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Eine Salzburger Kulturinstitution im Nationalsozialismus Die aus dem 1841 gegründeten Dommusikverein und Mozarteum hervorgegangene Internationale Stiftung Mozarteum in Salzburg gilt seit 140 Jahren als führende Kulturinstitution weltweiter Mozartpflege. Auf der Grundlage erstmals ausgewerteter Quellen beleuchtet der Band die Aktivitäten der Stiftung Mozarteum unter ihrem Präsidenten Albert Reitter während der NS-Zeit. Die Stiftung profitierte von der NS-Kulturpolitik, die Mozart als Heroen des "arischen Deutschtums" umdeutete. Aufgrund der großen propagandistischen Bedeutung der Stiftung wurde die geplante Gesamtausgabe der Werke Mozarts sogar von der "Kanzlei des Führers" finanziert. Der Band stellt den Wahn der "Machbarkeit" überzogener Projektziele vor und analysiert die Hintergründe des überdurchschnittlich angepassten Verhaltens führender Akteure und Mitarbeiter der "Stiftung" während des NS Terrorregimes. Das Ende ist unrühmlich. Bei zunehmend schwindenden Ressourcen und im NS-spezifischen Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft am "deutschen Mozart" wurde der Salzburger Komponist schließlich zum Vehikel einer willkürlichen Kulturpolitik instrumentalisiert. Beiträge zur nationalsozialistischen Vereinnahmung Mozarts Bilder und Dokumente aus Archiven Zweiter Band in Bearbeitung (Schwerpunkte: Konzertwesen, Auslandsbeziehungen, Nachkriegsentwicklung)
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Seitenzahl: 1040
Politische Einflüsse aufOrganisation, Mozart-Forschung,Museum und Bibliothek
Alexander PinwinklerOliver Rathkolb (Hrsg.)
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Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2022 Verlag Anton Pustet
5020 Salzburg, Bergstraße 12
Sämtliche Rechte vorbehalten.
Umschlagbild: Festakt anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Errichtung des Mozart-Denkmals am 4. September 1942.
Der Präsident der „Stiftung Mozarteum“ Albert Reitter erhebt die Hand zum „Hitlergruß“ vor dem Mozart-Denkmal.
Aufnahme: Anny Madner. ISM-Archiv, Fotosammlung, F 8409.
Grafik, Satz und Produktion: Tanja Kühnel
Lektorat: Ulrich Leisinger, Ioana Geanta
Korrektorat: Markus Weiglein
eISBN 978-3-7025-8090-2
Auch als gedrucktes Buch erhältlich: ISBN 978-3-7025-1022-0
www.pustet.at
Johannes Honsig-Erlenburg
Vorwort
Alexander Pinwinkler und Oliver Rathkolb
Einleitung
Alexander Pinwinkler
Die (Internationale) Stiftung Mozarteum – Streiflichter auf ihre Akteure und Akteurinnen vor, im und nach dem „Dritten Reich“
Tobias Debuch
„Die Neuordnung des Musiklebens in Salzburg und damit die Neuordnung des Mozarteums“ – Gleichschaltung und Selbstverständnis der (Internationalen) Stiftung Mozarteum am Beispiel der Satzungsänderungen der Jahre 1939 bis 1945
Alexander Pinwinkler
Albert Reitter – NS-Kulturfunktionär und Präsident der „Stiftung Mozarteum“ von 1938 bis 1945
Oliver Rathkolb
Politische Funktionalisierungen der Biographie und Musik Wolfgang Amadé Mozarts im Europa unter NS-Hegemonie und im Exil bzw. Widerstand
Christoph Großpietsch
Zur Selbstinszenierung von Erich Schenk in Salzburg und Wien – Die Idee einer Zentralisierung der Mozart-Forschung
Christoph Großpietsch
Das Zentralinstitut für Mozartforschung und seine Mitglieder nach dem „Anschluß“
Christoph Großpietsch
Das Generalsekretariat der „Stiftung Mozarteum“ unter Erich Valentin
Ulrich Leisinger
Zwischen „Führerauftrag“ und Kriegswirklichkeit – Erich Valentin und die gescheiterte Gesamtausgabe der Werke W. A. Mozarts (1940–1945)
Armin Brinzing
Die Bibliothek der Internationalen Stiftung Mozarteum – Personelle und institutionelle Entwicklung als „wissenschaftliche Arbeitsstätte“
Armin Brinzing
Provenienzforschung in der Bibliotheca Mozartiana
Christoph Großpietsch
Provenienzforschung im Mozart-Museum – Ein erster Überblick für den Zeitraum 1931 bis 1991
Sabine Greger-Amanshauser
Die Ausstellungstätigkeit der „Stiftung Mozarteum“ in der Zeit des Nationalsozialismus
Christoph Großpietsch
Rückgaben, Rückblicke und die Rolle von Alfred Heidl für den Neubeginn der Internationalen Stiftung Mozarteum nach Kriegsende
Anhang
Abkürzungen und Siglen
Quellen
Literatur
Namen
Bloße Naturwesen vergessen und fangen von vorn an.Wir aber sind Menschen und werden nimmermehr wahrhaftig,wenn wir nicht vor Augen haben, was getan wurde.
Karl Jaspers, 1958
2014 gedachten wir des 100-jährigen Bestehens unseres „Mozarteums“ an der Schwarzstraße. Bewusst spreche ich vom Gedenken, zum Feiern bestand wenig Anlass: Eröffnet wurde das Haus in den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs – ein Akt der Verfremdung und Kriegspropaganda. Anwesend waren damals die Errichter und Ermöglicher des neuen „Mozarthauses“, Vertreter des (überwiegend heimischen) Bürgertums und der Aristokratie, mehr oder weniger kunstsinnig, mehr oder weniger deutschnational.
2014 wurde mir bewusst, wie sensibel wir mit der Geschichte der „eigenen“ Institution umgehen müssen, wie sehr uns die Betrachtung und Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit fordert. Damals war es nicht nur Anlass, es war geboten, mit der Wiederholung des Eröffnungskonzerts vom September 1914 die außergewöhnlichen Zeitumstände, insbesondere die sich damals bereits abzeichnende Kriegstragödie aufzuarbeiten und vor dem Hintergrund dieses Wissens über Geschichte und Gegenwart unserer Institution nachzudenken.
Solche Jubiläen, wenn sie in einem ernsthaften Sinn begangen werden – also nicht billiger Nostalgie oder sentimentaler Verklärung dienen –, tragen dazu bei, unser Gedächtnis zu vertiefen. Sie sind im besten Sinne seriöse Akte der Erinnerungskultur. „Erinnerungskultur“ – vielleicht wird einigen dieses Wort heute als modischer Terminus erscheinen; und doch ist unsere „Kultur der Erinnerung“ für die psychologischen, sozialen, politischen und kulturellen Dimensionen des Lebens von entscheidender, zeitübergreifender Bedeutung. Gemeint ist, wie Karl Jaspers andeutet, dass sich die Menschheit im Allgemeinen oder eine besondere Gemeinschaft oder ein einzelnes Individuum Gewissheit über das Herkommen, über die eigene Geschichte verschaffen können. Dass wir befähigt sind, das Gedächtnis an unsere Vergangenheit zu bewahren – weswegen wir uns in unserer eigenen Zeit aufrichtig und selbstbewusst orientieren können.
Erinnerungskultur bedeutet natürlich nicht nur, sich der positiven Grundlagen der Historie zu versichern, etwa die programmatischen Gründer-Ideen jeweils aufs Neue zu bejahen, sondern es müssen auch negative Ereignisse aus der Vergangenheit benannt, erforscht und in der Folge neu interpretiert werden. Dazu bedarf es der ernsthaften und schonungslosen Untersuchung historischer Ereignisse und Vorgänge sowie ihrer plausiblen Darstellung und Vermittlung.
Wir erinnern uns daran, dass vor dreißig, vierzig Jahren an vielen Orten Deutschlands und Österreichs Historikerkommissionen gebildet wurden, um die NS-Verstrickungen von Institutionen oder Unternehmen zu erforschen. Die Ergebnisse dieser Aufarbeitung der sogenannten „dunklen Jahre“ erschütterten nicht nur die akademischen Kreise, sie hatten auch ein enormes Echo in der Öffentlichkeit und führten zu heftigen Auseinandersetzungen, wobei so mancher Historiker attackiert und als „Nestbeschmutzer“ beschimpft wurde.
Heute, das Kriegsende liegt mehr als 75 Jahre zurück, hat die Forschung über die Zeit des Nationalsozialismus ein viel deutlicheres Profil und verfeinerte Methoden der Aufarbeitung gewonnen. Eine neue Generation von HistorikerInnen ist an der Arbeit; sie richtet ihren Blick auf die Aktivitäten einzelner Institutionen während der NS-Herrschaft. Das Besondere dabei ist, dass nun das Engagement zur Auseinandersetzung mit der NS-Zeit nicht nur von außen kommt, sondern mehr und mehr aus den Institutionen selbst. So ist das auch in unserem Fall.
Die Internationale Stiftung Mozarteum und der Nationalsozialismus – die kritische Frage ist erlaubt: Warum hat es so lange gedauert, dass wir uns unserer Geschichte stellen? Denn das war vielen klar: Die nach 1945 betriebene Legendenbildung von der politischen „Unbeflecktheit“ einer Institution, die 1945 aus einem „bösen Traum“ erwachte und nahtlos an die Ideale der Zeit vor 1938 anknüpfen konnte, ist ein Trugbild.
Offenbar waren wir aber gerne bereit, uns mit einzelnen Episoden und Legenden zu begnügen, auch wenn deren Kern wissenschaftlich nicht immer haltbar war, und wir haben uns willig mit Gerüchten und Vermutungen über diese oder jene Ereignisse zufriedengegeben. Lange haben wir uns nicht die Frage gestellt, welche Rolle die „Stiftung Mozarteum“ eigentlich in den Jahren zwischen 1938 und 1945 im Kulturleben der Stadt Salzburg und darüber hinaus gespielt hat, welchen Zielen die damals amtierenden Herren in der Leitung der Stiftung gedient, was sie während dieser sieben Jahre tatsächlich getan und was sie unterlassen haben.
Was waren die Absichten, als das Programm der Stiftung im NS-Sinne neu definiert wurde? Dies betrifft schon die generelle Frage nach der Instrumentalisierung von Musik im politischen Sinne, wie man etwa an den Überlegungen und Aktivitäten zum Mozart-Gedenkjahr 1941 auf Konzert- und auf Ausstellungsebene sehen kann. Vor allem aber müssen auch die Bildungspolitik, die Musikerziehung und die Veranstaltungstätigkeit der „Stiftung Mozarteum“ in diesen Jahren untersucht werden, denn für die nationalsozialistische Kulturpolitik galten sehr resolute Maximen, wie man schon an diesem einen Satz eines Propagandisten erahnen kann: „Es ist daher die Heranführung der Volksgenossen zum Kunstgenuss und zur Kunstausübung politische Erziehungsarbeit, also Aufgabe der NSDAP.“
Viele solcherart intendierte „Projekte“ bedürfen einer näheren Betrachtung: Da ist etwa die Geschichte des damals in Salzburg geplanten Zentralinstituts, dem die gesamte musikhistorische Forschung in Salzburg untergeordnet werden sollte. Diese Gedanken lassen sich bei Erich Schenk, der der Stiftung in den 1920er-Jahren kurze Zeit als Bibliothekar diente, bis in das Jahr 1925 zurückverfolgen. Während der von der Internationalen Stiftung Mozarteum 1931 unter Schenks Leitung abgehaltenen musikwissenschaftlichen Tagung wurde dann die Idee eines Zentralinstituts für Mozartforschung entwickelt, das sich aber, wie Christoph Großpietsch entgegen dem bisherigen „Mythos“ zeigen konnte, nicht gleich konstituierte. Dieses Zentralinstitut spielte erst in den wissenschaftlichen Agenden der „Stiftung Mozarteum“ in der NS-Zeit eine entscheidende Rolle. Es ist daher unsäglich, dass die Benennung als „Zentralinstitut für Mozartforschung“ jahrzehntelang unbeanstandet im Hause Stiftung Mozarteum fortbestehen konnte und erst 2003 (!) in „Akademie für Mozartforschung“ abgeändert wurde.
Zu den wichtigsten wissenschaftlichen Agenden des Zentralinstituts gehörte die von „höchster Stelle“ seit 1941 unterstützte, tatsächlich aber von der „Stiftung Mozarteum“ angeregte neue Gesamtausgabe von Mozarts Werken – ein gigantisches NS-Prestigeprojekt im „Führer-Auftrag“, mit viel Geld dotiert, aber letztlich ohne irgendein vorzeigbares Ergebnis.
Nur im Ansatz bekannt war die schuldhaft-aktive Rolle der Stiftung bei der Beschlagnahmung von wertvollen Notenhandschriften und Archivalien aus den Bibliotheken der Klöster von St. Peter und Michaelbeuern; durch die Forschungen von Armin Brinzing ist nun auch beispielsweise die Einverleibung von Materialien des Katholischen Universitätsvereins neu in das Blickfeld gerückt.
Dies sind nur einige der vielen Themen, die hier nun mit Akribie und wissenschaftlicher Seriosität untersucht werden.
Erstaunlich ist aber auch, welche enorme Eigeninitiative einzelne Personen entwickeln konnten, wenn es darum ging, durchaus im NS-Sinne, eigene Ziele durchzusetzen. Dass es nicht wenigen dieser Personen nach dem Krieg gelungen ist, auch mit Ehrungen ausgezeichnete Mitglieder der (Salzburger) Gesellschaft zu sein oder zu werden, zeigt auf, wie komplex sich die Aufarbeitung dieses Tiefpunkts der europäischen Menschheitsgeschichte gestaltet. In dieser umfassenden Herangehens- und Handlungsweise liegen die Pflicht und die Chance unserer und nächster Generationen, die wir persönlich unbelastet und familiär unbeeinflusst handeln können. Wir müssen uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass bis heute in der Stiftung Mozarteum keine umfassende Aufarbeitung der Restitutionsthematik erfolgt ist. Restitution ist überhaupt keine Frage des materiellen Werts – hier zählt jedes einzelne Objekt! Selbstredend ist diese Aufgabe extrem schwierig und wird unsere Bibliothek und unser Archiv lange fordern, zumal die Aufzeichnungen über Bibliotheks-„Zuwächse“ in der NS-Zeit entweder unzuverlässig oder durch die Wirren bei Kriegsende, die auch die Stiftung betroffen haben, nicht mehr vorhanden sind. Das alles darf für uns kein Vorwand sein, sich vor der eigenen Restitutionsverpflichtung zu drücken!
Weil also, wie man sehen kann, ein enormer Aufklärungsbedarf herrscht, hat das Präsidium der Stiftung Mozarteum schon vor einigen Jahren eine Initiative gestartet und HistorikerInnen eingeladen, die NS-Verstrickungen von Kunst und Wissenschaft der Stiftung ohne Vorbehalte aufzuarbeiten. Dabei sollte es keineswegs darum gehen, das „symbolische Kapital“ unserer Institution zu verbessern, sondern vor allem darum, Entwicklungen in unserer Geschichte, auch der Nachkriegszeit, besser zu verstehen. In diesem Sinne ziehen wir nicht „endlich einen Schlussstrich“, denn natürlich wird die Zukunft der Stiftung Mozarteum Salzburg auch davon abhängen, ob wir bei der Aufarbeitung der Vergangenheit seriös und glaubwürdig geblieben sind.
Wir waren selbst überrascht von der Fülle des Materials und der Aktivitäten, die in einem einzigen Band gar nicht im gebührenden Umfang behandelt werden können. Die Aufarbeitung der NS-Geschichte der Stiftung Mozarteum soll daher mit der Veröffentlichung des vorliegenden Bandes keineswegs als abgeschlossen betrachtet werden; vielmehr wird uns die Thematik weiter begleiten, nicht zuletzt, um offene Fragen der Provenienzforschung zu klären. Die Materialien aus dem Archiv der Stiftung Mozarteum aus der NS-Zeit und manches aus den unmittelbar angrenzenden Zeiträumen wurden für dieses Projekt digitalisiert, um die Ergebnisse jederzeit überprüfbar zu machen und um weitere Forschungen zu diesem wichtigen Thema anzuregen.
Als Präsident der Stiftung Mozarteum danke ich im Namen unseres Hauses allen Beteiligten, den AutorInnen dieser Publikation, stellvertretend den Herausgebern, Univ.-Doz. Dr. Alexander Pinwinkler und Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb. Ich bedanke mich bei den MitarbeiterInnen der Stiftung Mozarteum für die Mitwirkungs- und Aufarbeitungsbereitschaft, insbesondere bei Dr. Christoph Großpietsch, der das Projekt initiiert hat, und bei Dr. Tobias Debuch, der es sich während seiner Zeit als Geschäftsführer an der Stiftung Mozarteum zu eigen gemacht hat. Dieser Band ist nicht nur ein wertvoller Inhouse-Beitrag zur Aufarbeitung der eigenen Institutionsgeschichte, er ist auch ein Zeichen von durchaus selbstkritisch gelebter Institutionskultur.
Die Stiftung Mozarteum Salzburg verfolgt seit ihrer Gründung den Kernauftrag, Mozarts Werk, seinen Geist, seine Humanität, seine Einzigartigkeit allen Menschen zugänglich zu machen. Wir sind aufgerufen, sein Erbe nicht nur zu erhalten, sondern zeitgemäß fortzuentwickeln. Dazu gehört die ständige Bereitschaft zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Nur so kann ein ungetrübter Blick in die Gegenwart und die Zukunft gelingen.
Dr. Johannes Honsig-Erlenburg
Präsident
Alexander Pinwinkler und Oliver Rathkolb
Mitten im Zweiten Weltkrieg, dem nationalsozialistischen Aggressionskrieg und der damit eng verknüpften Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden und zahlreichen anderen stigmatisierten Gruppen wie beispielsweise Roma/Romnja und Sinti/Sintize im nationalsozialistischen Deutschland und in den besetzten Gebieten Europas, gab die „Stiftung Mozarteum“ ein Fest: Am 22. April 1941 veranstalteten die „Stiftung Mozarteum“ und die Staatliche Hochschule Mozarteum, die kurz zuvor, am 23. März 1941, zur „Reichshochschule für Musik“ erhoben worden war, Gedenk- und Feierstunden anlässlich des hundertjährigen Bestehens des „Mozarteums“.1 Das Salzburger Volksblatt hatte unter dem Titel „Das Mozarteum als Jubilar“ die bevorstehenden festlichen Veranstaltungen bereits einige Wochen zuvor angekündigt. Aus der Sicht dieser Tageszeitung war die „Stiftung Mozarteum“ „heute selbstverständlich eine deutsche und nicht eine internationale Stiftung“2. Das Salzburger Volksblatt propagierte damit eine deutschnationale und durch die rassistische Konstruktion einer „arischen“ Volksgemeinschaft geprägte ideologische Engführung als programmatische Zielvorstellung der Stiftung. Hingegen stand Internationalität im Verdacht des vorgeblich nicht mehr „zeitgemäßen“ Liberalismus und Kosmopolitismus.
Die 1941 zelebrierten „Ehrentage der Stiftung Mozarteum“ sollten die im Nationalsozialismus neu errungene öffentliche Anerkennung der Stiftung deutlich zum Ausdruck bringen. So erwähnte der damalige Präsident der Kulturinstitution, der Salzburger Rechtsanwalt und nunmehrige NS-Landesstatthalter Dr. Albert Reitter, in seiner Festansprache ausdrücklich die Förderung, welche die Stiftung durch den „Führer“ Adolf Hitler erfahre. Dieser habe auf Anregung des Mozarteums zugesagt, die „Herausgabe einer neuen, […] für weite Volkskreise bestimmten Gesamtausgabe“ der Werke Mozarts unterstützen zu wollen.3 Nach den Worten Reitters bildeten „Kunst und Kultur“ keine abseitigen Sphären, die nichts mit Politik zu tun hätten; er betonte im Gegenteil, dass „Kunst und Kultur […] heute Aufgaben der Nation und ihrer politischen Führung“ seien. Seine Ansprache schloss Reitter mit folgenden kämpferischen Worten: „Vorwärts mit Mozart für Deutschland!“4 Erich Valentin, der Generalsekretär der „Stiftung Mozarteum“, betonte in seiner Rede daran anschließend, dass die Stiftung „heute das Vermächtnis der Vergangenheit mit den Forderungen der Gegenwart und Zukunft zu erfüllen“ habe. Ferner behauptete Valentin, dass die „Stiftung Mozarteum“ vom „bürgerlichen Gedanken […] hinausgewachsen zu dem völkischen“ sei.5 Damit sprach er ganz offen die rassistische Konstruktion der NS-Volksgemeinschaft an, die Jüdinnen und Juden sowie andere Gruppen wie Roma und Sinti ausschloss und der Verfolgung preisgab. Auch die slawische Bevölkerung Europas galt als „rassisch fremd“6 und sollte letztlich unterjocht und ausgebeutet werden. Wie aus diesen Zitaten deutlich hervorgeht, betonten sowohl der damalige Präsident der Stiftung Albert Reitter als auch deren Generalsekretär Erich Valentin die besondere politische Relevanz und Linientreue der „Stiftung Mozarteum“.
Die soeben referierte NS-spezifische Selbststilisierung zweier maßgeblicher Repräsentanten der Stiftung soll die Tatsache nicht verdecken, dass die Internationale Stiftung Mozarteum auf eine ins 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition der Salzburger Mozart-Pflege zurückblicken konnte, die mit ihrem Wirken eng verbunden war. Als „Stiftung Mozarteum“ bezeichnete sich der Salzburger Bürgerverein erst im Nationalsozialismus, wobei auf den Namenszusatz „Internationale“ bewusst verzichtet wurde. Die Kulturinstitution ging auf den Dommusikverein und Mozarteum zurück, der 1841 in Salzburg gegründet worden war. 1880/81 teilte sich der Verein in die Internationale Stiftung Mozarteum, welche auch die seit 1841 bestehende Musikschule übernahm, und in den nunmehr eigenständigen Dommusikverein.7
Bereits im 19. Jahrhundert wurden die Aktivitäten der Stiftung zur Pflege des Erbes und der Musik Mozarts häufig mit dem Begriff des „Mozartkults“ umschrieben.8 Dieser war bereits seit dem „Vormärz“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Ausdruck der kulturellen Bestrebungen des Salzburger Bürgertums gewesen. Die Überhöhung des Komponisten Mozart erfolgte im Zeichen des romantisierenden Geniekults des 19. Jahrhunderts. Sie verstärkte das Selbstbewusstsein innerhalb der lokalen bürgerlichen Elite, die sich mit dem „Genius loci“ sowohl gegenüber dem habsburgischen Obrigkeitsstaat als auch gegenüber dem ländlich geprägten Salzburger Umfeld abzugrenzen suchte und den Mozart-Kult in seine deutschnational geprägte Festkultur integrierte.9
Die mit der Verehrung Mozarts verknüpften symbolischen Deutungen und Wahrnehmungsmuster reflektierten somit in einem hohen Maße Bildungsprägungen und Mentalitäten jener bürgerlichen Salzburger Honoratiorenschicht, die bis weit ins 20. Jahrhundert die Internationale Stiftung Mozarteum als Verein in maßgeblicher Weise tragen sollte. Salzburg-Mythos, Mozart-Kult und die Preisung der kulturellen Sendung der „Stiftung Mozarteum“ gingen dabei eine wirkungsmächtige Symbiose ein. Dessen war sich auch der langjährige Vorsteher der Mozartgemeinde Wien, Heinrich Damisch, bewusst, als er in den 1960er-Jahren rückblickend die langjährigen Bemühungen schilderte, Salzburg zu einem zentralen Ort der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Musik Mozarts zu machen.10 Damisch bezog sich dabei auf die bereits vor dem Ersten Weltkrieg von ihm zusammen mit Versicherungsdirektor Hofrat Friedrich [I.] Gehmacher vorangetriebenen Bestrebungen, in Salzburg ein Mozart-Festspielhaus zu begründen.11
Wer das 2005 erschienene Salzburger Mozart-Lexikon zur Hand nimmt, findet zum Stichwort „Internationale Stiftung Mozarteum“ einen knapp fünfspaltigen Eintrag, der die Geschichte und Bedeutung dieser Salzburger Kulturinstitution darlegt. Die Ära des „Dritten Reiches“ wird darin mit den folgenden wenigen Worten abgehandelt: „1938 bekam die ISM [= Internationale Stiftung Mozarteum] eine kommissarische Verwaltung, das Wort ‚Internationale‘ wurde gestrichen. Nach dem Krieg nahm man die Geschäfte bald wieder auf.“12 Diese Darstellung ihrer organisatorischen Entwicklung vermittelt den Eindruck, dass die NS-Herrschaft für die Stiftung zwar gewisse Einschnitte mit sich gebracht habe. Zugleich weist sie aber darauf hin, dass diese Salzburger Kulturinstitution nach dem Krieg ihre Aktivitäten rasch wieder aufnehmen habe können. Die Zeit des Nationalsozialismus erscheint somit als eine bloße Episode, welche an der kontinuierlichen Geschichte der Stiftung und ihren Verdiensten für die Mozart-Pflege kaum etwas verändert habe.
Wie im vorliegenden Band detailliert ausgeführt wird, ist dieser Befund indes deutlich zu differenzieren: Weder blieb es nach dem „Anschluß“ Österreichs an Hitlerdeutschland im Jahr 1938 dabei, dass die Stiftung fortan „kommissarisch“ geführt wurde, noch wird die Aussage, dass ihre Geschäfte nach dem Zweiten Weltkrieg „bald wieder“ aufgenommen worden seien, dem schwierigen „Wiederbeginn“ der Stiftung in den Nachkriegsjahren gerecht. Abgesehen davon bilden die personellen, ideologischen und mentalen Kontinuitäten sowie Diskontinuitäten innerhalb der Stiftung über 1938/45 hinweg – die ein Lexikonartikel bestenfalls andeuten, nicht aber detailliert ausführen kann – ebenso einen relevanten Gegenstand, der im Folgenden näher analysiert wird.
Bereits 1993 veröffentlichte der Salzburger Musikwissenschaftler und Konzertpianist Karl Wagner eine erste umfassend angelegte Monographie zur Geschichte des Mozarteums, welche die Musikschule bzw. Musikhochschule zusammen mit der Stiftung in den Blick nimmt. Wagner widmet der Geschichte der Stiftung in der NS-Zeit in seinem Buch allerdings nicht mehr als eine Druckseite; allzu rasch fällt er aus heutiger Sicht das Urteil, dass die „Internationale Stiftung Mozarteum“ „die Jahre zwischen 1938 und 1945 relativ unbeschädigt“ überdauert habe.13 Folgt man den Ausführungen Wagners, habe die Stiftung im Jahr 1938 „nur auf die Bezeichnung ‚international‘ verzichten“, den „Arierparagraphen“, d. h. den rassistischen Ausschluss von Jüdinnen und Juden, „in ihre Statuten aufnehmen und sich nach dem Führerprinzip neu organisieren“ müssen. Dem persönlichen Engagement von Albert Reitter sei es zu verdanken gewesen, dass die Stiftung „nicht nur der Auflösung entgangen“ sei, sondern „auch ihren Besitzstand uneingeschränkt behalten“ habe können.14 Ähnliche Sichtweisen auf ihre jüngste Geschichte vertraten bereits in der Nachkriegszeit maßgebliche Repräsentanten der Stiftung wie Walter Hummel oder Bruno Hantsch. Letzterer war in den Jahren 1955 bis 1963 Präsident der Stiftung.15 Hantsch ging in einem Rückblick auf die früheren Präsidenten der Stiftung so weit, Albert Reitters Handeln in der NS-Zeit als „Voraussetzung für den Wiederaufbau der Stiftung nach dem 2. Weltkriege“ darzustellen.16
Karl Wagner positionierte wie Bruno Hantsch knapp drei Jahrzehnte zuvor die Stiftung als einen bürgerlichen Verein, der in die NS-Kulturpolitik nicht aktiv handelnd eingebunden, sondern vielmehr deren Objekt gewesen sei. Die in der NS-Zeit aktiven leitenden Akteure der Stiftung erschienen so im Wesentlichen als bloße Befehlsempfänger, die ihre begrenzten Handlungsspielräume ausschließlich dazu genützt hätten, um größeren Schaden von der Kulturinstitution abzuwehren und diese „relativ unbeschädigt“ über die Wirren des „Dritten Reiches“ zu bringen. Was es für die programmatische Ausrichtung der Stiftung, ihre kulturpolitischen Positionierungen innerhalb des Geflechts der Kulturinstitutionen des „Dritten Reiches“ und ihre musikpolitischen Praktiken bedeutet haben könnte, dass der „Internationalität“ offen abgeschworen sowie „Arierparagraph“ und „Führerprinzip“ eingeführt wurden, suchten hingegen weder Hantsch in den 1950er-Jahren noch Wagner in den frühen 1990er-Jahren zu thematisieren.17
Die ideologisch begründete Indienstnahme von Kunst und Kultur für die Zielsetzungen der NS-Politik wurde allerdings erst in den letzten beiden Jahrzehnten zu einem wichtigen Gegenstand der historischen Forschung, so etwa in dem seit 2009 laufenden Projekt „Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus“. Im Rahmen dieses zeithistorischen Forschungsvorhabens wurden sieben Sammelbände und zwei Monographien publiziert, welche die verschiedenen Aspekte und Themenfelder der NS-Herrschaft in Salzburg darstellen und über diese in Auseinandersetzung mit dem neuesten Stand der Forschung reflektieren. Für das hier interessierende Thema ist ein Artikel von Julia Hinterberger, der im zweiten Band dieser Publikationsreihe erschienen ist, über „Musikkultur in Salzburg zur Zeit des Nationalsozialismus“ besonders relevant; ein von Hinterberger herausgegebener Sammelband im Rahmen einer Buchreihe zur Geschichte der Universität Mozarteum, der den hier interessierenden Untersuchungszeitraum abdeckt, ist derzeit in Vorbereitung.18 Der erwähnte Artikel zur Musikkultur in Salzburg thematisiert das Salzburger städtische Musikleben. Hinterberger bezieht sich dabei auch auf die „Stiftung Mozarteum“ und deren Rolle im „Dritten Reich“. Sie unterscheidet für die lokale Musikkultur in idealtypischer Weise die drei Phasen „Zwischen Umbruch und Weiterführung – 1938/1939“; „Ausbau 1939–1943“; „Regression 1943–1945“.19 Diesen Periodisierungsvorschlag ergänzt der vorliegende Sammelband um die Frage, wie die Jahre vor und nach der Ära des „Dritten Reiches“ sich mit dem von der Salzburger Musikhistorikerin entwickelten Modell verknüpfen lassen.
Die Handlungsweisen der leitenden – ausschließlich männlichen – Akteure, die im Untersuchungszeitraum in der „Stiftung Mozarteum“ tätig waren, bilden einen zentralen Forschungsgegenstand der Beiträge des vorliegenden Bands. Dabei geraten verschiedene Einrichtungen der Stiftung wie deren Bibliothek oder das Zentralinstitut für Mozartforschung ebenso in den Blick wie das an der Stiftung angesiedelte Ausstellungswesen oder das damalige „Vorzeigeprojekt“ einer geplanten Gesamtausgabe der Werke Wolfgang Amadé Mozarts. Nicht zu vernachlässigen sind ferner die Untersuchungen zur Provenienzforschung, die für den Sammelband in den Beständen der Bibliothek und des Mozart-Museums durchgeführt wurden. Für alle hier vorgelegten Beiträge ist hervorzuheben, dass sie auf umfangreichen Forschungen in nationalen und internationalen Archiven beruhen (siehe hierzu das Quellenverzeichnis im Anhang).
In konzeptioneller Hinsicht sei für den vorliegenden Sammelband auf den US-amerikanischen Historiker Mitchell G. Ash verwiesen. Ash beschreibt das Beziehungsgeflecht zwischen Wissenschaften, Öffentlichkeit und Politik als ein wechselseitiges Ressourcenverhältnis. Er lehnt allgemein eine „allzu strenge Zuordnung von Politik zum bloßen Kontext der Wissenschaft“ ab. Vielmehr sieht Ash das Verhältnis von Wissenschaften und Politik als Ausdruck einer „Umgestaltung oder Neugestaltung von Ressourcenensembles“. Nach dem Historiker können Ressourcen dabei „finanzieller, […] kognitiver, apparativer, personeller, institutioneller oder rhetorischer Art“ sein. Demnach bildet daher nicht nur die Wissenschaft eine Ressource für die Politik, sondern auch die Wissenschaft selbst vermag Ressourcen aus der politischen Sphäre zu mobilisieren.20
Überträgt man diese soeben referierten Hinweise und Überlegungen auf die Sphären von Kunst und Kultur, wird deutlich, dass diese selbst jeweils der politischen Sphäre zuzuordnen sind. Es geht dabei nicht nur um ihre politische „Instrumentalisierung“, sondern auch um den politischen Gehalt, der künstlerischen und kulturellen Äußerungen und Handlungsweisen selbst innewohnt.21
Die nachstehenden Studien konzentrieren sich zwar zeitlich auf die NS-Zeit, sie beziehen aber die Jahre davor und danach jeweils mit ein.22 Sie negieren keineswegs die Wiederaufbauleistungen des Leitungspersonals der – nach 1945 wieder als „Internationale Stiftung Mozarteum“ bezeichneten – Kulturinstitution in den schwierigen Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie können jedoch nicht darauf verzichten, sowohl die Nachwirkungen des nazistischen Ungeists als auch die Verdrängungen und Tabuisierungen der NS-Zeit durch die führenden Akteurinnen und Akteure der Stiftung selbst in den Blick zu nehmen.23
Der Sammelband verortet die Stiftung in einem konkreten Milieu innerhalb des Salzburger Bürgertums, das wie erwähnt politisch-kulturell meist deutschnational orientiert war.24 Wie hier gezeigt werden soll, prägte eine überschaubare Anzahl von individuellen Akteurinnen und Akteuren und einzelnen Familienkonfigurationen die Stiftung längerfristig über politische Brüche hinweg. Geänderten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen suchten sich diese Akteure jeweils anzupassen, wobei sie eine relativ klar definierte musikpolitische Agenda vertraten. Diese verdichtete sich im oben angesprochenen Mozart-Kult, der stets der Mithilfe von Wiener Künstlern und Künstlerinnen bedurfte, um in Salzburg entsprechend repräsentiert zu werden.25
Die zeitliche Ausgangszone der Untersuchungen bilden die 1930er-Jahre. Diese waren von einer tiefgreifenden Legitimationskrise der Stiftung aufgrund der vorangegangenen – 1922 erfolgten – Verstaatlichung des Konservatoriums Mozarteum und einer wirtschaftlichen Schwächung der Stiftung, aber auch von Versuchen bestimmt, neue Aktivitätsfelder zu erschließen und einen Neuaufbruch zu wagen. Mit diesen Feststellungen wird eine weitere Fragestellung verknüpft, die im Anschluss an den Salzburger Historiker Robert Hoffmann näher ausgeführt wird. Nach Hoffmann bedeutete die unter dem NS-Regime vollzogene „Eindeutschung des Mozartkults“ insofern „keinen radikalen Bruch in der regionalen Mozarttradition“, weil „die hiesigen Mozartianer überwiegend dem deutschnational gesinnten Bürgertum entstammten“ und sie den gleichermaßen romantisierenden wie martialischen Geniekult der Nationalsozialisten bereitwillig mittrugen.26 Die führenden Akteure der Stiftung behielten demnach die Agenda des Mozart-Kults über 1933/38/45 hinweg im Wesentlichen bei, auch wenn sie diesen immer wieder an wechselnde politische Bedingungen adaptierten.
Wie im Sammelband argumentiert wird, waren neben den angedeuteten Kontinuitäten aber auch teils einschneidende Brüche zu verzeichnen: So setzte um 1930 eine kurze Phase der erfolgreich sich verstärkenden Internationalisierung der Stiftung ein, die vor allem den damals neu eingeführten Dirigenten- und Orchesterkursen zu verdanken war; diese Entwicklung erfuhr allerdings bereits ab dem 29. Mai 1933 einen nachhaltigen Dämpfer, als die nationalsozialistische deutsche Reichsregierung die „Tausend-Mark-Sperre“ erließ, welche die österreichische Wirtschaft schwächen sollte. Die Stiftung suchte – ohne erkennbaren Erfolg – die Teilnahme von Künstlern aus Deutschland an den Dirigenten- und Sommerkursen weiterhin sicherzustellen, indem sie in einem opportunistischen Schreiben an das Ministerium „für Volksaufklärung und Propaganda“ versuchte, bei den neuen deutschen Machthabern in Berlin zu punkten: Während die Kurse früher ausschließlich als „Sommerschule für Amerikaner“ gedacht gewesen seien, hätten diese jetzt einen „deutschen Charakter“. Sie verfolgten das Ziel, „Künstlern aus aller Welt vor allem deutsche Kunstwerke und deutsche Kunstauffassung mitzuteilen“, was auch deshalb notwendig sei, „um das Institut vor der Gefahr einer Überfremdung zu schützen“.27
Damit leitete die Stiftung die geistige Selbstprovinzialisierung ihrer nach wie vor international wirksamen Aktivitäten bereits vor dem „Anschluß“ Österreichs an Deutschland ein. Spätestens mit dem Jahr 1938 ging dann auch der Anteil der internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Sommerkursen, unter denen sich noch bis 1937 auch Künstler und Künstlerinnen jüdischer Herkunft befunden hatten, im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren deutlich zurück.28 Nachdem die Nationalsozialisten am 12. März 1938 in Österreich die Macht übernommen hatten, war vorerst unklar, welche Auswirkungen der politische „Umbruch“ auf die künftige Gestaltung der Stiftung haben würde; als die Krise um „Anschluß“ und „Stilllegung“ der organisatorischen Tätigkeit von Vereinen und Verbänden überwunden war,29 erwies sich – wie in den Artikeln des Sammelbands detailliert ausgeführt wird – die „Stiftung Mozarteum“ indes als für die NS-Kulturpolitik geeignetes Instrument. Die Kulturinstitution suchte auch selbst aktiv von den unter den Bedingungen des „Dritten Reiches“ gegebenen kulturpolitischen Verhältnissen zu profitieren. Zwar verlor die Stiftung im Laufe ihrer Geschichte immer wieder Aufgabenbereiche (wie etwa das Konservatorium Mozarteum schon 1922 oder das 1941 neu eingerichtete „Konzertamt“ bereits im Jahr 1942). Gleichzeitig gewann sie aber in der Zeit des „Dritten Reiches“ neue Bereiche hinzu – etwa das Zentralinstitut für Mozartforschung, die von Adolf Hitler geförderte Gesamtausgabe des Werkes von Mozart, das „Mozartwerk“ sowie das im Wohnhaus der Familie Mozart am Salzburger Makartplatz untergebrachte „Leopold-Mozart-Seminar für Musikerziehung“, welches die Stiftung der Hochschule für Musik zur Verfügung stellte.
Die auch in NS-Führungskreisen diskutierte Zentralisierung aller Mozart-Gedenkstätten bei der „Stiftung Mozarteum“ wie beispielsweise die geplante direkte Verwaltung der Villa Bertramka am Rande Prags30 wurde allerdings aufgrund der Kriegsereignisse dann doch nicht realisiert.
Dem insgesamt feststellbaren Bedeutungszugewinn der „Stiftung Mozarteum“ im „Dritten Reich“, der wesentlich mit der politischen Propagierung Mozarts und seiner Musik als vorgeblich genuin „deutsch“ und „arisch“ einherging,31 stand nach 1945 der Versuch maßgeblicher Verantwortlicher der Stiftung gegenüber, die eigene Rolle in den Jahren vor 1945 möglichst kleinzureden. Die führenden Akteure der ISM inszenierten die „Stiftung Mozarteum“ demnach im Unterschied zu deren tatsächlicher kulturpolitischen Relevanz und Zuträgerfunktion für das herrschende NS-Regime selbst als kontinuierlich unpolitisch wirkende Institution, die sich bloß der hehren Förderung der Musik von Mozart verschrieben hätte. Demgegenüber sucht der vorliegende Sammelband zu zeigen, dass die Politisierung der Führungsfiguren der Stiftung (namentlich Albert Reitters, Erich Valentins oder Oskar Grazers) sowie deren Verflechtung mit staatlichen Institutionen und Machtträgern gerade im „Dritten Reich“ stärker waren, als sie es zuvor und wohl auch danach jemals waren.
Die Stiftung verfügte allerdings auch nach 1945 über enge Beziehungen zu staatlichen Stellen. Es kam ihr dabei zugute, dass der Mozart-Kult unter den gewandelten Bedingungen der frühen Zweiten Republik weiterhin eine identitätsstiftende Funktion erfüllte. Dieser war nicht mehr deutschnational codiert, sondern er diente nunmehr der Österreich-Ideologie. Mozart wurde de facto vom „deutschen Genie“ zum Österreicher ohne jegliche deutschen Bezüge umgepolt, wobei auf sein eigenes Selbstverständnis keine Rücksicht genommen wurde. Dies kam etwa anlässlich des Besuchs von Bundespräsident Theodor Körner in Salzburg zum Ausdruck, der im Mozart-Jahr 1956 unter maßgeblicher Beteiligung der Stiftung öffentlichkeitswirksam inszeniert wurde.32 Offensichtlich ließ sich der Mozart-Kult für jenes Narrativ instrumentalisieren, welches Österreich sowohl eine lange kulturelle und historische Tradition, als auch eine erfolgreiche Wiederaufbauleistung bescheinigen sollte. Der Versuch der Stiftung, bereits 1948/49 an ihre frühere internationale Bedeutung anzuknüpfen, scheiterte jedoch zunächst, wie anhand der fehlgeschlagenen Ehrung des exilierten Musikwissenschaftlers und Mozart-Forschers Alfred Einstein durch die Stiftung gezeigt werden wird. In der Entwicklung der Internationalen Stiftung Mozarteum ist das Jahr 1945 auch deshalb nur als eine bedingte Zäsur zu betrachten, weil mit Albert Reitter deren ehemaliger Präsident symbolisch via Ehrung in den 1950er-Jahren reintegriert und seine Rolle in der NS-Zeit umgedeutet wurde;33 ebenso wird hier aufzuzeigen sein, dass dem Kuratorium der Jahre 1948/50 nicht nur ehemalige NSDAP-Mitglieder, sondern auch Repräsentanten des früheren Dollfuß/Schuschnigg-Regimes und mit dem Maler Josef Schulz zumindest ein prononcierter Gegner der früheren NS-Machthaber angehörten.
Über das Leitungspersonal der Internationalen Stiftung Mozarteum schreibt Alexander Pinwinkler in seinem Beitrag Die (Internationale) Stiftung Mozarteum – Streiflichter auf ihre Akteure und Akteurinnen vor, im und nach dem „Dritten Reich“. Es geht in dem Artikel einerseits um die Biographien maßgeblicher Akteure und Akteurinnen, von welchen die „Stiftung Mozarteum“ in der Zeit des Nationalsozialismus, aber auch in den Jahren davor und danach institutionell getragen wurde, und andererseits um die gesellschaftlichen Milieus, in denen die „Stiftung Mozarteum“ in Salzburg verankert war. In seinen exemplarischen Sondierungen führt Pinwinkler aus, dass die Salzburger Kulturinstitution nach dem „Anschluß“ 1938 ihre Tätigkeitsfelder in Anpassung an die ideologischen Leitlinien der NS-Kulturpolitik sukzessive auszubauen suchte. Die personelle Zusammensetzung des ersten nach 1945 gewählten Kuratoriums der – neuerlich so benannten – „Internationalen“ Stiftung Mozarteum bildete ein gemischtes Bild: Im 1948 konstituierten Kuratorium fanden sich ehemalige NSDAP-Mitglieder, aber auch dem Nationalsozialismus kritisch oder ablehnend Gegenüberstehende. Insgesamt waren die ersten Nachkriegsjahre von den Bestrebungen der Stiftung geprägt, überhaupt wieder als Verein Tritt zu fassen. Die Ära des „Dritten Reiches“ wurde dabei weitgehend verdrängt bzw. tabuisiert. Stattdessen sollte die Musik Mozarts als ein überzeitlich wirksames psychologisches „Heilmittel“ propagiert werden, welches jeder politischen Indienstnahme fernstehe.
Der daran anschließende Artikel von Tobias Debuch untersucht Gleichschaltung und Selbstverständnis der (Internationalen) Stiftung Mozarteum am Beispiel der Satzungsänderungen der Jahre 1939 bis 1945. In seinen Ausführungen stellt Debuch fest, dass die Internationale Stiftung Mozarteum in ihrer Grundaufstellung nie eine Stiftung war, sondern sich bereits 1880 formal als Verein konstituiert hatte. Auch die Vorläuferorganisationen der Jahrzehnte vor 1880 waren Salzburger Vereine gewesen. Insoweit ist die Stiftung – ähnlich dem Wiener Musikverein – bis heute eine von staatlicher Einflussnahme formal unabhängige und vom bürgerlichen Engagement der Vereinsmitglieder getragene und geführte Kulturinstitution mit internationaler Ausstrahlung. Debuch stellt in seinem Artikel die Umbrüche der NS-Zeit anhand der Veränderungen in den Vereinssatzungen dar. Im Gegensatz zu vielen anderen österreichischen Vereinen, die im „Dritten Reich“ aufgelöst wurden, blieb die Stiftung weiterhin als Verein bestehen. Mit der Satzungsänderung von 1939 wurde sie zwar gleichgeschaltet, die Satzung wurde nach dem „Führerprinzip“ umgestaltet, und der antisemitische „Arierparagraph“ wurde eingeführt. Darüber hinaus wurden die Mitglieder des Vereins zugunsten einer Führung durch den Gauleiter und des durch ihn eingesetzten Präsidenten vollständig entmachtet. Der Artikel weist ungeachtet dieser Eingriffe in die Vereinsstruktur nach, dass die Stiftung über die Zäsur von 1938/39 hinweg sich bis in die vereinsrechtlichen Grundlagen über einen allumfassenden Anspruch zu positionieren suchte und weitgehend selbständig agieren konnte.
Der aus einer musikbegeisterten bürgerlichen Familie stammende Salzburger Rechtsanwalt Dr. Albert Reitter wurde am 22. Mai 1938 zum Präsidenten der „Stiftung Mozarteum“ berufen. Er behielt dieses Amt bis zum 8. Februar 1945 bei, als ihm Oskar Grazer als Präsident nachfolgte. Alexander Pinwinkler analysiert in seinem Beitrag Albert Reitter – NS-Kulturfunktionär und Präsident der „Stiftung Mozarteum“ von 1938 bis 1945 erstmals detailliert Reitters biografischen Werdegang und politische Karriere. Er untersucht dessen Vernetzung im Milieu der großdeutsch und nationalsozialistisch gesinnten Anhänger der „Anschlußbewegung“ in Salzburg. In seiner Studie macht Pinwinkler deutlich, dass nicht zuletzt dank der engen Beziehungen, die Reitter als Salzburger Regierungspräsident, NSDAP-Mitglied und SS-Oberführer zu Staat und Partei pflegte, die „Stiftung Mozarteum“ in den ersten Jahren der NS-Herrschaft einen bemerkenswerten Aufschwung nahm. Dieser erfolgte allerdings um den Preis der weitgehenden Instrumentalisierung der „Stiftung Mozarteum“, die nach dem „Anschluß“ 1938 auf den Namenszusatz „Internationale“ programmatisch verzichtete, für die Zielsetzungen der NS-Kulturpolitik. Ungeachtet dessen wurde Reitters Wirken als Präsident nach dem Zweiten Weltkrieg vielfach gewürdigt, und er wurde in den späten 1950er-Jahren in die Stiftung reintegriert. Eine kritische Auseinandersetzung mit dessen problematischer Rolle in der NS-Zeit blieb hingegen lange Zeit aus.
Oliver Rathkolb setzt sich in seinem Beitrag Politische Funktionalisierungen der Biographie und Musik Wolfgang Amadé Mozarts im Europa unter NS-Hegemonie und im Exil bzw. Widerstand mit den Mozart-Inszenierungen im besetzten Europa auseinander. Es zeigt sich bei der Analyse der nationalsozialistischen Instrumentalisierung der Mozart-Inszenierungen und vor allem des Mozart-Jahres 1941, dass Mozarts Biographie, aber auch seine Werke in vielen Fällen völlig aus dem jeweiligen zeitlichen und regionalen Kontext gelöst wurden. Mozart sollte als rein „deutsches Genie“ präsentiert werden, während alle anderen zeitgenössischen Identitäten Mozarts unterschlagen wurden und seine Mitgliedschaft bei den Freimaurern nur intern thematisiert, aber an sich ebenfalls verschwiegen wurde. Auch seine tschechischen wie auch seine internationalen Beziehungen und Netzwerke wurden der Konstruktion Mozarts als „deutschem Genie“ völlig untergeordnet.
Selbst der Einsatz von Mozarts Musik wurde im Reichsrundfunk genau überwacht und je nach Kriegslage auch psychologisch gezielt eingesetzt. Hingegen entstand vor allem im österreichischen Exil in den USA und in England ein enges „ver-österreichertes“ Mozart-Bild, das ebenfalls durchaus konstruiert wurde, aber zumindest Platz für Mozarts humanistisches Weltbild und teilweise auch für seine freimaurerischen Aktivitäten und deren Auswirkungen auf sein musikalisches Schaffen zuließ.
Es folgen drei Artikel von Christoph Großpietsch, der sich mit der Mozart-Forschung innerhalb der Stiftung und deren wesentlichen Akteuren sowie dem Generalsekretariat der Stiftung auseinandersetzt. Seinen ersten Beitrag nennt Großpietsch Zur Selbstinszenierung von Erich Schenk in Salzburg und Wien – Die Idee einer Zentralisierung der Mozart-Forschung. Nach Großpietsch entwarf der gebürtige Salzburger Erich Schenk bereits 1931 die Idee einer zentralisierten Mozart-Forschung in Salzburg. Nach den in der Stiftung Mozarteum überlieferten Archivquellen zeigt sich das Bild eines ehrgeizigen jungen Musikwissenschaftlers, der es geschickt verstand, andere für seine Interessen einzuspannen. Schenk formulierte nicht nur ein Papier, in welchem er die Errichtung eines Zentralinstituts für Mozartforschung forderte, sondern er nahm für sich zeitlebens die Urheberschaft der 1931 umgesetzten Gründung in Anspruch. Ein solches Institut wurde tatsächlich aber erst 1936 offiziell installiert, lange nach den beiden Mozart-Tagungen von 1927 und 1931, dessen zweite von Schenk mitorganisiert worden war. Öffentlich trat das Institut sogar erst in der NS-Zeit, nämlich 1940, in Erscheinung. Nach Großpietsch stellte sich das Zentralinstitut für Mozartforschung als ein Gremium dar, dessen Gründungsmitglieder deutschnational gesinnt waren und sich teils bereits früh dem Nationalsozialismus zuwandten.
Die zuletzt angeführte Hypothese wird in einer weiteren Studie Großpietschs über Das Zentralinstitut für Mozartforschung und seine Mitglieder nach dem „Anschluß“ empirisch fundiert, in welcher es um die Mitglieder des Zentralinstituts für Mozartforschung geht. Das Institut wurde nach dem „Anschluß“ 1938 unter der Leitung von Erich Valentin und präsidiert von Ludwig Schiedermair ein wichtiges Lenkungsorgan der Stiftung im Sinne nationalsozialistischer akademischer Forschung. Bald fanden sich außer Forschern der jüngeren Generation wie Hans Engel, Karl Gustav Fellerer und Leopold Nowak auch NS-Funktionsträger wie Herbert Gerigk und Peter Raabe als neu aufgenommene Mitglieder ein. Das Institut arbeitete allerdings nicht effektiv: Es brachte weder die Mozart-Gesamtausgabe noch andere Projekte wie die Neuausrichtung des Mozart-Museums ernsthaft voran. Nach 1945 kehrten viele der Wissenschaftler in das nunmehr international ausgerichtete Institut zurück, in welchem auch Opfer des Nationalsozialismus zu Mitgliedern geworden waren. Die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder des Zentralinstituts stellten in den 1950er-Jahren allerdings jene Musikwissenschaftler dar, die bereits in der NS-Zeit in diesem aktiv gewesen waren. Erich Schenk spielte für das Nachkriegs-Forschungsgremium jedoch keine Rolle mehr.
In seinem Artikel über Das Generalsekretariat der „Stiftung Mozarteum“ unter Erich Valentin geht Großpietsch vor allem auf Erich Valentin ein, der 1939 in der Stiftung als Bibliothekar begonnen hatte, ehe er im Juni 1939 zum Generalsekretär, also im Prinzip zum Geschäftsführer im Sinne eines Intendanten der „Stiftung Mozarteum“, berufen wurde. Als Leiter des wissenschaftlichen Bereichs sorgte Valentin mit Hilfe des damaligen Präsidenten Albert Reitter für die Genehmigung der Mozart-Gesamtausgabe. Daneben war er vor allem für die finanzielle Unterstützung der Einrichtung „Das Mozartwerk“ zuständig, welches die Mozart-Pflege im Ausland vorantreiben sollte. Dabei kommen hochproblematische Aktionen zum Vorschein: Valentin und Reitter denunzierten und riefen zur Beteiligung an Raubkunstaktionen auf. Schließlich regte Valentin bei Reitter an, über Berliner Reichsstellen einen Befehl zu erwirken, der es ermöglicht hätte, dass eingelagerte kostbarste Mozart-Autographen aus Berlin und Wien für Editionsarbeiten der Stiftung herangezogen hätten werden können. Abgesehen von der bibliothekarischen Neuerfassung der Bibliotheksbestände, die ebenso mit Valentin verbunden war wie die Organisation von Festereignissen, Tagungen und ersten Bergungstransporten (1942), hinterließ Erich Valentin als Generalsekretär der Stiftung keine bleibenden Spuren.
Das ambitionierteste wissenschaftliche Projekt der „Stiftung Mozarteum“ während der NS-Zeit untersucht Ulrich Leisinger in seinem Beitrag Zwischen „Führerauftrag“ und Kriegswirklichkeit – Erich Valentin und die gescheiterte Gesamtausgabe der Werke W. A. Mozarts (1940–1945): Im April 1941 wurde bei den Feiern zum 100-jährigen Bestehen des „Mozarteums“ ein „Führerauftrag“ über eine neue Gesamtausgabe der Werke Wolfgang Amadé Mozart verkündet. Wie Leisinger vor allem anhand von Akten aus dem Archiv der Internationalen Stiftung Mozarteum nachweist, wäre die Erteilung des Auftrags einerseits ohne eine Selbstmobilisierung der Stiftung für die propagandistischen Zielsetzungen der NS-Kulturpolitik, andererseits ohne das Mozart-Gedenkjahr 1941 kaum möglich gewesen. Die Editionsleistungen sollten unter Führung von Erich Valentin, Ludwig Schiedermair und Erich Schenk durch das Zentralinstitut für Mozartforschung erbracht werden; bei Kriegsende lagen aber trotz der ungewöhnlich großzügigen finanziellen Ausstattung durch die Reichskanzlei in Berlin auch wegen eigener Versäumnisse und Unzulänglichkeiten keinerlei verwertbare Ergebnisse vor.
Daran schließen sich zwei Beiträge von Armin Brinzing an, welche einerseits Die Bibliothek der Internationalen Stiftung Mozarteum – Personelle und institutionelle Entwicklung als „wissenschaftliche Arbeitsstätte“ darstellen und andererseits aktuelle Probleme der Provenienzforschung in der Bibliotheca Mozartiana analysieren.
Die Bibliothek der Internationalen Stiftung Mozarteum (heute Bibliotheca Mozartiana) war und ist nach Brinzing ein zentraler Bestandteil der Sammlungen des Vereins. Sie verwahrt einen äußerst wertvollen Bestand an Originalhandschriften Mozarts und dessen Familie sowie zahlreiche andere historische Materialien. Zudem sammelt die Bibliothek systematisch Literatur über Mozart und dessen historisches Umfeld und wurde auch von Studierenden des Konservatoriums bzw. der späteren Reichshochschule Mozarteum intensiv genutzt. Der Ausbau dieser Bestände wurde während der NS-Zeit weiter vorangetrieben, um den Anspruch der „Stiftung Mozarteum“ auf eine Führungsrolle in der Mozart-Forschung zu untermauern. Dabei schreckten die Verantwortlichen, allen voran Erich Valentin, der als Generalsekretär der Stiftung seit 1939 auch die Bibliothek leitete, nicht vor Versuchen zurück, durch die Einschaltung höchster Stellen des NS-Staats Zugriff auf das Eigentum von Sammlern und Antiquaren zu erhalten, die nach den rassistischen Bestimmungen der „Nürnberger Gesetze“ als Juden diskriminiert wurden. Da die Stiftung eine nichtstaatliche Einrichtung war, die im Wesentlichen nur in die lokalen politischen Strukturen Salzburgs eingebunden war, gelang es ihr aber nicht, von der Enteignung jüdischer Besitzer zu profitieren. Werke von Komponistinnen und Komponisten jüdischer Herkunft wurden allerdings gezielt aus dem Bestand ausgesondert oder, wo dies aus inhaltlichen Gründen nicht zweckmäßig erschien, durch entsprechende Hinweise gekennzeichnet und von der allgemeinen Benutzung ausgeschlossen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die wertvollsten Manuskripte zusammen mit verschiedenen Museumsobjekten in einen Bergwerksstollen bei Hallein ausgelagert. Nach der Freigabe durch die amerikanischen Militärbehörden wurden die ausgelagerten Kisten zurückgeführt, wobei aber einige schmerzhafte Verluste festzustellen waren. Die Provenienzforschung in der Bibliotheca Mozartiana erbrachte nach den Erkenntnissen von Brinzing keine Hinweise auf Erwerbungen aus enteigneten Sammlungen von Besitzern jüdischer Herkunft. Der Schriftsteller Stefan Zweig, der selbst Mitglied der „Stiftung Mozarteum“ war, hatte seine Salzburger Sammlung bereits vor 1938 aufgelöst. 1937 erwarb die Internationale Stiftung Mozarteum ein Mozart-Autograph aus dessen Sammlung. Es war ihr direkt von Heinrich Hinterberger angeboten worden, der für Zweig den Verkauf abwickelte. Die Integration der „Stiftung Mozarteum“ in den NS-Machtapparat Salzburgs ermöglichte es jedoch, dass in großem Umfang Musikalien aus beschlagnahmten bzw. enteigneten Musiksammlungen kirchlicher Institutionen in ihren Bestand eingingen (insbesondere aus der Erzabtei St. Peter und dem 1938 aufgelösten Katholischen Universitätsverein). Große Teile dieser Erwerbungen wurden nach 1945 restituiert, jedoch konnten mehrere Handschriften und Drucke identifiziert werden, die im Bestand verblieben waren und deren Restitution geplant ist.
Mit Problemen der Provenienzforschung beschäftigt sich auch der an die Ausführungen Brinzings thematisch unmittelbar anschließende Artikel von Christoph Großpietsch, der den Titel Provenienzforschung im Mozart-Museum – Ein erster Überblick für den Zeitraum 1931 bis 1991 trägt. Das Museum in Mozarts Geburtshaus zeigt seit 1880 die bedeutendsten Schätze aus dem Nachlass des Komponisten, der über dessen Söhne an den Dommusikverein und Mozarteum übergegangen war. Dabei wird klar, dass der Museumsbestand nie als Ganzes im Fokus stand, weil man sich stets auf die „klassischen“ und weit vor 1933 ins Haus gekommenen Ausstellungsexponate konzentriert hatte. Der Depotbereich blieb dabei weitgehend unbeachtet, weil er unterschiedlichen Abteilungen bzw. verantwortlichen Personen zugeordnet worden war. Großpietsch kann nachweisen, dass zwar von den wenigen exemplarisch untersuchten Objekten kein einziges provenienzgeschichtlich bedenklich ist, dass ein Raubkunstanteil im Depot jedoch noch immer vorhanden sein kann, weil es für diesen Bereich keine durchgängigen Inventarisierungsakten gibt. Die Klärung dieser Fragen wird noch anzugehen sein.
In ihrem Beitrag über Die Ausstellungstätigkeit der „Stiftung Mozarteum“ in der Zeit des Nationalsozialismus geht schließlich Sabine Greger-Amanshauser der Frage nach, wie sich die „Stiftung Mozarteum“ in der Ausstellungspolitik der Nationalsozialisten positionierte. Mit ihrer wertvollen Bilder- und Autographensammlungen war die Stiftung besonders im Mozart-Gedenkjahr 1941 gefragte Leihgeberin bei den der NS-Propaganda dienenden Mozart-Ausstellungen in München, Prag und Wien. In Salzburg blieb ihr hingegen eine eigene Mozart-Ausstellung versagt. Die Stiftung nahm daher ihr im selben Jahr gefeiertes 100-Jahr-Jubiläum zum Anlass, eine große Schau in Mozarts Geburtshaus zu veranstalten. Die Ausstellung wurde ein Erfolg, auch wenn sie überregional kaum Beachtung fand. Auch erreichte Mozarts Geburtshaus, das bereits 1938 zur „Weihestätte deutscher Kultur“ deklariert worden war, bei den NS-Machthabern nicht die Popularität, die man sich seitens der Stiftung erhofft hätte.
Der Aufsatz Rückgaben, Rückblicke und die Rolle von Alfred Heidl für den Neubeginn der Internationalen Stiftung Mozarteum nach Kriegsende bildet den Abschluss der inhaltlichen Beiträge des vorliegenden Bands. Christoph Großpietsch führt darin aus, dass Alfred Heidl, dem langjährigen Sekretär der (Internationalen) Mozart-Gemeinde, kurz vor Kriegsende eine vergleichsweise bedeutende Rolle zukam, nachdem sich die bisherige Stiftungsspitze mit Erich Valentin, Oskar Grazer und Rudolf Schmidt-Oemler nach und nach verabschiedet hatte. Heidl organisierte die letzten Bergungsaktionen und konnte bis auf wenige Ausnahmen alle Stücke wieder nach Salzburg zurückführen und die anderen als vermisst bekanntmachen. Nach dem Krieg war Heidl drei Jahre lang als Generalsekretär für die Geschäftsführung der Stiftung verantwortlich, er ließ Bauschäden an den Liegenschaften ausbessern und bereitete die erst 1948 erfolgte Neukonstituierung des Vereins mit Teilen der früheren Vereinsspitze vor.
Für die Lektüre der Beiträge des vorliegenden Bandes sind folgende Hinweise hilfreich: Zeitgenössische Bezeichnungen von amtlichen Funktionen oder Organisationen werden in der Regel in Anführungszeichen gesetzt, wenn die betreffende Bezeichnung ideologische oder propagandistische Konnotationen besitzt. Die Bezeichnung der Internationalen Stiftung Mozarteum im Nationalsozialismus als „Stiftung Mozarteum“ erscheint im Sammelband ebenfalls in Anführungszeichen. Als Kurzform der (Internationalen) Stiftung Mozarteum wird jeweils die kursivierte Bezeichnung Stiftung gewählt; auch Kurzformen anderer Institutionen sind entsprechend ausgezeichnet.
Für die Nachweise von Zitaten und Literatur wurden Kurztitel, in der Regel bestehend aus Nachname und Jahreszahl, verwendet, die über das Literaturverzeichnis aufzulösen sind. Sinngemäß gilt dies auch für dokumentarische Quellen und Archivalien im Verzeichnis der Quellen. Hingewiesen sei darauf, dass bei Archivalien bei Bedarf zwischen „pag.“ und „S.“ unterschieden wird: „S.“ bezieht sich auf die physische Anlage eines Dokuments, „pag.“ auf eine in der Quelle vorgenommene, ggfs. hiervon abweichende Paginierung. Zeitungsartikel und Ephemera wie Ankündigungen und Berichte werden in das Literaturverzeichnis nur aufgenommen, wenn sie mit Namen gezeichnet und von argumentativ herausgehobener Bedeutung sind; sonst werden sie wie auch reine Online-Angebote nur an Ort und Stelle vermerkt.
Die Herausgeber des Sammelbands danken dem Präsidenten der Internationalen Stiftung Mozarteum, Dr. Johannes Honsig-Erlenburg, für dessen stetiges Interesse und die kontinuierliche Förderung des Forschungs- und Publikationsprojekts zur NS-Geschichte der Stiftung. Zu danken ist ferner Dr. Tobias Debuch, der als Geschäftsführer der ISM das Projekt von Beginn an bis zu dessen Drucklegung mit großem Enthusiasmus begleitet hat, sowie Dr. Ulrich Leisinger, dem wissenschaftlichen Leiter der Internationalen Stiftung Mozarteum, der den Herausgebern wie auch den Autorinnen und Autoren des Bands stets zielorientiert und engagiert beratend zur Seite gestanden hat. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung sei insbesondere Fabian Weidinger BA MA gedankt, der den zuvor noch nicht ausgewerteten NS-Bestand aus dem Archivbestand digitalisiert und für die Recherchearbeiten vorbereitet hat, und Dr. Sabine Greger-Amanshauser, die Inventarlisten besorgt hat. Moderne durchgängige Paginierungsangaben für alle Schachteln und Korrespondenzordner dieses Bestands konnten weitgehend unmittelbar vor Projektbeginn erstellt werden, und zwar durch Sabine Greger-Amanshauser und Fabian Weidinger. Gedankt sei auch Dr. Christoph Großpietsch für wertvolle Quellenarbeit und die Erstellung der Verzeichnisse im Anhang. Die redaktionelle Einrichtung der Beiträge für den Druck besorgte Dr. Ioana Geanta. Ihre präzise Arbeit erwies sich speziell in der Schlussphase des Projekts als äußerst hilfreich. Schließlich übernahm noch Mag. Thomas Schmid die bibliographische Überprüfung und Vereinheitlichung der umfangreichen von den Autoren herangezogenen Literatur.
1Vgl. hierzu Chronik ISM 1980, S. 137.
2„Das Mozarteum als Jubilar“, in: Salzburger Volksblatt, 22.03.1941, S. 7.
3Vgl. hierzu auch Chronik NMA, S. 49.
4Kunz 1941, S. 3.
5Ebd.
6Vgl. dazu Bialas 2014, S. 153.
7Vgl. zur Frühgeschichte der Stiftung Reininghaus 2018 sowie Malkiewicz 2017.
8Vgl. u. a. „Salisburgensien“, in: Salzburger Volksblatt, 29.01.1884, S. 1–2.
9Vgl. hierzu auch Hoffmann 2002, S. 52 f.
10Der Begriff wurde auch im „Dritten Reich“ semantisch durchwegs positiv aufgeladen und etwa in der Presseberichterstattung verwendet: vgl. „Pläne der Mozartgemeinde“, in: Neue Freie Presse, 18.08.1938, S. 8.
11Vgl. Damisch 1964; vgl. zu Damisch jüngst Hoffmann 2020, S. 50–57, sowie Johannes Hofinger: „Heinrich Damisch“, in: Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus. Biografische Recherchen zu NS-belasteten Straßennamen der Stadt Salzburg [Online Ressource, URL: https://www.stadt-salzburg.at/ns-projekt/ns-strassennamen/dr-heinrich-damisch; Version 1–14.09. 2020 (10.06.2021)].
12Art. „Internationale Stiftung Mozarteum“, in: Ammerer/Angermüller 2005, S. 197–201, hier S. 198.
13Wagner 1993 folgte damit weitgehend der Argumentation in der von Walter Hummel verfassten Chronik der Internationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg, die 1951 veröffentlicht wurde. Diese Arbeit ist als ein kritisch zu reflektierender Quellentext eines Zeitgenossen zu betrachten, der als Schriftführer der Stiftung selbst zu deren wesentlichen Akteuren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählte (vgl. Chronik ISM 1951). Auch die von Rudolph Angermüller und Géza Rech 1980 anlässlich der Feiern zum hundertjährigen Jubiläum der Internationalen Stiftung Mozarteum publizierte „Chronik“ versteht sich im Wesentlichen als eine Zusammenstellung von Daten und Fakten, sie bietet allerdings keine analytisch vertiefte Erörterung von längerfristigen Trends, Entwicklungen und strukturellen Problemen der Stiftungsgeschichte (vgl. Chronik ISM 1980).
14Wagner 1993, S. 233 f.
15Vgl. „In memoriam Hofrat Bruno Hantsch“, in: MISM 11 (1963), H. 1–2, S. 29–30.
16Hantsch 1964, S. 103.
17Vgl. hierzu hingegen die klare Bewertung der 1938 erfolgten „Gleichschaltung“ der „Stiftung Mozarteum“ als Entdemokratisierung durch Gert Kerschbaumer. Dieser hebt hervor, dass die Einführung des „Führerprinzips“ die Leitung der Stiftung „in den Händen der politischen Machthaber“ konzentriert habe (Kerschbaumer 1988, S. 171).
18Vgl. Julia Hinterberger (Hrsg.): Geschichte der Universität Mozarteum Salzburg, Bd. 2: Vom Konservatorium zur Akademie. Das Mozarteum 1922–1953, Wien: Hollitzer, [2022] (im Druck).
19Vgl. Hinterberger 2011.
20Vgl. Ash 2002, S. 50; vgl. auch ebd., S. 32.
21Vgl. Ash 2007.
22Vgl. für die zeitlich weiter zurückliegende Geschichte der Stiftung, die den hier interessierenden Untersuchungszeitraum nicht mehr betrifft, Malkiewicz 2017.
23Vgl. hierzu auch speziell für die Stadt Salzburg Pinwinkler/Weidenholzer 2016.
24Vgl. hierzu auch HaasH 1988, bes. S. 846–865.
25Vgl. Hanisch 2008, S. 252.
26Hoffmann 2011, S. 33; vgl. hierzu allgemein auch Konrad 2009.
27Dirigenten- und Musikkurse der Internationalen Stiftung Mozarteum an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, 14.07.1933 [Abschrift, unsigniert] (BArch, R 55, Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda).
28Vgl. Hinterberger 2011, S. 310.
29Vgl. zur Tätigkeit des „Stillhaltekommissars“ für Vereine, Organisationen und Verbände ebd., S. 300.
30Levi 2010, S. 201.
31Vgl. hierzu auch Fröschl 2001; Levi 2010, bes. S. 22–27.
32Körner wurde dabei auch vom Präsidenten der Stiftung, Hofrat Bruno Hantsch, in Mozarts Wohnhaus empfangen (vgl. „Bundespräsident Dr. h. c. Theodor Körner in Salzburg“, in: Amtsblatt der Landeshauptstadt Salzburg, Nr. 21/274 vom 01.08.1956). Vgl. hierzu auch die Rede, die der Bundespräsident anlässlich der Eröffnung der Salzburger Festspiele des Jahres 1956 hielt (Körner 1956).
33Vgl. „Dr. Albert Reitter: zu seinem 65. Geburtstag am 14. Juni“, in: MISM 9 (1960), H. 1–2, S. 13–14.
Alexander Pinwinkler
Am 20. Mai 1949 regte Bernhard Paumgartner an, den deutsch-amerikanischen Musikwissenschaftler Alfred Einstein mit der „Goldenen Mozart-Medaille der Internationalen Stiftung Mozarteum“ auszuzeichnen. Als Direktor der Musikschule Mozarteum gehörte Paumgartner dem Kuratorium der Stiftung an, welches sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erstmals 1948 wieder konstituiert hatte. Bei der „Goldenen Mozart-Medaille“ handelte es sich um die höchste Auszeichnung, welche die Stiftung zu vergeben hatte;1 wenige Tage später beschloss die Kulturinstitution in einer außerordentlichen Kuratoriumssitzung, Einstein die von Paumgartner vorgeschlagene Auszeichnung zu verleihen.2 In seinem Schreiben an Einstein betonte das Kuratorium, dass es „während der vergangenen Jahre infolge der politischen Ereignisse ausgeschaltet“ gewesen und nunmehr „auf die Wiederaufnahme der internationalen Beziehungen“ bedacht sei. Dem verdienten Forscher sollte die „Goldene Mozart-Medaille“ in Anerkennung seiner „grossen [sic!] wissenschaftlichen Arbeit um W. A. Mozart“ verliehen werden.3
Alfred Einstein war 1880 als Sohn einer jüdischen Familie in München geboren worden. Die rassistisch motivierten Diskriminierungen und beruflichen Zurücksetzungen, denen er im „Dritten Reich“ ausgesetzt war, zwangen ihn dazu, nach Stationen in England, Italien, Österreich und der Schweiz 1939 ins US-amerikanische Exil zu gehen. Nach Kriegsende wurde Einstein im Februar 1949 von der Freien Universität Berlin eingeladen, Vorlesungen oder Vorträge in Berlin zu halten. Er zog es allerdings vor, der von dem Musikwissenschaftler Walter Gerstenberg namens der Freien Universität ausgesprochenen Einladung nicht zu folgen. Angesichts der Erfahrungen, die Einstein vor 1939 in Deutschland und Österreich gemacht hatte, blickte er mit Argwohn auf die ihm nach dem Ende des „Dritten Reiches“ angetragenen Einladungen und Ehrungen.4
Es überrascht daher kaum, dass Alfred Einstein auch das bald erfolgte Salzburger Ansinnen mit den folgenden deutlichen Worten ablehnte:
Ich muss, zu meinem Bedauern, Ihnen jedoch mitteilen, dass ich nicht in der Lage bin, die Ehrung anzunehmen. Wäre sie zwischen dem Erscheinen meiner Bearbeitung des Köchel-Verzeichnisses – Anfang 1937 – und dem März 1938 erfolgt, sie hätte mich erfreut. Durch die Ereignisse zwischen 1938 und 1945 hat sie ihre Bedeutung für mich gänzlich verloren. Solche Ereignisse können sich wiederholen, und ich möchte Ihnen die Verlegenheit ersparen, in einer näheren oder ferneren Zukunft Ihre Generosität bereuen zu müssen […] Es bleibt mir nichts übrig, als die Medaille Ihnen wieder zuzustellen.5
Abb. 1: Schreiben von Alfred Einstein an die Internationale Stiftung Mozarteum, 16.12.1949. ISM-Archiv, Stiftung 1950.
In einem Brief an die Witwe des Musikwissenschaftlers Ernst Kurth, der ein Schüler Guido Adlers gewesen war, äußerte sich Einstein deutlich weniger diplomatisch, als er dies in seinem Ablehnungsschreiben an die Stiftung formulierte. Dieser berichtete er, bereits einige Tage bevor ihm das Schreiben aus Salzburg zugegangen war, die Gründe für seine Ablehnung, nämlich, dass er in der Presse von der beabsichtigten Auszeichnung durch die Internationale Stiftung Mozarteum gelesen habe. Er selbst habe jedoch „keine offizielle Mitteilung dieser Ehrung“ erhalten. Die ihm angetragene Auszeichnung bezeichnete er als „diese lächerliche Mozart-Medaille aus Gold“. In Salzburg gäbe es niemanden, „der in der Lage wäre mich zu ehren“. Er wolle „keine Auszeichnung von Leuten annehmen, […] die zwischen 1938 und 1945 nicht nur verhindert gewesen wären, an mich zu denken, sondern schon von selbst nicht an mich gedacht hätten“.6
Tatsächlich kannte man Einstein in Salzburg gut. Denn hier waren mit Erich Valentin, Ludwig Schiedermair und Erich Schenk jene jüngeren Münchner Schüler seines Doktorvaters Adolf Sandberger, der ihm die Habilitation verweigert hatte,7 innerhalb der Stiftung und in deren Umkreis während der NS-Zeit aktiv gewesen. Einstein dürfte daher über die politische Ausrichtung der Stiftung vor und während der Ära des „Dritten Reiches“ Bescheid gewusst und hieraus seine eigenen Schlüsse gezogen haben. Die von Einstein zurückgewiesene Salzburger Ehrung, die ihm noch dazu bekannt geworden war, ehe er offiziell davon verständigt wurde, blieb nicht ohne Resonanz. Sie rief das österreichische Unterrichtsministerium auf den Plan, das von der Stiftung Aufklärung einforderte.8 Im Jänner 1950 richtete die Stiftung einen Arbeitsausschuss ein, der eine angemessene Reaktion auf Einsteins Ablehnungsbrief vorbereiten sollte. Gegenüber dem Ministerium stellte die Stiftung fest, dass sie mit ihrer Auszeichnung für Einstein nur einen Beschluss ausführen habe wollen, der bereits 1937 unter Präsident Franz Schneiderhan getroffen worden sei.9
Die folgenden Untersuchungen fragen danach, wer die von Alfred Einstein in seinem Ablehnungsschreiben adressierten „Leute“ waren, „die zwischen 1938 und 1945 nicht nur verhindert gewesen wären, an mich zu denken, sondern schon von selbst nicht an mich gedacht hätten“. Dabei geht es einerseits um die Akteure und Akteurinnen, von welchen die „Stiftung Mozarteum“ in der Zeit des Nationalsozialismus, aber auch unmittelbar davor und danach getragen wurde, und andererseits um die gesellschaftlichen Milieus, aus welchen sich diese rekrutierten.10 Der vorliegende Beitrag wird durch eine Darstellung der personellen Zusammensetzung des ersten Kuratoriums der Stiftung abgerundet, welches sich drei Jahre nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes 1948 konstituierte. Dem Aspekt der bürokratischen Entnazifizierung wird dabei ein besonderes Augenmerk geschenkt werden.
Aus konzeptioneller Sicht soll an dieser Stelle Folgendes festgehalten werden: Die Internationale Stiftung Mozarteum bildete ein weit verzweigtes Netzwerk von unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren, die nicht nur in Salzburg, sondern im gesamten deutschen Sprachraum und darüber hinaus sich der Verbreitung und Pflege der Musik Mozarts verschrieben hatten. Es ist hier nicht möglich, die enorme Breite sowie die vielfältigen Ebenen, Dimensionen und Verästelungen der Stiftungsaktivitäten anhand einer Untersuchung ihres Leitungspersonals auch nur annäherungsweise vollständig zu rekonstruieren. Vielmehr sollen im Folgenden zunächst – in zeitlich exemplarischer Sondierung – die soziale Zusammensetzung der Mitglieder des Vereins „Internationale Stiftung Mozarteum“, die „Mozarteumsfamilien“ Gehmacher und Hummel sowie einige jener Personen vorgestellt werden, die seit Mitte der 1930er-Jahre die Stiftung in führenden Positionen prägten.
Diese exemplarischen biografischen Skizzen zu den individuellen Lebens- und Karrierewegen maßgeblicher Akteure des Leitungspersonals sollen zweierlei verdeutlichen: einerseits die Bedeutung, die deren Engagement für die Entwicklung der Stiftung selbst hatte, und andererseits – soweit dies empirisch anhand von greifbarem Quellenmaterial nachweisbar ist – die mental verfestigten Weltsichten, welche die betreffenden Mitglieder der Leitungsgremien artikulierten, um sich innerhalb der Stiftung und für den Salzburger Mozart-Kult zu positionieren. Die Studie thematisiert ferner die sich wandelnden kulturpolitischen Interessenlagen und ideologischen Denkmuster auf Ebene des Leitungspersonals der Stiftung zwischen Diktatur(en) und Demokratie. Die Wiederaufbauleistung der führenden Akteure der – nach 1945 wieder als „Internationale Stiftung Mozarteum“ bezeichneten – Kulturinstitution in den schwierigen Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird hier zwar nicht näher analysiert, sie soll aber keineswegs negiert werden.11
Zu den öffentlichkeitswirksam tätigen führenden Repräsentanten der Stiftung zählten an erster Stelle deren jeweiligen Präsidenten sowie die Sekretäre (oder Generalsekretäre) der Stiftung selbst. Im Folgenden werden daher Franz Schneiderhan und Oskar Grazer, die von 1935 bis 1938 bzw. im März/April 1945 als Präsidenten der Stiftung fungierten, in biografischen Essays porträtiert. Zu der zentralen Figur, Albert Reitter, der von 1938 bis 1945 die „gleichgeschaltete“ „Stiftung Mozarteum“ autoritär leitete, wird auf einen eigenen biografischen Artikel des Verfassers im vorliegenden Band verwiesen. Generalsekretäre der Stiftung waren 1939 bis 1943 Erich Valentin und 1944/45 Rudolf Schmidt-Oemler. Deren Biographien werden im vorliegenden Beitrag ebenfalls in eigenen Essays skizziert, wobei der zeitliche Fokus auch hier auf der NS-Zeit liegt.12 Auch auf den als langjähriger Sekretär der Mozart-Gemeinde bzw. von 1945 an als Generalsekretär der Stiftung aktiven Alfred Heidl soll hier eingegangen werden; für detailliertere Ausführungen sei allerdings auf den in diesem Band abgedruckten Artikel von Christoph Großpietsch über Heidl verwiesen.
In den folgenden Ausführungen werden darüber hinaus Friedrich [I.] Gehmacher, der innerhalb der Stiftung aufgrund seiner vielfältigen Verdienste über ein nachhaltig hohes Ansehen verfügte, Josef Huttary, der Zentralvorsteher der Internationalen Mozart-Gemeinde, sowie der Vorsteher der Wiener Mozartgemeinde Heinrich Damisch erwähnt, dessen Wirken vielfach mit Salzburg verknüpft war.13 Die Mitglieder des Zentralinstituts für Mozartforschung sind hier ebenso als maßgebliche Akteure zu nennen. Neben dessen Leiter Ludwig Schiedermair ist vor allem der gebürtige Salzburger Erich Schenk hervorzuheben, da dieser einen erheblichen Einfluss sowohl auf den Präsidenten Albert Reitter wie auch auf den Generalsekretär Erich Valentin ausübte.14 Ebenso namentlich zu nennen ist der – vor und nach dem „Dritten Reich“ – einflussreiche Direktor des Konservatoriums (nach 1945 Musikhochschule) Mozarteum Bernhard Paumgartner, der bis 1938 und nach 1945 neuerlich auch im Kuratorium der Stiftung vertreten war. Ferner ist hier der Musikpädagoge Eberhard Preußner anzuführen, der Dozent an der Musikhochschule Mozarteum war und von 1941 bis 1942 das „Konzertamt“ der „Stiftung Mozarteum“ leitete. Preußner, und nicht Clemens Krauss, stellte als Geschäftsführer auch die entscheidende Verbindung zum Konservatorium wie später zur Reichshochschule Mozarteum dar.15
Abb. 2: Das Kuratorium der Internationalen Stiftung Mozarteum, 1931. ISM-Archiv, Fotosammlung, F 8759. Vordere Reihe, v. l. n. r.: Vizebürgermeister Josef Preis, Hofrat Dr. Friedrich [I.] Gehmacher, Präsident Altbundeskanzler Dr. Rudolf Ramek, Ministerialrat Dr. Hans Pernter, Hofrat Dr. Karl Stemberger, Regierungsrat Prof. Josef Huttary, Prof. Franz Ledwinka, Exzellenz Ehrenpräsident Dr. Julius Sylvester. Hintere Reihe, v. l. n. r.: Dr. Konstantin Kovarbasic, Dr. Albert Reitter, Dr. Friedrich [II.] Gehmacher, Vizepräsident Kommerzialrat Edwin Schurich, Generalsekretär Wilhelm Hofmann, Sekretär Alfred Heidl, Direktor Dr. Bernhard Paumgartner, Regierungsrat Josef Hummel, Dr. Walter Hummel, Dr. Otto Kunz.
In der Stiftung nahmen damals Männer nominell – und wohl auch faktisch – die führenden Stellen ein. An den Aktivitäten einer Kulturinstitution wie der Stiftung hatten allerdings auch Frauen einen kaum zu unterschätzenden Anteil, der in der historiografischen Selbstdarstellung der Stiftung allerdings lange Zeit eher vernachlässigt wurde.16 Frauen konnten aber, wie hier verdeutlicht werden soll, in unterschiedlichen Rollen und Funktionen wie etwa als Künstlerinnen, Musikwissenschaftlerinnen, Bibliothekarinnen oder auch als Gönnerinnen der Kulturinstitution auftreten. Die nachstehenden Ausführungen verweisen daher exemplarisch auf Maria Keldorfer-Gehmacher, Marlise Hansemann-Heumann, Elisabeth Luin und Maria Gehmacher und skizzieren deren Aktivitäten für die bzw. im Auftrag der Stiftung.17
Die im 19. Jahrhundert entstandenen bürgerlichen Vereine hatten ursprünglich einen autonomen Bereich des zivilgesellschaftlichen Engagements gebildet. Vereine basierten auf freiwilliger Mitgliedschaft, verfolgten spezifische Zwecke und bestanden unabhängig vom Staat und von politischen Parteien.18 Um die Situierung des Vereins „Internationale Stiftung Mozarteum“ innerhalb der lokalen Salzburger Gesellschaft der 1930er-Jahre verdeutlichen zu können, wird im Folgenden zumindest exemplarisch die Mitgliederstruktur der Stiftung beleuchtet. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Zahl der ordentlichen Vereinsmitglieder der Stiftung in Salzburg nie besonders hoch gewesen ist; es waren nämlich vor allem Bewohner der Stadt Salzburg, die dem Verein angehörten. Die Zahl der Vereinsmitglieder betrug im Jahr 1935 insgesamt 298 individuelle und drei korporative Mitglieder, was im Vergleich zur Zahl 630, die im Jahr 1924 erreicht worden war, einen deutlichen Rückgang darstellte. Zu den korporativen Mitgliedern zählten 1935 der „Bund der geistigen Arbeiter“, die mit dem Mozarteum institutionell und personell seit jeher eng verbundene „Liedertafel Salzburg“ sowie die „Städtischen Elektrizitätswerke Salzburg“.19 Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Stiftung im Jahr 1947 nur mehr 114 Mitglieder. Im folgenden Jahr, als das Kuratorium wieder eingesetzt wurde und die Stiftung ihre Tätigkeit auf verbreiterter Basis wieder aufnehmen konnte, wandelte sich dieses Bild neuerlich: Die Mitgliederzahl machte einen deutlichen Sprung nach oben und erreichte den Stand von 176 individuellen und korporativen Mitgliedern, ehe sie im folgenden Jahr 1949 wieder leicht zurückging und die Zahl von 169 Mitgliedern aufwies.20
Im Jahr 1935 waren von den 298 individuellen Mitgliedern 236 Männer und 62 Frauen. Letztere hatten damals somit einen Anteil von mehr als einem Viertel der individuellen ordentlichen Mitglieder der Stiftung. Was die Berufe der Männer betrifft, die im Jahr 1935 Mitglieder der Stiftung