich hervorgehoben, während im Altertum nur die Wurzel benutzt worden ist. Die Blätter betrachtet er als entscheidendes Prophylaktikum vor einer Demenzerkrankung – ein Gedanke, der erst wenig in unsere Zeit transferiert und umgesetzt worden ist und bisher kaum arzneiliche Anwendung gefunden hat.
Bereits Paracelsus wusste es: Christrosenblätter sind ein exzellentes Prophylaktikum vor Demenz.
Bei vier zentralen Grunderkrankungen sieht Paracelsus in der Wurzel der Christrose das Maß der Therapie: bei der Gicht, bei Epilepsie, beim Schlaganfall und bei der Wassersucht (Nierenschwäche). Doch auch Unterleibserkrankungen im Allgemeinen werden von Paracelsus als wichtige Indikation weiter gehalten.
Er erinnert in seiner Anwendung an die Erfahrungen der alten Ärzte, hat deren Wissen umstrukturiert. Im Zentrum stehen nun fünf gleichwertige Grunderkrankungen, die einer Christrosenwurzeltherapie zugänglich sind sowie ein prophylaktischer Gedanke mit den Christrosenblättern, um die Kräfte bis ins hohe Alter hinein zu erhalten.
Von den Kräften der Nieswurzblätter in der Demenzvorbeugung
Die Blätter der Christrose sind nach Paracelsus das Demenzvorbeugungsmittel par excellence. Gestuft nach Alter werden in seinen Beschreibungen sehr konkrete Angaben gemacht, die heute eine Neuentwicklung einer Arznei nach seinen Angaben verdienen. Er beschreibt auch den konstitutionellen Typus, der in einer besonderen Weise von der Christrosentherapie profitiert: füllige, phlegmatische Personen. Durch regelmäßige und frühe Einnahme der Christrosenblätter blieben sie von vielen Erkrankungen verschont, die das Alter kennzeichnen: Schlaganfall, Nierenschwäche, offene Geschwüre, Fieberzustände. Paracelsus schreibt:
»Nun merkt aber auf diesen Prozess, wie er jetzt beschrieben wird. Die gar alten ersten philosophi haben sich großer Gesundheit gepflogen, und gepflogen zu kommen auf ein langes Leben mit fröhlicher Gesundheit. Um zu dem selbigen Zweck zu kommen, haben sie diese Arznei von der Schwarzen Nieswurz gebraucht, aber daneben auch eine ordentlich und ein ziemlich Regiment oder leibliche Ordnung gehalten, wie es dann einem jeglichen gebührt, der zu seinem recht gegebenen Ende kommen will. Nun haben sie dieses Kraut nach ihren sechziger Jahren zu brauchen angefangen und haben das bis zu End ihres Lebens gebraucht. Daraus folgt nun, dass sie ohne Krankheit hinausgekommen sind und mit gesundem Leib ihr Ende erreichten. In ihnen ist keinerlei Geschwür oder apostem, weder an der Lunge, Leber, Milz noch sonst wo gefunden worden, auch kein Fluß in einer wundarzneiischen Krankheit, wie etwa offene Schäden, Wolf, Krebs, Ölschenkel und dergleichen. Auch ist ihnen inwendig kein Fluß gewachsen, aus dem hätte der jähe Tod folgen, der Schlag, das Podagra, das Chirargra oder auch andere Suchten in den Hüften oder dergleichen, die sich dann gemeiniglich in allen täglich kalt oder warm zeigen. Auch Fieber, wie immer die auch seien, täglich, dreitägige, viertägige oder mehr. Auch ist in ihnen keine Fäulnis entstanden, aus welchem der Atem hätte stinken können oder Würmer wachsen. Und so ich alles erzählen sollte, könnte ich mit viel Blättern Papiers seine Tugend nicht beschreiben.
Das ist mir aber bei meinen Zeiten eingedenk, dass es von vielen Personen, die gar flüssig, rotzig, mastig (übergewichtig) oder beleibt, und plutertellig, das ist blattrig, gewesen sind, gebraucht ist worden