Die Jäger des Wüstenplaneten - Brian Herbert - E-Book

Die Jäger des Wüstenplaneten E-Book

Herbert Brian

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Beschreibung

Wir dürfen nicht vergessen, dass ein weit gefährlicherer Feind auf dem Weg zu uns ist

Die Geehrten Matres, ein Konkurrenzorden der Bene Gesserit, kehren aus der Diaspora zurück und überziehen die Planeten des Alten Imperiums mit Tod und Vernichtung. So wird auch Rakis, der Wüstenplanet, in einen Schlackehaufen verwandel und die sagenumwobenen Sandwürmer gnadenlos eingeäschert. Damit ist die einzige Quelle des Gewürzes versiegt und das Imperium vernichtet. Während die Matres versuchen, mittels Gholas verschüttetes Wissen der Vergangenheit nutzbar zu machen, setzen die Bene Gesserit alles daran, mit ihrem Zuchtprogramm die Heroen des Imperiums wiederzubeleben. Einzig Murbella, eine ehemalige Mater, bemüht sich, beide Frauenorden zu vereinen, denn sie ahnt, dass die Rückkehr der Matres nicht freiwillig geschah: Sie sind in der Diaspora auf einen furchtbaren Gegner gestoßen, der jenseits der Grenzen des Imperiums lauert und sich anschickt, die Menschheit auszulöschen …

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BRIAN HERBERT &

KEVIN J. ANDERSON

 

 

 

DIE JÄGER DES

WÜSTENPLANETEN

Ein Roman aus dem Wüstenplanet-Zyklus

 

 

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Titel der Originalausgabe
HUNTERS OF DUNE
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen
Copyright © 2006 by Herbert Properties LLC Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlagbild: Stephen Youll Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: Thomas Menne
ISBN 978-3-641-21013-7V002

Das Buch

Mit dem Wüstenplanet-Zyklus hat Frank Herbert eine Zukunftssaga geschaffen, die den größten Teil unserer Galaxis und einen Zeitraum von Tausenden von Jahren umfasst und in ihrer epischen Wucht und ihrem außerordentlichen Detailreichtum nur mit J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe« zu vergleichen ist. Nach dem Tod des Autors 1986 schien diese Saga – zum Bedauern von Millionen von Leserinnen und Lesern rund um die Welt – zu einem Abschluss gekommen zu sein. Doch nun geht das Abenteuer weiter: Gestützt auf den umfangreichen Nachlass seines Vaters und gemeinsam mit dem bekannten Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson setzt Frank Herberts Sohn Brian Herbert das atemberaubende Epos fort.

 

Die Geehrten Matres, ein Konkurrenzorden zu den Bene Gesserit und bis aufs Blut mit der Schwesternschaft verfeindet, kehren fluchtartig aus der Diaspora zurück und überziehen die Planeten des Alten Imperiums mit Tod und Vernichtung. So wird auch Rakis, der Wüstenplanet, in einen Schlackehaufen verwandelt, die sagenumwobenen Sandwürmer werden gnadenlos eingeäschert. Damit ist die einzigartige Quelle der Melange versiegt, die wertvolle Substanz, die seit Jahrtausenden Grundlage der Raumfahrt und des interstellaren Handels gewesen ist. Vom Alten Imperium ist nichts übrig geblieben. Während die Matres versuchen, mittels Gholas verschüttetes Wissen der Vergangenheit nutzbar zu machen, setzen die Bene Gesserit alles daran, mit ihren Zuchtprogrammen die historischen Heroen des Imperiums wiederzubeleben. Murbella, eine ehemalige Mater, bemüht sich, die beiden Frauenorden zu vereinen, um eine gemeinsame Abwehrfront zu schaffen, denn sie ahnt, dass die Rückkehr der Geehrten Matres aus der Diaspora nicht freiwillig geschieht: Die Matres sind in der Diaspora auf einen furchtbaren Gegner gestoßen, der jenseits der Grenzen des Imperiums lauert und sich anschickt, die Menschheit auszulöschen …

 

 

 

 

Die Autoren

Brian Herbert, der Sohn des 1986 verstorbenen Wüstenplanet-Schöpfers Frank Herbert, hat selbst SF-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstandenen »Mann zweier Welten«.

 

Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Zuletzt ist von ihm die gefeierte »Saga der Sieben Sonnen« erschienen.

 

Die beiden Autoren haben mit »Die Chroniken des Wüstenplaneten« und »Die Legende des Wüstenplaneten« bereits die große Vorgeschichte von Frank Herberts Epos erzählt..

 

Eine chronologische Liste des Wüstenplanet-Zyklus finden Sie am Ende dieses Buches.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

 

 

 

Für Tom Doherty,

 

der unermüdlich seine Unterstützung und Begeisterung für das Dune-Universum – und für uns als Autoren – unter Beweis stellt. Als überzeugter Herausgeber und umsichtiger Geschäftsmann ist Tom seit Langem ein Dune-Fan und war Frank Herbert ein guter Freund.

Danksagungen

 

Wie schon bei den vorangegangenen Dune-Romanen haben sehr viele Menschen uns dabei unterstützt, das bestmögliche Manuskript zu liefern. Wir möchten Pat LoBrutto, Tom Doherty und Paul Stevens von Tor Books danken, Carolyn Caughey von Hodder & Stoughton, Catherine Sidor, Louis Moesta und Diane Jones von WordFire, Inc. Byron Merritt und Mike Anderson haben außerdem eine Menge guter Arbeit für die Internetseite dunenovels.com geleistet. Alex Paskie hat uns mit tiefen Einblicken in die jüdische Philosophie und Überlieferung geholfen, und Dr. Attila Torkos hat hart daran gearbeitet, diesen Roman auf mögliche Kontinuitätsfehler hin zu überprüfen.

Viele andere haben die Dune-Romane unterstützt – darunter John Silbersack, Robert Gottlieb und Claire Roberts von der Trident Media Group, Richard Rubinstein, Mike Messina, John Harrison und Emily Austin-Bruns von New Amsterdam Entertainment, Penny und Ron Merritt, David Merritt, Julie Herbert, Robert Merritt, Kimberley Herbert, Margaux Herbert und Theresa Shackleford von Herbert Properties LLC.

Und wie immer gilt, dass es diese Bücher nicht gäbe ohne die ständige Hilfe und Unterstützung unserer Ehefrauen, Janet Herbert und Rebecca Moesta Anderson, und ohne Frank Herberts genialen Geist.

Vorbemerkung der Autoren

 

Wir wünschten, Frank Herbert hätte dieses Buch noch schreiben können.

Auch nach der Veröffentlichung von Die Ketzer des Wüstenplaneten (1984) und Die Ordensburg des Wüstenplaneten (1985) hatte er noch große Pläne für die Reihe. Er wollte das Dune-Epos mit einem phantastischen, gewaltigen Höhepunkt beschließen, und wer Ordensburg gelesen hat, kennt das geradezu quälend offene Ende des Romans.

Frank Herberts letzter Roman, Mann zweier Welten, entstand in Zusammenarbeit mit Brian, und die beiden überlegten bereits damals, gemeinsam an kommenden Dune-Romanen zu arbeiten, um insbesondere die Geschichte von Butlers Djihad zu erzählen. Doch angesichts Franks wunderschöner Widmung in Die Ordensburg und des Nachworts, das seine Liebe und Anerkennung für seine Frau Beverly zum Ausdruck brachte, wollte Brian die Dune-Chroniken ursprünglich mit jenem Band enden lassen. Wie er in Der Träumer des Wüstenplaneten, seiner Frank-Herbert-Biographie, erklärte, hatten seine Eltern beim Schreiben ein Gespann gebildet, und nun waren beide gestorben. Viele Jahre lang rührte Brian die Dune-Reihe nicht an.

1997, mehr als zehn Jahre nach dem Tod seines Vaters, erörterte Brian erstmals mit Kevin J. Anderson die Möglichkeit, das Projekt zu vervollständigen und den legendenumwobenen siebten Dune-Band zu schreiben. Doch anscheinend hatte Frank Herbert keinerlei Aufzeichnungen hinterlassen, und so gingen wir davon aus, das große Unterfangen allein auf der Grundlage unserer eigenen Phantasie angehen zu müssen. Nach weiteren Diskussionen wurde uns klar, dass wir eine Menge Vorarbeit zu leisten hatten, bevor wir uns Dune 7 zuwenden konnten. Es ging nicht nur darum, das Fundament für die Geschichte selbst zu legen – wir mussten auch das Lesepublikum und eine ganz neue Lesergeneration wieder an die unglaubliche, beeindruckende Vision des Dune-Universums heranführen.

Seit der Erstveröffentlichung von Die Ordensburg des Wüstenplaneten sind nun mehr als zwanzig Jahre vergangen. Obwohl zahlreiche Leser den ursprünglichen Klassiker Der Wüstenplanet oder auch die ersten drei Bände der Reihe sehr schätzen, haben viele nicht bis zum letzten Band weitergelesen. Wir mussten also neues Interesse wecken und diese Leser auf das vorbereiten, was sie erwartete.

Wir beschlossen, zuerst einmal eine Prequel-Trilogie zu schreiben – Haus Atreides, Haus Harkonnen und Haus Corrino. Als wir bei den Vorbereitungen zu Haus Atreides Frank Herberts Notizen durchstöberten, erfuhr Brian unerwartet von zwei Schließfach-Kassetten, die sein Vater vor seinem Tod an sich genommen hatte. In den Kassetten entdeckte Brian zusammen mit einem Notar ein Nadeldruckermanuskript und zwei altmodische Computerdisketten, die mit »Dune 7 Handlungsentwurf« und »Dune 7 Notizen« beschriftet waren. Hier war detailgenau festgehalten, was der Schöpfer des Wüstenplaneten geplant hatte.

Bei der Lektüre des Materials erkannten wir sofort, dass Dune 7 die Reihe zu einem überwältigenden Höhepunkt bringen würde. Der Entwurf verknüpfte die uns wohlbekannte galaktische Historie und die Figuren in einer spannungsgeladenen Geschichte voll unerwarteter Wendungen und Überraschungen. Darüber hinaus fanden wir zusätzliche Notizen, die Figuren und ihre Lebensgeschichten beschrieben, seitenweise unbenutzte Epigramme und Entwürfe für andere Werke.

Jetzt, da wir einen Fahrplan vor Augen hatten, stürzten wir uns in die Arbeit an der Dune-Prequel-Trilogie, in der wir die Lebensgeschichten von Graf Leto und Lady Jessica, des bösen Barons Harkonnen und des Planetologen Pardot Kynes erzählten. Anschließend schrieben wir die Legenden des Dune-Universums nieder – Butlers Djihad, Der Kreuzzug und Die Schlacht von Corrin –, in denen die Konfliktlinien und Ereignisse etabliert werden, die die Grundlage des gesamten Dune-Universums bilden.

Frank Herbert war unbestreitbar ein Genie. Der Wüstenplanet ist der meistverkaufte und beliebteste SF-Roman aller Zeiten. Bei unserem monumentalen Unterfangen war uns von Anfang an klar, dass es nicht nur unmöglich, sondern auch unklug wäre, Frank Herberts Stil zu imitieren. Sein Werk hat uns beide stark beeinflusst, und einige Fans haben auf gewisse stilistische Ähnlichkeiten hingewiesen. Zwar haben wir diese Bücher geschrieben, um die gewaltigen Maßstäbe und die Atmosphäre der Dune-Romane einzufangen und dabei auch Aspekte von Frank Herberts Stil aufgegriffen, doch wir haben uns an unser eigenes Tempo und unseren eigenen typischen Satzbau gehalten.

Wir dürfen mit Zufriedenheit feststellen, dass die Verkaufszahlen von Frank Herberts ursprünglichen Dune-Romanen seit der Veröffentlichung von Haus Atreides in die Höhe geschnellt sind. Darüber hinaus entstanden zwei sechsstündige Fernseh-Miniserien – Frank Herbert's Dune und Frank Herbert's Children of Dune –, die sich großer Zuschauerzahlen und allgemeiner Anerkennung erfreuten (darüber hinaus haben sie einen Emmy Award gewonnen).{1} Es handelt sich um zwei der drei meistgesehenen Fernsehproduktionen in der Geschichte des US-amerikanischen Sci-Fi-Channels.

Und schließlich, nach mehr als neun Jahren Vorbereitung, denken wir, dass die Zeit reif ist für Dune 7. Beim Studium von Frank Herberts Entwürfen und Notizen haben wir festgestellt, dass das Ausmaß und die epische Breite der Geschichte einen Roman von mehr als 1300 Seiten erfordert hätten – aus diesem Grund wird die Geschichte in zwei Bänden veröffentlicht.

Der größte Teil des Epos ist nach wie vor ungeschrieben, und wir beabsichtigen, ihn um noch viele aufregende Romane zu erweitern, um andere Teile der großen, schillernden Geschichte zu erzählen, die Frank Herbert vorgezeichnet hat. Die Saga des Wüstenplaneten ist alles andere als vorbei!

 

BRIAN HERBERT und KEVIN J. ANDERSON, April 2006

Nach seiner 3500 Jahre währenden Regentschaft ließ der Tyrann Leto II. ein Imperium zurück, das plötzlich für sich selbst sorgen musste. Während der Hungerjahre und der darauffolgenden Diaspora verstreuten sich die Überreste der menschlichen Gattung in den Weiten des Alls. Auf der Suche nach Reichtümern und Sicherheit flohen die Überlebenden in völlig unbekannte Gebiete – vergeblich. Fünfzehn Jahrhunderte lang erduldeten sie und ihre Nachkommen Mühsal und Not. Die Menschheit wandelte sich grundlegend.

Ohne Energie und Ressourcen verlor die traditionsreiche Regierung des alten Imperiums an Einfluss. Neue Machtgruppen fassten Fuß und bauten ihre Positionen aus. Doch nie wieder sollte die Menschheit es sich gestatten, ihr Wohlergehen in die Hände eines einzigen Herrschers oder einer nur begrenzt verfügbaren Schlüsselsubstanz zu legen – beides hatte sich als entscheidender Fehler erwiesen.

Manche sagen, dass die Diaspora der Goldene Pfad Letos II. war, die Feuerprobe, die die Menschheit für alle Zeiten stählen und ihr eine Lektion erteilen sollte, die sie niemals vergessen würde. Aber wie konnte ein einzelner Mensch – selbst ein Gottmensch, der teilweise auch ein Sandwurm war – seinen Kindern bewusst solches Leid zufügen? Selbst jetzt, da die Nachkommen der Verlorenen aus der Diaspora zurückkehren, können wir die Schrecken, denen unsere Brüder und Schwestern sich in der Ferne stellen mussten, nur erahnen.

Aus einem Bericht der Gildenbank,

Niederlassung auf Gammu

 

 

Selbst die Gelehrtesten unter uns können sich das Ausmaß der Diaspora nicht vorstellen. Als Historiker bestürzt mich der Gedanke an all das auf ewig verlorene Wissen zutiefst, an all die peinlich genauen Berichte von Siegen und Niederlagen, die wir niemals zu Gesicht bekommen werden. Ganze Zivilisationen wurden geboren und zerfielen, während diejenigen, die im alten Imperium geblieben waren, in Selbstzufriedenheit und Teilnahmslosigkeit verharrten.

Not und Elend der Hungerjahre ließen neue Waffen und Technologien entstehen. Welche Feinde haben wir uns unabsichtlich gemacht? Welche Religionen, Wandlungen und gesellschaftlichen Prozesse hat der Tyrann in Bewegung gesetzt? Wir werden es nie erfahren, und ich befürchte, dass unser Unwissen eines Tages auf uns zurückfallen wird.

Schwester Tamalane, aus dem Ordensburg-Archiv

 

 

Unsere entfremdeten Brüder, die Verlorenen Tleilaxu, die einst in den Wirren der Diaspora verschwanden, sind nun zu uns zurückgekehrt. Aber sie sind von Grund auf verändert. Sie haben einen fortgeschrittenen Stamm von Gestaltwandlern mitgebracht, den sie laut eigener Angaben selbst erschaffen haben. Meine Untersuchung der Verlorenen Tleilaxu lässt allerdings darauf schließen, dass sie uns eindeutig unterlegen sind. Sie sind nicht einmal in der Lage, in Axolotl-Tanks Gewürz zu produzieren, aber sie behaupten, einen überlegenen Stamm von Gestaltwandlern entwickelt zu haben? Wie sollte das möglich sein?

Und dann die Geehrten Matres. Sie haben Interesse an einem Bündnis angedeutet, doch ihr Handeln entlarvt sie als grausame Eroberer, die ihre Feinde versklaven. Sie haben Rakis zerstört! Wie können wir ihnen oder den Verlorenen Tleilaxu trauen?

Meister Scytale, versiegelte Aufzeichnungen,

in einem ausgebrannten Labor auf Tleilax aufgefunden

 

 

Duncan Idaho und Sheeana haben unser Nicht-Schiff gestohlen und sind mit unbekanntem Ziel aufgebrochen. Sie haben nicht nur zahlreiche Ketzerinnen unter unseren Schwestern mitgenommen, sondern auch den Ghola unseres Bashars Miles Teg. Angesichts unseres jungen Bündnisses bin ich versucht, alle Bene Gesserit und Geehrten Matres anzuweisen, sich voll und ganz auf die Suche nach diesem Schiff und seinen wertvollen Passagieren zu konzentrieren. Aber nein. Wer kann schon ein einziges Nicht-Schiff in den Weiten des Universums finden? Wichtiger noch: Wir dürfen nicht vergessen, dass ein weit gefährlicherer Feind auf dem Weg zu uns ist.

Dringende Nachricht von Murbella,

Ehrwürdige Mutter Oberin und Große Geehrte Mater

 

 

 

ERSTER TEIL

 

 

 

Drei Jahre nach der Flucht

von Ordensburg

 

 

 

 

1

 

Die Erinnerung ist eine scharfe Waffe, die tiefe Wunden reißen kann.

Aus dem Klagelied der Mentaten

 

 

Am Tag seines Todes starb Rakis – der Planet, der Dune genannt wurde – mit ihm.

Dune. Für immer verloren!

In den Archivräumen des fliehenden Nicht-Schiffes Ithaka verfolgte der Ghola von Miles Teg die letzten Minuten des Wüstenplaneten. Vom anregenden Getränk zu seiner Linken stieg nach Melange duftender Dampf auf, aber der Dreizehnjährige beachtete ihn nicht und versenkte sich tiefer in die Mentatentrance. Die historischen Aufzeichnungen und Holobilder faszinierten ihn.

Vor sich sah er Ort und Zeit des Todes, der seinen ursprünglichen Körper ereilt hatte. Er sah, wie eine ganze Welt ermordet wurde. Rakis … vom sagenumwobenen Wüstenplaneten war nur noch eine verkohlte Kugel übrig geblieben.

Die Projektion über dem niedrigen Tisch zeigte Archivbilder von Kriegsschiffen der Geehrten Matres, die sich über der braungelben Kugel des Planeten sammelten. Diese Nicht-Schiffe ließen sich nicht orten – genauso wenig wie das gestohlene Schiff, in dem Teg und die übrigen Flüchtlinge nun lebten – und sie besaßen eine Feuerkraft, die allem überlegen war, was die Bene Gesserit jemals besessen hatten. Im Vergleich dazu waren herkömmliche Atomwaffen nicht mehr als Nadelstiche.

Diese neuen Waffen müssen in der Diaspora entwickeltworden sein. Teg stellte eine Mentatenprojektion an. Menschliche Genialität, geboren aus der Verzweiflung? Oder etwas ganz anderes?

In der schwebenden Bildaufzeichnung eröffneten die schwer bewaffneten Schiffe das Feuer. Mit Vorrichtungen, denen die Bene Gesserit inzwischen den Namen »Auslöscher« gegeben hatten, entfesselten sie gewaltige Feuerstürme. Das Bombardement wurde fortgesetzt, bis es auf dem Planeten kein Leben mehr gab. Die Sanddünen schmolzen zu schwarzem Glas, und selbst Rakis' Atmosphäre fing Feuer. Große Würmer und dicht bevölkerte Städte, Menschen und Sandplankton – alles ausgelöscht. Nichts hätte dort unten überleben können, nicht einmal er selbst.

Jetzt, beinahe vierzehn Jahre später, in einem völlig veränderten Universum, stellte der schlaksige Junge seinen Arbeitsstuhl auf eine bequemere Höhe ein. Erneut betrachte ich die Begleitumstände meines eigenen Todes.

Genau genommen war Teg ein Klon und kein Ghola, den man aus dem Gewebe eines toten Körpers erschuf. Doch die meisten benutzten letzteren Begriff, um ihn zu beschreiben. In seinem jungen Körper lebte ein alter Mann, ein Veteran zahlreicher Kriege der Bene Gesserit. Er konnte sich zwar nicht an die letzten Augenblicke seines Lebens erinnern, aber die Aufzeichnungen ließen wenig Raum für Zweifel.

Die sinnlose Vernichtung des Wüstenplaneten bewies die Skrupellosigkeit der Geehrten Matres. Die Schwesternschaft bezeichnete sie als Huren – mit gutem Grund.

Mit einem leichten Fingerdruck auf die intuitive Steuerung rief er die Bilder noch einmal ab. Es fühlte sich seltsam an, die Ereignisse von außen zu betrachten und zugleich zu wissen, dass er dort unten gewesen war, gekämpft hatte und gestorben war, während man diese Aufzeichnungen angefertigt hatte …

Teg hörte ein Geräusch vom Eingang der Archivkammer und sah Sheeana, die ihn vom Gang aus beobachtete. Ihr Gesicht war schmal und scharf geschnitten, und ihr rakisches Erbe verlieh ihrer Haut einen gebräunten Ton. In ihrem widerspenstigen, umbrafarbenen Haar leuchteten einzelne Kupfersträhnen, Spuren einer Kindheit unter der Wüstensonne. Ihre Augen waren von jenem völligen Blau, das nicht nur ihren lebenslangen Melangekonsum verriet, sondern auch, dass sie die Gewürzagonie durchlaufen hatte – die Prüfung, die sie zur Ehrwürdigen Mutter gemacht hatte. Von allen, die jemals die Agonie überlebt hatten, war sie die Jüngste gewesen – so hatte man es Teg zumindest erzählt.

Die Andeutung eines Lächelns umspielte Sheeanas volle Lippen. »Studierst du wieder vergangene Schlachten, Miles? Für einen Befehlshaber ist es nicht gut, so vorhersehbar zu sein.«

»Es gibt viele Schlachten zu studieren«, antwortete Teg aus dem Mund eines Jungen, der sich mitten im Stimmbruch befand. »In den dreihundert Standardjahren vor meinem Tod hat der Bashar viel erreicht.«

Als Sheeana erkannte, welche Aufzeichnung sich Teg angesehen hatte, verwandelte sich ihr Gesicht in eine sorgenvolle Maske. Der Junge war geradezu besessen von den Bildern der Vernichtung von Rakis, seit sie in dieses fremdartige, unerforschte Universum aufgebrochen waren.

»Gibt es schon Neuigkeiten von Duncan?«, fragte er, um ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema zu lenken. »Er wollte es mit einem neuen Navigationsalgorithmus versuchen, der uns vielleicht von …«

»Wir wissen ganz genau, wo wir sind.« Sheeana hob das Kinn in einer unbewussten Bewegung, die sie immer häufiger machte, seit sie Anführerin dieser Flüchtlingsgruppe geworden war. »Mitten im Nirgendwo.«

Automatisch blendete Teg die Kritik an Duncan Idaho aus. Es lag in ihrer Absicht, dass das Schiff unauffindbar war – weder die Geehrten Matres noch die korrupten Bene Gesserit oder der geheimnisvolle Feind durften sie aufspüren. »Zumindest sind wir in Sicherheit.«

Sheeana wirkte nicht überzeugt. »All die unbekannten Faktoren machen mir Sorgen. Wo wir sind, wer uns verfolgt …« Sie verstummte und fügte dann hinzu: »Ich lasse dich jetzt mit deinen Studien allein. Bald gibt es wieder eine Lagebesprechung.«

Teg merkte auf. »Hat sich etwas Neues ergeben?«

»Nein, Miles. Und ich gehe davon aus, dass man uns immer wieder dieselben Argumente präsentieren wird.« Sie zuckte die Achseln. »Die anderen Schwestern scheinen nicht gewillt zu sein, sich davon abbringen zu lassen.« Ihre Gewänder raschelten leise, als sie die Archivkammer verließ und ihn in der summenden Stille des riesigen, unsichtbaren Schiffes zurückließ.

Zurück nach Rakis. Zurück zu meinem Tod … und den Ereignissen, die ihn herbeigeführt haben. Teg ließ die Aufzeichnung zurücklaufen, wählte alte Berichte und Kommentare aus, und sah sie sich erneut an, diesmal von einem früheren Zeitpunkt aus.

Jetzt, da seine Erinnerungen geweckt waren, wusste er wieder, was er vor seinem Tod getan hatte. Er brauchte die Aufzeichnungen nicht, um sich ins Bewusstsein zu rufen, wie der alte Bashar auf Rakis in die Zwickmühle geraten war, wie er das Unglück regelrecht herausgefordert hatte. Damals, auf Gammu, einem Planeten, der unter dem Namen Giedi Primus einst Heimat des bösen, längst ausgelöschten Hauses Harkonnen gewesen war, hatten er und seine loyalsten Männer – Veteranen zahlreicher siegreicher Kriege – ein Nicht-Schiff gestohlen. Bereits Jahre zuvor hatte man Teg eingesetzt, um den jungen Ghola von Duncan Idaho zu beschützen, nachdem zuvor elf von Duncans Gholas ermordet worden waren. Dem alten Bashar gelang es, den zwölften am Leben zu erhalten, bis er erwachsen war. Anschließend stellte er sein Gedächtnis wieder her und half ihm, von Gammu zu entkommen. Als Murbella, eine Geehrte Mater, versuchte, Duncan sexuell zu versklaven, überlistete er sie mithilfe verborgener Fähigkeiten, die ihm seine Tleilaxu-Schöpfer eingepflanzt hatten. Es stellte sich heraus, dass Duncan eine lebende Waffe war, erschaffen, um die Pläne der Geehrten Matres zu durchkreuzen. Kein Wunder, dass die wutentbrannten Huren so versessen darauf waren, ihn zu finden und zu töten.

Nachdem er Hunderte Geehrte Matres und deren Gefolgsleute getötet hatte, versteckte sich der alte Bashar bei Männern, die geschworen hatten, ihn mit ihrem Leben zu beschützen. Seit Paul Muad'dib, vielleicht sogar seit den Zeiten von Butlers fanatischem Djihad, hatte kein großer Heerführer die Herzen der Menschen so an sich gebunden. Zwischen Speisen, Getränken und dem Schwelgen in alten Erinnerungen hatte der Bashar erklärt, dass er ein Nicht-Schiff brauchte. Obwohl der Diebstahl eines solchen Schiffes als Ding der Unmöglichkeit erscheinen musste, stellten die Veteranen seinen Befehl nicht infrage.

In den Tiefen des Archivs suchte der junge Miles nun nach Überwachungsaufzeichnungen von Gammus Raumhafensicherheit, Bildern, die von großen Gebäuden der Gildenbank in der Stadt aus gemacht worden waren. Jeder Schritt des Angriffsplans erschien ihm absolut sinnvoll, selbst, als er die Aufzeichnungen nun, viele Jahre später, studierte. Es war der einzig mögliche Weg zum Erfolg, und wir haben es geschafft …

Teg und seine Männer waren nach Rakis geflogen, wo sie die Ehrwürdige Mutter Odrade und Sheeana vorfanden, die auf einem großen alten Wurm zum vereinbarten Treffpunkt in der Wüste geritten waren. Die Zeit war knapp gewesen. Die auf Rache sinnenden Geehrten Matres waren schon auf dem Weg, und sie schäumten vor Wut, nachdem der Bashar sie auf Gammu zum Narren gehalten hatte. Auf Rakis hatten Miles und seine überlebenden Männer das Nicht-Schiff mit Panzerfahrzeugen und zusätzlicher Bewaffnung verlassen. Die Zeit für die letzte Schlacht war gekommen.

Bevor der Bashar seine treuen Soldaten ins Freie führte, um den Huren entgegenzutreten, kratzte Odrade ihm wie zufällig über die ledrige Nackenhaut, um ihm auf diese Weise, nicht gerade unauffällig, Zellproben zu entnehmen. Teg verstand ebenso gut wie die Ehrwürdige Mutter, dass es sich um die letzte Gelegenheit handelte, der Schwesternschaft einen der größten militärischen Denker seit der Diaspora zu erhalten. Ihnen war klar, dass er sterben würde. Die letzte Schlacht des Miles Teg.

Während der Bashar und seine Männer den Geehrten Matres auf dem Schlachtfeld gegenübertraten, übernahmen weitere Gruppen der Huren im Handstreich die dichter bevölkerten Gebiete von Rakis. Sie schlachteten die Bene Gesserit ab, die in Keen zurückgeblieben waren. Sie töteten die Tleilaxu-Meister und die Priesterschaft des Zerlegten Gottes.

Die Schlacht war bereits verloren, aber Teg und seine Truppen warfen sich den feindlichen Stellungen mit ungekannter Gewalt entgegen. Weil der Größenwahn der Geehrten Matres ihnen nicht gestattete, eine solche Demütigung einfach hinzunehmen, führten sie einen Vergeltungsschlag gegen den gesamten Planeten, der alles vernichtete. Einschließlich Miles Teg selbst.

In der Zwischenzeit hatten die alten Kämpfer des Bashars mit ihrem Ablenkungsmanöver dafür gesorgt, dass das Nicht-Schiff entkommen konnte. An Bord waren Odrade, der Ghola von Duncan und Sheeana gewesen, die den uralten Sandwurm in den großen Frachtraum des Schiffes gelockt hatte. Nur kurze Zeit, nachdem das Nicht-Schiff in Sicherheit war, wurde Rakis vernichtet – und der Wurm wurde zum letzten seiner Art.

Das war Tegs erstes Leben gewesen. Und damit endeten auch seine echten Erinnerungen.

 

Als Miles Teg nun die Bilder des vernichtenden Bombenhagels betrachtete, fragte er sich, wann sein ursprünglicher Körper wohl ausgelöscht worden war. War das wirklich von Bedeutung? Jetzt, wo er wieder am Leben war, hatte er eine zweite Chance erhalten.

Mithilfe der Zellen, die Odrade ihm entnommen hatte, züchtete die Schwesternschaft eine Kopie ihres Bashars und erweckte seine genetischen Erinnerungen. Die Bene Gesserit wussten, dass sie sein taktisches Genie im Krieg mit den Geehrten Matres brauchen würden. Und tatsächlich hatte der junge Teg die Schwesternschaft auf Gammu und Junction zum Sieg geführt. Er hatte alles getan, worum sie ihn gebeten hatten.

Später hatten er und Duncan zusammen mit Sheeana und ihren Abtrünnigen noch einmal das Nicht-Schiff gestohlen und waren von Ordensburg geflohen, weil sie nicht mehr mit ansehen konnten, wozu Murbella die Bene Gesserit verkommen ließ.

Die Flüchtlinge wussten am besten, was es mit dem geheimnisvollen Feind auf sich hatte, der sie unablässig jagte, ganz gleich, wie weit sich das Nicht-Schiff von den bekannten Regionen entfernte.

Erschöpft vom Ansturm der Ereignisse und den ans Licht gezerrten Erinnerungen schaltete Teg die Aufzeichnung ab, streckte die dünnen Arme und verließ den Archivbereich. Er würde mehrere Stunden mit schonungsloser körperlicher Ertüchtigung verbringen, und dann würde er sich seinen Waffenübungen zuwenden.

Obwohl er im Körper eines Dreizehnjährigen lebte, musste er auf alles vorbereitet sein. Er durfte niemals in seiner Wachsamkeit nachlassen.

2

 

Warum sollte man jemanden, der sich verirrt hat, um Führung bitten? Und sollte man dann überrascht sein, wenn er einen ins Nirgendwo führt?

Duncan Idaho, Tausend Leben

 

 

Sie trieben. Sie waren in Sicherheit. Sie hatten sich verirrt.

Ein unidentifizierbares Schiff in einem unidentifizierbaren Universum.

Duncan Idaho, der sich wie so oft allein auf der Navigationsbrücke aufhielt, wusste, dass sie nach wie vor von mächtigen Feinden gejagt wurden. In jeder Bedrohung steckte eine weitere – Gefahren in Gefahren. Das Nicht-Schiff durchstreifte die eiskalte Leere, weitab der von Menschen erforschten Bereiche, ein ganz neues Universum. Duncan wusste nicht, ob sie sich versteckten oder in der Falle steckten. Selbst wenn er gewollt hätte, würde er nicht mehr zu einem bekannten Sonnensystem zurückfinden.

Laut der autarken Chronometer auf der Brücke befanden sie sich schon seit Jahren in diesem seltsamen, verdrehten Anderswo … aber wer wusste schon, wie die Zeit in einem anderen Universum ablief? Die Gesetze der Physik und die galaktische Landschaft konnten hier völlig andersartig sein.

Als wären Duncans sorgenvolle Gedanken eine Vorahnung gewesen, blinkten plötzlich die Lichter der Hauptkontrolltafel, und die Stabilisatoren stockten und stotterten. Obwohl er nichts Ungewöhnlicheres entdecken konnte als die mittlerweile vertrauten Gas- und Energiewirbel, war das Nicht-Schiff auf etwas gestoßen, dass Duncan als »holprige Strecke« bezeichnete. Wie konnte man im Weltraum in eine Turbulenz geraten, wenn dort nichts war?

Das Schiff erzitterte unter den Peitschenschlägen unerklärlicher Gravitationswellen und wurde von einem Schauer hochenergetischer Teilchen geschüttelt. Als Duncan den Autopilot abschaltete und den Kurs änderte, verschlimmerte sich die Lage. Kaum sichtbare, orangefarbene Blitze zuckten vor dem Schiff wie bleiches, flackerndes Elmsfeuer. Er spürte, wie das Deck unter seinen Füßen erzitterte, als wären sie gegen ein Hindernis geprallt, aber es war nichts zu sehen. Absolut nichts! Sie hätten sich im leeren Vakuum befinden sollen, ohne den geringsten Eindruck von Bewegung, geschweige denn von Turbulenzen. Ein sonderbares Universum.

Duncan passte den Kurs an, bis Instrumente und Antrieb sich beruhigten und die Blitze verschwanden. Wenn es noch gefährlicher wurde, musste er vielleicht einen weiteren riskanten Faltraum-Sprung wagen. Seit ihrem Aufbruch von Ordensburg hatte er das Nicht-Schiff ohne Navigationshilfe geflogen – er hatte alle Navigationsdaten gelöscht und sich völlig auf seine Intuition und seine rudimentären Vorahnungen verlassen. Jedes Mal, wenn er den Holtzman-Antrieb aktivierte, setzte Duncan das Schiff und das Leben aller einhundertfünfzig Flüchtlinge an Bord aufs Spiel. Das tat er nur, wenn es absolut unvermeidlich war.

Vor drei Jahren hatte er keine Wahl gehabt. Duncan hatte das gewaltige Schiff vom Landeplatz abheben lassen. Es war kein Ausbruch im eigentlichen Sinne gewesen – er hatte vielmehr das ganze Gefängnis gestohlen, in das die Schwesternschaft ihn gesteckt hatte. Einfach nur fortzufliegen reichte jedoch nicht aus. Ganz auf das Schiff eingestimmt hatte er vor seinem inneren Auge gesehen, wie sich die Falle schloss. Der Äußere Feind beobachtete sie in ihren absurd harmlos erscheinenden Verkleidungen als alter Mann und alte Frau, und sie verfügten über ein Netz, das sie über gewaltige Entfernungen auswerfen konnten, um das Nicht-Schiff einzufangen. Er hatte deutlich gesehen, wie sich das schillernde, funkensprühende Gewebe zusammenzog, während das seltsame alte Paar siegessicher lächelte. Sie hatten das Nicht-Schiff bereits in ihren Händen gewähnt.

Mit fliegenden Fingern und kristallklarem Verstand hatte Duncan den Holtzman-Antrieb zu Leistungen gebracht, die ihm nicht einmal ein Gildennavigator hätte abringen können. Als das unsichtbare Netz ihrer Feinde gerade im Begriff gewesen war, sich um das Nicht-Schiff zu schließen, hatte Duncan sie so tief in die Falten des Raums geschleudert, dass das Gewebe des Universums riss und sie hindurchstürzten. Seine altes Schwertmeister-Training hatte ihm geholfen. Die langsame Klinge durchdringt den ansonsten undurchdringlichen Schutzschild.

Die Besatzung des Nicht-Schiffes hatte sich an einem völlig fremden Ort wiedergefunden. Aber Duncan war wachsam geblieben und erlaubte sich nicht den kleinsten Seufzer der Erleichterung. Was mochte sie in diesem unergründlichen Universum als Nächstes erwarten?

Nun betrachtete er die Bilder, die von externen Sensoren jenseits des Nicht-Feldes übertragen wurden. Am Panorama hatte sich nichts geändert: spiralförmig verdrehte Nebelschleier, die sich niemals zu Sternen verdichten würden. Befanden sie sich in einem jungen Universum, das noch keine Strukturen ausgebildet hatte, oder in einem so unglaublich alten, dass alle Sonnen ausgebrannt waren und nur noch nukleare Asche übrig war?

Die Flüchtlinge waren hier völlig deplatziert und wünschten sich nichts sehnlicher, als in den Normalraum zurückzukehren … oder wenigstens irgendwo anders zu sein. Im Laufe der Zeit hatten sich Angst und Aufregung erst zu Verwirrung und dann zu Ruhelosigkeit und Unmut abgeschwächt. Sie alle wollten mehr, als einfach nur unversehrt irgendwo im Nirgendwo gestrandet zu sein. Die einen setzten all ihre Hoffnungen in Duncan Idaho, die anderen gaben ihm die Schuld an der Misere.

An Bord des Schiffes befand sich ein Mischmasch verschiedenster Fraktionen der Menschheit (oder betrachteten Sheeana und ihre Bene-Gesserit-Schwestern sie vielleicht eher als »Exemplare«?). Es gab ein paar orthodoxe Bene Gesserit – Akoluthen, Proctoren, Ehrwürdige Mütter und sogar männliche Arbeiter – sowie Duncan selbst und den jungen Ghola von Miles Teg. Außerdem war ein Rabbi mit einer Gruppe Juden an Bord, die sie auf Gammu vor einem Pogrom der Geehrten Matres gerettet hatten. Dazu kam ein überlebender Tleilaxu-Meister und vier tierhafte Futar – monströse Mischlinge aus Menschen und Katzen, die in der Diaspora erschaffen und von den Huren versklavt worden waren. Schließlich bot der Frachtraum noch sieben kleinen Sandwürmern eine provisorische Heimstatt.

Eine ausgesprochen sonderbare Mischung. Ein Narrenschiff.

Ein Jahr nach ihrer Flucht von Ordensburg und nachdem sie in dieses verdrehte und unbegreifliche Universum geraten waren, hatten Sheeana und ihre Bene-Gesserit-Anhänger zusammen mit Duncan eine Taufzeremonie durchgeführt. Angesichts der endlosen Reise des Nicht-Schiffes schien der Name Ithaka angemessen.

Ithaka, eine kleine Insel im alten Griechenland, war der Herkunftsort des Odysseus gewesen, der nach dem Ende des trojanischen Krieges zehn Jahre auf der Suche nach seiner Heimat umhergeirrt war. Genauso brauchten auch Duncan und seine Gefährten einen Ort, der für sie ein Heim und eine sichere Zuflucht war. Auch sie befanden sich auf einer großen Irrfahrt, und ohne Sternkarten war Duncan ebenso orientierungslos wie der alte Odysseus.

Niemandem war klar, wie sehr sich Duncan wünschte, nach Ordensburg zurückzukehren. Sein Herz war an das von Murbella gekettet, an seine Geliebte, seine Sklavin und seine Herrin. Sich von ihr loszusagen war die schwerste und schmerzvollste Erfahrung gewesen, die er in all seinen vielen Leben gemacht hatte. Er bezweifelte, dass er jemals ganz über sie hinwegkommen würde. Murbella …

Doch Duncan Idaho hatte der Pflicht immer den Vorrang vor persönlichen Gefühlen gegeben. Ungeachtet seines Kummers übernahm er die Verantwortung für die Sicherheit des Nicht-Schiffes und seiner Passagiere, selbst in einem aus den Fugen geratenen Universum.

Manchmal, wenn er in einer seltsamen Stimmung war, erinnerten zufällige Geruchskombinationen ihn an Murbellas charakteristischen Duft. Organische Ausdünstungen, die die umgewälzte Luft im Nicht-Schiff durchzogen, trafen auf seinen Geruchssinn und riefen Erinnerungen an ihre elf gemeinsamen Jahre wach. Murbellas Körpergeruch, ihr dunkles, bernsteinfarbenes Haar, der ganz besondere Geschmack ihrer Lippen und der salzige Meeresduft ihrer »sexuellen Zusammenstöße«. Die leidenschaftlichen Begegnungen, die sie beide bitter benötigt hatten, waren all die Jahre über immer gleichzeitig intim und brutal gewesen, und keiner von ihnen beiden hatte genug Kraft besessen, um dem anderen zu entkommen.

Ich darf gegenseitige Abhängigkeit nicht mit Liebe verwechseln. Der Schmerz war mindestens so brennend und unerträglich wie der zermürbende Kampf eines Drogensüchtigen auf Entzug. Mit jeder Stunde, in der das Nicht-Schiff durch die Leere glitt, entfernte sich Duncan weiter von ihr.

Er lehnte sich zurück und öffnete seine einzigartigen Sinne, tastete umher, immer in Sorge, dass jemand das Nicht-Schiff finden könnte. Bei solchen inaktiven Erkundungen bestand die Gefahr, dass er in ziellose Grübeleien über Murbella verfiel. Um diesem Problem abzuhelfen, zerlegte Duncan seinen Mentatenverstand. Während ein Teil von ihm ziellos umhertrieb, blieb ein anderer wachsam, immer auf der Suche nach möglichen Gefahren.

In ihren gemeinsamen Jahren hatten er und Murbella vier Töchter in die Welt gesetzt. Die ältesten beiden – Zwillinge – mussten mittlerweile fast erwachsen sein. Aber in dem Moment, als Murbella durch die Agonie zu einer echten Bene Gesserit geworden war, hatte Duncan sie verloren. Weil noch nie zuvor eine Geehrte Mater die Ausbildung – oder eher Umschulung – zu einer Ehrwürdigen Mutter der Bene Gesserit erfolgreich absolviert hatte, war die Schwesternschaft außerordentlich zufrieden mit ihr gewesen. Duncans gebrochenes Herz war lediglich ein Kollateralschaden gewesen.

Vor seinem inneren Auge spukte Murbellas bildschönes Antlitz umher. Seine Mentatenfähigkeiten – Segen und Fluch zugleich – ermöglichten es ihm, sich ihre Züge in allen Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen: ihr ovales Gesicht und ihre hohe Stirn, der feste Blick ihrer Augen, grün wie Jade, der gertenschlanke Körper, der sich im Kampf und in der Liebe mit gleicher Kraft bewegte. Dann fiel ihm ein, dass ihre grünen Augen durch die Gewürzagonie blau geworden waren. Ein ganz anderer Mensch …

Seine Gedanken schweiften ab, und vor seinem inneren Auge veränderte sich das Bild von Murbella. Wie ein Nachbild, das sich in seine Netzhaut gebrannt hatte, nahm eine andere Frau Gestalt an. Duncan erschrak. Es handelte sich um etwas, das von außen kam, einen Verstand, der dem seinen maßlos überlegen war und behutsam seine Fäden um die Ithaka wob.

Duncan Idaho, rief eine sanfte weibliche Stimme.

Ein wilder Ansturm von Emotionen vermischte sich mit dem Wissen um die Gefahr. Warum hatte seine Mentatensicht ihn nicht gewarnt? Sein unterteilter Verstand schaltete vollständig um – jetzt ging es ums Überleben aller. Er stürzte an die Holtzman-Kontrollen, einmal mehr bereit, das Nicht-Schiff weit hinaus ins Unbekannte zu schleudern.

Die Stimme versuchte, ihn aufzuhalten. Duncan Idaho, bleib hier. Ich bin nicht dein Feind.

Das hatten ihm auch der alte Mann und die alte Frau versichert. Obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, wer sie waren, begriff Duncan, dass sie die eigentliche Bedrohung darstellten. Doch diese aktuelle weibliche Präsenz, dieser gewaltige Verstand, hatte ihn von außerhalb des seltsamen, unbekannten Universums berührt, in dem sich das Nicht-Schiff derzeit befand. Verzweifelt versuchte er, der Stimme zu entkommen, doch er kam nicht von ihr los.

Ich bin das Orakel der Zeit.

Duncan hatte schon in vielen seiner Leben von diesem Orakel gehört – es handelte sich um die Macht, deren Führung sich die Raumgilde anvertraut hatte. Wohlmeinend und allwissend galt das Orakel der Zeit als Hüterin, die seit der Gründung der Raumgilde vor fünfzehntausend Jahren über sie gewacht hatte. Duncan hatte es immer für eine seltsame Religion gehalten, die die Navigatoren in ihrer Übersensibilität erfunden hatten.

»Das Orakel ist ein Mythos.« Seine Hand verharrte über den Schaltfeldern der Konsole.

Ich bin vieles. Überrascht stellte er fest, dass die Stimme seiner Bezichtigung nicht widersprach. Viele suchen nach euch. Hier wird man euch finden.

»Ich vertraue lieber auf meine eigenen Fähigkeiten.« Duncan fuhr den Faltraumantrieb hoch. Er hoffte, dass das Orakel von dort draußen aus nicht bemerken würde, was er tat. Er würde das Nicht-Schiff an einen anderen Ort bringen, erneut die Flucht ergreifen. Wie viele verschiedene Mächte waren ihnen eigentlich auf den Fersen?

Die Zukunft verlangt nach deiner Anwesenheit. Du wirst noch eine Rolle im Kralizec spielen.

Kralizec … der Taifunkampf … die seit Langem geweissagte Schlacht am Ende des Universums, die die Gestalt der Zukunft für immer verändern würde.

»Auch nur ein Mythos«, gab Duncan zurück, während er den Faltraumantrieb aktivierte, ohne die übrigen Passagiere vorzuwarnen. Er konnte nicht riskieren, hier zu bleiben. Eine Schockwelle durchlief das Nicht-Schiff, dann wurde es erneut ins Unbekannte geschleudert.

Er hörte, wie die Stimme leiser wurde, als sich das Schiff dem Griff des Orakels entwand, doch sie klang nicht wütend. Hier, sagte die sich entfernende Stimme, ich führe dich. Dann zerfransten die Worte des Orakels wie ein mürbes Stück Stoff und verstummten endgültig.

Die Ithaka stürzte durch den Faltraum und kam nach unmessbar kurzer Zeit wieder zum Vorschein.

Überall um das Schiff herum leuchteten Sterne. Echte Sterne. Duncan überprüfte die Sensoren und Navigationssysteme und erblickte das Funkeln von Sonnen und Nebeln. Sie waren wieder im Normalraum. Ohne weitere Analyse wusste er, dass sie sich in ihrem eigenen Universum befanden. Er wusste nicht, ob er jubeln oder vor Verzweiflung schreien sollte.

Duncan spürte das Orakel der Zeit nicht mehr, und ebenso wenig konnte er ihre mutmaßlichen Verfolger ausmachen – den geheimnisvollen Feind und die vereinte Schwesternschaft. Doch beide warteten zweifellos irgendwo dort draußen auf sie. Obwohl inzwischen drei Jahre vergangen waren, würden sie mit Sicherheit nicht aufgegeben.

Das Nicht-Schiff war immer noch auf der Flucht.

3

 

Auch der stärkste und selbstloseste Anführer muss zuallererst den Befehlen seines Herzens Folge leisten. Selbst wenn sein Amt von der Unterstützung der Massen abhängt, dürfen seine Entscheidungen unter dem Druck der öffentlichen Meinung nicht ins Wanken geraten. Nur Mut und Charakterstärke können ein wahrhaftiges und denkwürdiges Erbe hinterlassen.

aus »Gesammelte Weisheiten des Muad'dib«,

von Prinzessin Irulan

 

 

Wie eine Drachenherrscherin, die ihre Untertanen begutachtete, saß Murbella auf ihrem hohen Thron in der weiten Empfangshalle der Bene-Gesserit-Festung. Frühes Morgenlicht fiel durch die hohen Buntglasfenster und tauchte den Raum in leuchtende Farben.

Ordensburg befand sich im Zentrum eines sehr sonderbaren Bürgerkriegs. Die Ehrwürdigen Mütter und die Geehrten Matres trafen hier mit dem Feingefühl kollidierender Raumschiffe aufeinander. Murbella ließ ihnen, gemäß Odrades großem Plan, keine andere Wahl. Ordensburg war nun die Heimstatt beider Gruppen.

Beide Fraktionen hassten Murbella für die Veränderungen, die sie vorgenommen hatte, und keine von beiden war mächtig genug, sich ihr zu widersetzen. Durch ihre Vereinigung mischten sich die widersprüchlichen Philosophien und Organisationsprinzipien der Geehrten Matres und der Bene Gesserit wie monströse siamesische Zwillinge. Schon der Gedanke daran widerte viele der Beteiligten an. Ständig lag die Gefahr erneuten Blutvergießens in der Luft. Das erzwungene Bündnis konnte jederzeit auseinanderbrechen.

Es handelte sich um ein riskantes Spiel, auf das sich einige Angehörige der Schwesternschaft nicht hatten einlassen wollen. »Überleben um den Preis der Selbstzerstörung ist kein Überleben«, hatte Sheeana gesagt, kurz bevor sie und Duncan mit dem Nicht-Schiff geflohen waren. »Mit den Füßen abstimmen«, wie es in der alten Redewendung hieß. Ach, Duncan! Konnte es sein, dass die Mutter Oberin Odrade nicht vorhergesehen hatte, was Sheeana im Schilde führte?

Natürlich wusste ich es, sagte Odrades Stimme aus den Weitergehenden Erinnerungen. Sheeana hat es lange vor mir verborgen, aber schließlich habe ich davon erfahren.

»Und du hast es unterlassen, mich zu warnen?« Murbella führte oft laute Gespräche mit der Stimme ihrer Vorgängerin – eine der vielen inneren Stimmen aus früheren Generationen, auf die sie zurückgreifen konnte, seit sie eine Ehrwürdige Mutter war.

Ich zog es vor, niemanden zu warnen. Sheeana hatte triftige Gründe.

»Und jetzt müssen wir beide mit den Folgen leben.«

Murbella sah von ihrem Thron aus zu, wie die Wachen eine Gefangene hereinbrachten. Eine weitere Disziplinierungsmaßnahme, um die sie sich kümmern musste. Noch ein Exempel, das sie statuieren musste. Während die Bene Gesserit solche Demonstrationen verabscheuten, wussten die Geehrten Matres ihre Wirkung durchaus zu schätzen.

Dieser Fall war wichtiger als die meisten anderen, also kümmerte sich Murbella persönlich darum. Sie glättete ihre glitzernde, schwarz-goldene Robe über den Beinen. Anders als die Bene Gesserit, die ihren Platz kannten und keine auffälligen Rangabzeichen benötigten, legten die Geehrten Matres großen Wert auf prunkvolle Statussymbole – wie zum Beispiel auf einen extravaganten Thron oder Stuhlhund, oder auf reich verzierte Umhänge in leuchtenden Farben. Die selbsternannte Mutter Befehlshaberin musste deshalb auf einem imposanten, mit unzähligen Soosteinen und Feuerjuwelen besetzten Thron sitzen.

Genug, um einen größeren Planeten zu kaufen, dachte sie, wenn es welche gäbe, die ich kaufen möchte.

Inzwischen verabscheute Murbella ihre Amtspflichten, aber sie wusste, dass vieles davon unvermeidlich war. Ständig hatte sie Frauen in den Trachten beider Orden um sich, die nur auf ein Zeichen der Schwäche warteten. Obwohl die Geehrten Matres gemäß den Richtlinien der Schwesternschaft ausgebildet wurden, hielten sie an ihrer traditionellen Kleidung fest: Umhänge und Kopftücher mit Schlangenmustern sowie hautenge Ganzkörperanzüge. Im Gegensatz dazu mieden die Bene Gesserit bunte Farben und hüllten sich in weite dunkle Roben. Der Gegensatz war so deutlich wie der zwischen einem prächtigen Pfau und einem im Dickicht nahezu unsichtbaren Zaunkönig.

Die Gefangene, eine Geehrte Mater namens Annine, hatte kurzes blondes Haar und trug einen kanariengelben Ganzkörperanzug und einen grellen Umhang aus saphirgrünem Seidenplaz mit Rastermuster. Elektronische Fesseln hielten ihre Arme vor dem Bauch, als würde sie eine unsichtbare Zwangsjacke tragen. Ein nervenlähmender Knebel verschloss ihr den Mund. Annine setzte sich erfolglos gegen die Fesseln zur Wehr. Ihre Sprechversuche brachten nur ein unverständliches Grunzen hervor.

Die Wachen führten die widerspenstige Frau zum Fuß des Thronpodestes. Murbella blickte in die wilden Augen, die sie trotzig anfunkelten. »Ich will kein Wort mehr von dir hören, Annine. Du hast bereits zu viel geredet.«

Diese Frau hatte den Führungsstil der Mutter Befehlshaberin einmal zu oft kritisiert. Sie hatte eigene Treffen abgehalten und gegen die Vereinigung der Geehrten Matres und Bene Gesserit Front gemacht. Ein paar von Annines Gefolgsleuten waren sogar aus der Stadt verschwunden und hatten in den unbewohnten nördlichen Regionen eine eigene Operationsbasis eingerichtet. Murbella konnte nicht zulassen, dass solche Provokationen ungestraft blieben.

Die Art, auf die Annine ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht hatte – indem sie Murbella blamiert und ihre Autorität und ihren Ruf hinter einem Schutzschild feiger Anonymität angegriffen hatte –, war unverzeihlich. Die Mutter Befehlshaberin kannte den Typ Mensch, dem Annine angehörte. Keine Verhandlungen, keine Kompromisse, kein Appell zur Einigung würde sie jemals umstimmen. Diese Frau definierte sich ausschließlich über ihre Gegnerschaft.

Eine Verschwendung von Menschenmaterial. Ein Ausdruck von Abscheu huschte über Murbellas Gesicht. Wenn Annine ihre Wut nur gegen den wirklichen Feind gerichtet hätte …

Angehörige beider Orden verfolgten das Geschehen von ihren Plätzen an den Seitenwänden der großen Halle. Die beiden Gruppen durchmischten sich nur ungern. Meistens teilten sie sich in »Huren« auf der einen Seite und »Hexen« auf der anderen. Wie Öl und Wasser.

In den Jahren seit der Vereinigung war Murbella mehrmals in Todesgefahr geraten, doch sie war allen Fallen entgangen, hatte sich angepasst und schwere Strafen verhängt.

Ihr Herrschaftsanspruch über diese Frauen war vollauf gerechtfertigt: Sie war nicht nur die von Odrade erwählte Ehrwürdige Mutter Oberin, sondern durch die Ermordung ihrer Vorgängerin auch zur rechtmäßigen Großen Geehrten Mater aufgestiegen. Sie hatte sich selbst den Titel Mutter Befehlshaberin verliehen, um die Vereinigung dieser beiden bedeutenden Ämter zu symbolisieren, und im Laufe der Zeit stellte sie fest, dass die Schwestern mehr und mehr hinter ihr standen. Murbellas Lehren zeigten die gewünschte Wirkung, wenn auch nur langsam.

Nach der wechselhaften Schlacht auf Junction hatte die schwer bedrängte Bene-Gesserit-Schwesternschaft die Brutalität der Geehrten Matres nur überleben können, indem sie diese glauben ließ, gesiegt zu haben. In einer ironischen Wendung waren die Sieger zu Gefangenen geworden, bevor sie es ganz begriffen hatten. Mit ihrem Wissen, ihrer Ausbildung und ihrer List hatten die Bene Gesserit die festgefahrenen Glaubenssätze der Geehrten Matres einfach geschluckt. Größtenteils.

Mit einem Handzeichen befahl die Mutter Befehlshaberin den Wachen, die Fesseln straffer zu ziehen. Annines Gesicht nahm einen schmerzverzerrten Ausdruck an.

Murbella stieg die polierten Stufen hinunter, ohne den Blick von der Gefangenen zu wenden. Unten angekommen, starrte Murbella auf die kleinere Frau hinab. Es gefiel ihr, wie sich Annines Blick wandelte und sich ihre Augen mit Angst statt Trotz füllten, als sie plötzlich begriff.

Geehrte Matres machten sich selten die Mühe, ihre Gefühle zu verbergen – sie zogen es vor, sie zu ihrem Vorteil einzusetzen. Sie hatten festgestellt, dass ein herausfordernder, wilder Blick und die deutliche Zurschaustellung von Wut und Bedrohlichkeit ihre Opfer dazu brachte, sich zu unterwerfen. Im scharfen Gegensatz dazu betrachteten Ehrwürdige Mütter Emotionen als eine Schwäche und unterwarfen sie rigider Kontrolle.

»Im Laufe der Jahre bin ich vielen gegenübergetreten, die mich herauszufordern wagten. Ich habe sie alle getötet«, sagte Murbella. »Ich habe gegen Geehrte Matres gekämpft, die meine Herrschaft nicht anerkennen wollten. Ich habe mich gegen Bene Gesserit durchgesetzt, die mein Tun ablehnten. Wie viel Blut und Zeit soll ich noch auf diesen Unsinn verschwenden, anstatt gegen unseren wirklichen Feind vorzugehen?«

Ohne Annines Fesseln zu lösen oder ihren Knebel zu lockern, zog Murbella einen blitzenden Dolch aus ihrer Schärpe und rammte ihn der Geehrten Mater in den Hals. Ohne Zeremonie, ohne Würde … ohne Zeitverschwendung.

Die Wachen hielten die sterbende Gefangene aufrecht, während sie sich in ihrem Griff wand. Ein blubberndes Gurgeln drang aus der Wunde. Dann wurden ihre Augen starr und sie erschlaffte.

»Schafft sie fort.« Murbella wischte das Messer am Seidenplaz-Umhang der Toten ab und kehrte auf ihren Thron zurück. »Ich habe Wichtigeres zu tun.«

In den Weiten der Galaxis operierten skrupellose, ungezähmte Geehrte Matres in geschlossenen, unabhängigen Zellen – und sie waren den Bene Gesserit immer noch zahlenmäßig weit überlegen. Viele dieser Frauen weigerten sich, den Herrschaftsanspruch der Mutter Befehlshaberin anzuerkennen, und verfolgten weiter ihre ursprünglichen Ziele – sie mordeten und brandschatzten, zerstörten und verschwanden wieder. Bevor sie dem wirklichen Feind gegenübertreten konnten, musste Murbella diese Matres zur Räson bringen. Allesamt.

Murbella spürte, dass Odrade erneut zur Verfügung stand, und in der Stille ihres Geistes sagte sie zu ihrer toten Mentorin: »Ich wünschte, so etwas wäre nicht nötig.«

Du gehst auf gewaltsamere Weise vor, als ich es vorziehe. Aber du siehst dich großen Aufgaben gegenüber, anderen als ich. Ich habe das Überleben der Schwesternschaft in deine Hände gelegt. Diese Arbeit ist nun dir zugefallen.

»Du bist tot. Du bist nur noch eine Beobachterin.«

Die Odrade in Murbella lachte leise. Diese Rolle erscheint mir auch sehr viel weniger anstrengend.

Während der gesamten Unterhaltung blieb Murbellas Gesicht eine ausdruckslose Maske, da sie vom Großteil der Anwesenden beobachtet wurde.

Die alte und ungeheuer korpulente Bellonda beugte sich zu ihr herüber. »Das Gildenschiff ist eingetroffen. Wir bringen die sechsköpfige Delegation mit aller gebotenen Eile her.« Bell war Odrades Widerpart und Gefährtin gewesen. Die beiden hatten oft unterschiedliche Meinungen vertreten, insbesondere was das Duncan-Idaho-Projekt anging.

»Ich habe beschlossen, sie warten zu lassen. Wir sollten ihnen keinen Grund zur Annahme geben, dass wir es eilig hätten, sie zu sehen.« Sie wusste, was die Gilde wollte. Gewürz. Immer wieder Gewürz.

Bellondas Doppelkinn legte sich in Falten, als sie nickte. »Natürlich. Es gibt endlose Formalitäten, die wir befolgen können, wenn du es wünschst. Geben wir der Gilde eine Kostprobe ihrer eigenen Bürokratie.«

4

 

Der Legende nach hat sich ein Tropfen vom Bewusstsein Letos II. in jedem Sandwurm erhalten, der aus seinem zerlegten Körper erstanden ist. Der Gottkaiser selbst erklärte, dass er von nun an in einem ewigen Traum leben würde. Aber was geschieht, wenn er erwacht? Wenn er sieht, was wir uns angetan haben? Wird der Tyrann uns dann auslachen?

Priesterin Ardath,

vom Kult der Sheeana auf dem Planeten Dan

 

 

Obwohl alles Leben auf dem Wüstenplaneten ausgebrannt worden war, lebte seine Seele an Bord des Nicht-Schiffes weiter. Dafür hatte Sheeana höchstpersönlich gesorgt.

Sie und ihre ernst dreinschauende Gehilfin Garimi standen am Sichtfenster zum großen Frachtraum der Ithaka. Garimi beobachtete, wie die niedrigen Dünen erzitterten, wenn die jungen Sandwürmer darunter sich bewegten. »Sie sind gewachsen.«

Die Würmer waren natürlich kleiner als die gewaltigen Tiere, die Sheeana noch von Rakis kannte, aber größer als alles, was sie im allzu feuchten Wüstenstreifen von Ordensburg gesehen hatte. Die Lebenserhaltungssysteme des riesigen Frachtraums arbeiteten genau genug, um eine perfekte Wüstenumgebung zu simulieren.

Sheeana schüttelte den Kopf, als sie daran dachte, dass das rudimentäre Gedächtnis dieser Kreaturen zweifellos Erinnerungen an ein endloses Dünenmeer enthielt. »Unsere Würmer sind unruhig. Sie fühlen sich beengt. Sie können nirgendwohin.«

Kurz bevor Rakis von den Huren ausgelöscht worden war, hatte Sheeana einen uralten Sandwurm gerettet und nach Ordensburg gebracht. Bei ihrer Ankunft war das ehrfurchtgebietende Geschöpf dem Tode nahe gewesen. Kaum dass der Wurm den fruchtbaren Boden berührt hatte, verging er, und seine Haut zerfaserte in Tausende fortpflanzungsfähige Sandforellen, die sich in die Erde gruben. Im Laufe der folgenden vierzehn Jahre verwandelten sie den blühende Planeten in eine ausgedörrte Wüste und eine neue Heimat für die Sandwürmer. Als der Lebensraum schließlich ihren Bedürfnissen angepasst war, erhoben die majestätischen Kreaturen erneut ihr Haupt. Zuerst waren sie klein, doch mit der Zeit wurden sie größer und mächtiger.

Als Sheeana beschlossen hatte, von Ordensburg zu fliehen, nahm sie einige der kleinen Sandwürmer mit.

Fasziniert von den Bewegungen unter dem Sand beugte sich Garimi dichter ans Fensterplaz. Der Gesichtsausdruck der dunkelhaarigen Gehilfin wirkte so ernst, als gehörte er zu einer Jahrzehnte älteren Frau. Garimi war eine Fleißarbeiterin, eine Bene Gesserit der alten Schule, die zu einer streng religiösen Weltsicht ohne irgendwelche Grautöne neigte. Obwohl sie jünger als Sheeana war, bedeutete ihr die Reinheit der Bene Gesserit ungleich mehr. Die Vorstellung, dass die Geehrten Matres der Schwesternschaft beitreten könnten, hatte sie zutiefst bestürzt. Garimi hatte Sheeana geholfen, den riskanten Plan auszuhecken, der ihnen die Flucht vor dieser »Kontamination« ermöglicht hatte.

Mit einem weiteren Blick auf die unruhigen Würmer fragte Garimi: »Jetzt, da wir das fremde Universum verlassen haben, wird Duncan bald einen Planeten für uns finden? Wie lange noch, bis er überzeugt ist, dass wir in Sicherheit sind?«

Die Ithaka war darauf ausgelegt, als Großstadt in den Weiten des Alls zu fungieren. Künstlich beleuchtete Bereiche dienten als Gewächshäuser für Agrarprodukte, während Algentanks und Wiederaufbereitungsbecken nicht so gaumenfreundliche Nahrung lieferten. Da sich nur wenige Passagiere an Bord befanden, würden die Versorgungs- und Reinigungssysteme des Nicht-Schiffes noch jahrzehntelang Lebensmittel, Luft und Wasser liefern. Die derzeitige Bevölkerung nahm höchstens einen Bruchteil der Kapazität des Schiffes in Anspruch.

Sheeana wandte sich vom Beobachtungsfenster ab. »Ich war mir nicht sicher, ob es Duncan gelingen würde, uns in den Normalraum zurückzubringen. Aber er hat es geschafft. Genügt das nicht für den Anfang?«

»Nein! Wir müssen einen Planeten finden, den wir zum neuen Hauptquartier der Bene Gesserit machen können. Wir müssen die Würmer freilassen, damit sie ihn in ein neues Rakis verwandeln können. Wir müssen uns fortpflanzen, um einen neuen Grundstock für die Schwesternschaft zu legen.« Sie stemmte die Hände in die schmalen Hüften. »Wir können nicht ewig umherirren.«

»Drei Jahre sind wohl kaum ewig. Du klingst schon wie der Rabbi.«

Die junge Frau schien sich nicht sicher zu sein, ob sie die Bemerkung als Witz oder als Zurechtweisung auffassen sollte. »Der Rabbi beschwert sich einfach gerne. Ich glaube, dadurch fühlt er sich besser. Ich mache mir Gedanken über unsere Zukunft.«

»Wir haben eine Zukunft, Garimi. Mach dir keine Sorgen.«

Die Miene der Gehilfin hellte sich hoffnungsvoll auf. »Sprichst du von einer Vorahnung?«

»Nein, ich spreche voller Zuversicht und Vertrauen.«

Täglich verbrauchte Sheeana mehr von ihrem wohlgehüteten Gewürz als die meisten anderen – eine ausreichende Dosis, um die verschwommenen Umrisse der Möglichkeitspfade auszukundschaften, die vor ihnen lagen. Während die Ithaka im Nichts verschollen gewesen war, hatte sie nichts gesehen, aber seit ihrem jüngsten unverhofften Sprung zurück in den Normalraum fühlte sie sich anders … besser.

Im Frachtraum erhob sich der größte der Sandwürmer aus den Dünen. Sein geöffneter Schlund sah aus wie ein gähnender Höhleneingang. Die anderen Würmer regten sich wie ein Schlangennest. Zwei weitere Köpfe kamen zum Vorschein, Sand rann in dichten Wolken von ihnen herab.

Garimi keuchte voller Ehrfurcht. »Sieh nur! Sie spüren deine Anwesenheit, selbst wenn du hier oben bist.«

»Und ich spüre sie.« Sie legte die Handflächen an die Plazwand, die sie von den Würmern trennte, und stellte sich vor, den Melangeduft ihres Atems riechen zu können. Weder sie noch die Würmer würden zufrieden sein, solange sie keinen neuen Planeten hatten, auf dem sie sich frei bewegen konnten.

Aber Duncan bestand darauf, dass sie in Bewegung blieben, um ihren Verfolgern immer einen Schritt voraus zu sein. Nicht alle waren der Meinung, dass das die beste Taktik war. Viele an Bord des Nicht-Schiffes hatten ursprünglich gar nicht vorgehabt, sie auf dieser Reise zu begleiten: der Rabbi und seine jüdischen Flüchtlinge, der Tleilaxu Scytale und die vier tierhaften Futar.

Und was ist mit den Würmern, fragte sie sich. Was wollen sie wirklich?

Inzwischen waren alle sieben Würmer an die Oberfläche gekommen und bewegten die augenlosen Köpfe suchend hin und her. Ein besorgter Ausdruck huschte über Garimis harte Züge. »Glaubst du, dass der Tyrann wirklich irgendwo in ihnen ist? Ein Tropfen Bewusstsein in einem endlosen Traum? Spürt er, dass du etwas Besonderes bist?«

»Weil ich seine Urgroßnichte hundertsten Grades bin? Vielleicht. Sicherlich hat niemand auf Rakis damit gerechnet, dass ein kleines Mädchen aus einem abgelegenen Wüstendorf in der Lage sein würde, die großen Würmer zu lenken.«

Die korrupte Priesterschaft auf Rakis hatte Sheeana als Verbindung zu ihrem Zerlegten Gott gesehen. Später schuf die Missionaria Protectiva ein Legendengebäude um Sheeana, das sie zur Erdenmutter und heiligen Jungfrau machte. Soweit die Bevölkerung des Alten Imperiums wusste, war ihre verehrte Sheeana zusammen mit Rakis gestorben. Um ihr vermeintliches Martyrium war eine Religion entstanden – eine weitere Waffe im Arsenal der Schwesternschaft. Zweifellos machten sie sich Sheeanas Namen und den Mythos, der ihn umgab, nach wie vor zunutze.

»Wir alle glauben an dich, Sheeana. Darum begleiten wir dich auf dieser …« – Garimi hielt inne, bevor ihr Worte entschlüpfen konnten, die einen allzu missbilligenden Klang haben mochten – »… dieser Odyssee.«

Unter ihnen gruben sich die Würmer in den aufgehäuften Sand, um die Grenzen des Frachtraums auszuloten. Sheeana beobachtete sie bei ihrem ruhelosen Umherstreifen und fragte sich, wie viel von ihrer ungewöhnlichen Lage sie begriffen.

Wenn Leto II. ein Teil dieser Geschöpfe war, dann träumte er mit Sicherheit nichts Angenehmes.

5

 

Manche leben in Gleichmut und hoffen beständig, dass alles seinen gewohnten, friedlichen Gang nimmt. Ich ziehe es vor, Steine umzudrehen und zu sehen, was darunter hervorkrabbelt.

Mutter Oberin Darwi Odrade,

Betrachtungen zu den Zielen der Geehrten Matres

 

 

Selbst nach so vielen Jahren enthüllte die Ithaka noch Geheimnisse, wie alte Knochen auf einem Schlachtfeld, die von einem heftigen Regenguss an die Oberfläche geschwemmt wurden. Der alte Bashar hatte das gewaltige Schiff vor langer Zeit auf Gammu gestohlen, und Duncan war über zehn Jahre lang an Bord gefangen gewesen, während es auf Ordensburg auf dem Landefeld gestanden hatte. Nun waren sie bereits seit drei Jahren mit dem Schiff unterwegs. Aber die enorme Größe der Ithaka machte es den wenigen Passagieren unmöglich, all ihre Geheimnisse zu erforschen, ganz zu schweigen davon, jeden Winkel sorgfältig zu überwachen.

Das Schiff war eine kompakte Stadt von über einem Kilometer Durchmesser, mit mehr als hundert Decks und ungezählten Korridoren und Räumen. Obwohl die Hauptdecks und die wichtigsten Abteilungen mit Überwachungsmonitoren ausgestattet waren, fehlten der Schwesternschaft die Kapazitäten, das gesamte Nicht-Schiff unter Beobachtung zu halten – insbesondere, da es sonderbare, elektronisch tote Bereiche gab, in denen die Überwachungssysteme nicht funktionierten. Vielleicht hatten die Geehrten Matres oder die ursprünglichen Erbauer Abschirmvorrichtungen eingebaut, um gewisse Geheimnisse zu wahren. Zahlreiche Türen mit Zugangscodes waren ungeöffnet geblieben, seit sie Gammu verlassen hatten. Es gab buchstäblich Tausende Kammern, die noch nie jemand betreten, geschweige denn untersucht hatte.

Dennoch hatte Duncan nicht damit gerechnet, auf einem der seltener besuchten Decks eine seit Langem versiegelte Totengruft zu entdecken.

Der Fahrstuhl hielt auf einem der unteren Zentraldecks. Obwohl er nicht verlangt hatte, zu diesem Stockwerk gebracht zu werden, öffneten sich die Türen, als die Transportkapsel sich zwecks Durchführung mehrerer Selbstreparaturen vorübergehend außer Betrieb setzte. Das alte Schiff leitete solche Prozeduren automatisch ein.

Duncan betrachtete das Deck, das vor ihm lag, und stellte fest, dass es kalt, trostlos, kaum beleuchtet und unbewohnt war. Die Metallwände waren lediglich mit weißer Grundierung gestrichen, die die raue Metalloberfläche darunter nicht ganz verdeckte. Er hatte von diesen nicht fertiggestellten Decks gewusst, aber er hatte es nie für nötig gehalten, sie zu erforschen, da er davon ausging, dass sie verlassen oder nie benutzt worden waren.

Andererseits hatte das Schiff viele Jahre lang den Geehrten Matres gehört, bevor Teg es ihnen unter der Nase weggestohlen hatte. Duncan hätte keine voreiligen Schlüsse ziehen sollen.

Er verließ den Lift und folgte allein dem erstaunlich langen Korridor. Die Erforschung unbekannter Decks und Räume war wie ein blinder Faltraumsprung: Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo er herauskommen würde. Unterwegs öffnete er auf gut Glück einige Türen, die aufglitten und den Blick auf spärlich beleuchtete, leere Räume freigaben. Dem Staub und fehlendem Mobiliar nach zu schließen nahm er an, dass sie nie bewohnt gewesen waren.

In der Mitte des Decks zog sich ein Gang kreisförmig um einen Bereich mit zwei Türen, auf denen jeweils »Maschinenraum« stand. Die Türen öffneten sich nicht auf seine Berührung.

Neugierig untersuchte Duncan den Schließmechanismus: Er hatte seine Biosignatur in die Schiffssysteme eingegeben, was ihm eigentlich Zugang zu allen Bereichen hätte verschaffen sollen. Mit einem Vorrangcode setzte er die Verriegelung außer Kraft und stemmte die versiegelten Türen auf.

Als er eintrat, bemerkte er sofort, dass die Dunkelheit hier von anderer Beschaffenheit war. Ein fast verflogener unangenehmer Geruch lag in der Luft. Der Raum glich keinem anderen, den Duncan jemals an Bord des Schiffes gesehen hatte – die Wände waren in grellem, leuchtendem Rot gestrichen. Die brutale Farbe war wie ein Schock. Duncan unterdrückte sein Unbehagen und machte an einer Wand etwas aus, das wie ein Stück freiliegendes Metall aussah. Er ließ die Hand darübergleiten, und plötzlich setzte sich der gesamte Mittelteil des Raums mit einem metallischen Ächzen in Bewegung. Der Boden klappte wie eine Falltür um.

Duncan trat zurück und beobachtete, wie bedrohlich aussehende Gerätschaften zum Vorschein kamen – Maschinen, die einzig und allein konstruiert worden waren, Schmerzen zuzufügen.

Foltergeräte der Geehrten Matres.

Die Lichter im Raum gingen an, wie in eifriger Erwartung. Zu seiner Rechten sah Duncan einen schlichten Tisch und harte, niedrige Stühle. Auf dem Tisch stand schmutziges Geschirr mit den vertrockneten Überresten einer nicht beendeten Mahlzeit. Die Huren waren wohl beim Essen unterbrochen worden.

Im Griff eines der Folterwerkzeuge befand sich noch immer ein menschliches Skelett, zusammengehalten von ausgetrockneten Sehnen, Stacheldraht und den Fetzen einer schwarzen Robe.

Eine Frau. Die Knochen hingen seitlich an einer Art großen, stilisierten Schraubzwinge – der Arm des Opfers steckte noch im Schraubmechanismus.

Duncan betätigte die seit Langem unbenutzten Kontrollen, um die Schraubzwinge zu öffnen. Behutsam zog er den zerfallenden Körper aus der groben Metallumarmung und legte ihn auf den Boden. Die größtenteils mumifizierte Frau war beinahe gewichtslos.

Es handelte sich offensichtlich um eine gefangene Bene Gesserit – vielleicht eine Ehrwürdige Mutter von einem der Planeten der Schwesternschaft, die die Huren zerstört hatten. Duncan konnte deutlich erkennen, dass das unglückliche Opfer weder schnell noch schmerzlos gestorben war. Ein Blick auf die eingefallenen, eisenharten Lippen ließ ihn die Flüche erahnen, die diese Frau geflüstert haben musste, während die Geehrten Matres sie unter Qualen getötet hatten.

Im nun helleren Licht der Leuchtflächen untersuchte Duncan den Rest des großen Raums und der darin befindlichen Maschinen. Neben der Tür, durch die er eingetreten war, entdeckte er eine Kabine aus Transparentplaz, deren grausiger Inhalt deutlich sichtbar war: weitere vier Frauenskelette in einem wirren Haufen, als hätte man sie ohne großes Aufheben hineingeworfen. Getötet und weggeworfen. Sie alle trugen schwarze Roben.

Ganz gleich, wie viel Schmerzen sie ihren Opfern zugefügt hatten, die Informationen, die die Geehrten Matres suchten, hatten sie nicht erhalten – die Koordinaten von Ordensburg und den Schlüssel zur Körperkontrolle der Bene Gesserit, der Fähigkeit der Ehrwürdigen Mütter, ihre eigene Körperchemie zu beeinflussen. Frustriert und wütend hatten die Huren ihre Bene-Gesserit-Gefangenen brutal und auf qualvolle Weise umgebracht.

Duncan grübelte schweigend über seine Entdeckung nach. Worte schienen ihm unangemessen. Es wäre das Beste, wenn er Sheeana von diesem abscheulichen Ort erzählte. Als Ehrwürdige Mutter würde sie wissen, was zu tun war.

6

 

Lerne, deinen größten Feind zu erkennen. Vielleicht bist du es sogar selbst.

Mutter Befehlshaberin Murbella,

aus dem Ordensburg-Archiv

 

 

Nach der Exekution der widerspenstigen Annine von den Geehrten Matres hatte Murbella es nicht besonders eilig, die Delegation der Gilde zu empfangen. Sie wollte sichergehen, dass alle Spuren dieses Ärgernisses beseitigt waren, bevor man Außenseiter in den Thronsaal der Festung vorließ.

Diese kleinen Rebellionen waren wie Buschfeuer – sobald sie eins erstickt hatte, flammten anderswo neue auf. Solange ihre Herrschaft über Ordensburg nicht unangefochten war, konnte die Mutter Befehlshaberin ihre Bemühungen nicht darauf richten, die abtrünnigen Geehrten Matres anderer Planenten in die Schwesternschaft zu integrieren.

Und genau das musste ihr gelingen, bevor sie sich gemeinsam dem unbekannten Feind entgegenstellen konnten, der die Geehrten Matres von den äußersten Rändern der Diaspora bis hierher getrieben hatte. Um gegen diese existenzielle Bedrohung zu bestehen, brauchte sie die Raumgilde, die allerdings bereits unter Beweis gestellt hatte, dass sie nicht ausreichend motiviert war. Murbella beabsichtigte, das zu ändern.

Einer nach dem anderen zogen die Bestandteile des großen Plans vorbei, wie die summenden Wagen eines Magnetbahnzuges.