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Wer erwartet Gerechtigkeit in einem Universum, das von Ungerechtigkeit beherrscht wird?
Imperator Shaddam IV. ist zutiefst beunruhigt, dass die Harkonnen, die seit Jahren über den Wüstenplaneten Arrakis herrschen, das Gewürz heimlich zurückhalten, das der Gilde die interstellaren Flüge ermöglicht. Zusammen mit den Bene Tleilax versucht er, das Spice zu synthetisieren. Damit löst er einen Gewürz-Krieg aus, in dessen Verlauf Arrakis zerstört werden soll – doch dort leben die Fremen, und die haben eigene Pläne …
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Seitenzahl: 978
BRIAN HERBERT &
KEVIN J. ANDERSON
DAS
HAUS CORRINO
Ein Roman aus dem Wüstenplanet-Zyklus
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Mit dem Wüstenplanet-Zyklus hat Frank Herbert eine Zukunftssaga geschaffen, die in ihrer epischen Wucht und ihrem außerordentlichen Detailreichtum nur mit J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe« zu vergleichen ist. Nach dem Tod des Autors 1986 schien diese Saga – zum Bedauern von Millionen von Leserinnen und Lesern rund um die Welt – zu einem Abschluss gekommen zu sein.
Doch nun geht das Abenteuer weiter: Gestützt auf den umfangreichen Nachlass seines Vaters und gemeinsam mit dem bekannten Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson, erzählt Frank Herberts Sohn Brian Herbert die unmittelbare Vorgeschichte dieses atemberaubenden Epos und beleuchtet jene Charaktere, Motive und Konflikte, die zu den Ereignissen in »Der Wüstenplanet« führen: der raffinierte, über neunzig Generationen laufende Zuchtplan der Bene Gesserit, mit dem die Spezies Mensch auf entscheidende Weise verändert werden soll, die Geburt des Herzogsohnes Paul Atreides, die diesem Plan entgegenläuft und zu heftigen Konflikten mit der Schwesternschaft führt, schließlich die Pläne Imperator Shaddams IV. aus dem Hause Corrino, in geheimer Absprache mit den Tleilaxu auf dem unterworfenen Planeten Ix die Produktion des synthetischen Gewürzes Amal zu forcieren, was den Großen Gewürzkrieg zur Folge hat, in dem alle Spice-Vorräte und auch der Wüstenplanet selbst vernichtet werden sollen …
Brian Herbert, der Sohn des 1986 verstorbenen Wüstenplanet-Schöpfers Frank Herbert, hat selbst SF-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstandenen »Mann zweier Welten«.
Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Die Auflage seiner Bücher, darunter zahlreiche »Star Wars«- und »Akte X«-Romane, beträgt weltweit über 12 Millionen Exemplare.
Eine chronologische Liste des Wüstenplanet-Zyklus finden Sie am Ende dieses Buches.
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Titel der Originalausgabe
DUNE: HOUSE CORRINO
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen
Überarbeitete Neuausgabe
Copyright © 2001 by Herbert Limited Partnership
Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlagbild: Frank M. Lewecke
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
Satz: Thomas Menne
ISBN 978-3-641-21017-5V002
Unseren Frauen gewidmet,
JANET HERBERT
und
REBECCA MOESTA ANDERSON,
für ihre Unterstützung, Begeisterung,
Geduld und Liebe während dieses
langen und komplizierten Projekts
Wir danken Penny Merritt für ihre Hilfe bei der Verwaltung des literarischen Erbes ihres Vaters Frank Herbert.
Unseren Redakteuren Mike Shohl, Carolyn Caughey, Pat LoBrutto und Anne Lesley Groell, die detaillierte und wertvolle Vorschläge unterbreiteten, von den ersten Entwürfen bis hin zur endgültigen Version dieser Geschichte.
Und wie immer Catherine Sidor von WordFire Inc., die unermüdlich zahlreiche Mikrokassetten transkribierte und viele hundert Seiten tippte, um mit unserem manischen Arbeitstempo Schritt zu halten. Ihre Hilfe in allen Stadien dieses Projekts hat uns geholfen, nicht den Verstand zu verlieren. Trotzdem erzählt sie allen Leuten, wir seien sehr organisiert.
Diane E. Jones, die unsere Testleserin und unser Versuchskaninchen war. Sie teilte uns ihre ehrliche Meinung mit und schlug zusätzliche Szenen vor, die diesem Buch zugute kamen.
Robert Gottlieb und Matt Bialer von der Trident Media Group sowie Mary Alice Kier und Anna Cottle von Cine/Lit Representation, deren Zuversicht und Engagement niemals nachließen und die das Potenzial des Projekts erkannten.
Der Herbert Limited Partnership, bestehend aus Ron Merritt, David Merritt, Byron Merritt, Julie Herbert, Robert Merritt, Kimberly Herbert, Margaux Herbert und Theresa Shackelford, die uns begeistert unterstützten und uns die Fortsetzung der großartigen Vision Frank Herberts anvertrauten.
Beverly Herbert, für nahezu vierzig Jahre der treuen Unterstützung ihres Mannes.
Und am meisten danken wir Frank Herbert, dessen Genie ein solch wundersames Universum schuf, das wir gemeinsam immer tiefer erkunden können.
Die Rotationsachse von Arrakis steht im rechten Winkel zum Radius der Umlaufbahn. Der Planet selbst ist keine Kugel, sondern eher ein ellipsoider Kreisel, der am Äquator ausgebuchtet und an den Polen eingedellt ist. Es gibt Überlegungen, dass dieser Zustand künstlich herbeigeführt wurde und das Ergebnis eines uralten Plans ist.
Bericht der
Dritten Imperialen Arrakis-Kommission
Unter dem Licht zweier Monde am staubverschleierten Himmel huschten die Fremen-Krieger über die Felsen der Wüste. Sie verschmolzen mit der zerklüfteten Umgebung, als bestünden sie ebenfalls aus Sand und Stein. Es waren harte Männer, die in einer harten Umwelt aufgewachsen waren.
Tod den Harkonnens! Alle Mitglieder des bewaffneten Überfallkommandos hatten den gleichen Schwur geleistet.
Während der stillen Stunden vor Sonnenaufgang führte Stilgar, der große Anführer mit dem schwarzen Bart, katzengleich den Trupp seiner besten Kämpfer an. Wir müssen uns wie Schatten in der Nacht bewegen. Schatten mit verborgenen Messern.
Mit erhobener Hand befahl er den Männern anzuhalten. Stilgar lauschte auf den Pulsschlag der Wüste und erforschte mit seinen Ohren die Dunkelheit. Seine gänzlich blauen Augen suchten hoch aufragende Felsen ab, die sich wie gigantische Wächter vor dem Himmel abzeichneten. Die Bewegung der zwei Monde ließ dunkle Flecken über den Boden wandern, als wären die Schatten lebende Fortsätze der Berge.
Die Männer kletterten einen Felsrücken hinauf und folgten den bearbeiteten Stufen des steilen Pfades mithilfe ihrer Augen, die perfekt an die Dunkelheit angepasst waren. Die Umgebung kam Stilgar auf unheimliche Weise vertraut vor, obwohl er nie zuvor hier gewesen war. Sein Vater hatte ihm den Weg beschrieben, den ihre Vorfahren zum Sietch Hadith genommen hatten. Einst war sie die Größte aller verborgenen Siedlungen gewesen, doch nun war sie seit Urzeiten verlassen.
Hadith – ein Wort aus einem alten Fremen-Lied über das Überleben in der Wüste. Wie bei vielen Fremen hatte sich die Geschichte auch seinem Geist fest eingebrannt … eine Geschichte von Kampf und Verrat während der ersten Generationen der Zensunni-Wanderer hier auf Dune. Den Legenden zufolge hatten alle Bedeutungen hier in diesem heiligen Sietch ihren Ursprung.
Doch nun haben die Harkonnens unser uraltes Heiligtum geschändet.
Jeder, der zu Stilgars Kommando gehörte, empfand tiefste Abscheu angesichts dieses Frevels. Im Rotwall-Sietch wurde ein flacher Stein aufbewahrt, in den Striche eingraviert waren. Jeder Strich bezeichnete einen Feind, der von diesen Männern getötet worden war, und in dieser Nacht würde noch mehr feindliches Blut vergossen werden.
Der Trupp folgte Stilgar auf der anderen Seite über den steinigen Weg nach unten. Bald würde die Dämmerung einsetzen, und sie hatten noch viele Feinde zu töten.
Fernab von den neugierigen Augen des Imperators hatte Baron Harkonnen die leeren Höhlen von Sietch Hadith als Versteck für einen Teil seiner illegalen Gewürzvorräte benutzt. Die unterschlagene Melange tauchte auf keiner Bestandsliste auf, sodass Shaddam nie etwas von der Veruntreuung der kostbaren Substanz erfahren würde. Doch vor den Augen der Wüstenmänner konnten die Harkonnens solche Aktivitäten niemals verbergen.
Im verwahrlosten Dorf Bar Es Rashid am Fuß des Grats hatten die Harkonnens einen Horchposten und in den Felsen Wächter stationiert. Derartige Vorsichtsmaßnahmen waren kein Hindernis für die Fremen, die bereits vor langer Zeit zahlreiche Tunnel und Eingänge zu den Höhlen angelegt hatten. Geheime Wege …
Stilgar sah, dass sich der Pfad teilte, und folgte der kaum erkennbaren Spur, auf der Suche nach dem versteckten Eingang zum Sietch Hadith. Im schwachen Licht erkannte er unter einem Überhang eine dunkle Stelle. Er ging in die Knie, kroch in die Dunkelheit und fand wie erwartet den Eingang. Hier war es kühl und feucht, da es kein Türsiegel mehr gab. Welche Verschwendung!
Kein helles Licht, kein Anzeichen von Wachen. Stilgar schob sich weiter ins Loch und streckte ein Bein nach unten, bis sein Fuß einen Vorsprung fand, der ihm Halt gab. Mit dem anderen Fuß suchte er nach dem nächsttieferen Vorsprung und so weiter. Auf diese Weise stieg er langsam hinunter. Voraus sah er schwaches gelbliches Licht. Dort bog der Tunnel nach rechts ab. Stilgar kehrte ein Stück zurück und gab den anderen ein Zeichen, ihm zu folgen.
Am Boden neben den grob behauenen Stufen stieß er auf eine alte Schüssel. Er zog die Filterstopfen aus der Nase und roch rohes Fleisch. Ein Köder für kleine Raubtiere? Eine Falle? Er erstarrte und suchte nach Sensoren. Hatte er bereits unwissentlich Alarm ausgelöst? Dann hörte er Schritte und eine betrunken klingende Stimme. »Hab wieder einen. Werd ihn in die Kulon-Hölle schicken.«
Stilgar und zwei Fremen zogen sich hastig in einen Nebentunnel zurück und zückten ihre milchweißen Crysmesser. Maula-Pistolen würden in diesen beengten Verhältnissen viel zu viel Lärm machen. Als zwei Harkonnen-Wachen, die nach Gewürzbier stanken, an ihnen vorbeitappten, sprangen Stilgar und sein Kamerad Turok hervor und packten sie von hinten.
Bevor die überraschten Männer schreien konnten, hatten die Fremen ihnen die Kehlen aufgeschlitzt. Sofort drückten sie Schwammtücher auf die Wunden, um das kostbare Blut aufzufangen. Mit schnellen und sicheren Bewegungen nahmen die Fremen den zuckenden Wachmännern die Handwaffen ab. Stilgar griff sich eine Lasgun und reichte Turok eine zweite.
Leuchtgloben aus Militärbeständen hingen in Deckennischen und spendeten mattes Licht. Das Überfallkommando setzte den Weg durch den Gang fort und näherte sich dem Herzen des uralten Sietches. Als sie an einem Förderband vorbeikamen, mit dem Vorräte und Material in die geheime Höhle geschafft worden waren, bemerkte er den Zimtgeruch der Melange, der immer stärker wurde, je weiter die Gruppe vorrückte. Hier verstrahlten die Leuchtgloben kein gelbes, sondern ein blasses orangefarbenes Licht.
Stilgars Trupp stieß immer wieder auf menschliche Schädel und verwesende Leichen, die den Korridor säumten, wie achtlos fortgeworfene Trophäen. Sein Zorn wuchs. Es waren vielleicht gefangene Fremen oder Dorfbewohner, die die Harkonnens zum reinen Vergnügen getötet hatten. Turok sah sich eifrig um, als würde er nach einem Feind suchen, an dem er sich rächen konnte.
Vorsichtig schob sich Stilgar immer weiter vor, bis er Stimmen und klappernde Geräusche hörte. Sie erreichten eine Nische, die mit einer steinernen Brüstung versehen war. Von hier aus konnte man eine unterirdische Grotte überblicken. Stilgar stellte sich die vielen tausend Wüstenmenschen vor, die sich vor langer Zeit in dieser gewaltigen Höhle versammelt hatten, lange vor den Harkonnens, lange vor dem Imperator … lange bevor die Gewürzmelange zur kostbarsten Substanz des Universums geworden war.
Im Zentrum der Höhle erhob sich ein dunkelblaues und silbriges Gebilde. Es war achteckig und von Rampen umgeben. Ähnliche Gebilde in kleinerer Ausführung waren ringsum arrangiert. Eins befand sich noch im Bau. Sieben Arbeiter mühten sich mit schweren Teilen aus Plastahl ab.
Die Krieger blieben im Schatten und schlichen sich über flache Stufen zum Boden der Höhle hinunter. Turok und die anderen Fremen bezogen mit ihren erbeuteten Waffen Stellung in verschiedenen Nischen in den Wänden der Höhle. Drei Männer liefen die Rampe hinauf, die das größere achteckige Gebilde umgab. Für einen Moment war nichts von den Fremen zu sehen, dann tauchten sie wieder auf und gaben Stilgar schnelle Handzeichen. Sechs Wachen waren bereits getötet worden, ohne dass ein Laut zu hören gewesen war. Die Stille der Crysmesser.
Jetzt bestand keine Notwendigkeit mehr, im Verborgenen vorzugehen. Auf dem Höhlenboden richteten zwei Mitglieder des Kommandos ihre Maula-Pistolen auf die überraschten Bauarbeiter und befahlen ihnen, die Stufen hinaufzugehen. Die Männer mit den matten Augen gehorchten ohne Protest, als wäre es ihnen gleichgültig, welche Herren ihnen die Freiheit nahmen.
Die Fremen durchsuchten die Gänge und fanden eine unterirdische Baracke, in der zwei Dutzend Wachmänner schliefen. Überall im großen Gemeinschaftsraum lagen Flaschen mit Gewürzbier herum, und der starke Geruch nach Melange hing in der Luft.
Voller Verachtung stürmten die Fremen hinein. Messer zuckten, Fäuste und Stiefel schlugen zu. Sie verursachten Schmerzen, aber keine tödlichen Wunden. Die benommenen Harkonnens wurden entwaffnet und in die große Höhle getrieben.
Stilgar spürte sein heißes Blut, als er auf die schlaffen, betrunkenen Männer blickte. Man hofft stets, auf einen ehrbaren Feind zu stoßen. Aber heute haben wir keinen gefunden. Selbst hier in der streng bewachten Höhle hatten sich die Männer vom Gewürz bedient, das sie eigentlich bewachen sollten – vermutlich ohne Wissen des Barons.
»Ich würde sie gerne sofort zu Tode foltern.« Turoks Augen funkelten düster im rötlichen Schein der Leuchtgloben. »Aber langsam. Du hast gesehen, was sie mit ihren Gefangenen gemacht haben.«
Stilgar hielt ihn zurück. »Die Folter heben wir uns für später auf. Jetzt sollen sie für uns arbeiten.«
Stilgar ging vor der Reihe der Gefangenen auf und ab und kratzte sich am schwarzen Bart. Der Gestank ihres Angstschweißes überlagerte allmählich das Melange-Aroma. Mit ruhigen, leisen Worten setzte er eine Drohung ein, die ihr Anführer Liet-Kynes vorgeschlagen hatte. »Dieser Gewürzvorrat ist illegal und stellt eine ausdrückliche Verletzung der imperialen Gesetze dar. Sämtliche Melange wird konfisziert und der Fund an Kaitain gemeldet.«
Sein Freund Liet, der vor kurzem zum Imperialen Planetologen ernannt worden war, befand sich auf Kaitain, um eine Audienz beim Padischah-Imperator Shaddam IV. zu erwirken. Es war eine sehr lange Reise durch die Galaxis bis zum Palast des Imperators, und ein einfacher Wüstenbewohner wie Stilgar konnte sich solche Entfernungen kaum vorstellen.
»Das sagt ein Fremen?«, spottete der betrunkene Wachhauptmann, ein kleiner Kerl mit zitterndem Unterkiefer und hoher Stirn.
»Das sagt der Imperator. Wir beschlagnahmen die Ware in seinem Namen.« Stilgars indigoblaue Augen schienen ihn zu durchbohren. In seinem Zustand war der rotgesichtige Hauptmann nicht einmal in der Lage, Angst zu empfinden. Offenbar hatte er noch nie gehört, was die Fremen mit ihren Gefangenen anstellten. Aber er würde es schon bald erfahren.
»Macht euch an die Arbeit und entladet die Silos!«, schnauzte Turok, der bei den geretteten Sklaven stand. Wer von ihnen nicht zu erschöpft war, um es zu bemerken, amüsierte sich darüber, wie die Harkonnens plötzlich sprangen. »Unsere Thopter treffen in Kürze ein, um das Gewürz mitzunehmen.«
Die aufgehende Sonne versengte die Wüste. Stilgar war angespannt und leicht besorgt. Die Harkonnens arbeiteten stundenlang. Dieser Überfall beanspruchte sehr viel Zeit, doch sie konnten dabei auch sehr viel gewinnen.
Während Turok und seine Gefährten ihre Waffen bereithielten, luden missgelaunte Harkonnen-Wachen Pakete mit Melange auf die ratternden Förderbänder, die ihre Last zu Öffnungen in der Felswand transportierten. Dahinter befanden sich die Landeflächen für die Thopter. Draußen schleppten die Fremen Werte davon, mit denen sich ein ganzer Planet kaufen ließ.
Was mag der Baron mit solchen Reichtümern bezwecken?
Um Mittag, genau zum vereinbarten Zeitpunkt, hörte Stilgar Explosionen aus dem Dorf Bar Es Rashid am Fuß des Grats. Wie geplant griff der zweite Fremen-Trupp den Wachposten der Harkonnens an.
Vier Ornithopter ohne Hoheitszeichen umkreisten den Felsrücken, bis Stilgars Männer ihnen den Weg zu den Landeflächen wiesen. Die befreiten Arbeiter und die Fremen-Krieger beluden die Maschinen mit der abgepackten, zweimal gestohlenen Melange.
Es wurde Zeit, die Aktion zu Ende zu bringen.
Stilgar führte die Harkonnen-Wachen über einen steilen Pfad zu den verstaubten Hütten von Bar Es Rashid. Nach Stunden harter Arbeit und schwelender Angst war der Hauptmann jetzt völlig ausgenüchtert. Er war durchgeschwitzt und seine Augen hatten einen gehetzten Blick. Stilgar baute sich vor ihm auf und betrachtete den Mann mit tiefster Verachtung.
Ohne ein Wort zog er sein Crysmesser und schlitzte ihn der Länge nach auf, vom Schambein bis zum Brustkorb. Der Wachhauptmann starrte fassungslos auf seinen Unterleib, aus dem Blut und Eingeweide quollen.
»Wasserverschwendung«, brummte Turok, der an seiner Seite stand.
Mehrere Gefangene gerieten in Panik und versuchten zu flüchten, doch die Fremen stürzten sich auf sie. Einige wurden über die steile Klippe geschleudert und andere mit scharfen Klingen erstochen. Wer sich wehrte, wurde schnell und schmerzlos getötet. Mit den Feiglingen ließen sich die Fremen mehr Zeit.
Den erschöpften Bauarbeitern befahlen sie, die Leichen in die Ornithopter zu schaffen, auch die halb verwesten Kadaver, die sie in den Tunneln gefunden hatten. Im Rotwall-Sietch würde Stilgars Volk sie zum Wohl des ganzen Stammes in den Todesdestillen verwerten, wo ihnen sämtliches Wasser entzogen wurde. Der entweihte Hadith-Sietch würde fortan wieder menschenleer sein, eine Geisterstadt.
Und eine Warnung an den Baron.
Einer nach dem anderen erhoben sich die beladenen Thopter wie dunkle Vögel in den klaren Himmel, während Stilgars Männer in der heißen Sonne des Nachmittags losmarschierten. Ihre Mission war abgeschlossen.
Sobald Baron Harkonnen vom Verlust seines Gewürzvorrats und der Ermordung seiner Wachen hörte, würde er an Bar Es Rashid Vergeltung üben, obwohl die armen Dorfbewohner gar nichts mit dem Überfall zu tun hatten. Mit grimmiger Miene beschloss Stilgar, die gesamte Bevölkerung in einen fernen, sicheren Sietch umzusiedeln.
Dort würde man sie und die gefangenen Bauarbeiter entweder zu Fremen machen oder töten, falls sie nicht kooperierten. In Anbetracht ihres ärmlichen Lebens in Bar Es Rashid fand Stilgar, dass er ihnen damit einen großen Gefallen erwies.
Wenn Liet-Kynes von seinem Treffen mit dem Imperator zurückkehrte, wäre er sehr zufrieden mit dem, was die Fremen in der Zwischenzeit geleistet hatten.
Die Menschheit kennt nur eine einzige Wissenschaft: die Wissenschaft der Unzufriedenheit.
Padischah-Imperator Shaddam IV.,
Verfügung anlässlich der Aktionen
des Hauses Moritani
Bitte haben Sie Erbarmen, Herr.
Ich möchte untertänigst einen Wunsch vorbringen, Hoheit.
Den größten Teil seiner täglichen Pflichten fand Imperator Shaddam Corrino IV. langweilig. Zu Anfang war es aufregend gewesen, auf dem Goldenen Löwenthron zu sitzen, doch als er nun den imperialen Audienzsaal überblickte, hatte er den Eindruck, dass die Macht nur speichelleckendes Ungeziefer anlockte. Sie war genauso unwiderstehlich wie Zuckerguss für Küchenschaben. Er nahm die Stimmen der Bittsteller kaum noch bewusst wahr, während er mechanisch reagierte und mit zustimmenden oder ablehnenden Gesten antwortete.
Ich fordere Gerechtigkeit, Majestät.
Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, Herr.
In den langen Jahren als Kronprinz hatte er eifrig intrigiert, um endlich auf den Thron zu gelangen. Jetzt besaß Shaddam die Macht, einen verdienten Bürger mit einem Fingerschnippen in den Adelsstand zu versetzen, ganze Welten zu zerstören oder Große Häuser zum Einsturz zu bringen.
Doch selbst der Herrscher über das Bekannte Universum konnte nicht nach Belieben regieren. Seine Entscheidungen wurden von allen Seiten durch politische Drahtzieher beeinflusst. Die Raumgilde vertrat ihre eigenen Interessen, genauso wie die Merkantile Allianz für Fortschritt und Entwicklung im All, das Handelskonglomerat, das besser unter der Abkürzung MAFEA bekannt war. Es war ein Segen, dass die Adelsfamilien untereinander genauso zerstritten waren wie mit ihm.
Bitte hören Sie sich mein Anliegen an, Herr.
Lassen Sie Gnade walten, Majestät.
Die Bene Gesserit hatten ihm in den ersten Jahren geholfen, seine Herrschaft zu etablieren. Doch nun flüsterten die Hexen hinter seinem Rücken – einschließlich seiner eigenen Frau. Sie lösten das Gewebe seiner Macht auf und verknüpften die Fäden zu einem neuen Muster, das er noch nicht durchschaute.
Gewähren Sie mir die Bitte, Herr.
Es geht um ein völlig belangloses Anliegen, Hoheit.
Andererseits näherte sich sein langwieriges Projekt Amal dem erfolgreichen Abschluss. Wenn es erst einmal gelungen war, in den Anlagen auf Ix künstliches Gewürz herzustellen, würde Shaddam das Antlitz des Imperiums verändern.
Amal. Schon das Wort hatte einen geradezu magischen Klang. Aber Namen hatten häufig kaum etwas mit der Wirklichkeit zu tun.
Die jüngsten Berichte von Ix waren ermutigend. Zumindest behaupteten die verdammten Tleilaxu, dass ihre Experimente erfolgreich waren. Shaddam wartete nur noch auf den letzten Beweis und eine Probe. Das Gewürz … Sämtliche Fäden des Machtgefüges des gewaltigen Imperiums waren aus Gewürz gesponnen. Bald werde ich über meine eigene Quelle verfügen, und Arrakis kann meinetwegen vor die Hunde gehen.
Forschungsmeister Hidar Fen Ajidica würde es niemals wagen, ihm unbegründete Behauptungen vorzusetzen. Aber sicherheitshalber hatte Shaddam seinen Jugendfreund und Hofphilosophen Graf Hasimir Fenring nach Ix geschickt, um die Sache zu überprüfen.
Mein Schicksal liegt in Ihren Händen, Herr.
Heil dem wohltätigen Imperator!
Auf seinem Kristallthron gestattete sich Shaddam ein geheimnisvolles Lächeln, das die Bittsteller verunsicherte.
Hinter ihm bestiegen zwei kupferhäutige Frauen in Gewändern aus goldenen Seidenschuppen die Stufen und entzündeten die Ionenfackeln beiderseits des Throns. Die knisternden Flammen waren Bündel aus gezähmten Blitzen. Im blauen und grünen Schein strahlten Lichtadern, die zu hell waren, um sie direkt betrachten zu können. In der Luft hing der Geruch nach Ozon und Gewitter und das Zischen der heißen Flammen.
Mit dem üblichen Pomp und Prunk war Shaddam fast eine Stunde später als angekündigt im Thronsaal eingetroffen. Auf diese Weise wollte er den erbärmlichen Bettlern klar machen, wie wenig Bedeutung er ihren Besuchen beimaß. Andererseits wurde von allen Bittstellern verlangt, dass sie sich pünktlich einfanden; andernfalls wurden ihre Termine gestrichen.
Kammerherr Beely Ridondo war vor den Thron getreten und hob seinen Klangstab. Als er damit auf den Steinboden schlug, gab der Stab einen hallenden Gong von sich, der die Fundamente des Palasts erzittern ließ. In arrogantem Tonfall rief Ridondo sämtliche Namen und Titel des Imperators aus und verkündete den Beginn der Audienz. Anschließend kehrte er mit sicheren Schritten über die Stufen auf das Podest zurück.
Shaddams schmales Gesicht zeigte einen strengen Ausdruck, als er sich vorbeugte. Ein neuer Arbeitstag auf dem Thron hatte begonnen …
Der Vormittag entwickelte sich genauso, wie er befürchtet hatte. Eine endlose Serie von langen Vorträgen, in denen es ausschließlich um Banalitäten ging. Doch er zwang sich, den Anschein eines großen, mitfühlenden Herrschers zu erwecken. Er hatte bereits mehrere Historiker beauftragt, für eine angemessene Schilderung seines Lebens und seiner Regierungszeit zu sorgen.
In einer kurzen Pause ging Kammerherr Ridondo die lange Liste der Tagesordnungspunkte durch. Shaddam nahm einen Schluck aus der Tasse mit starkem Gewürzkaffee und spürte die Wirkung der Melange wie ein elektrisches Kribbeln. Der Koch hatte das Gebräu ausnahmsweise zu seiner Zufriedenheit zubereitet.
Die Tasse war kunstvoll bemalt und ein Einzelstück. Sie bestand aus hauchdünnem Porzellan, das kaum dicker als eine Eierschale war. Jede Tasse wurde zerstört, nachdem Shaddam daraus getrunken hatte, damit niemand das Privileg genießen konnte, dasselbe Geschirr wie der Imperator zu benutzen.
»Herr?« Ridondo blickte den Herrscher mit beunruhigend ruhiger Miene an, während er eine Reihe komplizierter Namen herunterleierte, ohne noch einmal seine Unterlagen zu konsultieren. Der Kammerherr war zwar kein Mentat, besaß aber ein hervorragendes natürliches Gedächtnis. Das befähigte ihn, die zahlreichen Details eines Arbeitstages im Kopf zu behalten. »Ein soeben eingetroffener Besucher hat eine sofortige Audienz bei Ihnen beantragt.«
»Das will doch jeder. Welches Haus hat ihn geschickt?«
»Er gehört nicht zum Landsraad, Herr. Und er ist auch kein Vertreter der MAFEA oder der Gilde.«
Shaddam schnaufte. »Dann sollte Ihre Entscheidung auf der Hand liegen, Kammerherr. Ich kann meine Zeit nicht mit einfachen Bürgern vergeuden.«
»Er ist … nicht gerade ein einfacher Bürger, Herr. Sein Name ist Liet-Kynes, und er kommt von Arrakis.«
Shaddam ärgerte sich über jeden, der die Unverfrorenheit besaß, davon auszugehen, er könnte einfach so hereinspazieren und mit dem Imperator über eine Million Welten sprechen. »Wenn ich das Bedürfnis nach einer Unterredung mit Wüstenpöbel empfinde, werde ich ihn rufen lassen.«
»Er ist Ihr Imperialer Planetologe, Herr. Ihr Vater hat seinen Vater beauftragt, auf Arrakis das Geheimnis des Gewürzes zu erforschen. Ich glaube, seitdem sind zahlreiche Berichte eingegangen.«
Der Imperator gähnte. »Die allesamt furchtbar langweilig waren. Ich kann mich erinnern.« Jetzt fiel ihm wieder ein, dass es um den exzentrischen Pardot Kynes ging, der einen großen Teil seines Lebens auf Arrakis verbracht hatte. Er hatte seine Pflichten vernachlässigt und sich mit der einheimischen Bevölkerung verbrüdert. Staub und Hitze waren offenbar mehr nach seinem Geschmack gewesen als die Pracht Kaitains. »Ich habe jedes Interesse an der Wüste verloren.« Insbesondere jetzt, wo Amal zum Greifen nah ist.
»Ich verstehe Ihre Vorbehalte, Herr, aber wenn Kynes zurückkehrt, könnte er die Wüstenarbeiter zum Aufstand anstacheln. Wer weiß, wie viel Einfluss er bei ihnen hat? Sie könnten sich zu einem Generalstreik entschließen. Wenn die Gewürzproduktion zurückgeht, müsste Baron Harkonnen hart durchgreifen. Er würde Verstärkung durch die Sardaukar anfordern, und dann wäre …«
Shaddam hob eine tadellos manikürte Hand. »Genug! Ich habe verstanden, worauf Sie hinauswollen.« Der Kammerherr hatte die Angewohnheit, die Konsequenzen einer Angelegenheit detaillierter auszuführen, als es für die Regierungsgeschäfte eines Imperators nötig war. »Lassen Sie ihn herein. Aber säubern Sie ihn vorher von allem Schmutz und Staub.«
Auf Liet-Kynes wirkte der gigantische Palast des Imperators beeindruckend, aber er war den Anblick einer völlig andersartigen Pracht gewohnt. Es gab nichts Überwältigenderes als die unermesslichen Weiten des Wüstenplaneten. Er hatte die Gewalt katastrophaler Coriolisstürme am eigenen Leib erfahren. Er war auf riesigen Sandwürmern geritten. Er hatte beobachtet, wie sich Pflanzen in dieser lebensfeindlichen Umwelt zu behaupten versuchten.
Ein Mann, der auf einem Stuhl saß, mochte er noch so teuer sein, konnte es mit keinem dieser Wunder aufnehmen.
Seine Haut juckte von den fettigen Lotionen, mit denen die Palastdiener ihn eingerieben hatten. Sein Haar roch wie ein Blumengarten, und sein Körper stank nach unnatürlichen Desodoranzien. Die Fremen wussten, dass Sand den Körper und den Geist reinigte. Wenn er von Kaitain zurückgekehrt war, wollte sich Kynes nackt auf einer Düne wälzen und sich dem scharfen Wind aussetzen, um sich wieder völlig sauber fühlen zu können.
Er hatte darauf bestanden, weiterhin seinen Destillanzug zu tragen. Also hatte man das Produkt einer hoch entwickelten Technik auseinander genommen und gründlich nach versteckten Waffen oder Abhörvorrichtungen durchsucht. Man hatte die Komponenten geputzt und geölt und die sorgsam bearbeiteten Oberflächen mit ungewöhnlichen Chemikalien behandelt, bis die Sicherheitsleute endlich zufrieden gewesen waren.
Kynes war überzeugt, dass der Anzug, der in der Wüste überlebenswichtig war, nie wieder richtig funktionieren würde und er ihn anschließend wegschmeißen konnte. Welche Verschwendung!
Doch er war der Sohn des großen Propheten Pardot Kynes. Also würden die Fremen bis zum Horizont Schlange stehen, um der Ehre teilhaftig zu werden, einen neuen Destillanzug für ihn anfertigen zu dürfen. Schließlich hatten sie ein gemeinsames großes Ziel: das Wohlergehen des Wüstenplaneten. Doch nur Kynes konnte vor den Imperator treten und die nötigen Forderungen vorbringen.
Diese imperialen Beamten verstehen überhaupt nichts!
Sein braun gesprenkelter Mantel wehte hinter seinem Rücken, als er in den Saal marschierte. Auf Kaitain wirkte er wie ein ärmliches Kleidungsstück, aber Kynes trug ihn wie einen königlichen Umhang.
Der Kammerherr gab kurz und knapp seinen Namen bekannt. Er schien sich persönlich beleidigt zu fühlen, dass der Planetologe keine weiteren aristokratischen oder politischen Titel führte. Kynes stapfte in Temag-Stiefeln heran und gab sich keine Mühe, seinem Gang auch nur den Ansatz von Eleganz zu verleihen. Er hielt abrupt vor dem Podest an und sprach mit selbstbewusster Stimme, ohne sich zu verbeugen. »Imperator Shaddam, ich muss mit Ihnen über das Gewürz und über Arrakis sprechen.«
Die Höflinge schnappten angesichts dieser Unverfrorenheit nach Luft. Der Imperator erstarrte. »Sie sind recht kühn, Planetologe«, erwiderte er mit gekränkter Miene. »Das könnte eine große Dummheit sein. Glauben Sie, ich wüsste nichts von den Dingen, die für mein Imperium von großer Bedeutung sind?«
»Ich glaube, Herr, dass Sie von den Harkonnens falsche Informationen erhalten. Reine Propaganda, die die wahren Aktivitäten vor Ihnen verbergen sollen.«
Shaddam hob eine rötliche Augenbraue und beugte sich vor. Nun konzentrierte er seine gesamte Aufmerksamkeit auf den Planetologen.
»Die Harkonnens sind wilde Hunde, die in der Wüste wüten«, fuhr Kynes fort. »Sie beuten die einheimische Bevölkerung aus. Die Zahl der Todesfälle in den Erntemaschinen übersteigt sogar die in den Sklavenbergwerken auf Poritrin oder Giedi Primus. Ich habe Ihnen viele Berichte geschickt, in denen derartige Grausamkeiten geschildert sind, und davor hat mein Vater dasselbe getan. Außerdem habe ich einen Langzeitplan vorgelegt, wie sich durch die Anpflanzung von Gras und Trockensträuchern ein großer Teil der Oberfläche von Dune in fruchtbares Land verwandeln ließe. Von Arrakis, meine ich. Sodass sie wieder für Menschen bewohnbar wird.« Er machte eine kurze Pause. »Ich kann nur davon ausgehen, dass Sie unsere Berichte gar nicht gelesen haben, da wir nie eine Antwort erhalten haben, da Sie nie irgendwelche Maßnahmen beschlossen haben.«
Shaddam hielt sich an den Armlehnen des Goldenen Löwenthrons fest. Die grellen Ionenfackeln an seiner Seite waren wie ein schwaches Echo der Glut, die im Maul des Shai-Hulud loderte. »Ich muss sehr viele Berichte lesen, Planetologe, und ich habe jede Menge Entscheidungen zu treffen.« Die Sardaukar-Wachen traten einen Schritt näher, als sie den Stimmungsumschwung des Imperators spürten.
»Aber viele davon sind unbedeutend im Vergleich zur Zukunft der Gewürzproduktion.« Kynes' Erwiderung schockierte Shaddam und die Zuhörer am Hof. Jetzt waren die Wachen in voller Alarmbereitschaft und hatten die Hände an die Waffen gelegt.
Doch Kynes ignorierte die Gefahr. »Ich habe zusätzliche Ausrüstung sowie Botaniker, Meteorologen und Geologen angefordert. Ich habe darum gebeten, Kulturwissenschaftler zu schicken, die mir bei der Beantwortung der Frage helfen sollen, wie es dem Wüstenvolk gelingt, in dieser Umgebung zu überleben, während die Harkonnens so große Verluste zu beklagen haben.«
Jetzt hatte der Kammerherr genug gehört. »Planetologe, man stellt keine Forderungen an den Imperator. Allein Shaddam IV. entscheidet, was von Bedeutung ist und wo seine großzügige Hand Mittel verteilt, die dem Wohlergehen des Imperiums förderlich sind.«
Kynes ließ sich nicht von Shaddam oder seinem Lakaien einschüchtern. »Und im ganzen Imperium gibt es nichts, das von größerer Bedeutung wäre als das Gewürz. Ich biete dem Imperator die Möglichkeit, als großer Visionär in die Geschichte einzugehen, in der Tradition des Kronprinzen Raphael Corrino.«
Diese Beleidigung ließ Shaddam aufspringen – was er nur äußerst selten während einer imperialen Audienz tat. »Es reicht!« Er war in Versuchung, einen Scharfrichter kommen zu lassen, doch dann siegte die Vernunft über seine Erregung. Aber nur mit knappem Vorsprung. Dieser Mann konnte ihm vielleicht noch von Nutzen sein. Andererseits würde er zu gerne beobachten, wie Kynes und sein geliebter Wüstenplanet in der Bedeutungslosigkeit verschwanden, wenn die Amal-Produktion angelaufen war.
Er hatte sich wieder beruhigt, als er sagte: »Mein Imperialer Gewürzminister Graf Hasimir Fenring soll in einer Woche auf Kaitain eintreffen. Wenn Ihre so genannten Forderungen Hand und Fuß haben, ist er der Mann, dem es zusteht, sie vorzubringen.«
Die Sardaukar traten vor, ergriffen Kynes und führten ihn in zügigem Marschtempo nach draußen. Er wehrte sich nicht gegen diese Behandlung. Schließlich hatte er eine Antwort bekommen. Er wusste jetzt, dass Shaddam blind und egozentrisch war, und er hatte jeden Respekt vor diesem Mann verloren, mochte er noch so viele Welten regieren.
Die Fremen würden sich aus eigener Kraft um Dune kümmern müssen, und das Imperium konnte vor die Hunde gehen.
Menschen, die den Mut zum Leben verloren haben, verlangen nach dem, was ihnen fehlt … aber sie weisen es zurück, wenn es ihnen angeboten wird. Sie fürchten sich vor dem Beweis ihrer Unzulänglichkeit.
Der Heiligen Serena Butler
zugeschriebenes Zitat,
aus den Apokryphen des Djihad
Im Bankettsaal von Burg Caladan bemühten sich die gut gekleideten Bediensteten, den Anschein der Normalität zu wahren, obwohl ihr Herzog nur noch ein Schatten seines früheren Selbst war.
Frauen in hellen Kleidern eilten durch die Korridore. Kerzen, die Muskatduft verströmten, erleuchteten jede Nische. Doch selbst die besten Mahlzeiten des Küchenchefs, das kostbarste Porzellan und Besteck oder die angenehmste Musik konnte die düstere Stimmung nicht vertreiben, die über dem Haus Atreides lag. Jeder Diener spürte Letos Schmerz, und niemand konnte ihm helfen.
Lady Jessica saß auf einem Stuhl aus geschnitztem Elacca-Holz neben einem Ende des Tisches – auf ihrem offiziellen Platz als Konkubine des Herzogs. Den Stuhl an der Stirnseite besetzte ihr dunkelhaariger Liebhaber Leto Atreides in aufrechter und stolzer Haltung. Er verhielt sich höflich, aber etwas geistesabwesend zu den grün livrierten Dienern, die die verschiedenen Gänge servierten.
Viele Plätze am großen Tisch waren unbesetzt – viel zu viele. Um Letos quälenden Kummer ein wenig zu lindern, hatte Jessica diskret den kleinen Stuhl entfernt, der eigens für den sechsjährigen Victor, den verstorbenen Sohn des Herzogs, angefertigt worden war. Trotz ihrer jahrelangen Ausbildung als Bene Gesserit war Jessica nicht in der Lage gewesen, Leto aus seiner Trauer zu reißen. Ihre Hilflosigkeit schmerzte sie. Es gab so vieles, was sie ihm zu sagen hatte, wenn er ihr nur zuhören würde.
An der Längsseite saßen sich der Mentat Thufir Hawat und der narbengesichtige Schmuggler Gurney Halleck gegenüber. Normalerweise gelang es Gurney, jede Gesellschaft mit seinem Baliset und einem Lied aufzuheitern, doch zur Zeit waren seine Gedanken bei den Vorbereitungen für eine heimliche Reise nach Ix, die er gemeinsam mit Thufir unternehmen wollte. Sie sollten ausspionieren, ob es in den Verteidigungsmaßnahmen der Tleilaxu irgendwelche Schwachstellen gab.
Thufirs Geist, der komplex wie ein Computer war, konnte in Sekundenschnelle hundert Pläne und Eventualitäten berechnen, was ihn zu einem unentbehrlichen Mitglied der Mission machte. Gurney war gut darin, sich an Orte zu schleichen, an denen er nicht sein sollte, und selbst unter erschwerten Bedingungen wieder zu entkommen. Die beiden hatten vielleicht Erfolg, nachdem so viele andere gescheitert waren …
»Ich nehme noch etwas caladanischen Wein«, sagte Schwertmeister Duncan Idaho und hob sein Glas. Ein Diener eilte mit einer Flasche des teuren einheimischen Weins herbei, und Duncan hielt das Glas völlig ruhig, während die goldene Flüssigkeit hineingegossen wurde. Er gab dem Diener ein Zeichen, dass er warten sollte, kippte den Wein hinunter und winkte ihm dann, erneut nachzuschenken.
In der unbehaglichen Stille starrte Leto auf die große Holztür … als würde er mit dem Eintreffen einer weiteren Person rechnen. Seine Augen waren wie trübe Eissplitter.
Die Explosion des Luftschiffs, die brennende Hülle …
Rhombur verbrannt und verstümmelt, der kleine Victor getötet …
Und dann hatte er erfahren, dass seine eifersüchtige Konkubine Kailea an allem schuld war, Victors Mutter, die sich in unbeschreiblicher Schande und Trauer aus einem hohen Turm der Burg gestürzt hatte …
Der Koch tauchte im Durchgang zur Küche auf und trug mit sichtlichem Stolz ein Tablett. »Unser bestes Gericht, mein Herzog. Ihnen zu Ehren.«
Es war ein fetter Parafisch in einer Umhüllung aus knusprigen aromatischen Blättern. Rosmarinzweige steckten im rosafarbenen Fleisch, und blaue Wacholderbeeren verteilten sich wie kleine Edelsteine über das Tablett. Obwohl Jessica ihm das beste Stück des Filets vorlegte, rührte Leto seine Gabel nicht an. Er starrte weiter auf die Tür. Und wartete.
Schließlich reagierte er auf die Geräusche stapfender Schritte und summender Motoren und stand auf. Sein Gesicht war gleichzeitig besorgt und erwartungsvoll. Leichtfüßig und schnell betrat die Bene Gesserit Tessia den Bankettsaal. Die unscheinbare Schönheit musterte mit einem Blick den Raum und die Stühle sowie die Stelle auf dem steinernen Boden, wo man den Teppich entfernt hatte, und nickte zufrieden. »Er macht bewundernswerte Fortschritte, mein Herzog, aber wir müssen Geduld haben.«
»Von seiner Geduld können wir alle lernen«, sagte Leto, und auf seinem Gesicht erschien die Andeutung eines hoffnungsvollen Ausdrucks.
Mit sorgsam kalkulierter Präzision wankte Prinz Rhombur Vernius in den Raum. Seine Bewegungen waren ein Zusammenspiel zuckender Muskeln, elektrisierter Mikrofasernerven und sich spannender Shigadrähte. Seinem vernarbten Gesicht, das sich aus künstlicher und natürlicher Haut zusammensetzte, war die intensive Konzentration anzusehen. Glänzende Schweißperlen standen auf seiner wächsernen Stirn. Er trug ein kurzes, loses Gewand, auf dessen Revers eine purpur- und kupferrote Helix prangte, das stolze Symbol des gestürzten Hauses Vernius.
Tessia eilte zu ihm, doch Rhombur hob einen Finger aus Polymer und glänzendem Metall. Er wollte den Weg allein fortsetzen.
Die Explosion des Luftschiffs hatte seinen Körper in einen Klumpen aus rohem Fleisch verwandelt. Seine Gliedmaßen und eine Hälfte seines Gesichts waren verbrannt und die meisten seiner inneren Organe zerstört. Trotzdem hatte man ihm am Leben erhalten können, auch wenn aus der ehemals hellen Flamme ein schwacher Glutfunke geworden war. Nun war er kaum mehr als der Passagier eines mechanischen Fahrzeugs, das die Gestalt eines Menschen besaß.
»Ich laufe so schnell ich kann, Leto.«
»Es besteht kein Grund zur Eile.« Leto war stolz auf seinen tapferen Freund. Sie beide hatten gemeinsam gefischt, gespielt, gezecht und Pläne für die nächsten Jahrzehnte geschmiedet. »Es wäre mir gar nicht recht, wenn du stürzt und etwas kaputt machst – zum Beispiel den Tisch.«
»Sehr witzig.«
Leto erinnerte sich, wie die Tleilaxu versucht hatten, den Herzog in der Stunde seiner größten Trauer zu erpressen. Sie hatten begierig nach genetischem Material aus den Familien der Atreides und Vernius verlangt. Sie hatten dem leidenden Leto das teuflische Angebot gemacht, im Tausch gegen den verstümmelten, aber noch lebendigen Körper seines besten Freundes Rhombur einen Ghola von Victor zu züchten – einen Klon aus seinen toten Körperzellen.
Die Tleilaxu hatten einen tiefen Hass auf das Haus Atreides – und noch mehr auf das Haus Vernius, das sie auf Ix gestürzt hatten. Sie wollten sich Zugang zu einwandfreier Atreides- und Vernius-DNS verschaffen. Aus Victor und Rhombur hätten sie jede Menge Gholas erschaffen können – Klone, Doppelgänger, Assassinen.
Doch Leto hatte ihr Angebot zurückgewiesen. Stattdessen hatte er den Suk-Arzt Wellington Yueh engagiert, einen Experten auf dem Gebiet der Herstellung künstlicher Prothesen.
»Vielen Dank, dass ihr mir zu Ehren dieses Bankett veranstaltet.« Rhombur betrachtete die Tabletts und Schüsseln auf dem Tisch. »Es tut mir Leid, wenn meinetwegen das Essen kalt geworden ist.«
Leto hob die Hände und klatschte. Duncan und Jessica lächelten und schlossen sich dem Applaus an. Jessicas ausgezeichneter Beobachtungsgabe entging nicht, dass die Augen des Herzogs feucht von heimlichen Tränen waren.
Der blassgesichtige Dr. Yueh lief neben seinem Patienten her und las die Anzeigen eines Messgeräts in seiner Hand ab, das die Impulse aus Rhomburs cybernetischen Systemen empfing. Der Arzt schürzte die dunkelroten Lippen, bis sie eine Blütenknospe bildeten. »Hervorragend. Sie funktionieren wie geplant, obwohl ein paar Komponenten noch einer genaueren Abstimmung bedürfen.« Er ging um Rhombur herum, während der Cyborg-Prinz sich mit langsamen, unsicheren Schritten fortbewegte.
Tessia zog einen Stuhl zurück und bot ihn Rhombur an. Seine synthetischen Beine waren kräftig und stämmig, aber ohne Eleganz. Seine Hände sahen wie Panzerhandschuhe aus, seine Arme schoben sich wie automatisch gesteuerte Ruder vor und zurück.
Rhombur blickte lächelnd auf den großen Fisch, den der Koch kurz zuvor serviert hatte. »Das riecht ja wunderbar!« Er drehte den Kopf – eine langsame Rotation wie auf einem Kugellager. »Ist es möglich, dass ich etwas davon esse, Dr. Yueh?«
Der Suk-Arzt strich über seine langen Schnurrbartspitzen. »Probieren Sie nur ein kleines Stückchen. Ich arbeite noch an Ihrem Verdauungssystem.«
Rhombur drehte den Kopf zu Leto herum. »Wie es scheint, werde ich in nächster Zeit eher Batterien als Desserts verbrauchen.« Er ließ sich auf dem Stuhl nieder, und nun nahmen auch die anderen wieder ihre Plätze ein.
Leto hob sein Weinglas und suchte nach einem passenden Trinkspruch, dann trat ein leidvoller Ausdruck in sein Gesicht, und er nahm einfach nur einen kleinen Schluck. »Es tut mir so Leid, was mit dir geschehen ist, Rhombur. Diese … mechanischen Ersatzteile … waren das Beste, was ich für dich tun konnte.«
Rhomburs vernarbtes Gesicht zeigte eine Mischung aus Dankbarkeit und Verärgerung. »Zinnoberrote Hölle, Leto, hör auf, dich zu entschuldigen! Wenn du versuchst, sämtliche Facetten der Schuld auszuleuchten, wäre das Haus Atreides auf Jahre handlungsunfähig, und wir alle würden allmählich verrückt werden.« Er hob einen mechanischen Arm, ließ die Hand im Gelenk rotieren und beobachtete den Vorgang. »Das hier ist gar nicht so schlecht. Es ist ein Wunder, wenn ich ehrlich bin. Dr. Yueh ist ein Genie, weißt du? Du solltest ihn so lange wie möglich in deinen Diensten behalten.« Der Suk-Arzt wurde nervös, als er sich bemühte, nicht vor Stolz über dieses Kompliment zu strahlen.
»Vergiss nicht, dass ich von Ix stamme. Also habe ich durchaus Sinn für die Wunder der Technik«, sagte Rhombur. »Jetzt bin ich ein lebendes Beispiel eines solchen Wunders. Wenn es jemanden gibt, der bessere Voraussetzungen mitbringt, sich an eine solche Situation anzupassen, würde ich ihm gerne begegnen.«
Jahrelang hatte der Prinz im Exil abgewartet und der Widerstandsbewegung auf seiner verwüsteten Heimatwelt nur minimale Unterstützung zukommen lassen, hauptsächlich militärische Ausrüstung und Sprengsätze, die Herzog Leto zur Verfügung gestellt hatte.
In den vergangenen Monaten war Rhombur nicht nur körperlich, sondern auch mental wieder zu Kräften gekommen. Obwohl er nur noch der Bruchteil eines Menschen war, sprach er jeden Tag von der Notwendigkeit, Ix zurückzuerobern. Manchmal mussten Leto und seine Konkubine Tessia ihn sogar ermahnen, sich zu beruhigen und nichts zu überstürzen.
Schließlich hatte sich der Herzog einverstanden erklärt, Gurney und Thufir auf die riskante Erkundungsmission zu schicken. Auch für ihn war es ein neues Ziel, das er mit Entschlossenheit verfolgen wollte. Nach all den Tragödien, die er überlebt hatte, wollte er etwas Gutes leisten. Es ging gar nicht mehr um die Frage, ob sie einen Gegenschlag vorbereiten wollten, sondern nur noch, wie und wann es geschehen sollte.
Tessia sprach, ohne den Blick von Rhombur abzuwenden. »Unterschätzen Sie niemals Rhomburs Kraft. Sie sollten am besten wissen, dass man sich anpassen muss, wenn man überleben will.«
Jessica bemerkte den Ausdruck der Bewunderung auf dem Gesicht der Konkubine. Tessia und Rhombur hatten viele Jahre lang zusammen auf Caladan gelebt. Die Frau hatte ihn stets ermutigt, die Freiheitskämpfer auf Ix zu unterstützen, damit er eines Tages seinen Fürstentitel zurückfordern konnte. Tessia hatte ihm in den schwierigsten Zeiten beigestanden, sogar nach dem Unfall mit dem Luftschiff. Als Rhombur wieder zu Bewusstsein gekommen war, hatte er gesagt: »Ich bin überrascht, dass du geblieben bist.«
»Ich werde so lange bleiben, wie du mich brauchst.«
Tessia arbeitete wie eine Besessene für ihn. Sie überwachte die Umgestaltung seiner Wohnung in der Burg und den Bau von Geräten, die ihm behilflich sein sollten. Sie verwendete einen großen Teil ihrer Zeit darauf, ihn stärker zu machen. »Sobald es Prinz Rhombur besser geht«, hatte sie verkündet, »wird er das ixianische Volk zum Sieg führen.«
Jessica wusste nicht, ob die Frau ihrem Herzen folgte oder geheime Anweisungen erfüllte, die sie von der Schwesternschaft bekommen hatte.
Jessica war es gewohnt, strengste Befehle von ihrer Lehrerin und Mentorin, der Ehrwürdigen Mutter Gaius Helen Mohiam, zu erhalten. Seit ihrer Kindheit hatte Jessica von Mohiam alles gelernt, was sie ihr beibrachte, und alles getan, was die alte Frau von ihr verlangte.
Doch nun verlangte die Schwesternschaft, dass sie ihre Gene mit denen des Herzogs mischte. Jessica war unmissverständlich aufgefordert worden, Leto zu verführen und eine Atreides-Tochter von ihm zu empfangen. Seit sie jedoch unvertraute und verbotene Gefühle der Liebe für ihren verbitterten Herzog empfand, hatte sich Jessica ihren Pflichten verweigert und verhindert, dass sie schwanger wurde. Und kurz nach Victors Tod, in Letos schwerster Phase der Depression, hatte sie zugelassen, dass sie gegen ihre Anweisungen einen Sohn empfing. Mohiam würde mit tiefster Enttäuschung reagieren, wenn sie davon erfuhr. Aber Jessica konnte später immer noch eine Tochter zur Welt bringen.
Auf seinem Spezialstuhl bog Rhombur den linken Arm und schob die steifen Fingerspitzen vorsichtig in eine Tasche seines kurzen Gewandes. Konzentriert suchte er darin, bis er ein Stück Papier herauszog, das er umständlich entfaltete.
»Sehen Sie sich die Feinmotorik an«, sagte Yueh. »Sie funktioniert besser, als ich erwartet hatte. Haben Sie heimlich geübt, Rhombur?«
»Pausenlos.« Der Prinz hob den Zettel hoch. »Jeden Tag fallen mir neue Einzelheiten ein. Auf diesem Plan habe ich ein paar geheime Zugangstunnel zu den Höhlen von Ix eingezeichnet, so gut ich mich daran erinnere. Für Gurney und Thufir dürften sie recht nützlich sein.«
»Alle anderen Wege haben sich als zu gefährlich erwiesen«, sagte der Mentat. Im Laufe der Jahrzehnte hatten immer wieder Spione der Atreides versucht, den Verteidigungsring der Tleilaxu zu durchbrechen. Entweder war es ihnen nicht gelungen, in die Untergrundwelt einzudringen, oder sie waren niemals zurückgekehrt.
Rhombur, der Sohn des Grafen Dominic Vernius, hatte sein Gedächtnis nach Informationen über geheime Sicherheitssysteme und verborgene Eingänge zur Höhlenstadt durchforstet. Während seiner langen Rekonvaleszenz erinnerte er sich an immer neue Details, die er längst vergessen geglaubt hatte, die vielleicht den Schlüssel zur feindlichen Festung darstellten.
Er wandte sich dem Essen zu und häufte sich ein großes Stück vom Parafisch auf die Gabel. Als er Dr. Yuehs missbilligenden Blick bemerkte, ließ er das meiste auf den Teller zurückfallen und begnügte sich mit einem kleineren Bissen.
Leto starrte auf sein verschwommenes Spiegelbild in der Wand aus blauem Obsidian, die den Bankettsaal schmückte. »Wie Wölfe, die bereit sind, sich auf jedes Mitglied ihres Rudels zu stürzen, das Anzeichen der Schwäche zeigt, warten auch einige Adelsfamilien nur darauf, dass ich einen Fehler mache. Zum Beispiel die Harkonnens.« Seit der Luftschiffkatastrophe hatte Herzog Letos Bereitschaft, Ungerechtigkeiten schweigend zu akzeptieren, drastisch abgenommen. Es lag ihm genauso sehr am Herzen wie Rhombur, auf Ix etwas zu bewirken.
»Das gesamte Imperium muss erkennen, dass die Stärke des Hauses Atreides nicht nachgelassen hat.«
Wenn wir versuchen, unsere elementarsten Triebe zu verbergen, ist unsere gesamte Existenz ein Betrug.
Lehre der Bene Gesserit
Es schmerzte Lady Anirul mit anzusehen, wie die Wahrsagerin Lobia in ihrem schlichten Gemach auf einer Matte im Sterben lag. Ach, meine Freundin, du hast etwas viel Besseres als das hier verdient!
Die uralte Schwester war in den letzten Jahren zusehends schwächer geworden, hatte sich aber mit erstaunlicher Hartnäckigkeit ans Leben geklammert.
Sie hatte sich geweigert, in die vertraute Mütterschule auf Wallach IX zurückzukehren, was ihr gutes Recht gewesen wäre, und wollte stattdessen weiterhin dem Goldenen Löwenthron dienen. Ihr phänomenaler Verstand – den sie als ihren »kostbarsten Besitz« bezeichnete – war wach und scharf geblieben. Als Imperiale Wahrsagerin identifizierte Lobia jede Lüge und Täuschung, die im Beisein von Shaddam IV. ausgesprochen wurde, auch wenn der Imperator nur äußerst selten seine Anerkennung ihrer Dienste zum Ausdruck brachte.
Nun blickte die sterbende Frau zu Anirul auf. Das sanfte Licht der Leuchtgloben verlieh ihr eine Art Heiligenschein, während ihr Gesicht – und ihre Tränen – im Schatten verborgen waren. Die uralte Schwester war ihre engste Vertraute im riesigen Palast, nicht nur eine Bene-Gesserit-Kameradin, sondern außerdem eine rüstige und faszinierende Person, der sie ihre geheimsten Gedanken anvertrauen konnte. Und nun ging ihr Leben zu Ende.
»Es wird Ihnen bald wieder besser gehen, Mutter Lobia«, sagte Anirul. Die Plastein-Wände des kargen, ungeheizten Raumes verbreiteten eine Kälte, die bis ins Mark drang. »Ich glaube, Sie sind schon wieder etwas zu Kräften gekommen.«
Die Stimme der alten Frau klang wie knisternde trockene Blätter. »Belüge niemals eine Wahrsagerin … insbesondere nicht die Wahrsagerin des Imperators.« Diese Ermahnung hatte sie schon häufig wiederholt. Lobias wässrige Augen funkelten mit bescheidener Ironie, obwohl es sie sichtlich anstrengte, regelmäßig zu atmen. »Hast du denn gar nichts von mir gelernt?«
»Ich habe gelernt, dass Sie eine störrische Frau sind, meine Freundin. Sie sollten mir erlauben, die Medizinschwestern zu rufen. Yohsa wird sich um Sie kümmern.«
»Die Schwesternschaft ist nicht daran interessiert, dass ich weiterlebe, mein Kind, auch wenn du es dir noch so sehr wünschen magst. Muss ich dich für deine Gefühle tadeln, oder sollte ich uns beiden diese Peinlichkeit ersparen?« Lobia hustete, dann unterzog sie sich der beruhigenden Übung einer Bindu-Suspension. Sie holte zweimal tief Luft und schloss das Ritual ab. Ihre Atmung war jetzt wieder so regelmäßig und gesund wie bei einer viel jüngeren Frau. »Es ist uns nicht bestimmt, ewig zu leben, auch wenn die Stimmen der Weitergehenden Erinnerungen diesen Anschein erwecken mögen.«
»Ich glaube, es macht Ihnen einfach nur Spaß, meine vorgefassten Meinungen infrage zu stellen, Mutter Lobia.« Sie schwammen häufig durch die unterirdischen Kanäle unter dem Palast, sie entspannten sich bei komplexen Strategiespielen, sie starrten sich stundenlang gegenseitig an und kämpften um winzigste Nuancen der Willenskraft. Anirul wollte sie nicht aufgeben.
Obwohl die alte Wahrsagerin im prächtigen imperialen Palast lebte, gab es keinen Schmuck an den Wänden und keinen Teppich auf dem Holzboden ihres Quartiers. Lobia hatte die ursprünglichen kostbaren Gemälde, die schweren importierten Läufer und die Fenstervorhänge aus prismatischem Film entfernen lassen. »Solche Luxusgegenstände verstopfen nur den Geist«, hatte sie zu Anirul gesagt. »Persönlicher Besitz ist eine Vergeudung von Zeit und Energie.«
»Aber ist es nicht der menschliche Geist, der diesen Luxus schafft?«, hatte Anirul erwidert.
»Ein überragender Geist erschafft wunderbare Dinge, aber nur Dummköpfe streben danach, sie um ihrer selbst zu besitzen. Ich ziehe es vor, nicht zu den Dummköpfen zu gehören.«
Wie ich diese Diskussionen vermissen werde, wenn sie nicht mehr da ist …
Anirul fragte sich mit überwältigender Traurigkeit, ob der Imperator überhaupt etwas von der Abwesenheit der alten Frau bemerkt hatte. Seit Jahrzehnten war Lobia die beste Wahrsagerin am Hof gewesen. Sie registrierte den feinsten Schweißfilm, winzigste Bewegungen des Kopfes, ein Kräuseln der Lippen, Veränderungen im Tonfall und viele andere Dinge.
Ohne sich auf der harten Matte zu rühren, öffnete Lobia unvermittelt die Augen. »Es wird Zeit.«
Ein ängstlicher Stich fuhr durch Aniruls Herz. Ich darf mich nicht fürchten. Die Furcht tötet das Bewusstsein. Die Furcht führt zu völliger Zerstörung. »Ich verstehe, Mutter Lobia«, flüsterte sie. »Ich bin bereit, Ihnen zu helfen.« Ich werde ihr ins Gesicht sehen. Sie soll mich völlig durchdringen.
Sie kämpfte ihre Tränen zurück und zwang sich zur Selbstbeherrschung. Dann beugte sie sich vor und berührte mit ihrer Stirn die trockene Haut der Schläfe der alten Wahrsagerin, als würde sie sich auf einem Gebetsteppich verbeugen. Eine bedeutende Aufgabe musste noch erledigt werden, bevor Lobia sterben durfte.
Anirul würde die Gespräche und die Freundschaft zu dieser Frau im einsamen Palast sehr vermissen. Aber sie musste nicht völlig auf die Gesellschaft der verehrten Wahrsagerin verzichten. »Komm in meinen Geist, Lobia. In mir ist Platz für all deine Erinnerungen.«
In den Tiefen ihres Bewusstseins spürte Anirul die Aufregung und Unruhe in den Weitergehenden Erinnerungen, den genetisch aufgezeichneten Erfahrungen all ihrer weiblichen Vorfahren. Als Kwisatz-Mutter war Aniruls Geist besonders empfänglich für vergangene Gedanken und Leben, die viele Generationen zurückreichten. Bald würde auch Lobia zu ihnen gehören.
Mit der Stirn spürte sie den nachlassenden Pulsschlag der alten Frau. Ihr Geist öffnete sich … und dann setzte der Fluss ein, als würde sich ein Staubecken entleeren. Lobia ließ ihr Leben in Anirul strömen, sie gab ihr alle Erinnerungen, ihre Persönlichkeit und sämtliche Daten ihres langen Lebens.
Eines Tages würde Anirul diese Informationen an eine andere, jüngere Schwester weitergeben. Auf diese Weise wurde das kollektive Gedächtnis der Schwesternschaft gesammelt und theoretisch allen Bene Gesserit verfügbar gemacht.
Nachdem sie ihr Leben gegeben hatte, fiel Lobia wie eine leere Hülle in sich zusammen. Nun existierten die Erinnerungen der alten Frau neben all den anderen Stimmen in Anirul weiter. Nun konnte die Kwisatz-Mutter jederzeit Lobia aufrufen und sich wieder an ihrer Gesellschaft erfreuen …
Sie hörte eine leise Stimme und blickte sich um. Sorgfältig verbannte sie jeden Hinweis auf ihre Gefühle aus ihrer Miene. Sie wollte nicht riskieren, dass irgendeine andere Schwester ihre Schwäche bemerkte, nicht einmal in diesem Moment tiefster Trauer. Im Türrahmen stand eine junge Bene-Gesserit-Schülerin und winkte ihr. »Ein wichtiger Besuch, Mylady. Bitte folgen Sie mir.«
Anirul war überrascht, mit welcher Ruhe sie antwortete. »Schwester Lobia ist tot. Wir müssen der Mutter Oberin mitteilen, dass der Imperator eine neue Wahrsagerin benötigt.« Sie warf der uralten Frau, die kalt und leer auf der harten Matte lag, noch einen kurzen, sehnsüchtigen Blick zu, dann entfernte sie sich mit nahezu lautlosen Schritten.
Die hübsche Schwester sah sie voller Erstaunen an, als sie die Neuigkeit vernahm. Sie führte Anirul in einen eleganten Privatsalon, wo die Ehrwürdige Mutter Mohiam auf sie wartete. Die Frau mit den eingefallenen Wangen und dem ergrauten Haar trug ein schwarzes Aba-Gewand, die traditionelle Kleidung der Schwesternschaft.
Bevor Mohiam etwas sagen konnte, teilte Anirul ihr knapp und emotionslos mit, dass Lobia gestorben war. Die Ehrwürdige Mutter schien nicht im Geringsten überrascht zu sein. »Auch ich bringe eine Nachricht, die seit langem erwartet wurde, Lady Anirul. Insbesondere an diesem Tag des Abschieds dürfte die Nachricht für Sie ermutigend sein.« Sie benutzte eine uralte, ansonsten vergessene Sprache, die kein eventueller Lauscher verstehen würde. »Jessica ist endlich mit dem Kind von Herzog Leto Atreides schwanger.«
»Wie es ihr befohlen wurde.« Aniruls Miene hellte sich auf, und sie klammerte sich an diese erfreuliche Hoffnung auf neues Leben.
Nach Jahrtausenden sorgfältigster Vorbereitung stand der bedeutendste Plan der Bene Gesserit kurz vor der Vollendung. Die Tochter, die Jessica demnächst zur Welt bringen würde, sollte einst die Mutter des langersehnten Kwisatz Haderach werden, eines Messias, der unter der Kontrolle der Schwesternschaft stand.
»Vielleicht ist heute doch kein so düsterer Tag.«
Wenn jeder Mensch die Gabe hätte, in die Zukunft zu schauen, wäre sie bedeutungslos. Denn wo ließe sich diese Gabe dann noch anwenden?
Norma Cenva, Das Integral der Philosophie,
nach alten Aufzeichnungen der Gilde
im Rossak-Privatarchiv
Die menschliche Besiedlung des Planeten Junction reichte in die Zeit vor der Gründung der Raumgilde durch den legendären Patrioten und Industriemagnaten Aurelius Venport zurück.
Als die Gilde noch in den Kinderschuhen steckte, in den Jahrhunderten nach Butlers Djihad, hatte man nach einer Heimatwelt mit genügend Platz für die gewaltigen Heighliner gesucht. Die weiten Ebenen und die geringe Bevölkerung von Junction boten ideale Voraussetzungen. Heute war diese Welt mit Landeplätzen der Gilde, Reparatureinrichtungen, riesigen Wartungshallen und streng abgeschirmten Schulen für die geheimnisvollen Navigatoren übersät.
Steuermann D'murr, der kaum noch Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte, schwamm in einem versiegelten Tank voller Gewürzgas und blickte mit geistigen Augen auf Junction hinaus. Der intensive Zimtgeruch der reinen Melange durchdrang jede Pore seines Körpers und Geistes. Es gab keinen köstlicheren Duft.
Seine gepanzerte Kammer wurde von mechanischen Klammern gehalten, während eine Transportgondel lautlos über das Land flog und ihn zum neuen Heighliner brachte, der ihm als Arbeitsplatz zugewiesen worden war. Es war D'murrs Lebensaufgabe, die Schiffe mit einem Augenzwinkern durch den Faltraum zu befördern, von einem Sonnensystem zum nächsten. Und das war nur ein kleiner Teil seines Wissens, nachdem er sich so weit über seine ursprüngliche menschliche Existenz hinausentwickelt hatte.
Die tropfenförmige Gondel überflog eine weite Fläche mit gelandeten Heighlinern – gigantische, kilometerlange Schiffe, die den gesamten Handel des Imperiums abwickelten. Stolz war eine primitive menschliche Emotion, aber D'murr war immer noch in der Lage, Freude über seine Stellung im Universum zu empfinden.
Er betrachtete den Raumhafen und die Wartungsschleusen, an denen die Schiffe versorgt und mit neuen Bauteilen ausgestattet wurden. Die Hülle eines riesigen Heighliners wies zahlreiche Meteoritentreffer auf; darin war ein alter Navigator gestorben. D'murr spürte das Aufflackern einer traurigen Empfindung, eine leise Erinnerung an den ehrgeizigen ixianischen Jungen, der er einmal gewesen war. Wenn er eines Tages sein erweitertes Bewusstsein konzentriert hatte, würde er auch diesen Überrest seines früheren Ichs bezwingen können.
Vor ihm lagen die ordentlichen weißen Markierungen auf dem Feld der Navigatoren, der Gedenkstätte der Raumgilde. Zwei Markierungen strahlten heller als die anderen; sie waren erst vor kurzem angelegt worden, nachdem zwei Piloten im Verlauf eines Experiments ihr Leben verloren hatten. Die Freiwilligen waren für ein gefährliches Projekt modifiziert worden, bei dem es um die Möglichkeit zeitverlustfreier interstellarer Kommunikation ging. Das Projekt Gildelink basierte auf D'murrs Erfahrungen, die er während der Verbindungen mit seinem Zwillingsbruder C'tair gesammelt hatte.
Doch die Experimente waren fehlgeschlagen. Nach einigen erfolgreichen Anwendungen hatten die mental gekoppelten Navigatoren einen geistigen Zusammenbruch erlitten, und ihre Gehirne waren sozusagen durchgebrannt. Die Gilde hatte alle weiteren Forschungen eingestellt, auch wenn der Gildelink einen enormen Profit versprach. Es war einfach zu teuer, hochbegabte Navigatoren durch weitere Versuche zu verlieren.
Die Düsen der Transportgondel heulten auf, als sie am Rand der Gedenkstätte zur Landung ansetzte, direkt neben dem Orakel der Unendlichkeit. In der großen Kugel aus Klarplaz bewegten sich golden leuchtende Wirbel, sich ständig verändernde Konstellationen von Nebeln und Sternen. Die Aktivität verstärkte sich, als ein uniformierter Gildemann D'murrs Tank von der Transportgondel wegdirigierte.
Jeder Navigator war verpflichtet, vor einem Einsatz mit dem Orakel zu »kommunizieren«, um seine hellseherischen Fähigkeiten zu verstärken und zu verfeinern. Diese Erfahrung, die einer Reise durch die Herrlichkeit des Faltraums ähnelte, brachte ihn mit den geheimnisvollen Ursprüngen der Gilde in Verbindung.
D'murr schloss die kleinen Augen und spürte, wie das Orakel der Unendlichkeit seinen Geist erfüllte. In wellenförmigen Schüben wurde sein Bewusstsein geöffnet, bis sich die Vielfalt sämtlicher Möglichkeiten vor ihm ausbreitete. Er hatte das Gefühl, beobachtet und behütet zu werden, als hätte er Kontakt mit dem Geist der Gilde aufgenommen. Auf jeden Fall empfand er einen tiefen Frieden.
Das uralte und mächtige Orakel führte D'murrs Geist durch Vergangenheit und Zukunft von Raum und Zeit, und er sah die Schönheit und Vollkommenheit der Schöpfung. Das Gewürzgas in seinem Tank schien sich auszudehnen, bis es die mutierten Gesichter tausender Navigatoren umfasste.
Die Bilder tanzten und oszillierten, aus Navigatoren wurden Menschen und umgekehrt. Er sah eine Frau, deren Körper sich veränderte und verkümmerte, bis sie kaum mehr als ein übergroßes, nacktes Gehirn war …
Dann verblassten die Bilder des Orakels, was ihm das Gefühl einer bedrohlichen Leere gab. Seine Augen waren nach wie vor geschlossen, als er nur noch die wirbelnden Nebel in der Klarplazkugel sah. Die Klammern der Transportgondel hoben seinen Tank wieder auf. Jetzt wurde D'murr, der eine unbehagliche Unruhe empfand, zum wartenden Heighliner gebracht.
Er sah viele Dinge durch den Faltraum, aber nicht alles … nicht genug. Im Kosmos waren mächtige und unberechenbare Kräfte am Werk, die selbst das Orakel der Unendlichkeit nicht sehen konnte. Gewöhnliche Menschen, selbst mächtige Führer wie Shaddam IV., würden niemals verstehen, welche Folgen ihr Wirken auslösen konnte.
Das Universum war ein gefährlicher Ort.
Die Melange ist ein vielhändiges Ungeheuer. Das Gewürz gibt mit einer Hand und nimmt mit allen anderen.
Vertrauliche Mitteilung der MAFEA
an den Imperator
Der weiße Wagen raste durch einen Bahntunnel des Komplexes miteinander verbundener unterirdischer Laboratorien. Für einen beunruhigenden Moment ratterte das Fahrzeug stockend über die alten Gleise, bevor es die Fahrt fortsetzte.
Durch den Klarplazboden des Wagens konnte Forschungsmeister Hidar Fen Ajidica Überführungen, Förderbänder und technische Systeme erkennen, die für eine wichtige Aufgabe zusammenarbeiteten. Und alles unter meiner Leitung! Obwohl sich der Imperator der Illusion hingab, er hätte die Vorgänge auf Xuttuh, ehemals Ix, unter seiner Kontrolle, besaß hier niemand größeren Einfluss als Ajidica. Irgendwann würden all die Politiker und Aristokraten und selbst die kurzsichtigen Vertreter seines eigenen Volkes diese Tatsache anerkennen müssen. Doch dann wäre es längst zu spät, etwas gegen den unaufhaltsamen Triumph des Forschungsmeisters zu unternehmen.
Der Wagen war auf den ratternden Gleisen zum schwer bewachten Forschungspavillon unterwegs. Bevor die Tleilaxu diesen Planeten erobert hatten, dienten die fortschrittlichen ixianischen Produktionsstätten dazu, den Reichtum des Hauses Vernius zu mehren. Doch nun, unter der Herrschaft des auserwählten Volkes, erfüllten die Labors und Fabriken einen viel besseren Zweck – den Ruhm Gottes zu mehren.
Heute jedoch musste er sich einer ganz anderen Prüfung stellen. Ajidica war keineswegs von der Vorstellung erbaut, sich schon wieder mit Graf Fenring zu treffen, dem Imperialen Gewürzminister, aber zumindest konnte er ihm gute Neuigkeiten melden. Damit ließen sich die Sardaukar des Imperators weiterhin in Schach halten.
In den vergangenen Monaten hatte er eine Menge ausführlicher Tests überwacht, parallele Analysen, mit denen die Wirkungen von Melange und künstlichem Amal detailliert verglichen werden sollten. Ein besonders hartnäckiges Geheimnis, die rituelle Verwendung der Melange durch die Bene-Gesserit-Schwesternschaft, hatte durch einen glücklichen Umstand geknackt werden können, als ihm unerwartet eine Spionin der Hexen in die Hände gefallen war. Jetzt erfüllte die Frau, die unter dem Namen Miral Alechem aufgetreten war, einen höheren Zweck.
Der surrende Wagen kam mit einem Ruck am Pavillon zum Stehen, und Ajidica trat auf eine tadellos weiße Plattform hinaus. Fenring musste bereits eingetroffen sein, und es gefiel ihm gar nicht, wenn man ihn warten ließ.
Ajidica eilte in eine Liftkabine, die ihn zum Hauptstockwerk des Pavillons hinunterbrachte – aber die kreisrunde Tür wollte sich anschließend nicht mehr öffnen. Verärgert drückte er auf einen Alarmknopf und schrie in den Komanschluss: »Holt mich hier raus, und zwar schnell! Ich bin ein vielbeschäftigter Mann!«
Der Lift war eine ixianische Konstruktion, doch nun klemmte eine simple Tür. Selbst die primitivsten Einrichtungen dieser angeblich so wunderbaren Forschungsanlagen fielen immer häufiger aus. War es ein Sabotageakt der hartnäckigen, gesichtslosen Rebellen? Oder einfach nur schlechte Wartung?
Er hörte, wie sich draußen Leute unterhielten und gegen die Tür hämmerten. Ajidica hatte ohnehin eine Abscheu vor engen Räumen. Er hasste es, unter der Erde leben zu müssen. Jetzt schien die aufbereitete Luft immer dicker zu werden. Er flüsterte den Katechismus des Großen Glaubens und bat Gott demütig um einen sicheren Weg. Er zerrte ein Fläschchen aus einer Tasche und schluckte zwei bitter schmeckende Pastillen.
Warum brauchen sie nur so lange?
Ajidica versuchte sich zu beruhigen, indem er noch einmal den Plan durchging, den er initiiert hatte. Seit dem Beginn dieses Projekts vor Jahrzehnten stand er in Kontakt mit einem kleinen Kader von Tleilaxu, die ihm dienen sollten, nachdem er mit den heiligen Axolotl-Tanks geflohen war. In einer fernen Region des Imperiums und unter dem Schutz tödlicher Gestaltwandler wollte er sein eigenes Tleilaxu-Regime errichten, das den Großen Glauben auf unverfälschte Weise interpretierte.
Man hatte bereits alle Vorbereitungen getroffen, um ihn, seine Gestaltwandler und das Geheimnis des Amal mit einer Langstreckenfregatte an einen geheimen Ort zu bringen. Nach seiner Flucht würde eine Bombe detonieren, die den gesamten Laborkomplex vernichtete. Dabei würde gleichzeitig die halbe unterirdische Stadt zerstört werden. Bevor sich der Staub gelegt hatte, wäre er längst auf und davon.
Auf dem sicheren Planeten wollte Ajidica dann seine Machtbasis ausbauen und eine militärische Streitmacht um sich scharen, die ihn vor Vergeltungsmaßnahmen des Imperiums schützte. Er allein würde die lebenswichtige und kostengünstige Versorgung mit synthetischer Melange kontrollieren. Wer das Gewürz regiert, regiert das Universum.