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"MAMA", schreit Christian aus dem Schlafzimmer. "MAMAAA", wiederholt er. Erst als die Sanitäter Mutter auf die Trage heben, wacht sie auf. Ihre Augen werden glasig, sie schreit Vaters Namen und wimmert, dass er sie nicht umbringen darf. Die Sanitäter wechseln einen Blick. Dann sagen sie, dass sie sich um sie kümmern werden, dass Mutter keine Angst haben müsse, dass sie umgekippt sei und ins Krankenhaus gebracht werde.In Wirklichkeit heißt Johanne gar nicht Johanne. Und ihr Bruder, Christian Eriksen, hat seinen Namen nach dem gleichnamigen Fußballspieler gewählt ...Johanne und Christian sind auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Vater, und während sie einem neuen Leben hinterherjagen, jagt ihr Vater sie. Werden sie jemals frei sein?\"Die Jagd\" ist eine ernste, wichtige und fesselnde Serie über die harten Seiten des Lebens. Aber es ist auch eine warme, zeitgemäße Geschichte über Freundschaft, Verliebtsein und Neuanfänge.
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Seitenzahl: 64
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Anne-Marie Donslund
Übersetzt von Alina Becker
Saga Kids
Die Jagd – Der Brand
Übersetzt von Alina Becker
Titel der Originalausgabe: Jagten - Branden
Originalsprache: Dänisch
Coverimage/Illustration: Shutterstock
Copyright © 2023 Anne-Marie Donslund und SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788728236789
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung des Verlags gestattet.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Ich fühle mich wie ein gejagtes Tier …
Ständig auf der Hut.
Ständig schaue ich über die Schulter.
Hat er uns gefunden? Mein Vater.
Ist jetzt alles vorbei?
Während wir einem neuen Leben hinterherjagen, jagt er uns.
Er wird uns niemals gehen lassen.
Niemals …
„Da ist Fårevejle“, ruft Alma atemlos. Sie zeigt auf einige weit entfernte Punkte. Wir haben den Gipfel lange vor dem Rest unserer Gruppe erreicht, und die Aussicht ist überwältigend. Die Sonne scheint, das Meer ist blau, die Rapsfelder leuchten in hellem Gelb.
Trotzdem habe ich einen leichten Schleier vor Augen. Ein Gefühl, als steckte ich in einem Traum fest. Als wäre ich schon einmal hier gewesen. Und als ich mich umdrehe, um über das Land zu blicken, donnert mir ein Albtraum durch den Kopf.
Das weiße Haus.
„Was ist los?“, fragt Alma. „Hast du ein Gespenst gesehen?“
„Nein, nein.“ Ich setze mich mit dem Rücken zu ihr ins Gras.
„Was dann?“ Sie lässt sich neben mich fallen.
„Ich habe nur das Gefühl … als wäre ich schon mal hier gewesen.“
„Gott, vielleicht hast du einfach ein Déjà-vu.“
Ich verstehe nicht, was sie sagt. Es klingt französisch.
„Eine Erinnerung an dein früheres Leben. Deine Seele hat in einem anderen Körper gelebt.“
Ich werfe einen Blick auf das große weiße Haus hinter dem Hof. Es sieht leer und baufällig aus. Plötzlich sehe ich einen Schatten, der sich im Inneren des Hauses bewegt. Ich lege mich flach auf den Bauch und beobachte die Fenster durch die Grashalme.
Alma liegt auf dem Rücken und blickt in den Himmel.
„Stell dir vor, du wärst in einem früheren Leben schon einmal hier gewesen.“
Das bin ich tatsächlich. Aber nicht so, wie Alma denkt.
Mein früheres Leben hat nichts mit Seelenwanderung zu tun. In meinem früheren Leben hatte ich denselben Körper. Aber ich hatte einen anderen Namen. Ich war jemand anderes. Der Körper blieb der gleiche, aber meine Seele ist eine andere geworden. In gewisser Weise.
In der Ferne ist Sulaimas Geschrei zu hören. Alma stützt eine ihrer Wangen mit der Hand ab und mustert mich. Ich drehe mich zur Seite, ein wenig weg von ihr.
„Vielleicht sind wir uns hier schon einmal begegnet. Ich war schon oft hier“, sagt Alma.
„In einem früheren Leben?“, frage ich.
„Ach, nein“, sagt sie und streckt den Finger aus. „Da kommen die anderen.“
Sie stürmen den Hügel hinauf. Sulaima lässt sich neben uns zu Boden fallen.
„Warum habt ihr du so lange gebraucht?“, fragt Alma.
„Ja, Mensch, ich musste halt pinkeln.“
Mein Handy piepst. Ich tue so, als würde ich nichts hören.
„Willst du nicht nachsehen?“, fragt Sulaima.
„Nein“, sage ich.
„Warum nicht? Wer schreibt dir denn?“
„Nur meine Mutter“, sage ich.
„Ja, klar“, sagt Sulaima.
„Also, was soll man hier beantworten?“, fragt Alma.
Sulaima holt eine Karte aus ihrer Tasche: „‘Wie viel Meter über dem Meeresspiegel liegt dieser Ort?‘ Woher zum Teufel sollen wir das denn wissen? Tausend Meter, mindestens.“
„Einhunderteinundzwanzig“, sagt Sille. Sie ist die Einzige, die sich nicht hingesetzt hat.
„Ey, Nerd raushängen lassen, oder was?“
„Das steht da auf dem Stein.“
„Alles klar, whatever“, sagt Sulaima. „Jetzt mal Köpfe her!“
Alma und ich tun, was sie sagt. Sie hält ihr Handy in die Höhe, um ein Gruppen-Selfie zu machen.
Ich halte mir eine Hand vor das Gesicht.
„Ach, komm schon, das ist nur ein Schnappschuss“, sagt sie. „Ich schicke es nur an Mik und so. Komm schon, guck nicht so traurig. Wir sind tatsächlich auf einen Berg gestiegen.“
Das Handy macht ein klickendes Geräusch. Sulaima sieht sich das Bild an und schickt es ab.
„Johanne hatte gerade ein Déjà-vu-Erlebnis. Sie war in einem früheren Leben schon mal hier“, sagt Alma.
„Nein“, widerspreche ich.
„Ja, klar“, sagt Sulaima. „Das ist wohl auch gelogen.“
„Ich war noch nie hier“, sage ich schnell.
„Warum hast du es dann behauptet?“
„Das habe ich nur geträumt.“
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Ich war WIKRLICH schon einmal hier.
Vater und Minken umarmen sich. Mein kleiner Bruder und ich sitzen im Auto. Wir können nicht hören, was sie sagen. Aber sie klopfen sich noch lange auf die Schulter und zünden sich eine Zigarette an.
„Glaubst du, er heißt wirklich Minken?“, fragt mein kleiner Bruder.
„Keine Ahnung“, sage ich.
„Wann fahren wir nach Hause?“, fragt er weiter.
„Keine Ahnung“, sage ich.
Vater und Minken haben sich ein Bier aufgemacht. Sie klopfen sich noch einmal gegenseitig auf die Schulter und trinken.
Plötzlich drehen sie sich um und schauen ins Auto. Dann brüllen sie vor Lachen los.
„Warum kommt ihr nicht raus?“, ruft Vater und öffnet die Tür. „Los, raus da.“
Wir schnallen uns ab und klettern aus dem Auto. Mein kleiner Bruder steht hinter mir.
„Wo zum Teufel hast du die denn gewonnen?“, brüllt Minken.
„In einem dieser Automaten, du weißt schon, an so einer Raststätte“, erwidert Vater grinsend.
„Oder an einer Schießbude im Freizeitpark“, sagt Minken und lacht. „Nein, gib’s zu: Die hast du an einem Einarmigen Banditen gewonnen.“
„Hahaha, Einarmiger Bandit“, brüllt Vater. „Das wohl eher nicht.“
„Die sehen dir nicht im Geringsten ähnlich“, ätzt Minken lachend.
„Ich habe sie aber selbst produziert“, sagt Vater. Seine Augen haben sich verdunkelt. Er nimmt meinen kleinen Bruder auf den Arm und schließt die Hand um meinen. Er drückt ein wenig zu fest zu.
„Immer mit der Ruhe, das war nur ein Scherz“, sagt Minken. „Sie sehen genauso aus wie du.“
Vater lacht kurz auf.
„Ich BIN doch ruhig. Dachtest du, ich wäre sauer?“, fragt er.
„Auf keinen Fall, Mann“, sagt Minken. „Jetzt kommt rein, verdammt noch mal.“
In der Wand des Zimmers, das wir bekommen, ist ein Loch. Ein Überbleibsel von einem Ausraster Minkens. Die Tapete hängt in Fetzen herunter. Das Bettzeug riecht.
Durch das Loch quillt Rauch. Vater und Minken paffen im Wohnzimmer. Sie sprechen über die alten Zeiten. Was das noch für Zeiten waren! Wie viel Bier sie damals gesoffen haben! Im Grunde wie heute auch.
„Können wir rausgehen?“, fragen wir.
Vater winkt mit der Hand ab.
Wir folgen dem Pfad hinauf zur Spitze des Hügels.
Es ist neblig, aber wir können gerade noch erkennen, dass auf der anderen Seite Wasser sein muss. Minkens Haus verschwindet im Nebel. Der Weg führt durch Getreidefelder. Das Korn steht so hoch, dass mein kleiner Bruder darin verschwinden könnte. Wir klettern über eine Mauer. Dann laufen wir an einer Schafherde vorbei. Überqueren eine asphaltierte Straße. Und dann gehen wir weiter bergab, bis wir den Strand erreichen.
„Ich habe Hunger“, sagt mein kleiner Bruder und probiert etwas Lehm vom Hang.
Wir haben heute nichts zu essen bekommen. Nachdem Mutter zur Arbeit gegangen war, zerrte Vater uns ins Auto. Wir würden in den Urlaub fahren, sagte er. Erst mal zu Minken. Der sei wieder draußen. So sagte er das. Erst habe er eingesessen, und jetzt sei er wieder draußen.
Ich fühle mich selbst, als hätte ich ein Loch im Bauch. Es nagt, und mir wird übel.
„Das darfst du nicht essen“, sage ich. „Davon wirst du krank.“