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Eine einsame Insel, fünf Menschen und ein Mörder
Mehrere Tagesreisen von der nächsten Küste entfernt liegt mitten im Atlantik die seit Jahrzehnten verlassene Insel Navigaceo. Dorthin ist die Dokumentarfilmerin Tess unterwegs, um zusammen mit vier Wissenschaftlern die einzigartige Natur zu untersuchen. Aber schon kurz nach ihrer Ankunft entdeckt Tess ein Skelett, das Überreste der gleichen Uniform trägt, die auch ihr Team nutzt. Offensichtlich ist der Tote erst vor wenigen Monaten hier gestorben. Doch wer war er? Und wie hängt er mit ihrer Expedition zusammen? Könnte einer ihrer Kollegen gar ein Mörder sein? Bis das nächste Schiff die Insel erreichen wird, muss Tess von nun an vorsichtig sein, denn sonst wird sie die nächste Leiche sein.
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Seitenzahl: 367
Mehrere Tagesreisen von der nächsten Küste entfernt liegt mitten im Atlantik die seit Jahrzehnten verlassene Insel Navigaceo. Dorthin ist die Dokumentarfilmerin Tess unterwegs, um zusammen mit vier Wissenschaftlern die einzigartige Natur zu untersuchen. Aber schon kurz nach ihrer Ankunft entdeckt Tess ein Skelett, das Überreste der gleichen Uniform trägt, die auch ihr Team nutzt. Offensichtlich ist der Tote erst vor wenigen Monaten hier gestorben. Doch wer war er? Und wie hängt er mit ihrer Expedition zusammen? Könnte einer ihrer Kollegen gar ein Mörder sein? Bis das nächste Schiff die Insel erreichen wird, muss Tess von nun an vorsichtig sein, denn sonst wird sie die nächste Leiche sein.
Bevor Martin Griffin Schriftsteller wurde, war er stellvertretender Schulleiter und ein dem Untergang geweihter Sänger, der einmal sogar die britische Rockband THE FALL auf ihrer Tour begleiten sollte - einen Gig, den er absagen musste, weil er nur zwei gute Songs geschrieben hatte. Griffin lebt mit seiner Frau und Tochter in Manchester.
MARTINGRIFFIN
DIE INSEL DER
ANGST
THRILLER
Aus dem Englischen von Angela Koonen
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2024 by Martin Griffin
Titel der englischen Originalausgabe:
»The Last Visitor«
Originalverlag: Sphere
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2025 by Bastei Lübbe AG,
Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text-und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Textredaktion: Ralf Reiter, Köln
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Einband-/Umschlagmotiv: © Getty Images / Noval Nugraha Photo-graphy; Getty Images / Krzysztof Browko; Getty Images / timandtim; FinePic®, München; FinePic®, München
eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN 978-3-7517-7368-3
luebbe.de
lesejury.de
Für Jo
Deine Partnerin filmt draußen in der Dunkelheit und hat ihr Handy bei dir im Wagen gelassen.
Du machst eine Pause, lässt deine Augen ausruhen und streckst die Beine. Dabei leuchtet es auf und reißt deine Aufmerksamkeit an sich. Beim Aussteigen hat sie es mit dem Display nach unten aufs Armaturenbrett geworfen, und du siehst Lichtschein an den Rändern, weil eine Nachricht eingeht. Du hast deinen Laptop auf den Knien, die Heizung läuft, und du hast dir mit eingesteckten Ohrhörern eine kürzlich fertiggestellte Sequenz angesehen. Doch jetzt legst du deine Sachen beiseite.
Seit Wochen bist du ihretwegen nervös.
Da war nichts Konkretes, aber Unbehagen verstärkte sich zu Misstrauen und wurde so real wie eine heraufziehende Wolkenbank, die Regen verspricht. Als ihr vor einem Jahr anfingt, an dem Dokumentarfilm zu arbeiten, betrachtete sie dich mit Ehrfurcht – lernbegieriger Blick und gefurchte Stirn, so prägte sie sich jede hingeworfene Beobachtung von dir ein, als wäre sie das Evangelium. Und sie teilte noch alles mit dir. Rohschnitt und Filmmaterial vom Vortag wurden geteilt, Ideen freimütig ausgetauscht, sie hat dir uneingeschränkt vertraut. Deshalb kannst du jetzt ihr Handy entsperren.
Du neigst dich über den Fahrersitz, schaltest die Scheibenwischer ein. Da ein Bogen funkelnder Regentropfen weggewischt ist, siehst du im Scheinwerferlicht des Mietwagens das schwarze Band der Straße und den Maschendrahtsicherheitszaun. Dahinter die Tintenfleckschatten der Bäume. Die gedrungene Silhouette des einstigen Gasterminals vor dem Nachthimmel. Sie ist irgendwo jenseits des Zauns. Noch ist von ihr nichts zu sehen.
Es wird nur eine Minute dauern nachzusehen. Du nimmst ihr Handy und tippst den Code ein.
Da ist eine SMS gekommen. Von einer unbekannten Nummer. Und sie besteht aus einem kurzen Satz, aber wenn zehn Jahre journalistischer Ermittlung dich auf etwas trainiert haben, dann darauf, zu erkennen, wann du belogen wirst. Das – was du vor deinen Augen hast – beweist ihren Verrat. Angst regt sich, als dir nach und nach klar wird, was das bedeutet. Sie hat sich auf einen Deal eingelassen. Hat dich ausgeschlossen. Ein Kribbeln jagt über deine Kopfhaut, und mit zitternden Händen klappst du den Laptop zu. Fahr weg, solange dazu noch Zeit ist. Du manövrierst dich ungeschickt hinters Lenkrad und greifst, ohne hinzusehen, zum Zündschlüssel.
Er fehlt.
Sie hat dich hierher mitgenommen, ist die einsamen Wege durchs Moor gefahren, während du neben ihr gearbeitet hast. Sie hat den Zündschlüssel eingesteckt. Die Angst in dir streckt ihre Finger aus und packt deine Eingeweide. Die nächste Ortschaft ist acht Kilometer weit weg. Bis zur nächsten Straßenlaterne fährt man bestimmt zehn Minuten. Du atmest beruhigend ein und aus, zählst jeweils bis vier, und gerade als du dich fragst, ob du überreagierst, leuchten in der Schwärze vor dir zwei Scheinwerfer auf. Es gibt keinen Grund, warum jemand mitten in der Nacht hier draußen sein sollte, außer … in deinem Magen öffnet sich ein kalter Schlund.
Das ist übel.
Du darfst hier nicht erwischt werden. Mit weichen Knien schlüpfst du aus dem Wagen. Der Atem kondensiert. Du hängst dir deine Tasche um und drückst so leise wie möglich die Wagentür zu. Denk nach! Das Waldgelände hinter dem Zaun würde dir Deckung geben, doch Richtung Terminal zu laufen brächte dich in ihre Nähe – und sie hat dich verraten. Ringsherum gibt es nur überschwemmte Felder. Die Schotterstraße, auf der du hergekommen bist, liegt erhöht zwischen Abflussgräben. Deine Besucher nähern sich, das Scheinwerferlicht hüpft, als das Fahrzeug über Bodenfurchen fährt. Jede Wette, dass sie zu dritt oder viert sind – harte Typen, die gleichen harten Typen, auf die du in Kalifornien gestoßen bist.
Du fragst dich, ob das Rauschen, das du von Weitem hörst, das Meer ist, und ein verrückter Plan springt dir in den Kopf. Sich durch die Getreidehalme schlängeln, das Sumpfland bis zur Küste durchqueren, dann am Strand entlang zurück in die Zivilisation.
Ist kein toller Plan, aber der einzige.
Hinter dem Mietwagen als Deckung ziehst du dich zurück und rennst los.
Was hast du mir angetan, Tess?, denkst du bei deiner Flucht. Du weißt es noch nicht – vermutest es allmählich, während die Scheinwerferkegel näher kommen –, aber das wird einer deiner letzten Gedanken sein. Herrgott, Tess, was hast du mir angetan?
Was hast du getan?
In meiner Branche dauert es bei manchen Jobs lange, bis man sie sicher in der Tasche hat, andere bekommt man urplötzlich. Und eines haben mich die zehn Jahre in dem Geschäft gelehrt: Schnell ist nicht immer auch gut. Ein Job, der einem in den Schoß fällt, bringt meistens Ärger.
Das waren jedenfalls meine Bedenken, als Seawild an mich herantrat.
Sie waren große Fans von mir – so stand es jedenfalls in ihrer ersten E-Mail – und wollten sofort ein Online-Treffen, um ein aufregendes Projekt zu besprechen. Vor acht Jahren hatte ich Pocket Films, mein Ein-Frau-Unternehmen, gegründet und arbeitete in einem umgebauten Schiffscontainer in Canning Town, dem billigsten Mietobjekt, das ich hatte finden können. Darin gab es gerade genug Platz für einen Schreibtisch und einen Laptop, ein paar gerahmte Stillleben und ein paar Kinkerlitzchen, Erinnerungen an die Tage, als ich noch Preise gewann. Pocket Films hat mittlerweile seine Nische gefunden und bringt Naturdokus heraus, auch Kurzfilme für die Webseiten von Wohlfahrtsverbänden, Spendenveranstaltungen von Umweltorganisationen und TV-Montagen. Doch anfangs war das anders gewesen.
Seinerzeit war ich die aussichtsreichste junge Filmemacherin Großbritanniens, wurde sogar bejubelt. Doch bei meinem ersten karriereträchtigen Projekt passierten üble Dinge, und nach Spill konnte ich zwei Jahre lang keine Kamera in die Hand nehmen. Als ich das endlich wieder tat – nach viel Überredung –, war ich nicht mehr dieselbe. Vielmehr war ich jemand geworden, den man mied, eine wandelnde Warnung vor den Gefahren, die einem zu schnell aufsteigenden Stern drohen konnten. Ich hatte nicht mehr die Kraft für investigativen Journalismus. Den musste ich hinter mir lassen.
In der Hinsicht zumindest wirkte der Seawild-Auftrag vollkommen vernünftig.
Laut ihrer Website war Seawild eine Meeresforschungseinrichtung mit dem Auftrag, Biodiversität und Korallenbänke im Pazifik zu schützen. Auf der Startseite verkündete ein Banner ihren jüngsten Erfolg: Wir geben stolz bekannt, dass wir mit der Verwaltung der Ilhas Desertas betraut wurden! Bei einer schnellen Suche erfuhr ich, dass die Desertas vier Inseln im Atlantik sind, eine einsame Inselkette zwei Stunden von der Küste Madeiras entfernt, auf der niemand lebte außer einer geschützten Population von Mönchsrobben. Bei den Jobangeboten auf der Website stand tatsächlich, dass sie einen kreativen, talentierten und erfahrenen Videofilmer suchten, der Erfolge mit Kampagnen und dokumentarischen Interviews nachweisen könne.
Ich entsprach den Anforderungen. Dennoch war es seltsam, dass sie mich direkt anschrieben.
Sie mussten Hunderte Bewerbungen erhalten haben. Vielleicht hatten sie daraus den geeignetsten Bewerber ausgewählt, und der war vorzeitig ausgeschieden. Vielleicht suchten sie jetzt schnellen Ersatz, und die E-Mail an mich war eine von mehreren Initiativanfragen.
Oder, so sagte ich mir, sie arbeiteten einfach schnell und wussten genau, wen sie wollten.
Was zutraf, ließ sich nur auf eine Weise herausfinden.
Das erste Gesicht, das am nächsten Nachmittag zu dem Zoom-Meeting auf meinem Laptop erschien, kannte ich von der Seawild-Seite, auf der die Mitglieder von Vorstand und Kuratorium vorgestellt wurden. Leo Bodin. Er sah gut aus, war Anfang vierzig, drahtig und dynamisch, ein dunkelhaariger Franzose, der in gestreiftem Oberhemd und Blazer vor einer Bücherwand saß.
Er stellte sich vor und strich dabei mechanisch seine Krawatte glatt. »Director of Operations, Paris«, sagte er mit leichtem Akzent. »Es ist großartig, dass wir uns kurz zusammensetzen können. Alex wird auch gleich zu uns stoßen, und dann können wir … ah, da ist sie schon.«
Das zweite Gesicht war anders, wettergegerbt und schweißglänzend. Es gehörte einer Frau mit kurzen blonden Haaren, gelb lackierten Fingernägeln und Bandana. Kurz erstarrte sie mit aufgestützten Ellbogen, bis ihr Feed aufholte und sie uns zuwinkte. »Hi! Ich bin Dr. Alex Dahlberg. Hi, Leo, wie geht’s? Und du bist Tess, nicht wahr?«
»Tess Macfarlane«, sagte ich. »Pocket Films.«
Leo stellte mir die Arbeit des Instituts vor. »Wir legen leidenschaftlichen Wert darauf, die Ilhas Desertas zu schützen, sie sachgemäß zu verwalten. Die portugiesische Regierung wollte sie für den Tourismus öffnen und Hunderte Besucher pro Jahr zulassen.« Er schüttelte angewidert den Kopf. »Eine verrückte Idee. Bei der Übergabe war von einer Kolonie von über vierzig Robben die Rede«, erklärte er. »Aber als wir unser erstes Team hinschickten, um die Tiere zu beobachten, wurde klar, dass man sich schwer verzählt hatte. Wir schätzen die Kolonie auf etwa zwanzig. Navigaceo erscheint am vielversprechendsten.«
Ich hatte mich gut vorbereitet. »Navigaceo. Das ist die letzte der vier Inseln. Die am weitesten draußen liegt.«
»Ganz recht.« Leo zählte die Inseln an den Fingern ab. »Chão, Deserta Grande, Bugio liegen recht nah beieinander, erst zehn Kilometer weiter kommt Navigaceo.«
»Und laut Ihrer Website hat die Insel seit über fünfzig Jahren niemand mehr betreten?«
»Genau«, warf Alex ein. Ihr Akzent war eine wilde Mischung aus London, Lissabon und Bergen. »Die Genehmigungen da draußen werden sehr streng gehandhabt. Auf Navigaceo ist keiner gewesen, seit sie neunzehnhunderteinundsiebzig umgewidmet wurde.« Sie grinste. »Wir dürfen die Ersten sein!«
»Ein halbes Jahrhundert lang unberührt.« Ich lächelte zurück.
»Der Film ist die Idee meines Chefs«, warf Leo ein. »Er möchte einen umfassenden Bericht über Brutplätze und die Populationsdichte der Mönchsrobben und eine Kurzdoku für die Webseite. Viele visuelle Beweise, die unsere Politik der fortgesetzten Sperrung unterstützen«, sagte er. »Die Insel ist einzigartig, die Robbenpopulation gefährdet. Wir dürfen keine Touristenschiffe erlauben.«
»Klingt nach der Arbeit, die ich gewohnt bin zu liefern.« Ich teilte meinen Bildschirm und zeigte ihnen mein Showreel, meine jüngste Arbeit für den Rivers Trust und eine, die ich gerade für ein italienisches Renaturierungsprojekt fertiggestellt hatte. Dabei wurde viel gelächelt und einiges gefragt.
»Ein paar praktische Informationen«, sagte Leo anschließend. »Auf den Inseln ist der Internetzugang sehr eingeschränkt, es gibt kaum Handyempfang. Und wie Sie wissen, ist Navigaceo völlig verlassen. Daraus ergeben sich einige Herausforderungen.«
»Damit komme ich zurecht.«
Leo machte sich Notizen außerhalb des Blickfelds, dann sah er mich wieder an. »Großartig. Ich weiß, das ist sehr kurzfristig, aber wenn Sie interessiert sind, möchten wir, dass Sie morgen Abend nach Madeira fliegen.«
Die Schnelligkeit des Angebots überraschte mich, und in mir regte sich ein leichtes Unbehagen. Sie waren ungewöhnlich erpicht auf meine Teilnahme. Obwohl hochgradig nervös, lächelte ich höflich und machte eine launige Bemerkung, die die beiden zum Lachen brachte. Die Sache war die: Ich brauchte Arbeit.
Eine Stunde später erhielt ich die Zusage per E-Mail.
Sie kündigten an, mir die Flugtickets zu schicken. Das Honorar war doppelt so hoch wie das, was ich verlangt hätte, und wie ich feststellte, hatte man die Stellenausschreibung bereits von der Webseite genommen. Obwohl es sicher unmöglich war, jetzt noch abzulehnen, antwortete ich nicht sofort. Stattdessen nahm ich mir den restlichen Nachmittag frei, räumte meinen Schreibtisch auf, schrieb eine Packliste und machte meinen Laden dicht. Dabei ging ich in Gedanken immer wieder das Gespräch durch und horchte auf Alarmglocken.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie weit entfernt läuteten, aber ich fand keinen Grund, Nein zu sagen.
Als ich schließlich das Büro verließ, war es draußen fast dunkel. Die Kailampen leuchteten, der Himmel über den Lagerhäusern schwankte zwischen Orange und Blau.
Ich bog am Orchard Place rechts ab und lief zur Bushaltestelle vor dem Switch House. Gleich hinter der abblätternden Reklamewand von Whale Oil, in den dreißiger Jahren auf den Backsteingiebel eines Industriebaus gemalt, gab es ein verwahrlostes Grundstück mit einem Dickicht mannshoher Büsche und dem verrottenden Lagerhaus eines Schiffsbauers. Da hielt sich nie jemand auf, schon gar nicht an einem Freitagabend.
Außer an diesem.
Ein Mann mittleren Alters mit grau meliertem Vollbart und einer Windjacke fotografierte mich.
Trotz des Verkehrs auf der East India Dock Road hörte ich den Auslöser klicken. Ein paar Schritte weiter schaute ich zurück. Er untersuchte den Fotoapparat, einen digitalen SLR, als würde er sich damit nicht auskennen. Ich drehte mich noch einmal um. Er hielt das Objektiv auf die Straße gerichtet und guckte durch den Sucher wie ein Anfänger. Ein Waitrose-Lieferwagen rauschte vorbei und brachte das Gefühl von Normalität zurück.
Bis ich an der Bushaltestelle ankam, war der Mann vergessen.
Jedoch sah ich ihn dann wieder, und zwar in meinem Bus.
Er saß fünf oder sechs Reihen hinter mir auf einem Gangplatz neben einer Frau, die schlafend den Kopf an die beschlagene Fensterscheibe lehnte. Wieder beschäftigte er sich mit seinem Fotoapparat, und sein Bart verdeckte die untere Gesichtshälfte. Während der Produktion von Spill recherchierten Gretchen und ich ein Jahr lang zu Ölgesellschaften, für die es offenbar Standardpraxis war, Filmemacher beschatten zu lassen. Durch diese schreckliche Erfahrung war meine Aufmerksamkeit derart geschärft, dass ich selbst jetzt noch, zehn Jahre später, nicht glaubte, der Mann mit dem Fotoapparat könnte nur zufällig im selben Bus sitzen wie ich. Ich beschloss umzusteigen. Ich könnte am Billingsgate Market rausspringen, über die Fußgängerbrücke auf die andere Straßenseite laufen und an der Poplar die DLR nehmen.
Wenn er mir folgte, hätte ich den Beweis.
Erst in letzter Sekunde verließ ich meinen Sitzplatz. Draußen hastete ich davon. Es ist unmöglich, die Straße zu überqueren – vier Fahrspuren, abgesperrt durch Geländer –, doch voraus führte eine Treppe zu dem überdachten Überweg, der mich zur Bahnstation brachte. Es wimmelte von Fußgängern; ringsherum nur Herbstmäntel, schwankende Regenschirme, pfützennasse Büroschuhe und Einkaufsbeutel. Geschützt in dem Gewoge, stieg ich die Treppe hoch, ohne zurückzublicken. Auf dem Bahnsteig würde ich mich in eine Nische drücken und sehen, ob der Mann mich verfolgte.
Auf dem Weg durch die Glasröhre der Brücke vibrierte mein Handy in der Manteltasche.
Froh über die Gelegenheit zu reden, zog ich es heraus. »Hallo. Ich fürchte, ich bin gerade nicht im Büro. Wenn Sie über einen Auftrag …«
»Spreche ich mit Tess Macfarlane?«
»Ja.«
»DCI Rafiq, Metropolitan Police.« Die Stimme einer Frau, und sie klang routiniert. »Ich rufe an, um eine Befragung zu vereinbaren. Es geht um den Gretchen-Harris-Fall. Ich leite jetzt die Ermittlungen, und wir untersuchen die Vorfälle noch mal.«
Mein Magen sackte schlingernd ab. Irgendwie gelang es mir weiterzugehen. »Wie bitte?«
»Wir haben alle Beteiligten angeschrieben und angekündigt, dass wir uns melden. Haben Sie den Brief erhalten?«
»Hab ich.« Er war vor zwei Wochen im Büro eingegangen. Ich hatte ihn überflogen und in den Papierkorb geworfen. Seitdem hatte ich die tragischste Art magischen Denkens praktiziert: totale Leugnung.
»Ich möchte mit Ihnen einen Termin ausmachen, der Ihnen passt.«
»Ich bin im Begriff zu verreisen.« Mit zitternden Beinen kam ich auf dem Bahnsteig an und schlängelte mich zwischen den Leuten durch. »Ich fliege morgen Abend. Bis dahin habe ich noch viel zu erledigen.«
»Darf ich fragen, wohin und für wie lange?«
Ich räusperte mich und nannte ihr die Details. »Hören Sie. Ich bin damals mit dem Ermittler alles durchgegangen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch etwas Nützliches hinzufügen kann.«
»Sie werden überrascht sein«, sagte DCI Rafiq behutsam. »Erneute Befragungen bringen oft neue, wertvolle Erkenntnisse. Also, Sie sind nächsten Donnerstag wieder zurück …« Ich hörte Finger über Tasten streifen. »Wie wär’s, wenn wir Sie für Freitag um neun vormerken? Können Sie zu dieser Zeit ins Polizeirevier Brixton kommen?«
Was blieb mir anderes übrig, als zuzusagen? Ich beendete das Telefonat und steckte mit zitternden Fingern das Handy weg. Obwohl ich meine Geschichte damals endlos wiederholt hatte, wusste ich nicht mehr, was ich im Einzelnen gesagt hatte. Würden sie mich bitten, alles noch mal zu erzählen, und das mit meiner vorigen Aussage vergleichen? Aber dann mussten sie doch mit zwei stark differierenden Versionen rechnen. Niemand kann sich über Jahre hinweg an genaue Einzelheiten erinnern, nicht mal bei traumatischen Erlebnissen. Ich strich mir eine schweißfeuchte Locke von der Schläfe hinters Ohr und versuchte, mich zu beruhigen. Vielleicht war das nur eine Routineangelegenheit, und ich wäre nach einer Stunde wieder draußen.
Es gelang mir, mich auf den Moment zu konzentrieren, fand eine Bank mit Aussicht auf die Menschenscharen und betrachtete die Passanten. Von dem Typen mit dem Fotoapparat war nichts zu sehen. Allerdings – der Gedanke flammte mit heller Gewissheit auf, war fast körperlich spürbar – könnten der Mann und Rafiqs Anruf zusammenhängen. Was, wenn mein Verfolger ein Polizist in Zivil war und mich beschattete? Ich schaute suchend in die Menschenmenge, und plötzlich beneidete ich sie alle um ihr unbescholtenes Leben.
Geh nach Hause, sagte ich mir. Sag bei Seawild zu, pack die Reisetasche und nimm den Flieger. Lass alles hinter dir, wenn auch nur für eine Woche. Konzentrier dich auf das Projekt – die Schönheit der Insel, die Geschichten des Forschungsteams, die Robbenkolonie.
Ich bahnte mir einen Weg zwischen den Leuten durch und sprang in die nächste Bahn. Ich wollte bis Limehouse fahren und mir die Sache solange überlegen. Wie immer gab es nur noch Stehplätze. Nachdem sich die Türen hinter mir geschlossen hatten, atmete ich auf. Der Zug verließ die Station.
Während der Bahnsteig davonglitt, sah ich den bärtigen Mann mit dem Fotoapparat, wie er suchend über die Köpfe schaute.
Am nächsten Abend verzögerte sich mein Flug nach Funchal wegen Nebels.
Noch nervös wegen des Beschatters, versuchte ich den Samstagabend über mit meinen Taschen im Arm auf den Sitzen in der Abfluglounge zu schlafen. In den Monaten nach unserer gemeinsamen Produktion von Spill hatte ich oft von Gretchen geträumt, seit über einem Jahr jedoch nicht mehr. Der Anruf von DCI Rafiq musste jedoch mein Unterbewusstsein angekurbelt haben, denn bei einer der wenigen Schlafphasen legte meine alte Mentorin einen verstörenden Auftritt hin.
Zuerst glaubte ich, wach zu sein.
Mit schmerzendem Nacken schwang ich die Beine auf den Boden. Meine Füße fühlten sich in den Turnschuhen heiß an. Gretchen saß mir gegenüber in hochhackigen Stiefeln, Jeans und einem Regenmantel mit geschlossenem Gürtel. Ihre Sonnenbrille hatte sie wie immer auf den Kopf geschoben. Ihre Stimme klang sentimental und fern, gefiltert durch den Schlick der Jahre. Sie sagte: »Du hast angerufen, aber ich kam nicht an mein Handy ran.«
Mein Kehlkopf bewegte sich, als ich antworten wollte, doch meine Zunge klebte an der Rückseite meiner Zähne.
Gretchen war dunkel und verschwommen, doch ich konnte ihre Augen erkennen – sie hatte immer einen durchdringenden Blick – und die Locken rings um das Gesicht. »Ich habe dich vom Straßengraben aus gesehen«, sagte sie. »Du standest auf der Straße.«
Mein zweiter Versuch zu sprechen geriet genauso tonlos wie der erste.
»Du hast angerufen«, sagte sie wieder. »Aber ich kam nicht an mein Handy ran.«
Ich hustete meine Kehle frei und brachte meine Stimme zum Klingen. »Lass uns über etwas anderes reden.«
»Du standest im Regen auf der Straße.«
»Gretchen, lass uns über etwas anderes reden.«
Sie zog einen Schmollmund und faltete die Hände. Aufgrund der seltsamen Traumlogik waren ihre Hände jetzt nass. Die Kleidung auch. Ihr Gesicht zog sich zusammen, und ich dachte, sie fängt an zu weinen.
»Hey«, sagte ich sanft. »Lass uns über etwas anderes reden. Wie geht es dir inzwischen?«
Sie nahm sich zusammen und verlor den Ausdruck der Verletzlichkeit. Ich sah sie kühl und hart werden. »Ach, du weißt schon«, antwortete sie und deutete auf ihre Beine. »Wie immer.«
Am folgenden Tag war es in der Ankunftshalle auf Madeira brechend voll. Ich half einer älteren Portugiesin mit ihrem Gepäck und wartete bei ihr, bis sie ihren Mann entdeckt hatte, dann ging ich Richtung Ausgang.
Eine Frau mit Acrylfingernägeln kontrollierte meinen Reisepass. Draußen standen Fahrer, die Pappschilder mit Namen hochhielten. Meiner war ein junger Mann in einem Ramones-T-Shirt und Sandalen. Er führte mich in eine Wand siedender Luft und öffnete den Kofferraum eines zitronengelben Mercedes, der unter Palmen in einer Wagenschlange stand.
»Funchal, ja?«, fragte er, als ich einstieg. Ich nannte ihm den Namen des Hostels, und er nickte in den Rückspiegel und reihte sich in den Verkehr vor der Schranke ein. »Urlaub?«
»Nein, Arbeit. Ich drehe einen Film.«
Ich schaute auf gepflegte Rasenflächen, Palmen und Kakteen, Felsbrocken, einen Schwarm Möwen. Der Himmel war kräftig blau und wolkenlos. Ein Schauder der Erregung durchlief mich. Draußen auf den Ilhas Desertas würde es wenig Komfort geben, nur Zelte und Isomatten, Dosengerichte und lange Tage. Aber wenigstens ließe sich dabei ignorieren, was in England auf mich wartete.
»Casablanca neunhundert Kilometer in dieser Richtung«, sagte mein Fahrer. »Gran Canaria fünfhundert in dieser Richtung.« Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter, während er auf der ER 101, Madeiras einziger Autobahn, einen Lkw überholte. Die steilen grünen Berghänge zu unserer Rechten waren mit Häusern gesprenkelt. Erste Eindrücke der Insel flogen vorbei; Plakatwände vor einem Dorf namens Santa Cruz; ein Springbrunnen mit Regenbogenfontänen. Wir überquerten eine tiefe Schlucht, bei der mir mulmig wurde, dann stießen wir in einen Tunnel. »Und Lissabon liegt tausend Kilometer in dieser Richtung. Filmen Sie das Festival in Funchal? Das Zuckerrohrfest? Kuchen, Wein?«
»Nein. Ich fahre raus zu den Desertas.« Von der fernen Inselgruppe war noch nichts zu erkennen, aber sie sei ein permanenter dunkler Fleck am Horizont, stand im Reiseführer.
Darauf zog er die Brauen hoch und schwieg für ein paar Augenblicke. »Zu den Ilhas Desertas? Sind Sie verrückt?«
Ich begegnete seinem Blick im Rückspiegel. »Wieso?«
»Die sind menschenleer. Da spukt es. Da ist nichts. Nur Felsen und ein Leuchtturm, das ist alles. Den Männern da ist viel Schlimmes zugestoßen …«
»Klingt großartig«, meinte ich trocken.
»Aber Sie filmen die Robben, ja?« Sein Gesicht hellte sich auf. »Schöne Tiere. Wir nennen sie lobo do mar, Wolf des Meeres.« Er grinste und stimmte zur Veranschaulichung ein Wolfsgeheul an, während wir über eine weiße Brücke fuhren, unter der sich Funchal bis zum Meer hinunter erstreckte.
Draußen am Busbahnhof und der wimpelgeschmückten Uferpromenade hob er meinen Rucksack aus dem Kofferraum und sah mir väterlich ernst in die Augen. »Da draußen, das ist kein Urlaub. Gefährliche Strömungen. Überhaupt nicht sicher. Und in der Festwoche ist es für Retter schwieriger, Sie rauszuholen. Seien Sie vorsichtig.«
»Keine Sorge«, sagte ich lächelnd. »Mir passiert schon nichts. Ich habe ein erfahrenes Team bei mir.«
Ich fand mein Hostel, duschte, zog mich um und ging mit der Kamera los, um in der Stadt ein paar Aufnahmen zu machen.
Ich filmte die Seilbahn und wie ihre Kabinen ratternd den langen Aufstieg über die Dächer zum Botanischen Garten begannen, Touristen-Tuk-Tuks, die sich durch den Verkehr fädelten, Imbisswagen, die Churros anboten, Skateboarder, die im Schatten von Palmen vapten. Als Alex mir am frühen Abend geschrieben und vorgeschlagen hatte, mich mit ihnen in der Altstadt zu treffen, hatte ich zugesagt und folgte nun ihrem Standort-Pin zum Revolucion, einer zweigeschossigen Cocktail- und Tapasbar.
Bis ich dort ankam, stand die Sonne tief über dem Hafen. In den belebten Gassen war es noch warm, und die Tische der Bar waren selbst draußen dicht besetzt. Drinnen roch es nach Knoblauch und gebratenen Sardinen. Die Kellner servierten Cocktails mit Salzrand und Schälchen mit Oliven.
Ich entdeckte Alex, die mich an ihren Tisch winkte.
»Tess! Schön, dich endlich in natura zu sehen!« In ihren kurzen Haaren zeigte sich das erste Grau. Ihre Goldrandbrille hatte kreisrunde Gläser. Sie deutete auf ein Glas mit Saft. »Ich habe dir einen Poncha bestellt. Rum, Rohrzucker, Honig und Orangensaft. Ein traditioneller Cocktail. Den trinken wir immer, wenn wir hier arbeiten. Und nimm dir ein Sweatshirt!« Sie deutete auf einen Stapel. Meins war das unterste.
Ich hielt es mir an. Seawild stand darauf, über einer weißen Welle mit einem springenden Delfin. Ich lächelte ihre Kollegen an. »Tess Macfarlane«, sagte ich. »Ich übernehme das Filmen.«
»Es steht dir«, meinte der Mann neben mir, ein Schwarzer, der mit Anfang dreißig ein paar Jahre jünger war als ich, ein Londoner mit gepflegtem Bart. »Mike Woods-Hughes, Seawild. Schön, dich kennenzulernen.« Er zog an seinen Manschetten unter dem Leinenjackett und neigte sich zu mir. In seinen Augen funkelte Begeisterung. »Du hast Spill gedreht, stimmt’s? Fantastischer Film. Hätte einen Preis der BAFTA gewinnen müssen. Man hat dich übergangen. Diese Sequenz in den Ölfeldern? Wunderschön fotografiert. Du bist ein Superstar.«
»Danke. Sehr nett.«
Ein Mann mittleren Alters mit einer Trucker-Kappe auf den schulterlangen Haaren und einem Pullover mit ausgeleiertem Ausschnitt stellte sich ebenfalls vor. »Vincento Perriera.« Er hatte spröde Haut, einen südländischen Teint, und wenn er lächelte, zeigten sich Krähenfüße an seinen rastlosen Augen. »Freust du dich auf den Trip?«
»Sehr.«
Alex breitete die Arme vor uns dreien aus wie eine stolze Mutter. »Endlich treffen wir uns persönlich. Auf die Ilhas Desertas.« Wir stießen miteinander an. Mike jubelte gut gelaunt, und Alex lächelte. »Ich habe großes Glück, euch dabeizuhaben. Was für ein großartiges kleines Team! Ich bin schon heiß darauf, loszulegen.« Ich fragte mich, ob sie sich absichtlich so begeistert gab, doch ihr lebhaftes Lächeln schien mir ehrlich zu sein. »Vielen Dank, dass ihr unserem Projekt eure Zeit opfert. Cheers!«
Wir stießen ein zweites Mal an. Alex bestellte Tapas und mehr zu trinken.
Vincento beugte sich beim Essen zu mir. »Freust du dich auf die Robben?«
»Absolut. Leo ist sehr erpicht darauf, die Insel zu schützen, keine Touristen zuzulassen.«
Vincento schluckte Bier und wischte sich den Mund ab. »Da bin ich ganz seiner Meinung. Achtsamkeit ist jetzt entscheidend. Die Population wächst langsam, aber sie wächst.« Er winkte einen Kellner heran, und einen Moment später goss er uns allen dunklen Rotwein ein. »Probiert den«, befahl er uns.
Mike lachte. »O Gott. Vinny hält uns wieder einen Vortrag.«
Wir hoben die Gläser und kosteten. Das Zeug schmeckte wie süßer Kaffee und Zigarrenrauch.
»Das ist Bual«, sagte Vinny. »Süßer als Verdejo. Fassgereift …« Er hielt grinsend inne, weil Mike ihn bejubelte, und redete dann weiter. »Tolle Farbe, komplexes Aroma. Ein schöner Wein, nicht?« Ich trank noch einen Schluck. Vinny fing meinen Blick ein. »Rauchst du?« Er schwenkte eine Schachtel Chesterfields. Ich schüttelte den Kopf. »Gute Antwort«, sagte er und erhob sich ächzend. »Teure Angewohnheit. Ich bin auf eine am Tag runter. Habe mir vorgenommen, vor der Hochzeit aufzuhören.«
»Hochzeit.« Ich prostete ihm zu. »Herzlichen Glückwunsch.«
Er verneigte sich dankend. »Die Liebe meines Lebens.« Er zeigte den schlichten Ring an seiner Hand. »Wieder.«
Lächelnd verfolgte ich, wie er sich zwischen den Gästen durchschlängelte und jemandem auf die Schulter klopfte, worauf sie laut zusammen lachten. Er war gut fünfzehn Jahre älter als ich. Also durfte ich noch hoffen. Nach Spill war ich in meiner Branche zu einem Geist geworden, jene Art Person, in deren Nähe Gespräche verstummen. Damit wurde es nicht einfacher, jemanden zu daten. Nach den Monaten mit Gretchen Harris war ich verschlossen und schuldbewusst, und es kostete jahrelange Aufmerksamkeit, meine Karriere wieder aufzubauen. Im Lauf der letzten zehn Jahre hatte ich schrecklich viele Samstagabende allein zu Hause verbracht und immer nur nach links gewischt. Wenigstens erzählte Vincentos Verlobungsring eine optimistischere Geschichte.
Nachdem unsere Gläser neu gefüllt waren, reichte Alex ihr Handy herum, und wir schauten uns Fotos von Navigaceo an.
»Die Robben versammeln sich an der Nordspitze.« Sie hielt das Display hoch, als Mike und ich uns zu ihr hinbeugten. »An der Südspitze steht der Leuchtturm. Die Insel hat zwei Gesichter. Im Westen nackte Steilfelsen. Dagegen ist die Ostseite durch frühere Erdrutsche weniger steil.« Sie zeigte uns Aufnahmen von dem zugänglichen Küstenstreifen, einer Landzunge aus rostrotem Gestein, überragt von einem Berg, dessen untere Hänge dicht bewaldet waren.
Wir unterhielten uns, aßen, und zum ersten Mal, seit mir der Mann mit dem Fotoapparat aufgefallen war, konnte ich mich entspannen. Nachdem eine weitere Flasche von Vinnys Bual auf dem Tisch stand, brachte ich die drei dazu, ihre Sweatshirts anzuziehen, und filmte meine neuen Kollegen, die in ihrem Marken-Outfit in die Kamera winkten.
Das Essen war gut, die Gesellschaft locker, die Musik laut, und allmählich wurde der Gedanke an das Polizeirevier Brixton zu einem Wehwehchen im Hintergrund wie ein leichter Kater, eine ferne Gefahr, die sich gut ignorieren ließ.
Um halb elf umarmten wir uns. Ich war so spät engagiert worden, dass im Hotel der anderen für mich kein Zimmer mehr zu bekommen war. Darum machten sich die drei gemeinsam auf den Weg, während ich die andere Richtung einschlug und auf unsicheren Beinen zu meinem Hostel ging. Aus einer Bar hörte ich Fadomusik. Vor einem Tätowierstudio erzählte eine Gruppe Freunde lärmend Witze. Über mir stand die Seilbahn still, die Kabinen hingen als starre Flecken über den Dächern.
Auf den Straßen wurde es ruhig, und von einer Sekunde auf die andere fühlte ich mich wieder allein.
Während ich mich anhand eines unklaren Stadtplans auf dem Handy unsicher orientierte, kam ich mir plötzlich vor wie am Rand der Welt, und wenn ich zu weit in die falsche Richtung ginge, würde ich fallen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
Um acht Uhr erwachte ich mit einem Brummschädel. Mein Laptop stand aufgeklappt auf dem Nachttisch.
Im ersten Moment wusste ich nicht mehr, was ich vor dem Einschlafen getan hatte. Ich starrte auf den schwarzen Bildschirm, bis mir eine verschwommene Erinnerung kam, die langsam klar wurde. Ich hatte auf der Seawild-Webseite recherchiert.
Ich schaltete das Gerät wieder ein. Genau – ich hatte ein überraschendes Bild von Alex entdeckt, auf dem sie in der Tür einer Forschungsstation stand, Gasbetonwände mit einem rostigen Blechdach an einer nackten Felswand. Ich betrachtete es erneut. Unter dem Foto stand: Teamleiterin Dr. Alex Dahlberg auf Deserta Grande. Grande war die zweite der vier Ilhas Desertas. Also hatte Seawild schon einmal ein Team da rausgeschickt. Komisch, dass sie das nicht erwähnt hatte. Und noch etwas hatte mich am gestrigen Abend verblüfft – der Text unter dem Foto. Photo credit: Lukas Larsen.
Die Naturdoku-Branche ist eine kleine Szene. Ich kannte Lukas.
Auf einmal fiel mir alles wieder ein. In der Nacht hatte ich ihn kontaktiert. Lukas Larsen war ein brillanter Filmemacher. Seawild hatte ihn sicher gebeten, auch bei dieser Expedition zu filmen. Es gab jede Menge Gründe, warum er abgelehnt haben könnte, doch sicher nicht wegen des Honorars. Lukas’ Absage würde zumindest die Hast erklären, mit der man mich ins Boot geholt hatte. Ich fand seine Nummer und schickte ihm eine kurze SMS: Rufen Sie mich an, wenn Sie einen Moment Zeit haben. Dann erst fiel mir ein, dass ich nicht so unvergesslich war wie er, und schickte eine zweite SMS hinterher: Tess Macfarlane, erinnern Sie sich? Dann schrieb ich noch einen Gruß in das Kontaktformular seiner Webseite. Er war mir einen oder zwei Gefallen schuldig und könnte mich darüber aufklären, womit bei der Arbeit für Seawild zu rechnen wäre. In der Nacht hatte er nicht mehr geantwortet, und auch jetzt war noch nichts von ihm gekommen. Doch wie ich ihn kannte, wunderte mich das nicht. Ich hatte ihn vor fünf Jahren bei der Berlinale kennengelernt, ein freischaffender Videofilmer mit kunstvollen Tattoos, der unter dem Radar lebte, stets in Militärklamotten, und ständig irgendeinen Film über Kleinbauern in Waldhütten drehte oder monatelang allein einer Rentierherde folgte. Die meisten Webseiten von Dokumentarfilmern waren sorgfältig kuratierte Präsentationen von Pitch-Tapes und Referenzen, aber Lukas war anders. In seinen Blogbeiträgen vertrat er klar seine Meinung und nahm multinationale Konzerne und Regierungen aufs Korn.
Ich setzte mich auf und scrollte noch mal durch seine Webseite. Dabei wurde ich auf seinen jüngsten Post aufmerksam. Er war zwei Jahre alt, lohnte aber genaueres Hinsehen. Seawild wurde darin nicht namentlich genannt, doch bei der Erwähnung von Daten und Orten war Lukas nicht zurückhaltend gewesen. »Stellt euch vor«, schäumte er, »ich arbeite wieder für eine dieser unechten gemeinnützigen Organisationen, die nur wegen der Steuererleichterungen dabei sind.« Der Text war geschrieben worden, kurz nachdem das Foto von Alex Dahlberg auf die Seawild-Webseite gestellt worden war. Er bezog sich ganz sicher auf Seawild. »Mir tun die Leute leid, die für diese Firmen schuften müssen«, fuhr er fort. »Das kann einen guten Ökologen schon stocksauer machen, was btw tatsächlich passiert ist.« Die Teammitglieder wurden auch scharf kritisiert: »Ich höre sie laut streiten. Einer trinkt SEHR VIEL, der andere ist ein Fake. Einer wird einen Nervenzusammenbruch haben, bevor das Jahr um ist. Atmosphäre unheimlich und wütend.« Und er schloss mit: »Ein Job, den ich nur zu gern hinter mir lassen werde.«
Der gute alte Lukas, dachte ich und las den Post noch einmal mit nüchternerem Blick. Hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Ich fragte mich, ob er Mike, Vincento und Alex meinte. Mein Seawild-Team war mir am gestrigen Abend ganz okay erschienen, und trotzdem fand ich das beunruhigend. Wenn sie tatsächlich so waren, wie Lukas sie beschrieb, dann standen mir ein paar schwierige Tage bevor.
Gerade kam es für mich knüppeldick.
Ich war aus London abgehauen, um auszublenden, dass ich noch immer Zeugin in einer polizeilichen Ermittlung war. Vor drei Tagen war mir ein Mann von meiner Wohnung zur Arbeit gefolgt, und ich konnte von Glück reden, dass ich ihn abgeschüttelt hatte. Jetzt würde ich auf einer Insel über tausend Kilometer von Afrika entfernt mit einem potenziell toxischen Team arbeiten. Da wünschte ich mir nicht zum ersten Mal, ich hätte damals die Ermutigung meiner Dozenten an der Westminster ignoriert, Spill nicht gedreht und Gretchen Harris nicht kennengelernt.
Ich wusste noch, wie verwirrt ich antwortete, als einer meiner Tutoren mich beiseitenahm und mir sagte, wie sehr ihm meine Semesterarbeit gefallen habe.
Mir war klar gewesen, dass ich mein Handwerk nicht vollständig beherrschte und nur durch Zufall bei etwas Gutem gelandet war. Doch Zufall hin oder her, im Lauf der nächsten zwei Jahre tat ich mich weiter hervor. Ich gewann einen Preis für einen Monolog, einen Geldpreis für einen Wettbewerbsbeitrag und kam häufig auf nationale Auswahllisten. Alles, was ich einreichte, wurde ein Erfolg, und ich brauchte mich nicht anzustrengen wie meine Kommilitonen. Wenn die von Schaffenskrisen, fehlendem Filmmaterial und Katastrophen am Drehort erzählten, tat mir das für sie natürlich leid, aber ich musste mir Probleme ausdenken, um zu den Gesprächen etwas beizutragen. Allerdings änderte sich das bald. Im letzten Studienjahr musste man einen fünfzehnminütigen Film für die Abschlussveranstaltung produzieren, und das spielte eine große Rolle während der letzten Semester. Wir alle konnten über nichts anderes reden – Talentscouts und Fernsehleute würden sich im Auditorium drängen, und unsere Arbeit wäre unsere Visitenkarte. Es stand viel auf dem Spiel. Also arbeitete ich neun Monate lang an Spill und erfuhr zum ersten Mal, was es hieß, sich einer Sache obsessiv zu widmen. Das Objekt meiner Fixierung? Chase Industries, eine Ölgesellschaft mit Sitz in Großbritannien, die ein Greenwashing-Projekt betrieb und durch die betrügerische Verwendung von staatlichen Geldern finanzierte. Schicht um Schicht deckte ich Falschinformationen und Lügen auf, grub tief unter der Oberfläche der Hochglanzbroschüren und Presseverlautbarungen. Die Story nahm mich vollständig in Anspruch. Ich trieb mich bis an den Rand des Zusammenbruchs an, folgte einem Instinkt, über den ich keine Kontrolle mehr hatte. Als die Abschlussveranstaltung kurz bevorstand, fand ich nachts keinen Schlaf mehr.
Die Redakteure der Sender drängten sich an dem Abend im Auditorium. Während andere froh waren, relativ anonym zu bleiben, hatte ich das Gefühl, dass alle Augen auf mich gerichtet waren. Meine Tutoren waren gekommen, um mir Glück zu wünschen. Kommilitonen, die mich neidisch abwerteten, waren ferngeblieben, und ich konnte es ihnen nicht verdenken, denn viele waren genauso gut wie ich und einige sogar besser – es war mir ein Rätsel, warum gerade mir so viel Aufmerksamkeit zuteilwurde. Der Abend war unangenehm und unbehaglich, doch am Ende bekam ich ein mündliches Angebot von Channel 4. Die Mitarbeiter des Seminars waren hocherfreut. Sogar meine Kommilitonen gratulierten mir zähneknirschend.
Ich fragte mich, was sie jetzt wohl dachten, meine Kommilitonen von damals. Manchmal stellte ich mir vor, wie sie bei ihren Jahrestreffen darüber redeten. Über meinen frühen Erfolg, der so viel versprach, über die junge Frau, die mit Gretchen Harris arbeiten durfte, und wie schnell ihr Stern verglühte. Dann die reumütige Wo-steht-sie-jetzt-Unterhaltung zum Abschluss. Wie einfach das Leben hätte sein können, wenn ich nicht diesen unangemessenen Erfolg gehabt hätte, sondern einen, den meine Arbeit tatsächlich verdiente. Wenn ich den fünfzehnminütigen Kurzfilm nicht gedreht, mich nicht mit Gretchen zusammengetan hätte … und nicht in den Kern County-Ölfeldern gewesen wäre.
Ich trank zwei Tassen Kaffee, aß zu jeder ein Pastel de nata, dann kehrte ich auf mein Zimmer zurück und packte mein Zeug zusammen, um auszuchecken und zum Hafen zu gehen.
Vor dem Hostel fegte ein Mann in weißer Kochkleidung den Platz. Organisatoren des Festivals spannten Wimpelketten und bauten Stände auf, und über allem funkelten die verspiegelten Fenster der Seilbahnkabinen, die, in ihrem endlosen Kreislauf gefangen, durch den Morgenhimmel schwebten. Diesmal nahm ich eine andere Route zum Hafen, an den Geschäften und Bars vorbei zum Busbahnhof, wo mein Taxifahrer mich abgesetzt hatte. Gefährliche Strömungen, hatte er gesagt. Überhaupt nicht sicher. Seien Sie vorsichtig.
Auf dem Weg durch die Kopfsteinpflastergassen zum Markt, das Meer ein Stück entfernt linker Hand, wurde ich allmählich gespannt. So abgelegen Madeira war, es war bunt und sprühte vor Lebendigkeit. Gleich würde ich zwei Stunden auf einem Boot fahren. Drüben angekommen, wären wir seit einem halben Jahrhundert die Ersten, die einen Fuß auf die Insel setzten, und würden dort in den vier Tagen Forschungsarbeit allein sein.
Als ich an einem Zebrastreifen am Fluss wartete, schaute ich zu den Tischen eines Cafés am Marktplatz. Eine Warteschlange vor einem Eisstand, ein Lkw-Fahrer, der Kisten mit grünen Bananen auslud, breitkrempige Sonnenhüte und knallige T-Shirts. Ich ließ den Blick schweifen und verweilen und erlebte einen jener Momente zufälligen Blickkontakts.
Der Mann, der mich angesehen hatte, schaute bereits woandershin. Er studierte eines der Festivalprogramme, die überall verteilt wurden.
Ein, zwei Augenblicke lang beobachtete ich ihn, und nach dem ersten Erschrecken flackerte Gewissheit auf. War das mein Beschatter aus London? Unmöglich. Und dennoch war es der gleiche Bart. Und etwas an seinem Benehmen – wie sorgfältig er es vermied, meinem Blick zu begegnen – richtete mir die Nackenhaare auf. In Canning Town hatte er die zweckmäßige Kleidung des Großstädters getragen: Chinos und ein gebügeltes hellblaues Hemd. Das war sicher ein anderer Mann. Die Londoner Polizei würde keinen Cop bis nach Madeira schicken, damit er eine Zeugin im Auge behielt. Es sei denn, sie wäre mehr als das, eine Verdächtige. Trotz der warmen Luft überlief es mich kalt.
Dann sprang die Ampel um, und die Fußgänger trugen mich mit fort.
Taumelnd schaute ich zurück. Der Mann blickte von seinem Faltblatt nicht auf.
Im Hafen lag die Auk. Ihr silberner Rumpf schimmerte in der Morgensonne, Masten sangen im Wind, ein Möwenschwarm zog seine Kreise. In einer der Straßen am Hafen spielte eine Band zum Auftakt des Festivals. Ich war sicher, dass mir niemand zum Wasser gefolgt war, doch anscheinend wirkte ich gestresst, denn Alex fragte lebhaft und gut gelaunt, ob es mir gut ginge. Ich nickte so überzeugend wie möglich und rang mir ein Lächeln ab.
»Großartig. Da liegt unser Boot«, verkündete sie, als wir alle eine Leiter zum Schwimmdock hinuntergestiegen waren und das Gepäck abgestellt hatten. »Ich liebe die Auk. Die haben wir schon mal genommen.«
Das Boot war größer als die Bowriders, die ich mal gefilmt hatte. Ich schätzte es auf fünfzehn Meter. Es hatte auf dem Achterdeck eine Winsch mit Trommel, einen kleinen Lastkran, eine Sechs-Mann-Spiere, die auf dem Deck festgezurrt war, und ein Beiboot, das am Bug über dem Wasser hing.
Im Kreis meiner Kollegen konnte ich mich ein bisschen entspannen. Bald würden wir ablegen und vierzig Kilometer weit nach Südosten fahren.
Und wen immer ich in dem Café hatte sitzen sehen, er würde dort bleiben.
An der Treppe am Heck kam ein glatzköpfiger Mann in abgeschnittenen Jeans und mit nackten Füßen zum Vorschein, der eine Kiste mit Ausrüstung trug. »Hallo!«, rief er mit starkem portugiesischen Akzent.
»Arnaldo!«, rief Alex zurück. »Schön, dich zu sehen!« Sie drehte sich zu mir um. »Arnaldo wird uns zu den Inseln bringen und dort absetzen. Dann haben wir vier Tage Zeit, um Peilsender anzubringen, die Aufnahmen zu checken und Daten zu sammeln. Am Donnerstag holt er uns wieder ab.«
»Wir können gleich ablegen«, sagte er, sprang träge auf das Schwimmdock und kam zu uns, ein erfahrener Seemann um die fünfzig, dem ein Schneidezahn fehlte. »Kommt an Bord. Es sind nur noch ein paar Dinge zu checken.«
Wir stiegen aufs Achterdeck und deponierten dort unser Gepäck. Blinzelnd schaute ich über den Hafen. Es wurde bereits heiß. An den seichten Stellen war die Bucht karibisch blau.
»Das wird eine gemütliche Fahrt«, sagte Arnaldo. »Ein paar Wolken, etwas Wellengang, aber meistens ruhig. Ich habe eure Ausrüstung verstaut. Das ist ganz schön viel Zeug!«
»Satellitenkommunikation«, erklärte Alex. »Ein PVC sollte auch dabei sein, und eine Powerbox. Zelte, Vorräte. Es ist alles da. Wie es aussieht, können wir losfahren.«
Während wir auf die Bucht hinausfuhren, verschwamm Funchal zu einem weiß gesprenkelten Fleck am Hang des Berges. Die Leute am Strand schrumpften zu Punkten, die Autos auf den Brücken funkelten wie Juwelen. Ich fragte mich, ob der bärtige Mann mit dem Fotoapparat irgendwo dort an der Uferpromenade nach mir suchte. Nein, ich hatte mich bestimmt getäuscht. Zwar hatte man die Ermittlungen wieder aufgenommen, aber man würde keinesfalls einen Kollegen über den Atlantik schicken, damit er mich beobachtete. Folglich war ich nur nervös, das war alles. Ich hielt nach Bedrohungen Ausschau, die es nicht gab.
Je kleiner Madeira wurde, desto besser ging es mir. Während die kühle Meeresluft mich von meinen Sorgen befreite, nahm ich mir vor, alles zu vergessen. Es wäre nichts damit gewonnen, wenn ich grübelnd an den Freitagmorgen auf dem Polizeirevier dachte oder an einen eingebildeten Beschatter.
Während wir über die Wellen ritten, verbrachte ich eine halbe Stunde mit heftiger Übelkeit an der Reling. Mit tuckerndem Motor stieg die Auk die grauen Flanken hinauf und über den Kamm, dann stürzte sie ins Tal, um die nächste in Angriff zu nehmen. Ich hörte das unverwechselbare Geräusch der Seekrankheit und drehte mich zur anderen Seite um, wo Vinny den Kopf übers Wasser beugte.
Mit zitternder Hand wischte er sich den Mund ab. »O mein Gott«, sagte er, als er mich bemerkte, blass, dunkeläugig und trotz der Kühle schwitzend. »Es scheint nie leichter zu werden.«
»Das hält mindestens einen Tag an.«
Er lachte verbissen. »Und der Boden schwankt danach noch einen Tag lang.«
Ich nickte, den Blick auf die Horizontlinie geheftet, und hielt mit tiefen Atemzügen meinen schlingernden Magen in Schach. Die Klippen von Chão, der ersten Insel der Kette, wurden langsam größer.
Mike kam unter Deck hervor und bewegte sich mit zur Seite gestreckten Armen wie ein Seiltänzer auf uns zu. »Das wird unglaublich«, sagte er und lehnte sich neben uns an die Reling. »Die Ersten zu sein, die auf Navigaceo an Land gehen, seit – wann? Neunzehnhunderteinundsiebzig?«
»Ich werde zusehen, dass ich dabei ein paar gute Aufnahmen von euch mache«, sagte ich zu ihm.