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Studienarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Geschichte Deutschlands - Erster Weltkrieg, Weimarer Republik, Note: 1,3, Universität Leipzig (Historisches Seminar), Veranstaltung: Die Jugendbewegung in der Weimarer Republik, Sprache: Deutsch, Abstract: Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem ‘Wandervogel’, der ersten, durch das kreative und selbstverantwortliche Streben der Jugend Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Bewegung. Schon allein die Novität dieser Erscheinung im Vergleich zur staatlich gelenkten Jugendpflege und ihren Institutionen wäre Grund genug, sich diesem Thema zu widmen. Im Folgenden soll der ‘Wandervogel’ jedoch unter einem ausgewählten Gesichtspunkt, namentlich seiner Involviertheit in die ‘Inversionsdiskussion’ der 1920er Jahre betrachtet werden. Zum Teil waren Wandervogelmitglieder wie Hans Blüher aktive Mitgestalter dieses Diskurses, zum anderen geriet der Bund durch die Natur seines Aufbaus und die Publikationen Blühers in den Verdacht, Rekrutierungsorgan älterer Homosexueller zu sein. Einschätzungen wie etwa die Kröhnkes, im Wandervogel wären "erstmals in der Neuzeit Homosexuelle selbstbewußt und mit ersten Ansätzen zum Bekenntnis der eigenen Liebe und mit Stolz auf sie hervor[ge]treten" müssen kritisch betrachtet werden. Zur Homosexualität als geschlechtlicher Handlung gibt es im Wandervogel nur in äußerst wenigen Fällen verläßliches und aussagekräftiges Beweismaterial. Das mag dem gesellschaftlichen Klima bzw. der weitgehenden Tabuisierung der Homosexualität im frühen 20. Jahrhundert geschuldet sein oder am schlichten Fehlen des Tatbestandes liegen. Von einem ′selbstbewußten Bekenntnis zur Homosexualität′ kann nur in Einzelfällen die Rede sein. Ein Problem der Literatur, die den Wandervogel als eine Homosexuellenbewegung sieht, scheint in diesem Zusammenhang ein häufig ungenauer Umgang mit der Terminologie zu sein. So werden Homosexualität und Homoerotik selten bzw. inkonsequent voneinander geschieden oder gar synonym gebraucht - ähnlich wie dies in der Auseinandersetzung der zeitgenössischen Printmedien mit dem Wandervogel teilweise geschah. Diese Arbeit versucht deshalb vielmehr der Frage nachzugehen, warum ausgerechnet der ‘Wandervogel’ zu einem der Brennpunkte der Inversionsdebatte werden konnte und von welcher Qualität diese Debatte war. Um den Umfang dieser Arbeit nicht über ein akzeptables Maß hinaus auszudehnen, mußte die Darstellung der Entwicklung der Wandervogelbewegung sehr verkürzt erfolgen. Der daraus resultierenden Vereinfachung komplexer Sachverhalte wurde durch den Verweis auf weiterführende Literatur versucht entgegenzuwirken.
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Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem ‘Wandervogel’, der ersten, durch das kreative und selbstverantwortliche Streben der Jugend Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Bewegung. Schon allein die Novität dieser Erscheinung im Vergleich zur staatlich gelenkten Jugendpflege und ihren Institutionen wäre Grund genug, sich diesem Thema zu widmen. Im Folgenden soll der ‘Wandervogel’ jedoch unter einem ausgewählten Gesichtspunkt, namentlich seiner Involviertheit in die
‘Inversionsdiskussion’1der 1920er Jahre betrachtet werden. Zum Teil waren Wandervogelmitglieder wie Hans Blüher aktive Mitgestalter dieses Diskurses, zum anderen geriet der Bund durch die Natur seines Aufbaus und die Publikationen Blühers in den Verdacht, Rekrutierungsorgan älterer Homosexueller zu sein. Einschätzungen wie etwa die Kröhnkes, im Wandervogel wären "erstmals in der Neuzeit Homosexuelle selbstbewußt und mit ersten Ansätzen zum Bekenntnis der eigenen Liebe und mit Stolz auf sie hervor[ge]treten"2müssen kritisch betrachtet werden. Zur Homosexualität als geschlechtlicher Handlung gibt es im Wandervogel nur in äußerst wenigen Fällen verläßliches und aussagekräftiges Beweismaterial. Das mag dem gesellschaftlichen Klima bzw. der weitgehenden Tabuisierung der Homosexualität im frühen 20. Jahrhundert geschuldet sein oder am schlichten Fehlen des Tatbestandes liegen. Von einem 'selbstbewußten Bekenntnis zur Homosexualität' kann nur in Einzelfällen die Rede sein. Ein Problem der Literatur, die den Wandervogel als eine Homosexuellenbewegung sieht, scheint in diesem Zusammenhang ein häufig ungenauer Umgang mit der Terminologie zu sein. So werden Homosexualität und Homoerotik selten bzw. inkonsequent voneinander geschieden oder gar synonym gebraucht - ähnlich wie dies in der Auseinandersetzung der zeitgenössischen Printmedien mit dem Wandervogel teilweise geschah.
1Der Begriff ‘Inversion’ für die gleichgeschlechtliche Ausrichtung des Sexualtriebes wurde erstmals 1882 von J.M. Charcot und V. Magnan gebraucht und später durch S. Freud popularisiert. Vgl. Geuter (1994), S. 15f.
2Kröhnke, F. (1981), S. 352f.