Die Mentaten des Wüstenplaneten - Brian Herbert - E-Book

Die Mentaten des Wüstenplaneten E-Book

Herbert Brian

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Beschreibung

Intrigenspiel in ferner Zukunft

In der fernen Zukunft haben die Menschen das Weltall besiedelt, doch das menschliche Denken ist noch immer bestimmt von Machtgier, Korruption und Rachegelüsten: Gilbertus Albans hat eine Schule für Mentaten gegründet, in der Menschen das effiziente Denken der künstlichen Intelligenzen erlernen. Währenddessen will Valya Harkonnen vom Orden der Bene Gesserit Vergeltung für den Ruin ihrer Familie, und die VenHold Spacing Fleet kontrolliert alle Handelswege der Galaxis. Als sich die Interessen der drei Mächte kreuzen, steht das Schicksal der gesamten Menschheit auf dem Spiel ...

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DAS BUCH

Nachdem die Schlacht gegen die Maschinen gewonnen wurde, steht das Sternenreich der Menschen erneut vor einem Umbruch. Gilbertus Albans hat eine Schule für Mentaten gegründet, in der Menschen das effiziente Denken der künstlichen Intelligenzen erlernen. Aber immer wieder muss er sich gegen die Ideologen und Fanatiker von Butlers Djihad zur Wehr setzen, die von Manford Torondo und seinem Schwertmeister Anari Idaho angeführt werden. Währenddessen versucht die Ehrwürdige Mutter Raquella die Schwesternschule auf Wallach IX wieder zu errichten – gemeinsam mit ihrer talentiertesten Schülerin Valya Harkonnen, deren oberstes Ziel es ist, sich an Vorian Atreides, dem legendären Helden des Djihad, für den Ruin ihrer Familie zu rächen. Und schließlich hat Josef Venport dank der von ihm geschaffenen Super-Navigatoren die Kontrolle über den größten Teil des Raumhandels erlangt und belegt jeden Planeten, der Torondo unterstützt, mit einem Embargo … Eine tödliche Mischung aus Machtgier, Korruption und Rachegelüsten, die zu einer gigantischen Katastrophe führen kann.

DIE AUTOREN

Brian Herbert, der Sohn des 1986 verstorbenen WÜSTENPLANET-Schöpfers Frank Herbert, hat selbst SF-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstandenen Mann zweier Welten.

Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Zuletzt ist von ihm die gefeierte Saga der Sieben Sonnen erschienen.

Eine chronologische Liste aller im Heyne Verlag erschienenen WÜSTENPLANET-Bücher finden Sie am Ende des Bandes.

Mehr über die Autoren und ihre Romane erfahren Sie auf:

Brian HerbertKevin J. Anderson

DIE MENTATEN DES

WÜSTEN-

PLANETEN

Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Titel der amerikanischen Originalausgabe: MENTATS OF DUNEDeutsche Übersetzung von Jakob Schmidt
Copyright © 2012 by Herbert Properties LLCCopyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenCovergestaltung: Nele Schütz Design, München,unter Verwendung von shutterstock (Galyna Andrushko, BestgreenScreen)Redaktion: Bernhard KempenUmsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-21022-9V002www.diezukunft.dewww.penguinrandomhouse.de

Für Jan, deren Schönheit und Intelligenz mich nach wie vor überwältigen. Mein Leben begann erst, als ich dich traf.

Brian Herbert

Für Rebecca, die immer wieder exotische, aufregende Orte und Ideen mit mir erkundet. Noch immer gibt es unzählige neue Universen zu entdecken.

Kevin J. Anderson

Wenn wir fortschrittliche Technologie in irgendeiner Form akzeptieren, finden wir irgendwann auch Ausreden und Vorwände, um sie einzusetzen. Es ist so leicht, den falschen Weg zu wählen, auf dem schmalen Grat auszugleiten und abwärts, immer tiefer abwärts zu rutschen. Treue Gefolgsleute Butlers, seid allzeit wachsam und stark! Das Imperiale Orthodoxie-Komitee geht nicht weit genug. Wenn wir es zulassen, dass Maschinen auch nur die niedersten Arbeiten für uns übernehmen, werden sie schon bald wieder unsere Herren sein.

Ich appelliere an alle meine treuen Gefolgsleute, auf allen Welten des Imperiums von den Führern aller Planeten einzufordern, dass sie mein Antitechnologie-Gelöbnis unterzeichnen. Und sollten sie sich weigern, so werden die Butler-Anhänger – und Gott – wissen, wer sie sind. Keiner kann sich verstecken.

Manford Torondo, Volkserlass

Wie idiotisch das ist! Ich weiß nicht, ob ich über die Verrücktheit der Butler-Anhänger lachen oder um die Zukunft unserer Spezies weinen soll. Was werden diese Fanatiker wohl als Nächstes fordern? Die Abschaffung aller medizinischen Geräte? Wollen sie den Gebrauch von Feuer untersagen und das Rad als zu gefährlich verbieten? Sollen wir uns wieder in Wäldern und auf Feldern zusammenkauern?

Genug. Dies ist der Beschluss von Venport Holdings: Kein Transport- oder Passagierschiff von VenHold wird mit irgendeinem Planeten Geschäfte machen, der Manford Torondos Antitechnologie-Gelöbnis unterzeichnet. Wir werden keine Güter oder Personen transportieren, keine Nachrichten übermitteln, keinen Handel treiben mit einer Welt, die seine gefährliche, barbarische Philosophie teilt.

Ihr habt die Wahl: Möchtet ihr euch lieber im Licht der Zivilisation sonnen oder im Schatten primitiver Verzweiflung kauern? Entscheidet euch.

Direktor Josef Venport,offizielle Geschäftsmitteilung

Kaum habe ich eine Krise gelöst, schießt die nächste aus dem Boden wie giftiges Unkraut. Was soll ich nur tun, Roderick? Zu allen Seiten nichts als Probleme.

Ich habe die Schule der Schwesternschaft auf Rossak aufgelöst, weil der Verdacht bestand, sie würde illegale Computer besitzen – aber beweisen konnte ich es nicht, und letztendlich ließen sie mich als Trottel dastehen. Und das nach allem, was unserer armen Anna bei ihnen widerfahren ist! Welch ein Jammer! Wird sie jemals wieder die Alte sein?

Als der Verrat der Suk-Ärzte ans Licht kam, hätte ich beinahe auch sie verboten. Trotz ihrer sogenannten Imperialen Konditionierung und obwohl ich sie mittlerweile zwinge, unter strenger Aufsicht zu arbeiten, traue ich ihnen immer noch nicht. Und dennoch habe ich wegen meiner zahlreichen gesundheitlichen Probleme keine Wahl, als mich ihrer Obhut anzuvertrauen.

Manford Torondo setzt mich unter Druck, seinen Butler-Unsinn zu übernehmen und jeder seiner Launen Folge zu leisten, während Josef Venport genau das Gegenteil von mir verlangt. Sie sind beide verrückt, aber wenn ich Manford Torondo missachte, mobilisiert er vielleicht seine wilden, brandschatzenden Horden. Und wenn ich Venport nicht zu Willen bin, kann er die gesamte Wirtschaft lahmlegen.

Ich fühle mich wie jemand, der an zwei in entgegengesetzte Richtungen ziehende salusanische Stiere gekettet ist! Ich bin der dritte Corrino, der nach dem Sieg über die Denkmaschinen den imperialen Thron innehat – warum ist es nur so schwer, mein eigenes Volk dazu zu bringen, auf mich zu hören? Hilf mir, zu entscheiden, was ich tun soll, lieber Bruder. Wie gewöhnlich schätze ich Deinen Rat höher als den eines jeden anderen.

Private Korrespondenz der Corrinos,Imperator Salvador an Prinz Roderick

1

Was bedeuten all unsere Errungenschaften,wenn sie keinen Bestand über unseren Tod hinaus haben?

Direktor Gilbertus Albans,

Archiv der Mentatenschule

Die große Schule der Mentaten war ganz und gar seine Schöpfung – von der ursprünglichen Idee vor siebzig Jahren über die Auswahl des Standortes in den abgelegenen Sümpfen auf Lampadas bis hin zu den vielen Absolventen, die er im Laufe der Jahre unterrichtet hatte. Mit seiner ruhigen, zielstrebigen Arbeit änderte Gilbertus Albans die Entwicklung der menschlichen Zivilisation.

Und er würde sich sein Werk nicht von Imperator Salvador Corrino oder den fanatischen technologiefeindlichen Butler-Anhängern wegnehmen lassen.

In den knapp zweihundert Jahren seines künstlich verlängerten Lebens hatte Gilbertus Vorsicht gelernt. Nachdem er erkannt hatte, dass umstrittenen charismatischen Persönlichkeiten zumeist kein langes Leben beschieden war, spielte er seine Rolle in der Öffentlichkeit herunter – er verhielt sich ruhig und unaufdringlich und ging manchmal auch Bündnisse ein, die ihm persönlich widerstrebten, wenn sie seiner Einschätzung nach den langfristigen Zielen der Mentatenschule dienlich waren.

Mentaten: Menschen, deren Gehirne so organisiert waren, dass sie in einer reaktionären Gesellschaft, die Denkmaschinen in jeder Form verschmähte und verunglimpfte, wie Computer funktionieren konnten. Nicht einmal seine eigenen Studenten wussten, dass Gilbertus heimlich auf das Wissen und die Erfahrungen eines Mentors zurückgriff, bei dem es sich um den berüchtigten Roboter Erasmus handelte. Er fürchtete, dass es sogar seine treuesten Studenten abgeschreckt hätte. Dennoch: Nachdem seine Mentaten sich über viele Jahre hinweg als verlässlich erwiesen hatten, waren sie für die Adelshäuser des Imperiums inzwischen unverzichtbar geworden.

In derart gefährlichen Zeiten konnte jede unbeantwortete Frage und jeder bloße Verdacht die Schule zu Fall bringen. Er wusste, was der Schwesternschaft auf Rossak widerfahren war. Falls er den kleinsten Fehler beging und seine wahre Identität bekannt wurde …

In seinem Büro im Hauptgebäude der Akademie warf er einen Blick auf das Chronometer. Bald würde der Bruder des Imperators, Roderick Corrino, mit einem Militärtransporter eintreffen, um sich zu vergewissern, dass seine Schwester an der Mentatenschule gut aufgehoben war. Vor einiger Zeit hatte Gilbertus versprochen, dass seine strengen Unterrichtsmethoden den Zustand des geistesgeschädigten Mädchens verbessern konnten, es vielleicht sogar aufblühen lassen konnten. Aber der menschliche Geist war eine verzwickte Sache; es ließ sich nicht genau feststellen, wie viel Schaden ihr das Gift auf Rossak zugefügt hatte, und es gab auch keine auf der Hand liegende Heilung. Gilbertus hoffte auf Rodericks Verständnis.

Bevor er die Räumlichkeiten der Schule betrat, legte er sein beeindruckendes karmesinrotes Direktorengewand an. Seine Schminke für den Tag hatte er bereits aufgetragen, sein Haar mit falschem Grau bestäubt und seine Haut aufgeraut, um seine jugendliche Erscheinung zu verbergen. Nun war er in Eile, denn das Militärschiff des Imperiums würde sich bestimmt nicht verspäten. Er musste dafür sorgen, dass Anna vor ihrem Bruder eine gute Figur machte.

Gilbertus beschattete die Augen, als er das Akademiegebäude verließ. Die helle Luft war feucht wie ein vollgesogener Schwamm, und die überall herabhängenden Tropfen brachen das Licht wie Vergrößerungsgläser. Hölzerne Stege verbanden die Schulgebäude, die auf den Randgewässern eines trüben, sumpfigen Sees schwammen. Ursprünglich war die Schule weiter draußen verankert gewesen, aber nach einigen Zwischenfällen mit aggressiven Wasserlebewesen hatte man den ganzen Komplex an eine geschütztere Stelle in Ufernähe gezogen.

Zu den ursprünglichen Schulgebäuden waren inzwischen einige neuere, elegantere, mit Kuppeln und Aussichtsplattformen versehene Anbauten hinzugekommen. Auf unterschiedlicher Höhe verbanden Brücken die Schlafsäle, Seminarräume, Laboratorien, Meditationspavillons und Bibliotheken. Die gesamte Anlage war von einem Schutzwall umgeben, der von einer verborgenen Schildvorrichtung, ausgeklügelter Unterwasserelektronik und Wachtürmen verstärkt wurde.

Auf Lampadas gab es angenehme und geradezu idyllische Landstriche, doch dieser See und die angrenzenden Sümpfe gehörten zum Übelsten, was der Planet zu bieten hatte, und waren voller Raubtiere und anderer Gefahren.

Auf dem Weg zur Aussichtsplattform hörte der Direktor gurgelnde Sumpfgeräusche, und Stechfliegen umschwärmten ihn. Es war keine friedvolle Umgebung, in der die Studenten ihre geistigen Fähigkeiten in stundenlanger, ungestörter Meditation voll entfalten konnten. Gilbertus hatte diese unwirtliche Gegend mit Bedacht gewählt. Er war der Meinung, dass Gefahr und Isolation die Konzentration seiner Elitekandidaten schärfen würden.

So gut die Schule auch vor den Gefahren ihrer Umwelt geschützt war, was Gilbertus weit mehr Sorgen machte, war die zunehmende Unberechenbarkeit der Butler-Anhänger. Für eine moderne Armee war es ein Leichtes, die Schule mit einem Bombardement aus der Luft oder dem Weltraum zu vernichten. Die fanatischen Technologiefeinde benutzten zwar keine Hightechwaffensysteme, aber trotzdem konnten sie durch ihre schiere Masse großen Schaden anrichten, wie sie schon bei Volksaufständen auf verschiedenen Welten des Imperiums bewiesen hatten. Gilbertus wandelte auf einem schmalen Grat.

Nach außen hin unterstützten die Butler-Anhänger die Grundprinzipien der Mentatenausbildung – dass Menschen alles konnten, was auch Maschinen konnten, und sogar mehr. Ihr Anführer, der beinamputierte Manford Torondo, verwendete oft die Rechenmethoden und Strategien der Mentaten, um seine Ziele zu erreichen. Andererseits betrachtete er jeden offenen Ideenaustausch bei Diskussionen unter den Studenten mit Misstrauen. Einmal hatte Gilbertus die Schule in Gefahr gebracht, indem er bei einer rein hypothetischen intellektuellen Debatte die Idee ins Spiel gebracht hatte, dass Denkmaschinen vielleicht gar nicht so schlimm seien, wie von der Butler-Propaganda behauptet. Die Schule und sogar Gilbertus selbst hätten die Folgen fast nicht überlebt. Daraus hatte er gelernt. Seit jener Zeit behielt er seine Gedanken für sich und gab sich versöhnlich, um die Gemüter nicht erneut zu erregen.

Während er zu den Außengebäuden unterwegs war, übermittelte die Verwaltung ihm die Nachricht, dass sich die imperiale Fähre im Landeanflug befand. Gilbertus legte die Hand an seinen Funkempfänger. »Danke. Ich werde Anna Corrino zum Landeplatz bringen.« Er hoffte, dass sie einen ihrer wacheren Tage hatte, sodass sie mit ihrem Bruder in Kontakt treten konnte, anstatt durch das Labyrinth in ihrem Kopf zu irren.

Das höchste Gebäude der Schule diente als Aussichtsplattform, von dem aus die Mentatenstudenten das Universum mit bloßem Auge betrachten und die Sterne in der Nacht zählen konnten, um ihre Anordnung in den unendlichen Weiten auswendig zu lernen und so ihr Gedächtnis zu trainieren. Tagsüber hielt sich niemand hier auf dem Dach auf – mit Ausnahme von Anna Corrino, die in die Landschaft starrte.

Die junge Frau war fasziniert vom Umland der Akademie, die im Osten an ein undurchdringliches Gewirr aus Sangrovenbäumen grenzte, während im Süden Sumpflöcher, Treibsand und verzweigte brackige Wasserläufe das Vorankommen erschwerten. Im Norden und Westen schließlich lag der große, seichte Sumpfsee.

Gilbertus trat neben Anna. »Dein Bruder kommt. Er wird sich freuen, dich zu sehen.«

Sie würdigte den Direktor keines Blickes, aber ein Zucken ihres Mundwinkels und ein Flattern der Augenlider verrieten ihm, dass sie sich seiner Anwesenheit bewusst war. Sie drehte den Kopf, um ein trockengelegtes Stück Sumpf zu betrachten, das als Landeplatz für Fähren und Kurzstreckenflieger verwendet wurde. Das vorherige, auf Flößen gelegene Landefeld war immer wieder von gefährlichen Tieren aus dem See beschädigt worden, weshalb es sich auf Dauer nicht hatte instand halten lassen.

Der stellvertretende Schulleiter Zendur und eine Gruppe Mentatenschüler bestrichen das Sumpfgras mit Flammenwerfern, um Platz für Roderick Corrinos Fähre zu schaffen. Weil hier alles so schnell wuchs, musste die Landefläche für jedes Schiff von Neuem freigelegt werden. Solange niemand erwartet wurde, ließ Gilbertus den Bereich zuwuchern, um niemanden – insbesondere nicht Manford Torondo – zu einem Überraschungsbesuch zu ermutigen.

Anna wandte den Blick nicht von der entstehenden Lichtung ab, während sie sagte: »Was meinst du, wie viele Fliegen sie töten?«

»Und wie viele Grashalme?«, entgegnete Gilbertus, der wusste, dass es für sie ein Spiel war.

Anna dachte über die Frage nach. »Wenn ich wüsste, wie viele Quadratmeter der Landestreifen groß ist, könnte ich die wahrscheinliche Verteilung der Grashalme berechnen. Für eine bestimmte Menge Sumpfgras könnte ich dann abschätzen, wie viele Fliegen darin leben.«

»Und wie viele Spinnen, die die Fliegen fressen«, warf Gilbertus ein, um ihren Geist in Bewegung zu halten.

»Ich könnte anhand der Nahrungskette eine Kaskadenberechnung anstellen.« Annas schmale Schultern zuckten, und ihre Lippen bildeten ein dünnes Lächeln. Sie wandte sich ihm zu und sah ihn zum ersten Mal an diesem Tag wirklich an. »Aber eigentlich spielt das gar keine Rolle, nicht wahr? Das Gras wird wieder wachsen, die Fliegen werden zurückkehren, die Spinnen werden sie fressen, und der Sumpf wird sein Gebiet zurückerobern – bis wir es das nächste Mal roden.«

»Ich gehe jetzt, um die Fähre deines Bruders zu empfangen. Begleitest du mich?«

Anna überlegte. »Ich würde lieber hier warten und zusehen.«

»Prinz Roderick ist sehr gespannt darauf, dich zu sehen.«

»Er ist ein guter Bruder. Ich werde mit ihm sprechen. Aber ich brauche noch etwas Zeit, um meine Gedanken zu ordnen. Ich möchte ihn nicht enttäuschen.«

Das möchte ich auch nicht, dachte Gilbertus.

Nachdem sie den Landeplatz freigelegt hatten, erstickten die Studenten die letzten Brandherde und kehrten die verkohlten Pflanzenreste zusammen. Obwohl noch immer ein Hauch von feuchter Asche in der Luft lag, fand Gilbertus den Geruch angenehmer als den üblichen Pesthauch des Sumpfes.

Als die imperiale Fähre landete, überquerte Roderick mehrere behelfsmäßige Stege, um Prinz Roderick zu begrüßen. Das kleine Diplomatenschiff trug das Emblem der Corrinos, einen goldenen Löwen, war aber sonst nicht besonders prachtvoll. Ein militärischer Faltraumer des Imperiums hatte es nach Lampadas gebracht. Zwei Personen stiegen aus und liefen ohne jedes Gefolge die Rampe herunter.

Bei dem großen Mann, der stolz erhobenen Hauptes ging, handelte es sich um Prinz Roderick, blond und gut aussehend und mit den edlen Zügen der Corrinos. Rasch ließ Gilbertus vor seinem geistigen Mentatenauge die Akte des Adligen vorbeiziehen: Der jüngere Bruder des Imperators hatte eine Frau (Haditha), einen Sohn (Javicco) und drei Töchter (Tikya, Wissoma, Nantha). Für seine Gemütsruhe und seinen scharfen Verstand bekannt, beriet Roderick seinen Bruder in zahlreichen Angelegenheiten, und meistens hörte Salvador auf ihn. Angeblich war er vollauf damit zufrieden, Ratgeber und nicht Herrscher zu sein.

Gilbertus war allerdings überrascht, als er die alte Frau in Begleitung des Prinzen erkannte: Es war Lady Orenna, auch »die Jungfräuliche Imperatorin« genannt, da sie mit Imperator Jules Corrino vermählt gewesen war, ihm aber keine Kinder geboren (und vermutlich auch niemals sein Bett geteilt) hatte. Stattdessen hatten Jules’ drei Kinder – Salvador, Roderick und Anna – drei verschiedene Mütter, allesamt Konkubinen.

Gilbertus rief seine Mentaten-Erinnerungen so schnell ab, dass die Besucher die Verzögerung nicht bemerkten. Er trat auf sie zu. »Lord Roderick, Lady Orenna, willkommen in der Mentatenschule. Ich habe soeben mit Anna gesprochen. Sie bereitet sich in diesem Moment darauf vor, Sie zu empfangen.«

Roderick nickte. »Ich freue mich darauf, zu sehen, welche Fortschritte sie macht.« Er wirkte enttäuscht, dass seine Schwester nicht hier war, um ihn persönlich zu begrüßen.

»Sie ist in Sicherheit, geistig stabil und zufrieden«, sagte Gilbertus. »Die geregelten Abläufe in der Mentatenschule tun ihr gut. Ich muss Sie allerdings bitten, keine Wunder zu erwarten.«

Lady Orenna lächelte noch immer strahlend. »Ich vermisse das arme Mädchen, aber ich möchte das Beste für sie. Ich werde auf Salusa ruhiger schlafen, nachdem ich mich persönlich davon überzeugt habe, dass es ihr hier gut geht.«

Als er darüber nachdachte, warum die alte Dame wohl hierher mitgekommen war, fügten sich in Gilbertus’ Kopf weitere Puzzleteile ineinander. Obwohl Lady Orenna nicht Annas Mutter war, hatte die Jungfräuliche Imperatorin die junge Frau unter ihre Fittiche genommen, und die beiden hatten eine besonders enge Bindung. Anna war immer ein flatterhaftes Mädchen gewesen, unkonzentriert, mit starken Stimmungsschwankungen und einem schwerwiegenden Mangel an gesundem Menschenverstand. Enttäuscht von dem widerspenstigen Mädchen, hatte Salvador sie nach Rossak an die Schule der Schwesternschaft verbannt, allerdings war dort ihr Verstand eher geschädigt als gestärkt worden. Und nun war sie hier.

»Sie werden feststellen, dass Ihre Schwester bei bester Gesundheit ist«, sagte Gilbertus. »Die Techniken der Mentaten bieten die größte Chance auf Heilung.«

Rodericks Tonfall war knapp und sachlich. »Wir werden ihr nur einen kurzen Besuch abstatten. Wir sind der Gnade unseres Faltraumers ausgeliefert – diese Fähre ist auf Salvadors Befehl freigestellt worden, da die VenHold-Schiffe sich weigern, Lampadas anzufliegen. Der Faltraumer beendet gerade einen großen Patrouillenflug und muss nach Salusa Secundus zurückkehren.«

Die Fehde zwischen den technologiefeindlichen Butler-Anhängern und dem Wirtschaftsimperium der Venport Holdings wurde mit zunehmender Erbitterung geführt, und die gegenseitige Abneigung hatte sich zu einer handfesten Auseinandersetzung aufgeschaukelt. Auch der Thron des Imperiums war von dem Konflikt betroffen. Anstatt an Bord eines sicheren VenHold-Faltraumers einzutreffen, von geheimnisvollen und unfehlbaren Navigatoren geleitet, war Roderick dazu gezwungen gewesen, mit einem der weniger verlässlichen Truppentransporter herzukommen.

Lady Orenna war augenscheinlich nicht erfreut, schon so bald wieder abfliegen zu müssen. »Wir sind sehr weit gereist, um Anna zu besuchen. Außerdem lasse ich mich nicht gern hetzen. Immerhin ist das Mädchen Teil der Familie – die Streitkräfte des Imperiums sollten ihren Zeitplan an unsere Bedürfnisse anpassen.«

Roderick schüttelte den Kopf und sprach leiser. »Mir gefällt es auch nicht, aber ich möchte unsere Truppen nicht bei der Arbeit behindern. Sie müssen einen starken und zuverlässigen Eindruck erwecken. Wir können nicht einfach ein privates VenHold-Schiff beschlagnahmen und Direktor Venport zwingen, uns zu Gefallen zu sein.«

Schnaufend erwiderte die ältere Dame: »Und warum nicht? Ein loyaler Bürger sollte dem Imperator Folge leisten, nicht andersherum. Dein Vater hätte ihn für derlei Aufmüpfigkeiten in Grund und Boden gestampft.«

»Ja«, sagte Roderick. »Das hätte er vermutlich.«

»Die Schule ist ein Ort, an dem Anna vor allen politischen Spannungen geschützt ist«, warf Gilbertus ein. Er wusste, dass Rodericks Bruder schwach, unentschlossen und leicht einzuschüchtern war. Der Imperator war nicht dazu fähig, sich den Transportmagnaten oder den beinamputierten Butler-Anhänger gefügig zu machen.

In diesen politisch gefährlichen Zeiten hatte Gilbertus gelernt, seine Gedanken für sich zu behalten und Neutralität zu wahren. Auch seinen Studenten hatte er diese Vorsicht vermittelt: Der ideale Mentat sollte die Ereignisse niemals kommentieren oder sich zum Anwalt einer Konfliktpartei machen. Er war ein Werkzeug, ein analytisches Instrument, das Rat und Zukunftsprojektionen zur Verfügung stellte.

»Und hier gibt es keine politischen Spannungen?«, murmelte Roderick. »Mir persönlich liegt Ihre Schule zu nahe am Hauptquartier der Butler-Anhänger.«

»Manford Torondo hält sich auf der anderen Seite des Kontinents auf, Mylord, und er befindet sich mit der Mentatenschule nicht im Konflikt. Tatsächlich gehören sogar einige meiner Studenten seiner Bewegung an.« Allerdings nicht gerade die besten. »Wir lehren die Menschen hier geistige Fähigkeiten, die denen der Denkmaschinen gleichkommen. Jeder Absolvent, der auszieht, um im Imperium Dienst zu tun, ist ein Beweis dafür, dass wir keine Computer brauchen, was bei Manford auf Wohlwollen stößt. Warum sollten wir uns um die Butler-Anhänger Gedanken machen?«

»In der Tat, warum nur?«, fragte Roderick, ohne eine Antwort auf seine eigene Frage zu geben.

Anna wartete auf der Aussichtsplattform auf sie. Nach wie vor schaute sie in die Landschaft. Weiter weg, im dichten Sangrovengehölz, suchte sich eine Gruppe Mentatenschüler einen Weg zwischen den gewundenen braunen Wasserläufen und tückischen Untiefen, indem sie knapp unter der Oberfläche verborgenen Trittsteinen folgte. Jeder Mentat, der die Position der sicheren Steine auswendig gelernt hatte, konnte sie mühelos finden. Die Studenten dort unten übten allerdings noch, und einige von ihnen kamen vom Weg ab und rutschten aus.

Soweit Gilbertus erkennen konnte, hatte Anna sich nicht vom Fleck gerührt, seit er die Plattform verlassen hatte, aber ihre Haltung war völlig verändert. Die gefühllose Starre, an der man erkannte, dass sie sich ganz auf irgendeine Einzelheit oder Berechnung konzentrierte, war aus ihren Zügen gewichen, und sie wirkte nun lebhafter. Ihre Miene hellte sich auf, als sie ihren Bruder und Lady Orenna sah.

Orenna umarmte das Mädchen. »Du siehst gut aus, Anna! Viel gesünder.«

Roderick wirkte erleichtert, vielleicht sogar ein wenig stolz. »Danke«, flüsterte er Gilbertus zu.

»Heute geht es mir gut«, sagte Anna. »Ich habe mir gewünscht, dass es mir heute gut geht, weil ihr mich besuchen kommt.«

»Und ich bin froh, dass du unbeschadet bist«, sagte Roderick. »Die Mentatenschule ist von zahlreichen Gefahren umgeben.«

»Wir haben zusätzliche Sicherheitsanlagen errichtet«, sagte Gilbertus. »Wir sorgen für den Schutz Ihrer Schwester – und aller unserer Studenten.«

Wie um ihn Lügen zu strafen, kam es unten im Sumpf zu einem Zwischenfall. Ein Reptil mit stacheligem Rücken schoss aus dem bräunlichen Wasser, genau dort, wo die Studenten sich den Weg über die Trittsteine suchten. Das Geschöpf schnappte sich die nächstbeste Studentin mit der langen Schnauze und zog sie in die Tiefe. Jäger und Beute verschwanden so schnell wie der Widerschein der Sonne auf dem gekräuselten Wasser.

Die Mentatenschüler sammelten sich hastig und gingen in Verteidigungshaltung, aber der Sumpfdrache hatte seine Mahlzeit bekommen und blieb verschwunden.

Mit weit aufgerissenen Augen rief Orenna: »Und Sie wollen Anna beschützen? Dieses Mädchen konnten Sie nicht beschützen!«

Gilbertus gestattete sich nicht, angesichts des Verlusts der Studentin eine Regung zu zeigen. »Anna darf das Gelände nicht verlassen und den See nicht betreten. Ich persönlich bürge für ihre Sicherheit.«

»Und was ist mit einem Angriff von außen?«, fragte Roderick. »Anna wäre eine wertvolle Geisel.«

»Wir sind eine kleine Schule, deren Ziel es ist, den menschlichen Geist zu schärfen«, erwiderte Gilbertus. »Wir stellen für niemanden eine Bedrohung dar.«

Roderick musterte ihn skeptisch. »Sie sind sehr bescheiden, Rektor.«

»Ich spreche nur Tatsachen aus. Wir haben ausführliche Berechnungen angestellt und Verteidigungsmaßnahmen gegen alle wahrscheinlichen Szenarien ausgearbeitet. Dazu werden Mentaten ausgebildet, Mylord.«

Orenna streichelte der jungen Frau über den Arm. »Schützen Sie ihre Schule um jeden Preis. Mit Anna haben Sie hier etwas von unschätzbarem Wert.«

Gilbertus nickte, dachte dabei jedoch an den unbezahlbaren Erasmus-Speicherkern, den er in der Schule versteckt hielt. Den letzten unabhängigen Computer zu schützen war ein wesentlich gefährlicheres Unterfangen als alles, worüber er hier mit seinen hochrangigen Besuchern sprach. »Ja, etwas unschätzbar Wertvolles.«

2

Das blinde Festhalten an ihren dummen Vorstellungen veranlasst die Leute zu Verhaltensweisen, mit denen sie sich selbst schaden. Ich interessiere mich nur für intelligente und vernünftige Menschen.

Direktor Josef Venport,internes VenHold-Memo

Der VenHold-Frachter kam genau an der Stelle, die der Navigator vorhergesagt hatte, aus dem Faltraum – ein weiteres Beispiel, wie hoch entwickelt diese mutierten Menschen waren. Venport sah vom oberen Navigationsdeck aus zu, wie sein Schiff sich dem Planeten Baridge näherte. Sich in der Nähe des Navigatorentanks aufzuhalten war nur sehr wenigen Mitgliedern der Besatzung und keinem der Passagiere erlaubt, doch Josef konnte sich frei an Bord bewegen. Schließlich war er der Eigentümer der VenHold-Raumflotte und kontrollierte die Erschaffung der Navigatoren, weshalb er den Großteil des interplanetaren Handels dominierte.

Seine Urgroßmutter Norma Cenva hatte sich selbst durch eine hohe Sättigung mit Melange zur ersten Navigatorin gemacht, und um den Bedürfnissen seiner wachsenden Flotte gerecht zu werden, hatte Josef Hunderte weitere erschaffen. Dieses große Unterfangen machte eine ganze Reihe weiterer Schritte erforderlich: Um Navigatoren zu erschaffen, brauchte er große Mengen an Gewürz. Das wiederum bedingte die Ausweitung seiner Geschäfte auf Arrakis, was Investitionen in Rekordhöhe vonseiten VenHolds erforderte – und um diese tätigen zu können, war er gezwungen, immense Profite mit der Firma zu machen. Nach und nach fügte sich alles ineinander, wie bei einem wunderbaren Puzzle.

Er konnte es nicht leiden, wenn irgendein Trottel diese Ordnung störte.

Sein Schiff näherte sich dem ziemlich gewöhnlichen Planeten Baridge und richtete sich beim Eintritt in die Umlaufbahn neu aus. Kopfschüttelnd wandte Josef sich an seine Frau Cioba. »Ich glaube, die wissen noch nicht einmal, dass wir angekommen sind. Wenn diese Barbaren Technik so sehr verabscheuen, dann haben sie wohl auch ihre Fernbereichssensoren und Kommunikationsgeräte abgeschafft.« Er schnaufte abschätzig. »Vielleicht kleiden sie sich ja sogar in Felle.«

Cioba war eine dunkelhaarige Schönheit, die auf Rossak von der Schwesternschaft ausgebildet worden war, bevor der Imperator ihren Orden aufgelöst hatte. Sie antwortete ruhig und besonnen: »Baridge mag zwar Manford Torondos Gelöbnis angenommen haben, aber deswegen muss diese Welt nicht aller Technologie entsagt haben. Manche Leute reden den Butler-Anhängern zwar nach dem Mund, sind deswegen aber noch lange nicht bereit, ihr ganzes Leben umzukrempeln.«

Josefs dichter rötlicher Schnurrbart sträubte sich ein wenig, als er sie anlächelte. »Und genau deshalb werden wir gewinnen, meine Liebe. Es ist schön und gut, eine bestimmte Philosophie zu vertreten, aber extreme Ansichten schwinden schnell, wenn sie unbequem werden.«

Unten erkannte man jetzt das übliche Blau des Meeres, das Weiß von Wolkenwirbeln sowie das Braun und Grün der Landmassen. Die meisten bewohnten Planeten ähnelten einander, doch beim Anblick dieser speziellen Welt knirschte Josef mit den Zähnen, wegen dem, wofür sie stand, und weil ihr Oberhaupt, Diakon Kalifer, eine so dumme Entscheidung getroffen hatte.

Mit Leuten, denen es an Weitblick mangelte, hatte Josef keine Geduld, vor allem, wenn diese Leute sich in Machtpositionen befanden. »Das hier ist verlorene Liebesmüh. Wir hätten unsere Zeit und unseren Treibstoff nicht darauf verschwenden sollen herzukommen. Von unserer Schadenfreude haben wir nichts.«

Cioba beugte sich zu ihm hinüber und berührte ihn am Arm. »Baridge verdient eine zweite Chance. Du musst sie an den Preis ihrer Entscheidung erinnern. Vielleicht hat Diakon Kalifer es sich inzwischen anders überlegt.« Sie strich ihrem Mann über das volle Haar.

Er griff nach ihrer Hand und hielt sie für einen Moment. »Oft überraschen mich die Leute, aber normalerweise nicht positiv.«

Der unruhige Stern von Baridge befand sich gerade in einer Phase starker Sonnenfleckenaktivität. Früher war der Planet vor allem für seine bunten Polarlicht-Schauspiele bekannt gewesen, bei denen ein Großteil der Sonnenstrahlung abgefangen und reflektiert wurde, aber dennoch drang jedes Mal ein Regen geladener Teilchen zur Oberfläche durch. Um sich zu schützen, rieben die Bewohner von Baridge sich mit Cremes ein, brachten Lichtfilter vor ihren Fenstern an und versahen ihre Straßen mit ausfahrbaren Überdachungen. Satelliten in der Umlaufbahn behielten die Sonnenaktivitäten im Auge und warnten die Bewohner, wenn sie lieber in ihren Häusern bleiben sollten. Der epidemieartig verbreitete Hautkrebs wurde mit fortgeschrittenen medizinischen Techniken behandelt; außerdem verwendeten die Bewohner des Planeten Gewürz in großen Mengen, was den Schutz ebenfalls erhöhte.

Normalerweise war Baridge also bestens auf die Gefahren des Sonnenzyklus vorbereitet gewesen, aber Diakon Kalifer und die Clique, mit der er regierte, hatten sich vor Kurzem dem Druck Manford Torondos und seiner fanatischen Barbaren gebeugt. Nach der Unterzeichnung des Antitechnologie-Gelöbnisses und einer scharfen Verurteilung von Venport Holdings hatte Kalifer verkündet, dass sein Planet von nun an frei von verdorbener Technik sein sollte.

Daraufhin hatte Josef wie angekündigt den Handel mit dem Planeten eingestellt. Er hatte im ganzen Imperium verkünden lassen, dass er mit keinem unterzeichnenden Planeten Geschäfte treiben oder ihn mit Luxusgütern, Ausrüstung, Gewürz oder anderen Waren beliefern werde. Zwar bemühten sich kleinere Transportgesellschaften, in die Bresche zu springen, aber weil ihre Schiffe veraltet waren und sie nicht über Navigatoren verfügten, die sie sicher durch den Faltraum hätten fliegen können, war ihre Verlustrate katastrophal.

Josef blickte zu dem Tank empor, der den Navigator dieses Schiffes beherbergte. Er konnte die verkrümmte Gestalt im Gewürznebel kaum erkennen, aber er wusste, dass dieser Navigator ursprünglich ein Spion mit Namen Royce Fayed gewesen war, den man bei dem Versuch erwischt hatte, das Geheimnis der Navigatoren-Erschaffung zu stehlen. Josef hatte sich großzügig gezeigt und es ihm verraten – indem er ihn selbst zum Navigator gemacht hatte. Unter der persönlichen Anleitung von Norma Cenva hatte er sich zu einem der besten Navigatoren von Venport Holdings gemausert. Und jetzt, nachdem die Transformation abgeschlossen war, war er zutiefst dankbar für die Gabe, die man ihm hatte zuteilwerden lassen.

Der Navigator sprach durch den Lautsprecher des Tanks. »Baridge wurde erreicht.«

Es fiel Josef oft schwer, sich mit Navigatoren zu unterhalten, weil ihr Verstand so enorm hoch entwickelt war. »Ja, wir haben Baridge erreicht.« Dachte Fayed, dass er nicht wusste, wohin sie unterwegs waren?

»Ich orte ein weiteres Schiff in der Umlaufbahn. Es handelt sich nicht um ein Handelsschiff.«

Mit einem Flackern verwandelte sich ein Stück der Rumpfverschalung in ein Übertragungsfenster. In starker Vergrößerung zeigte es ein nahes Militärschiff – kein Schiff der imperialen Armee, sondern einen der ausrangierten Kreuzer aus dem großen Djihad, die die Barbaren wieder in Betrieb genommen hatten.

Josef biss die Zähne zusammen, als das Schiff, das hier offenbar den Wachhund spielte, sich ihnen mit aufleuchtenden Triebwerken näherte. »Der gehört zum Halben Manford.« Unbesorgt betrachtete er sein waffenstarrendes Gegenüber auf dem Bildschirm. Er zweifelte nicht daran, dass der Kapitän sich als arrogant, dumm und von blindem Glauben und Unvernunft geleitet erweisen würde.

Cioba runzelte die Stirn. »Stellt es eine Gefahr für uns dar?«

»Natürlich nicht.«

Ein junger Mann mit rauer Stimme meldete sich von Bord des Butler-Schiffs. »VenHold-Schiff, der Anflug auf Baridge ist Ihnen untersagt. Die Bevölkerung des Planeten hat geschworen, Ihre verfluchte Technologie nicht zu benutzen. Kehren Sie um, wenn Sie nicht zerstört werden wollen.«

»Das ist keiner Erwiderung wert.« Cioba seufzte. »Mit Eiferern kann man nicht diskutieren.«

Obwohl auch er der Meinung war, dass Argumente ihnen hier kaum weiterhelfen würden, konnte er einfach nicht an sich halten. Er schaltete die Übertragung ein. »Wie seltsam, ich dachte, VenHold hätte den Planeten mit einem Embargo belegt und nicht andersherum. Noch seltsamer ist es allerdings, einen so vehementen Anhänger Butlers zu erleben, wie er ein derart ausgefeiltes Raumschiff steuert. Machen Sie sich beim Anblick solch fortschrittlicher Technologie nicht in die Hose?«

Wahrscheinlich würde sich der Kapitän als Rechtfertigung irgendetwas aus den Fingern saugen, dass es hier schließlich um »das große Ganze« ginge oder dass diese Technologie ausnahmsweise akzeptabel sei, weil sie »im Dienste heiliger Werke« stünde.

Als Josefs Antlitz auf dem Bildschirm erschien, schreckte der Kapitän des Kriegsschiffs zurück. »Der böse Dämon Venport höchstpersönlich! Wir haben Sie gewarnt!« Unvermittelt unterbrach er die Verbindung.

Cioba deutete auf das Übertragungsfenster. »Er macht die Waffen bereit.«

»Vermutlich hat Manford Torondo ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt.« Eine Vorstellung, die Josef gleichermaßen lächerlich und beleidigend fand.

Ohne weitere Vorwarnung eröffnete das Djihad-Kriegsschiff mit seinen veralteten Torpedos das Feuer. Die kinetischen Entladungen hämmerten auf die deutlich höher entwickelten Schilde des VenHold-Schiffs ein – auch sie ein von Norma Cenva erfundenes Wunderwerk –, ohne Schaden anrichten zu können. VenHolds Verteidigungssysteme waren denen des Feindes weit überlegen.

»Für das Logbuch,« sagte Josef in die Wandsprechanlage. »Wir haben nicht zuerst geschossen. Wir haben keinerlei aggressive oder provozierende Handlungen unternommen. Man hat uns grundlos angegriffen, und wir waren gezwungen, uns zu verteidigen.« Dann ließ er sich zum Gefechtsdeck durchschalten, wo das Personal bereits die Stationen bemannt hatte. »Zerstört das Schiff. Es geht mir auf die Nerven.«

Der Waffenoffizier hatte bereits mit diesem Befehl gerechnet. Ein ganzer Schwarm Projektile schoss hinaus und riss das Butler-Schiff in Stücke. Innerhalb weniger Sekunden war alles vorbei, und Josef war froh, dass er nicht noch mehr Zeit verschwenden musste.

Während Cioba auf dem Bildschirm die langsam verglühenden Trümmer betrachtete, flüsterte sie: »Hattest du nicht gesagt, dass das Schiff keine Gefahr für uns darstellt?«

»Nicht für uns, aber diese Wilden stellen eine Gefahr für die ganze Zivilisation dar. Ich bin der Meinung, dass das eine notwendige Strafaktion war.« Er wandte sich an den Navigator: »Sind andere Schiffe in der Nähe? Frachtschiffe, kommerzielle Schiffe unserer Konkurrenten?«

»Keines«, antwortete Fayed.

»Gut. Dann sind die Bewohner von Baridge vielleicht etwas umgänglicher.« Er sendete eine direkt an Diakon Kalifer gerichtete Mitteilung zum Planeten. Dabei achtete er allerdings darauf, eine frei zugängliche Frequenz zu wählen. Josef vermutete, dass viele der vorgeblich so begeisterten Butler-Anhänger heimlich verbotene Empfänger behalten hatten, und er wollte, dass sie alle seine Worte hörten.

Diakon Kalifer antwortete sofort, als Josef den Kontakt herstellte. Das ließ vermuten, dass das Planetenoberhaupt ihre Ankunft mitverfolgt hatte. Bestimmt wusste er auch, dass das Butler-Schiff zerstört worden war. Umso besser – noch ein Grund für den Diakon, sich nicht allzu widerspenstig zu zeigen.

Auf dem Bildschirm war zu sehen, dass Kalifer die Schultern hängen ließ. Seine Haut war schlaff, als sei sie eine Nummer zu groß für ihn. Er sprach so langsam und behäbig und brauchte so lange, um einen Satz zu Ende zu bringen, dass Josef beinahe die Geduld verlor. Diakon Kalifer war jemand, den wohl jeder Zuhörer am liebsten angeschrien hätte: Komm auf den Punkt!

»Ah, VenHold-Schiff. Wir hatten gehofft, dass Sie das Embargo gegen uns noch einmal überdenken würden. Und ich bin sehr erfreut, dass Sie persönlich gekommen sind, Direktor Venport.«

»Ich bin zwar persönlich gekommen, aber mein Empfang hier hat mir gar nicht behagt. Seien Sie dankbar, dass dieser wild gewordene Wachhund in Ihrer Umlaufbahn Ihnen nun keine Probleme mehr bereiten kann.« Vielleicht hatten sie ihre Reise doch nicht umsonst gemacht. Zumindest bekam Josef nun die Gelegenheit, Salz in die Wunde zu streuen, während die Bewohner von Baridge mithörten. »Ich bringe Arzneimittel, insbesondere gegen Krebs, sowie Polymercremes, die vor der aggressiven Strahlung Ihres Sonnenzyklus schützen. Ich habe auch ein Team von Spitzenärzten mitgebracht, die an der Suk-Schule ausgebildet wurden. Sie sind auf die Behandlung von Hautläsionen und einigen Krebsarten spezialisiert und können Ihnen sicherlich helfen.«

»Danke, Direktor!« Kalifer war so erfreut, dass seine Antwort zur Abwechslung prompt kam.

An dem Blick, den Cioba Josef zuwarf, merkte er, dass sie wusste, welches Spiel er spielte. Ihr Geschäftssinn und ihre scharfe Beobachtungsgabe machten sie unschätzbar wertvoll für ihn.

Josef antwortete in neutralem Tonfall. »Wir haben auch eine große Menge Gewürz an Bord, das hier meines Wissens ziemlich beliebt ist. Baridge war für VenHold immer ein wichtiger Abnehmer, den wir nur ungern verlieren möchten. Wir bieten diese Ladung zum Sonderpreis, um unsere erneut aufgenommenen Geschäftsbeziehungen zu feiern.«

Als Kalifer erleichtert lächelte, schlug Josef einen kühleren Tonfall an. »Allerdings müssen Sie zuerst Ihr Gelöbnis Manford Torondo gegenüber widerrufen. Sie haben aller fortschrittlichen Technologie abgeschworen, doch nun ist Ihnen klar geworden, wie irrational das war. Wenn Sie den Handel mit VenHold wieder aufnehmen und unsere Güter erhalten möchten – einschließlich Gewürz von Arrakis –, dann müssen Sie sich öffentlich von den Butler-Anhängern distanzieren.«

Er hielt Diakon Kalifers eisigem Blick stand. Das Oberhaupt des Planeten sagte kein Wort – die Pause zog sich deutlich länger hin als sein normales Innehalten, während er sprach. Schließlich antwortete er: »Aber das ist unmöglich, Direktor. Die Bevölkerung würde sich auflehnen und Führer Torondo Vergeltungsgeschwader gegen uns aussenden. Ich bitte Sie, zeigen Sie sich ein wenig flexibel. Wir werden auch höhere Preise zahlen, wenn Sie darauf bestehen.«

»Das glaube ich gern«, antwortete Josef. »Aber höhere Preise sind nicht das, was ich will. Zum Wohl der Menschheit muss dieser barbarische Unsinn ein Ende finden – und es wird nur aufhören, wenn Planeten wie Baridge sich für Zivilisation und Handel und gegen den Fanatismus entscheiden.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Dies ist mein Angebot, und es ist nicht verhandelbar.«

Kalifer wurde aschfahl und setzte eine jämmerliche Miene auf. »Ich … ich kann das Angebot nicht annehmen, Direktor. Die Bewohner von Baridge werden standhaft bleiben.«

Obwohl er innerlich kochte, wahrte Josef seinen gleichgültigen Tonfall. »Wie Sie wünschen, Diakon. Ich habe Ihnen meine Fracht zuerst angeboten, aber ich kann sie auch bei einem meiner nächsten Zwischenhalte verkaufen. Ich ziehe mein Angebot zurück. Solange sie unnachgiebig bleiben, erhalten Sie keine weiteren Lieferungen. Ich wünsche Ihnen viel Glück beim Überleben Ihrer Sonnenstürme.«

Cioba unterbrach die Verbindung. Josef stand kopfschüttelnd und mit geblähten Nasenflügeln da und versuchte, die Fassung wiederzugewinnen.

»Sie werden sich schon bald umentscheiden«, sagte Cioba. »Ich habe es dem Diakon angesehen. Sein leichtes Zusammenzucken, die unterschwellige Angst in seinem Tonfall. Sie sind jetzt schon verzweifelt.«

»Aber wann werden sie Torondo abschwören? Ich bin nicht geneigt, ihnen noch eine Chance zu geben.« Josef drehte sich zum Tank des Navigators um. »Fliegen wir zum nächsten Planeten auf unserer Liste. Ich will wissen, wie man uns dort empfängt.«

3

Des Menschen Geist ist heilig, sein Herz aber ist verdorben.

Manford Torondo,

bei einer Massenkundgebung auf Lampadas

Die Isolation seines Planeten durch das VenHold-Embargo befeuerte Manford Torondos Entschlossenheit umso mehr. Zweifel hatte er keine, und er sorgte dafür, dass auch seine Anhänger keine hatten. Als ihr Führer musste Manford eine klare Linie vorgeben, ohne Ausnahmen, ohne Raum für Abweichungen. Und als seine Anhänger mussten sie auf ihn hören.

Manchmal jedoch musste er es ihnen ins Gedächtnis rufen. Mit einem spektakulären, unmissverständlichen Exempel konnte man Millionen von Menschen bewegen.

In der Dunkelheit kurz vor Tagesanbruch ritt er auf den kräftigen Schultern Anari Idahos, seiner stärksten und loyalsten Schwertmeisterin. Anari ersetzte ihm Körper und Muskeln, sie war seine Kraft und sein Schwertarm. Nachdem er bei einer frühen Antitechnologie-Kundgebung durch die Bombe eines Fanatikers die Beine verloren hatte und die Visionärin Rayna Butler in seinen Armen gestorben war, hatte Manford den Platz seiner Mentorin mit der gleichen Inbrunst eingenommen. Weil er sich nicht durch seine Behinderung einschränken lassen wollte, hatte er sich den Satz »ein halber Mann und ein doppelt guter Anführer« zum Wahlspruch gemacht.

Was von seinem Körper übrig geblieben war, passte in ein eigens angefertigtes Geschirr auf Anaris Schultern. Aber obwohl die Schwertmeisterin ihn trug, war sie keineswegs ein Lasttier. Anari kannte ihn schon so lange und liebte ihn so hingebungsvoll, dass sie praktisch zu einem Wesen verschmolzen waren. Oft ahnte sie, was er brauchte, und erfüllte seine Bedürfnisse, noch bevor er sie ausgesprochen hatte. Er musste nur daran denken, dass er in eine bestimmte Richtung gehen wollte, und schon setzte sich Anari in Bewegung.

Wenn er in seinen Büroräumen arbeitete, saß Manford in einem speziellen Hochstuhl, der ihm eine imposante Erscheinung verlieh. Wann immer er bei Massenveranstaltungen erschien, wählte er Freiwillige aus, die ihn in einer Sänfte trugen. Auch in die Schlacht zog er auf Anaris Schultern.

Seine Butler-Kampftruppe hatte die Hauptstadt am Vortag in der Abenddämmerung verlassen und folgte nun auf Pritschenfahrzeugen der Flussstraße, um weiter im Inland ein kleines Dorf zu erreichen. Der Ort namens Taubenhort war nur deshalb von Interesse, weil Manfords Spione dort etwas herausgefunden hatten.

Er hatte dreizehn Schwertmeister sowie hundert weitere Kämpfer dabei, alle bereit, ihr Leben für ihn zu lassen – mehr als genug, um den Menschen dort eine Lektion zu erteilen, selbst falls das ganze Dorf Widerstand leisten sollte. Sie wurden außerdem von einem potenziellen Geschäftspartner von einem anderen Planeten begleitet, dem Chef der Transportfirma EsconTrans, Rolli Escon. Heute würde Direktor Escon beobachten und lernen.

Als sie sich Taubenhort näherten, befahl Manford seinen Gefolgsleuten zu warten, während die Schwertmeister die Führung übernahmen. Vor Manford lag das schlafende Dorf im Dunkel. Seine Spione hatten bereits in Erfahrung gebracht, in welchen Häusern die drei Dorfoberhäupter wohnten. Das waren ihre ersten Zielpersonen.

Man konnte Rolli Escon das Unbehagen ansehen, als er neben Anari Idaho ging. Der Geschäftsmann blickte zu Manford auf, als sie sich der nichtsahnenden Ortschaft näherten. »Führer Torondo, sollten wir nicht unsere geschäftlichen Vereinbarungen abschließen, bevor Sie hier weitermachen? Sie sind ein vielbeschäftigter Mann, und ich kann die anfallenden Verwaltungsaufgaben auch anderswo erledigen.«

Escon war nach Lampadas gekommen, um Manford ein geschäftliches Angebot zu unterbreiten. Seine Raumtransportgesellschaft war im Vergleich zu VenHold zwar klein und nicht besonders leistungsfähig, aber immerhin brachte er in seinen Schiffen im Unterschied zu Venport keine illegalen Computer oder mutierten Monstrositäten zum Einsatz.

Manford sah von seiner erhöhten Position auf Escon hinab. »Was für Verwaltungsaufgaben?«

»Es wird nicht ganz einfach sein, die Routen meiner Frachter so zu legen, dass sie der Sache Butlers den größten Nutzen erweisen. Ich möchte rasch jenen Planeten helfen, die am meisten unter dem VenHold-Embargo leiden – insbesondere Lampadas.«

Manford runzelte die Stirn. Die Ungeduld des Mannes gefiel ihm nicht. »Lampadas geht es gut. Meine stärksten, ergebensten Anhänger leben hier mit mir, und wir müssen nicht verhätschelt werden. Der Teufel Venport wird nie verstehen, dass jede Entbehrung uns stärker macht.«

Escon senkte beschämt den Kopf. »Da haben Sie natürlich recht, Sir.«

Manford fuhr fort: »Leider sind manch andere nicht so stark. Die Versuchung durch eingebildete Bedürfnisse lenkt sie vom Glauben ab. Also muss ich diese Ablenkungen zu ihrem eigenen Wohl beseitigen. Ich werde Ihre Schiffe brauchen, um meinen Anhängern das zukommen zu lassen, was sie wirklich benötigen. Dem Venport-Embargo lachen wir ins Gesicht.«

»Meine Schiffe gehören Ihnen, Führer Torondo.« Escon verbeugte sich leicht. »Es macht mich glücklich, der Sache Butlers zu dienen.«

Manford spürte, dass Anari gern mit dem Angriff auf Taubenhort begonnen hätte, aber sie würde nie in Anwesenheit Dritter ungefragt sprechen. Nur wenn sie allein miteinander waren, sagte Anari, was sie wirklich dachte. Meistens massierte sie dabei seine schmerzenden Schultern, ölte ihn ein oder half ihm beim Baden. Obwohl sie bei diesen Gelegenheiten ihre Meinung offen sagen durfte, konnte er sich nicht daran erinnern, dass sie ihm jemals widersprochen hätte, außer wenn es um seine persönliche Sicherheit ging – da war sie unnachgiebig.

»Des Menschen Geist ist heilig«, murmelte sie jetzt. Die Schwertmeister wiederholten den Satz leise.

Manford straffte sich in seinen Gurten. »Ich nehme Ihre großzügige Spende an unsere Bewegung an, Direktor Escon. Die Schiffe und der Treibstoff sind uns höchst willkommen.«

Der Transportmagnat trat von einem Fuß auf den anderen, und Manford verstand, dass er offenbar nicht alle Kosten hatte übernehmen wollen. Dennoch zog der Führer der Butler-Bewegung die Annahme des Angebots nicht zurück.

Unruhig warteten seine Soldaten in der kühlen Dunkelheit. Sie hielten Knüppel, Messer und Speere bereit. Manford hatte das Tragen von Schusswaffen nicht untersagt, aber gegen die Einwohner von Taubenhort würden sie keine Feuerwaffen benötigen. Bald würde der Morgen anbrechen. Es war Zeit loszuschlagen.

Doch Escon setzte das Gespräch fort. »Aber … wie viele meiner Schiffe werden Sie benötigen? Soweit ich verstanden habe, besitzen auch Sie Schiffe aus den Djihad-Altbeständen. Sie wurden Ihnen von Imperator Salvador Corrino geschenkt, nicht wahr?«

»Das sind einhundertvierzig Kriegsschiffe, Direktor, und ich benötige sie für militärische Einsätze, nicht um Frachten oder Pilger zu befördern. Hier auf Lampadas habe ich nur vier. Die anderen sind verteilt, um Stärke zu zeigen und Planeten zu unterstützen, die mein Gelöbnis unterzeichnet haben. Sie erhalten die Erinnerung an den Schwur aufrecht.«

Escon räusperte sich und nahm all seinen Mut zusammen. »Wenn Sie gestatten, Führer Torondo – vielleicht würden Sie einen kleinen Aufschlag für jeden Flug für die Sache Butlers gewähren? Dadurch könnte ich die Kosten für den Unterhalt meiner Flotte decken und außerdem mein Streckennetz erweitern, um Ihre heilige Sache zu unterstützen. Noch besser wäre es, wenn Sie öffentlich EsconTrans den Vorzug vor meinen Konkurrenten geben könnten, die möglicherweise von Technologiefreunden unterwandert sind …«

Anari verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Offenbar hatte sie genug vom Herumstehen.

Stirnrunzelnd dachte Manford über den Vorschlag nach. »Und was ist mit den Sicherheitslücken Ihrer Firma, Direktor? Man hört von schrecklichen Unfällen und von Schiffen, die aufgrund von Navigationsfehlern verloren gehen.«

Allzu schnell tat Escon den Einwand ab. »Wir können keine Denkmaschinen einsetzen, Führer Torondo, also tun wir unser Bestes. Raumfahrt war nie hundertprozentig sicher – nichts ist hundertprozentig sicher. Auch ein Reiter kann auf seinem Pferd tödlich verunglücken.« Er stieß ein unbeholfenes kurzes Lachen aus. »Bezogen auf die Gesamtzahl der Raumflüge sind unsere Verluste verschwindend gering.«

»Haben Sie genaue Zahlen?«

»Da … da müsste ich noch mal in unsere Akten schauen.« Dann hellte sich Escons Miene auf, als ihm etwas einfiel. »Wenn Sie meine Firma öffentlich bevorzugen, demonstrieren Sie damit, dass Gott auf unserer Seite steht. Das allein wird bereits unsere Flugsicherheit verbessern.«

Dagegen konnte Manford nichts einwenden. »Nun gut, dann ist es abgemacht. Mehr haben wir im Moment nicht zu besprechen. Ich muss nun anderen Verpflichtungen nachkommen.« Er wandte den Blick nach vorn und legte liebevoll die Hand auf Anari Idahos kurz geschnittenes braunes Haar. »Und sobald wir diese unschöne Sache in Taubenhort hinter uns gebracht haben, können wir uns wieder unserer normalen Arbeit zuwenden.«

Langsam, wie ein Blutfleck, breitete sich die Morgendämmerung am Himmel aus. Manfords Anhänger standen unter Adrenalin, der Droge der Rechtschaffenen. Direktor Escon wollte anscheinend so schnell wie möglich verschwinden, doch er hielt sich weiterhin verlegen im Hintergrund, um niemanden zu verärgern.

Ein Mann in dunkelbraunem Gewand trat an Manford heran, ohne den Geschäftsmann zu beachten. »Unsere erste Kampfgruppe ist in die Ansiedlung vorgerückt, Führer Torondo. Einer unserer Kämpfer ist an der Dorfglocke stationiert und steht bereit, alle aufzuwecken, damit sie Zeuge des Schauspiels werden.«

»Danke, Diakon Harian.«

Manfords grimmiger Majordomus mit der versteinerten Miene war der wandelnde Inbegriff der Unbeirrbarkeit und zugleich eine Verkörperung des Butler-Ideals. Seine Großeltern hatten die Maschinensklaverei auf dem Planeten Corrin überlebt und zu den vielen verzweifelten Flüchtlingen gehört, die man bei der legendären letzten Schlacht gegen Omnius von der Brücke von Hrethgir gerettet hatte.

Während Manford oft zu kleinen Heiligenbildern der wunderschönen Rayna Butler betete, vertiefte sich Diakon Harian lieber in die historischen Dokumente von Corrin, Aufnahmen von der hektischen Entladung menschlicher Geiseln, die die Denkmaschinen als Schutzschilde verwendet hatten – bis der große Kriegsheld Vorian Atreides Omnius gezwungen hatte, die Karten offenzulegen. Der Sieg über die Maschinenwelten war jeden Preis in Menschenleben wert, auch wenn es sich um unschuldige Opfer handelte …

Obwohl Harian die Denkmaschinen nicht selbst erlebt hatte, bildete der Hass auf sie das Fundament seiner Persönlichkeit. Als Kind hatte er von seinen Großeltern schreckliche Geschichten über sie gehört, und er hatte gespürt, dass es ihm bestimmt war, Teil der Butler-Bewegung zu werden. Um der von ihm innig verehrten Rayna Butler nachzueifern, die ihr Haar durch eine der von Omnius gesandten Pestilenzen verloren hatte, rasierte er sich regelmäßig Kopf und Augenbrauen.

Nun berichtete Harian: »Wir sind bereit für den Angriff auf diejenigen, die Ihnen getrotzt haben, Führer Torondo.«

Manford nickte. »Denk dran, dies ist kein Angriff, keine Bestrafung.« Er verlagerte sein Gewicht im Geschirr. »Es ist eine Lektion.«

Als die Dämmerung anbrach, hob Anari Idaho ihr Schwert, und die anderen Schwertmeister taten es ihr nach. Da sie nun nicht mehr leise sein mussten, stießen die hundert Butler-Anhänger ein Gebrüll aus. Manford sagte: »Führe uns, Anari!« Mit ihm auf den Schultern rückte sie in die Ortschaft vor.

Der Lärm lockte ein paar verschlafene Dorfbewohner auf die Straße heraus. Sie starrten auf den anrückenden Pulk. Als sie den beinlosen Anführer erkannten, flackerte Erleichterung in den Mienen auf – nur um sogleich durch Angst ersetzt zu werden.

Harians Mann läutete die Dorfglocke. Die Schwertmeister marschierten in sauberen Schlachtreihen auf den Dorfplatz, während die Butler-Anhänger ungebremst vorstürmten, herumbrüllten, an Türen hämmerten und alle aufweckten. Die Leute kamen mit beunruhigten Mienen heraus, manche murrend, manche schluchzend.

Anari erreichte das Haus des Ersten Bürgermeisters und hämmerte mit dem Schwertknauf an die Tür, wartete jedoch nicht auf eine Antwort. Während sie Manford wie ein übergroßes Kind im Geschirr ausbalancierte, sprengte sie das Schloss mit einem kräftigen Tritt. Sie stieß die Tür auf, dann drangen die übrigen Schwertmeister in die Häuser der beiden anderen Oberhäupter ein und zerrten das ganze Triumvirat nach draußen.

Die drei nur halb wachen Männer trugen Nachthemden. Sie stolperten vorwärts und versuchten dabei, sich etwas überzuziehen, doch als sie begriffen, in welcher Lage sie sich befanden, verharrten sie mit aufgerissenen Augen. Hoch oben auf Anaris Schultern saß Manford wie ein Richter hinter seinem Pult, bereit, das Urteil zu verkünden.

Zwei der Bürgermeister brabbelten Entschuldigungen, während der dritte grimmig schwieg. Er hatte durchaus begriffen, welches Unrecht er getan hatte, und er wusste, dass es keine Entschuldigung für seine Taten gab.

Manford sagte mit sanfter Stimme: »Es gibt keinen Grund zur Furcht. Ihr alle werdet in Kürze die rasche und glorreiche Vollstreckung eines gerechten Urteils miterleben. Die Heiligen Märtyrer Sankt Serena und Manion der Unschuldige sind heute mit uns.«

»Was soll das alles, Führer Torondo?«, fragte einer der Bürgermeister.

Manford zog lediglich die Brauen zusammen. »Meine Kriegsschiffe halten in der Umlaufbahn Wache, um die Unschuld all unserer treuen Gefolgsleute zu schützen. Wir haben in diesem Bereich kleine VenHold-Schiffe entdeckt, bei denen es sich anscheinend um Spione oder Schmuggler handelt, die den Schwarzmarkt beliefern. Taubenhort hat Güter von einem der größten Feinde der Menschheit gekauft.«

»Nein, Sir!«, schrie das geschwätzige, winselnde Dorfoberhaupt. Es klang fast wie ein Quieken.

»Die Menschen in diesem Dorf haben sich dem Gewürz hingegeben, und ihre Sucht ist anscheinend stärker als ihr Glaube.«

Mehrere Dorfbewohner stöhnten. Diakon Harian kam aus dem Haus des Ersten Bürgermeisters, während die Butler-Anhänger die der beiden anderen plünderten. Der grimmige Majordomus hielt ein unbeschriftetes Päckchen hoch, das er im Innern gefunden hatte. Er riss es auf und schüttete ein duftendes, zimtfarbenes Pulver auf den Boden.

»Als Dorfoberhäupter seid ihr drei verantwortlich für eure Leute, und es ist eure Pflicht, sie nicht vom rechten Weg abkommen zu lassen. Dieser Pflicht seid ihr nicht nachgekommen. Als Führer der Butler-Bewegung muss ich die Schuld dafür auf mich nehmen, wenn meine Gefolgsleute die falschen Entscheidungen treffen – und keine Strafe könnte so groß sein wie der Schmerz, den sie mir damit bereiten. Doch die Strafe für euch drei wird unmissverständlich sein, und sie wird ohne Umschweife vollzogen.«

Die Schwertmeister traten vor. Auch Anari hob ihre Klinge, und Manford flüsterte ihr zu: »Der Stille verdient unseren Respekt, also belohne ihn. Töte ihn zuerst.«

Anari ließ dem Ersten Bürgermeister keine Zeit, seinen Tod vorauszuahnen oder Angst vor dem Hieb zu verspüren. Sie bewegte sich so schnell, dass ihre Klinge ihn köpfte, bevor er auch nur zurückzucken konnte. Sein Kopf und sein zuckender Leib fielen in verschiedene Richtungen zu Boden. Die anderen beiden Männer heulten auf. Die Schwertmeister töteten sie, den Winselnden zuletzt.

Manford blickte auf die kopflosen Leichen auf dem Dorfplatz hinab. »Drei Menschen, die einen schrecklichen Fehler begangen haben – ein kleiner Preis für eine sehr wichtige Lektion.« Nun winkte er seine hundert wartenden Anhänger heran.

In ihrem Eifer beschädigten sie einige der Häuser in Taubenhort, schlugen Fenster ein und zertrümmerten Türen, doch unter der Kontrolle ihres Anführers beschränkten sich die Plünderungen auf ein Minimum.

Manford gab Anari mit einem Stupser zu verstehen, dass er hier fertig war, und sie trug ihn davon, gefolgt vom Rest der Gruppe. Während der Anklage und Hinrichtung hatte Manford Rolli Escon ganz vergessen. Nun taumelte der Geschäftsmann mit aschfahlem Gesicht neben ihm her.

Manford hatte kein Mitgefühl für Schwäche. »Manche Lektionen sind schmerzhaft, Direktor.«

4

Spürt ihr es? In dem Moment, in dem euer Schiff den Raum faltet, begebt ihr euch in eine Gefahr ganz neuer Größenordnung. Werdet ihr den Flug überleben?

In einem öffentlichen Korridor eines

VenHold-Schiffs an die Wand gekritzelter Schriftzug

Nicht alle Probleme waren von epischen Ausmaßen, und selbst eine Legendengestalt litt unter schmerzhaften, wenn auch kleinen Unannehmlichkeiten.

Die Innenseite von Vorians Stiefel scheuerte an seinem entzündeten Zehennagel entlang und machte ihm das Laufen im Sand zur Qual. Wenn er sich nicht gerade darüber ärgerte, belustigte es ihn sogar ein wenig. Jedenfalls verschaffte es ihm eine ganz neue Perspektive: Vorian Atreides, der weithin berühmte Held des Djihads, der Krieger, der über zwei Jahrhunderte lang gelebt hatte, litt unter seiner allzu menschlichen Gebrechlichkeit.

Er kam sich nicht gerade wie eine überlebensgroße Legendengestalt vor, als er seinen Kapitän über die staubige Straße vom Raumhafen nach Arrakis-Stadt begleitete. Natürlich hatte Kapitän Marius Phillips nicht die geringste Ahnung, wer er wirklich war, obwohl Vor keinerlei Anstrengungen unternommen hatte, sein Erscheinungsbild zu verändern.

Vor hatte dunkles Haar, ein schmales Gesicht und graue Augen; er war hochgewachsen und schlank und bildete einen scharfen Kontrast zu seinem gedrungenen Begleiter mit den kurzen Beinen. Auf den ersten Blick sahen er und Kapitän Phillips so unterschiedlich aus, wie zwei Männer es nur sein konnten, aber Vor hatte ein Talent, Gemeinsamkeiten mit anderen zu finden. Er mochte den Handelskapitän wirklich und bewunderte ihn für die gelassene Art, auf die er sein Schiff der Nalgan-Linie führte.

Nach der Landung hatten die beiden traditionelle Destillanzüge angelegt, die in der Trockenheit von Arrakis ihre Körperflüssigkeiten auffingen und wiederaufbereiteten. Phillips fummelte an seinem Anzug herum. »Ich hasse diesen Wüstenplaneten.«

Da Vor bereits zuvor einen Destillanzug getragen hatte, blieb er stehen und half Phillips, den Filterschlauch am Mund und die Polsterung um den Hals zu richten. »So haben wir das bei der Gewürzmannschaft gemacht, bei der ich hier gearbeitet habe.«

Als schließlich alles richtig saß, bedankte sich der andere barsch. Phillips war bereits mehrmals auf Geschäftsreise hier gewesen, aber er hatte nie viel über die hiesigen Gebräuche gelernt. »So kann man es zumindest aushalten«, sagte er, während er das Polymergewebe über der Brust zurechtrückte. »Ich wäre überhaupt nie an diesen gottverlassenen Ort gekommen, wenn es hier nicht das gewinnträchtige Gewürz gäbe. Und ich hätte nie für die Nalgan-Linie gearbeitet, wenn eine der größeren Firmen mich genommen hätte.«

Die Männer setzten ihren Weg fort. Ein heißer Wind wehte aus der Wüste heran. »Hier ist es wirklich ungemütlich«, pflichtete Vor ihm bei und versuchte dabei, nicht auf seinen wunden Fuß zu achten, damit Phillips ihn nicht humpeln sah. »Außer den einheimischen Freien Menschen und den riesigen Würmern hat hier niemand etwas verloren.« Er hatte dem Kapitän kaum etwas über seine Vergangenheit oder seine Geschichte erzählt. Dieser Planet barg für ihn viele schmerzhafte Erinnerungen.

Hier ist Griffin Harkonnen gestorben. Ich konnte ihn nicht retten.

Während der Monate, die sie miteinander gereist waren, hatte der Kapitän immer mehr Sympathie für Vor entwickelt und ihn schon bald zum stellvertretenden Befehlshaber über seine kleine Mannschaft gemacht, in der es aufgrund der schlechten Löhne, die die Nalgan-Linie zahlte, einen ziemlichen Durchlauf gab. Keiner an Bord des Frachters kannte Vors wahre Identität, seine historische Rolle. Er wollte keinen Ruhm mehr, keine Verantwortung, er hatte seine Vergangenheit abgestreift wie eine alte Haut. Damit man ihn auch wirklich in Ruhe ließ, reiste er unter dem Nachnamen Kepler – das war der Planet, auf dem er bis vor einem Jahr gelebt und eine Familie großgezogen hatte.

Vors äußere Erscheinung hatte sich in den achtzig Jahren, die seit der Schlacht von Corrin vergangen waren, kaum verändert, aber die Bilder des Krieges waren aus dem Alltagsgedächtnis geschwunden. Falls irgendjemand sein Gesicht mit alten Aufzeichnungen verglich, würde ihm vielleicht eine Ähnlichkeit auffallen, aber wer wäre darauf gekommen, dass es sich um den echten Vorian Atreides handelte? Hier war er nur ein weiteres Gesicht in der Menge, ein ganz normaler Arbeiter – und genau so war es ihm recht. Er hatte genug von Ruhm und großen Erwartungen.

Selbst während des langen, blutigen Djihads hatte Vor seine Siege, den Ruhm und den Beifall nie genossen. Der Krieg hatte ihnen endloses Gemetzel, Tragödien und gebrochene Herzen gebracht. Er hatte seine Pflicht erfüllt, hatte mehr getan, als man von einem Menschen erwarten konnte, und hatte den Sturz der Denkmaschinen erlebt. Doch für die anschließenden korrupten politischen Spiele hatte Vor keinen Sinn gehabt – für die Ränke und Verschwörungen, den ethischen Verfall. Er hatte genug vom Krieg und von sogenannten Edelmännern; das Leben eines Gemeinen aus dem Volk sagte ihm mehr zu. Als Unbekannter fühlte er sich wohler.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte er zufrieden und fern des Geschehens auf Kepler gelebt, bis die Umstände ihn gezwungen hatten, nach Salusa Secundus zu reisen und den Imperator um Schutz für die Welt zu bitten, die er als seine Heimat gewählt hatte. Als Teil jenes Handels hatte er eingewilligt, seine Frau und seine Familie zu verlassen, sich aus der Politik des Imperiums herauszuhalten und nicht mehr öffentlich in Erscheinung zu treten. Seine Familie zu verlassen war schmerzhaft, aber unvermeidlich gewesen, denn Vor alterte nicht – seine Frau und seine Kinder allerdings sehr wohl. Das Gleiche hatte er schon mit einer anderen Frau und Familie erlebt, auf der Wasserwelt Caladan. Ständig trieb ihn der unerbittliche Lauf der Zeit weiter.

Nach seinem Versprechen an Imperator Salvador hatte Vor sich einer Gewürzerntemannschaft auf Arrakis angeschlossen, um sich wieder in die Anonymität zurückzuziehen. Doch selbst dort hatte seine Vergangenheit ihn verfolgt und heimgesucht. Da war zum Beispiel Griffin Harkonnen gewesen, ein leidenschaftlicher, aber unvorbereiteter junger Mann, der Vorian Atreides die Schuld am Niedergang seines Adelshauses gegeben hatte. Der junge Griffin hätte das Familienlehen auf Lankiveil niemals verlassen sollen. Stattdessen hatte er sich ins Netz der Ehre verstrickt und war auf Arrakis gestorben, von der Rache eines anderen mit in den Tod gerissen. Im Versuch, sich ehrenhaft zu verhalten, hatte Vor den Leichnam des jungen Mannes zu seiner Familie zurückgeschickt.

Seither wünschte sich Vor mehr denn je, einfach zu verschwinden. Wegen seiner schlimmen Erinnerungen an diesen Ort war es für ihn auf Arrakis noch weitaus unschöner, als Kapitän Phillips ahnte. Sein Unbehagen nahm zu, als sie die Hauptstadt betraten.

Der Kapitän deutete mit einer Kopfbewegung auf Vors Humpelschritt. »Wunder Fuß? Hast du dich auf dem Schiff verletzt?«

»Ich werd’s schon überstehen.« Er zog es vor, den Mann seine eigenen Schlüsse ziehen zu lassen. Ein entzündeter Zehennagel kam ihm doch etwas zu trivial vor.

Arrakis-Stadt war eine ärmliche Ortschaft am Rande der Wildnis. Die Häuser waren verwittert und die Straßen staubig und ungepflastert. Vor kannte die üblen Kaschemmen und die schillernderen, exzentrischeren Gestalten der Stadt. Da er als gewöhnlicher Gewürzarbeiter hier gewesen war, würde sich wohl niemand an ihn erinnern. Die Stadtbewohner waren raue Männer und Frauen, genauso unnachgiebig wie die Welt um sie herum. Alle hatten ihre Gründe, hier zu sein, und die meisten kein Interesse daran, ihre Geschichte zu erzählen. Zwischen ihnen fügte Vor sich gut ein.

Er und der Kapitän warteten an der verabredeten Stelle auf der Hauptstraße. »Ich möchte, dass du meine übliche Kontaktperson kennenlernst«, sagte Phillips. »Wenn du lernst, die richtigen Bedingungen auszuhandeln, kann ich dich zu meinem Stellvertreter machen.« Er grinste. »Dann kann ich an Bord des Schiffs bleiben. Und du hast den Sand ganz für dich allein.«

Die Gewürzoperationen auf Arrakis wurden vom Merkantilen Kombinat betrieben, das sein Monopol rücksichtslos verteidigte. Der Großteil des Gewürzes wurde mit den Faltraumern von Venport Holdings transportiert, aber durch Schmiergelder konnte man sich Sondergenehmigungen für kleinere Gesellschaften wie die Nalgan-Linie verschaffen, die Melange zu exorbitanten Preisen auf den Nischenmärkten abgelegener Planeten verkauften. Kapitän Phillips arbeitete mit einem »Disponenten« zusammen, der die Beschränkungen und Bestimmungen erfolgreich unterlief und es ihnen gestattete, ihre Laderäume mit hochwertigem Gewürz zu füllen.

Vor und der Kapitän warteten unbehaglich im Schatten einer Markise, und zehn Minuten nach dem verabredeten Zeitpunkt schlurfte ein Mann in staubigem Wüstengewand auf sie zu. Der Wind frischte auf.

»Ich habe viel zu tun«, sagte Qimmit, der Gewürzhändler, als würde er es ihnen zum Vorwurf machen, dass er selbst zu spät gekommen war. »Heute gibt es viele Käufer für mein Gewürz. Ich habe eingewilligt, mich mit euch zu treffen, aber ich verspreche nichts. Ich hoffe, ihr seid die Mühe wert.«

»Mein Schiff steht bereit, die übliche Fracht aufzunehmen«, sagte Phillips. »Zu den gleichen Bedingungen wie bisher.« Er machte Vor mit dem Mann bekannt: »Qimmit und ich sind schon seit Jahren miteinander im Geschäft.«

»Der Preis muss diesmal leider angepasst werden, mein Freund«, sagte Qimmit mit übertrieben bekümmerter Miene. Obwohl die Kapuze des Destillanzugs seinen Kopf größtenteils verbarg, konnte man eine Narbe an seinem Kinn und eine weitere über seiner linken Augenbraue erkennen. Die blauen Augen des Gewürzabhängigen waren nicht auf Kapitän Phillips gerichtet, wenn er mit ihm sprach, wodurch er einen arglistigen Eindruck auf Vor machte.

»Leider?«, erwiderte Phillips empört. »Was meinst du damit?«

»Die Unwägbarkeiten, wenn man Geschäfte auf Arrakis macht. Das Merkantile Kombinat hat gerade eine weitere Gewürzernte-Operation ausgelöscht und dabei hundert Menschen getötet. Es verteidigt seinen Zugriff auf das Gewürz. Deshalb sind die Bestechungsgelder, die man braucht, um eine Ladung Melange für irgendeinen Lieferanten außer VenHold zu bekommen … nun ja, mein Freund, sie sind ziemlich kostspielig. Allein im vergangenen Monat sind drei Erntemaschinen von Würmern verschlungen worden, und immer häufiger kommt es zu Sandstürmen. Das hat erhöhte Wartungs- und Ersatzteilkosten zur Folge. Mir bleibt keine andere Wahl, als fünfzehn Prozent aufzuschlagen.« Er lächelte versöhnlich. »Du bist ein Freund, deshalb berechne ich dir deutlich weniger als anderen.«